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Titel
by Jiří Hrdý
Dokumentarfilmreihe — Cassius Clay (1942–2016), später Muhammad Ali, steigt vom Amateurboxer zum Olympiasieger und Weltmeister auf. Sein Talent zur Selbstvermarktung nutzt er auch politisch. Die Filme von Ken Burns, Sarah Burns und David McMahon zeigen, wie Ali zu einer prägenden Figur des 20. Jahrhunderts wurde. TV ab Dienstag, 11.1. — 20.15 Uhr | g MEDIATHEK ab 20.12. bis 11.3. bzw. 12.3.
»Ein Held, wie aus der Tragödie«
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Vor gut 40 Jahren stand er zum letz- ARTE MAGAZIN Es gibt so viele Dokumentaten Mal im Ring und verlor einstim- tionen, Filme und Bücher über Muhammad mig nach Punkten. Muhammad Ali. Welche Geschichte kann man da noch Ali, der größte Boxer aller Zeiten, erzählen? musste seine Karriere mit einer Niederlage KEN BURNS Ali, der Boxer. Ali, der Moslem. beenden. Seine Parkinson-Erkrankung ließ Ali, der Vietnamkriegsdienstverweigenichts anderes zu. Dem Mythos Ali tat das rer. Die Leute wollen ihn auf etwas festnakeinen Abbruch. Der „Thrilla in Manila“, der geln: Held, Feind, Gewinner, Verlierer. Aber „Rumble in the Jungle“ – seine Boxkämpfe ZUR PERSON Ali war eine komplexe Person, er war ein sind Legenden geworden und er ein Held, der Ken Burns, Filmemacher Mensch, der sich entwickelte. nicht nur als Athlet, sondern auch als Aktivist Burns ist einer der wichtigsten SARAH BURNS Wir wollten seine Biografie allerhand Grenzen sprengte. US-Dokumentarfilmer. Seine als eine Geschichte der Veränderungen, als
Seine klare politische Haltung gegen erste Doku „Brooklyn Bridge“ eine spirituelle Reise zu sich selbst erzählen. den Vietnamkrieg, sein Einsatz für die (1981) erhielt eine Oscarnomi- Was viele nicht wissen: Alles in Alis Leben Emanzipation der Schwarzen und seine nierung. Weitere Werke: „Der war von seinem Glauben beeinflusst – seine Präsenz als gläubiger Moslem machten aus dem besten Schwergewichtsboxer der Amerikanische Bürgerkrieg“ (1990), „Die Fünf vom Central Park“ (2012), „Vietnam“ (2017). politische Haltung, sein Privatleben, sogar sein Verhältnis zum Boxen. Welt einen Freiheitskämpfer. Die vierteilige ARTE MAGAZIN Was haben Sie noch über Dokumentarfilmreihe „Muhammad Ali“, ihn gelernt? die im Januar auf ARTE zu sehen ist, erzählt seine Lebensge- SARAH BURNS Egal, mit wem ich gesprochen habe, alle hatten schichte anhand unzähliger Archivaufnahmen und Gesprä- eine Geschichte über ihn zu erzählen. Manchmal sind diese che mit Weggefährten, Familienmitgliedern und Experten. Menschen Ali nur zufällig an einer Straßenecke oder im AufIm Interview mit dem ARTE Magazin erklären die Regisseure zug begegnet, aber sie erzählen den Rest ihres Lebens davon. Ken Burns und seine Tochter Sarah, warum Alis Biografie Er hat bei so vielen Menschen einen bleibenden Eindruck über sich hinausweist, die Entwicklung der US-amerika- hinterlassen und sie beeinflusst. Es ist leicht, in ihm einen nischen Gesellschaft im 20. Jahrhundert spiegelt und wie Angeber und Narzissten zu sehen, der von sich behauptete, aus dem kontroversen Sportler ein universaler Held wer- der Größte und Schönste zu sein. Aber wenn man genau hinden konnte. schaut, lernt man einen offenherzigen, großzügigen Mann ARTE MAGAZIN Sarah und Ken Burns, wann haben Sie zum kennen. Er gab anderen buchstäblich sein letztes Hemd oder ersten Mal von Muhammad Ali gehört? das Geld, das er bei sich trug, manchmal sogar seine ArmSARAH BURNS Er war einfach schon immer da. Ich bin 1981 banduhr. Zuweilen scheint es mir, als hätte jeder Mensch auf geboren, für meine Generation war Muhammad Ali omniprä- dieser Erde eine Verbindung zu Muhammad Ali. sent. Gleichzeitig wusste ich nicht viel über ihn. Ich wusste, ARTE MAGAZIN Woran lag es, dass er zu Beginn seiner Kardass er ein großartiger Boxer war, und ich wusste, dass er den riere trotzdem so unbeliebt war? Kriegsdienst verweigert hatte. Aber wer Muhammad Ali wirk- KEN BURNS Er war ein vorlauter Angeber, konnte manchmal lich war, davon hatte ich keine Ahnung. gedankenlos und fies sein. Er war ein Provokateur, aber die KEN BURNS Ich kann mich noch genau daran erinnern: 1960 Negativität, die ihm entgegengeschlagen ist, hatte wenig mit gewann er Gold bei den Olympischen Spielen in Rom. Da war ihm zu tun. Das war die Banalität des Rassismus, gepaart mit ich sieben Jahre alt. Vier Jahre später gewann er dann den Welt- einem falschen Patriotismus. Manche sagen, Ali habe die meistertitel gegen den damals sehr gefürchteten Sonny Liston. Gesellschaft gespalten, aber es ist doch so, dass die ReakIch habe alle seine Kämpfe gesehen. tion der weißen Mehrheitsgesellschaft spaltend war. k
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SARAH BURNS Stimmt, das war nicht sein Ziel. In der Pressekonferenz, in der er erklärt, dass er den Kriegsdienst verweigern werde, sagt er: „Ihr könnt mich vor ein Erschießungskommando stellen, ich würde trotzdem nicht in den Krieg ziehen.“ Lieber will er sterben, als etwas gegen seine religiöse Überzeugung zu tun. Das war ihm wichtiger als all seine Erfolge. KEN BURNS Für seinen Mut muss man ihn wirklich bewundern. Aber dass Ali, der große Verfechter der schwarzen Befreiungsbewegung, die Sprache der Rassisten gegen seinen Gegner Joe Frazier verwendet hat, gehört auch zur Geschichte. Ali ist ein Held, aber einer aus der griechischen Tragödie. Er hat die großen Kämpfe des 20. Jahrhunderts in sich ausgetragen. ARTE MAGAZIN Seine verbalen Attacken, oft in Form
von Reimen, die Vorhersagen über den Kampfausgang enthielten, gehörten zu Alis öffentlichen Auftritten. Er war ein großer Performer, hat sich meisterhaft inszeniert. Sehen wir Ali immer nur, wie er gesehen werden wollte?
SARAH BURNS Ich glaube, wir sehen immer den echten Ali. Sogar in seiner Selbstinszenierung war er authentisch. Er stand gern im Mittelpunkt und hat sich entsprechend verhalten, aber das war nicht künstlich. ARTE MAGAZIN 1996 stand er ein letztes Mal im Mit
telpunkt der Weltöffentlichkeit, als er die Fackel bei den Olympischen Spielen von Atlanta hielt.
KEN BURNS Mich hat es unheimlich berührt, dass er bereit war, seine Verletzlichkeit so zur Schau zu stellen. Seine Parkinson-Erkrankung war damals schon fortgeschritten. Er hat am ganzen Körper gezittert. Alle, die das gesehen haben, hatten Tränen in den Augen. ARTE MAGAZIN Kontrovers fand ihn damals keiner
mehr. Hatte er sich verändert oder die Gesellschaft?
SARAH BURNS Beides trifft wohl zu. Natürlich hatte Ali
Angriffslustig: Mit einer Links-rechts-Kombination brachte Schwergewichtsweltmeister Muhammad Ali seinen Herausforderer Cleveland Williams 1966 in Houston zu Fall (1). Training für Alis Titelverteidigung gegen Europameister Karl Mildenberg in Frankfurt am Main, 1966 (2). Der Boxer privat mit Ehefrau Belinda 1971 (3). Lächelnd trotz fortgeschrittener ParkinsonKrankheit: Ali im Jahr 2001, zwei Jahrzehnte nach seinem letzten Boxkampf (4)
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sich verändert, nicht nur durch seine Parkinson-Erkrankung. Er hat einmal gesagt: „Ein Mann, der mit 50 genauso ist wie mit 20, hat 30 Jahre seines Lebens verschwendet.“ Er hatte viele Fehler und die erkannte er auch an – in aller Öffentlichkeit. Er entschuldigte sich dafür, dass er seinen Ehefrauen nicht treu gewesen war. Er wendete sich von der Nation of Islam ab und bereute, dass er seinem Freund Malcolm X den Rücken gekehrt hatte. Er gab sogar zu, dass die Art, wie er mit Joe Frazier gesprochen hatte, unangemessen war, und bat um Entschuldigung. KEN BURNS Und die Gesellschaft hatte sich auch verändert. Viele haben erkannt, dass Ali mit seiner Haltung zum Vietnamkrieg recht hatte. Und mit seinen Forderungen nach Gleichberechtigung der Schwarzen sowieso. Vielleicht hat auch eine Rolle gespielt, dass er nicht mehr bedrohlich wirkte. Er war alt und gebrechlich, es ging keine Gefahr mehr von ihm aus. ARTE MAGAZIN Am Ende Ihrer Dokureihe sieht man eine
junge Frau bei einer „Black Lives Matter“Demo. Sie trägt ein TShirt, auf dem zwei Worte stehen: Muhammad Ali. Welche Bedeutung hat er für die junge Generation?
KEN BURNS Sie trägt kein Plakat. Alles, was sie braucht, um ihr Anliegen zu repräsentieren, ist sein Name. Das sagt alles. l