Programmatisch Blexbolex spielt in JAHRESZEITEN mit Bildern und Begriffen Von Andreas R auth
Magazin für Bildkultur
Jitter WebExtra.Rezension
// …man begegnet nie einem buchstäblichen Bild im Reinzustand; selbst wenn man sich ein vollständig naives Bild vorstellen könnte, würde es sogleich zum Zeichen der Naivität und durch eine dritte, symbolische Botschaft ergänzt // Roland Barthes
P r o g r a m m at i s c h Blexbolex spielt in JAHRESZEITEN mit Bildern und Begriffen
Von Andreas R auth
Im Durchgang eines Jahres lässt sich der zyklus von Werden und Vergehen beobachten, auf dem Land deutlicher als in der Stadt. Das groSSstädtische Leben sucht die Unabhängigkeit vom jahreszeitlichen Wandel, besonders von der damit verbundenen GroSSwetterlage. Doch Entgegen allen Unabhängigkeitsbestrebungen bleibt die grundsätzliche Einflussnahme von Wind und Wetter bestehen, sie verschiebt sich nur. Wer nicht mehr unmittelbar auf Ernteerfolge angewiesen ist, für den wird das Wetter zur Stimmungsangelegenheit. irgendwie glaubt man, Sonne, Wind und Regen veranstalten eine Art Theater mit besseren und schlechteren Aufführungen. Kann auf dem Land das Wetter die Ernte vermasseln, so in der Stadt nur noch die Stimmung. Bis dereinst unter Glas- oder Gashüllen ein immerwährender Frühling unterbrechungsloses Wohlbefinden garantiereT, wird es wohl noch eine Weile dauern.
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// Durch das Buch blätternd, entfaltet sich ein Spiel mit Bildern und Begriffen, das dessen eigentlichen Reiz ausmacht // Bis dahin wird man Bücher über Jahreszeiten veröffentlichen können, die mehr als nur nostalgischen Wert haben, die Frühling, Sommer, Herbst und Winter noch als existentielles Programm auffassen. Der Illustrator Blexbolex hat es getan, er war gewiss nicht der erste noch der einzige, doch rechtfertigt die Fülle des Themas jeden neuen Anlauf – etwas mehr als buntes Laub sollte man allerdings zu bieten haben. Der 1966 als Bernard Granger geborene Blexbolex füllt das Jahreszeitenprogramm mit Begriffen und Bildern, die mal feste und mal lose ins Thema geflochten sind. Hundertsechzig Illustrationen hat der in Berlin lebende Künstler für sein Buch JAHRESZEITEN eingesammelt. »Es hat einen Herbst, einen Frühling und zwei Sommer und dazu einige Unwetter und viel Sonne gebraucht, bis Blexbolex seine Jahreszeiten richtig begriffen hatte«, erfährt man auf der Frontispiz-Seite. Im Frühjahr wurde der zuerst 2009 beim französischen Verlag Albin-Michel erschienene und in diesem Jahr beim Berliner Verlag Jacoby& Stuart verlegte Titel mit dem Illustrationspreis des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (GEP) ausgezeichnet. Nach Auffassung der Jury »erzielt« das Buch »mit einer reduzierten Bildsprache eine hohe Imaginationskraft, die Achtsamkeit, Überraschung, Hintergründigkeit und Humor auslöst.« Dem kann man zustimmen. Durch das Buch blätternd, entfaltet sich ein Spiel mit Bildern und Begriffen, das dessen eigentlichen Reiz ausmacht. Über die Ko-
ordinaten von Frühling, Sommer, Herbst und Winter konstruiert Blexbolex sprachlich und visuell, spielerisch und persönlich einen Ausschnitt der Welt, in den auch Zitate der Hochund Popkultur eingestreut sind: Tim und Struppi sind da, und auch Manets Frühstück im Grünen. Man ist eingeladen mitzuspielen.
Gegen die Erwartung Blexbolex zeigt nicht nur, was ohnehin erwartet wird von einem Buch für Kinder ab drei Jahren: EINE SCHWALBE, EIN BLATT oder EIN UNWETTER; »seine Jahreszeiten« bestehen auch aus RAUSCH (Abb. S. 9) oder Abfall. Zumeist stehen sich auf einer Doppelseite zwei Begriffe mit ihren Bildern gegenüber. Seine stärksten Seiten hat das Buch dort, wo beispielsweise Leichtigkeit mit Alleinsein oder eine Begegnung mit ein Schatten kombiniert werden. Nicht nur in den Paarungen, auch in den einzelnen Begriffen arbeitet der Illustrator häufig gegen das Klischee. Die Bilder, die er dabei findet, sind manchmal so naheliegend, dass man hinter dem metaphorischen Gebrauch eines Begriffes, an den man sich schon so gewöhnt hat, dass es nicht mehr auffällt, dessen eigentliche Bedeutung wiederentdeckt. So wenn ein Schatten nicht Gefäß für drohendes Unheil und nicht verbleichender Überrest, sondern Projektion einer vorüberziehenden Wolke ist, die gerade einmal das gelbe Handtuch ocker färbt. Das verhindert freilich jene metaphorische Lesart nicht, die den Schatten gleich auf eine Begegnung der gegenüberliegenden Seite fallen lässt. Ist hier vor allem die Kombination überzeugend, so ist es im Motiv Ein Freibad (Abb. S. 5) die visuelle Umsetzung. In der Hauptsache sieht man dort drei Personen im Wasser, lediglich in der senkrecht durch das Bild laufenden Linie ist die Bahnenmarkierung eines Schwimmbads zu erkennen, welche in synekdochischer Ersetzung auf das Bauwerk verweist. Ein Freibad (statt eines Hallenbades) muss es deswegen immer noch nicht sein, erst der Begriff macht es dazu, er »bildet«, um mit Roland Barthes zu sprechen, »eine Art Schraubstock«, der die Bildbedeutung reguliert. Auf der anderen Seite befindet sich – stilistisch weniger gelungen – Ein Spaziergang, und wenn man will, kann man in der Abfolge eine Erzählung erkennen. Blexbolex legt eine Farbspur aus, und die Leserichtung hilft dabei: Schnell ist eine Verbindung hergestellt – die Badehose in dem einen Bild, ist so blau wie das T-Shirt des Jungen in dem anderen; die Badekappe des Mädchens hier so gelb wie das T-Shirt dort –, zwingend ist sie nicht. Vielmehr entdeckt man hier die strukturierende Qualität von Farbe. Das ist nicht übers Ziel hinausgeschossen, sondern ein Prozess, den man lediglich richtig einschätzen können muss.
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Echte Hürden nimmt Blexbolex, wenn er sich an abstrakte Begriffe wagt. Bekanntermaßen ist Abstraktes und Allgemeines im Bild schlecht darzustellen. Wo Begriffe beispielsweise Gattungen bezeichnen können, wird im Bild zwangsläufig der Einzelfall sichtbar: Wer Obst darstellen möchte, wird auf Äpfel und Bananen zurückgreifen, und selbst wenn er noch zwanzig, dreißig andere Früchte hinzufügt, so sind es doch immer nur Einzelexemplare von Obstsorten und niemals Obst.
Das Unbestimmte Komplizierter wird es, wenn man einer Person gänzlich ohne Worte etwas erklären soll, auf das sich nicht mit dem Finger deuten lässt. Welche Zeichen würde man mit Stift und Farbe aufs Papier bringen, um beispielsweise etwas Beunruhigendes darzustellen? Schnell hätte man eine große Anzahl beunruhigender Dinge oder Ereignisse aufgelistet, welche zu zeichnen einige Zeit in Anspruch nähme. Überdies wäre dadurch keineswegs eine erfolgreiche Vermittlung des Begriffs gewährleistet. Man würde feststellen, dass einige dieser Dinge nur unter gewissen Umständen oder nur für einen bestimmten Personenkreis beunruhigend sind, ansonsten aber auch Eigenschaften haben, welche darzustellen man nicht beabsichtigt, weshalb man schließlich davon absehen würde, weitere Gegenstände zu zeichnen. Über andere Wege nachdenkend, käme man vielleicht zu dem Schluss, dass ein Gefühl von Sicherheit der Beunruhigung vorausgehen muss. Weiterhin würde man erkennen, dass nicht die unmittelbare Gefahr beunruhigt, sondern etwas, das nicht eindeutig erkennbar, nicht richtig einzuschätzen ist. Beunruhigen kann auch, was bereits in der Vergangenheit für Ärger gesorgt hat und dessen erneutes Auftauchen daher nichts Gutes erwarten lässt. »Erwarten«, »nicht eindeutig«, »einschätzen« – Unbestimmtheit ist ein wichtiges Merkmal des Beunruhigenden. Nun ist aber jeder Strich, den man zu Papier bringt, unvermeidlich etwas Bestimmtes: eine Linie ist oder sie ist nicht, sie ist nicht vielleicht oder nur unter bestimmten Umständen eine Linie. Wie dann dem Fremden eine überzeugende Vorstellung vom Beunruhigenden geben? Wie das Unbestimmte bestimmen? Man käme vielleicht auf die Idee, eine Person zu zeichnen, die dorthin blickt, wo das Beunruhigende aufzieht, nämlich am Horizont. Ferne und Unwetter haben geradezu prototypischen Beunruhigungscharakter und sind daher als Metaphern bestens geeignet. Weil nicht gezeigt werden darf, was
nur erahnt oder vorgestellt wird, würde man das Bild lediglich soweit ausführen, wie notwendig ist, um die unbestimmte Ferne anzuzeigen. Damit wäre wahrscheinlich noch nicht alles geklärt, doch immerhin ein guter Anfang gemacht. ETWAS BEUNRUHIGENDES (Abb. S. 6) findet man in der hier beschriebenen Darstellung in Jahreszeiten gleich neben Regenschauer – die Auflösung? kann sein. Das Motiv zählt jedenfalls zu den interessantesten Bild-Text-Kombinationen. In welchen jahreszeitlichen Kontext es gehört und weshalb, ist eine Übung für Fortgeschrittene.
// Eine Linie ist oder sie ist nicht, sie ist nicht vielleicht oder nur unter bestimmten Umständen eine Linie //
Kopfschütteln Doch nicht immer überzeugen die Motive – begrifflich so wenig wie ästhetisch – in dem insgesamt schön gestalteten Buch. Dass manche Bezüge zwischen Text und Bild ungewöhnlich sind, hilft oft, die eigenen, routinierten Vorstellungen zu überprüfen. Daneben fallen aber auch Ungereimtheiten auf, die nur noch als falsch zu bezeichnen sind. Mag Ein Freudenschrei, das nach Ansicht des Rezensenten bestenfalls einen freudig erregten Rufer zeigt, noch durch seine in-
Alle Abbildungen © Blexbolex, Jacoby & Stuart 2010 Fotos S. 2, 4 & 9 © Andreas Rauth • K ARNEVAL (Detail), Titelseite • K ARneval, S. 2 • JAHRESZEITEN Buch, S. 4
• EIN FREIBAD (Detail), S. 5 • ETWAS BEUNRUHIGENDES, S. 6 • RAUSCH, S. 9 • ÜBERMUT, S. 10/11
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• Erst auf den zweiten Blick erkennt man, wer sich hier berauscht.
terpretierender Randlage produktiv wirken, so wird man den Hagel nur mehr zähneknirschend akzeptieren: Der Niederschlag fällt als lange blaue Linien diagonal durch das Bild – eine bekannte Darstellungskonvention für Regen –, vom Boden aufspringende Hagelkörner fehlen allerdings, oder wenigstens unterscheiden sie sich nicht von den aufspringenden Regentropfen in Ein Regenguss. Ganz unverständlich bleibt die AmeisenstraSSe. In dem Bild ist tatsächlich eine »Raupenstraße« zu sehen, falls es so etwas gibt. Ameisen sucht man hier jedenfalls vergeblich. Kopfschütteln auch bei Nebel, denn ganz offensichtlich handelt es sich um eine Überschwemmung. Entgegen der bekannten Wirkung alle Farben zu entsättigen, leuchtet dieser Nebel in Primärfarben. Blaue Schlieren liegen über weißem Grund, strahlend rotorange das Dach des Hauses in der Bildmitte. Ist es schon naheliegend, die blauen Schlieren als Wasser zu interpretieren, wird dies durch die rote Farbfläche unterhalb des Hauses noch bestätigt, in welcher unschwer eine Spiegelung des Daches zu erkennen ist. Und
schließlich sieht man vom Giebel einen Hund, der sich dort hinauf gerettet hat, hinunter in die Fluten blicken. Im übrigen versinken auch Bäume in den Wassern und man erkennt im oberen Bilddrittel eine Uferkante. Ohne weiter Vermutungen über die Fehlerquelle anzustellen, soll wohlwollend angenommen werden, hier prüft der Autor seinen Leser, der Illustrator den Betrachter. Glaubt dieser, was ihm jener unterschiebt, wird seine Wahrnehmung zur vom Künstler verfügbaren Masse oder prüft er Bilder und Begriffe? Erkennt er an der falschen Zuordnung die Konventionalität der Zeichen? Vielleicht hat Blexbolex die Fehler tatsächlich bewusst im Buch hinterlassen. Jemandem, der so mit den Begriffen arbeitet, ist das zuzutrauen; ja, fast müsste man als Leser/Betrachter enttäuscht sein, hier nicht herausgefordert zu werden. Blexbolex: Jahreszeiten Jacoby & Stuart 2010 200 Seiten, 20 x 27 cm, farbig € [D]18,95|€ [A]19,50|SFr 32,80 Ab 3 Jahren www.jacobystuart.de
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