Märkte
VDMA MAGAZIN
RINGEN UM DIE ZUKUNFT
Santiago
Chile steht im Ruf, die „Schweiz Südamerikas“ zu sein: Die Wirtschaft ist stabil, das Investitionsklima gut, das Leben sicher. Doch das Land steht vor einem politischen Umbruch. Ist es die Ruhe vor dem Sturm?
CHILE
AUTOR: FLORIAN SI EBECK
Deutsche Maschinenexporte 2020: 507 Mio. € Bevölkerung: 20 Mio. BIP-Wachstum 2021 (Prognose): + 6 % Quelle: VDMA, IMF
1
D 2
ie Zutaten für Chiles Wohlstand schlummern im Untergrund. Sie heißen Molybdän und Antimon, aber auch Lithium, Kupfer und Gold: Der Reichtum an Bodenschätzen ist für das Land und die Industrie ein Segen. In den Bergwerken kommt häufig deutsche Technik zum Einsatz – zum Beispiel Schachtbohrtechnologie und Bandanlagen der Herrenknecht AG. 2009 eröffnete der Maschinenbauer für Tunnel- und Schachtbohranlagen eine Niederlassung in Chile. „Wir mussten in den Anfangs jahren viel investieren, um bekannt zu 22
3
Grafiken: Noun Project; Fotos: Mariana Ianovska, Galenko Wladislav / Adobe Stock; tovfla / iStock; ifm; Herrenknecht; Wilo; Jungheinrich
#06 JUNI 2021
werden. Aber nach drei Jahren konnten wir erste Maschinen platzieren“, sagt Michael Weinhold, General Manager Mining South America bei Herrenknecht. Zwar genieße „Made in Germany“ einen hervorragenden Ruf. „Aber man muss präsent sein, um in Chile bei Infrastrukturund Miningprojekten Erfolg zu haben. Von außerhalb funktioniert es nicht.“ Immer mehr Maschinen- und Anlagenbauer folgen dem Ruf des chilenischen Marktes. Chile hat die größten Lithium reserven der Welt und ist Weltmarktführer bei der Kupferförderung. Aber auch Avocados, Lachs oder Wein sind Exportschlager. Für deutsche Unternehmen ist der chilenische Markt nach Brasilien und Argentinien der drittwichtigste in Südamerika. „Der Binnenmarkt ist relativ klein, aber für deutsche Maschinen- und Anlagenbauer interessant, weil Chile selbst kaum eigenen Maschinenbau betreibt“, sagt Johanna Sternberg, stell vertretende Geschäftsführerin der AHK Chile. Durch die offene Marktwirtschaft herrscht ein gutes Investitionsklima. Gründungen sind unkompliziert, die Rechtsprechung ist sicher. „Aber ohne entsprechende Kontakte ist der Anfang schwer, selbst wenn man exzellente Produkte hat“, sagt Silke Herrera, die Geschäftsführerin der lokalen Dependance der Jungheinrich AG aus Hamburg. Als der Hersteller von Flurförderfahrzeugen vor fünf Jahren nach Chile expandierte, übernahm das Unternehmen deshalb Netzwerk und Mitarbeiter seines vorherigen Händlers. Kontakte vor Ort essenziell Die knapp 130 Beschäftigten des Unternehmens sind auf alle Regionen verteilt, es gibt neben der Zentrale in Santiago noch zwei weitere Niederlassungen. Sie kümmern sich um Vertrieb, Service und Vermietung. „Allein geografisch ist Chile eine große Herausforderung, die Küste verläuft 4 300 Kilometer von Nord nach Süd“, sagt Herrera. Doch wer hochwertige Produkte vertreibt, sagt sie, dürfe beim Kundendienst nicht sparen. Dieser Prämisse folgt auch Andreas Fobbe, Ländergruppenmanager Südamerika bei der ifm electronic GmbH aus Essen. „Gerade an Deutschland schätzt man nicht nur die Qualität, sondern vor allem die Zuverlässigkeit. Man hört immer wieder:
Märkte
6
4 7
LAND IM UMBRUCH
5 1 _ Mit mehr als sechs Millionen Einwohnern stellt die Hauptstadt Santiago den wirtschaftlichen und kulturellen Mittelpunkt Chiles dar.
5 _ Mit den Mining-Maschinen von Herrenknecht werden in der Mine von El Teniente Lüftungsschächte gebohrt. 6 _ Svenja Ahlburg leitet beim Pumpenhersteller Wilo die Vertriebsregion Latein amerika.
2 _ Der Magellan-Pinguin ist nur ein Beispiel für die reiche Tierwelt des Landes. 3 _ Die indigenen Bewohner Chiles zählen immer noch zu den „Ärmsten der Armen“.
7 _ Silke Herrera leitet die lokale Dependance des Herstellers von Flurförderfahrzeugen Jungheinrich.
4 _ Nach Niederlassungen in Brasilien und Argentinien gründete ifm 2015 auch eine Niederlassung in Chile.
23
Chile wurde in den letzten Jahren häuftig von Unruhen erschüttert. Preiserhöhungen im Nahverkehr lösten 2019 eine Protestwelle im ganzen Land aus. Die Kritik richtet sich meist gegen die Regierung um Präsident Piñera. Sein neoliber ales Wirt schaftsmodell stammt aus Zeiten Pinochets und wird vielerorts als Ursache sozialer Probleme gesehen. Millionen von Chilenen erwarten von einer neuen Verfassung, sich vom Schatten der Militärdiktatur Pinochets befreien und die strukturelle soziale Ungleichheit beseitigen zu können.
Märkte
VDMA MAGAZIN
ANDERE LÄNDER, ANDERE SITTEN Chile mag vertraut, ja fast europäisch wirken – doch der Schein trügt zuweilen. Im beruflichen Kontakt gibt es so manche Eigenheit, die das Land auch von seinen Nachbarn unterscheidet. 1
3
KO N TA K T P F L E G E
I N N OVAT I O N E N
Chile ist eine in sich gekehrte Gesellschaft, das gesellschaftliche Leben findet oft in geschlossenen Clubs und Organisationen statt. Wer dort nicht auftaucht, wird in der Wirtschaft nicht unbedingt mit offenen Armen empfangen.
Neueren Technologien ohne Referenzprojekte stehen viele Firmen erst einmal skeptisch gegenüber. Vorteilhaft ist, wenn man Beispiele vorweisen kann, wo die Maschine oder Anlage schon zum Einsatz kommt – gerade wenn sie teuer ist.
2
4
Andere verkaufen und sind weg, Deutsche aber verkaufen und bleiben ansprechbar.“ Mit seinen Lösungen für Prozesstechnik und Automatisierung unterstützt das Unternehmen Lebensmittelindustrie, Autohersteller, Bergbau gesellschaften und andere. „Aber es lohnt sich in Chile nicht, eine Fertigung aufzumachen. Dafür ist der Markt zu klein.“ Viele deutsche Firmen bedienen den Markt von ihren Standorten in Brasilien aus. Nicht immer rechnet sich das: „Wir haben festgestellt, dass der Import von Brasilien nach Chile teurer ist, als wenn wir das Land von Essen aus beliefern“, sagt Fobbe. Die ifm electronic gmbh ist schon mehr als 23 Jahre in Brasilien und 13 Jahre in Argentinien aktiv, vor sechs Jahren kam die Niederlassung in Chile dazu. „Wir hatten auch andere Länder im Blick, aber die waren uns einfach zu unsicher.“ In Chile hingegen sind die Lebensbedingungen gut, das Klima ist angenehm. Während andere Länder in der Region versuchen, durch hohe Außenzölle die heimische Industrie aufzubauen, hat Chile früh seine Grenzen geöffnet: Kaum ein Land verfügt über mehr Freihandelsabkommen. Die geringen Handelshemmnisse sind einerseits ein Segen für die Wirtschaft, aber die Konkurrenz, gerade aus Asien, ist groß. Von Anfang an profitabel Der Markteintritt lohne sich dennoch, findet Svenja Ahlburg vom Pumpenhersteller Wilo SE aus Dortmund, wo sie die Vertriebsregion Lateinamerika leitet. Wilo ist schon seit 20 Jahren in der Region aktiv
SHORT FACTS ZWISCHEN DEN ZEILEN
DER GUTE RUF
Viele Chilenen sind höflich und bevorzugen indirekte Kommunikation. Ein Ja bedeutet nicht unbedingt, dass auch gekauft wird. Selbst schriftliche Vereinbarungen, die keine rechtlich bindenden Verträge sind, haben mitunter keinen Bestand.
Chile ist ein kleines Land. Führungskräfte kommen oft von denselben Universitäten und sind bestens vernetzt. Wer schlechten Service bietet oder zu viel verspricht, hat schnell einen Ruf weg. Schlechtes Renommee wird man nur schwer wieder los.
16 %
der deutschen Maschinenausfuhren nach Südamerika gingen 2020 nach Chile. Nur Brasilien war (mit 53 Prozent) ein größerer Abnehmer auf dem Kontinent.
Statistikdatenbank (interaktiv) go.vdma.org/6clsm
24
#06 JUNI 2021
Märkte
8 _ Johanna Sternberg, die stellvertretende Geschäftsführerin der AHK Chile, weiß das gute Investitionsklima im Land zu schätzen.
Grafiken: Noun Project; Fotos: AHK, VDMA
8
und expandiert seit drei Jahren verstärkt in Lateinamerika. „Chile hat dabei eine wesentliche Rolle gespielt, weil es das erste Land war, das von Anfang an profitabel war“, sagt Ahlburg. Die Pumpen von Wilo kommen an vielen Orten zum Einsatz: in Gebäudetechnik und Wasserwirtschaft, Bergbau, Fischzucht oder Landwirtschaft. Besonders beliebt sind digitale Lösungen und energieeffiziente Produkte. „Die Affinität für qualitativ hochwertige Produkte ist in Chile höher ausgeprägt als in den anderen lateinamerikanischen Ländern“, sagt Ahlburg. Im Gesamtvergleich sei Chile am einfachsten zu managen. „Beeindruckt sind wir vor allem von dem hochqualifizierten Personal vor Ort.“ Wenn man es denn findet. Denn Chile ist ein kleines Land. Bei der Wirtschaftsund Bildungspolitik orientiert es sich an den USA. „Es gibt hier eine starke Hireand-fire-Mentalität, die Fluktuationsraten sind im Vergleich zu Deutschland deutlich höher“, sagt Silke Herrera. Gute Köpfe wechseln nicht nur häufig, man muss sie sich auch leisten können. „Personen mit guter Ausbildung und Uni-Abschluss, die Englisch sprechen, haben fast das gleiche Lohnniveau wie in Deutschland. Einfachere Tätigkeiten werden dagegen weitaus geringer entlohnt. Diese Gehaltslücke unterschätzen viele“, sagt Andreas Fobbe. Die Ungleichheit bringt Chile immer wieder in eine problematische Schieflage. Das Land steht vor einer großen innenpolitischen Krise. Denn alles ist privatisiert: Bildung, Krankenversicherung, Altersvorsorge. Eine Änderung der Verfassung soll die soziale Balance wiederherstellen. „Die Bevölkerung setzt sehr viel Hoffnung in dieses Thema. Aber in keinem
Nachbarland hat eine Verfassungsänderung bislang zu einer wesentlichen Verbesserung des sozialen Ungleichgewichts geführt“, sagt Herrera von Jungheinrich. Schon in der Vergangenheit haben Streiks Teile des Landes lahmgelegt. Falls sich die politische Lage nicht entspannt, drohen weitere Proteste. „Allerdings verlaufen die Veränderungen in geregelten Bahnen und sie werden derzeit kaum von Gewalt begleitet“, betont Sternberg.
SÜDAMERIKA-EXPERTIN DR. SUSANNE ENGELBACH Dr. Susanne Engelbach ist bei der VDMA Außenwirtschaft für die Märkte Brasilien, Mittel- und Südamerika zuständig.
Dass die Regierung in Krisensituationen durchaus pragmatisch im Sinne der Bevölkerung agieren könne, zeige zudem die Impfkampagne. Durch seine starke Einbettung in die Weltwirtschaft konnte sich Chile frühzeitig Impfdosen sichern, durch Erdbeben und Naturkatastrophen ist das Land krisenerprobt. Weil die internationale Nachfrage nach Rohstoffen nicht einbrach, konnten Wilo, Herrenknecht und ifm in der Krise sogar dazugewinnen. Auch bei Jungheinrich zieht die Auftragslage wieder merklich an. „Makroökonomisch war Chile in den letzten Jahrzehnten sehr stabil“, erläutert Sternberg. „Die Haushaltspolitik war darauf bedacht, nicht zu viele Schulden zu machen. Das kommt dem Land jetzt zugute.“
Dr. Susanne Engelbach Telefon +49 69 6603-1446 susanne.engelbach@vdma.org VDMA-Büro São Paulo go.vdma.org/l3tod
Welche Bedeutung hat der Markt in Chile für Maschinen- und Anlagenbauer aus Europa? Chile ist ein Markt für Systemlösungen und hat einen starken Fokus auf Bergbau, Bau und Nahrungsmittel. Dank vieler Freihandelsabkommen eignet sich Chile sehr gut als Vertriebsstandort. Wie unterstützt der VDMA seine Mitglieder vor Ort? Unser VDMA-Büro in São Paulo unter Leitung von Thomas Ulbrich bietet den Niederlassungen in Südamerika ein gutes Netzwerk, es finden auch virtuelle Veranstaltungen zu aktuellen Themen statt.
„Chile eignet sich sehr gut als Vertriebsstandort.“ 25
Was sind die Themen der Zukunft? Wasserstofftechnologien sind in Chile auf dem Vormarsch. Im „Climatescope Ranking“ von BloombergNEF zur Attrak tivität für Investitionen im Bereich der erneuerbaren Energien belegt Chile aktuell sogar den ersten Platz. Nachhaltige Lösungen für den Bergbau sind zudem sehr gefragt.