Fotos & Text: Jörg Preis/photoschmie.de
Australier haben ein Faible für Außergewöhnliches. Das Wombat, eine Art Beutelsäuger, das sich von Pflanzen ernährt und wie eine Mischung aus Koala und Bär aussieht, ist ein in Europa eher unbekanntes Beispiel für die australische Artenvielfalt. Bei Boards geht es den Mates aus Down Under nicht anders. Bestehende Dinge werden miteinander kombiniert, bis etwas neues Brauchbares dabei herauskommt. TIDE Autor und Fotograf Jörg Preis hat sich in Byron Bay auf die Geburt eines WombatBoards eingelassen, seines neuen Boards. Es ist 5:42 Uhr. Um den Rangern hier am „The Pass“ zu entgehen, heißt es früh aufstehen – Dawn Patrol! Vor zwei Minuten hat mich das Handy aus meinem Traum gerissen, benommen rolle ich nun meinen Schlafsack auf
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BLANK 19606: SIEBEN FUSS FEINSTES ISO-FOAM die Seite und kicke die Hecktüre meines 79er Toyota Hiace Campervans auf. Mit einem rostigen Knarzen öffnet sich vor mir eine dunkelgrüne Welt, die nur von munteren Rufen einzelner Laughing Kookaburras aufgehellt wird. Ein paar Truthähne huschen durch mein Blickfeld, als ich mich am östlichsten Punkt Australiens, in Byron Bay, über den Parkplatz in Richtung Lookout begebe. Vor drei Monaten, Anfang November, bin ich in Sydney aufgebrochen, um mit meinem Van die Ostküste nordwärts zu cruisen: von Surfspot zu Surfspot. Der Weg ist das Ziel – ein endloser Sommertraum. Und irgendwie hat mich Byron Bay in seinen Bann gezogen: eine umwerfende Landschaft, entspannte Leute, stets Sonne und Temperaturen zwischen 20 und 30 Grad, dazu türkis-blaues Wasser,
elphine und Riesenschildkröten im Lineup D und mit „Lennox Head“ und „The Pass“ zwei der beliebtesten Point Breaks der australischen Ostküste. Wie beliebt insbesondere „The Pass“ ist, muss ich heute wieder feststellen, als ich noch etwas zögernd zum Point schlurfe. Die erste Crew ist schon im Wasser. Ganze sieben Leute sitzen bereits draußen und warten auf das erste Licht des Tages – jeden Tag. Aber gut, das ist „The Pass“ - Das ist Byron Bay. In der Bucht nebenan läuft „Wategos“. Ein idealer Spot für die langen Bretter. Gute fünf Fuß und saubere Sets geben mir den Kick. Rock’n Roll! Jetzt bloß keine Zeit mehr verlieren. Mit zügigen Schritten eile ich zum Van zurück, mache mein 9‘1“ bereit, Rashguard
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an, etwas Zinksalbe ins Gesicht, ein paar Yoga Asanas und los geht es. Während ich auf dem Weg an den Klippen entlang spurte, weht mir bereits eine warme Brise ins Gesicht und die ersten Sonnenstrahlen hinter dem Leuchtturm von Byron Bay lassen die Wolken über mir feuerrot erstrahlen. Eine kindliche Freude steigt in mir auf, da ich gerade an Deutschland denken muss, an Schnee, Kälte und Dunkelheit. „Alles richtig gemacht.“, denke ich, bevor ich mich in den Shorebreak stürze und sich mein Bewusstsein ins Hier und Jetzt katapultiert… …die Sonne steht bereits steil über mir, als mich nach knapp drei Stunden eine Welle nach Hause bringt. Ein verdammt guter Start in den Tag! Gestoked kehre ich zurück zum Parkplatz. Weetabix-Frühstück, chillen und dann wie jeden Freitag zum Surfshop „Bear Surfboards“. Doch heute wird ein besonderer
WEETABIX-FRÜHSTÜCK, CHILLEN UND DANN ZUM SURFSHOP Tag. Heute wird ein Wombat geboren, nicht irgendeines, sondern meines! Auf dem Weg zum Surfshop geht es durch die lebhaften Straßen von Byron Bay, entlang alternativer Straßencafés, obligatorischer Ökoshops, Second-Hand- bzw. Pre-Loved-Buch läden und vorbei an unzähligen Backpackern. Das Motto „Du hast ein Recht, anders zu sein“ wird hier gelebt. Der Asphalt kocht bereits, als ich den Showroom von North Coast Surfboards betrete. Unter den Klängen einer Beau YoungCD bewege ich mich entlang der Boards von Shapern wie Paul Hutchinson, Donald Takayama und Simon Jones, bevor mich Tony wie immer mit der Frage „Have you been surfing?“ begrüßt. Tony führt seit der ersten Stunde die Geschäfte des Surfshops; seit die ersten Boards im Hinterhof von Paul Hutchinsons Haus, in den grünen Hügeln um Byron Bay, geshaped wurden. Seit 40 Jahren schon formen „Hutchos“ Hände individuelle Wellenreiter – für Freaks & Weltmeister, Australier, Japaner und Europäer – mit Feingefühl und stets guter Laune. Von den Anfängen seiner Karriere kann ich mich eines Tages überzeugen, als ich hoch oben in den von Regenwald bedeckten Hügeln in Pauls offener Garage stehe und ungläubig
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sein Board No. 2 von 1966 in den Händen halte. Das Board ist etwa acht Fuß lang und mit Dings übersäht. Auf Brusthöhe sind mit der stolzen Handschrift eines Teenagers die Kontaktdaten von „Hutchinson Surfboards“ mit der damaligen Anschrift seines Elternhauses in Brookvale, Sydney, geschrieben. Mit einem schelmischen Grinsen und der Untermalung seiner gestikulierenden Hände erzählt Paul dann von den Anfängen des australischen Surfs, von seinem ersten Shaping-Room in Sydney und der baldigen Verlagerung nach Byron Bay, vom Traum von Freiheit und Unabhängigkeit und von dem 7.500-Doller-Schnäppchen für das Anwesen samt Kolonialhaus, das er seit Anfang der 70er bewohnt. Natürlich erzählt Hutcho nebenbei auch die Geschichten der Ära, als er die Boards für seinen Teamrider Steve Cooney zu den Uluwatu Sessions des Klassikers „Morning of the Earth“ formte. Seine Hände erzählen mir aber auch die Hingabe zu Marmor und Holz, seine Liebe zu progressiven Designs und die Anfänge von Bear Surfboards Australia. Gleich nebenan, im Holzschuppen, befinden sich die Überreste der Geburtsstätte. Von hier aus gingen vor gut 15 Jahren die ersten Malibus hinaus in die Welt. Hier schrieb die besondere Qualität der Wellenreiter von Bear Surfboards Geschichte. Die Longboards für Beau Youngs Weltmeistertitel entstanden bereits in der neuen Fabrik, genauso wie seine aktuellen Lieblingsshapes, die Wombats.
Das Wombat ist eines von derzeit acht verschiedenen „Beau Young Surfcraft“-Modellen. Die Idee für das „Fat Arse Wombat“ entsteht Anfang des Jahres 2002, als sich Paul und Beau wieder einmal die Surfszenen von Michael Peterson aus dem Klassiker „Morning of the Earth“ reinziehen. Inspiriert durch den mühelosen und doch extrem dynamischen Style von M.P., wollen beide ein modernes, frisches Surfboard entwickeln, dass in Form und Fahrgefühl dem von M.P. ähnelt: „Ein kurzes, dickeres Surfboard mit breiter Nose
EIN KLASSISCHES WOMBATDESIGN: SCHWARZER BOTTOM, SCHWARZE RAILS UND EIN WEISS-ROTES DECK und Tail, dass sich ohne Anstrengung surfen lässt.“ Das Konzept des „Fat Arse“ scheint aufzugehen. Erfahrene Longboarder schwören mittlerweile auf das Fat Arse, weil sie nun ein Longboard mit der Wendigkeit eines Shortboards, genügend Auftrieb und guten Paddeleigenschaften vorfinden. Sogar eingefleischte Shortboarder erweitern ihren Quiver um ein Fat Arse, da dieses die ideale Ergänzung für alle mushy Surftage darstellt. Für progressivere Surfer, die vor allem kürzere und reaktionsfreudigere Bretter surfen, wird das „Tight Arse Wombat“ ins Programm genommen: schmälere Nose und Tail, ein tieferes Concave-Shape und kleinere Finnen, um mehr Performance zu generieren. Das kleinste Mitglied der Wombat-Sippe ist das vor kurzem entstandene „Smart Arse Wombat“. Mit einem Swallow Tail versehen, erinnert es an ein Fish-Design, wobei es nicht den freilaufenden „skatey“ Surf hat, der die meisten Fische auszeichnet. Laut Hutcho carvt das Smart Arse bevorzugt Point Breaks und hohle Beach Breaks...
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Als ich mich nochmals mit Hutcho über den idealen Shape für mein Wombat unterhalte, liegt bereits das Blank #19606 in der Shapersbay. Sieben Fuß feinstes Iso-Foam von Bennett Australia. Irgendwo und irgendwie versteckt sich in dem Blank mein eigenes Wombat. Ein Surfboard, das eine ideale Ergänzung zu meinem 9‘1“ darstellen soll und das ich problemlos in Europa oder in Indonesien in kniehohen oder in 8-Fuß-Wellen surfen kann. Mit meinen Anforderungen und meinem Surflevel im Hinterkopf erzählen mir Hutchos Hände, was er aus dem Blank formt: Ein Mix aus Fat Arse und Tight Arse Wombat. Für das nötige Volumen, leichtes Paddeln und einen cruisy Surf erhält mein Wombat die Dicke eines Fat Arse; und für einen „more forgiving“ Surf adaptiert Hutcho den schmäleren Shape des „Tight Arse“ auf mein Board, insbesondere um die Gefahr, durch eine breitere Nose beim Turn einzufädeln, zu entschärfen.
Dann geht es schnell. Hutcho greift zum Fuchsschwanz und ich zur Kamera. Zunächst wird das Board auf 6‘8“ Fuß gestutzt, bevor Paul das Blank mit der Fräse auf die gewünschte Dicke von 2 ¾“ reduziert. Mit ruhiger Hand zeichnet er den Shape mit verschiedenen Schablonen auf das Blank auf. Der Fuchsschwanz gleitet dann, wie durch warme Butter, entlang der Linien und enthüllt Stück für Stück ein bisschen mehr. Dann folgt wieder die Fräse und mit gekonnten Fuhren entwickeln sich die Rails. Total versunken im Workflow schleifen, fräsen, schmirgeln und feilen Pauls Hände mein neues Wombat. Natürlich mit einem Lächeln auf den Lippen. Nach knapp 60 für mich spannenden Minuten liegt es dann vor mir. Makellos. Perfekt. Genau so, wie es für mich sein sollte: 6‘8“, 21“, 2 ¾“ Single Concave, Low Entry Rocker, Wombat.
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HUTCHOS HÄNDE ERZÄHLEN WAS ER AUS DEM BLANK FORMT: EIN MIX AUS FAT ARSE UND TIGHT ARSE WOMBAT
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Total gestoked folge ich dem Brett nun zum Sprayjob. Ich habe mich für ein klassisches Wombatdesign entschieden: schwarzer Bottom, schwarze Rails, und ein weiß-rotes Deck. Aber ehe mein Wombat ein neues Kleid bekommt, wird noch ein Model für Beau Young in Grün gehüllt. Bevor Evan loslegt, habe ich also nochmals Gelegenheit, Simon Jones beim Sanding zu besuchen. Ein großes Iggy-Pop-Poster prangert am Eingang des „White Room“, der Sanding Bay. Langsam öffne ich die Schiebetüre und trete in einen mit Neonlicht überfluteten und mit feinstem Staub überzogenen Raum. Simon arbeitet gerade an den laminierten Boards. Nur die hochfrequente Schleifmaschine übertönt die aufgedrehte Musikanlage. Mit Handzeichen mache ich Simon klar, dass ich meine Kamera für ein paar Aufnahmen dem Staubinferno aussetzen möchte. Während Simon, ein drahtiger Enddreißiger, weiter an dem Takayama Board schleift und für das finale Laminieren vorbereitet, wird mir nach ein paar Shots bewusst, dass ich nicht einmal eine dieser nützlichen Atemschutzmasken aufhabe. Mit einer feinen Staubschicht überzogen, verabschiede ich mich aus dem Iggy Pops Wohnzimmer und steuere an meinem Board vorbei hinüber zur Laminierhalle. Ich komme gerade noch rechtzeitig, als Ben Webber, der kleinere Bruder von Greg Webber, beginnt, ein Retro-Shape von Bear zu laminieren. Gespannt verfolge ich Bens Bewegungen, wie er das Glasfasergewebe mit Epoxydharz tränkt und über dem Board mit gleichmäßigen Strichen verteilt. Bens Augen, die sich hinter der Atemschutzmaske befinden, verraten seine Konzentration, während ich durch die Dämpfe des Epoxydharzes bedingt eine neue Leichtigkeit mit meiner Kamera entwickle. Gut gelaunt ziehe ich mich zurück ins Büro von Tony. Die neuesten SwellForecasts flackern gerade über den Bildschirm. Der Swell hat in den letzten Stunden zugenommen und die Tendenzen für das Wochenende sagen acht Fuß voraus. Zeit für eine zweite Session. Zeit, sich wieder um einen der begehrten Parkplätze am Pass zu kümmern. Einen Schlafplatz für heute brauche ich ja auch noch. Und wenn Swell angesagt ist, heißt es früh aufstehen…
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TIDE Autor und Fotograf Jörg Preis verbrachte das vergangene halbe Jahr dort, wo wir gerne unser Redaktionsbüro hätten: In Indonesien und Australien. War der gebürtige Ingolstädter anfangs noch Feuer und Flamme für die Story über die Geburt seines Wombat-Boards bei Bear, kühlte seine Begeisterung im Laufe der Nach-Recherche etwas ab. Die Jungs von Bear-Surfboards ließen sich ganz nach australischer Manier nicht von nervösen Deadlines aus der Ruhe bringen und lieferten Detailinformationen immer nur häppchenweise. Wer mehr Impressionen von Jörgs fotografischen Leistungen sucht, findet diese unter www.photoschmiede.de .
WENN SWELL ANGESAGT IST, HEISST ES FRÜH AUFSTEHEN... TIDE 40
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