JITTER .Magazin #00

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Illustration: André Rösler

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MAGAZIN FÜR BILDGESTALTUNG


Editorial

Von Andreas Rauth

Treu die Natur und ganz – Wie fängt er‘s an? Wann wäre je Natur im Bilde abgetan? Unendlich ist das kleinste Stück der Welt! – Er malt zuletzt davon, was ihm gefällt. Und was gefällt ihm? Was er malen kann! Nietzsches Kommentar auf das künstlerische Schaffen zielt zum einen auf die Beschränktheit der Mittel ab und zum anderen auf die selektive Wahrnehmung. Der Künstler zeigt das, was er sehen möchte oder auch nur in der Lage ist zu sehen. Dass dies nicht ausschließlich von individuellem Können und Ausbildung abhängt, sondern durchaus auch von den Möglichkeiten der Zeit, läßt sich leicht nachvollziehen: Hätte die mittelalterliche Kultur über Kenntnisse der Zentralperspektive verfügt, die Maler hätten sie ganz sicher angewandt. Umgekehrt gilt dies auch für den Betrachter. Man sieht nur, was man zu sehen gelernt hat.

Danke. An dieser stelle möchten wir uns ganz herzlich bedan− ken bei allen, die unsere arbeit an der null−ausgabe von "jitter" unterstützt haben. Bei den illustratoren und autoren, für die zahlreichen und grossartigen Arbeiten, die sie uns zur verfügung gestellt haben. bei Unseren anzeigenkunden und allen, die uns mit dienst− und sachleistungen unterstützt ha− ben. ohne sie hätte die gedruckte ausgabe nicht reali− siert werden können. Und bei allen anderen, die uns mit

Das Nachdenken über Bilder zählt zu den schönsten Sportarten überhaupt. Wahrnehmung und Reflexion gehören zusammen. Ist das Auge einmal fett und träge geworden vor lauter Eye-Candy, muss es im intellektuellen Galopp wieder schlank geritten werden. In Zeiten des Iconic Turn eine unerläßliche Disziplin. Ob Kinderbuch, Schulbuch, Belletristik, Editorial, Wissenschaft, Werbung, Mode, Comic oder Animation: Ganz selten dient das Bild lediglich dem künstlerischen Ausdruck. In der medialen Kommunikation ist das Bild immer ein absichtsvolles, ein instrumentalisiertes. Bilder informieren, erzählen und verführen. Sie beleuchten und verdunkeln. Kein Zeigen ohne Weglassen, siehe Nietzsche.

wohlwollen und gutem rat bedacht haben. Die redaktion

Impressum Erscheinungsweise: vier mal im Jahr Herausgeber:

Zum medial vermittelten Bild gehört also auch immer das, was man vereinfacht als dessen Geschichte bezeichnen könnte. Um das Bild und seine Geschichte soll es also gehen in jitter, unserem Magazin, das seinen Namen einem Störeffekt der Bildtechnik verdankt. Dabei gilt unsere Aufmerksamkeit einer besonderen Art von Bild: der Illustration oder dem „gemachten“ Bild (engl. made image) oder andersherum gesagt: allem, was nicht Fotografie ist. Denn angesichts einer geradezu unüberschaubaren Stilvielfalt und immer neuen Anwendungsbereichen fällt die Wortwahl schwer. Illustration – man möchte es gern verwenden, allein weil es so klangvoll ist – greift zu kurz. Mit dem „gemachten“ Bild stellen sich, da es nach dem sprichwörtlichen „gemachten Bett“ klingt, in das zu legen sich ein fauler Hund bequemt, ganz unpassende Assoziationen ein. Es ist nicht leicht für die Bilder, mit denen wir uns hier beschäftigen wollen, das richtige Wort zu finden. Wir bleiben also einfach bei Bild und hängen, weil es so gut zum Sehen (was?) und auch zum Denken (weshalb?) passt, die Gestaltung hintendran.

illustratoren organisation e.v. (io)

redaktion: andreas rauth (chefredakteur), Jens r. nielsen,

marcus frey

info@jitter−magazin.de

WWW.Jitter−magazin.de art direction: andreas rauth, tim weiffenbach grafik/layout:

johanna fritz, Iris luckhaus

anzeigen: andreas rauth Druck:

druckhaus berlin Mitte

Druckverfahren Diese ausgabe:

digitaldruck

Papier diese ausgabe:

umschlag schneidersöhne, plano card

Inhalt schneidersöhne, plano jet

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Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 02 Impressum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 03 Autoren und Illustratoren dieser Ausgabe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 06 Illustratoren Organisation: Draw local. Think european. Marcus Frey über die Ausstellung europäischer Illustratoren. . . . . . . . . . . . . 08

Bild und Geschichte 1: Express yourself Brad Holland defines basic terms of art. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Reviere 1: Iris Luckhaus Illustration und Mode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

Illustrationen zu Marcel Magis: Mein Leben mit Mitsu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

Illustratoren Organisation e.V. – Kurzportrait . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Bild und Geschichte 2: Stilisierungen des Schweins in Werbung und Cartoon von Dagmar Schmauks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

Internationales Protest-Projekt: Art against FGM Zeich(n)En gegen die weibliche Genitalverstümmelung von Nataly Brombach. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

Buchillustration 1: Betty Protest im Spargelbeet Mareile Oetken besucht Stefanie Harjes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

Projekte 1: Fundament Comic Kugelblitz – Moga Mobo vs. Nou Nou Hau Andreas Rauth über das deutsch-japanische Ausstellungsprojekt . . . . . . . . . . . 16

Buchillustration 2: (Be-)zeichnungen bei Ingrid A. Schmidt von Jens R. Nielsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 Animationsdesign: Precious Niklas Briner über seine Arbeit an dem Musik-Video von Depeche Mode. . . . . . 74

Character Design: Die grafische Krankheit Pictoplasma „Get into Character“ 2. Konferenz für zeitgenössisches Character Design von Andreas Rauth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

Tutorial: Illustrator CS2: Live Paint von Monika Gause . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82

Hochschulen: Kunsthochschule Kassel. Von einer Rakete in Stücke gerissen. Katrin Niklas über die Verantwortung an der erfundenen Figur . . . . . . . . . . 26

Illustration: André Rösler

Anzeigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

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MAGAZIN FÜR BILDGESTALTUNG


Autoren und illustratoren dieser ausgabe André Rösler (Titelillustration) wurde 1970 in Lahr im Schwarzwald geboren. Nach dem Abschluss des Studiums für Visuelle Kommunikation und einer Assistententätigkeit an der Fachhochschule für Gestaltung in Pforzheim arbeitet er seit 1997 als freier Illustrator in Karlsruhe. Gemeinsam mit der Autorin Karin Koch publiziert er 2003 das Bilderbuch „Kannst du brüllen?“ und 2005 „Emil wird sieben“. (beide Peter Hammer Verlag, Wuppertal). 2006 entsteht das Buch „BASTARD CHOOSE MY IDENTITY“ beim spanischen Verlag ACTAR. Es folgen Ausstellungen in Barcelona, Mailand und Berlin. (www.der-roesler.de www.bastard-project.com) Nataly Brombach (Art against FGM. S. 12) Jahrgang 1971; wechselt 1996 nach der Zwischenprüfung ihres Anglistik-Studiums als Texterin in die Werbewelt. Seit 2003 bietet die Wahl-Düsseldorferin unter dem Namen „LexxHexx – Die Texte-Hexe“ Schreibkunst aller Art an. Zwar liegt der Schwerpunkt noch im Werbetext; jedoch sind nach ersten Veröffentlichungen im Kinderbuchsektor weitere Autorentätigkeiten angestrebt. Mehr unter www.LexxHexx.com Katrin Nicklas (Von einer Rakete in Stücke gerissen. S. 26) begann nach dem Abitur mit dem Magisterstudiengang Theaterwissenschaften und Komparatistik in München. Doch bald schon wurde das Studium von Praktika im Bereich Bühnenbild – erst in München, dann in Berlin - abgelöst. Nach einer Mitarbeit an Thomas Stellmachs Zeichentrickfilm „Chicken Kiev“ studierte sie an der Kasseler Kunsthochschule Visuelle Kommunikation mit Schwer-

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punkt Trickfilm bei Paul Driessen, Thomas MeyerHermann und Andreas Hykade und Schwerpunkt Illustration bei Hendrik Dorgathen. „Edward“ ist ihr Abschlussfilm und wird im Herbst diesen Jahres Premiere haben Brad Holland (Express yourself – It‘s later than you think. S. 34) ist einer der einflussreichsten Illustratoren unserer Zeit. Seine Zeichnungen und seine Malereien haben die Titel von Zeitschriften in aller Welt geschmückt und sein einzigartiger Stil hat eine Generation von Künstlern inspiriert. Er hat in den bedeutendsten internationalen Design-Zeitschriften Anerkennung gefunden und Auszeichnungen von Design-Organisationen in vielen Ländern erhalten. 1999 zeigte das Musee des Beaux Arts in ClermontFarrand, Frankreich eine Retrospektive seines malerischen Werks. Er ist Mitglied der Alliance Graphique International (AGI). Brad Holland wird repräsentiert von Margarethe Hubauer - International Illustration (www.margarethe-hubauer.de). Dagmar Schmauks (Stilisierungen des Schweins in Werbung und Cartoon. S. 46) ist Professorin für Semiotik in Berlin. 1995 erhielt sie die Venia legendi für Semiotik mit ihrer Habilitationsschrift „Multimediale Informationspräsentation am Beispiel von Wetterberichten“ (Academia 1996). Seit 1996 ist sie Privatdozentin für Semiotik an der TU Berlin und wurde dort 2004 zur außerplanmäßigen Professorin für Semiotik ernannt. Von 1998 bis 2004 war sie Mitherausgeberin der Zeitschrift für Semiotik. Sie publizierte rund 100

Aufsätze überwiegend zur Angewandten Semiotik, inbesondere zu den Themen Bildpragmatik, zeichenbasierte Orientierung im Raum, Täuschen in verschiedenen Medien, Zeichenverzicht, taktile Wahrnehmung und Kommunikation, semiotische Aspekte des Sexualverhaltens sowie „Der tote Mensch als Zeichen“. Mareile Oetken (Betty Protest im Spargelbeet. S. 62) Buchhändlerin, Doktorandin am kunstwissenschaftlichen Institut der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Mitglied der Forschungsstelle Kinderund Jugendliteratur, amtierendes Vorstandsmitglied des Arbeitskreises für Jugendliteratur e.V., Rezensentin für Kinder- und Jugendliteratur mit Schwerpunkt Illustration. Jens R. Nielsen ((Be-)zeichnungen bei Ingrid A. Schmidt. S. 68) Jahrgang 1963, freiberuflicher Zeichner und Publizist in Hamburg. Vorstandsmitglied der IO [Illustratoren Organisation e.V.], seit mehr als zehn Jahren Lohnzeichner beim Zeichentrickfilm, Gründungsmitglied der Arbeitsstelle für Graphische Literatur an der Universität Hamburg [ArGL], gehört zum Lehrkörper der animation-school-hamburg. Ingrid A. Schmidt ((Be-)zeichnungen bei Ingrid A. Schmidt. S. 68) Geboren und aufgewachsen in Eindhoven (Holland). Architekturstudium in Dortmund und Freie Malerei an der HbK Kassel. Bühnenbildmalerei. Buchhändlerin und Mitinhaberin der Buchhandlung HESPERUS in Hannover. Eigene Texte und Gedichte. Entdeckung von Jean Dubuffet in der Nationalgalerie

Prag, dessen figurative und groteske Darstellungen der Auslöser zur Federzeichnung wurden. Intensive Auseinandersetzung mit Art Brut, Surrealismus, ‚Pataphysik, Sprache/Sprachgeschichte, Etymologie, Literatur und mit Texten der frühen Neuzeit und der Renaissance. Arbeitet als freie Illustratorin. Verschiedene Buchillustrationen und Veröffentlichungen in internationalen Kunst- und Literaturzeitschriften. Lebt in Hannover und Berlin. Niklas Briner (Precious. S. 74) Der Schweizer Illustrator und Animationsdesigner (*1974) wuchs in Zürich auf. Dort besuchte er die Fachhochschule für Gestaltung, bevor er sich zum Animationszeichner am Lycée des Arts et Metiers in Luxemburg ausbilden ließ. Nach einigen Jahren Festanstellung als Animator und Illustrator in unterschiedlichen Agenturen, wechselte er Anfang 2004 in die Selbständigkeit. Seine Tätigkeit umfasst Illustration, Animation und Conceptual Design. Niklas Briner lebt und arbeitet in Düsseldorf. Monika Gause (Tutorial Illustrator CS2. S.82) ist freischaffende Kommunikationsdesignerin. Unter der Marke mediawerk gestaltet sie Print- und Bildschirm-Publikationen, erstellt Illustrationen, Animationen und Collagen. Sie ist als Dozentin und Software-Trainerin tätig.

Das Copyright der Texte und Bilder liegt, soweit nicht anders vermerkt, bei den Autoren.

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"draw local. think european!"

Abbildungen: Diese Doppelseite v. l. nach r.: titel AusstellungsKatalog Rod Hunt (UK): B−Movie City Tanja Szekessy (GER): Milk and Honey

Zeitgenössische illustration im spiegel der nationalitäten

Nicoletta Ceccoli (I):Spider Nächste Seite: Fabienne Cinquin (FR, li),

Von marcus frey

Marenthe Otten (NL)

(switzerland)

(germany)

(spain)

DRAW LOCAL. TH I N K E U ROPEAN ! Europäische Illustratoren Ausstellung European Illustrators Exhibition

(finland)

(france)

(united kingdom)

(italy)

(netherlands)

Illustratoren Organisation e.V. EIF – European Illustrators Forum (sweden)

Der Historiker Walter Laqueur zeichnet Europas Zukunft als „kulturelle[r] Themenpark für betuchte Besucher aus China und Indien“, als eine „Art Disneyland auf hohem Niveau“ (Tagesspiegel, 24.09.2006). Wird Europa also zum Museum seiner eigenen Vergangenheit, die mit dem zweiten Weltkrieg endet? Das hieße, „das alte Europa“, wie es nicht nur Donald Rumsfeld bezeichnete, bleibt ohne Erneuerung? Dem europäischen Gedanken jedenfalls haben in der Frage einer gemeinsamen Verfassung Frankreich und die Niederlande vor einem Jahr eine deutliche Absage erteilt. Überhaupt haben nur 15 von 25 Mitgliedsländern den Vetrag zur Verfassung ratifiziert. Europäisches Denken steckt mal wieder in der Krise.

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Wie steht es mit der Illustration in diesem Zusammenhang? Immerhin arbeiten viele Kollegen für internationale Auftraggeber, geben ihre Standorte mit Paris und London und Berlin an und kommunizieren vorwiegend übers Internet. Weshalb bucht ein französischer Verlag deutsche IllustratorInnen oder umgekehrt? Gibt es Merkmale nationaler Identität in der zeitgenössischen Illustration, die solche Entscheidungen befördern oder ist es gerade umgekehrt? Verschwinden in einem globalisierten Medienmarkt mit den Ländergrenzen auch die Zeichen nationaler Identität? Es ist bekannt, dass gerade das Internet die Hinwendung zum Lokalen fördert. Findet dies auch Niederschlag in der Illustration? seien

es freie oder Auftragsarbeiten. Ist Europäisches Denken lediglich eine wirtschaftliche Strategie oder tiefergehende Bindung an einen in seiner Heterogenität als gemeinsam empfundenen Kulturraum? In der Ausstellung „DRAW LOCAL. THINK EUROPEAN!“ wird man ganz individuelle Antworten darauf finden, wie sich modernes europäisches Bewußtsein in der künstlerischen Arbeit niederschlägt. Die aus Anlass des diesjährigen Themenschwerpunkts ‚Illustration‘ im Fachbesucherzentrum der Frankfurter Buchmesse entwickelt Schau zeigt einen Querschnitt der Themen und Stile zeitgenössischer Illustration. Die Idee zur Ausstellung lieferte die Frankfurter Buchmes-

se, Organisation und Ausführung wurde der Illustratoren Organisation e.V. (IO) angetragen, dem deutschen Berufsverband der Illustratoren (siehe Bericht auf S. 10). Für die Illustratoren Organisation ist dies eine gute Gelegenheit Engagement für eine europaweite Zusammenarbeit der Berufsverbände zu zeigen. Seit 2002 gibt es das European Illustrators Forum (EIF), das als Dachverband der europäischen Illustratorenverbände funktioniert. Die europäische Illustratoren-Ausstellung ist die erste größere gemeinsame Aktion der EIF-Mitgliedsverbände. Neun europäische Illustratorenverbände schickten Arbeiten von jeweils fünf Illustratoren, die stellvertretend für ihr Land den

dortigen Stand der Illustration wiederspiegeln. Für die Auswahl gab es weder ein einheitliches Verfahren, noch stilistische oder thematische Vorgaben, vielmehr galt es, eine möglichst große Bandbreite von Illustration abzubilden. Für die deutsche Teilnahme wurde zunächst eine Vorauswahl durch Mitglieder des IO-Vorstandes getroffen: Judith Drews, Kati Linke und Anke Siebert ermittelten anhand der Portfolios auf der IO-Website mögliche Kandidaten. Eine ebenso interessante wie gerechte Kombination zu finden, war, Angesichts der Vielzahl und Unterschiedlichkeit der Arbeiten, keine leichte Aufgabe. Man einigte sich darauf, dass im Werk ein klarer Stil erkennbar sein soll,

dass sowohl bekannte als auch weniger bekannte IllustratorInnen darunter sein sollen und dass ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis gewahrt wird. Die Vorauswahl wurde in einer Sitzung des gesamten Vorstandes diskutiert und bestätigt. Um von Anfang an eine möglichst breite Aufmerksam zu erzielen, wurden 8000 Einladungskarten verschickt und ein anspruchsvoll gestalteter Katalog produziert. Da vier Tage gegenüber dem zu erwartenden Aufwand als Ausstellungszeitraum viel zu kurz sind, wurde schon früh nach weiteren interessanten Ausstellungsorten gesucht. Dies stellte sich allerdings als unerwartet problematisch heraus. Die bekannteren

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Frankfurter Ausstellungsflächen beispielsweise, waren kurzfristig nicht zu bekommen. Eine zweite zeitnahe Präsentation der Ausstellung schien deshalb zunächst nicht in Sicht. Auf Vermittlung der Frankfurter Buchmesse, die die Illustratoren Organisation mit viel Engagement unterstützte, ergab sich ein Kontakt mit der Reederei Hapag Lloyd. Das Kreuzfahrtschiff MS Europa schien bestens geeignet für eine Ausstellung unter dem Gedanken eines vereinten Europa. So wird die Ausstellung auf dem Flaggschiff der Hapag Llyod vom 19. Januar bis 4. Februar 2007, auf der Kreuzfahrt von Acapulco nach Paitepe zu sehen sein. Eine gute Gelegenheit, die Ausstellungsarbeiten als hochwertige Kunstdrucke zu verkaufen. Im Anschluß soll „DRAW LOCAL. THINK EUROPEAN! auch noch in anderen Ländern gezeigt werden. Erste Gespräche dazu haben bereits stattgefunden. Der Autor ist Stellvertretender Vorsitzender und Geschäftsführer der Illustratoren Organisation e.V.

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DRAW LOCAL. THINK EUROPEAN! Teilnehmende Nationen/Illustratoren-Verbände • Deutschland – Illustratoren Organisation (IO) • Finnland – KUVITTAJAT • Frankreich – La Maison des Illustrateurs • Großbritannien – Association of Illustrators (AOI) • Italien – Associazione Illustratori (AI) • Niederlande – Association of Dutch Designers (BNO) • Spanien – FADIP• Schweden – Svenska Tecknare • Schweiz – AUTILLUS Teilnehmende Illustratoren • Deutschland: David von Bassewitz, Larissa Bertonasco, Esjottes/ von Rotwein, Kai Pannen, Tanja Székessy • Finnland: Sari Airola, Nina Haiko, Henna Ryyänen, Krista Partti Sagur, Virpi Talvitie • Frankreich: Fabienne Cinquin, Bruno Robert, Elodie Courdra, Johana Boillat, Eric Puybaret • Großbritannien: Russell Cobb, Simon Pemberton, Rod Hunt, Paul Bowman, Adam Graff • Italien: Chiara Carrer, Nicoletta Ceccoli, Vittorio Facchini, Francesca Ghermandi, Octavia Monaco • Die Niederlande: Tammo Schuringa, Marenthe Otten, Ytje Veenstra, Theo Barten, Fons Schiedon • Spanien: Asun Balzola, Patricia Castelao, Elena Odriozola, Carlos Ortin, Ciffré • Schweden: Sara Teleman, Emilia Sällryd, Henning CedemarBrandstedt, Lisbeth Svärling, Martin Thelander • Schweiz: Tom Tirabosco, Irene Schoch, Käthi Bhend, Jürg Obrist, Kathrin Schärer

Ende 2002 wurde die ILLUSTRATOREN ORGANISATION in Hamburg mit dem Ziel gegründet, die künstlerischen, politischen und wirtschaftlichen Interessen von Illustratoren aus den Bereichen Verlag, Werbung, Film und Kunst in Deutschland zu vertreten. Der Illustrator als Autorität für multimediale Bildgestaltung soll stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt und gleichzeitig der Stellenwert des grafischen Bildes als wesentliches Element moderner Kommunikation verbessert werden. Die ILLUSTRATOREN ORGANISATION unterstützt ihre Mitglieder in wirtschaftlichen Fragen durch Erarbeitung eines Honorarwerks, Allgemeinen Geschäftsbedingungen, Musterverträgen etc. Auf der Webseite (www. illustratoren-organisation.de) finden Mitglieder und Interessierte umfangreiche Informationen über Verbandsziele und -leistungen. Mitgliedern steht zur Präsentation ihrer Arbeiten ein Online-Portfolio zur Verfügung. Darüber hinaus fördert die ILLUSTRATOREN ORGANISATION den Auf- und Ausbau regionaler, nationaler und internationaler Netzwerke, die den Erfahrungsaustausch erleichtern, neue Betätigungsfelder eröffnen und den Einzelnen in der täglichen Arbeit stärken. Als zentrale Einrichtung dient dabei das Forum der IO-Webseite, das den Mitgliedern direkte und schnelle Kommunikation ermöglicht, die als wertvolle Kritik oder Rat erfahrener Kollegen den Arbeitsalltag bereichert.

Der Bereich NEWS liefert aktuelle Informationen aus der Branche. Berichte über Ausstellungen, Wettbewerbe, Messen, Konferenzen und Festivals findet man hier ebenso wie Buchrezensionen, Produktneuheiten oder interessante Webseiten. Daraus wird monatlich ein Newsletter zusammengestellt, der die wichtigsten Informationen in konzentrierter Form enthält. Der News-Bereich steht allen Interessierten offen und auch der Newsletter kann von Nicht-Mitgliedern bezogen werden (www.illustratoren-organisation.de/news-facts/io-newsletter). Zur Zeit gibt es über 1100 Abonnenten. Die ILLUSTRATOREN ORGANISATION präsentiert sich und ihre Mitglieder der Branchenöffentlichkeit regelmäßig auf wichtigen Veranstaltungen, wie den Buchmessen in Frankfurt, Leipzig und Bologna. Dabei wird gleichzeitig der Kontakt zu anderen europäischen Illustratorenverbänden gepflegt. So finden bei solchen Gelegenheiten Treffen mit Vertretern der Verbände statt, die sich unter dem Dach des EIF (European Illustrators Forum) zusammengeschlossen haben. In Zeiten lebenslangen Lernens gilt der Aus- und Weiterbildung besonderer Aufmerksamkeit. Daher pflegt die ILLUSTRATOREN ORGANISATION den Kontakt zu staatlichen und privaten Ausbildungseinrichtungen und bietet selbst Seminare und Informationsveranstaltungen zu beruflichen Themen an. Die Bandbreite reicht von Software-Kursen über

Podiumsdiskussionen zu allgemeinen oder spezifischen Fragen einzelner Illustrationszweige bis hin zu Vorträgen für Berufseinsteiger, zur Künstlersozialkasse, Altersvorsorge etc. Die ILLUSTRATOREN ORGANISATION hat zur Zeit 361 Mitglieder (Stand September 2006).

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Art against FGM

abbildungen v. Links n. Rechts und o. Nach U.: Jutta Melsheimer Lee Doreen Böhm

Internationales Protest−Projekt: Zeich(n)en gegen die weibliche Genitalverstümmelung Von nataly brombach

Emmeke van der Put Tanja Deutschländer nana swiczinsky

Projekte entwickeln zuweilen ihre ganz eigene Dynamik – insbeson-

Elke ehninger

dere wenn sie kreativer Natur sind sowie von Kreativen konzipiert

Bianca Schaalburg

und organisiert werden. Gleich einem Perpetuum mobile verselbst-

Julia briemle + shohreh jandaghian

ständigt sich eine Idee nach der Initialzündung, wächst zum Projekt, bewegt sich – und im Idealfall auch viele Menschen.

Wie das internationale Kunst-Projekt „ART against FGM“, das von Nils Oskamp initialgezündet wurde. Der Comiczeichner und Mitbegründer der Illustratoren Organisation begegnete in seiner Hamburger Wahlheimat dem EU-Parlamentarier Alexander Alvaro (FDP). Dieser erzählte von seinem Vorhaben, das FuldaMosocho-Projekt, eine der weltweit erfolgreichsten Organisationen zur Überwindung weiblicher Genitalverstümmelung, für den Sacharov-Preis nominieren zu lassen. Mit diesem angesehenen Menschenrechtspreis zeichnet das Europaparlament jährlich Personen und Projekte aus, die sich in besonderem Maße für Gedankenfreiheit und gegen Unterdrückung einsetzen. Eine Voraussetzung, die das Fulda-Mosocho-Projekt mehr als erfüllt. Es gehört zu den Wenigen, die nicht nur auf Missstände aufmerksam machen, sie anprangern oder von außen verurteilen. Prof. Dr. Muthgard HinkelmannToewe und ihr Team erarbeiten, im gleichberechtigten Diskurs mit den Betroffenen in Kenia, Lösungen und Alternativen. Hand in Hand mit den Kenianerinnen jitter: 12

und Kenianern bereitete sie in den letzten vier Jahre den Boden für eine neue Kultur, die sich aus eigener, innerster Überzeugung von der fest verwurzelten Tradition der Mädchenbeschneidung (auch Female Genital Mutilation, FGM) abwendet. Über 4.000 Mädchen entgingen so bereits dem lebenslangen Martyrium, dem ihre Mütter und Vorfahrinnen seit Jahrtausenden ausgesetzt waren. Sie sind das Symbol für ein neues Wachstum und Wissen, das inzwischen über die Grenzen der Mosocho-Region aktiv angefragt wird. Das gerade erwachende Bewusstsein erkennt die Sinnlosigkeit der FGM an, die laut WHO „die schlimmste Form der Gewaltanwendung“ ist, die bereits ca. 175 Millionen Frauen weltweit erdulden mussten und täglich ca. 7.000 weiteren Mädchen angetan wird. In 28 afrikanischen Ländern, auf der arabischen Halbinsel, in Teilen Asiens – und in den Einwanderungsländern, in denen Menschen dieser Kulturen eine neue Heimat finden. Je nach Ethnie werden in erster Linie vier- bis achtjährige Mädchen, doch auch weibliche

Säuglinge und junge Frauen in verschiedenen Graden genitalverstümmelt. Beim geringsten wird die Klitorisvorhaut entfernt; beim extremsten, auch „Pharaonische Beschneidung“ oder Infibulation genannt, wird die tief in den Körper ragende Klitoris komplett herausgeschnitten, die Venuslippen werden amputiert bzw. ausgeschabt und die Vulva bis auf eine winzige Öffnung zugenäht. Unter widrigsten hygienischen und medizinischen Bedingungen durchgeführt, sterben viele Mädchen schon kurz nach dem Eingriff. Die Überlebenden leiden für den Rest ihres Lebens an den physischen und psychischen Folgen des Initiationsrituals, für dessen Überwindung das Fulda-Mosocho-Projekt schon viel geleistet hat. Inspiriert von dem Engagement und Erfolg des Projektes, plante Oskamp spontan eine internationale Kunst-Aktion, die Solidarität mit beschnittenen bzw. von der Beschneidung bedrohten Mädchen und Frauen zeigen würde – über alle Grenzen und Kulturen hinweg. Ein Aufruf sollte Künstlerinnen aus ganz Europa

zur Einsendung ihres kreativen Statements gegen die FGM bitten, um aus ihnen einen Bildband zu produzieren. Dieser sollte als Einladung zur Abstimmung über die Nominierung an die Europaparlamentarier gehen und ihnen die Dringlichkeit einer Entscheidung für das Fulda-Mosocho-Projekt zeigen. Da der Einladungsband aufgrund des knappen Budgets nur 32 Seiten hat, wurden ein weiterer Bildband und eine Wanderausstellung zur öffentlichen Präsentation aller Einsendungen angedacht, sowie die kostenfreie Nutzung aller Werke für die Entwicklungs- und Öffentlichkeitsarbeit des FuldaMosocho-Projektes. Dass für Konzeption und Realisation bis zum fertigen Einladungsband nur knappe sechs Wochen zur Verfügung standen, beeindruckte Oskamp nicht. Schnell fand der Hamburger Illustrator Mitstreiter, die sich ohne Zögern mit ihren Fähigkeiten für das Projekt „ART against FGM“ einbrachten. Für Gestaltung und Layout der Bände gewann er Illustrator und Comiczeichner Marian Meinhardt-Schönfeld; für Aufruf, jitter: 13


Korrespondenzen und Texte gewann er die Autorin auch dieser Zeilen. Nationale und internationale Illustratoren-Verbände, allen voran die Illustratoren Organisation e.V., halfen, den Aufruf über ihre Webseiten, Foren und Verteiler zu verbreiten. In Frankreich setzten sich dafür Aymeric Nercisse vom Verein „On a marché sur la Bulle“ und Soline Scutella, zu der Zeit beim Verband „16000 Images“ beschäftigt, ein.

Abbildungen

Das immense Echo der europäischen Künstlerinnen übertraf alle Erwartungen. Die Vielzahl der Werke, Thematisierungen und Techniken (u. a. Illustrationen, Collagen, Zeichnungen, Gemälde, Comics und Fotomontagen) ließen die Organisatoren staunen. Viel Zuspruch und moralische Unterstützung erhielten sie durch die Emails, in denen die Künstlerinnen einerseits ihre Betroffenheit über die weibliche Genitalverstümmelung, andererseits ihre Begeisterung über „ART against FGM“ bekundeten. Sogar einige männliche Künstler waren berührt und schickten Beiträge ein; zudem reichte der Ruf des Appells weit über Europas Grenzen hinaus, bis nach Neuseeland und in die USA. Bis zum Einsendeschluss am 24. August trafen über 150 Werke aus Deutschland, Frankreich, Spanien, Österreich und der Schweiz ein. Gleichzeitig wurde Claudia Wegener vom Fulda-Mosocho-Projekt Teil des Organisationsteams, das aufgrund der regen Anteilnahme in Betracht zieht, die Teilnahme an „ART against FGM“ auf die ganze Welt und männliche Künstler auszuweiten. Auch stehen die Werke allen Anti-FGM-Bewegungen zur Verfügung, die bereits großes Interesse insbesondere an der Ausstellung bekundet haben. Deren Konzept wurde ebenfalls ergänzt: Erstens um die Werke afrikanischer Künstler und Künstlerinnen, die deren Situation und Perspektiven eindrucksvoll widerspiegeln. Zweitens sorgen begleitende Fotos, Texte und Anschauungsmaterial (vor allem vom Fulda-Mosocho-Projekt) dafür, dass sich Ausstellungsbesucher ein realitätsgetreues Bild machen können.

Evelin Hantel

(v. L. nach R. und o. Nach U.): Signet der Initiative kascha beyer Astrid Müller

Carla Mueller Tanja Szekessy Shohreh Jandaghian Katja Kamm Nicola Koch Gaelle Hersent TINE LINDER Anne Lueck Johanna Fritz Melanie Wolter Natascha römer Stephanie Wunderlich Marie de mortillet

Der von der Lünener Druckerei Holtkamp hochwertig produzierte Einladungsband traf pünktlich zur Bestätigung der Nominierung des Fulda-Mosocho-Projektes in Brüssel ein. Am 25. September beraten der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten und der Entwicklungsausschuss über die drei Final-Kandidaten*, aus denen die Konferenz der Präsidenten im Oktober den Träger des Sacharov-Preises wählt. Sollte dies das Fulda-Mosocho-Projekt sein, wäre es die erste deutsche Organisation in der Geschichte des Sacharov-Preises, der diese Ehre am 13. Dezember zuteil würde. Schon jetzt aber ist es der erste Nominierte, für den eine internationale Kunst-Aktion ins Leben gerufen wurde, die ausschließlich vom ehrenamtlichen Engagement lebt. Darum möchten die Organisatoren an dieser Stelle noch einmal den teilnehmenden Künstlerinnen und Künstlern danken sowie Station.ch für die Bereitstellung und Gestaltung der „ART against FGM“-Website und Hexerei Software für die neue Landingpage des Fulda-Mosocho-Projektes. Weitere Informationen und das komplette Bildmaterial im Internet: www.ART-against-FGM.com * Da nicht nur in der Kreation, sondern auch auf politischer Ebene spät gearbeitet wird, lagen bei Redaktionsschluss noch keine Ergebnisse vor.

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Fundament Comic

kugelblitz moga mobo Vs. nou nou hau vol.2 Von andreas rauth

Arbeiten der Mitglieder (von L. Nach R. Und o. Nach U.): Takashi Okasaki "Bob" Thomas Gronle "legron" Hiroyuki Hiwatashi jonas greulich titus ackermann Kaori Kuniyasu Ryoji Shibasaki Motonobu Hattori Dai Okasaki "Smelly"

Tokyo 2002: Am Flughafen stehen drei deutsche Anfangdreissiger in T-Shirt und Turnschuhen und halten Ausschau nach ihrer japanischen Internetbekanntschaft, die sie in schwarzen Anzügen erwarten. Am Flughafen stehen sechs japanische Anfangdreissiger in TShirt und Turnschuhen und halten Ausschau nach ihrer deutschen Internetbekanntschaft, die sie in grauen Anzügen erwarten. Tokyo 2004: Am Tisch sitzen sich gegenüber: drei Deutsche und sechs Japaner, über ein gemeinsames Ausstellungsprojekt beratschlagend. Was sie verbindet: die Liebe zum Comic, StarWars, ActionToys, Popkultur. Was sie trennt: ihre geografische Herkunft, ihre kulturellen Techniken. Eine davon ist hier wie dort geläufig und die geringen Unterschiede in der Praxis werden von beiden Seiten neugierig und gerne gelernt. Sie schafft sehr schnell verbindende, wenngleich keine verbindlichen Momente: Trinken. Nicht Wasser, sondern Alkohol und zwar möglichst viel. Eine andere ist ebenso geläufig, doch die Unterschiede in der Praxis sind größer und werden aus naheliegenden Gründen nicht so

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gerne erklärt wie die des Trinkens: Verhandlungstechnik. Denn bei aller Freundschaft – und Freundschaft ist es mittlerweile geworden – : ein internationales Ausstellungsprojekt mit neun Künstlern zu organisieren ist vor allem ein Kampf um den Interessensausgleich. Moga Mobo, das sind im Jahr 2004 Titus Ackermann, Jonas Greulich, Thomas Gronle »LeGron«. Moga Mobo ist zu dem Zeitpunkt seit zehn Jahren Deutschlands große Konstante im Comic-Underground. Unter dem Credo „Comix für alle“ hob 1994 in Stuttgart ein neunköpfiges Team comicbegeisterter Designstudenten das Projekt Moga Mobo aus der Taufe. Damals schon mit dabei: Titus Ackermann und Jonas Greulich. Das Ziel: monatlich ein kostenloses Comicheft mit Beiträgen unterschiedlichster Zeichner zu produzieren. Im Februar 1995 verlassen die ersten 10.000 Hefte die Druckerei. Drei Jahre und einige Ausgaben später erfolgt im Juni 1998 die Nominierung für den Max und Moritz-Preis in der Kategorie Spezialpreis der Jury. Im selben Jahr tritt Thomas Gronle »LeGron« der Gruppe bei, die heute noch bestehende Besetzung hat sich gefunden. 2002 dann, jitter: 17


stehend (v. l. nach r.): Thomas Gronle "legron", titus ackermann, jonas greulich Fliegend (im uzs beginnend auf 8 uhr): Ryoji Shibasaki, Takashi Okasaki "Bob", Dai Okasaki "Smelly", Hiroyuki Hi� watashi, Motonobu Hattori, Kaori Kuniyasu

mittlerweile ist ein Büro in Berlin gegründet, der Max und Moritz-Preis für 100 Meisterwerke der Weltliteratur in der Kategorie Beste Deutsche Eigenproduktion. Im selben Jahr erscheint Moga Mobo Nr. 87 – betitelt Moga Moba vs. Nou Nou Hau – als Ergebnis der Zusammenarbeit aus der ersten selbstfinanzierten Japanreise. Ausserdem wird für die japanische Künstlergruppe eine Ausstellung in der Berliner Galerie Engler und Piper organisiert. Beide Projekte waren ausschlagebend für die Einladung des Goethe Institut Tokyo zwei Jahre später Nou Nou Hau, das sind im Jahr 2004 Motonobu Hattori, Hiroyuki Hiwatashi, Kaori Kuniyasu, Dai Okasaki »Smelly«, Takashi Okasaki »Bob«, Ryoji Shibasaki. Unter dem Credo „wir tun, was wir wirklich wollen“ veröffentlicht die Gruppe seit November 1998 – damals noch zu dritt – das Comic-Magazin „Nou Nou Hau“, dessen Name sich als Verballhornung aus dem in englischer Sprache formulierten Geständnis völliger verlegerischer Ahnungslosigkeit – „We don‘t know know-how“ – herleitet. Kaum zwei Jahre später liegt die vierte Ausgabe vor und die Gruppe ist komplett. Die Zusammensetzung könnte kaum heterogener sein: Zwar kommen die Gründungsmitglieder – ähnlich wie Moga Mobo – aus dem Comic- und Illustrationsbereich, doch unterscheiden sie sich – ähnlich wie Moga Mobo – erheblich in Technik, Thema und Stil. Seit Anfang 1999 ist Filmemacher Hiroyuki Hiwatashi dabei, seit Ende 1999 Performancekünstler Dai Okazaki, genannt »Smelly« und 2000 stieß die Puppen-Animationskünstlerin Kaori Kuniyasu dazu. 2001 sind Moga Mobo etwas müde. Der Aufwand für die nächste Ausgabe muss möglichst gering sein. Der gemeinsame Beschluss lautet: „Wir machen mal was Einfaches!“ – für die nächste Ausgabe sollen andere zeichnen. Doch wer? Die Wahl fällt auf Fernost. Titus Ackermann bittet einen Freund deutsch-japanischer Herkunft in der japanischen Comic-Szene zu recherchieren: Der damalige Chefredakteur des jitter: 18

Manga-Journals „Animania“ erkennt zwischen Nou Nou Hau und Moga Mobo eine große Ähnlichkeit und empfiehlt Titus die Kontaktaufnahme. Die erste Reise ins Land der aufgehenden Sonne ist noch selbstfinanziert, doch im November 2004 können Titus, Thomas und Jonas mit Unterstützung des Goethe-Instituts einfliegen. Interkultureller Künstleraustausch heißt das Zauberwort, mit dem sich die Kulturmaschine auch für den Comic-Underground öffnet. Für die Veranstaltung „Deutschland in Japan 2005/2006“ wird die Gemeinschaftsaustellung „Kugelblitz“ geplant, die Bundeskulturstiftung steigt auch mit ein. Ozeane und Kontinente sind leicht überwunden. Doch nur weil man 9.000 km entfernt der Heimat aus dem Flugzeug steigt, – egal ob Tokyo oder Tegel – hat man sich einer Kultur noch lange nicht angenähert. Zwar hatte man bereits beim ersten gemeinsamen Projekt Erfahrungen gesammelt, doch das hier war anders. Die Ausstellung in 2002 gehörte Nou Nou Hau, die 87te Ausgabe von Moga Mobo – betitelt Moga Moba vs. Nou Nou Hau – zeigte Werke aller Künstler nur mit einer leichten Klammer, dem Aufeinanderzubewegen, gefasst. War doch gut so. Und jetzt ein Gemeinschaftsprojekt unter der Energieaustausch-Metapher „Kugelblitz“? Mehr noch: alle sollen ihre Ideen in verschiedenen Medien realisieren, Skulpturen zum Comic entwickeln. Die Japaner reagieren mit Unverständnis auf den Vorschlag. Wozu ein Konzept? Wozu Hausaufgaben? Deutsche Gedankenschwere. Man diskutiert. Untereinander, miteinander, gegeneinander. Die Gruppen zusammen, die Mitglieder zu zweien. Man trinkt, einigt sich, schläft drüber, entzweit sich. Die Deutschen sind direkt, die Japaner höflich. Das halten jene für Verstellung, diese für Taktlosigkeit. Man trinkt, man lernt, man trinkt, schaut Star Wars, man einigt sich, man trinkt. Alle machen Hausaufgaben. Der Kugelblitz rollt.

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Erster Einschlag Juli 2005: Das Goethe-Institut vermittelt die Ausstellung KUGELBLITZ Moga Mobo vs. Nou Nou Hau an die Art Front Gallery Tokyo (Abb. S.21 Mitte) im Tokyoter Viertel Daikanjama. Die Galerie ist zunächst skeptisch, denn die Arbeiten unterscheiden sich erheblich von dem gewohnten Galerieprogramm. Doch der Erfolg gibt den Künstlern recht. Die zweiteilige Ausstellung begeistert, sogar drei Fernsehsender berichten. Teil eins präsentiert die einzelnen Künstler mit ihrer typischen Arbeitsweise und Werken aus unterschiedlichsten Zusammenhängen. Es gibt Comic, Illustration, Puppenspiel, Performancekunst, Animation, Film und Video. Der zweite Teil zeigt eine JamComic-Serie, durch den sich als roter Faden die Kugel – Speicher der kreativen Energie, die zwischen den beiden Gruppen immer wieder neu entsteht – zieht, um am Ende in einer furiosen Skulptur zu explodieren – dem Kugelblitz (Abb. gegenüber, 2. v. o. und ganz u.). Dazu gibt es die Hausaufgaben-Skulpturen, die ebenfalls das Kugelthema bearbeiten. Zweiter Einschlag März 2006, Auswärtiges Amt Berlin: Im Lichthof des Neubaus wird die Ausstellung in geringerem Umfang präsentiert. Zu sehen ist lediglich der zweite, der Jam-Comic-Teil. Dritter Einschlag April 2006, Galerie Neurotitan Berlin (Abb. gegenüber, ganz u.). Alle sind gekommen. Die Gäste zahlreich, sehen und gesehen werden – Illustrator‘s Ball. Die Künstler vollständig, das Goethe-Institut mit Info-Stand, die Bundeskulturstiftung mit Kamera. Alle sind in ihrem Element. Dai Okasaki »Smelly« mimt den universal Michael Jackson und zeigt seinen legendären Kot-Walk. Aus

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„Beat it“ wird „bidet“. Dazu verrenkt er mit geweisstem Gesicht im schwarzen Anzug und Afro-Perücke die Gliedmaßen (Abb. diese Seite). Auf der Leinwand hinter ihm sieht man Zeugnisse globaler Entleerung: Hundehaufen und Bedürfnisanstalten. Ich bin eigentlich nicht für Fäkalscherze, lache aber herzhaft. Alle anderen auch – selbst das Goethe-Institut und die Bundeskulturstiftung. Die Galerieräume sind fast ideal für die Ausstellung. Nur der Kugelblitz leidet etwas unter der niedrigen Deckenhöhe. Großartig: die hinter durchsichtige Kunststoffhalbkugeln montierten Illustrationen schauen einen an, wie Fettaugen in der Suppe oder wie Spiegelungen im Auge einer japanischen Riesenechse. Es folgen weitere Einschläge im Comic-Salon Erlangen, dem Stuttgarter „Rocker“ und schließlich im Japanischen Kulturinstitut Köln (08. September – 27. Oktober, www.jki.de/index.php?id=16).

Doch das ist nicht alles. Zur Ausstellung entsteht ein Katalog und eine Webseite (www.kugel-blitz.com). „Kugelblitz – Moga Mobo vs. Nou Nou Hau Volume II“ heißt das Buch, das nichts anderes ist als Moga Mobo Nr. 102. Es ist 132 vollfarbige Seiten stark und enthält über 200 Abbildungen. Es gibt „Einblicke in die Arbeiten der beiden Künstlergruppen, die Ausstellung und darüber hinaus.“ (Pressetext) Das „darüber hinaus“ findet man z.B. auf Seite 32, wo die Arbeitsplätze der neun abgebildet sind. Oder auch weiter hinten – und das ist neben den künstlerischen Arbeiten eine der spannendsten Doppelseiten –, wo, kombiniert mit Fotos gemeinsamer Abende in Restaurants und Karaoke-Bars, jeder der neun seine persönliche Erfahrung mit der Zusammenarbeit schildert. 2006 sind Moga Mobo etwas müde. So großartig das KugelblitzProjekt ist, so anstrengend ist es auch. Mir gegenüber in der Küche ihres Berliner Ateliers sitzen Titus, Thomas und Jonas. Sie sagen: „Demnächst machen wir mal was Einfaches!“ Wir freuen uns drauf.

"Kugelblitz − Moga Mobo vs. Nou Nou Hau Volume 2" Katalog mit Texten in deutscher, japanischer und englischer Sprache. 132 Seiten, Farbe. Preis: 21 Euro, zu Bestellen bei: www.mogamobo.com und im Comic−Fachhandel

Kugelblitz Skulpturen jam−comic Ausstellung in der art front gallery, tokyo Ausstellung in der Galerie Neurotitan, berlin

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D i e Grafische krankheit Pictoplasma conference "get into character" 11.−14.10.2006 b e r l i n ������������������ Von andreas rauth

In David Cronenberg‘s Psycho-Horror „Die Brut“ von 1979 fallen seltsame Zwischenwesen, unwirkliche Kindmenschen, Fleisch gewordene Absonderungen einer kranken Psyche über die Mitglieder einer Familie her. Der Terror der Gnome kann nur mit dem gewaltsamen Verschliessen der Quelle beendet werden: Der Noch-Ehemann der das Grauen ausbrütenden Frau, die sich in die Hände von Dr. Raglan am Institut für »Psychoplasma« begeben hat und dessen Therapie die Brut freisetzt, wird schließlich zu ihrem Mörder.

Pictoplasma ist kein psychologisches Institut, sondern ein Archiv und Konferenz für Character Design, das 1999 von dem Animationsdesigner Peter Thaler gegründet wurde. Doch was hier präsentiert wird, weist durchaus Parallelen zu Cronenberg‘s filmischer Vision auf: denn die Gestalten, mit denen uns Pictoplasma konfrontiert, sind Figuren ohne narrativen Kontext, ohne Geschichte. Und wo der fehlt, kann ein psychologischer vermutet werden. Nicht die literarische Vorlage, wie wir es von Disneyfilmen gewohnt sind, liefert die Grundlage für Gestalt und Persönlichkeit des »character«. Diese Figuren existieren aus einem anderen Grund. Dabei konnotiert die englische Bezeichnung »character« ein Bedeutungsfeld, das – viel besser als das auf die äußere Gestalt Bezug nehmende deutsche Wort »Figur« – geeignet ist, sich dem Phänomen zu nähern. Denn der »character« verbindet mit der Figur auch immer deren Persönlichkeit, ja setzt die Persönlichkeit als Erstes. Der »character« ist aber nicht nur eine Figur mit Persönlichkeit, sondern verdankt seine Existenz einer solchen. Ohne Charakter kein »character«. Herkunft und Funktion der Gestalt ist an »character« ablesbar. Doch was sind das für Figuren, die in geradezu unüberschaubarer Vielfalt und Vielzahl – das Pictoplasma-Archiv beherbergt mittlerweile über 6500 Designs von über 1000 Künstlern – ein Universum eigener Art bilden? Was da vor sich hin wuchert sind wie gesagt keine literarischen Figuren, der Verdacht fällt vielmehr auf Gestalt gewordene unintegrierbare persönliche Eigenschaften. Die integrierte Persönlichkeit hat als Identitätskonzept endgültig ausgedient. Rhizomartig breitet sich die postmoderne Seele aus und »character« sind die Pickel auf der Oberfläche eines konstitutionell überreizten Gemüts. Der »character« als das Fremde, das in uns keinen Platz hat, wird abgesondert und erblickt das Licht der Welt als künstliche Wesen. Sie sind eklig infantil und klebrig naiv. Sie sind so niedlich, dass einem der Schrecken in die Glieder fährt. Das grausamste und gleichzeitig beliebteste unter ihnen ist das Häschen: Zu Ostern dieses Jahres präsentierte Pictoplasma ein BunnyMandala mit über 1.500 verschiedenen Hasen von über 500 Designern. Die Niedlichkeit, die sich häufig in Form zuckriger Farben oder kindlicher Proportionen zeigt, verhilft zu der Annahme, das Kindliche sei das abgesonderte Fremde. Denn bei aller Verspieltheit: diese Figuren sind von Erwachsenen für Erwachsene. Erwachsene allerdings, die sich

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weigern erwachsen zu werden, im Amerikanischen treffend mit »kidult« bezeichnet. In der klassischen Heldenreise, die auch Grundlage der meisten Hollywood-Produktionen ist, lernen wir, dass am Ende einer Herausforderung, sofern wir nicht daran scheitern, die Verheißung eines Lebens in stabilem Glück steht: Die Persönlichkeit hat sich an den Gefahren der Reise geformt und damit eine sichere Grundlage für alle Entscheidungen im späteren Leben gebildet. Gleichzeitig stellt sich materieller Wohlstand ein. Dem steht allerdings die gesellschaftliche Realität der letzten dreißig Jahre entgegen: Identität ist zur unabschließbaren Aufgabe geworden. Auf »kid« folgt nicht mehr »adult«, sondern eben das/ der hybride »kidult«. Materieller Wohlstand stellt sich auch in den reichen Industrieländern nicht mehr so ohne weiteres ein, selbst bei guter gesellschaftlicher Voraussetzung. Dass bei der Kommunikation mit unserer Kinderseele nicht nur Angenehmes zu Tage gefördert wird, ist längst bekannt. Und so sind auch die »character« bei aller Niedlichkeit keineswegs so harmlos, wie es zunächst scheint. Die Verklärung von Kindheit als naturreiner Zustand wird nicht vollzogen. Die zurückgeholte Kindheit ist durchsetzt mit Erinnerungen und den Zumutungen des Erwachsenenalters. Kindheit zeigt sich als alles, was es nicht sein darf: hinterhältig, verdorben, düster, lüstern, bedrohlich aber auch bedroht und versehrt, den Tod schon in sich tragend. Entsprechend sah man im verganjitter: 24

genen Jahr auf dem Pictoplasma Animationsfilm-Festival reichlich blutige Hinterhältigkeiten, z.B. in den minimalistischen Strichfigurfantasien des Amerikaners Don Hertzfeldt (www.bitterfilms.com): Die »kidults« inszenieren sich als »adult-kids«. Dabei liefert die menschliche Gestalt für die Formgebung nur noch Ansatzpunkte. Extremitäten

sind in der Regel vorhanden und auch zumeist mit Armen und Beinen vergleichbar. An Sinnesorganen fehlt es ebenfalls nicht. Aber gerade hier unterscheiden sich die »character« erheblich von anderen Erdenwesen. Es scheint, als wären mit der bekannten Ausstattung die Erfahrungen einer in Auflösung begriffenen Welt nicht zu bewältigen. Statt dessen wird einerseits ein mannigfaltiges Sensorium wuchernder Tentakeln, Fühler und Schwänze (Genevieve Gauckler) ersonnen. Andererseits wird bis auf ein Augenpaar reduziert, das zudem häufig durch Kreuze als Zeichen der Disfunktion dargestellt wird (Boris Hoppek, Friends with you): Hier wird dem Flexibilisierungsdruck mit verfeinertem Instrumentarium begegnet, dort mit vollständiger Abschottung und Einbüßung der sinnlichen Grundfunktionen. Augen, die nichts mehr sehen müssen nicht notwendiger Weise verletzt sein. Verschwindet die Welt hinter ihren Möglichkeiten, verschwindet mit ihr auch der Blick darauf. Die Körperumrisse zeigen sich bei allgemeiner Tendenz zur Reduktion mal kompakt vereinheitlicht als Prototypen maschineller Massenproduktion (Friends with you, Gary Baseman), mal als permanentes Übergangsstadium, in ständiger Auflösung begriffen (The London Police, Fons Schiedon). Moderne »character« sind reduziert, grafisch, abstrakt. Der Wirklichkeitswahn computergenerierter 3D-Hollywood-Großproduktionen findet hier keinen Niederschlag. Wo diese selbst im Unwahrscheinlichsten und Phantastischsten noch das Wahr-

scheinliche und Vertraute abbildet, indem Figur und Handlung zu sinnstiftenden Einheiten gefasst werden um so die Bedrohung kalkulierbar zu machen, setzt die grafische Subkultur auf Fragment und Zersetzung. Das macht die »character« zwar sperriger aber ungleich faszinierender und als Abbild lebensweltlicher Verunsicherung auch glaubhafter. Nach der ersten Pictoplasma Konferenz 2004 und dem Pictoplasma Animationsfilmfestival 2005 findet 2006 die zweite Konferenz für zeitgenössisches Character Design in Berlin statt. In diesem Jahr haben Peter Thaler und Lars Denicke den dreidimensionalen »character« zum Schwerpunkt der viertägigen Konferenz erklärt. Ihrer grafischen Kindheit entwachsen nahmen die (über-)

lebensgroßen Figuren aus Plüsch und Plastik bereits zu Beginn des Jahres Anlauf in den Metropolen der Welt, um am 14. Oktober auf der Bühne des „Haus der Berliner Festspiele“ zur Performance aufzuspielen. „Get into Character“ heisst die Inszenierung von Jared Gradinger, die mit TänzerInnen aus dem Ensemble von Sasha Waltz und Constanza Macras Dorky Park in Character-Kostümen von Kostümbildnerinnen der UdK Berlin den Höhepunkt und Abschluß des Festivals bildet. Eröffnet wird die diesjährige Pictoplasma-Konferenz jedoch am Mittwoch, den 11.10. ab 12 Uhr mit dem Character Walk, einem Ausstellungsparcour durch über 30 Galerien und Ausstellungsorte in Berlin Mitte. Gezeigt wird zeitgenössisches Character-Design und neue Illustration u. a. von Doma,

Fons Schiedon, Gary Baseman, Tim Biskup, Nanospore, Rob Reger, Moki, Shoboshobo, The Doodle Box, Pimp My Doll, Nathan Jurevicius. Die Illustratoren Organisation ist ebenfalls mit einer Gemeinschaftsausstellung zum Thema Character: Metamorphose/Verführung, vertreten. Die folgenden Tage sind voll mit Screenings, Vorträgen, Diskussionen, Performance und Party. Man darf sich freuen auf Airside, Jon Burgerman, Francois Chalet, Doma, eBoy, Sune Ehlers, Pete Fowler, Friends With You, Rinzen, The London Police um nur einige zu nennen. Das vollständige Programm findet man auf der Website von Pictoplasma unter www. pictoplasma/conference/2006/ programme/index.html

Abbildungen: S. 23:

Diese Seite (v. l. nach r.):

Genevieve gauckler "jean"

Genevieve Gauckler Friends with you

Seite Gegenüber:

The london police

E−boy (oben) Friends with you

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Kunsthochschule kassel: Katrin Nicklas

Von einer

r a k e t e „...bis inmitten aller Finsternis ein plötzliches Licht

In Stücke Gerissen

mich durchzuckte – ein Feuerschein, welcher so

über die Verantwortung an der erfundenen Figur.

strahlend, so wunderbar und doch von so klarer

ein erfahrungsbericht.

Folgerichtigkeit war, dass ich mich noch im Augenblicke meiner Blendung angesichts der ungeheuerlichen Schau, welche sich vor mir breitete, voll Überraschung fragte, weshalb es denn von all der Vielzahl jener

geniebegabten

Männer,

die ihre Forschungen zu dem nämlichen Zwecke wie ich betrieben hatten, einzig mir vorbehalten geblieben, solch bestürzendem Geheimnis auf die Spur zu kommen!“ Mary Shelley Frankenstein

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Mit diesen Sätzen beschreibt der junge Arzt Frankenstein in Mary Shelleys gleichnamigem Roman seine Faszination darüber, dem Geheimnis des Lebens auf die Spur gekommen zu sein. Das Experiment mit dem künstlichen Menschen verläuft zunächst glücklich, doch dann bringt das von ihm geschaffene Wesen Unheil und sogar Tod über ihn und seine Lieben. Edward ist meine Schöpfung. Er ist die Hauptfigur eines Trickfilms, an dem ich momentan arbeite und auch der Grund dafür, dass ich angefangen habe mir Gedanken über das Verhältnis von Schöpfer und Figur zu machen, denn ich möchte nicht wie Frankenstein zum Opfer meiner Schöpfung werden. Eigentlich befürchte ich auch nicht, dass

es mir mit Edward ähnlich ergehen könnte. Wir kennen uns nun schon mehrere Jahre, und verstehen uns – von gelegentlichen Meinungsverschiedenheiten einmal abgesehen – recht gut. Allerdings versuche ich seit einiger Zeit ihm klarzumachen, dass er bald auf eigenen Füßen stehen muß, da ich nicht ewig für ihn da sein kann. Das will er noch nicht so recht verstehen. Dieses in so vielen Büchern und Filmen immer wieder variierte Thema beinhaltet eine Problematik, mit der nicht nur ich, sondern ein ganzer Berufsstand sich Tag für Tag auseinandersetzen muß – wenngleich mit zumeist weniger dramatischen Folgen als bei Frankenstein. Es gilt Firmenmaskottchen zu entwerfen, Werbefilme zu entwickeln, Bücher und Zeitschriften zu illustrieren,

Geschichten zu erzählen. Für all diese Zwecke werden Figuren entworfen, die Identifikation ermöglichen, emotional ansprechen und eine Verbindung zum Publikum herstellen – also so „lebendig“ wie möglich sein sollen. Nun gehe ich davon aus, dass keiner dieser „Schöpfer“ die gleichen Konsequenzen wie Frankenstein zu tragen hätte, sollte eine seiner Figuren missglücken. Selten (nein, nie) habe ich gehört, ein Zeichner hätte eine Reise ins ewige Eis unternommen, um sich dort einem letzten Kampf mit der von ihm entworfenen Figur zu stellen, die in den Jahren zuvor bereits seine Familie hingemeuchelt hatte. Das dramatisch überhöhte Beispiel Frankensteins mag in diesem Zusammenhang also absurd erscheinen, trotzdem liegt der

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Unterschied zum Zeichner nicht im Wesen der Sache, sondern ist letztendlich „nur“ ein gradueller. Wenn man Figuren und Geschichten erfindet, um abstrakte Inhalte in eine Form zu bringen, dass ein Publikum sie emotional erschließen kann, so passiert es automatisch, dass die Figur eine Eigenständigkeit, ja ein Eigenleben entwickelt. Dieses ist nur in seinen Grundzügen vom Schöpfer angelegt und vollendet sich erst im Kopf des Zuschauers. Sowohl bei der Umsetzung einer Idee in eine konkrete Form, als auch bei deren Rezeption durch ein Publikum, entstehen automatisch Veränderungen in Bedeutung und Kontext, die weit über das ursprünglich Vorgestellte hinausgehen. Zum einen besteht darin zwar der eigentliche „Lebensfunke“, zum anderen verzerren und verfälschen diese Vorgänge aber auch die ursprüngliche Idee. So formuliert dies auch Peter Thaler in einem arte-Interview anlässlich des Pictoplasma – Character Animation Festival 2005: „Wir stellen fest, dass sehr viele Macher von den Figuren fast schon ein Familienverhältnis mit ihren kleinen Kreationen haben. Aber da hört es ja nicht auf, sondern auch viele unbeteiligte Dritte werden mit in diesen Strudel hineingezogen und bauen ein persönliches, mir völlig unbekanntes

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Verhältnis zu diesen Figuren auf. Und du wirst vielleicht, wenn du eine bestimmte Figur siehst, etwas völlig anderes empfinden, als ich.“2 Was die Rolle des Schöpfers so schwierig macht, ist der Zwie-

ein Konflikt entstehen muß.“3 schreibt Syd Field in seinem Standardwerk „Das Handbuch zum Drehbuch“. „Im ganzen gesehen, möchte ich sagen, daß die Figuren die Gewinner sind. Das sollte auch so sein. Wenn der

Entstehung entwickeln. Dafür ein Bewusstsein und vor allem die nötige Sensibilität zu bilden, ist ein ganz entscheidender Schritt in Richtung Verantwortung an der erfundenen Figur. Um all diese „Frankensteinschen Gefahren“ des falsch verstandenen Schöpfertums wenn schon nicht zu umschiffen, so doch zumindest ins Bewusstsein des Schöpfers zu rufen, scheint es mir angebracht, den Versuch eines Regelwerks zu unternehmen, das die wichtigsten Punkte einer Beziehung von Schöpfer und Figur herauskristallisiert und auch mögliche negative Folgen für beide Parteien genauer beleuchtet: Die Geschichte

spalt zwischen absoluter Kontrolle (oder zumindest der Illusion der absoluten Kontrolle) über die Figur im Entstehungsprozess und deren Loslösung im Moment der Veröffentlichung. Dass also alles, was der Schöpfer für die Figur während ihrer Entstehung an Entscheidungen trifft, sozusagen deren Ewigkeit bestimmt. „Es ist keine Frage, daß zwischen dem Autor und seinen Figuren

Autor seine Figuren nach einer Vorlage entwirft und sich sehr eng daran hält, und wenn sie seine Pläne nicht ständig durchkreuzen, wenn er sie „gemeistert“ hat, dann hat er sie fast getötet oder zumindest ihre Entstehung bereits abgebrochen.“ Ein bisschen Herzblut darf es also schon sein, das man als Schöpfer seinen Figuren zu opfern hat, und auch ein bisschen Respekt vor der Eigendynamik, die sie schon während ihrer

Ein großer Teil der Eigenschaften einer Figur wird nur in der Handlung erkennbar. Wenn man also die Figur nicht nur abbildet, sondern auch erzählt. Schon allein durch Bewegung kann aus einem unbelebten Ding ein „Wesen“ entstehen – man denke nur an Pixars berühmte, hüpfende Schreibtischlampe. Die erste Frage ist demzufolge: Braucht eine Figur eine Geschichte? Und die Zweite: Was darf der Schöpfer ihr in dieser Geschichte alles widerfahren lassen? Die erste Frage ist insofern

heikel, als ich davon ausgehe, dass im Idealfall eine Figur immer in eine Geschichte eingebunden sein sollte. Schließlich ist ihre Geschichte die Welt, in der sie berechtigterweise existiert. Gleichzeitig weiß ich aber auch um die Unmöglichkeit dieses Anspruchs. Als Characterdesigner hat man nur sehr selten Gelegenheit, eine ganze Geschichte mitzuentwerfen. Oft werden Figuren nur für einen einzigen „Auftritt“ gebraucht oder in einem Zusammenhang (z.B. als Werbefigur oder Maskottchen) benutzt, in dem gar keine weitere Geschichte gefragt ist. Trotzdem lässt sich die visuelle Gestaltung einer Figur so konzipieren, dass sie ganz bewusst Assoziationen beim Publikums hervorruft (beispielsweise durch Attribute mit erkennbar zeitlichem Bezug oder kulturell kodierte Farbgebung), die der Figur einen Hintergrund, oder besser Kontext schaffen. Wie essentiell der Inhalt die Form bedingt, beschreibt auch Pete Docter, der Regisseur von „Monster AG“: „Sullivan was the most difficult to design because his part in the story changed many times as it evolved. That was something we definitely learned with Sullivan: It`s pretty much impossible to design a character unless you know who he is. Otherwise

you don´t have anything on which to hang your design.”4 Die zweite Frage geht noch weiter. Im Rahmen der ihr zugewiesenen Geschichte ist der Schöpfer seiner Figur gegenüber sozusagen allmächtig. Wie weit darf er diese Allmacht auch nutzen, darf er also seine Figur leiden oder sterben lassen, wenn ja, unter welchen Umständen? Natürlich darf er das. Eine ganze Welt von Geschichten wäre nicht erzählbar, würde man dieses Recht des Schöpfers an der Figur ausschließen. Dennoch gilt dieses Recht nur dann, wenn bestimmte Gegebenheiten erfüllt sind. Denn die Geschichte ist, wie ich vorher schon einmal erwähnt habe, die Ewigkeit der Figur, nichts kann ihr Schicksal in dieser Geschichte nach ihrer Veröffentlichung noch ändern. Was der Figur zustößt, muss dramaturgisch zu rechtfertigen sein. Und was dramaturgisch zu rechtfertigen ist, entscheidet sich zu einem ganz großen Teil danach, von welcher Erzählform man spricht. Ein Cartoon zum Beispiel erlaubt unter bestimmten Gesichtspunkten ganz andere Freiheiten als ein Realfilm oder ein Theaterstück. Wenn im Cartoon eine Figur von einer Rakete in Stücke gerissen wird, so reicht als Motivation hierfür eigentlich schon ein guter Gag. In

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einem Realfilm müsste die dramaturgische Berechtigung hierfür meiner Meinung nach schon wesentlich tiefer gehen. Zusammenfassend lässt sich sagen: Je größer die Abstraktion der Darstellung desto mehr ist auch erlaubt. Der Zugriff durch Dritte Die meisten Figuren werden nicht als Selbstzweck erschaffen, sondern für einen Dritten, einen Auftraggeber, der eine Figur nach seinen Vorgaben zur Erfüllung einer bestimmten Aufgabe nutzen möchte. Welche Aufträge oder Auftraggeber nun als „political correct“ empfunden werden oder nicht, muss wohl jeder für sich selbst entscheiden. Wichtig ist aber, dass eine Figur, die für einen Dritten entworfen und umgesetzt wird, nicht als Baukasten behandelt wird. Meist schlägt der Designer eine Reihe von Figuren als alternative Möglichkeiten vor, von denen dann eine zur endgültigen Umsetzung (und Veröffentlichung) ausgesucht wird. Dabei

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gefällt dem Auftraggeber dann von der einen Figur der Ausdruck, nicht aber die Farbe, während die andere zwar die richtige Farbe, nicht aber die gewünschte Größe hat usw. usf. Es ist ohne Zweifel wichtig, auf die Wünsche des Kunden einzugehen. Sollte der Schöpfer sich jedoch auf diese Baukastenvariante der Entwicklung einer neuen Figur einlassen, kann der neue Entwurf gegenüber den anderen nur verlieren, denn eine erfundene Figur ist mehr als die Summe ihrer Teile. Sicher kann man an Einzelheiten feilen und die Figur dadurch verbessern und in ihrer Aussage präzisieren, sie jedoch einfach aus einer Reihe zusammenhangloser äußerer Merkmale zusammenzusetzen, wird gewiß keine wirklich guten Ergebnisse erzielen. „There are no real secrets; there´s just design that works and designs that fail.“5 sagt Phil Hunt, Kopf des Londoner „Studio Aka“. Noch schwieriger wird die Lage beim Verkauf von Nutzungsrechten einer bereits in einem bestimmten Zusammenhang

veröffentlichten Figur an einen Dritten, der sie beispielsweise zu Werbezwecken nutzen möchte. Das bedeutet meist auch, dass dieser Dritte ganz bewusst eine Figur auswählt, die bestimmte Assoziationen beim Publikum hervorruft, um diese gewinnbringend für das Image seiner Produkte zu nutzen. In meinen Augen kommt dieses Vorgehen meist einem Missbrauch von Figur und Publikum gleich. Ich kann es dem Rosaroten Panther immer noch nicht so recht verzeihen, dass er Werbung für die Telekom macht. Der Zugriff durch Dritte ist aber auch aus einem anderem Grund problematisch: Wird eine Figur nicht von ihrem ursprünglichen Schöpfer weiterentwickelt, wird also z.B. eine Comicfigur wie Spiderman verfilmt oder eine Erzählung von Kafka als Comic gezeichnet, bedeutet diese Neubearbeitung im Grunde eine neue Erfindung. Denn mit dem originalen Entwickler fliesst dessen zeichnerische oder literarische und auch Lebenserfahrung in die Gestaltung mit ein. Der explizite

oder auch nur implizite Bezug auf eine bereits existierenden Figur wird auf deren Charakter und auf ihren ursprünglichen Schöpfer zurückwirken. So ist vom neuen Schöpfer die Verantwortung also in zweifacher Hinsicht zu tragen. Trotzdem kann die Konsequenz daraus nicht sein, in einer Wiederbearbeitung eine möglichst sklavische Nachahmung der ursprünglichen Figur zu verfolgen. Denn gerade darin bestünde ein viel einschneidenderer Eingriff in die Identität der zugrunde liegenden Figur, als es eine bewusst freiere Neuinterpretation vermöchte. Die vorgebliche „Werktreue“ birgt nämlich die große Gefahr, dass die schließlich unvermeidbaren Veränderungen vom Publikum kaum bemerkt werden und dieses die Neubearbeitung für das Original hält, dabei aber das Original verdrängt. Meiner Meinung nach ist dies eines der Hauptprobleme der so viel gerühmten „Herr der Ringe“ - und „Harry Potter“ - Verfilmungen. Grundsätzlich sollte die Neubearbeitung die Eigenständigkeit der existierenden Figuren

respektieren. Dann kann sie neue Verbindungen und Assoziationen herstellen, die die Substanz der Figur bereichern, statt sie zu verwässern. Der Anspruch Ein weiterer Gesichtspunkt der Verantwortung ist der des Anspruchs an die Qualität des Entwurfs. Man könnte vielleicht auch von der „Schönheit“ der Figur sprechen im Sinne einer optimalen Entscheidung. Es gehört zur Verantwortung des Designers, sein Talent zu verfeinern oder zu erweitern, sich also qualitativ weiterzuentwickeln. Nur so wird man den komplexen Anforderungen einer Figur an die Ausführung gerecht werden. Dieser Prozess der Verfeinerung findet oft schon im Verlauf einer Arbeit statt, so dass es manchmal schwierig ist, alle Elemente der Schöpfung auf das gleiche Niveau zu bringen. Nicht selten hindern einen auch Abgabetermine und Deadlines an der Weiterentwicklung über einen bestimmten Punkt hinaus.

Auf der anderen Seite ist ein übertriebener Perfektionismus bestens geeignet zu einem großen Hemmschuh für die Weiterarbeit werden. Weil der Effekt unter Umständen gar nicht mehr den dafür getriebenen Aufwand rechtfertigt oder man sich so sehr in Kleinigkeiten verliert, dass der Schöpfung die Leichtigkeit völlig verloren geht (das Medium Trickfilm wandelt sehr nah an eben dieser Grenze). Denn auch das bedeutet Qualitätssicherung: der Schöpfer hat die Verpflichtung seinem gesunden Empfinden für das rechte Maß zu folgen. Es kommt also darauf an, der Situation entsprechend, aber nicht unter den eigenen Fähigkeiten zu arbeiten. Diese Forderung mag überflüssig, weil selbstverständlich erscheinen, ist aber häufig eine der größten Schwierigkeiten überhaupt. Und gerade die „Nichtbefolgung“ zeugt Frankensteinsche Monster, die einen doch recht hartnäckig verfolgen können.

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Die Veröffentlichung Ein großer Teil der Auswirkungen, die ein „Vergehen“ des Schöpfers an seiner Figur haben kann, entsteht durch deren Veröffentlichung. Würde man darauf verzichten, könnte das Verhältnis von Schöpfer und Figur harmonischer nicht sein. Das würde allerdings grundlegend gegen das Verhältnis von Schöpfer, Figur und Publikum verstoßen und, so behaupte ich, auf Dauer auch gar nicht funktionieren. Denn ohne angestrebte Veröffentlichung (und Veröffentlichung bedeutet bereits, dem besten Freund eine Skizze zu zeigen) macht es überhaupt keinen Sinn, die Figuren aus dem eigenen Kopf herauszuholen. Das heißt, die erfundene Figur hat grundsätzlich ein Recht auf Veröffentlichung, und dies ist gleichzeitig ihre Daseinsberechtigung. Wann und in welcher Form die Veröffentlichung erfolgt, ist ebenfalls eine Frage der Verantwortung. Häufig ist der Schöpfer gezwungen, einem Geld- bzw. Auftraggeber eine Figur vor ih-

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rer eigentlichen Fertigstellung zu zeigen, um abzuklären, ob sie den besprochenen Vorgaben entspricht. Diese Vorgehensweise ist im Sinne einer Vermeidung von Missverständnissen durchaus sinnvoll. Unter anderen Gesichtspunkten jedoch stellt sie ein großes Problem im Verhältnis zwischen Schöpfer und Figur dar. Eine unfertige Figur, kann noch keine ihrer angelegten Fähigkeiten voll entfalten. Da der Auftraggeber aber am eigentlichen Schöpfungsprozess keinen Anteil hat (auch wenn wir Schöpfer ihn das gerne glauben machen wollen), kommt ihm die Rolle des Publikums zu. Dies hat unter Umständen zur Folge, dass die Figur bei ihm an Wirkung verliert. Der Effekt ist ähnlich wie bei einem Zaubertrick, von dem man erklärt bekommt. wie er funktioniert. Die Illusion ist damit automatisch zerstört. Abgesehen davon kann aus dieser Vorgehensweise die Vorstellung beim Auftraggeber entstehen, er könne ohne weiteres in jeden Schritt der Schöpfung aktiv mit eingreifen, was sich im Allgemei-

nen negativ auf die entstehende Figur auswirkt. Aus diesem Grund empfiehlt es sich bei der Präsentation einer unfertigen Figur, den Rahmen so zu wählen, dass ihre Unantastbarkeit während des sensiblen Entstehungsprozess gewahrt wird. Die Sympathie zur Figur Hiermit verhält es sich ein wenig wie mit dem Gebot der Nächstenliebe, aus dem alle anderen Gebote erwachsen. Ein Schöpfer, der Sympathie für seine Figuren hat, wird sich automatisch um einen verantwortungsvollen Umgang mit ihnen bemühen. Die Sympathie des Schöpfers hat erst einmal nichts damit zu tun, ob er auch eine für das Publikum sympathische Figur erschafft. Seine Sympathie wird sich jedoch in jedem Fall auf die Qualität seiner Figur auswirken. Selbst die abstoßendste Figur wird nur dann plastisch und für den Zuschauer interessant, wenn ihre Darstellung motiviert und in sich stimmig ist. Auch alle anderen Fragen

der Verantwortung, die ich hier beschrieben habe, lassen sich wohl am zuverlässigsten vor dem Hintergrund der Sympathie zur Figur entscheiden. „Wenn man Dinge die man mag hin und her bewegt, scheint es als ob sie leben.“6 sagt das Hasenhäschen in CX Huths gleichnamigem Comic und beschreibt damit vielleicht genau den Kern der Sache. Als ich vor ca. zweieinhalb Jahren mit der Arbeit an meinem Zeichentrickfilm „Edward“ begann, war mir zwar bewusst, dass Edward eine Figur wird, mit der ich mich in den darauf folgenden Monaten, ja Jahren sehr intensiv beschäftigen sollte. Dass mir aber eine Figur, die es ja „gar nicht wirklich gibt“ so sehr ans Herz wachsen und auch in starkem Ausmaß meine gestalterischen wie inhaltlichen Entscheidungen am Film allein durch ihre Existenz beeinflussen würde, damit hatte ich nicht gerechnet. Das mag ein wenig überzogen klingen, beruhigenderweise weiß ich aber aus Gesprächen mit anderen Trickfilmern, dass ich nicht die Einzige bin, die das Verhältnis zu ihrer Figur so erlebt. Deswegen schien es mir nahe liegend, die Verantwortung, mit der ich mich konfrontiert sehe, in diesen Text zu fassen. So teile ich also noch bis voraussichtlich Herbst diesen Jahres meinen Schreibtisch und – ja, mein Leben mit Edward und hoffe dabei, dass all die Theorie seiner Entwicklung auch ein bisschen zu Gute gekommen ist.

Literatur: Mary W. Shelley: Frankenstein oder Der neue Prometheus. Aus dem Englischen von Friedrich Polakovics 1970/1993 Carl Hanser Verlag München Wien, S.63 Interview mit Peter Thaler und Lars Denicke anlässlich des Pictoplasma Character Animation Festival 2005. Martin Rosenfeldt für ARTE. Berlin 27. November 2005 Unter www.arte.tv Syd Field: Das Handbuch zum Drehbuch. Aus dem Amerikanischen von Brigitte Kramer. 4. Auflage, März 1992. Zweitausendeins Verlag, Frankfurt am Main, S.66 The Art of Monsters, Inc. 2001 by Disney Enterprises, Inc./ Pixar Animation Studios, Introduction by John Lasseter and Pete Docter Chronicle Books LLC, San Francisco, S.69 Peter Thaler: Pictoplasma 2. Hrsg. von Robert Klanten, Nicolas Bourquin dgv Die Gestalten Verlag GmbH + Co.KG, Berlin, 2003. Vorwort Character Assassinations von Phil Hunt, S.7 CX Huth: Hasenhäschen. Hg. von Jutta Harms. 1. Auflage, November 2004. Reprodukt Comics (keine Seitennumme− rierung)

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E x p r e s s It's

Text und Illustration Brad Holland

Later

Y o u r s e l f

Than

You

A quarter century ago,

pages will be old hat to you. But

Ad Reinhardt announced that

as a public service for the layman,

his black paintings had made

I‘ve been asked to define a few of

him history‘s ultimate artist.

the basic terms.

He said he had taken art as far as it could go. He had solved all its problems; there was nothing left to do. The critics were impressed, but a lot of other artists refused to hand in their brushes, so art conti-

Modern Art: It‘s best to get this out of the way first. In the future, Modern Art won‘t mean what IT does now. It will mean „the kind of art they did in the twentieth century.“ Like „Baroque“ or „Romanesque,“ to call something „Modern“ will be to date it.

nued. But ever since, Modern Art has resembled a doomsday cult on the day after the deadline for the end of the world. The true believers have awakened to find that the sun has risen and the mad prophet has gone. They‘ve got to find something to do with the rest of their lives, so they dissolve into factions with rival theories about what happened, what it means and what they‘ve going to do next. In art, this redicament is called Postmodernism. And if you‘re confused about it, it‘s probably because you‘re beginning to understand it. If you‘re an artist, the next few jitter:34

Contemporary Art: A handful of people who grew up before TV still think that all artists either paint like Picasso or Norman Rockwell. That was true 80 years ago, but these days all artists want to be popular. If they were starting their careers today, Rockwell and Picasso would both be painting on black velvet. Art History: In the Stone Age, artists expressed themselves with crude pictures on the walls of their caves. Then there was a period of transition that lasted roughly 10,000 years. Then came Modern Art. Now we can express ourselves again. If you want to know the details, you can go to art school and spend thousands of dollars, but this is basically what they‘ll teach you. I‘ve boiled it down.

Cubism: This was a movement started by Picasso and Braque to distinguish their work from what Cezanne had already done, but failed to give a name to. In Modern Art, naming your art movement is a must. Cubism is still the most important art movement for the same reason that John D. is still the most important Rockefeller. All the other art movements are like downtown Rockefellers, and you can forget about them unless you expect to encounter an art category on „Jeopardy“. Surrealism: An archaic term. Formerly an art movement. No longer distinguishable from everyday life. Futurism: This was a movement of intellectuals who wanted to replace tradition with the modern world of machinery, speed, violence, and public relations. It proves that we should be careful what ntellectuals wish for because we might get it. Dada: Dada artists were ironists. Duchamp was their star and his masterpiece was a urinal. He ended his life playing chess. He claimed he was making an art statement. My grandfather had a sense of humor too and he ended his life playing chess. But since he did it to keep from being bored, no

Think

one thought it proved anything. This suggests that Dada artists are exempt from the general rule that ironists are the biggest victims of their own irony. Abstract Expressionism: After World War II, the United States emerged as the world‘s superpower. American companies like Cities Service and Esso, which had once been regional businesses, became international corporations. They adopted abstract names like „Citgo“; and Exxon“ to give themselves world-class status. Since multinational giants couldn‘t have little pictures of red barns or weeping clowns in the lobbies of their Bauhaus buildings, Abstract Expressionism emerged as the world‘s most overrated form of interior decoration.

Minimalism: During the era of Bugaloo and the Frug, Abstract Expressionism expanded into a large ball of hot gas, then suddenly collapsed into a black hole, where it still sits, spinning and refusing to give off light. This event was called Minimalism. A lot of people believed it was the final stage in the evolution of art. But it turned out to be just another bump in the gravitational field of Western culture.

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Pop Art: In aristocratic societies, rich people used to commission exquisite paintings for their walls. Years later, cheap imitations would filter down to calendars in gas stations. In our democratic society, this works backwards. Here, art begins as the kind of picture you‘d find on a matchbook cover. Then expensive imitations of it wind up on the walls of plastic surgeons and Hollywood agents. Op Art: I can never keep my mind on Op Art. It always reminds me of The Continental Op, Dashiell Hammett‘s detective. That makes me think of The Maltese Falcon, which makes me think of Humphrey Bogart, which reminds me of Play it Again, Sam. That reminds me of Woody Allen, and the next thing I know, I‘m thinking about Diane Keaton. I don‘t know if anyone else has a similar experience with Op Art. New Art: New Art follows Old Art. Comes before New Improved Art. jitter: 36

New Wave Art: Modern Art as it would have been done by The Big Bopper, The Del Vikings, or Sam the Sham and the Pharoahs. New Wave Art is exhibited in Oldies-but-Goodies Museums now, usually in black and pink frames. Graffiti Art: Many people decorate their homes with designer graffiti, even though most of them would probably have real graffiti scoured off the outsides of their buildings. Personally, I think that graffiti artists should go to the homes of their patrons with spray cans and make their living rooms look like subway cars. This would separate serious lovers of graffiti from uptowners spelunking for art thrills. Realism: Currently, realistic paintings are valued for their craftmanship. In the next century, when art will be packaged as virtual reality software, realistic paintings will sell the way Shaker furniture does now. Shaker

furniture will sell the way Van Gogh paintings do. And teddy bears owned by Elvis will come to auction only occasionally. Commercial Art: Anything done by an artist with a cash register by the door. Commercial Art is traditionally delivered to a client in a brown paper bag with an invoice stapled to the outside. Fine Art versus Commercial Art: In commercial art, you find out how much they‘re going to pay you, then you do the work. In fine art, it‘s the other way around. „That‘s Not Art, That‘s Illustration“: Almost everybody is an artist these days. Rock and Roll singers are artists. So are movie directors, performance artists, make-up artists, tattoo artists, con artists and rap artists. Movie stars are artists; it says so in their contracts. Madonna is an artist, because she explores her own sexuality. Snoop Doggy Dogg is an artist because he explores other

people‘s sexuality. Victims who express their pain are artists. So are guys in prison who express themselves on shirt cardboard. Even consumers are artists when they express themselves in their selection of commodities. The only people left in America who seem not to be artists are illustrators. Love me, Love my Art: Norman Rockwell used to say if a picture was going badly, put a dog in it. If it was going really badly, put a bandage on the dog‘s paw. This is the basic principle behind Victim Art. Tattoo art: Personally I‘ve never liked tattoos, although I think they improve some people. Especially the kind of people who hang around tattoo parlors. Kitsch: In my lifetime, Kitsch has progressed from the cynical sentimentality of Maxfield Parrish calendars to the sentimental cynicism of Batman movies.

Popular Art: In America, the only truly popular art form is the movies. Most people consider painting a hobby and literature schoolwork. Star, Superstar, Black Hole: A modern Renaissance Man is unlikely to become a celebrity. But any celebrity can be a Renaissance Man. The great number of entertainers turned painters testifies to this. Tony Curtis, Tony Bennet, Anthony Quinn, Billy Dee Williams, Red Skelton, Prince, Ron Wood and Frank Sinatra all have galleries for their paintings and books about their work. I read an interview with Sylvester Stallone, in which he talked about his graffiti paintings. He said that drawing and color aren‘t important, as long as you get your feelings „out there.“ I confess that after years of struggling with drawing and color, that was a load off my mind. Style: Style is the most valuable asset of the modern artist. That‘s why so many styles are re-

ported lost or stolen each year. Art School: One of the frequent casualties of higher education is common sense. Art education is a good example of this. In high school, girls draw unicorns and boys super heroes. Then, suddenly, in four years of art school they‘re supposed to develop an original style. That‘s something even Rembrandt couldn‘t have done. So a lot of students wisely spend their four years cultivating gimmicks they call style, and mastering Artspeak. This means that, as professionals, they can say things like: „I do purloined images on Naugahyde.“ Or, „These mutilated Barbie Dolls represent feminist praxis in action.“ Tradition: There are still some traditionalists, mostly employed by art schools, who continue to paint like the Ashcan School. For years, it‘s pleased the avant-garde to keep those Amish around to portray the Art Establishment. But for generations, the real Art jitter: 37


Establishment has been made up of earth sculptors, body piercers and topless cello players. It‘s been a long time since a painter of the Ashcan School has even had a prayer. Cutting-Edge Art: One percent inspiration, 99 percent attitude. The Avant-Garde: Over a hundred years ago, French bohemians decreed that the purpose of art was to shock the middle classes. It may have been a great idea back then. But these days, the middle classes aren‘t paying attention. They‘re all on Jerry Springer or Ricki Lake talking about their cross dressing experiences or sex with the baby-sitter. It‘s now the cutting-edge artists who have to watch in silence and eat their hearts out, complaining about the state of American culture and demanding more grant money for jitter: 38

even more cutting-edge art. In the future, this spectacle of the middle classes shocking the avant-garde will be the textbook definition of Postmodernism.

denly there had been an explosion of geniuses in the world. But since ego is more common than genius, Postmodern art is destined to Be narcissistic.

“The Left Brain Doesn‘t Know What the Right Brain is Doing:” It‘s my guess that cutting-edge artists who attack tradition secretly believe tradition will survive to enshrine them as the wild and crazy geniuses who destroyed it.

Art Theory: The typical Modern artist produces a small body of work wrapped in theory. Some even dispense with the work itself and exhibit only their theories, typed up on paper. To me, this seems a sensible economy of style. If the purpose of art is to redefine art, then words should do the trick. There‘s no use cluttering up the world with redundant examples.

“Sometimes you Gotta Break the Rules:” Not enough people appreciate that the philosophy of Modern Art can be summed up as a Burger King commercial. Craftsmanship: In traditional art, craftsmen worked within certain conventions. Occasionally those conventions would be redefined by acts of genius. In modern art, everybody has to redefine art all the time. This might have made our era another Renaissance, if sud-

Self-Expression: The crowbar used by artists to pry open the Pandora‘s Box of self-indulgence for everybody else in society. Fifty years ago, it was the dream of every bohemian artist to be Seen getting out of a limousine wearing blue jeans and sneakers. Today,

it‘s the dream of half the people in the country. The Miracle of Authenticity: The faith that if we‘re all authentic and express ourselves, society will benefit. A charming ideal, but it overlooks the obvious. There are a lot of authentic jerks and idiots in the world. Encouraging them to express themselves will never do anybody much good, much less society. Emotion: Modern artists paint their feelings for the same reasons Fra Angelico painted Virgins. Retailing your emotions is the holy sacrament of psychotherapy, which is the twentieth century‘s version of revealed religion. “Raw Energy:” The heroic artist tried to master his craft. But for the self-expressionist, mastery is a form of denial. Self-expression is only authentic when it‘s raw.

This means that a self-expressionist is at his peak when he‘s least handicapped by experience. Selfexpressionists who learn how to draw usually become mediocre. Instinct: Back in the prehistoric jungle, all the animals who trusted other animals got eaten. The only ones who survived to reproduce were those who instinctively feared everybody and bit off their heads. This explains why so many people, like artists, who trust their instincts, behave like crocodiles. Romanticism: Romantic artists believe that human imperfection is caused by imperfect societies. Unfortunately, this often leads them to believe they can improve people by smuggling improvements into society through the Trojan Horse of art.

“Poets are the Unacknowledged Legislators of the World:” It’s every artist‘s fantasy to run things. I know I‘d be happiest as dictator of a small island. The problem is that romantic artists are too disorganized to run their own lives, let alone societies. And most societies are too organized to Let them try it. Consciousness-Raising Art: An all-purpose excuse for the artist to cast himself as a pearl before the swine of democracy. Whenever I know an artist is trying to raise my consciousness, I have flashbacks of Jane Fonda, Sissy Spacek and Jessica Lange lecturing Congress about the realities of farm life. Media Studies: If you’re a college student, you can now take courses on Elvis, the Beatles or Rush Limbaugh. You can write a Ph.D. thesis on the meaning of “Rojitter: 39


sebud” in Citizen Kane. I thought that the whole purpose of pop culture was to have something you didn’t have to study in school. “The Medium is the Message:” This is an overall rule of thumb for baby boomers. Many boomers also confuse emotions for thoughts, sentimentality for sensitivity and public relations for public policy. “Make it New”: Postmnodern artists believe that with sufficient media attention, their work can change reality. So the 20th century, which began with Ezra Pound advising artists to “make it new,” ends with artists trying to “make it news.” Political Art: Political art expresses the clichés you agree with, unlike propaganda, which expresses the clichés you don‘t. Painter/Activist: I distrust anyone with a slash in their job description. I‘ve known too many actor/waiters and rock musician/ electricians. Auteur: A white collar artist who tells blue collar craftsmen what to do, then takes credit for their work. The same logic that makes Steven Spielberg the auteur of Schindler’s List makes Pope Julius the auteur of the Sistine Chapel ceiling. Roll over Michelangelo and tell Bramante the news. Mixed-up Media: In Modernism, reality used to validate media. In Postmodernism, the media validate reality. If you don‘t believe this, think how many times you‘ve described some real event as being „just like a movie.“

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Deconstructionism: Many people have observed that truth is stranger than fiction. This has LED some intellectuals to conclude that it‘s stranger than non-fiction as well. Forever Jung: Postmodernists believe that truth is myth, and myth truth. This equation has its roots in pop psychology. The same people also believe emotions are a form of reality. There used to Be another name for this state of mind: psychosis. Life Imitates Art: Not true. Art imitates life. Life imitates high school. The Counter Culture: Twenty-five years ago, I was part of the hippie press. Like many others, I believed that the personal was political. On one level, my generation succeeded. We married art to politics. At first this was good. It brought the ambiguity of art to public debate. But increasingly, as artists exploit political rhetoric to call attention to their superior morality, I‘ve concluded that we misjudged the long-term risks. Namely, that we might produce a community of artists with no More integrity than politicians. Multiculturalism: I‘ve never understood why artists, who so often condescend to the clichés of their own culture, are so eager to embrace the clichés of cultures they know nothing about.

“A herd of independent minds:” A lot of artists say they‘d be happy in a classless society. But they deceive themselves. Put artists in the kind of utopia they sentimentalize, and in no time they’d bebinding their feet, lengthening their necks or flattening their heads, just to be different. Artists will never be satisfied, and anyone who tries to satisfy them is a fool. Art & Technology: In the nineteenth century the camera made a realist of the man on the street. Now the computer can make anybody a desktop Cubist. Technology may or may not be destiny, but machines won’t replace art any more than wheels have replaced feet. Waiting for Van Gogh: In the world most of us have grown up in, popular art has inherited and exploded all the forms of art that came before it. Everything from the primitive art of tribal societies to the fine art of aristocratic ones has been thrown into the cement mixer of modern culture, along with its juxtapositions of celebrity and anonymity, poverty, and sudden wealth and the continuous swooning of the popular media over trends and fads. The truth is, we haven‘t figured out how artists are going to thrive in modern mass societies. We‘re all experiments.

Originally published in The Atlantic Monthly, July 1996. Copyright ©1996 Brad Holland.

Art & Democracy: Many of the contradictions in Postmodern art come from the fact that we‘Re trying to be artists in a democratic society. This is because in a democracy, the ideal is compromise. In art, it isn‘t.


Iris luckhaus

illustrationen (© Iris Luckhaus): ICH HAB' NOCH EINEN KOFFER IN BERLIN

Iris Luckhaus, im April 1973 in Wuppertal geboren, arbeitet seit 1996 als freie Illustratorin, Designerin und Stylistin. Seit 2000 ist sie außerdem Diplomdesignerin (UdK Berlin, Modeklasse V. Westwood). Sie lebt in Wuppertal, Berlin und Paris, arbeitet dort für internationale Kunden aus den unterschiedlichsten Bereichen – und wenn sie zeichnet, dann meist mit einem Lächeln. Ihre Leidenschaft ist das visuelle Erzählen von Geschichten – mit Vorliebe versteckt sie Details, die sich erst auf den vierten Blick erschließen. Ihre Inspiration ist das Leben selbst, aber vor allem sind es die Menschen, denen sie begegnet: in der Realität ebenso wie in fiktiven Geschichten oder Nebensätzen. An ihrem Beruf schätzt sie die großartige Möglichkeit, sich immer wieder neuen und ganz unterschiedlichen Herausforderungen zu stellen, immer weiter dazuzulernen und von ganzem Herzen neugierig bleiben zu können.

Freie Arbeit, Frühjahr 2004 "Ich hab' noch einen Koffer in Berlin, deswegen muss ich nächstens wieder hin. Die Seligkeiten vergangner Zeiten sind alle noch in meinem kleinen Koffer drin. (...) Ich hab noch einen Koffer in Berlin. Der bleibt auch dort und das hat seinen Sinn. Auf diese Weise lohnt sich die Reise, denn wenn ich Sehnsucht hab, dann fahr ich wieder hin." Bully Buhlan, 1951−1954 PICKNICK Poster, Sommer 2003/2005 PIRSCHJAGD Kunstdruck für Jitter, Herbst 2006 "L'on trouve en ce pais des Dames fort actives | Qui s'cavent menager chaque moment du jour, | Car de peur de res− ter oisives | La chasse les occupe ap− rEs le jeu d'amour." 'L'Europe', Anon., um 1680 Die hier gezeigten Kleidungsstücke entstammen der Diplomarbeit "Jagdfie− ber" über Jägerinnen im eigentlichen sowie im übertragenen Sinne, für die Iris Luckhaus eine Kollektion auf der Basis historischer Frauenjagdkleidung entwickelte und fertigte: die gezeigte Jacke beispielsweise beruht auf einem Schnittmusterbogen von 1796, der den Bedürfnissen der modernen Gross− stadtamazone angepasst wurde. Das Jagdmotiv und seine Übertrag− barkeit begeistern Iris Luckhaus bis heute, und immer wieder tauchen Jäge− rinnen auf die eine oder andere Art in

Iris Luckhaus 42369 Wuppertal | 10439 Berlin F & F: +49 (0) 202 - 46 12 50 Mobil: +49 (0) 172 - 48 46 601 post@irisluckhaus.com www.irisluckhaus.com

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ihrer Arbeit auf. ANGIE Kunstdruck, Winter 2005/2006

Das Motiv „Pirschjagd“ wurde für jitter in limitierter und signierter Auflage als hochwertiger Fine Art Print in A3 auf Lumijet Photo White 240g von Hahnemühle im 8-Farbdruck mit pigmentierter Tinte reproduziert und kann zusammen mit der „printed e-zine issue 0“ von jitter für 48,- EUR bei der jitter-Redaktion bestellt werden unter www.jitter-magazin.de info@jitter-magazin.de


Auszug aus dem Buch mit freundlicher Genehmigung des Brandneu Verlags: DER LEGUAN

MEIN LEBEN MIT MITSU von Marcel Magis ist eine Liebeserklärung an das Leben, die perfekte Nudelsuppe, an japanische Literatur und an das asiatische Kino – skurril, komisch und sexy. Die detailreichen Illustrationen von Iris Luckhaus erschließen dem Leser eine weitere Dimension von Mitsus geheimnisvoller Welt. „Die Geschichte vom Leben mit Mitsu erzählt von Minimonstern und Geistern, von Sake und Sex und davon, wie es sein könnte, ohne Kompromisse zu lieben.“ Sandra Sydow, DE:BUG „Magis beherrscht diese sehr sanfte, wortgenaue, plastische und mal eben so mit wenigen Sätzen ganze Gefühlswelten skizzierende Sprache, um die man ihn einfach beneiden muß.“ Tom Liehr, Radio Nights MEIN LEBEN MIT MITSU Marcel Magis/Iris Luckhaus Eine Geschichte von Liebe, Sehnsucht und Nudelsuppe Brandneu Verlag 2005 Paperback | 124 Seiten | EUR 9,90 ISBN 3-938703-00-8 www.wo-ist-mitsu.de

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„Warum ausgerechnet ein Leguan?“, fragte ich Mitsu. „Weil die cool sind. Kenne keinen, der einen hat.“ „Wie kommst du dann drauf? Du weißt doch gar nicht, wie die sind.“ Wenn ein Stern sie in diesem Augenblick berührt hätte, er wäre sofort verglüht. „Na gut, und wo kriegt man so einen her?“, fragte ich. „Hab ihn schon.“ Sie holte ihre Kühltasche und öffnete sie. Ein grünes Reptil blickte mir mit schwarzen, sehr ausdruckslosen Augen entgegen. Es war nur 20 Zentimeter groß, inklusive Schwanz. „Sieht eigentlich ganz niedlich aus“, sagte ich. Ich wollte heute nett sein. „Wenn der groß ist, wird er bis zu zwei Meter.“ „Ach ja? Damit hat sich das Thema Hund erledigt. Wir brauchen bloß einen Zettel aufhängen: Vorsicht Krokodil. Meinst du, die Kühltasche ist der richtige Ort? Braucht der nicht ein Terrarium?“ „Das ist deine Sache. Ich hab ihn gekauft, jetzt bist du dran mit dem Was-Tun.“ Ich sah das Reptil an. Es schaute ausdruckslos zurück. Dann schaute ich Mitsu an. Nickte resigniert. Und fiel beinah um, so heftig knallte sie ihre Lippen auf meine. Seitdem haben wir einen Leguan. Und ein Terrarium. Jedes Mal, wenn er einen Zentimeter größer geworden ist, bekomme ich einen Kuss von Mitsu. Wenn ich Glück habe, wird er ja wirklich zwei Meter lang.

DIE GEISTER AM FENSTER Im Häuschen besuchen mich oft Geister. Sie pressen ihre Gesichter an das Wohnzimmerfenster und schauen hinein. Sie sind vor allem eines: durchsichtig. DER LETZTE TAG IM LEBEN EINES KÜCHENTISCHS Sie legte den Kopf auf die grüne Kunststofftischplatte, wischte sich die Haare nach hinten und schaute das Glas Wasser an, als könne sie es mit den Augen ein Stückchen weiter über den Tisch bewegen. "Da draussen gibt es eine Gegend, in die kein Mensch hinein darf, weil dort alle Wünsche erfüllt werden", sagte sie und schaute weiter das Glas an. "Das ist ja wunderbar." "Ist es nicht − die meisten Menschen können nämlich gar nicht richtig wünschen. Sie haben in sich nur Leere − und wenn sie dann das kriegen, was sie glaubten sich zu wünschen, sind sie noch trauriger, als hätten sie es nie bekommen." "Mag sein." "Ich wünsche mir jetzt einfach nur ein bisschen Sex." "Auf dem Kunststofftisch?" "Warum nicht?" Ich schaute misstrauisch den Tisch an. Das konnte nicht gut gehen. SEHNSUCHT Das Telefon. Es stand da und schwieg. WIEDERSEHEN Wir tranken Kaffee. Wie damals, als wir uns das erste Mal getroffen hatten. Nur dass ich diesmal nicht wusste, was ich sagen sollte. Mitsu schwieg ebenfalls. Ich dachte an Nudelsuppe, die ich schon lange nicht mehr zubereitet hatte.


Ringelschwanz und rosa Russel Stilisierungen des Schweins in Werbung und Cartoon Von Dagmar Schmauks Illustration: Andreas Rauth

Menschen haben zu Tieren vielfältige und widersprüchliche Beziehungen, die sich in Texten, Bildern und anderen Dokumenten spiegeln. In diesem Artikel geht es um ein Detailproblem der bildlichen Darstellung, nämlich um die Stilisierungen des Schweins in Werbung und Cartoon.

Zur Einführung empfiehlt sich ein kurzer Blick in Zoologie und Kulturgeschichte. Hausschweine tragen in vielen Gebieten der Erde erheblich zur menschlichen Ernährung bei, allein in Deutschland werden jährlich mehr als 40 Millionen Schweine geschlachtet und verzehrt. Ihre Domestizierung reicht rund 9.000 Jahre zurück und begann in mehreren Gegenden Eurasiens. Noch heute gibt es Zwischenstufen „halbwilder“ Haltung, in denen die Schweine nur zeitweise in der Nähe des Menschen leben und sich von selbst immer wieder mit Wildschweinen kreuzen. Rückzüchtungsprojekte veranlassen gezielt diese Verpaarung mit Wildschweinen, um die durch Domestizierung bewirkte genetische Verarmung zu verlangsamen. Rückgezüchtete Rassen wie das „Düppeler Weideschwein“ (Berlin) ähneln den Hausschweinen auf mittelalterlichen Bildern – sie sehen „urig“ aus, sind robust, genügsam und haben in den ersten Lebensmonaten braun-gelbe Längsstreifen wie Frischlinge (vgl. jitter: 46

Schmauks 2000: 319ff und 2001: 1167ff). Im Gegensatz zu allen anderen Nutztieren kommt nämlich bei Schweinen auch ihre Wildform, das eurasische Wildschwein (Sus scrofa), in Mitteleuropa noch zahlreich vor und fasziniert durch Intelligenz, Anpassungsfähigkeit und komplexes Sozialverhalten (vgl. Meynhardt 1984 und Hennig 1998). Durch milde Winter und gutes Futterangebot nimmt der Bestand sogar ständig zu. In Berlin etwa dringen Wildschweine zunehmend in waldnahe Außenbezirke ein, um Komposthaufen, Mülltonnen und Friedhöfe zu durchstöbern. Florian Möllers (2003) hat ihr Treiben unter dem Motto „auf Rüsselhöhe mit den Hauptstadtschweinen“ mit Texten und Fotos dokumentiert. Die gleichzeitige Kenntnis von Wildform und domestizierter Form erlaubt einen Vergleich der jeweiligen Eigenschaften und Verhaltensweisen, der auf der Sprachebene zu einer konkurrenzlosen Vielfalt von Redens-

arten führt. Ferner motiviert sie immer neue visuelle Darstellungen von Schweinen. An einem Ende der Skala liegen zahllose „schweinchenrosa“ Kitschfiguren von drallen Hausschweinen, die allerlei „Schweinereien“ treiben oder einfach nur Niedlichkeit ausdrücken. Am anderen Ende finden wir dämonisierende Darstellungen von Wildschweinen, die in Mitteleuropa nach Ausrottung von Bär, Wolf und Luchs die letzten wirklich wehrhaften Wildtiere sind. Vor allem die Keiler gelten als Inbegriff des Urigen und Tapferen, und die rasende Wut und

Verteidigungsbereitschaft eines verletzten Tieres sind sprichwörtlich. Zahllose Texte, Bilder und Skulpturen von der Antike bis heute zeigen den siegreichen Kampf eines Jägers und seiner Meute mit einem Keiler (zahlreiche Beispiele in Dannenberg 1990: 19ff); man denke etwa an die Sage des Herakles, zu dessen zwölf Heldentaten die Überwältigung des Erymanthischen Ebers zählte. Hinzuzufügen ist, dass der Keiler früher ein adliges Wild war, vor dem der Jäger Respekt bekundete, indem er ihm mit einer schmalen Lanze („Saufeder“) entgegentrat. An Stelle dieses

Zweikampfes ist die Jagd mit Gewehren und vom sicheren Hochsitz aus getreten, von der deutlich weniger heldischer Glanz ausgeht. Dennoch ist es auch heute noch ein Lebenstraum vieler Jäger, einen kapitalen Keiler zu erlegen. Organisierte Jagdreisen garantieren entsprechende Abschüsse, so dass der präparierte Keilerkopf mit möglichst ausladenden Hauern dann künftig vom Erfolg des Schützen kündet. Schweine haben zahlreiche Eigenschaften, die aus Menschensicht befremdlich wirken. Sie suhlen sich im Schlamm, fressen

Abfälle, Kot und unter beengten Verhältnissen sogar manchmal ihre eigenen Ferkel. Die negative Bewertung dieser Verhaltensweisen spiegelt sich in Schimpfwörtern wie „Drecksau“ und „Schweinkram“ sowie entsprechenden Redensarten. Von Menschen wird gesagt, sie „fressen, bis die Schwarte kracht“, „lassen die Sau raus“ oder „benehmen sich wie eine Sau an Fastnacht“. Andererseits sind Schweine leicht zu halten und sehr fruchtbar, so dass sie ihrem Besitzer behaglichen Wohlstand verschaffen und zum „Glücksschwein“ wurden. Heute tummeln jitter: 47


Abb. 1: Mimikvarianten des Hausschweins.

sich dralle rosige Schweine auf vielen Werbeplakaten und kündigen Sonderangebote an. Die vorliegende Arbeit analysiert die bildliche Darstellung von Schweinen in Werbung und Cartoons unter der Leitfrage, welche Eigenschaften den Schweinen jeweils zugeschrieben werden und wie diese sich zur zoologischen Realität verhalten. Abschnitt 2 untersucht die zahlreichen Redensarten, die von Eigenschaften und Verhaltensweisen des Schweins abgeleitet sind. Sie belegen dessen ambivalente Bewertung mit gleichzeitig existierenden sehr negativen („Drecksau“, „Schweinerei“) und sehr positiven Zuschreibungen („Schwein haben“, „Glücksschwein“). Abschnitt 3 setzt die Untersuchung im Medium des Bildes fort. Hier fällt auf, dass die einzelnen Körperteile sehr einheitlich stilisiert und die Unterschiede zwischen Haus- und Wildschwein betont werden. Die Analyse eines Corpus mit aktuellen Werbeanzeigen (Abschnitt 4) und Cartoons (Abschnitt 5) ergibt, dass die weitaus meisten Darstellungen von Schweinen nur wenigen stereotypen Themenkreisen angehören. 2. Zwischen Glücksschwein und Drecksau – die ambivalente Bewertung von Schweinen Schweinen werden bestimmte Eigenschaften zugeschrieben, die dann als Grundlage zahlreicher Redensarten dienen. Etliche dieser Zuschreibungen beruhen jedoch auf einem Missverstehen von biologisch sinnvollen Verhaltensweisen. Am deutlichsten wird dies bei der „Drecksau“, die sich wohlig im Schlamm wälzt. Denn da Schweine keine Schweißdrüsen haben, brauchen sie im Sommer eine kühlende Suhle, und die da-

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bei aufgetragene Schlammkruste schützt vor Hautparasiten. Der missverstandene Ungehorsam von Schweinen führt zur Rede von der „dummen Sau“. Denn die sehr intelligenten Schweine können (oder genauer: könnten) zwar ebenso viele Kunststücke lernen wie Hunde, sind aber deutlich eigensinniger und akzeptieren den Menschen weniger leicht als „Alphatier“. Auch der Ausdruck „faule Sau“ verkennt artspezifische Eigenschaften. Wildschweine legen zwar täglich viele Kilometer bei der Nahrungssuche zurück, „gönnen sich“ aber auch lange Ruhezeiten, um die sie der Mensch wohl beneidet. Sowohl bei der Nahrungsaufnahme als auch beim Sexualverhalten zeigen Schweine eine Hemmungslosigkeit, die den Menschen zugleich fasziniert und abstößt. Die „verfressene Sau“ mit ihrem Futterneid gegenüber Artgenossen ist ein Paradebeispiel von rücksichtslosem Egoismus. Das Fressen von Kot und Aas liefert ein weiteres Motiv für die „Drecksau“, und dass beengt gehaltene Schweine sogar manchmal ihre eigenen Ferkel fressen, löst als unverstandener Kannibalismus starken Abscheu aus. Die „geile Sau“ wird verachtet, vermutlich aber auch heimlich beneidet. Als Zusammenfassung dieser vielen Vorwürfe bietet sich ein Blick auf die Liste der sieben Todsünden im Christentum an, die Papst Gregor I. (540-604) nach steigender Schwere ordnete. Ihr zufolge ist das Schwein ein extrem sündiges Tier, denn es begeht zumindest fünf Todsünden, und insbesondere die beiden schlimmsten: Hochmut dieses sündhafte Verhalten scheint dem Schwein zu fehlen Neid als Futterneid beim Schwein

stark ausgeprägt Zorn der verwundete Keiler gilt als Inbegriff rasender Wut Trägheit ein Hauptvorwurf, weil das Schwein sehr ruhebedürftig ist Geiz diese Verhaltensweise scheint bei Tieren nicht vorzukommen Völlerei ein weiterer Hauptvorwurf gegen Schweine Wollust auch diese schlimmste Todsünde begeht das Schwein mit Wonne Das verfressene Schwein nimmt bei guter Futterlage schnell zu, was den Züchter erfreut, aber auch die „fette Sau“ motiviert. Ferner sind Schweine sehr fruchtbar und können jährlich mit zwei Würfen rund 20-25 Ferkel aufziehen. Ihre Haltung ist einfach, denn Schweine wurden früher nur mit Küchenabfällen gefüttert und können sich ihr Futter auch selbst in Mischwäldern und auf abgeernteten Feldern suchen. Dieser kinderreiche Allesfresser sicherte also seinem Besitzer einen bescheidenen Wohlstand, und wer den Sommer über ein Ferkel mästete, hatte im Winter zwei Speckseiten sowie reichlich Pökelfleisch als haltbare und hochkalorische Nahrung. Die Rede von der „armen Sau“ wird motiviert durch die oft sehr beengte Haltung von Schweinen sowie durch die Tatsache, dass ihr vom Menschen verordnetes „Le-

bensziel“ die Schlachtung ist (der heute oft lange Transporte vorangehen). Ein einschlägiger Reim lautet Du armes Schwein, du tust mir leid, du lebst ja nur noch kurze Zeit! Ein Sonderfall sind Hausschwein-Ferkel als Inbegriff des Kindchenschemas. Zahllose Glückwunschkarten, Wandkalender und Gebrauchsgegenstände zeigen rosige, sauber geschrubbte Schweinchen, die durch ihr neugieriges und lebhaftes Verhalten entzücken. Das am häufigsten gezeigte Motiv ist ein Ferkel, das aus einem Behälter (Korb, Eimer, Bodenvase oder dgl.) hervorlugt, sich mit seinen zierlichen Klauen am Rand festhält und oft noch von Blumen umgeben ist. Hier hat der ehemals wilde und gefürchtete Keiler den unüberbietbaren Endpunkt seiner Domestizierung erreicht: niedlich, handlich, unbedrohlich und ästhetisch makellos. Ebenso ungefährlich sind Glücksschweinchen aus Marzipan – man kann sie verzehren, ohne sich den Fährnissen von Kampf und Tötung auszusetzen. Eine Bildserie aus dem Jugendbuch Rennschwein Rudi Rüssel belegt, wie komplex die Mimik von Schweinen ist (Abbildung 1, Timm 1993: 48). Obwohl im Unterschied zum Menschen auch die Abb. 2: Künftige Ferkel werfen ihre Schatten voraus.

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Ohren wichtige Stimmungsträger sind, erkennen wir spontan, ob das Schwein neugierig, ärgerlich oder ängstlich ist. Auch der Schwanz von Schweinen drückt (ebenso wie bei Hunden und Katzen) ihre Stimmung aus. Diese Tatsache hat Georg Christoph Lichtenberg zu einer Parodie auf die von Johann Kaspar Lavater erneuerte Physiognomik angeregt. Diese nahm an, man könne den Charakter eines Menschen an seinem Äußeren ablesen, vor allem an seinen Gesichtszügen. Strikt parallel stellt Lichtenberg in seinem Fragment von Schwänzen (1783) einige Schweineschwänze vor, an deren Krümmungen und Borsten er Geschlecht, Charakter und Schicksal der Schweine abliest. So stellt er bei einem Schweins-Jüngling „mutterschweinische Weichmut“ und „keimendes Korn von KeilerTalent“ fest, aber auch die Tatsache, er sei „bereits zu Mettwurst bestimmt“ (Lichtenberg 2000: 3. Band, 533-538). Bei den Körperteilen lässt sich tabellarisch aufführen, wie jeder von ihnen als Grundlage von Redensarten dient. Die gegenläufigen Formulierungen „die Ohren spitzen“ vs. „die Ohren hängenlassen“ sind nicht artspezifisch für Schweine, sondern treten bei vielen Säugetieren auf. Und der geringelte vs. herabhängende Schwanz kommt nicht in Redensarten vor, sondern drückt in Bildern die Grundstimmung des Schweins aus. Kopf massig„ Schweinskopf“ Augen klein, im Fett verborgen „Schweinsäuglein“ Backen dick „Schweinebacke“ Rüssel ständig schnobernd „seinen Rüssel überall hineinstecken“ Ohren hochgereckt „die Ohren spitzen“ (nicht spezifisch) jitter: 50

Ohren herabhängend „die Ohren hängenlassen“ (nicht spezifisch) Speckschicht dick „fette Sau“ Schwarte fest „eins auf die Schwarte kriegen“ Schwanz geringelt fröhlich (im Bild) Schwanz herabhängend traurig (im Bild) Redensarten zu Verhaltensweisen haben sehr unterschiedliche Motivationszusammenhänge. In den einfachsten Fällen wird das normale Verhalten eines Schweins einem Menschen zugeschrieben, linguistisch gesprochen also von der Ursprungsdomäne (Schwein) auf die Zieldomäne (Mensch) übertragen. Wer etwa „(fr)isst wie ein Schwein“, nimmt seine Nahrung gierig und geräuschvoll zu sich. Vermutlich bringt er auch die Damasttischdecke in Gefahr und hat wenig Zeit für gepflegte Tischgespräche. Die Übertreibung „fressen, bis die Schwarte kracht“ schillert zwischen Mensch und Tier – gemeint ist ja eigentlich ein Mensch, der wegen fahrlässiger Vergrößerung seines Lebendgewichtes aus allen Nähten platzt. Da Hausschweine vergleichsweise schreckhaft und keine Fluchttiere wie etwa Pferde sind, beschreibt der „ Schweinsgalopp“ ein ungeordnetes und ungeschicktes Rennen. Auch das schweinetypische Suhlen im Dreck wird auf Menschen übertragen, die sich zu ausführlich sozial verpöntem Handeln hingeben, etwa „sich in Selbstmitleid suhlen“. Wesentlich allgemeiner ist die Redensart „sich wie ein Schwein aufführen“. In ihr geht es nicht nur um Verfressenheit, sondern um vielerlei Untugenden wie Unordnung, Unsauberkeit und sexuelle Hemmungslosigkeit. Hier und in ähnlichen Fällen gewinnt man den Eindruck, dass das

Schwein das psychoanalytische Es symbolisiert, also in uns allen ein Schwein mit den aufgelisteten Lastern haust. Wenn es Morgenluft wittert, benehmen Menschen sich entsprechend: Sie „lassen die Sau raus“, „spielen die wilde Sau“ oder handeln „wie von der wilden Sau gebissen“. Als äußerste Steigerung kann man „ sich benehmen wie eine Sau an Fastnacht“, denn hier tritt das tierische Fehlverhalten ausgerechnet in einer Zeit auf, in der auch im Menschenreich das Unterste nach oben gekehrt wird und die Schranken von Moral und Konvention überschritten werden. Kontrastierend zu ergänzen ist, dass andere Schweinedarstellungen den umgekehrten Weg gehen und eine Versöhnung mit dem „inneren Schwein“, also dem vorher abgespaltenen Teil des Selbst anstreben (siehe die Monographie Der Heilige und das Schwein von Abt-Baechi 1983). Ein berühmtes bildliches Beispiel ist die letzte Episode „Klausnerleben und Himmelfahrt“ von Wilhelm Buschs Bildergeschichte Der Heilige Antonius von Padua (1870). Ein Wildschwein schließt sich freiwillig dem Eremiten an, schnobert eine Quelle auf und findet Trüffeln für beide. Nach langer friedlicher Gemeinschaft sterben sie gleichzeitig und kommen trotz der Einwände von Juden und Türken dank der Fürsprache Marias in den Himmel. Die unvergesslichen Schlusszeilen lauten:

und so vielfältig, dass man in einem geistigen Salto mortale sogar dem Tier selbst unterstellt, es würde sich für sein eigenes Wesen und das seiner Verwandten schämen. Ein Beleg ist das folgende Scherzgedicht: Der Eber ist stets missgestimmt,   weil seine Kinder Ferkel sind. Nicht nur die Frau,   die Sau alleine, auch die Verwandtschaft:   alles Schweine! Zahlreiche Redensarten beruhen auf Missverständnissen oder böswilligen Unterstellungen. Vor allem „schwitzen wie ein Schwein“ widerspricht völlig den Tatsachen, denn Schweine haben keine Schweißdrüsen und brauchen daher eine Suhle, um sich abzukühlen. „Hier sieht es ja aus wie im Schweinekoben!“, werfen genervte Eltern ihren Kindern vor, obwohl Schweine ihre Koben sauberhalten und sorgfältig in Fress-, Ruhe- und Kotplätze einteilen, insofern man ihnen genügend Platz zugesteht. Folglich fällt auch „stinken wie ein Schwein“ auf den Menschen zurück, denn bei guter Haltung mit viel Auslauf sind Schweine sehr reinlich. Dasselbe gilt für den „Saufraß“ – dauernd im Stall gehaltene Schweine wurden oft nur mit allerlei Abfällen gefüt-

tert, während das Wildschwein ein ausgesprochener Feinschmecker ist, der ganz bestimmte Eichel-, Mais- und Kartoffelsorten bevorzugt und bei guter Futterlage andere Sorten verschmäht. Die Redensart „bluten wie ein (angestochenes) Schwein“ erinnert an Hausschlachtungen, ist also nur für ältere Menschen und solche mit bäuerlichem Hintergrund noch in der Alltagserfahrung verankert. Auch „ wie eine gesengte Sau rennen / schreien / quieken“ beruht auf sehr spezifischer Erfahrung, denn hier ist das angeschossene Wildschwein gemeint. In noch weiterer Übertragung können Menschen dann „wie eine gesengte Sau (Auto oder Ski) fahren“ (vgl. die „Rennsau“ und „Pistensau“ in Abschnitt 5.1). Die politisch wenig korrekte Charakterisierung „dumm wie Bohnenstroh“ vergleicht die betreffende Person mit etwas Unbelebtem, das gar nicht intelligent sein kann. Ihre rüde Steigerung „dumm wie Schweinemist“ wählt als Vergleichsobjekt ein Abfallprodukt des Organischen, das noch dazu „anrüchig“ im wörtlichsten Sinn ist. Es wurde bereits skizziert, dass das fruchtbare und genügsame Schwein seinem Besitzer zu bescheidenem Wohlstand verhilft. Daher sorgte das Ferkel als Trost-

Abb. 3: Der Rüssel als Wählscheibe.

Da grunzte das Schwein,   die Englein sangen; So sind sie beide hineingegangen.

Abb. 4: Verpackungstüte für Wurstwaren.

Robert Gernhardt hat sie als Titel der von ihm herausgegebenen Wilhelm-Busch-Ausgabe (Busch 2000) gewählt. Die negativen Bewertungen des Schweins sind so zahlreich jitter: 51


preis früherer Lotterien zwar für Spott, war aber ansonsten durchaus willkommen – sein Gewinner hatte „nochmal Schwein gehabt“. Folglich wurde das Schwein zum Glückssymbol, was sich in Redensarten wie „Glücksschwein“, „ Schwein haben“ und „Sauglück“ spiegelt. In etlichen herabmindernden Redensarten steht „Schwein“ oder „Sau“ statt „irgendein Mensch“: es war kein Schwein da;   das interessiert doch kein Schwein;   es guckt mal wieder keine Sau; das kann doch kein Schwein lesen;   das versteht doch kein Schwein. Noch drastischer sind Redensarten, in der die Sau für das denkbar Schlechteste steht: Etwas „ist unter aller Sau“ oder man macht „jemanden zur Sau“. Zusammenfassend stellt man also eine beispiellose Ambivalenz der Zuschreibungen fest (der einzige annähernd vergleichbare Fall ist die Katze, deren Image zwischen anmutig und verschlagen, zwischen verehrter Mäusejägerin Abb. 5: Grund zur Freude?

Abb. 6: Werbung als aggressiver Angriff.

und unheimlichem Hexentier schillert). Dies belegt insbesondere die Verwendung der Vorsilbe „sau-“ als Steigerung von sehr Gutem und sehr Schlechtem: Man fühlt sich „sauwohl“, bewundert etwas als „saugeil“, findet aber auch andere (Menschen!) „saublöd“. Es erforderte eine eigene umfangreiche Monographie, die vielen Redensarten und Sprichwörter zum Schwein zusammenzutragen (siehe etwa Dannenberg 1990: 197205). Da es hier um visuelle Stilisierungen geht, seien nur exemplarisch einige aufgelistet, um die Bandbreite der Zuschreibungen anzudeuten: Jede Sau nennt ihre Ferkel schön.   Wo haben wir denn zusammen Schweine gehütet? (= Seit wann duzen wir uns denn?).   Perlen vor die Säue werfen (= seine Talente an falscher Stelle vergeuden).   Sauglocken läuten (= Zoten erzählen). Wer sich unter die Kleie mengt, den fressen die Säue.   Man kann nicht den Speck essen und das Schwein behalten wollen.

3. Von Rüsselscheibe bis Ringelschwanz – Schweine aus der Sicht des Zeichners Aus Sicht eines Zeichners sind Schweine ein „gefundenes Fressen“, denn jeder ihrer Körperteile lässt sich gut stilisieren. Als Ausgangspunkt der Betrachtungen bietet sich die Definition des Schweins im Deutschen Universalwörterbuch (Dudenredaktion 2001: 1420) an: „kurzbeiniges Säugetier mit gedrungenem Körper, länglichem Kopf, rüsselartig verlängerter Schnauze, rosafarbener bis schwarzer, mit Borsten bedeckter Haut und meist geringeltem Schwanz“. Es fällt auf, dass diese Passage nur das unmittelbar Sichtbare beschreibt und keine zoologischen Einteilungskriterien wie „Paarhufer“ oder „Nicht-Wiederkäuer“ verwendet. Die meisten Zeichnungen zeigen Hausschweine, die der Definition besonders gut entsprechen. • Körper walzenförmig; • Beine säulenartig, wenig gegliedert; • Haut borstig oder glatt • Farbe rosa oder gescheckt, selten einfarbig dun- kel; • Augen klein; • Rüssel unverhältnismäßig dick (bis zur halben Kopfbreite); • Ohren traurig hängend vs. fröhlich/neugierig hochgereckt; •Schwanz traurig hängend vs. fröhlich geringelt.

wunschkarten, die lediglich eine Rüsselscheibe in Frontalansicht zeigen. Die Realisierungen reichen von der stark beschönigenden Zeichnung mit Goldflitter und Sternchen bis zum sehr realistischen Foto von einem verdreckten Rüssel. Der Rüssel ist also das eindeutigste „Kürzel“ des Schweins, weit abgeschlagen auf dem zweiten Platz folgt das Kennzeichen seiner Hinterseite – der Ringelschwanz. Nicht nur graphisch, auch zoologisch ist der Rüssel etwas Besonderes. Von allen Sinnesmodalitäten des Schweins ist sein Geruchssinn am leistungsfähigsten. Der Rüssel eignet sich aber nicht nur zum Wühlen und Schnüffeln, sondern auch zum feinsten Tasten (was sich beobachten lässt, wenn zahme Schweine sorgsam auch kleinste Krümel von Leckerbissen von der flachen Hand aufnehmen). Beim Vergleich der Stilisierungen von Haus- und Wildschwein bemerkt man komplexe Beziehungen zwischen den Rassen- und Geschlechtsstereotypen. So erzählen einige Bilderbücher von „Mischehen“ zwischen Wildschwein-Keiler und HausschweinSau, nie verliebt sich umgekehrt ein Hausschwein-Eber in eine Abb. 7: Eine tierische Wellnessfarm, Tetsche

Am typischsten für das Schwein ist die runde Rüsselscheibe mit den beiden Nasenlöchern (Beispiele aus der Werbung in Abschnitt 4.1, aus Cartoons in Abschnitt 5.6). Dies belegen am deutlichsten zahlreiche Glückjitter: 52

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Wildschwein-Bache (detaillierte Analyse sowie eine Fabel mit umgekehrtem Ausgang in Schmauks 2004). Texte und Bilder ordnen den Schweinen elementare Formen und Farben zu. Die Säue sind rund, drall, glatt und rosig, die Keiler kantig, muskulös, borstig und dunkel. Diese Dichotomie betrifft sogar Details. So haben alle Keiler durch stilisierte Borsten eine zackige Kontur und ihre bedrohlich spitzen Hauer heben sich deutlich vom dunklen Fell ab. Diese konstante Assoziation von „Wildheit“ mit spitzen Formen und „Zahmheit“ mit runden Formen ist ein Sonderfall eines gestaltpsychologisches Gesetzes, das Wolfgang Köhler in den 1920er Jahren empirisch bewies. Er stellte Versuchspersonen die Aufgabe, abstrakten Formen die Ausdrücke „Maluma“ und „Takete“ zuzuordnen. Alle wählten sprachunabhängig „Maluma“ für runde und „Takete“ für spitze Formen, was belegt, dass wir auch Phoneme als „rund“ vs. „spitz“ empfinden und folglich anhand transmodaler Ähnlichkeiten zwischen Klängen und Formen argumentieren.

Abb. 8: ... und ist Fleisch geworden.

4. Stilisierungen des Schweins in der Werbung Ein semiotischer einfacher Fall sind Schweine in Anzeigen, die Futter und Medikamente für Schweine bewerben. Werbung für solche Produkte ist meist nüchtern-informativ, nur eine Zeitungsannonce für Schweinefutter der Firma Schaumann enthält den witzigen Schattenwurf einer Muttersau, der auch die künftigen Ferkel zeigt (Abbildung 2, Bauernzeitung vom 5.11.2004, S. 27). Sie suggeriert, das Futter garantiere auch Fruchtbarkeit und gesunden Nachwuchs. Die weitaus meisten der gesichteten Werbeanzeigen zeigen zwei Hauptfunktionen der dargestellten Schweine: Sie weisen auf günstige Einkaufsmöglichkeiten hin (4.1) oder preisen sich selbst als Lieferanten von schmackhaftem Fleisch an (4.2). Abschnitt 4.3 beschreibt als Einzelfall eine Verbraucherinformation, in denen die Schweine durch eine Mimik überraschen, die unseren Intuitionen widerspricht. Als Gegenbild zu all den freundlichen Haus- und Sparschweinen dient das Wildschwein, das mit Ausdrücken wie „Aggression“ und „Kampf“ assoziiert wird und daher in Werbeanzeigen auftritt, die Angriff oder Konkurrenz thematisieren (Abschnitt 4.4).

4.1 Themenkreis „Schnäppchen“ Auf Werbeanzeigen und -plakaten tummeln sich zahlreiche Schweine, die auf die preiswerten Waren hinweisen oder zu ihnen rennen. Häufig sind es Sparschweine, erkennbar am Geldeinwurfschlitz auf dem Rücken. Charakteristisch für alle Varianten ist die fröhliche und kommunikative Mimik der Schweine, denn durch Lächeln und Blinzeln versuchen sie den Betrachter davon zu überzeugen, ein wie gutes Geschäft er mit dem Kauf machen wird. Das Schwein wurde also zum bevorzugten Symboltier aller Schnäppchenjäger und zum bildlichen Pendant des Schlagworts „Geiz ist geil“, wobei genau dieser Sparwahn am falschen Platz die wenig artgerechten Bedingungen der Massentierhaltung erhält und verschärft – denn artgerechte Haltung hat bzw. hätte natürlich ihren Preis. Für graphische Späße eignet sich insbesondere der schweinetypische Rüssel, dessen Rüsselscheibe leicht zum Kreis oder Oval stilisierbar ist. Da man explizit von „Steckdosenschnauzen“ spricht, also das lebendige Tier durch eine elektrotechnische Analogie beschreibt, liegt es nahe, dass sein Rüssel auf einer Werbung für

niedrige Strompreise zum Stecker wird (Titelbild vom Stern 35/1999). Oder die Rüsselscheibe wird zur Wählscheibe ausgestaltet, um für einen preiswerten Telefontarif zu werben (Abbildung 3, Audimax 2003/2-3, S. 7). 4.2 Themenkreis „Selbstanbietung“ Den zweiten Themenkreis könnte man summarisch „Selbstanbietung“ nennen. Wieder sind es fröhliche Schweine, die sich selbst auf Gasthaus- und Metzgereischildern als schmackhafter Braten anpreisen; so zeigt Abbildung 4 tanzende Schweine auf einer Verpackungstüte für Wurstwaren. Mitunter sind sie gar in flottem Schweinsgalopp freudig zur Metzgerei hin unterwegs (ein Zyniker könnte hier von „Kamikaze-Schweinen“ sprechen, die ungeduldig und begeistert in den Tod gehen). In manchen Abbildungen klingt zugleich die „geile Sau“ an. So zeigt ein Plakat der „Hauptstadtfleischerei Wache“ (Berlin) eine verführerisch posierende Sau, die ihre knappen Hot Pants lüpft und dem Betrachter ihre prallen Schinken zeigt. Ganz ähnlich verspricht auf einem Metzgerei-Plakat in Salzburg eine Sau „Ich geh’ schon mal vor!“. Ein Bildmotiv mit langer Geschichte sind Schweine, die das Besteck schon im eigenen Rücken mitbringen, um ihren Verzehr zu erleichtern. Es stammt aus dem Märchen vom Schlaraffenland, das seit Jahrhunderten immer wieder neu erzählt wurde, etwa von Hans Sachs (1494-1576) in seinem Gedicht Das Schlaraffenland Die Schweine,   fett und wohlgeraten, laufen im Lande umher gebraten.

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Jedes hat ein Messer im Rück ‘;

4.4 Themenkreis „Wildschwein“

damit schneid‘t man sich ab ein Stück   und steckt das Messer wieder hinein.

In Werbeanzeigen, die dieses Thema phantasievoll ausbauen, baden Schweine etwa in würziger Sauce, um ihren eigenen Geschmack weiter zu verbessern (Hüllenhagen FeinschmeckerJournal 11/2002, S. 7). Solche Bilder scheinen zwei miteinander verknüpfte Aussagen zu suggerieren. Zum einen wird dem Kunden wohlschmeckendes Fleisch versprochen, das zu seiner gesunden Ernährung beiträgt. Zugleich wird aber sein möglicherweise zuckendes Gewissen beschwichtigt, denn das Lebensziel dieser fröhlichen Tiere scheint ja gerade darin zu bestehen, nach ihrem Tod mit Genuss verzehrt zu werden. 4.3 Themenkreis „Verbraucherinformation Schweinefleisch“ Eine Broschüre, die den Verbraucher über Schweinefleisch informiert, zeigt in Gegenüber­ stellung stilisierte Schweine früher und heute (Abbildung 5 aus 3 Minuten Information: Vom Schwein. Informationsgemeinschaft für Meinungspflege und Aufklärung). Überraschend und intuitiv schwer verständlich ist hier deren Mimik. Heutige Schweine werden zwar besser gehalten, leben aber auch nur ein halbes Jahr statt drei Jahre. Soll man aus dieser Gegenüberstellung folgern, dass die Tiere selbst sich darüber freuen, dass sie nun kürzer leben als früher? Angesichts mancher Haltungsbedingungen könnte der Mensch einen „Todeswunsch“ der Tiere zwar nachvollziehen – speziell als Verbraucherinformation wäre dieses zynische Fazit aber wohl kaum erfolgreich.

In der Einleitung wurde bereits ausgeführt, dass Wildschweine das letzte wehrhafte Wild in mitteleuropäischen Wäldern sind. Vor allem den Keilern sagt man große Aggressivität und Kraft nach, obwohl Bachen sie bzgl. Angriffslust und Tapferkeit noch übertreffen, wenn sie ihre Frischlinge in Gefahr sehen. Folglich liegt es nahe, das Stereotyp des wilden Keilers auch in der Werbung zu verwenden. Eine Gratispostkarte der Deutschen Post Consult GmbH (Abbildung 6) wirbt für Postkarten als unaufdringliche Werbeträger und bezeichnet andere Werbung als „aggressive Keilerei“. Ganz ähnlich zeigt eine Werbeanzeige für die Fernsehsendung „Wahlkampf live“ von N24 zwei kämpfende Warzenschweinkeiler, die ihre mächtigen Schädel gegeneinander stemmen (Süddeutsche Zeitung vom 10.9.2002). 5. Stilisierungen des Schweins im Cartoon Nicht nur zahllose einzelne Cartoons verwenden Schweine als Protagonisten, sondern für Zeichner wie Michael Sowa, Marunde, Haitzinger, Tetsche, F.K. Waechter, Hans Traxler und Gerhard Glück ist das Schwein sogar eine Art „Wappentier“. In diesem Abschnitt werden einige Themenkreise vorgestellt, die immer wieder vorkommen. 5.1 Themenkreis „Redensarten wörtlich genommen“ Der linguistische Fachausdruck „Demetaphorisierung“ bezeichnet Fälle, in denen metaphorische Redensarten (wieder) wörtlich genommen werden. Im Kontext von „Schweinereien“ liegt diese Tech-

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nik nahe und wird außerordentlich häufig eingesetzt, wie die anschließende kursorische Auflistung von typischen Beispielen zeigt. „die Sau rauslassen“ Wie in Abschnitt 2 ausgeführt, schlummert in uns allen eine Sau als Verkörperung des triebhaften Es, die darauf lauert, herausgelassen zu werden. Ein Cartoon von Marunde (Postkarte) zeigt eine geradezu „rekursive“ Szene, denn hier lässt die dargestellte Sau ihrerseits „die Sau raus“. Selbige, in den Pedalen stehend, mit Rennfahrerbrille und „WROUM, WROUM!“ rufend, lenkt gerade aufgekratzt ein Fahrrad halsbrecherisch durch eine Kurve, während ein Hahn sich verzweifelt am Gepäckträger festklammert und sich selbst vorwirft: „Ich hätte die Sau niemals rauslassen dürfen...“ Der Betrachter denkt hier spontan an die „Rennsau“ und die „Pistensau“ (siehe unten). Demetaphorisierungen der Redensart „die Sau rauslassen“ tauchen in vielen weiteren ganz

unterschiedlichen Zusammenhängen auf (die folgenden drei Beispiele betreffen Fotos, keine Cartoons). Auf einer Postkarte des Tierschutzbundes steht eine völlig verdreckte Sau in einem nur körperbreiten Stall und die Bildunterschrift fordert „Lasst die Sau raus!“. Ein Faltblatt der Biobauern-Organisation Neuland verspricht „Wir lassen die Sau raus“, und auf dem Foto streift eine „befreite“ (und folglich saubere!) Sau bereits neugierig über ihre Weide. Derselbe Text gewinnt eine völlig gegenläufige Bedeutung auf einer Postkarte mit dem zynisch wiederverwerteten Foto einer herkömmlichen Hausschlachtung, denn hier trottet die Sau ahnungslos dem Metzger entgegen, der bereits mit dem Holzhammer wartet. „Kein Schwein hört mir zu“ In einem Cartoon von Tetsche (Stern 46/2001, S. 186) stammt diese Klage von einem Patienten, der entsprechend dem klassischen Freud’schen Setting auf der Couch liegt und offenbar unaufmerk-

sam ist, denn hinter ihm sitzt ein Schwein und hört (mit verständlicherweise indignierter Miene) zu. Auch die Gans in einem Cartoon von F.W. Waechter (Postkarte), die Kopfstand in einem Stiefel macht, liegt falsch mit ihrer Vermutung „Wahrscheinlich guckt mal wieder kein Schwein“, denn das sie beobachtende Schwein äußert gerade ein bewunderndes „Toll!“. „Männer sind Schweine“ Wieder muss die Psychiatrie den Diskursrahmen liefern, denn diesen verbitterten Vorwurf äußert auf einer Postkarte von Tetsche eine Sau auf der Therapiecouch. Kritik am vermeintlichem Sexismus dieses Cartoons hinkt den Fakten hinterher, denn auf einer bzgl. Geschlechtsstereotypen spiegelbildlichen Karte beklagt sich ein Ziegenbock „Alle Frauen sind Zicken!“. „Wellness-Farm“ Ein weiterer Cartoon von Tetsche (Abbildung 7, Postkarte) holt den Lifestyle-Ausdruck „Wellness-

farm“ zurück ins äußerst Bodenständige, denn die „farm“ ist wieder ganz rustikal der Bauernhof, und „wellness“ wird konsequent schweinisch gedeutet als „lustbetont“.

te von Enny Schouten verwandelt diesen Vorwurf in einen selbstbewussten und solidarischen Gruß von den Gay Games 1998 in Amsterdam.

ein verliebtes Schweinepärchen im Grünen (Playboy 5/1999, S. 87). Die Beispiele im nächsten Abschnitt thematisieren die Gegenrichtung dieser Verwandlung.

„fahren wie eine Wildsau“ Diese Redensart bemüht die wilden Verwandten des Hausschweins. Denn wer dafür berüchtigt ist, Mais- und Kartoffeläcker zu verwüsten, wird bei Besitz eines Autos auch „fahren wie eine Wildsau“ bzw. sich als „Rennsau“ gebärden (Haitzinger, Bunte 11/2004, S. 145). Eine ganz ähnliche Rücksichtslosigkeit fürchtet man an der „Pistensau“ (Johanna Ignjatovic, Playboy 3/2000, S. 81).

Michael Sowas Suppenschwein (Postkarte) setzt den Vorwurf des „Dreckschweins“ einprägsam ins Bild um: Ein nur spannenlanges Schwein, das dreist den Betrachter beäugt, plantscht fröhlich in einem Teller Suppe herum und hat dabei bereits das ganze Tischtuch und die adrett gefaltete Serviette bekleckert. Die drallen und eher weiblichen Rundungen des Hausschweins motivieren zu einer Vielzahl von sexuellen Anspielungen. In einem Cartoon von Tetsche (Stern 3/2002, S. 70) wird die aus Schnee geformte Figur eines unübersehbar weiblichen Schweines kommentiert mit „Echt coole Sau!“. Eine andere Zeichnung holt die Formulierung „Schweinelendchen im Kräuterbeet“ aus der Speisekarte zurück ins Reich des Lebendigen, denn auf der Zeichnung schäkert

5.2 Themenkreis „Verwandlung von Tier in Fleisch“

Abb. 9:

Abb. 11:

Im Tode vereint?!, Johann Mayer

Ab sofort wird zurückgeschossen,

„schwule Sau“ Gar kein Vorbild in der tierischen Ursprungsdomäne hat das homophobe Schimpfwort „schwule Sau“. Aber da das Schwein der Inbegriff aller Schlechtigkeiten ist, kann man der (weiblichen!) Sau sogar eine „Perversion“ nachsagen, die definitionsgemäß zwischen Männern stattfindet. Eine Postkar-

Während die fröhlichen Schweine auf Gasthaus- und Metzgereischildern (vgl. Abschnitt 4.2) dem Käufer gegenüber die Realität der Schweineproduktion verschleiern, stellt ein Cartoon unverblümt dar, wie ein lebendes Tier in Fleisch verwandelt wird (Süddeutsche Zeitung vom 10./11.5.2003, S. 2). Der Körper ist bereits in Scheiben zerschnitten, das Schwein starrt auf ein bereits ausgelöstes Kotlett (Abbildung 8). Diese abstrakte Darstellung der Fleischscheiben ist am ehesten in einem Kulturkreis möglich, in dem zerteiltes und hygienisch verpacktes Fleisch keinen Gedanken an den lebenden Produzenten mehr auslöst (während in Landmetzgereien des Mittelmeerraums auch

Greser + Lenz Abb. 10: Ein einziges Herz schlägt, ach,

Abb. 12:

in unserer Brust..., Til Mette

Das anonyme Schlachten wird personalisiert, Volker Kriegel

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heute noch ganze Schweine und Hammel hängen). Die graphische Realisierung erinnert an Maurits C. Eschers Überlagerungsbilder, auf denen mehrere Bildmotive einander durchdringen. Zynische Darstellungen dieses Typs sind ein medienübergreifendes Phänomen; so beschreibt der Schweine-Tango von Dieter Hallervorden lebende Tiere durchgehend mit Fachausdrücken aus dem Fleischerhandwerk, etwa in den Zeilen: [...] Wiegt sich Schweinebauch an Schweinebauch im Takte   das geht beiden ins Ragout und ins Gehackte. [...] Ihr geht sein Flachsen bis in die Haxen   „Liebling, dein Bauchspeck ist so wunderbar durchwachsen!“ [...] Der alte Eber nennt sie „mein Püppchen“   legt ihr charmant sein Eisbein um ihr Kassler Rippchen. [...] Er schwört ihr Liebe zweidrei- und vierfach:   „Ich werd dich immer lieben, auch noch im Gefrierfach!“ Das Restaurant „Küchenfürst“ in Großhesselohe wirbt in einer Zeitungsannonce (4/2005) mit einem gekrönten Schwein, das in Anlehnung an der Froschkönig

lockt: „Küss mich, ich bin ein verzaubertes Cordon Bleu!“. Und in einem Cartoon von Uli Stein (Postkarte) sagt ein Schwein mit Handy eine Verabredung mit folgender Begründung ab: „Freitag ist ganz schlecht, da werde ich geschlachtet!“. Mehrere Cartoons von Alexander Wolf (2001, alle o.S.) zeigen traurige Schweine, die ihr künftiges Schicksal vorhersehen. Sie haben Albträume von ihrer Verwurstung, sind bereits halb in eine Wurst verwandelt oder beweinen einen bereits in Wurst verwandelten Artgenossen. Ähnlich beklemmend ist der Cartoon in Abbildung 9 (Johann Mayer in Die Zeit 44/2004, S. 72): Zwei Schweine, einander umarmend, bitten den hinter seiner Theke stehenden Metzger „Wir möchten zusammen in eine Wurst!“ Interessanterweise sind auch Sparschweine vom Tod bedroht. In einem Cartoon von Lola König (Postkarte) schließt sich der Kreis vom lebenden Schwein zum Sparschwein und wieder zurück, denn vom Sparschwein ist durch heftigen Konsum nur noch das Gerippe übrig...

5.3. Themenkreis Xenotransplantation Dass das Schwein dem Menschen physiologisch stark ähnelt, ist ihm noch nie gut bekommen. An ihm werden nicht nur Medikamente, Operationsverfahren und Sicherheitseinrichtungen ausprobiert, sondern auch alle neuen Waffen. Eine ganz neue Möglichkeit ist die Verwendung des Schweins als Organspender (sog. „Xenotransplantation“). Da die Organe des Schweins in Struktur und Größe denen des Menschen gleichen, arbeitet die Forschung intensiv daran, Schweine gentechnisch so zu verändern, dass ihre Organe vom menschlichen Körper nicht mehr abgestoßen werden. Sobald diese Probleme gelöst sind, stehen Schweine als „Ersatzteillager“ bereit (sogar für solche Menschen, die ihre eigenen Organe fahrlässig ruiniert haben). Es liegt nahe, dass Cartoonzeichner auch diese Entwicklung aufs Korn nehmen. In einem Cartoon von Til Mette (Stern 4/2002, S. 100) teilt eine Frau ihrem bettlägerigen Mann mit „Die Ärzte sagen, sie haben ein Spenderherz“. Durch die halb geöffnete Tür sieht man einen Arzt, der ein durch den Gang flitzendes Schweinchen ein-

zufangen versucht. Ein Szenario desselben Zeichners (Abbildung 10, Stern 51/2002, S. 70) schlägt eine Art „Chimäre“ vor, um die besonderen ethischen Probleme von Vegetariern zu lösen. 5.4 Das Schwein als Rächer der Enterbten Gerade Cartoonzeichner sind oft besonders sensibel für die von Menschen erzeugten Leiden von Lebewesen, die selbst keine Stimme haben. Eine bildliche Antwort auf die vielen sich selbst anbietenden (Abschnitt 4.2) oder in Fleisch verwandelten Schweine (Abschnitt 5.2) sind darum Schweine, die den Kampf mit dem Metzger wagen. Sie schreiben nachts mit blutroter Farbe „Schweinemörder“ auf seine Schaufensterscheibe (F.K. Waechter, Postkarte), treten mit dem Schlachtruf „Nur über meine Leiche!!!“ seinem Stichmesser mit der Flinte entgegen (Papan, Postkarte) oder verteidigen sich mit der Pistole gegen einen riesigen Betäubungshammer (Abbildung 11, Greser & Lenz, Raben-Kalender 2005, Blatt vom 1. September).

Abb. 13:

Abb. 14:

Ferne Welten, ferne Zeiten,

Schweinehimmel, gary Larson

5.5 Verschweinung bekannter Gemälde Ein hier nur skizzierter Themenkreis, der einer eigenen Analyse bedürfte, ist die „Verschweinung“ von bekannten Gemälden, auf denen die porträtierten Menschen durch Schweine ersetzt wurden (vgl. die Ausstellung „Duckomenta“, die zahlreiche Porträts wie die Mona Lisa als Enten zeigt). Wem der Ausdruck „Verschweinung“ zu flapsig klingt, der möge das weit wissenschaftlicher klingende Pendant „Hyomorphisierung“ verwenden (von griechisch „hyos“ = „Schwein“). So ist Volker Kriegels Cartoon Freitag, der Dreizehnte (Abbildung 12) inspiriert durch Goyas Gemälde Die Erschießung der Aufständischen am 3. Mai 1808, das die Hinrichtung spanischer Rebellen während der napoleonischen Besatzung darstellt. Im Cartoon liest ein Metzger die aktuelle „Todesliste“ vor, und der Zeichner hat seinen drei Schweinen die theatralische Gestik von Goyas Todgeweihten verliehen, die das Spektrum möglicher Reaktionen ausdrücken, nämlich fassungslose Erstarrung, Verzweiflung oder Flehen um Gnade. In völligem Gegensatz zur Anonymität des industriellen Schlachtens, bei dem das einzel-

ne Schwein nur Element einer Tagesserie ist, erhält es in diesem Cartoon ein Gesicht und damit ein unverwechselbares Schicksal. 5.6 Weitere Stilisierungen Die Fruchtbarkeit von Schweinen ist Grundlage des Cartoons „Kindersegen“ (Horsch in Süddeutsche Zeitung vom 27.4.2005, S. 4). Hier säugt die Muttersau EU ihre zahlreichen Ferkel, und vom rechten Bildrand her (also aus der Zukunft, wenn man die Zeitrichtung „abendländisch“ deutet) springen zwei weitere Ferkel auf sie zu, auf deren Schwarte ihre Namen stehen, nämlich „Rumänien“ und „Bulgarien“. Insgesamt gesehen wird jedoch Fruchtbarkeit im Cartoon eher durch das noch fruchtbarere Karnickel ausgedrückt. Ebenfalls zum Brutpflegeverhalten gehört die oft belegte „Ammentätigkeit“ von Schweinen. Von Wildschweinen ist bekannt, dass sie verwaiste Frischlinge derselben Rotte „adoptieren“ und genauso liebevoll säugen, putzen und verteidigen wie ihre eigenen Jungen. Vom Menschen gehaltene Schweine akzeptieren auch Adoptivkinder anderer Arten, sogar Tigerbabies sind schon von ihnen aufgezogen worden. Dieses Verhalten baut ein Cartoon von Ernst

Scott Adams Abb. 15: Rosa Rüssel soll man küssen, denn zum Küssen sind sie da..., Anja Poretzki

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Kahl (Postkarte) zu einer „MultiSpezies-Familie“ aus: Unter dem Titel Leihmutter Jolanthe säugt eine zufrieden daliegende Sau ein einziges Ferkel und fünf andere Jungtiere vom Kätzchen bis zum (allerdings nur ferkelgroßen) Elefantenbaby. Aus Sicht moderner Stadtmenschen gilt das Zusammenleben mit Schweinen als ausgesprochen hinterwäldlerisch. Dies kommt in einem Dilbert-Cartoon von Scott Adams zum Ausdruck, in dem die bärtigen und analphabetischen Bewohner des fernen Elbonien bis zur Taille im Schnee stehen, begleitet von einem bis zum Hals versunkenen Schwein (Abbildung 13). Wie in Werbeanzeigen (Abschnitt 4.4) steht auch im Cartoon das Wildschwein, insbesondere der Keiler, für ungezügelte Wildheit. Diese Zuschreibung wird sogar von Hausschweinen geteilt. Auf einer Postkarte von Marunde kommentiert eine sich suhlende Sau das Herannahen einer Wildschweinrotte mit dem Ausruf „Mist! Indianer!“ (vgl. Schmauks

2004: Abschnitte 3.2.2 und 4). Auf einer (äußerst schweinischen) Zeichnung von Reiser sieht man eine erschossene Bache sowie einen vor Rachsucht rasenden und erkennbar erregten Keiler, der den Jäger mit dem Gesicht gegen einen Baum rammt, ihm die Hosen heruntergerissen hat und schreit: „Du hast meine Frau getötet, du wirst sie ersetzen!“. Auch einzelne Körperteile, insbesondere der Rüssel, dienen wieder für graphische Späße. So mutiert in einer politischen Karikatur die Rüsselscheibe eines Sparschweins zum Mercedesstern (Pepsch Gottscheber in Süddeutsche Zeitung vom 12./13.3.2005, S. 19), in einer anderen wird der Rüssel eines Sparschweins zum Geschützrohr und verweist auf Sparmaßnahmen der Bundeswehr („Strucks Feldzug“, Horsch in Süddeutsche Zeitung vom 14.1.2004, S. 4). Eine Sau verwendet ihren Rüssel als Schnorchel, nachdem sie im Dorfteich untergetaucht ist, um dem Metzger zu entkommen (Marunde, Postkarte). Und der clevere „Korky-Porky“

schließlich benutzt seinen spiralförmigen Ringelschwanz als Korkenzieher (Wolf 2001: o.S.). Alles am Schwein – Fleisch, Schwarte, Borsten – ist ohnehin verwertbar, sogar die Ohren als Hundespielzeug. Folglich bezeichnet der Ausdruck „eierlegende Wollmilchsau“ nicht nur eine nicht-existierende Chimäre, sondern auch einen äußerst unbescheidenen und unerfüllbaren Wunsch. Auf einem Cartoon von Murschetz (Süddeutsche Zeitung vom 12./13.11.2005, S. 4) eilt Angela Merkel zu einer wolligen Sau mit (Kuh)Euter, die bereits ein Ei gelegt hat. Auf ihrem Melkeimer steht das Kürzel für „Mehrwertsteuer“, und hinter der Stallwand wartet bereits Franz Müntefering mit dem Schermesser. „Wenn Schweine Flügel hätten, wäre alles möglich“, behauptet ein altes englisches Sprichwort. Vermutlich deshalb sind geflügelte Schweine ein beliebtes Bild- und Figurenmotiv. Der Reiz dieser Chimären, die man „Pig-a-Sus“ nennen könnte, liegt im Gegensatz zwischen

Abb. 16: Das Happy−End von Rosalie und Trüffel, Reider und Bücker

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einem so ungemein irdischen Tier mit unbezwingbarer Leidenschaft für Wühlen und Suhlen, und den hinzugefügten Flügeln, die mit Leichtigkeit, Himmel und Jenseits assoziiert werden (siehe etwa Abbildung 14, Larson 1988: 10). Auch das Wildschwein, das bei Wilhelm Busch den Heiligen Antonius begleitet, ist nach seiner Verklärung geflügelt (siehe Abschnitt 2). Angesichts der oft winzigen Flügelchen fragt man sich, ob und wie die Flügelschweine sich überhaupt erheben könnten. Aber schließlich hat man auch lange gerätselt, warum Hummeln als recht schwere Insekten mit kleiner Flügelfläche überhaupt fliegen können. Erst Ende des 20. Jahrhunderts entdeckte man, dass sie beim Fliegen Wirbel erzeugen, die für den nötigen Auftrieb sorgen. Ein weiteres Beispiel für die Stilisierung einzelner Körperteile liefern die vielen Schweinepaare, die ihre „passgenauen“ Rüsselscheiben aufeinander drücken. Auf dem Titelbild des Buches Rosalie und Trüffel (Reider und Bücker 2004) küssen sich das Hausschwein-Mädchen Rosalie und der junge Keiler Trüffel – der Beginn einer von vielen angefeindeten „gemischten“ Beziehung (siehe die Detailanalyse in Schmauks 2004: Abschnitt 3.3). Abbildung 15 zeigt die Postkarte Küssende Schweinchen von Anja Poretzki, während eine Werbekarte der Dating Community „berlinerliebe“ dieselbe Szene mit etwas naturalistischer gezeichneten Schweinen ins Bild setzt. Eine dieser Stilisierungen ist geradezu „metaphysisch“ und soll daher diesen Artikel beenden. Das letzte Bild des Buches Rosalie und Trüffel zeigt in Draufsicht ein aneinandergekuscheltes Schweinepaar und belegt, dass die beiden Protagonisten alle Anfechtungen

überwunden haben (Abbildung 16, Reider und Bücker 2004: o.S.). Die helle Sau und der dunkle Keiler entsprechen dabei strukturell und farblich dem Yin-Yang-Symbol der chinesischen Philosophie (abgesehen davon, dass die Zuordnung von Farbe und Geschlecht vertauscht wurde) und drücken somit eine Versöhnung aller Gegensätze aus, insbesondere der von Rasse und Geschlecht.

Dudenredaktion (ed.) (2001): Deutsches Universalwörterbuch. 4., neu bearbei− tete und erweiterte Auflage. Mannheim u.a.: Dudenverlag. Hennig, Rolf (1998): Schwarzwild: Biologie, Verhalten, Hege und Jagd. München: BLV. Larson, Gary (1988): Night of the Crash−Test Dummies. Kansas: Andrews and McMeel. Lichtenberg, Georg Christoph (1994): Schriften und Briefe in vier Bänden. Frankfurt a.M.: Zweitausendeins. Meynhardt, Heinz (1984): Schwarzwild−

Dieser Artikel ist erstmals erschienen in: Schmauks, Dagmar (2006): Ringelschwanz und rosa Rüssel. Stili-

Report. Melsungen: Neumann−Neudamm. Möllers, Florian (2003): Wildschweine. Stuttgart: Franckh−Kosmos.

sierungen des Schweins in Werbung und Cartoon. IMAGE 3 (15.1.2006). http://www.bildwissenschaft.org/VIB/

Reider, Katja und Jutta Bücker (2004): Trüffel und Rosalie. Eine Geschichte vom Glück. / Rosalie und Trüffel. Eine

journal/index.php?function=fnArticle

Geschichte von der Liebe. München:

&showArticle=82

Hanser.

* Danksagung Anne Sauer danke ich für weiterführende Kommentare zu einer Vorversion des Textes sowie ihr und Beate Frenz für das sorgfältige Scannen der Abbildungen. Zu meinem Wissen über Schweine haben einige Personen erheblich beigetragen, vor allem Gunther Nitzsche und Hans-Dieter Dannenberg (beide Deutsches Schweine-Museum Teltow-Ruhlsdorf) sowie Rosemarie Plarre (Museumsdorf Düppel Berlin). Literatur

Schmauks, Dagmar (2000): "Teddy Bears, Tamagotchis, Transgenic Mice. A Semio− tic Typology of Artificial Animals". Sign System Studies 28: 309−325. Schmauks, Dagmar (2001): "Künstliche Tiere". In: Jeff Bernard und Gloria Withalm (eds.): Mythen, Riten, Simulakra. Semiotische Perspektiven. Akten des 10. Internationalen Symposiums der Öster− reichischen Gesellschaft für Semiotik (Wien 2000). Wien: ÖGS: 1151−1175. Schmauks, Dagmar (2004): "Der Keiler sprach zur Sau: 'Wir werden Mann und Frau!'. Eine besondere Verschränkung von Rassen− und Geschlechtsstereo− typen im Bilderbuch". Kodikas 27: 127−141. Timm, Uwe (1993): Rennschwein Rudi Rüs− sel. München: dtv.

Abt−Baechi, Regina (1983): Der Heilige und das Schwein: zur Versöhnung von Geist und Natur. Eine tiefenpsycholo−

Wolf, Alexander (2001): Cartoons. Graz u.a.: Styria.

gische Untersuchung am Beispiel der Figur des "Schweine−Antoni" oder des Hl. Antonius des Eremiten. Zürich: Daimon. Busch, Wilhelm (2000): Da grunzte das Schwein, die Englein sangen. Ausgewählt und mit einem Essay von Robert Gern− hardt. Frankfurt a.M.: Eichborn−Verlag. Dannenberg, Hans−Dieter (1990): Schwein haben. Historisches und Histörchen vom Schwein. Jena: Fischer.

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Ihre Bilder- und Jugendbuchillustrationen wurden u.a. mit dem Österreichischen Jugendbuchpreis und dem Förderpreis der Stadt Troisdorf geehrt, von der Stiftung Buchkunst ausgezeichnet und unter die Besten 7 des Deutschlandfunks gewählt. In der Zeitkunstgalerie in Halle ist am 14. August 2006 eine große Werkschau der erfolgreichen Hamburger Illustratorin Stefanie Harjes eröffnet worden, in der neben ihren Zeichnungen für den Kinder- und Jugendbuchmarkt, ihre Keramikkunst in Zusammenarbeit mit Urte Reisgies und ihrer Kollektion ‚Liebeslied’ für Arzberg, ihre wichtigsten Zeitschriften- und Buchillustrationen, sowie freie Arbeiten und Objekte der letzten zehn Jahre zu sehen sind.

Betty Protest im Spargelbeet von Mareile Oetken

Wenn man im ‚Atelier ‚Überm Wind’ in Hamburg anruft, wird man sehr freundlich von Betty Protest und Stefanie Harjes begrüßt. Bis vor kurzem wohnte dort auch noch das Ferd. Doch das Ferd, Protagonist aus Stefanie Harjes erstem und leider bis heute unveröffentlichten Bilderbuch ‚Komm ich erzähl Dir was vom Ferd’ (1996), weilt schon eine ganze Weile zu Bewerbungszwecken in der Steiermark und denkt nicht daran, nach Hause zukommen. Es hat bereits im Jahr 2000 mit einem Förderpreis der Stadt Troisdorf Lorbeeren gesammelt. Vielleicht ist ihm der frühere Ruhm zu Kopf gestiegen oder es hat sich bodenständig verliebt, beides würde ihm ähnlich sehen, dem Rumtreiber. Stefanie Harjes ist 1967 in Bremen geboren, das ist deshalb wichtig, weil sie sonst wohl kaum 2005 die April-Bremerin des Mo-

nats geworden wäre. Nach kurzen Episoden in der Fremdsprachenschule, im Marketing und im Nebenerwerb als Schuhverkäuferin und Briefträgerin hat sie sich bis 1996 ganz dem Illustrationsstudium in Hamburg bei Rüdiger Stoye und in Prag gewidmet. Seit 1994 arbeitet sie in ihrem Atelier ‚Überm Wind’. Ihr künstlerisches Schaffen ist ausgesprochen vielfältig und doch erkennt man ihren feinen, subtilen Strich sofort. Louise Bourgeois sagte einmal über ihre eigenen Zeichnungen, sie seien wie federleichte Gedanken oder wie Gedanken, mit leichter Feder gezeichnet. Besser kann man auch Stefanie Harjes Ästhetik kaum beschreiben. Für Sinnlichkeit, Körperlichkeit und Geschlechterdifferenz findet sie überraschende, lustvolle, erotische, absurde, zutiefst tragische wie komische Symbolisierungen. Und immer ist es diese Mischung, die den Betrachter

in den Bann zieht. Mit derselben Ernsthaftigkeit, immer mit einer Prise Schalk gewürzt, illustriert sie auch Kinder- und Jugendbücher, gesteht auch ihnen Sinnlichkeit in kraftvoll leuchtenden und zugleich zarten, hintergründigen Bildern zu (‚Die Häuser der Selma Khnopff’ (2005), ‚Literaturlesebuch’ (2005), ‚Sagenbuch’ (2006)). Meist sprechen ihre Kinder- und Jugendbücher eine breite Zielgruppe an. Hauptsächlich zeichnet sie jedoch für Zeitschriften und Magazine, z.B. für ‚Der Spiegel’ oder die ‚Brigitte Young Miss’. Einfach lecker sind die Zeichnungen für den ‚Feinschmecker’, den ‚Weingourmet’. Konsequenterweise hat sie auch erfolgreich Diätbücher (Dr. Nicolai Worm) illustriert. Besonders gern erinnert sie sich an die Arbeiten für die Kolumne von Alexandra Starck ‚Moskau einfach’ in der schweizerischen Zeitschrift Annabelle. jitter: 63


Und wer ist Betty Protest, die Namenspatronin der Werkschau? Betty ist seit mittlerweile zehn Jahren Stefanie Harjes imaginäre Frontfrau, ein Medium der Selbstreflexion und ihrer Fantasie mit durchaus clownesken Zügen. Die Distanz des Imaginären lässt viel Nähe zu. Betty liebt viel und liebt viel Wein, sie steht für die 7 Todsünden inklusive Völlerei und Langschlafen. Angefangen hat das künstlerische Doppelleben mit erotischen, tragikkomischen, absurden und nicht zuletzt literarisch kunstvollen Notizen über Bettys intensives und komplexes Gefühlsleben. Die daraus sich entwickelnden Zeichnungen zu Betty waren getragen von dem Wunsch, die Materiallastigkeit und das Gestische in den Arbeiten der Anfangsjahre hinter sich zu lassen und „einfach nur zu zeichjitter: 64

nen“. Wie Giacomettis veränderte Wahrnehmung die Dimensionen seiner Skulpturen prozesshaft hat schrumpfen lassen, wurden die Zeichnungen zu Betty im Laufe der Jahre immer ausgearbeiteter, räumlicher dekorativer und feiner (‚Moskau einfach’,2005). Spuren von Betty lassen sich in den meisten Arbeiten jenseits der Illustration für den Kinder- und Jugendbuchmarkt finden: „Je freier die Aufträge sind, desto mehr steckt von Betty drin.“, erläutert die Illustratorin die Entwicklung. In ihrem neuesten Schaffen sucht die Hamburger Künstlerin neue Wege der Abstraktion mit betonter Materialität und Collage. In ‚Dufte Bienen - dufte Drohnen!’ (2006) experimentiert sie mit Xerografien, die sie auf weiß grundiertes Holz collagiert. Stefanie

Harjes hat dazu in alten Familienalben gestöbert und die Generation der Ur- und Ururahnen mit Bienenkörpern aller Art versehen und die liebevoll benannten Mischwesen/ Anthropomorphisierungen zeichnerisch bearbeitet. Die zarte Figurativität schimmert unter einer sattgelben, verführerisch duftenden Bienenwachsschicht wie ein längst verhallter, rätselhafter Gruß aus vergangenen Tagen hervor. Allein Johanna, die Barrikadenkämpferin, hat sich aus ihrer wächsernen Umklammerung befreien können. Stolz präsentiert sich die Biene vor- und nach ihrer Verwandlung und streckt ihre Flügel und Fühler keck in den Raum. ‚Kvetas Kinder’ (2006) ist die einzige Bildserie der Ausstellung, die, abgesehen von ganz frühen Arbeiten, nicht in einen Betty-Kontext gesetzt wurde. In den zwölf

zartrosa Collagen nackter Kinder auf weiß grundiertem, gepresstem Holz unter geschliffenem Plexiglas verzichtet Stefanie Harjes auf jede Form der Ironie, Komik oder gar Erotik, die sonst ihr Werk durchzieht. Anders als die warmleuchtende, weiche Wachsschicht von ‚Dufte Bienen - dufte Drohnen!’, taugt der Kunststoff kaum als Schutzschicht, zeigt er in seiner transparenten Sterilität doch mehr als er verbirgt. Die individuell gestalteten Gesichter der Kinder sind dem Betrachter still zugewandt. Ihre Körper sind nackt und dokumentieren den ambivalenten Moment der einsetzenden Pubertät, an dem die Kindheit endgültig verloren scheint. Die einst ganzheitlich empfundene Körperwahrnehmung zerfällt in Stücke. Die einzelnen, fremdwirkenden Gliedmaßen, Beine, Arme, selbst Köpfe

stehen merkwürdig versetzt und verschoben ab. Erst, wenn Kinder und Jugendliche vollkommen ernst genommen werden, ist so ein unromantischer, unverstellter und doch anteilnehmender Blick möglich, der zutiefst berührt. Insgesamt zeigt die Ausstellung der Arbeiten der letzten zehn Jahre eine erstaunliche Entwicklung. Sind die frühen Arbeiten, z.B. ‚Hasenpaar auf Blumenwiese’ (1996) noch als schwarzer Siebdruck auf Blumentapete von kraftvollem, gestischen Ausdruck geprägt, werden die Illustrationen zunehmend subtiler und komplexer. Immer, auch in der Kinderund Jugendbuchillustration ist Stefanie Harjes Arbeit von großer Leidenschaft und Sinnlichkeit geprägt, deren Dramatik gerne humorvoll gebrochen wird. Der Mut

zur öffentlichen (Selbst-) Reflexion und Rekonstruktion der eigenen Kindheit verleiht den Bildern Authentizität. Die erneute Hinwendung zu freien Arbeiten und der bewusste Einsatz unterschiedlicher Materialwirkung in abstrahierenden Collagen markieren eine neue Richtung im Werk. Es ist ein Erlebnis und ein Vergnügen, diesen künstlerischen Prozess zu verfolgen und in der Ausstellung ‚Betty im Spargelbeet’ mitzuerleben. Stefanie Harjes gibt ihre Komplexität und Mehrdeutigkeit nie auf und es zeugt von ihrer hohen Kunst, dass ihre Bilder trotzdem leicht zu erfassen sind. Nur das Spargelbeet wird für immer unergründlich bleiben.

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Seite 42

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Bibliografie lieferbarer Bücher

Aus der Serie "Betty protest":

Aus der Serie "Betty protest":

(Auswahl)

Betty bettete ihren kopf auf das

Zu betty's grossem missvergnügen

kissen, auf dem ihr liebhaber bereits

liess ihr tennislehrer sich nicht auf

Die schönsten Sagen des klassischen

mit seinem im mondlicht vergoldeten

ihre mätzchen ein. Farbstift, graphit

Altertums. Bearb. v. Josef Guggenmoss

geweih schlief.

und fotocollage, 1999.

nach Gustav Schwab mit Illu. v. Stefanie Harjes. Ravensburger 2006.

Farbstift und graphit, 1999. Rechte Seite

ISBN 3−473−35261−6

Seite 44

Betty'S vorfahren:

Aus Der Serie "Betty träumt":

"dufte bienen − dufte drohnen!"

Das Literaturlesebuch. Hrsg. v.

Knuddelknautschenferdistin.

(v. O. Nach U.

Manfred Mai mit Illu. V. Stefanie Harjes.

Farbstift, Graphit und fotocollage,

Amanda, Georg, Yvonne,

Ravensburger 2006. ISBN 3−473−34442−7

1997.

2006).

Ausgezeichnet mit: Die Besten 7 (Deutschlandfunk).

Seite 45

"kvetas kinder"

Aus der Serie "Betty protest":

Malerei auf holz collagiert hinter

Ab und zu stifteten betty's dinge

acrylglas, 2006.

Schönstes Buch (Stiftung Buchkunst) Karla Schneider/Stefanie Harjes (Illu.):

verwirrung!

Die Häuser der Selma Khnopff.

Farbstift und graphit, 1999.

NP Verlag Residenz 2005. ISBN 3−85326−290−2 Ausgezeichnet mit: Österrischer Jugendbuchpreis 2005. Die Besten 7 (Deutschlandfunk) Anne Maar/Stefanie Harjes (Illu.): Lotte und Lena im Buchstabenland. Bajazzo Verlag, 2005. ISBN 3−907588−57−6 Ausgezeichnet mit: Buch des Monats Juli Siehst Du den Horizont? Hrsg. v. Stephanie von Selchow mit Illu. V. Stefanie Harjes. Patmos, 2002. ISBN 3−7941−4760−X Francesca Lia Block/Stefanie Harjes (Illu.): Die Königin der Kelche. Rowohlt 1999. ISBN 3−499−20948−9 Ein Korb voller Feigen. Hrsg. v. Roberto Piumini. Sanssouci 1999. ISBN 3−7254−1135−2 Michael Klonowsy/Uli Martin u. Stefanie Harjes (Illu.): Welcher Wein zu welcher Frau? G+U 2001. ISBN 3−742−0044−0 Dr. Nicolai Worm: Nie wieder Diät: Hallwag, 2000. ISBN 3−444−10566−5 Ausgezeichnet mit: Silbermedaille der GAD

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+ + + + Linien umschreiben Flächen. Flächen repräsentieren Körper. So lauten die ersten beiden Axiome der Zeichenkunst. Scheinbar eröffnen sie den Blick auf ein unendliches Feld an Möglichkeiten – und doch können sie bereits als Fessel empfunden werden, die den schöpferischen Geist an ein

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bestimmtes Körpermodell ketten will, das als defizitär angesehen wird. Wo bleibt darin das Fließende, Un-

+

(Be−)zeichnungen Bei Ingrid A. Schmidt Von Jens r. nielsen

+ + +

Ohrensaus−zyklus 2,

+

2005

+

fertige, Wachsende, Vergehende? Wo die Reproduktion, das Prozesshafte, der Verfall? Was, wenn die Linie nicht mehr zum Umschreiben von Flächen genutzt wird? Wenn Flächen keine fest umrissenen Körper mehr


bildenden Kunst der ‚klassischen’ Antike, die Grundlage der Renaissance-Ästhetik waren und auch die weitere Entwicklung der Kunst beeinflussten. Die neuen [die seit der ‚Wiedergeburt’ zu universeller Gültigkeit gelangten, anm. d. Autors] Kanons sehen den Körper völlig anders [als noch die Künstler des Mittelalters, anm. d. Autors], in anderen Aspekten seines Lebens und in völlig anderer Beziehung zur äußeren (außerkörperlichen) Welt. Für sie ist der Körper vor allem streng abgeschlossen und fertig, er ist ein einsamer, einzelner, von anderen

Diese Seite: Arbeiten Zu: Peter Gehrisch. Hans−Theodors Karneval oder Das Federnorakel. Leipzig, Edition Erata, 2006.

repräsentieren? – Es sind diese Fragen, welche erste Brücken in die Schaffenswelt von Ingrid A. Schmidt schlagen. Denn Ingrid A. Schmidt erweist sich als späte Vertreterin der klassischen Moderne: Sie sucht jenseits der von der Aufklärung gesetzten Grenzen eindeutiger Erkenntnis nach dem undefinierbaren „Rest“ der Erfahrung.

Li: federnorakel alternativentwurf, 2005 Re: federnorakel vorskizze 2, 2005 Gegenüberliegende Seite: Rose, 2005

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Dieser „Rest“ wird oft zum „Leben an sich“ stilisiert und in revolutionäre Opposition zur verwaltbaren [und verwalteten] Existenz gebracht. So sagt der [sowjet-]russische Kulturtheoretiker Michail Bachtin [neben Walter Benjamin sicher der bedeutendste Analytiker kultureller Prozesse in der Mitte des 20sten Jahrhunderts] über die Körperkonzeption des grotesken Realismus, sie stehe „in krassem Widerspruch zu den Kanons der Literatur und der

abgegrenzter und geschlossener Körper. Daher sind alle Anzeichen von Unfertigkeit, Wachstum und Vermehrung entfernt: Auswüchse und Verzweigungen verschwinden, Wölbungen (die an Triebe und Knospen erinnern) werden geglättet, alle Öffnungen verstopft. Die ewige Unfertigkeit des Körpers wird quasi verheimlicht, Empfängnis, Schwangerschaft, Geburt und Todeskampf kommen in der Regel nicht vor. Nur jene Handlungen werden gezeigt, bei

denen die Grenzen zwischen ihm und der Welt starr bleiben; innerkörperliche Vorgänge und die Prozesse des Verschlingens und Ausstoßens dagegen nicht.“ [Bachtin, 1995, S79-80] Bachtins Sprache ist metaphorisch: Da ist die Rede von „Auswüchsen und Verzweigungen“, von „Knospen“, vom „Verschlingen“ und vom „Ausstoßen“. Und dies nicht zufällig, stammt doch das oben wiedergegebene Zitat aus einem „Das Groteske“ überschriebenen Abschnitt seines Buches über Rabelais, den Schöpfer des „Gargantua“. Rabelais lebte von 1494 bis 1553 und war Arzt, was die Anspielungen auf Körperöffnungen, Geburt und Tod in Bachtins Text erklären mag. All die floralen, ornamentalen Motive aber, die Bachtin ebenfalls einsetzt, das Ausund Ineinanderwachsen einzelner Bestandteile, all das verweist auf die Ende des 15ten Jahrhunderts gerade erst wiederentdeckten Fresken, welche die Wände der – mehrfach überbauten und Jahrhunderte lang überwucherten und darum Grotten nicht unähnlich gewordenen – Ruinen der Titusthermen schmückten. Raffael hatte sie als der klassischen Formsprache nicht zugehörig erkannt und sie gerade deshalb adaptiert. Bereits von seinen Zeitgenossen waren sie mit dem damals naheliegenden Audruck „Grottenkunst“ belegt worden: So war la grottesca in die Welt gekommen.

Vielleicht mag es den unvorbereiteten Betrachter der Arbeiten Ingrid A. Schmidts befremden, an dieser Stelle von Römischen Bädern, schriftstellernden Renaissanceärzten und revolutionären Kulturtheoretikern zu lesen – scheint ihre Kunst doch irgendwie zu „modern“, zu gegenwärtig zu sein, ganz und gar losgelöst von „klassischer“ Traditionsbildung. Doch eben diese wird von der Künstlerin gesucht und gefunden, und so ist die Einordnung ihres Œuvres unter das Label des Grotesken kein Zufall. „Gesucht“ wird die Nähe zur Groteske von Schmidt in einigen ihrer Bildtitel [die z.B. Johann Fischarts „Geschichtklitterung“ entlehnt sind, in dem sich die erste Übertragung des „Gargantua“ ins Deutsche befindet], aber auch in ihren veröffentlichten Notizen. „Es ist das Groteske, Skurrile, Lächerliche, die Übertreibung, die Komik, die uns zum Lachen reizt“, heißt es da,

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sprachlöffler, 2006

„nur, worüber lachen wir? Über die Unmaßstäblichkeit, das ungewohnte Zusammenfügen von Dingen, die scheinbar nicht zusammengehören, die unserer gewohnten Ordnung und Wahrnehmung zuwiderlaufen?“ „Gefunden“ werden die Traditionslinien der Groteske auch von der Kunstkritik, die in Untertiteln wie „Zu den Grotesken Ingrid A. Schmidts“ [Gehrisch, 2005] oder „Die Zeichnerin Ingrid A. Schmidt auf der Suche nach einem zeitgemäßen Ausdruck für das Groteske“ [Helbig, 2005] geradezu gebetsmühlenartig jenen einen begrifflichen Rettungsanker auszuwerfen scheinen, den ihnen der Lotse Bachtin in die Hände gespielt hat. Doch entspringt der dabei deutlich werdende Wunsch nach Benennung nicht bereits wieder jenem Bedürfnis nach Einordnung [„das Gute“], Ästhetisierung [„das Schöne“] und Perfektion [„das

Wahre“], welches von der Künstlerin gerade als unvollkommen erkannt worden ist? Ist dem, was im Werk Schmidts als „grotesk“ identifiziert wird – Bachtins „Anzeichen von Unfertigkeit, Wachstum und Vermehrung“, seine „Auswüchse und Verzweigungen“, die „Wölbungen (die an Triebe und Knospen erinnern)“ und die unverstopften Öffnungen – mit den Mitteln der [Schrift-]Sprache überhaupt beizukommen? Bemerkenswerterweise steckt die seit nunmehr vierhundert Jahren andauernde theoretische Auseinandersetzung über die Groteske voller Texte [und Textversuche],

Literatur: Michail Bachtin. Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur. Frankfurt/Main, Suhrkamp Verlag, 1995. Peter Gehrisch. Der Federstrich aufs skurrilste in Korrespondenz mit der inneren Stimmung. Zu den Grotesken Ingrid A. Schmidts. Vortrag im Rahmen der 4. Europäischen Literaturtage in Lwowek Slaski/Polen 2006. peter gehrisch ist Herausgeber der Kunst− und Literaturzeitschrift OSTRAGEHEGE Axel Helbig. Abenteuer des Zeichnens in OSTRAGEHEGE, Zeitschrift für Literatur und Kunst, Heft III/2005, Nr. 39.

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herung an die Arbeiten Ingrid A. Schmidts gelingen? Durch Mimikry in Worten? Durch das millimetergenaue Abfahren von Linien auf dem Papier mit Hilfe von Assoziationsrhizomen aus der Welt intellektueller Gelehrsamkeit? Durch das Nachvollziehen eines Findens anstelle des von der Künstlerin gegebenen Suchens? Und das alles nur, damit am Ende die Überlegenheit der Schrift als Kulturtechnik einmal mehr unter Beweis gestellt wäre? Das Resultat müsste grotesk ausfallen – so oder so.

die ihrerseits grotesk sind. Viele Kritiker scheinen sich der Tatsache bewusst gewesen zu sein, dass der bloße Versuch, jenen „Rest“ der Erfahrung, dem Künstler wie Ingrid A. Schmidt nachspüren, einer gelehrten Vivisektion zu unterziehen, unweigerlich dazu führen

muss, dass der Gegenstand ihrer Betrachtung vernichtet, zumindest aber entzaubert wird: Das Fremde, das uns in vertrauten Worten erklärt wird, ist nicht mehr fremd.

Laut Bachtin ist der Übergang von einer Form zur anderen in der Groteske „die innere Bewegung des Lebens selbst“. Die Betrachtung der Arbeiten Ingrid A. Schmidts gibt uns eine Ahnung davon, dass diese Bewegung durchaus ausgedrückt werden kann, obwohl sie nicht darstellbar ist – jedenfalls nicht mit den ersten beiden Axiomen der Zeichenkunst.

Wie also kann dem schreibenden Betrachter eine Annäjitter: 73


Precious animiertes MUSIC VIDEO für Depeche Mode

von Niklas Briner

Im Oktober 2005 veröffentlichten die englischen Elektro-Band „Depeche Mode“ nach über vierjähriger Studiopause ihr bislang letztes Album „Playing the Angel“. Die Wahl der ersten Singleauskopplung fiel auf „Precious“, eine sehnsüchtige Ballade über den leichtfertigen Umgang mit den Kostbarkeiten des Lebens. Als Regisseur wurde Uwe Flade engagiert, der sich bereits seit einigen Jahren als Fachmann für postmoderne Beziehungslosigkeit im Videoformat einen Namen gemacht hatte. Zwischen Zwei-Raum-Woh-

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nung, Schneider TM, Franz Ferdinand und Rammstein pendelt sein blaugraues oder graugrünes, manchmal auch farbiges, in jedem Fall aber entsättigtes Bilderuniversum. Darin die Utopie einen zentralen Platz einnimmt, mal retrofuturistisch knirschend, mal blankes Schweigen.Hier wie dort steht der Mensch verloren am Abgrund der eigenen Schöpfung. Derlei spannungsreiche Szenarien schienen dem Commissioner von Mute Records, London, John Mule gerade recht für die Rückkehr der drei Schmerzensmänner:

Anfang 2004 Uwe Flade lernte ich Anfang 2004 bei der Zusammenarbeit für das Video der englischen Band Gomez kennen. Seitdem habe ich als freiberuflicher Illustrator im Auftrag der Filmproduktionsfirma QFilm für verschiedene animierte Musikvideos Concept Design und Storyboards entwickelt. Als wir uns um die Produktion von „Precious“ bewarben, waren wir nach drei gemeinsamen animierten Videos bereits ein gut

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eingespieltes Kreativ-Team und die Arbeit gestaltete sich weitgehend reibungslos. Ideenfindung, Treatment, Storyboard, Animatic, Dreh, Computeranimation und Compositing/Postproduction – die Stationen bis zum fertigen Video erfordern neben speziellem handwerklich-technischem Können in jeder Phase auch viel konzeptionelle und kreative Arbeit. Doch zunächst musste der Auftrag in einem Pitch gewonnen werden: Ende Mai 2005 : Die Konzept-Entwicklung/ Pitch

Oben: "Dragon". mixed media. Ewige Nacht, klirrende Kälte. wesen oberhalb des Wasserspiegels bestehen aus rein mechanischen Ele− menten und Bewegungen, Wesen unterhalb der Wasseroberfläche aus organisch intergrierter Elektronik und Feinmechanik.

Wie auch in der Werbung werden Aufträge von Musikvideos oft erst nach erfolgreichem Wettbewerb/ Pitch vergeben. Der Regisseur entwickelt dazu ein erstes „Treatment“, ein Konzept, in dem er die Ideen, Handlung und Technik zu dem von ihm geplanten Video kurz zusammenfasst. Als Inspiration dienen dabei die Musik und der Songtext. Manchmal kommt es vor, dass eine Band bereits konkrete Ideen zu ihrem Video hat, zumeist aber haben Regisseur und Designer die kreative Freiheit der Interpretation. So auch in diesem Fall. Uwe Flade hatte die Idee, die Band auf einem Raddampfer verloren inmitten eines einsamen Ozeans agieren zu lassen, dabei sollten Aufnahmen der Band vor Bluescreen und 3D-animierte Bildwelten zum Einsatz kommen. Wir arbeiteten bereits in der Anfangsphase eng zusammen und besprachen zunächst gemeinsam das Konzept, zu dem ich dann erste Entwürfe anfertigte. In dieser Phase wird die Bildsprache des Videos in ihren Grundzügen festgelegt und auch die weitere Vorgehensweise entscheidend geprägt. Als Art Director des Projektes umfassten meine Aufgaben die Zusammenarbeit mit dem Regisseur an Konzeptideen, die Entwicklung des Filmdesigns und die Anfertigung des Storyboards. Dabei lieferten Musik, Songtext und Treatment das inhaltliche Gerüst mit genügend Freiraum für die eher assoziativ geprägte Phase der Stilfindung: Den Songtext interpretierte ich als Reise durch eine ferne Zukunft, die von biomechanischen Wesen – hybriden Lebensformen, als Verschmelzung von Natur und Technik mit frühindustriellem Charme – bevölkert ist. Demgegenüber steht die moderne Innenwelt des Dampfers, deren steriles Ambiente aus Leuchtbändern und Spiegelkabinett später auch eine zum Außen komplementäre Farbgestaltung erhalten sollte.

(Mein erster Vorschlag für das Schiff war ein kleiner Fischkutter, wir ei− nigten uns dann aber auf einen grös−

3. Juni 2005 : erste Präsentation

seren Raddampfer.) Später kam noch ein fünfter Kamin hinzu. mitte: "Octopus". mixed media. Kolben im Körper des Oktopus pulsiert

Gesamtkonzept, Design und Illustrationen wurden dem Comissioner und der Band Anfang Juni zur Abstimmung vorgelegt. Das Feedback war von Anfang an sehr positiv und für die Weiterentwicklung wurde bald schon grünes Licht gegeben.

rhythmisch. unten:

7. Juni 2005 : Weiterentwicklung, Designs

"Precious and fragile things need special handling" unterschiedliche Entwürfe/Vorschläge für Unterwassertiere. Der Embryo wurde letztlich nicht im Video umge− setzt.

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Auf Grundlage der vorgestellten und akzeptierten Entwürfe gestaltete sich die Weiterentwicklung des Designs recht unkompliziert. Die Illustrationen/Visuals für „Precious“ entstanden hauptsächlich als Collagen und Photoshop-Paintings. Dabei muss man unterscheiden zwischen

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reinen Stimmungsbildern, die einen Eindruck von der Atmosphäre des Videos vermitteln sollen, aber keine konkreten Umsetzungsanleitungen darstellen und exakt gezeichneten Vorlagen von Concept Designs, Dekors und Characters, die den Animatoren der Berliner Postproduktionsfirma Effekt-Etage als Referenz für das spätere 3D-Modeling dienten. Die Abstimmungen mit dem Auftraggeber erfolgte via Telefonkonferenz oder auch vor Ort in London. Dabei sorgte die große kreative Aufgeschlossenheit aller Beteiligten für ein angenehmes und konstruktives Arbeitsklima. 16. Juni 2005 : Storyboard-Animatic, Berlin Im Anschluss an die ersten Designentwürfe wurde das Storyboard erstellt. Dazu hielt ich mich möglichst genau an die Vorgaben des Regisseurs. Wir versuchten alles zeichnerisch so zu visualisieren, dass die Aktionen, Kameraeinstellungen und Szenen später direkt von den Animatoren übernommen werden konnten. Die Fertigstellung des Storyboards (Bleistift, ca. 90 Frames) benötigte etwa 2-3 Tage. Im Anschluss wurden alle Frames gescannt und als Animatic Szene für Szene an die Musik des Songs angepasst.

von Markierungen, um die Integration mit computergenerierten Bildern zu ermöglichen. Beispiel: ein am Computer erzeugter Gegenstand soll von gefilmter Person gehalten und bewegt werden. Mittels Trackingpunkte kann die Position/Bewegung der Hand auf die des Gegenstandes übertragen werden), beurteilte die Ausleuchtung der Bluescreen und traf alle postproduktionsrelevanten Entscheidungen am Set. Das Material wurde in London abgetastet und stand als HD-Cam der Postproduktion in Berlin zur Verfügung. Als Compositing Tool kam Combustion 4.0 zum Einsatz. Neben Aufgaben wie Keying (Freistellen) und Rotoscopieren (Nachzeichnen einzelner Frames per Hand), wurden auch zahlreiche 3D-Tracks vorgenommen, um die Band in die virtuell erschaffende Welt zu integrieren. Während der folgenden Wochen verfolgte und betreute ich gemeinsam mit dem 3D-Artist Andreas Böttger die Modellierung der Characters in Cinema 4D. Das anschließende Compositing, also die Kombination der computergenerierten Bilder mit den Filmaufnahmen, und die Umsetzung der Animationen erfolgte hauptsächlich in enger Zusammenarbeit zwischen Regisseur und Postproduktion.

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Anfangs legte ich dem Regisseur einige Inspirational−Designs vor, anhand derer wir uns auf eine Richtung festlegten. 1. Vorschlag (Ganz unten und Mitte): Begegnung von Urnatur und Raddamp− fer mit modernem Vergnügungspark (eine Art Sündenbabylon) auf dem Ozean. Raddampfer mit Riesenrad und skurrilen Passagieren 2. Vorschlag (oben): Hoher, fragiler Raddampfer im Mississippi−Stil, Loch Ness aus Stahl. Der Loch Ness aus Stahlgerüst diente als Ausgangslage für die endgültige, biomechanisch geprägte Design−Richtung.

20. Juli 2005 : Rohfassung von Precious-Video im Netz!

29. Juni 2005 : Videodreh London Auf Grundlage des fertigen Animatics fand der Videodreh in London statt. Die Band wurde auf 35 Millimeter vor Bluescreen gefilmt. Die Effekt-Etage kümmerte sich dabei um Trackingpunkte für das spätere 2D- und 3D-Tracking (Tracking: Verfolgen eines gefilmten Objektes mittels Software anhand

Frühversionen des Designs

Diese Nachricht erzeugte im Team ein mittelschweres Erdbeben. Neugierige Fans kamen über ungeklärte Wege an eine Rohfassung des Musikvideos, welches nach nur wenigen Minuten schon x-fach kopiert im gesamten Netz kursierte. Am Tag darauf war der Vorfall in den Schlagzeilen von Mtv und auf den Fanseiten konnte man unzählige Kommentare

Mehr Bildmaterial auf: www.niklasbriner.de fertiges Video auf: www.niklasbriner.de/video1.html Link des ins Netz geratenen Roh−Videos (Rough Storyboard und Bluescreen− Aufnahmen): www.youtube.com/watch?v=xGubySpkEqo=

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und wildeste Spekulationen lesen. Die Reaktionen auf Song und Video waren zum Glück durchweg positiv. Viele hielten den Vorfall für einen neue Marketing-Strategie. Nichts weniger war der Fall. Der Effekt war allerdings eine dramatisch erhöhte Spannung unter den Fans weltweit. Da man auch auf Auftraggeberseite schnell den positiven Effekt erkannte, ging die Arbeit nach dem anfänglichen Schock schon bald wieder normal weiter.

kleine bilder (v. o. nach u.): Screenshots aus dem fertigen Musikvideo: Ausschnitte aus der in gelbliches Licht getauchte Innenwelt des Dampfers: Maschinenraum und Ballsaal (2. V. U.)

Grosses Bild:

Postproduktion, Effekt-Etage, Berlin

mixed media, "dragon" und Band

Die Postproduktion verlief zu größten Teilen völlig reibungslos. Andreas Böttger, Lead Artist für 3D und Compositing bei der EffektEtage fasst die Arbeitsweise folgendermaßen zusammen: „Das Team beschränkte sich bei der Umsetzung der anspruchsvollen Designs auf einfache, überschaubare Techniken und Methoden. So konnten wir uns beim Prozess der Lookfindung mehr Zeit für die Qualität der Resultate nehmen. Durch die Ausgabe zahlreicher Layer und Passes (Ausgabe verschiedener Oberflächeneigenschaften wie Objektfarbe (diffuse), Spitzlichter (specular) oder Struktur (bump) in separaten Bildern, Anm. der Red.) aus Cinema 4D, konnte der Look fast vollständig in Combustion realisiert werden. Das erhöhte zusätzlich die Effizienz bei Änderungswünschen des Kunden erheblich.“ „Es galt insgesamt 124 Shot’s, davon 64 Shot’s mit 3D Charakteren und über 30 komplett digital erzeugte Shot’s zu kreieren“, erinnert sich Björn Kowalski, Postproduktion Supervisor in der Effekt-Etage. „Zunächst lag eine Herausforderung in der Transformierung der 2D Vorlagen und Designskizzen in 3-dimensionale Modelle. Ferner galt es von Anfang an ein gutes Dateimanagement zu etablieren, um nicht den Überblick bei einer solchen Datenmenge zu verlieren.“ „Wir sind stolz darauf, dass die Effekt-Etage die komplette Postproduktion dieses künstlerisch sehr anspruchsvollem Musikvideos realisiert hat. Bei einer international erfolgreichen Band wie Depeche Mode hätte die Postproduktion auch leicht von einer englischen oder amerikanischen Firma gemacht werden können“, fasst Holger Schaal die nicht immer stressfreie Arbeit zusammen.

an Deck des Dampfers

5. August 2005 : Finish Die Arbeit am Musikvideo „Precious“ war abgeschlossen, alle Beteiligten, inklusive Band und Commissioner, waren sehr zufrieden. Der Clip hatte seine Premiere am 12. September 2005 und ging auf den Musikkanälen weltweit in mehrwöchige Powerrotation. Der Song „Precious“ wurde zu einer der erfolgreichsten Singles der Bandgeschichte und auch das Video bekam sehr viel positives Feedback. Uwe Flade erhielt daraufhin auch den Zuschlag zur Verfilmung der zweiten Singleauskopplung „A Pain That I am Used To“. Wir freuen uns auch über die beiden Animago-Awards (Hauptpreis und 1. Platz Kategorie Musik Video), die das Video im Mai 2006 gewann.

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Lücken erkennen und bearbeiten | Interaktiv malen Aktivieren Sie zunächst im Menü die Option Ansicht • Interaktive Mallücken einblenden, damit Ihnen die erkannten Lücken angezeigt werden – die Option ist aktiv, wenn im Menü Ansicht • Interaktive Mallücken ausblenden angezeigt wird! Rufen Sie danach die Dialogbox Lückenoptionen unter Objekt • Interaktiv malen • Lückenoptionen… auf.

Illustrator cs2

"MALEN" MIT VEKTOREN von monika gause

Malen mit Vektoren klingt zunächst wie etwas, das sich gegenseitig ausschließt, denn mathematische

Abbildung 9.55  Dialogbox Lückenoptionen

oder geometrische Funktionen sind ja nicht gerade dazu angelegt, damit intuitiv arbeiten zu können. Während jedes Kind in einem Malbuch schwarze Linien und Ränder als Grenze für die Farbe erkennt, ist das für Vektor-Software nicht so ganz einfach. Solche Programme können eigentlich nur eine Form beschreiben und wenn nötig mit einer Füllung versehen. Für zwei direkt aneinander grenzende Farbflächen werden daher auch zwei Formen benötigt. Die Programmierer von Illustrator haben sich mit gutem Erfolg bemüht, dem Programm den artfremden Umgang mit Linien und Farben beizubringen. Diese Funktion heißt in der englischsprachigen Version Live Paint, in der deutschen Interaktiv malen.

Interaktiv malen – Live Paint Mit der Funktion Interaktiv malen ist Illustrator CS2 nun also in der Lage, alle Bereiche einer Zeichnung zu füllen, die von Pfaden begrenzt werden, auch wenn diese Linien zu verschiedenen Objekten gehören oder kleine Lücken aufweisen. Interaktiv malen können Sie überall dort einsetzen, wo Sie Objekte mit Freihand-Werkzeugen oder mit Live Trace bzw. Interaktiv abpausen erstellen. Alle Elemente, die zu dem Teil einer Zeichnung gehören, den Sie kolorieren wollen, fassen Sie zu einem Live Paint-Objekt, bzw. deutsch zu einer interaktiven Malgruppe zusammen. Innerhalb solcher Gruppen ermittelt Illustrator die Bereiche, die es als füllbare Flächen behandeln kann. Dabei erkennt das Programm auch kleine Lücken in den Begrenzungslinien, die es zu diesem Zweck virtuell schließt. Die füllbaren Flächen in Malgruppen werden Teilflächen genannt, die sich überschneidenden Pfade heißen Kanten.

Abbildung 9.56 Die Zeichnung oben enthält keinen ein− zigen geschlossenen Pfad, trotzdem kann sie in Illustrator mit der Live Paint Funktion (Interaktiv malen) kolo− riert werden.

Wie rechts dargestellt, musste das Zelt in einer Vektor−Software bisher aus Flächen konstruiert sein, damit es koloriert werden konnte. Änderungen am Verlauf der Begrenzungslinien wären bei einer solchen Konstruktion natürlich schwierig.

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HINWEIS Falls Sie den Fülleimer früherer Illustrator-Versionen (siehe Bild unten links) vermissen, der wurde ersatzlos gestrichen. Stattdessen gibt es das Interaktiv-malen-Werkzeug, das zwar so ähnlich aussieht wie der Fülleimer, aber eine ganz andere Funktion hat.

 Lückensuche: Mit dem Kontrollkästchen Lückensuche links oben können Sie die automatische Lückenerkennung starten.  Vorschau: Aktivieren Sie die Option Vorschau, um die Auswirkung Ihrer Einstellungen in Ihrer Grafik zu sehen.  Pinsel stoppt bei/Eigene: Hier stellen Sie ein, ab welcher Breite Illustrator Lücken erkennen soll. Probieren Sie verschiedene Vorgaben aus und sehen sich deren Auswirkung in der Vorschau an. Einstellmöglichkeiten sind im Ausklappmenü Kleine, Mittlere oder Große Lücken oder alternativ im Eingabefeld Eigene für frei definierbare nummerische Maße. Die Lücken werden auf der kürzesten geraden Strecke überbrückt.  Farbe für Lückenvorschau: Sie können in dem Ausklappmenü die Farbe der Lückensignalisierung so anpassen, dass sie in Ihrer Grafik gut erkennbar ist.  Lücken mit Pfaden schliessen: Wenn Sie die angezeigten Lücken endgültig schließen wollen, erzeugen Sie entsprechende Pfade mit dem Button Lücken mit Pfaden schließen. Achtung! Sie verlieren danach allerdings die automatische Erkennung und müssen alle Lücken manuell bearbeiten. Flächen und Konturen kolorieren | Interaktiv malen In einer Malgruppe können Sie sowohl Flächen mit Farb- und Verlaufsfüllungen versehen als auch Konturen mit den Möglichkeiten der Kontur-Palette bearbeiten.  Verwenden Sie das Interaktiv-malen-Werkzeug , um Flächen mit Farben zu füllen.  Auf Flächen, die Sie mit dem Interaktiv-malen-Auswahlwerk-zeug aktivieren, können Sie Verläufe anwenden.  Auch Konturen, die mit der Konturen-Palette bearbeitet werden sollen, müssen mit dem Interaktiv-malen-Auswahlwerkzeug bestimmt werden.

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Malgruppe erstellen und bearbeiten | Interaktiv malen Um eine Zeichnung mit der Interaktiv malen-Funktion zu kolorieren, gehen Sie wie folgt vor: 1. Aktivieren Sie alle Pfade, die zu dem zu bearbeitenden Teil Ihrer Grafik gehören. 2 Erzeugen Sie eine Interaktive Malgruppe, indem Sie aus dem Menü Objekt • Interaktiv malen • Erstellen auswählen oder nehmen Sie das Interaktiv-malen-Werkzeug aus der Werkzeugpalette – Shortcut (K) – , und klicken Sie irgendwo im Bereich der aktivierten Objekte. 3. Bestimmen Sie, ab welchem Abstand Lücken geschlossen werden sollen. Rufen Sie dazu unter Objekt • Interaktiv malen • Lückenoptionen… die Dialogbox auf und setzen die nötigen Einstellungen. 4. Falls nötig, ergänzen Sie Pfade, um größere Lücken von Hand zu schließen. Dazu müssen Sie die Gruppe durch einen Doppelklick isolieren. 5. Wählen Sie eine Farbe in der Farbfelder-Palette und klicken mit dem Interaktiv-malen-Werkzeug in die gewünschten Flächen, um sie zu füllen. Als optische Hilfe hebt Illustrator Flächen unter dem Cursor, die gefüllt werden können, mit einem dicken roten Rand hervor. 6. Wenn Sie Konturen oder Flächen mit Hilfe von Paletten bearbeiten möchten, wählen Sie die Objekte mit dem Interaktiv-malenAuswahlwerkzeug aus und versehen sie mit den gewünschten Eigenschaften. Zurückwandeln | Interaktive Malgruppe Um die in einer Interaktiven Malgruppe zusammengefassten Pfade in den Ursprungszustand zurückzuversetzen, aktivieren Sie das Objekt und wählen Objekt • Interaktiv malen • Zurückwandeln. Das Objekt verliert damit alle Live Paint-Eigenschaften, Füllungen und Konturen.

2 Flächen testen Bewegen Sie das Interaktiv-malen-Werkzeug über die Malgruppe, und beobachten Sie die fetten roten Ränder, welche die füllbaren Flächen kennzeichnen. Abbildung 9.58  Ohne entsprechende Änderung in den Lückenoptionen werden viele Flächen zusammengefasst, die eigentlich einzeln gefüllt werden sollen.

Abbildung 9.57 Der eingeblendete Hilfetext zeigt an, dass Sie mit einem Klick eine Malgruppe erzeugen können.

Prüfen Sie alle Flächen, die Sie füllen wollen, ob sie von Illustrator richtig erkannt werden. Sollten noch Lücken bestehen, verwenden Sie die Dialogbox Lückenoptionen, um die Erkennung anzupassen.

3 Lückenoptionen Wählen Sie Objekt • Interaktiv malen • Lückenoptionen…, und aktivieren Sie zunächst die Vorschau. Falls Sie die Lückenvorschau nicht von Ihrer Zeichnung unterscheiden können, passen Sie die Signalfarbe an, indem Sie eine andere Farbe aus dem Ausklappmenü wählen. Aktivieren Sie die Lückensuche und wählen eine Einstellung aus dem Menü. Beobachten Sie dabei die Lücken, die in Ihrer Zeichnung Abbildung 9.59 Lückensuche mit eigener Einstellung 3 mm. Vergleichen Sie die Stelle im roten

Umwandeln | Interaktive Malgruppe Für einige Anwendungszwecke – zum Beispiel für den Austausch mit anderen Programmen – benötigen Sie statt einer Malgruppe eine »normale« Vektorumsetzung Ihrer Zeichnung mit geschlossenen Pfaden für die Flächen und mit den zusätzlichen Konturen. Das können Sie aus einer Malgruppe automatisch erzeugen lassen, indem Sie das Objekt aktivieren und den Menübefehl Objekt • Interaktiv malen • Umwandeln ausführen.

Kreis mit der nächs­ten Abbildung.

gekennzeichnet werden. Wenn Ihnen die voreingestellten Optionen nicht ausreichen, geben Sie andere Werte in das Eingabefeld ein. Sehr hohe Werte führen unter Umständen dazu, dass kleinere Lücken nicht mehr automatisch geschlossen werden.

Schritt für Schritt: Interaktiv malen anwenden

1 Malgruppe erstellen Aktivieren Sie alle Pfade, die zur Malgruppe gehören sollen. Wählen Sie das Interaktiv-malen-Werkzeug aus der Werkzeugpalette, oder tippen Sie die Taste (K), dann klicken Sie mit dem Werkzeug in den Bereich der Zeichnung. Sobald Sie das Werkzeug über die aktivierten Objekte bewegen, erscheint ein entsprechender Hilfetext. Die Malgruppe können Sie auch mit dem Shortcut [¾] +(±)+(X) bzw. (Strg)+(Alt)+(X) zusammenfügen.

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Abbildung 9.60 Lückensuche mit eigener Einstellung 7 mm. Beachten Sie die gerade Strecke im roten Kreis, die an dieser Stelle nicht gewünscht ist.

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In den meisten Fällen ist es besser, kleine Lücken automatisch schließen zu lassen und die größeren manuell zu bearbeiten, da für die größeren Lücken oft eine Kurve benötigt wird. Wenn Sie passende Einstellungen gefunden haben, schließen Sie den Dialog mit OK. Die Option Lücken mit Pfaden schliessen ist in unserem Fall nicht sinnvoll, da es möglich ist, manuelles und automatisches Lückenschließen zusammen zu verwenden.

Abbildung 9.63 In der Pfadansicht sehen Sie an diesem Beispiel, dass sich die Pfade nicht berühren müssen, um die Lücke zu schliessen.

4 Lücken prüfen Prüfen Sie die Grafik erneut, indem Sie das Interaktiv-malen-Werkzeug über die kritischen Flächen bewegen und auf die roten Signalkonturen achten. 5 Malgruppe zur manuellen Nacharbeit isolieren Aktivieren Sie Ansicht • Interaktive Mallücken einblenden, um die geschlossenen Lücken bei der manuellen Nachbearbeitung im Blick zu haben. Isolieren Sie nun die Malgruppe durch einen Doppelklick, oder indem Sie das Live Paint-Objekt aktivieren und anschließend auf das Symbol Ausgewählte Gruppe isolieren in der Steuerungspalette klicken. Pfade, die Sie der isolierten Gruppe hinzufügen, werden in die Malgruppe aufgenommen.

6 Große Lücken mit Pfaden schließen In der Malgruppe können Sie nun die großen Lücken schließen, indem Sie Pfade als Grenzlinien zeichnen. Verwenden Sie dafür den Bleistift oder den Zeichenstift . Den Pinsel lässt Illustrator innerhalb einer Malgruppe nicht zu. Die auffallendste Lücke besteht am Hinterteil des Zebras. Diese Lücke muss mit einer Kurve geschlossen werden, damit die gefüllte Fläche die Form unterstützt. Eine größere Ansicht erhalten Sie mit der Lupe

Abbildung 9.64 Das Farbfeld für Kontur ist aktiviert.

Abbildung 9.61 Die isolierte Gruppe wird durch den grauen Rahmen signalisiert.

Abbildung 9.65 Abbildung 9.62 Schliessen der grössten Lücke mit einem Pfad. Am Bildausschnitt Mitte ist

Teilflächen werden mit Hilfe des Inter− aktiv−malen−Werkzeugs mit Farbe gefüllt.

zu sehen, wie der kleine Abstand zum bestehenden Punkt automatisch ge− schlossen wird.

Da die »Lückenschließer«-Pfade selbst nicht sichtbar sein sollen, reicht es vollkommen aus, wenn die neuen Linien so nahe an die bestehenden Pfade heranreichen, dass die eingestellten Lückenoptionen greifen. Pfade, deren Form Ihnen nicht sofort gefällt, können Sie selbstverständlich mit den Werkzeugen Ankerpunkte hinzufügen und löschen, Glätten, Punkte umwandeln etc. nachbearbeiten. Lassen Sie den Pfad ausgewählt, und aktivieren Sie – soweit dies nicht bereits vorher erfolgt ist – in der Werkzeugpalette die Option Ohne Kontur . Prüfen Sie noch einmal, ob alle Lücken geschlossen sind, bevor Sie die Isolierte Gruppe mit einem Klick auf das Symbol in der Steuerungspalette beenden. 7 Flächen füllen Wenn keine Lücken mehr offen sind, können Sie die Teilflächen und Kanten Ihrer Malgruppe gestalten. Um Teilflächen mit einer Farbfüllung zu versehen, aktivieren Sie das Farbfeld für Fläche in der Werkzeugpalette und bestimmen eine Farbe in der Farbfelder-Palette, oder mischen Sie eine neue Farbe in der Farbpalette. Danach wählen Sie das Interaktiv-malen-Werkzeug und klicken damit in die Teilfläche, die Sie kolorieren möchten. Achten Sie dabei auf das Cursor-Symbol und auf die Signalisierung durch die rote Umrandung der Fläche. Möchten Sie dagegen Kanten einfärben oder Teilflächen nicht nur mit einer einfachen Farbfüllung versehen, müssen Sie die entsprechenden Elemente aktivieren.

Abbildung 9.66 Wählen Sie Kanten mit dem Interaktiv− malen−Auswahlwerkzeug aus, und ändern Sie deren Eigenschaften.

Legen Sie einen Pfad an – wie abgebildet. Sie müssen beim Erstellen der Endpunkte nicht genau den vorhandenen Pfad treffen, wie es beim Konstruieren eines Objekts notwendig wäre.

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Dann holen Sie sich das Interaktiv-malen-Auswahlwerkzeug aus der Werkzeugpalette und klicken die Kante oder die Teil­fläche an, die Sie gestalten möchten. Das Interaktiv-malen-Auswahlwerkzeug zeigt durch einen Wechsel des Cursor-Symbols an, ob Sie eine Kante oder eine Teilfläche aktivieren können. jitter: 87


Effizienz kann atemberaubend sein Halten Sie (ª) gedrückt, um der Auswahl eine weitere Kante bzw. Teilfläche hinzuzufügen. Abbildung 9.67 Auch Teilflächen wählen Sie so aus, um sie mit komplexeren Füllungen zu versehen.

Einen Verlauf legen Sie an, indem Sie die Teilfläche selektieren und in der Verlauf-Palette die Art des Verlaufs bestimmen sowie die gewünschten Farben. 8 Umwandeln Um eine Malgruppe umzuwandeln und damit Objekte zu erzeugen, die Sie auch für den Austausch mit anderen Programmen verwenden können, aktivieren Sie die betreffende Malgruppe und wählen im Menü den Befehl Objekt • Interaktiv malen • Umwandeln aus. Teilflächen und Kanten werden damit in einzelne geschlossene Pfade mit Füllung umgewandelt. Nach der Umwandlung sind die Objekte gruppiert. Lösen Sie die Gruppierung auf, um die Objekte zu analysieren.

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Abbildung 9.68 Eine umgewandelte Malgruppe

Dieses Tutorial ist als Kapitel des Buches Monika Gause: Adobe Illustrator CS2 – Das Handbuch zum Lernen und Nachschlagen, im Galileo Press Verlag Bonn erschienen. 568 S., 2006, geb., komplett in Farbe, mit DVD 49,90 Euro, ISBN 3-89842-487-1 http://galileo-design.de/732 Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

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