Wolfgang Korall - Künstler sein

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KĂœNSTLER sein Ein Projekt von Wolfgang Korall

Galerie Alte Schule Adlershof, Berlin 2014



KĂœNSTLER sein Ein Projekt von Wolfgang Korall

Galerie Alte Schule Adlershof, Berlin 2014



JĂźrgen BĂśttcher Strawalde Klaus Dennhardt Carsten Gille Hans-Hendrik Grimmling Peter Herrmann Wolfgang Korall Christiane Latendorf Helge Leiberg Lutz Leibner Peter Liebl Nikolai Makarov Hans Scheib Inge H. Schmidt



Das Projekt Künstler sein. Ein Lebenskonzept. Eine Daseinsweise. Was macht das Künstlersein aus? Was treibt Künstler an, ihr Leben ihrer Arbeit zu widmen? Woher kommen der Wille, die Fähigkeit und die Energie, um mit ihrer Arbeit Kunst zu schaffen und dafür zu leben? Was ist Kunst - haben sie darauf eine Antwort? In langen Ateliergesprächen stellte ich diese Fragen befreundeten Künstlern aus einer besonderen Sicht: Es geht nicht um eine kunstwissenschaftliche Einordnung ihrer Bedeutung und um keine Interpretation ihrer Werke, sondern um ihre authentischen Erfahrungen des eigenen Künstlerlebens. Mit fotografischen Porträts, die von 2012 – 2014 entstanden, werden zwölf Persönlichkeiten als Menschen und Künstler abgebildet - in ihrer Atelieratmosphäre. Dabei habe ich versucht, das Wesentlich des Charakters und der Arbeitsräume einzufangen mit bewusst eingesetzter minimalistischer Technik. Denn auch hier soll eine größtmögliche Annäherung an die Authentizität erreicht werden. Die Künstler sind nicht Projektionsfläche meiner Wahrnehmung und Ansichten, sie beantworten Fragen und erzählen in den Interviews über sich und Facetten ihrer Entwicklung. Das Ergebnis sind ein Katalog mit Texten und Abbildungen und diese Ausstellung in der Galerie Alte Schule Adlershof, in der die Bilder und Skulpturen der Künstler mit den fotografischen Porträts in einer Werkschau vereint werden. Dieses Projekt ist eine selbst gestellte Aufgabe, mit der ich mir nach einem schweren Unfall auf einer Fotoreise mein Leben als Fotograf zurückgeholt habe. Was hat Bedeutung im Leben, was macht das Leben aus, welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten lassen sich finden, welche Triebkräfte für das Leben an sich und die Kreativität im Besonderen? Eine Annäherung an diese Fragestellungen möchte ich an die Besucher der Ausstellung und die Leser dieses Buches weitergeben. Wolfgang Korall

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Jürgen Böttcher Strawalde

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Was macht das Künstlersein aus und was unterscheidet ein Künstlerleben von anderen Lebensentwürfen? Der Begriff Künstler ist mir nicht geheuer. Wenn Leute von sich behaupten, sie wären Künstler, kann ich nur staunen. Ich bezeichne mich als Maler und Filmregisseur. Als Achtzehnjähriger begann ich 1949 im zerbombten Dresden Malerei zu studieren mit einem schlechten Gewissen denen gegenüber, die halb verhungert schwere Aufbauarbeit leisteten. Ich fragte mich, was ich als Maler in dieser kaputten Welt ausrichten könnte, zumal meine Bilder in der damaligen DDR als Formalismus abgelehnt wurden. Im übertragenen Sinne habe ich den Trümmerfrauen, Küchenfrauen, Wäscherinnen und Rangierern durch meine dokumentarischen Filme meinen Dank ausgesprochen. Mehr als andere Berufe lebt der Künstler mit seiner Biografie. Kannst Du das bestätigen und wie weit hängt es mit der Kindheit und ihrer Verarbeitung zusammen, Künstler zu werden? Alle Maler, Dichter, Musiker sind zu allen Zeiten wie alle Menschen ungefragt auf die Welt gekommen und haben in der Kindheit alles mit Neugier, Staunen und Ängsten entdeckt und erfahren. Diese frühen Erlebnisse sind die Wurzeln für alles Spätere. Der Charakter vieler meiner Arbeiten hat mit den Wäldern um Strahwalde in der Oberlausitz zu tun. Als Kinder sind wir durch die Wälder gestreift. Der Himmel erschien uns nie blau, sondern weiß gleißend gegen die Äste und Zweige der Bäume. Der Rhythmus der Lichtdurchbrüche war unregelmäßig, lebendig flatternd. Noch 70 Jahre später finden sich in meiner Malerei diese versprengten Weißdurchbrüche der unbemalten Leinwand. Wann immer ich später am Rande einer Strasse oder in dunklen Winkeln gerötete Lappenreste oder ähnliche Flecken bemerke, erinnern sie mich unwillkürlich an verrenkte, entstellte tote Soldaten, die wir als Kinder 1945 in den Gräben und Feldern um Strahwalde fanden und begraben halfen. Kann es sein, dass sich der Künstler das Staunen seiner Kindheit bewahrt? Während andere Erwachsene ihre Wahrnehmung der Welt rationalisieren und das Wundern über die Welt nachlässt? Ich weiß nicht, ob bei den erwachsenen „Nichtkünstlern“ das Wundern über die Welt nachlässt. Immer wieder und in letzter Zeit immer häufiger erfahre ich, dass Tausende sogenannter Künstler der Moderne eher ihre einmal entwickelte Masche abspulen und damit anerkannt und reich werden. Und sicher gerade deshalb und von Wundern keine Spur! Diese wohlhabenden Leute haben ihr „Künstlertum“ längst an das Management verraten. Ihre Hervorbringungen sind strategisch und marktorientiert. Vielleicht geht es dabei sogar gerecht zu: Diese Zivilisationsgesellschaft bekommt die Kunst, die sie verdient. Der wahre Künstler hat einen „positiven Knall“ und ist eher ein Kindskopf als ein Geschäftsmann. Arg verletzlich und ein genauer Beobachter aller sinnlichen Erscheinungen. Sa nenne ich „Verrücktsein“. Andere Berufe haben ihre Pausen, ihren Urlaub. Der Künstler hat nie Abstand. Alles ist Stoff, Herausforderung, Zauber und absturzgefährdet und man ist immer „im Dienst“. Deine Bilder erkennt man nicht an einem Konzept, an einer Methode, an einem Thema. Bei Dir spüre ich vor allem Seele und Leidenschaft in der Kraft der Farben und das ist gleichzeitig meine Frage: Ist das so? Geht bei Dir alles über Leidenschaft bis zur Ekstase oder zum Rausch, bis zu den Farben, der Pinselführung? Meine Malerei hat vor allem mit Musikalität zu tun. Auch meine Filme sind musikalisch gebaut und beinahe wäre ich Liedersänger geworden. Die Musikalität meiner Mutter hat mich geprägt und spätere „Offenbarungen“ der Musik. Bach, Scarlatti, Mozart, Schubert, die Brechtsongs, der Jazz nach der Dürre der Nazizeit. Das war mein Rüstzeug. Impuls und Form, eine Art Katechismus. Warum habe ich 1956 wohl die „Schwarze Mutter mit Kind“ gemalt? Erst 1990 holte Prof. Werner Schmidt das Bild in

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die Sammlung des Albertinums nach Dresden. Ohne den Jazz und mein Interesse an der Geschichte der Schwarzen in den USA hätte ich dieses Werk nie malen können. Aber der Hauptimpuls meiner Malerei kommt, abgesehen vom Talent, vom besessenen Beobachten, ja Genießen der sichtbaren, sinnlichen, erregenden Realität. Der Heißhunger der Augen ist fast schon pervers. Das Malen großer Bilder kann wie ekstatischer Tanz sein! Man gründet intuitive Energiefelder. Die zeichnerischen Spuren und Rhythmen müssen frei wie Gewächse oder Wolkenformationen entstehen. Dabei wie eine Bach`sche Fuge in der Atmung zentimetergenau! Man schöpft wie aus einem Ozean der sinnlichen Erfahrungen und da geht es nicht nur um das zu sehende Reale, vordergründig Sichtbare. Als kleiner Junge habe ich gern, fast leidenschaftlich Kieselsteine gesammelt. Wenn ich allein war, habe ich auf der Wiese hinterm Haus die Kiesel auf entfernte Wäschepfähle geworfen. Machte es „klack“ war das Ziel getroffen und ein Hochgefühl. Später in der Zeichnung eine erfundene Linie, in der Malerei einen Fleck in erregender stimmiger Farbe präzise und lustvoll zu setzen, ist verwandt mit dem buddhistischen Bogenschießen, gestand mir Hermann Glöckner, als ich ihn bei meinen Dreharbeiten über ihn nach dem Geheimnis seiner vollendeten Kurvenzeichnungen fragte. Was ist Kunst? Was macht Kunst anders als Nichtkunst? Eigentlich sollte man nicht über Kunst reden. Es ist eine Inkonsequenz zumindest für Künstler, sich über die letztlich kaum zu begreifende Kunst verbal erklärend auszulassen. Dabei wird vieles als Kunst verbreitet und verkauft, was keine Kunst ist. Weil es vor allem eine Ware ist und zu wenig lebendige Energie und Geheimnis hat. Warum habe ich 1958 die „Beweinung“ gemalt, die bei Ausstellungen immer abgewiesen wurde? Weil ich als Zwölfjähriger eine erste Begegnung mit dem Tod hatte: Mein einziger, großer Bruder fiel im Februar 1944 im Zweiten Weltkrieg. Viel später erst konnte ich, musste ich dieses Bild malen! Wie alle damaligen Bilder ohne die Hoffnung, es öffentlich ausstellen oder gar verkaufen zu können. Damals haben wir von fast nichts gelebt und zugleich war es unfassbar, den Krieg überlebt zu haben. Das machte mir bewusst, wie kostbar das Leben ist. Also, die Frage ist: Welche Beziehung zum Leben und welche Erfahrung steckt in der sogenannten Kunst und wie drückt sie sich aus? Zu mir: Was bedeuten mir meine Bilder? Für mich sind sie zauberhafte Lebewesen, aber ich begreife sie nicht wirklich. Es geht mir wie einem Gärtner, der viel arbeitet. Aber wenn er vor einer schönen Blume steht, kann er sich nur staunend vor der Natur verbeugen. Meine Bilder sind geben mir Halt wie ein Gerüst, damit ich weiterleben kann. Ich liebe sie, aber nicht, weil ich sie gemalt habe, sondern weil es sie gibt. Und ich staune, dass ich sie gemalt habe.

Jürgen Böttcher STRAWALDE 1931 in Frankenberg / Sachsen geboren. 1949 – 53 Studium Malerei an der HfBK Dresden. 1955 – 60 Studium an der Filmhochschule Babelsberg. Regisseur im DEFA - Studio für Dokumentarfilme. Maler. Regisseur. Lebt in Berlin. 12


Anna Chron XVI, 120 x 80 cm, 2010 13


Klaus Dennhardt

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Warum bist Du Künstler geworden? Gab es eine Prägung in der Kindheit oder eine treibende Kraft in der Jugend? Ich lache, weil schon der Begriff „Künstler“ mich ins Schleudern bringt. Weil ich mich nie selber als Künstler bezeichnen würde. Bringe ich nicht, hört sich an, als wäre es ein Beruf: Warum bist du Bäcker geworden? Es gibt natürlich einen Hintergrund. Weil ich von Kind auf in Berührung war mit dem Elternhaus meiner Mutter. Der Großvater war Friedhofsbildhauer. Er hatte die Werkstatt, einen Schuppen, sein Atelier, neben Häuschen und Garten. Nebenbei hat er gemalt, diese Bilder haben mich umgeben. Bilder in Biedermeierart, minutiös gemalt, autodidaktisch mit großer Sehnsucht nach Akademie. Diese Bilder hängen jetzt noch zuhause in meiner Umgebung. Könnte sein, das war der Impuls. Weil mich das als Kind sehr interessiert hat. Ich kann aber nicht sagen, dass ich darin meine Wurzeln als Maler finden würde. Es gibt ein Bild von ihm, das ich noch habe: Rehefeld im Erzgebirge. Eine Landschaft in feiner, liebevoller Art gemalt, die mich beeindruckt hat. Du bist in Dresden geboren, hast dort gelebt, bist ausgereist nach West-Berlin und von Berlin wieder nach Dresden zurück. Bist Du ein bodenständiger Mensch? Hat die Heimat für Dich im Leben und als Thema in der Kunst eine große Rolle gespielt? Na, wenn ich das bin, dann will ich das so annehmen, bodenständig zu sein. Mir ist unglaublich lieb geworden, was ich hier in meiner Heimat wiederfinde nach dieser Zeit woanders. Das Vertraute, das aus der Kindheit stammt. Ich habe 45 Jahre in Dresden gelebt in meiner vertrauten Umgebung bis zum Häuslerhaus meiner Kindheit in Colmnitz. Nach 1945 bin ich dort von meinen Angehörigen gerettet worden, weil ich am Verhungern war. Kriegszeit und Eindrücke, die mich geprägt haben und bis heute wirksam sind. Heute fühle ich mich wohl in Dresden. Wo ich arbeiten kann, da finde ich meine Bilder, da bin ich zuhause. Wie wichtig war es für Dich, ein Kunststudium zu bekommen? Wie hat Dich das geprägt? Wir hatten an der Mittelschule einen Kunsterziehungslehrer, der hat mein Talent erkannt. Ich habe gezeichnet, bin mit dem Zeichenbrett unterm Arm und Kohle an die Elbe gerannt. Dass die Malerei zur Leidenschaft wird, versuchte meine Mutter zu verhindern. Eine Schreckensvorstellung für sie, einen Hungerkünstler als Sohn durchfüttern zu müssen. Die Volkshochschule gab Malkurse. Da war eine Malerin, die war angetan von meinem Bemühen. Ich habe Postkarten abgemalt, richtig „in Essig und Öl“. Mein berühmtestes Bild war „Abends am Nil bei Kairo“. Ich war begeistert und wusste nicht, dass ein Bild nichts wert ist, wenn ich es von einer Postkarte abmale. Habe meine Postkartenbilder der Kursleiterin gezeigt und die sagte: „Ein unglaublicher Fleiß steckt in den Bildern. Vielleicht kannst du die Bilder einem Reisebüro in Ägypten anbieten...“ Da bin ich mit hängendem Kopf nach Hause. Sie hat mich zu einem Dozenten für Malerei an der Arbeiter- und Bauern-Fakultät geschickt. In der 10. Klasse erhielt die Schule ein Schreiben von der ABF. Die suchte Talente zum Kunststudium. Ich sollte mich bewerben. Das habe ich gemacht und bin gleich beim ersten Mal angenommen worden. Da war ich mit 17 Jahren an der ABF und sah zum ersten Mal eine nackte Frau als Modell bei Prof. Bammes. Da sind mir die Augen rausgefallen, was das für ein Wunder ist. So begann das Studentenleben. Ich merkte bald, wohin der Hase läuft mit dem gesellschaftspolitischen Unterricht und der militärischen Ausbildung. Zackzackzack! Da rückte ich langsam in die gegenteilige Position. Das war eine Haltung, die hat sich mit der Begeisterung für die Möglichkeiten bildender Kunst entwickelt. Sie nicht

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nur im Sinne des sozialistischen Realismus zu sehen, wie uns das aufgezwungen wurde, um niemals den Blick hinzuwenden in den westlichen Dschungel der Modernität, die in der Dekadenz endet. Gerade deswegen haben wir uns damit beschäftigt, weil sie uns das ausreden wollten. Junge Leute probieren immer das Gegenteil aus. Wenn man sich mit einer Richtung der Malerei beschäftigt hat, die den Funktionären nicht gefiel, wurde man in der nächsten Ausstellung ausjuriert. In meiner Zeit wurde diese Doktrin löchriger. Der Bitterfelder Weg wurde immer mehr verlassen, der sozialistische Realismus bröckelte. Woraus umgekehrt der Beweis konstruiert wurde: Seht, wir sind eine offene Gesellschaft, wir lassen „die“ doch ausstellen! Als Beweis dafür, wie frei die DDR mit ihren Künstlern umgeht. Nicht „sie dürfen gar nicht“, sondern „sie dürfen sogar.“ Du bist auch Fotograf. In Deiner Landschaftsmalerei sehe ich Deinen fotografischen Blick. Beeinflusst Fotografie Deine Landschaftsmalerei? Fotografie hat mich immer interessiert und spielt seit meinem 11. Lebensjahr eine Rolle. Seit dieser Zeit hatte ich im Bad ein einfaches mobiles Fotolabor. So habe ich angefangen. In unserem Haus wohnte ein junger Mann, der ein Fotolabor hatte. Bei ihm habe ich zum ersten Mal gesehen, wie ein Bild aus dem Licht wächst. Dieses Wunder hat mich fasziniert. Meine Bilder sind meine Blicke, diese Dinge, die ich als Maler sehe. Das Bild, in dem alles stimmt, das Licht, die Farben. Dieses gesehene Bild fließt ein in das gemalte Bild. Ich sehe das und bin inspiriert und will es nicht anders. Die Veränderung kommt über die tagelange Beschäftigung mit dem Bild, über die Reduktion. Dann wird es etwas ganz anderes. Aber der Ausgangspunkt ist der Blick, den ich habe, wenn ich die Landschaft sehe. Die Fotografie, die ich von dieser Stelle mache, nehme ich mit ins Atelier wie eine Skizze für mein Bild. Das ist ein Aspekt, eine Seite meiner Malerei, wenn ich gegenständlich arbeite. Da sind wir bei Deiner anderen Seite, Deiner abstrakten Malerei. Wie kriegst Du diese labyrinthischen Blätter hin? Wie kommst Du am Ende an der richtigen Stelle aus Deinem Labyrinth wieder heraus? Das Bild ist nicht vor meinem inneren Auge. Es ist ein Ergebnis meiner Bemühungen mit dem Bild, das vor mir liegt. Diese Fläche, die schon viele Spuren in sich trägt, dann wieder geöffnet wird, um sie neu anzugehen. Bis sich in diesem Zustand das Bild wie von selbst ergibt. Das Bild entsteht ohne Konzeption, ohne Vision. Es entsteht aus einer mir unbekannten Kraft heraus. Sonst wäre es eine Vision, die man in sich trägt und malt. Eine Vorstellungskraft wie Böcklin mit seinen Meeresweibern, diesen herrlichen antiken Sagenwesen. Das war eine Vision, die ihm vorgeschwebt haben muss. Diese unglaubliche Kraft der Vorstellung, sie in so eine tolle Malerei zu bringen, diese Vision habe ich nicht. Meine Vision ist, in meiner täglichen Arbeit im Atelier auf den Punkt zu kommen. In der Hoffnung, dass meine Vorstellung von dem Bild erfüllt wird, an dem ich arbeite. Wenn es denn abgeschlossen wäre, ist das für den Tag erreicht. Dann komme ich am nächsten Tag wieder und die Arbeit fängt von vorne an. Weil man denkt, man hat es erreicht und dann staunt, dass einem wieder etwas auffällt, was verändert werden muss. Ein Drehen und Wenden, das Spaß macht, aber auch Verzweiflung in sich trägt. Das ist das Labyrinth.

Klaus Dennhardt 1941 in Dresden geboren. 1958 – 61 ABF für Bildende Kunst Dresden. 1963 – 68 Hochschule für Bildende Künste Dresden, 1986 Übersiedlung nach West-Berlin. Lebt seit 2010 in Dresden. 18


Aus der Folge Linien in ihrer Wandlung, Aquarell / Acryl, 52 x 39 cm, 2012 19


Carsten Gille

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Wie bist Du zur Malerei gekommen? Wann begann das Interesse, gibt es Ereignisse, die Deine Entscheidung bestimmt haben? Da fällt mir als Erstes ein: Spätstarter. Habe nicht geahnt, dass die Kunst in meinem Leben so eine Rolle spielen wird. Immer schon eine Affinität zum Zeichnen. Der eigentliche Auslöser war das Studium der Kunsterziehung und Germanistik in Dresden. Aber es war noch nicht die Flamme, eher ein Flämmchen. Es gab im Studium einen guten Lehrer, der mir in kurzer Zeit ein paar Dinge beigebracht hat. Der hat den Auslöser gegeben und dann lief es bei mir wie von selbst. Der nächste Punkt in Dresden war das Kennenlernen der Kunstbibliothek, wo ich jede Woche zentnerweise Bücher rausgeschleppt habe. Dann wurde die Flamme groß, dann wollte ich das auch machen. Ich fragte mich, warum Lehrer werden, was soll ich als Lehrer...? Habe das Studium abgebrochen und mich in die freie Kunst begeben. Die Kunst wurde zu meiner Leidenschaft. Was war die Leidenschaft? Etwas auszudrücken, zu entdecken, zu malen? Was hat Dich letztlich angetrieben? Das war die plötzliche Lust, zeichnen, zeichnen, zeichnen! Malen war parallel, aber das Zeichnen spielte die Hauptrolle. Ich habe an der Elbe gesessen..., und dann habe ich sehr viel Akt gezeichnet. Da gab es die Cezanne Phase, Edvard Munch, das ging alles schnell. Wenn ich meine Munch-Woche hatte, habe ich meine Bilder in der Art gemacht. Wenn du dich voll damit beschäftigst, dann gehst du durch die Natur und durch die Stadt und siehst plötzlich wie Munch. Stehst in der Bahnhofswartehalle und siehst Munchbilder... Das war noch keine Hinterfragung, ob man das kann. Das war der totale Anfang. Als hätte mir jemand die Augen geöffnet. Vorher bist du wie blind und plötzlich merkst du, du siehst! Das dämmerte unter der Oberfläche und dann gab es nichts anderes mehr! Ich hatte nie Angst; dass man seine Sicherheit aufgibt, spielte keine Rolle. Ist das der entscheidende Punkt? Gehört Mut dazu, Künstler zu werden? Mut würde ich bei mir nicht sagen. Ich war einfach naiv genug und dachte, das wird schon irgendwie klappen. Ich habe bei der Post in Dresden Telegramme ausgefahren... Aber malen wollte ich und das habe ich gemacht! Ich habe die Pädagogik, die anderthalb Jahre eine Rolle spielte, als totale Einengung begriffen. Als ich mein Exmatrikulationszeugnis in der Hand hatte, war das eine Befreiung. Ich sehe in Deinen Bildern keine scharfen Linien, keine Kanten, die Flächen haben keinen Rand und fließen ineinander. Alles ist ohne Raum, flächig, duftig. Sind Deine Bilder Traumbilder? Träumst Du Deine Bilder oder warum malst Du so? Ich habe sehr realistisch angefangen. Ich habe Porträt und Figur gezeichnet und Landschaften gemalt. Bald kamen literarische Themen hinzu, wo ich viel grafisch gearbeitet habe. Dann gab es einen Punkt, wo es so nicht mehr weiterging. Ich war in einer Sackgasse gelandet. Ich habe mich gequält, habe Bilder zerschnitten und zerrissen. Das war quälerisch, sehr viele Jahre. Dann ging es wieder leichter, und ich habe nie begriffen, warum ich mich immer wieder quälen muss. Ich hatte mir zu sehr was vorgenommen, stellte mir ein Thema, das ich nicht bewältigt habe. Bis es 2008 einen Knackpunkt gab, wo ich alle Vorsätze, alle Gedanken im Kopf weggeschmissen habe. Hab einfach einen breiten Pinsel genommen und gemalt, fast mit geschlossenen Augen. Das gab mir ein Befreiungsgefühl, wo ich dachte, lass doch deine Bilder einfach aus dir raus fließen! Wie Musik, dass ich nicht erzähle, sondern das musikalische Prinzip soll die Bildfindung bestimmen. Was macht das Bild, wo will das Bild hin? Ich begleite das Bild beim Entstehen und schaue in mein Inneres und rühre was nach oben, was

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ich vorher nie gesehen habe. Wenn eine eigene Bildwelt entsteht, die ich vorher nicht kannte, wird es interessant. Deswegen sind meine Bilder nur scheinbar Landschaften. Wenn es Landschaften sind, dann sind es Landschaften, die es so nicht gibt, die ich so nie wirklich gesehen habe. Ich habe keinen Vorsatz, wenn ich anfange. Ich stehe vor der leeren Leinwand und dann entwickelt sich etwas. Es gibt auch Bilder, wo ich mich von Skizzen inspirieren lasse und denke, das ist eine interessante Komposition als Gerüst für ein neues Bild. Meistens verliert man beim Malen den Ursprung. Das Bild geht immer seine eigenen Wege. Die Farbe muss den Ausdruck bringen und nichts weiter. Die Farbe trägt die Malerei. Was treibt Dich an, Dich immer wieder an die Leinwand zu stellen? Kannst Du mir das beschreiben? Das ist einfach gesagt. Wenn ich es nicht mache, fühle ich mich beschissen. Das ist auch Abenteuerlust, ich gehe auf Entdeckungsreise, ich brauche deswegen kein anderes Abenteuer. Da ist auch die Frage, warum macht man immer wieder das Gleiche? Eigentlich ist das bescheuert. Aber wenn ich eine Woche nicht male, fühle ich mich nicht gut. Malen ist für mich so nötig wie das Essen und Trinken. Damit kommen wir zum Künstlersein zurück. Sind Künstler so anders, wie sie von den anderen wahrgenommen werden? Hattest Du ein Erlebnis, wo Du gemerkt hast, ich bin als Künstler anders? Es ist schwer, sich das Leben anderer Menschen vorzustellen. Ein Freund sagte, er wäre auch lieber Schriftsteller geworden, aber er muss an die Familie denken. Die ich kenne, die haben ein Gespür für die Kunst. Aber ich habe den Eindruck, dass sie in ihrer materiellen Sicherheit mehr Seelenruhe haben als wir. Das ist vielleicht Quatsch, weil sie dafür andere Probleme haben. Aber ihre Seelenruhe, die habe ich nicht. Aber Künstlerseelen sind immer in Unruhe. Kann es sein, dass genau das der Unterschied ist? Dass die Menschen, die bürgerliche Berufe vorziehen, abgesehen von Besessenheit und Talent, diese Seelenunruhe nicht wollen und nicht aushalten? Das wird sicher eine große Rolle spielen. Manchmal beneide ich die auch. Es wäre schön, ein Gärtner zu sein, der ein Gewächshaus hat und seine Pflänzchen gießt. Der weiß, das ist seine Welt und er kann davon leben. Der so eine Ruhe in sich hat. Das Getriebensein und die Unruhe, die man immer spürt, das ist nervend. Klar, man will das andere nicht. Man will nicht diesen geregelten Arbeitstag. Man kann seinen Tag selber gestalten. Kein Tag ist die Wiederholung eines anderen. Macht diese existenzielle Unsicherheit, in der Künstler leben, das Leben als Existenz, als Dasein, bewusster? Ja, der Existenzialismus macht das Leben spürbarer, ebenso wie unsere Arbeit uns glücklich macht. Wir müssen nicht in die Todeszone klettern und von Brücken springen, um uns lebendig zu fühlen. Ich spüre mich an der Leinwand. Auf den scharfen Wind, der uns um die Nase weht, möchte ich nicht verzichten. Es gibt viele, die froh sind mit ihrem bürgerlichen Beruf, glückliche Menschen. Von denen ich denke, die können sich ein Bild kaufen, das ich mir erst malen muss. Die können frei von Geldsorgen leben. Trotzdem will ich nicht mit ihnen tauschen. Sonst hätte ich mich nicht für mein Künstlerleben entschieden.

Carsten Gille 1959 in Berlin geboren. 1979 – 81 Studium Germanistik und Kunsterziehung in Dresden. Seit 1989 freiberuflicher Maler und Grafiker. Mitglied im Künstlerbund Dresden e.V.. Lebt in Frauenstein und Berlin. 24


Tier, テ僕 auf Leinwand, 85 x 70 cm, 2013 25


Hans-Hendrik Grimmling

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Was bedeutet für Dich, Künstler sein? Künstler sein bedeutet, mir einen Raum zu inszenieren, der mir die Illusion von Autonomie schafft. Für mich ist das Atelier nicht nur Werkstatt, sondern auch Bestimmungsort eigener Freiheit, eigener Unabhängigkeit. Ich bin mit Räumen groß geworden, die an Muster angeschlossen waren, an Abhängigkeiten, Erziehungsmuster. Mein Atelier war Bestimmungsort des ersten Gefühls von Ego, von Selbstsein. Das Atelier war der Sehnsuchts- und der Zufluchtsort, Freiheit noch nicht bewusst zu suchen, eher über sie zu stolpern. Natürlich ist das Atelier auch ein eingesperrter Raum, die Trennung vom Draußen, auch die schmerzliche Erkenntnis, dort nicht dazu zu gehören. Künstler sein heißt Suche nach Autonomie, nach Selbstbestimmung und Loslösung vom Draußen. Die Suche nach diesem Moment ist die Arbeit am Bild. Das ist für mich Kunst. Das Bild entsteht, wo das Draußen nicht mehr dabei ist. Gibt Dir dieser Zustand das Gefühl, dass Deine Arbeit Deinem Leben erst seine Bedeutung gibt? Bedeutung wäre mir zu barock. Es gibt mir das Gefühl, dass es für mich keinen anderen Weg gibt, als so weiter zu machen. Als wäre ich in einem Stollen, in dem es kein Umkehren gibt, in dem ich weiter graben muss. In diesem Stollen ist kein Licht, da ist das Draußen nicht dabei, ich grabe weiter. Trotzdem beschreibt die Kunst die Sehnsucht nach dem Draußen. Aber ein Bild kann nur entstehen, wenn es diese Dazugehörigkeit unterbricht, wenn es das Ich isoliert. Die Freiheit spielt in Deinem Leben eine zentrale Rolle. Was bedeutet Dir Freiheit, insbesondere die künstlerische Freiheit? Ich wollte vor allem niemandem im Weg sein. Ich wollte meiner Mutter nicht mehr zur Last fallen, mich selbst ernähren. Freiheit im Sinne von „ich brauche niemanden“, was eine Illusion ist. Man braucht die anderen. Kindheitsmuster, Erziehungsmuster, ideologische Muster, staatliche Systeme sind immer die Suggestion, dass die Hilfe von außen nötig ist, dass du ohne sie nicht leben kannst. Freiheit ist in jedem sozialen System die Suche, sich zu lösen von Abhängigkeiten. Kunst zu machen ist der größte Selbstzweck. Das darf man nie leugnen. Wir können allein nicht existieren. Aber wenn ich mein Bild baue, informiere ich mich über nichts, ich muss nichts konzipieren, ich muss nichts vorhaben, ich will nur ein neues Bild machen. Meine Quelle bin nur ich und was meine Augen gesammelt haben vom Gestern. Wenn ich mein Bild male, gehört niemand mehr dazu. Diese größte Freiheitsannäherung ist eine kurze Beglückung. Als ich vom Osten in den Westen ging, hatte ich das Gefühl, weggekommen zu sein von der Abhängigkeit „du brauchst uns“. Aber ich merkte auf einmal das andere Extrem, als sei ich im Westen im Weg. Hast Du eine Antwort auf die Frage, was Dich antreibt zu malen? Wahrscheinlich, wenn ich male, habe ich wieder das Gefühl, ich mache nicht mit. Ich mache irgendetwas nicht mit, ich verlangsame etwas, als widersetze ich mich der Geschwindigkeit. Kunst hat heute den Anspruch, progressiv, avantgardistisch zu sein. Das ist außerhalb von mir. Wenn ein Bild entsteht, sind es diese kurzen Momente des Glücks im Finden. Die Bildentstehung, die Sehnsucht nach diesem kleinen Glück, jagt einen immer wieder, als gäbe es nichts Schöneres. Kunst ist auch immer Vergangenheit. Selbst das sogenannte Avantgardistische lebt vom Erinnern. Kunst ist auch Einsamkeit. Ein Bild entsteht im größten Selbst. Kunst ist wie eine Droge. Eine Abhängigkeit, aus der man nicht mehr entkommen will.

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Es ist Wucht in Deinen Bildern. Wie eine Kraft, die ganz nach außen geht und Deine stärksten Bilder wirken wie ein gelungener Befreiungsschlag. Woher kommt die Energie? Ist da eine gewisse Wut dahinter, eine Art traurige Wut? Traurige Wut, das ist ein schönes Wort. Ja. Ich weiß es wirklich nicht, woher sie kommt. Ich vermute es nur. Vielleicht ist Kunst nur die Bemühung, beachtet zu werden. Das sagen viele, das wäre der kleinste Nenner. Ich liebe Flüsse mehr als das Meer, liebe das Fließen mehr als den Horizont. Ein Fluss will irgendwohin, will seine Quelle loswerden. Wenn das so ist, ich weiß es nicht genau, gibt es eine gewisse Urwut. Ich bin im Fluss. Aber ich wäre gern der Flößer auf dem Fluss, der einfach dahin treibt. So gibt es in mir eine Wut des Ungenügens. Ich fühle mich eingesperrt in eine Unzulänglichkeit. Diese Wut schäumt in mir. Gegen die kämpfe ich an. Ich möchte glücklich sein, aber ich weiß nicht, wie das geht. Es ist viel Schwarz in Deinen Bildern. Was ist Schwarz für ein Gefühl? Kurz gesagt Stille, Präsenz. Schwarz ist nichts Bedrohliches. Im Gegenteil, Sanftheit und Ruhe. Schwarz ist für mich unaufdringliche Stärke. Schwarz hat nicht die Bedeutung von Stillstand oder Tod, eher Trauer. Aber Trauer als etwas Beruhigtes, das keine Wut mehr hat. Das wäre eine schöne Findung: Schwarz ist die Sammlung von beendigtem Zorn. Es ist Ruß. Ruß ist der Zustand von Verbranntem, einer lodernden Flamme, die vorbei ist. Da ist etwas vergangen und hinterlässt trotzdem einen großen Nachweis, dass es passiert ist. Deine Bilder haben auch etwas Sperriges, oder Eingesperrtes? Die Leinwand ist der Zwang, sich in ein Format aus zwei Dimensionen zu fügen. Den Raum zu suchen in der Zweidimensionalität ist eine Inhaftierung. Ich lehre Komposition und sage den Studenten immer, ihr müsst begreifen, die Wahl des Formates für eine Idee, einen Strich, ist schon eine Entscheidung des Eingesperrtseins in ein Format. Wie kann der Strich in dieser Zelle Euphorie bekommen? Wie kann der leben? So gesehen ist jedes Bild eine mentale Sperre, in so einem Format irgendwas zu tun ist schon der Versuch eines Ausbruchs. In ganz schwierigen Situationen meines Lebens trete ich einen Schritt neben mich, sehe mich von außen: Wie kommst Du da wieder raus? Kennst Du das? Ist es diese kleine Distanz zur Wirklichkeit, die es ermöglicht, sie zu erkennen, um Kunst zu machen? Das wäre ein schönes Moment, aber das kenne ich nicht, das kann ich nicht. Ich habe gelesen, dass Kunst einem auch die Möglichkeit schafft, sich selber sehen zu können. Das gelingt mir nie. Dann sind meine Bilder nicht nur die Loslösung vom Draußen, sondern auch vom Drinnen. Dass man nicht nur frei sein will von Abhängigkeit, sondern auch frei von sich selbst, sich mit jedem Bild auch ein bisschen loswerden will... Was man ersehnt, was man vermisst, alles wird zur Kunst. Ich sage, Kunst ist die Rettung vom Leben. Das Leben ist schön, aber man muss es ertragen können. Es ist eine Form der Leidenschaft, eine Einheit zu leben. Ich lege meinen Studenten ans Herz, dass ein Leben ohne Euphorie keinen Sinn hat, dass Malerei die möglichste Annäherung an Euphorie ist, bei der die Flamme nicht ausgeht. Ich mache keinen Hehl daraus, dass das Scheitern immer gegenwärtig ist. Wenn die Euphorie schlapp macht, ist man als Künstler tot.

Hans-Hendrik Grimmling 1947 in Zwenkau bei Leipzig geboren. 1969 –1974 Studium an der HfBK Dresden und an der HGB Leipzig. Meisterschüler. Freier Maler in Leipzig. 1986 Übersiedlung nach WestBerlin. Seit 2007 Professur an der Berliner Technischen Kunsthochschule. Lebt als Maler in Berlin. 30


Mondf채nger, Acryl auf Leinwand, 190 x 140 cm, 2013 / 14 31


Peter Herrmann

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Warum wolltest Du Maler werden? Gibt es ein Ereignis, an dem sich diese Entscheidung abzeichnet? Eigenartigerweise wird diese Frage immer gestellt. Ich gebe auch immer die gleiche Antwort. Weil ich als Kind durch meinen Großvater, der Porzellanmaler war, immer den Geruch von Terpentin in der Nase hatte. Ich durfte nur selten in sein Atelier. Aber es roch durch die Tür immer so schön nach Terpentin. Der Geruch von Terpentin hat mich zur Malerei gebracht. Ich bin ein schon früh geschädigter Schnüffler. Welche Eigenschaften muss ein Mensch haben, um Künstler zu werden, abgesehen von einem guten Geruchssinn für Terpentin? Was macht das Künstlersein aus im Unterschied zu anderen Lebensentwürfen? Das ist, glaube ich, eine tief in dir schlummernde Leidenschaft, etwas selbständig herzustellen. Etwas Eigenes zu schaffen und die Freude daran zu haben, dass du ein Bild malst und dass du es abschließen kannst. Was manchmal gelingt, dass man drunter P.H.2014 schreiben kann. Das ist ein langer, langer Prozess. Dass ich nicht aufgegeben habe, liegt daran, dass ich zuerst eine andere Entwicklung hatte. Ich habe 20 Jahre in einem anderen Beruf gearbeitet und immer nach Feierabend gemalt. Ich bin nach Hause gerannt, hab was gegessen, dann Bilder gemalt. Das hat meine Obsession noch verstärkt. Diese Zerrissenheit zwischen Beruf und Leidenschaft war furchtbar. Für mich war klar, ich kann nichts anderes machen und ich war selig, als ich sagen konnte, jetzt bin ich ein freier Maler! Unterscheidet das den Künstler von den anderen, die sagen, wenn ich die Zeit hätte, würde ich das auch machen? Ist bei denen der Drang nicht stark genug ist, das Leben zu ändern? Das ist die Bestätigung, dass du durchhältst. Mir war oft furchtbar zumute, weil ich eigentlich schlafen musste, weil morgens um sechs der Wecker klingelte und ich noch an einem Bild malte. Das habe ich durchgehalten, das hat mir Kraft gegeben. Dann habe ich den Tag gut überstanden, weil ich gedacht habe, ich gehe bald wieder nach Hause und male. Wie entstehen bei Dir Bildideen? Was inspiriert Dich? Im Gegensatz zu vielen anderen Malern gehe ich zum großen Teil vom Erlebten aus. Was ich sehe, was mich anspringt, was mir ein Signal gibt, das muss ich malen, um mit meinen Mitteln auf der Leinwand näher heran zu kommen. Ohne dass es illustrativ wird. Mir geht es allein darum, dass ich dieses Erlebnis, was ich mit den Augen gesehen habe und im Kopf erinnere, auf die Leinwand bringe. Hast Du das Bild vor Deinem inneren Auge, wenn Du vor der Leinwand stehst? Zum Teil. Ich fange schnell an, das Bild anzulegen. Da ergeben sich Formen, die auch durch Zufall entstehen. So kann sich das Bild verändern. Es kann mit dem Gesehenen nichts mehr zu tun haben. Es ist mein Geheimnis, das erzähle ich nicht, ich hab das so gesehen und male das jetzt anders. Das Erlebnis löst nur den Impuls aus. So entwickelt sich die Fläche und wird zur Gestaltung. Deine Bilder wirken oft märchenhaft, der Wirklichkeit entrückt. Wird das rein interpretiert oder siehst Du das selber auch so? Manche sagen, dass ich der ewige Naive bin. Da habe ich nichts dagegen. Naiv zu sein ist nicht schlecht in der heutigen Zeit. Naiv heißt nicht blöd, sondern naiv ist die Reinheit des Herzens. Da-

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durch wird Naivität auch subversiv. Weshalb sonst haben meine harmlosen Bilder die Funktionäre in der DDR so gestört? Weil sie nichts damit anfangen konnten. Das Naive hat eine besondere Poesie. Du bist aus der DDR ausgereist im Januar 1984. Warum bist Du weg? Du hast doch die DDR nicht angegriffen mit Deinen Bildern? Die fühlten sich aber angegriffen. Es gab eine Zeit, da habe ich grau gemalt und galt als der Grau-inGrau-Betonsteinmaler. Dann bin ich Autodidakt. Wir waren eine Verbindung von Freunden, die intensiv miteinander redeten und gemalt haben, die berühmte Dresdner-Malerfreunde-Gruppe. Wir haben Ausstellungen gemacht, die anders waren, als die Funktionäre sich Kunst vorgestellt haben. So wurden wir in eine Antihaltung gegen die Kulturpolitik gedrängt. Als Du dann im Westen warst, hattest Du das Gefühl, zu spät aus der DDR rausgekommen und im Westen zu spät angekommen zu sein? Ja, das hatte ich von Anfang an. Aber da habe ich mir nichts vorgemacht. Ich wusste, ich hätte nie so einen Start gehabt wie der Penck. Weil er schon in den sechziger Jahren im Westen berühmter war als im Osten. Ich war 47 bei meiner Ausreise. Die wussten im Westen gar nicht, wer ich bin. Wenige Leute kannten mich. Ich hatte keine Lobby. Ich hatte schon 1961 überlegt, ob ich in den Westen gehe. Das war kurz vor dem Mauerbau. Wir hatten damals noch Spielräume. Ich habe vier verschiedene Deutschlands erlebt: Als Kind das Nazideutschland, dann die DDR, die Bundesrepublik, jetzt das wiedervereinte Deutschland. Das sind heftige Brüche in meinem Leben. Aber das jetzige vereinte Deutschland mit seinen Realitäten, seinen Schwierigkeiten und Brüchen ist hoffentlich das beste Deutschland. Künstler werden mit anderen Künstlern verglichen, als würde man sie nur im Vergleich begreifen. Kommt es nicht darauf an, dass man in seinen Bildern bei sich selber ist, oder was denkst Du? Das ist das Entscheidende. Dass man Affinitäten zu großen Malern hat, das ist völlig klar. Ohne die Götter könnten wir nicht leben als Maler, die haben uns ja weitergebracht und getragen. Tradition ist wichtig. Es hat alles schon irgendwo gegeben. Alles ist schon da, auch das Ideal. Es wird nur versucht, alles neu zu interpretieren. Aber es hat immer die gleiche Grundlage und beim Bild ist es die Fläche mit vier Ecken. Es hängt an der Wand und kann jedem guten Tag sagen. Was hast Du in Deinem Leben am meisten vermisst? Da ich die Malerei habe und die Malerei mich hat, habe ich nie etwas vermisst.

Peter Herrmann 1937 in Großschönau bei Zittau geboren. 1939 Umzug der Familie nach Breslau. 1944 Evakuierung nach Dresden. Seit 1951 Chemigraph. 1954 Malkurs an der Volkshochschule Dresden. Entschluss, Maler zu werden. 1984 Ausreise von Dresden nach Hamburg. Lebt seit 1986 als Maler in Berlin. 36


Das Preußische Mekka, Öl auf Leinwand, 170 x 190 cm, 2011 37


Christiane Latendorf

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Was treibt Dich an, jeden Tag neue Bilder zu malen? Es ist eine Quelle in mir, die immer fließt. Die weiße Leinwand war für mich immer etwas Heiliges. Ich habe als Kind auf weißer Farbe immer Gesichter gesehen. Was mich beeindruckt, versuche ich in Bildern auszudrücken, manchmal in Worten als Gedicht. Es treibt mich, einen Ausdruck zu finden für das Dasein in Verbindung zur Schöpfung. Und in Verbindung zu dem, was mich ausmacht als Menschen. Das ist wie ein innerer Drang, auch wie eine Aufgabe. Träumst Du Deine Bilder? Siehst Du innere Bilder oder wie funktioniert das bei Dir? Ich sehe die Bilder vor mir. Ich träume auch Ausstellungen mit Bildern, die ich noch gar nicht gemalt habe. Manchmal sind die Bilder wie ein Baum, der dasteht in der Betrachtung und manchmal geht es mir so, als ob ein anderer durch mich malt. Oft male ich in Verbindung zu früheren Malern, die gelebt haben. Ich fühle das alles wie einen offenen Raum, als ob wir alle in einem Raum malen würden und miteinander reden, uns weiterentwickeln. Als Schulkind habe ich in Berlin im Schaufenster den Rembrandt gesehen. Der hat mich angelacht und da wusste ich sofort, ich will auch Maler werden. Es ist ein Weg, der vorbestimmt ist und den gehe ich entlang mit Bildern unterm Arm. So habe ich jeden Tag das Gefühl, wenn ich nicht gemalt oder gezeichnet oder ein Gedicht geschrieben habe, dann ist der Tag für mich wie verloren. Meine Seele ist wie ein Gefäß, das dann leer ist und sich wieder füllt. Dann fließt es wieder über... Das ist ein ständiges Vollenden und Neuanfangen und es gibt kein Ende. Deine Bilder haben oft etwas Märchenhaftes. Die Märchen inspirieren Deine Fantasiewelt, oder wie muss ich mir das vorstellen? Die Märchen trösten mich. Ich habe als Kind schon Märchen gelesen. Dann hatte ich eine Freundin, die hat mir alle meine Märchenbücher nicht zurück gegeben. Das fand ich schrecklich. Jetzt, nach vielen Jahren, habe ich eines der Bücher im Antiquariat wiedergefunden. Das war für mich, als würde sich ein Kreis schließen, ein Freund zurückkommen, das war für mich ganz wichtig. Die reale Welt; empfindest Du sie als unangenehm oder als Bedrohung? Oder nimmst Du die reale Welt wie sie ist und kommst damit klar? Manchmal ist sie mir zu schnell und zu rasend, dann ziehe ich mich zurück. Beim Malen liebe ich die Langsamkeit und Ruhe, die in allem wohnt. Beim Malen kann ich die Zeit bestimmen und die Zeit kann sich beim Malen auflösen. Das habe ich jetzt bemerkt. Oder das ein Bild für mich lebendig wird. Ich hab mal gezeichnet und plötzlich hat das Bild ganz freundlich „hallo“ zu mir gesagt. Die Zeichnung hat mich gerufen. Meine Bilder sind für mich lebendig, das Malen und das Bild. Ich glaube, das ist es, was alle antreibt, die malen. Wenn Du vor der leeren Leinwand sitzt und anfängst zu malen, siehst Du schon das Bild vor Deinem geistigen Auge? Oder malst Du drauflos und das Bild überrascht Dich? Eigentlich fange ich immer gleich an ohne nachzudenken. Das Bild entsteht spontan. Ich kann mich darauf einlassen, dass die weiße Fläche, die mir immer heilig ist, dass die mir was zeigt. Es ist wie ein Austausch, wie ein Gespräch. Die Leinwand spricht mit Dir? Du bist beim Malen in einem inneren Gespräch mit der Leinwand? Ja. Das sind zwei Seiten. Eine Verbindung wie zum Göttlichen, wie zum Vater im Himmel, oder zur

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Quelle des Lebens. Auf manche Bilder würde ich gar nicht kommen, wenn sie mir von der Fläche nicht entgegenkommen würden. Ich male jede Woche im Kloster Marienstern und fühle mich hingezogen zu Maria, zu Jesus und den Heiligen. Mit denen spreche ich auch, sie sind für mich lebendige Wesen. Maria und die Heiligen sind mir sehr nahe. Ich gehe ab und zu zum Gottesdienst. Der Segen ist mir wichtig. Ich male einfach, was mich schon immer berührt hat, was mich angetrieben hat, ohne praktisch auf den Markt zu achten. Ich habe mehrere Galerien und ich male, was ich von mir aus malen muss. Was bedeutet Dir Erfolg? Was ist für Dich ein Erfolg? Erfolg ist, wenn mich ein Mensch versteht. Oder wenn ich Tieren zeigen kann, dass ich sie gern habe und sie das erwidern. Wenn ich Achtung habe vor dem anderen und Respekt. Ich habe mal zum Jahr der Toleranz den ersten Preis gewonnen in einem Plakatwettbewerb. Anerkennung ist wichtig. Beim Studium habe ich mein Diplom mit Auszeichnung gemacht und sehe das als Anerkennung für das gezeigte Werk und für mein ganzes Wesen. Ich habe alles gegeben, was ich geben konnte. Das war für mich die Anerkennung. Das war 1997. Dann habe ich sogar so viele Bilder verkauft, dass ich ein Jahr davon leben konnte. Ich habe viele Galerien und ohne die Anerkennung der Galeristen könnte ich nicht leben. Bei Dir kommt die Malerei aus einer großen Aufrichtigkeit, der Du nicht entkommen kannst. Wann weißt Du, so getrieben, wann ein Bild fertig ist? Oh ja, das ist eine gute Frage! Erst mal, wenn das Bild gut riecht. Das riecht dann so wunderbar. Dann habe ich ein gutes Gefühl. Dann erscheint mir der Titel und das Bild sagt, jetzt ist alles drin. Das Bild sagt mir, der Titel ist da und so ist es gut. Ich merke das. Es gibt Bilder, die sind wirklich fertig und alles ist drin, und dann gibt es Bilder, da wurde ich unterbrochen, weil das Telefon klingelt oder einer klopft an der Tür. Dann bin ich raus aus dieser Tiefe, dann muss ich beim nächsten Mal von vorne anfangen. Dann male ich weiter. Ich merke mir die Situation, die Landschaft, den Menschen. Das kommt später wieder zutage. Was ist für Dich im Augenblick das Wichtigste im Leben? Was denkst Du, worauf kommt es im Leben an? Das Wichtigste? Dass man offene Arme, offene Hände hat, um jemanden zu umarmen, der traurig ist. Ich hab mal auf dem Friedhof eine doll weinende Frau gesehen, sie einfach umarmt und das hat sie getröstet. Also spontan zu sein und nach seinem guten Gefühl zu handeln. So wie ich im Moment male, möchte ich auch im Leben sein. Wenn mich was berührt, wenn ich einen Obdachlosen sehe, dann gebe ich was und manchmal kann man es nicht. Aber wenn das Gefühl stimmt, sollte man das in diesem Moment tun. Freiheit ist wichtig. Ich hätte nicht Malerei studieren können zu DDR-Zeiten. Ich habe gemerkt, meine Bilder passen denen nicht. Für mich war damals klar, dann male ich still für mich, aber es gibt nicht den Raum, in dem meine Malerei akzeptiert wird. Die Montagsdemos in Leipzig sprengten alles, das war für mich meine Befreiung. Da habe ich Freiheit gefühlt und fühle sie bis heute, wenn ich daran denke und das ist überwältigend. Ich habe ständig den inneren Antrieb, ich bin noch nicht fertig mit meiner Arbeit, ich muss noch etwas malen! Freiheit ist, dass ich malen kann.

Christiane Latendorf 1968 in Anklam geboren. Schulbildung. 1985 – 87 Lehre Apothekenfacharbeiterin. 1988 – 91 Abendstudium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Gleichzeitig Studium zur Pharmazieingenieurin in Leipzig. 1992 – 97 Studium der Malerei und Grafik an der Hochschule für Bildende Künste Dresden. Seit 1997 freischaffende Malerin und Grafikerin in Dresden. 42


Morgiane, テ僕 auf Leinwand, 50 x 40 cm, 2013 43


Helge Leiberg

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Wie bist du in Deiner Malerei auf diese tanzenden Figuren gekommen, die inzwischen Dein Markenzeichen sind? Woher kommen diese Figuren? Mir geht es um Bewegung. Die Initialzündung war 1980. Wir machten Musik im Ballettsaal der Dresdner Oper. Micha Freudenberg, Lothar Fiedler und ich. Die Tänzerin Agila Siewert und ihre Tänzerkolleginnen haben dazu improvisiert getanzt. Als ich eine Pause machte und die anderen weiter spielten, habe ich in meinem Skizzenbuch gekritzelt. Es hat mich fasziniert, wie Tänzer sich bewegen können. Dort liegt die Keimzelle meiner Arbeit. Ich habe auch vorher schon tanzende Figuren gemalt aus Lebensfreude mit Anfang 20. Aber dort war der Ursprung, weil ich danach ein Buch gemacht habe zum Thema Jazz und Tanz mit einem Text von Henry Miller, ein originalgrafisches Buch, und da habe ich all diese Inspirationen des Tanzes von diesen Sonntagvormittagen in der Dresdner Oper eingebracht. Deine Figuren haben die Bewegungsenergie des Tanzes. Setzen sie die Energie Deiner Bewegungen beim Malen fort? Ja, das könnte man so sagen. Darin sehe ich wiederum die Verbindung zur Kalligrafie. Für mich sind die Figuren eigentlich geschrieben. Ich benutze auch chinesische Pinsel für meine Figuren und ich schreibe diese Figuren aus der Vorstellung der Bewegung heraus. Aus der Körperspannung, die ich für diese Bewegung versuche nachzuempfinden und im Bild umsetze. Faszinierend ist, dass Du diesen Malstil über so lange Zeit beibehältst. Hast Du darin eine Gewissheit im Ausdruck gefunden? Ich habe gemerkt, dass ich alles durch tänzerische Bewegung ausdrücken kann, was mich als Künstler bewegt. Genau wie im Ausdruckstanz. Du malst menschliche Zustände, Energiezustände, Gemütszustände und vermittelst keine konkreten Erlebnisse, Haltungen oder Botschaften? Botschaften in dem Sinne nicht. Meine Botschaft ist natürlich der human touch, dass man das Menschliche nicht aus den Augen verliert. Vom Gefühl her und von den Konflikten her, die unser Leben bestimmen und reichhaltig machen. Die Konflikte sind ein gutes Sujet, um sich darin auszudrücken. Spannungsfelder zwischen Menschen, zwischen Mann und Frau, unter Frauen und Männern; da gibt es jede Menge Spannungen und verschiedene Ebenen der Empfindungen, und die versuche ich mit meinen Figuren auszudrücken. Dabei sehe ich das alles im Sinne von Kalligrafie. Ganz wichtig ist für mich das Reduzieren. Weniger ist mehr Ausdruck. Manchmal habe ich immer noch zuviel auf meinen Bildern. Die erschließen sich auf den ersten Blick mit einem heiteren, klar erkennbaren, fast belanglosen Eindruck. Das ist nur die Oberfläche, die von vielen leider auch nur so wahrgenommen wird. Da steckt natürlich eine vielschichtigere, tiefere Ebene dahinter. Sonst wäre es langweilig. Dein großes Thema ist Leben und Tod, Schwarz und Rot. Haben Deine Bilder Bezüge zum mittelalterlichen Totentanz und den Totentanzzyklen? Ich habe 1986 angefangen, mich mit dem Totentanz zu beschäftigen, habe eine Serie von Zeichnungen gemacht, die im Haus am Waldsee in der Malstrom Ausstellung gezeigt wurden. 1992 gipfelte das in einer Ausstellung in Budapest... Darüber gibt es einen Film, der das Thema darstellt mit dem klassischen Totentanz von Kaiser, König, Bauer, Edelmann und dem Tod. Während des Reigens male

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ich Bilder und am Ende gibt es eine Ausstellungseröffnung, bei der alle Totentanzfiguren als Vernissagengäste wieder auftauchen. Ist es in Deinen Bildern nicht so, dass aus dem Totentanz eigentlich ein Lebenstanz wird? Was dem positiven Grundtenor Deiner meisten Bilder entspricht? Etwas Lebensbejahendes, das Deinem Wesen liegt? Ja, das kann man so sehen. Welche Rolle spielen die Frauen in Deinem Leben? Deine Figuren sind oft knackige Frauenkörper im Tanz. Sind Frauen eine wichtige Inspiration? Frauen spielen in meinem Leben eine große Rolle. Das ist nicht ungewöhnlich. Das ist das Spannungsfeld zwischen Mann und Frau. Dass quasi der Tod im Eros immer impliziert ist. Ich sehe es trotzdem auf eine positive Weise, weil es immer wieder Neues hervorbringt. „Der kleine Tod“ sagt man ja auch zum Orgasmus. Ohne die Frauen würde es kein Leben geben und kein Weiterleben. Deine Bilder haben eine große Farbigkeit im Schwarz, Rot, Gelb, diesen Farben der Leidenschaft. Was drückst Du damit aus? Die Farben unterstreichen, was ich in den Bewegungen ausdrücken will. Ich habe lange schwarzweiß mit höchstens einer Farbe gearbeitet auf weißem Untergrund. Die Keimzelle aller Arbeit ist eigentlich die Zeichnung, jedenfalls bei mir. Ob das Plastiken sind oder Performances, oder meine Malerei, immer ist die Zeichnung die Grundlage. Ich bin eher ein zeichnender Maler als ein malender Zeichner. Das Bild kommt aus Dir raus und ist auch schon fertig? Das muss relativ schnell gehen. Der Arbeitsprozess besteht im Wesentlichen aus vier Phasen: Die erste Phase ist, ich mache mir Gedanken, fokussiere mich auf ein Thema, das ich ausdrücken will und das mich gerade bewegt. Das habe ich im Kopf. Die zweite Phase ist, ich mache mir Gedanken über die Umsetzung, wie das Bild aussehen kann. Ich entscheide, welche Farbe ich brauche oder ob ich einen farbigen Grund will. Wenn ja, male ich den farbigen Grund. Wenn ich mich für eine bestimmte Farbigkeit entschieden habe, male ich die zuerst. Dann sitze ich vor dem gemalten Grund und versuche, mir die Figuren vorzustellen und die Körperspannung zu spüren. Wenn ich glaube, ich habe das, wird das ein relativ spontaner Akt, die Figuren auf die Leinwand zu bringen. Eine Skizze auf dem Blatt würde mir die Frische und Unmittelbarkeit nehmen. Baust Du diese körperlich-geistige Spannung richtig in Dir auf und arbeitest dann unter dieser Spannung an Deinen Bildern? Ja, so ist das. Und wenn dann das Telefon klingelt, ist alles vorbei...

Helge Leiberg 1954 in Dresden geboren. Maler. Zeichner. Plastiker. Musiker. Performancekünstler. Studierte bei Professor Gerhard Kettner an der Hochschule für Bildende Künste Dresden. Lebt und arbeitet in Berlin und im Oderbruch. www.helgeleiberg.com 48


Turn round! (Arbeitszustand), Acryl auf Leinwand, 200 x 160 cm, 2012 49


Lutz Leibner

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Du bist Autodidakt. Gibt es in Deinem Leben ein Ereignis, an dem bei Dir die Entwicklung zur Kunst begann? Kunst hat mich seit meiner Schulzeit interessiert. Ich bin von der Kunst infiziert worden durch befreundete Maler in Jena - Rup, Sonntag, Wandrer. Als ich diese Maler kennenlernte, hatte ich meinen Beruf als Elektromonteur bereits an den Nagel gehängt. Ich schnitzte mir Schachfiguren und wurde ermutigt, Skulpturen zu machen. Daraus hat sich alles entwickelt. Die Beschäftigung mit Barlach und anderen Künstlern hat mich sehr inspiriert und beflügelt. In dieser Situation haben wir uns kennengelernt. Du warst gerade dabei, einen Ausreiseantrag nach West-Berlin zu stellen. Ich war in Jena unter politischen Druck geraten und wollte diesem Druck ausweichen. Ohne zu wissen, was mich erwartet, bin ich 1982 mit meiner Familie nach West-Berlin ausgereist. Durch Vermittlung eines Kreuzberger Grafikers bekam ich eine Stelle als Hausmeister in einer Fabrik. Die Bedingungen waren ein Glücksumstand. Ich bekam ein Atelier in einer Fabriketage und konnte meine künstlerische Arbeit mit meiner Brotarbeit verbinden. „Künstler haben bei mir Bringepflicht.“ Mit diesem Satz übergab mir der Geschäftsführer G.H. dieser Firma mein „Hausmeisterbüro“. Ich hatte „sieben fette Jahre“ mit einem großen Atelier und konnte in dieser Zeit wunderbar arbeiten. Die ewige Frage: Was ist Kunst? Was ist der Anspruch an Dich selbst? Der erste, der die Definition Kunst auf den Punkt bringt, der bringt die Kunst um. Ich habe mich mit einem Frisör unterhalten, für den war Haareschneiden Kunst. Wer seine Kunden beim Verlassen des Frisörladens gesehen hat, musste ihm Recht geben. Aber reden wir vom Bild. Da ist der Rhythmus wichtig, die Komposition, die Seele, die Energie. Wenn ein Bild keine Seele hat, ist es schwierig für mich, das Bild als Kunst zu erkennen. Schlimmer als die leere Leinwand ist, wenn du mit leerem Kopf vor der Leinwand sitzt. In der Regel habe ich eine Vorstellung, was ich will. Eine Idee, eine Vision, eine Skizze. Erst dann kann ein Prozess beginnen. Ich mache Skizzen, arbeite mit Skizzen, mache Mailart, Collagen, Grafiken. Manchmal komme ich auch zu Bildern. Das Spielerische und Heitere ist mir dabei sehr wichtig. Große Formate sind nicht meine Sache. Sollte Kunst auch subversiv sein? Nein, sollte sie nicht, aber sie ist es. Sie kann den Künstler zersetzen. Wie wichtig ist Dir die Anerkennung Deiner Arbeit? Du fotografierst keine Bilder und ich male keine Bilder, weil wir anderen missfallen wollen... Aber wenn ich hier sitze mit meinen Farben und der Droge Terpentin, ist die Welt weit weg. Anerkennung ist wichtig und angenehm und dann komme ich auch gern in die Welt zurück. Worin siehst Du für Dich die wesentlichen Unterschiede in Deiner künstlerischen Entwicklung seit Deiner Ausreise aus der DDR? Ich will dir ein Beispiel nennen: 1980 bin ich zum Rat der Stadt Jena, Abteilung Finanzen gegangen und wollte für eine verkaufte Plastik Steuern zahlen. Der Beamte erklärte, dass ich das nicht darf, dazu nicht berechtigt bin und mich strafbar mache. Dagegen bin ich in West-Berlin nie vom Finanzamt weggeschickt worden... In der DDR wurde die künstlerische Arbeit immer politisch bewertet.

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Die Irritation für mich bestand darin, dass ich nie so recht wusste, ob meine Arbeit aus ideologischer oder künstlerischer Sicht bewertet wird. Hier im Westen ist die Kunst eine Ware auf dem Markt. Aber die Ausreise habe ich als Glücksumstand empfunden. Ich wusste, dass im Westen niemand auf den Leibner wartet. Ich habe hier zum ersten Mal gesehen welches Niveau die Weltkunst hat. Aber die persönliche Freiheit habe ich genossen. West-Berlin war eine geschlossene Anstalt mit einer Himmelsrichtung, die Künstler aus aller Welt angezogen hat. Wäre ich sieben Jahre später in West-Berlin angekommen, hätten mir sieben Jahre freier Entwicklung gefehlt. Du hattest eine gute Zeit in Berlin. Warum hast Du Berlin verlassen und bist aufs Land umgezogen? Eigentlich wollte ich in meine alte Heimat Thüringen zurückgehen. Ich habe mein Berliner Atelier aufgeben müssen und infolge von Sanierungsmaßnahmen wurde meine Wohnung in Kreuzberg unbewohnbar. So ergab sich ein Weggehen von Berlin unter Zeitdruck. Ruhe und Licht spielen eine wichtige Rolle für meine künstlerische Arbeit und ich habe eine Übergangslösung in der Nähe von Berlin gefunden. Kontakte zur Familie und Galerie und zu meinen Kollegen kann ich problemlos halten. Ich hatte in den letzten Jahren unbefriedigende Arbeitsbedingungen. Seit zwei Jahren habe ich Bedingungen ähnlich wie ein freischaffender Künstler, der von seiner Arbeit leben kann. Was ist Dein aktuelles Thema, woran arbeitest Du? Ich arbeite an Entwürfen für Bilder zu Gedichten. Keine Illustrationen, sondern eine poetische Beigesellung mit Stift und Farbe. Geplant ist diese Arbeit über ein Jahr. Ich beschäftige mich seit langem mit der christlichen Bildsprache und ihrer Symbolik. Insbesondere faszinieren mich Engeldarstellungen. Engel sind Visionen und als Visionen eigentlich nicht abzubilden. Ihre Darstellung durch die Kunstgeschichte ist immer eine Vorstellung in ihrer Zeit. Ich nehme mir aus Freude und Interesse an dem Thema die Freiheit meiner Darstellung ohne theologischen Aspekt. Es sind Adaptionen von Figuren aus der christlichen Mythologie in meiner Bildsprache. Daran arbeite ich und ich werde so lange malen, bis mir der Herr den Pinsel aus der Hand nimmt.

Lutz Leibner 1949 geboren in Prestewitz. 1952 Umzug der Familie nach Jena. Sportschule. Abitur. Elektromonteur. Pädagogikstudium. Exmatrikulation 1976. Beginn der künstlerischen Arbeit. 1982 Übersiedlung mit Familie von Jena nach Berlin - Kreuzberg. Lebt seit 2012 als Maler in Bad Freienwalde. 54


Fテシr E. Klimov, テ僕 auf Leinwand, 90 x 85 cm, 2011 55


Peter Liebl

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Was macht im Rückblick Dein Leben als Künstler aus? Was definiert Dich als Künstler, vom Werk her und auch als Mensch? Ja, das ist eine schwierige Frage. Ich muss früh gemerkt haben, dass das Unglück und Leid des Lebens zum Teil aufgefangen werden kann durch Kreativität. Ich sage noch nicht Kunst, aber ich bin früh dazu übergegangen, schon in der Schule, in der ich mich lange nicht zurechtfand, zu malen. Einem einfühlsamen Kunstpädagogen verdanke ich es, dass er mir hier einen Ausweg gezeigt hat. Ich habe immer gedacht, es kommt nicht so sehr darauf an, das Leben zu verstehen, sondern etwas zu gestalten. Diese Einstellung und Erkenntnis zieht sich durch mein Leben und hat mir sehr geholfen. Hast Du eine Antwort gefunden auf die Frage, was ist Kunst? Ich habe mich in meiner künstlerischen Entwicklung nicht an Moden oder Trends des Kunstmarktes orientiert, sondern immer versucht, meinen eigenen Weg zu finden, auch wenn er oft auf Ablehnung gestoßen ist. Ich möchte etwas Individuelles schaffen, etwas Persönliches. Dazu muss ich auch bereit sein, an meine Grenzen zu gehen, auch das Leid anzunehmen, das Scheitern. Dann kann es vielleicht sein, dass ein Kunstwerk entsteht. „Kunst ist Kunst als Kunst und alles andere ist alles andere.“ Um Ad Reinhardt zu zitieren. Kunst entsteht meiner Meinung nach aus der Innenwelt des Schaffenden und seiner Verbundenheit mit allem Lebendigen, dazu gehört auch die Zwiesprache mit den alten Meistern. Wo findest Du bei Deiner Suche Gewissheit, Dein Bild ist Deine Kunst? Jeder Schaffensschatz liegt in der Kindheit begründet. Kontinuierlich zu arbeiten begann ich 1973 in Graz. An der Kunstakademie war Malerei zu meiner Zeit eher verpönt, gefordert war politisches Engagement. Erst nach dem Studium suchte ich nach einem eigenen Stil. Zuerst malte ich schachbrettartige Bilder, angeregt von Mondrian, in denen ich nach überzeugenden Farbklängen suchte. Bis ich nach mehreren Übermalungen spürte, dass das Bild fertig ist und klingt. In der Kunst sehe ich ein Modell, etwas Schönes zu machen. Aber was ist schön? Dahinter steckt wohl unsere unerfüllbare Sehnsucht. Künstlerische Arbeit erfordert ein andauerndes Ringen und auch wieder ein Loslassen. Imre Kertész schreibt: „Kunst ist immer so, als führe sie durch eine Krankheit.“ Was treibt Dich an, was gibt Dir immer wieder einen neuen Impuls, Dein Leben lang Deine Arbeit als Maler zu machen? Jeder Künstler erfährt Schaffenskrisen, aber sie sind notwendig, um eine neue Stufe zu erreichen, um etwas besser formulieren und ausdrücken zu können. Ich male in erster Linie nicht, um berühmt zu werden oder Erfolg zu haben. Natürlich will man das auch, aber ich würde trotzdem malen, weil ich die Malerei als notwendig für mein Leben erfahren habe. Was den Künstler wohl vom Intellektuellen unterscheidet, ist, dass er nicht bei der Reflexion stehen bleibt, er will vor allem gestalten. Die Belohnung für seine anstrengende Arbeit ist das Gelingen des Werks. Gleichzeitig ist die künstlerische Arbeit auch immer ein Prozess, der nach Freiheit strebt. Bilder sollen entstehen wie Leben, Tag für Tag harmonisch wachsen, wenn die Idee der Gewaltlosigkeit darin Fuß fassen soll. Daher suche ich auch immer wieder die Stille, die Natur, weil ich mich so leichter in den Zustand versetzen kann, künstlerisch zu arbeiten.

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Ein wichtiger Teil Deiner Arbeit sind Porträts. Die Bilder wirken wie moderne Ikonen. Ist das so und woraus hast Du diesen Stil entwickelt? Das war mir am Anfang gar nicht so klar. Aber seit Jahren versuche ich das zu formulieren. Aufgewachsen im Bayerischen Wald, in einer katholisch geprägten Umwelt verleugne ich diese Wurzeln nicht. Nach persönlichen Protesten an den verkrusteten Strukturen ist mir bewusst geworden, dass Religion und Kunst etwas sehr Entscheidendes gemeinsam haben, nämlich die Sehnsucht nach Vollkommenheit und Erlösung. Ich möchte ein Gesicht malen, das verdichtet ist und nicht ein Porträt im naturalistisch-realistischen Sinne, daher auch meine Vorliebe für die Ikonenmalerei, in der ich dies verwirklicht sehe. Neben meinen ersten abstrakten Versuchen habe ich immer auch Gesichter gemalt. Irgendwann kam der Wunsch, beides in einem Bild zu vereinen. Ich wollte den Menschen nicht aufgeben, wollte den Menschen darin haben in meinen Bildern. Das ist vielleicht mein originärer Beitrag zur gegenwärtigen Kunst, die abstrakte Welt mit der Person eines Menschen in einem Bild versöhnt zu haben, auch wenn dabei Brüche unvermeidlich sind. Deine Porträts haben diesen magischen unheimlichen Blick der Augen, der Deine Figurenbilder sofort erkennbar macht... Wenn das so ist, stimme ich gerne zu. Das ist ein hohes Ziel und etwas, was ich an den wunderbaren Ikonen eines Andrej Rubljow gesehen habe, dass die Gesichter nicht nur nach außen schauen, sondern auch nach innen. Das ist eine Art doppelter Blick. Das liegt mit daran, dass ich bei den Porträts die Frontalität betone, nicht den voyeuristischen Blick von der Seite oder von oben, immer direkt. Das ist etwas, was den Betrachter trifft. Man schaut zuerst ins Gesicht, in die Augen, und kann sich nicht voyeuristisch tummeln im Bild. Dies führt bei manchen zu einer Ablehnung. Wenn ich ein Figurenbild male und das Gesicht gelingt, kann meist nichts mehr schiefgehen. Das Gesicht zu malen ist immer das Spannendste. Jede Generation bemüht sich um einen zeitgemäßen Ausdruck und versucht gewohnte Seherfahrungen aufzubrechen. Aber es gibt in der Kunst keinen Fortschritt vergleichbar dem in der Wissenschaft. Entweder das Werk erhebt sich in den Rang der Kunst oder nicht. Oder wie Adorno sagte: “Träfe ein Blick von einem anderen Stern die Kunst, so wäre ihm wohl alle ägyptisch.“ Welche Rolle spielt für Dich der Glaube? An Gott, an die Schöpfung... Gibt es da einen tieferen, inneren Zusammenhang mit Deiner Arbeit? Für Alexej Jawlensky war „Kunst eine Sehnsucht zu Gott“. Auch ich teile in gewisser Weise diese Haltung, strebe nach Transzendenz. Kunst kann mehr als nur die sichtbare Wirklichkeit abbilden. Das geformte Werk, also sein Inhalt, weist in seinem Modellcharakter über das Leben hinaus. Mein künstlerisches Tun sehe ich somit als Rückbindung in Verantwortung an die Schöpfung, eben als „Religion“. Dabei ist es nicht notwendig, religiöse Sujets, eine Kreuzigung oder eine Madonna mit Kind zu malen. Doch glaube ich, dass die Banalisierung und Verflachung, die man im Kunstbetrieb oft antreffen kann, auch darauf zurückzuführen ist, dass der Anspruch auf Transzendenz aufgegeben wurde und man sich mit Design und Unterhaltungswert begnügt. In mein Tagebuch notierte ich einmal: Wie bekomme ich ein tieferes Verhältnis zur Farbe, ohne ihr sinnliches Moment zu schwächen? Sie müsste die Brücke zum Göttlichen sein! Sich wie eine Blume demütig wartend ausrichten, in das Unsichtbare vertiefen, das aus vielen Spiegeln entgegenfunkelt. Als Matisse einmal gefragt wurde, ob er an Gott glaube, antwortete er: „Ja, wenn ich arbeite.“

Peter Liebl 1946 geboren in Kötzting, Bayerischer Wald. 1969 – 73 Studium an der Kunstakademie München. 1976 – 2000 Lehrtätigkeit am Musikgymnasium der Regensburger Domspatzen. Lebt als Maler in Donaustauf. 60


Madonna mit Kind und Katze, Mischtechnik auf Leinwand, 160 x 120 cm, 2007 61


Nikolai Makarov

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Was macht Dein Bild zur Kunst? Weil Du es so siehst, wenn Du es malst? Oder weil die anderen es so sehen? Mit den anderen hat das überhaupt nichts zu tun. Das hat nur mit mir persönlich zu tun. Ich habe beides, ich bin ein Kopfmensch und ein Bauchmensch. Ich denke mir ein Bild aus oder sehe die Welt in Bildern, und manchmal bin ich glücklich, dass ich in mir so ein schönes Bild sehe und denke, ich muss das gar nicht mehr malen. Weil ich es sehe und mich frage, warum soll ich das jetzt noch malen. Manchmal ist es so, dass ich dann aus dem Wettstreit von meinem Kopf und dem Bauch sage, probiere das Bild zu machen! Das ist schon da im Kopf und wird in der Komposition vorbereitet. Ich fange an zu malen und es ist wieder der Bauch, der mich bestimmt, weil ich ein Stimmungsmaler bin. Ich merke, wenn das Licht toll ist, oder wie schnell die Zeit vergeht. Dieses Zeitgefühl erlebe ich intensiv. Das versuche ich in meiner Kunst vieldeutig darzustellen. Dass es nicht einen Moment in der Zeit gibt, sondern durch diese diffuse Geschichte ist die Zeit nicht fassbar. Das ist mein Plan. Dass es irgendwann mit Ausstellungen angefangen hat, war eher die Reaktion von Künstlern, die ich kennengelernt habe. Die mir sagten, stelle die Bilder mal aus. Meine erste Ausstellung war in einem Jazzclub am Ostkreuz. In Moskau hatte ich vorher eine, die verboten wurde. In Berlin waren das kleine Geschichten und dann wurden es immer mehr. Trotzdem ist es bis heute so, entweder habe ich Lust für mich zu malen, oder ich sehe mein Bild vor meinem inneren Auge und bin auch so glücklich damit. Man erkennt Deine Bilder sofort. Als würde man in eine Kirche gehen und in dieses Zwielicht kommen. Man erkennt noch nichts richtig, die Pupillen weiten sich noch... und so arbeitest Du. Nichts ist scharf, es gibt nicht den scharfen Blick. Welche Idee ist dahinter? Es gibt den festen Moment nicht. Es gibt nur die Annäherung. Es ist wie mit der russischen Literatur und ihren langen Sätzen. Wenn man mir eine Frage stellt, ja oder nein, rede ich immer lange. Ich nähere mich an. Genauso mit meiner Düsternis, in der Dunkelheit. Darunter ist viel Energie. Auch das Licht, dass sich an manchen Stellen aufhebt wie in einer Balance. Ich bin ein sehr ausgeglichener Mensch, ich mache mir vielleicht alles zu romantisch. Alles muss zum Schluss harmonisch sein. Nicht so, dass irgendwas bleibt, was mich stört. Ich habe Bilder übermalt, wo ich merkte, irgendwas stimmt da nicht. Das zu verändern ist zuviel Arbeit. Ich male das wieder zu und fange noch einmal an. Ich bin ein Stimmungsmensch und alles muss stimmen, alles muss am Ende positiv sein. Hast Du Angst vor der Dunkelheit? Ist der Tod ein Thema für Dich? Nein. Das ist bei mir so wie mit dem Schlafen. Die Nacht und der Tod sind mir sehr vertraut. Die begleiten mich, ich kann mich auf sie verlassen. Dunkelheit gehört zum Licht. Auch das ganze Unbewusste, das wir im Bauch haben. Das Unbewusste ist nicht sichtbar. Nur in der Nacht, in den Träumen, sehe ich diese Parallelwelt, die wunderbar ist. Die Nacht ist mir lieber, weil am Tag nur Kram zu erledigen ist. In der Nacht, wenn ich schlafe, bin ich ruhig und glücklich. Ich denke, der Tod ist das Gleiche wie das Leben. Jetzt bist du in dem einen Zustand und dann bist du in einem anderen Zustand. Jetzt bin ich auf der Welt und dann bin ich nicht mehr auf der Welt. Aber ich bin immer da, das ist für mich das Gleiche und das eine gibt es nicht ohne das andere. Deine Bilder wirken oft religiös, als wärst Du ein tiefgläubiger Mensch. Ist das so, glaubst Du an einen Gott? Ich weiß nicht, ob ich ein religiöser Mensch bin. Ich will nix mit der Kirche zu tun haben. Die Kirche ist eine menschliche Erfindung und keine göttliche. Deswegen sage ich, ich glaube an Gott ohne zu

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untersuchen, was das ist. Sondern es ist, wie es ist. Ich bin orthodox getauft, denke aber, jeder darf sehen, was er will. In dem Sinne bin ich gläubig wie alle friedlichen gläubigen Menschen. Es gibt Gott und es gibt den Glauben. Den hast du in dir und er treibt mich bei bestimmten Entscheidungen an, das Gute zu machen. Dass ich mich selber prüfe. Nikolai, mach keinen Scheiß! Diese Kraft, an etwas zu glauben, was unbeschreiblich ist, gibt ein Sicherheitsgefühl. Du bist Humanist, du bist ein Mensch, der so etwas erleben darf wie das Leben auf der Erde. Ich weiß nicht, warum ich sonst auf die Erde gekommen bin. Irgendwas muss dahinter stecken. Was ich meine, ist ein Glauben in dem Sinne: Das Bild ist der Träger von unbewussten positiven Energien. Manche empfinden, es kommt vom Glauben. Andere sehen es so wie in der Natur. Du guckst den Himmel an und freust dich, dass es ein bestimmtes Blau ist oder wie die Wolken fliegen. Oh, ist das schön! Genauso ist das mit meinen Bildern. Der eine guckt bloß und sieht nichts. Wo ist das Bild? Ah, alles zu dunkel, es interessiert ihn nicht. Der eine sieht eine kleine Blume am Weg und freut sich und der andere tritt drauf und sieht sie gar nicht. Was denkst Du, unterscheidet den Künstler vom Nichtkünstler? Was ist ein Wissenschaftler? Was ist ein guter Arzt? Das ist auch eine Art Kunst. Wenn du fotografierst und gute Fotos machst, das ist Kunst. Der Unterschied ist nur, andere Leute sind anders begabt oder gar nicht begabt. Jedenfalls glaube ich, dass ich eine Aufgabe habe: Ich will Kunst machen. Weil mir das gut tut. Der Künstler ist einer, der ein Werk schafft. Das ist wie etwas Göttliches und wie mit der Natur, etwas, was es vorher und ohne dich nicht gibt. Wenn du einen Strich machst, zack, schon ist ein Strich da! Davor gab es diesen Strich nicht. Das alles liegt in der Natur des Menschen. Wie vom Ursprung an, wo die Zeichnungen in den Höhlen gefunden wurden. Es gab Handwerker, es gab Jäger, es gab Sammler, es gab Künstler. Es scheint, der Mensch kann ohne Kunst nicht leben und irgendein Schicksal wird jedem mitgegeben. Du musst Kunst machen und der andere muss jeden Tag jemandem das Herz operieren. Bis ich mir eine neue Idee so vorstellen kann, dass ich sie realisiere, bin ich wochenlang wie gelähmt. Das ist der Unterschied zu anderen Berufen, wenn ich mich mit Freunden treffe, die einen normalen Job haben und Feierabend. Ich sitze da und meditiere wie ein kleiner Buddha und sage mir, es kommt. Ich bin wie ein Empfänger und warte, während es im Kopf rattert. Ich schmeiße Ideen weg, es kommen neue, die ich wegschmeiße. Bis ich die Bilder sehe. Man ist verzweifelt, man will sich das Leben nehmen, man ist deprimiert... und plötzlich ist alles wunderbar und du arbeitest und machst und wirst trotzdem nicht glücklich, weil du spürst, etwas ist noch nicht da, und du wartest und suchst... Das ist keine leichte Arbeit. Gerade bei den Künstlern, die nur ein paar Striche machen, ist das schwer.

Nikolai Makarov Geboren 1952 in Moskau. Studium am Fremdsprachen – Institut Moskau. 1974 Übersiedlung nach Ost - Berlin. 1976 – 1980 Studium der Geschichte Humboldt-Universität Berlin. 1984 – 1987 Meisterschüler AdK Berlin. Seit 2000 Vorstand der Sergej-Mawritzki-Stiftung. Lebt als Maler in Berlin. 66


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Kannst Du Dich erinnern, gibt es ein prägnantes Erlebnis, warum Du Dich entschlossen hast, Künstler zu werden? Wenn ich mich recht erinnere, war es der Entschluss einer Kinderbande. Ein paar Freunde und ich haben gesagt, „wir machen was mit Zeichnen!“ Wir zeichneten gerne. Da waren wir 11, 12 Jahre alt. Mehr oder weniger sind wir alle Künstler geworden: Andreas Homberg, Reinhard Stangl, Manfred Strehlau, Florian Havemann. Gibt es in Deiner Familie eine künstlerische Tradition? Vielleicht ist meine Großmutter daran schuld. Wenn ja, vielen Dank! Damals gab es Sperrstunden für Licht. Dann mussten wir Kinder im Dunkeln singen. Wenn Licht war, wurde gezeichnet. Dann gab es Papier und Stifte und wir waren beschäftigt. Das war ein prägendes Vergnügen. War das eine Fügung oder Bestimmung, dass sich dieses Vergnügen zur Kunst entwickelt hat? Wenn Dein Vater Astronom gewesen wäre, hättest Du in die Sterne geguckt? Nein, ich hätte Sterne gezeichnet. Du hast eine außergewöhnlich starke Energie. Gibt es diese Kraft, die Dich antreibt? Klingt alles hervorragend. Hoffentlich stimmt es! Du hast erzählt, wie Du mit dem Holz umgehst. Dass Du dem Holz nicht folgst wie andere, sondern in das Holz rein gehst und ihm Deine Form aufzwingst. Kannst Du das noch einmal beschreiben? Ich sehe Holz als ein Material an. Aber ich bin kein Materialfetischist. Ich möchte gerne Figuren machen, gute Figuren, die stimmen. Da ist manches Material sehr frech und anderes weniger. Manche Dinge kann man sehr gut mit Holz machen. Es funktioniert umso besser, je weniger man sich darüber Gedanken macht. Also um Gottes Willen bloß nicht kunstgewerblich werden! In jedem Falle versuche ich mit allen Mitteln der Idee zu folgen, die ich vor mir sehe. Das geht auch über Widerstände hinweg. Wie spürst Du, wann Du mit einer Figur fertig bist? Hast Du am Anfang eine klare Vorstellung und siehst das Ende, oder ist es eine Suche und das Ende ergibt sich? Eher letzteres. Ich denke, es ist im weitesten Sinne vergleichbar mit Bekanntschaften, die man mit Menschen macht. Für manch einen braucht man ewig und bei anderen kann man sofort die Arme auftun oder sich abwenden. Das Gegenüber und in diesem Falle die Figur, sagt es einem, gibt mir ein Zeichen. Ich kann es dir nicht anders beschreiben. Aber es gibt ziemlich komplizierte Kumpels unter den Figuren, solche, die mich ewig nicht in Ruhe lassen. Und es gibt auch klare Ansagen: jetzt weißt du nichts mehr, es reicht. Du machst schon sehr lange Deine künstlerische Arbeit. Was treibt Dich die langen Jahre an, dass Du nie aufhörst, immer weiter machst? Ich kann nicht anders! Es ist halt so. Das ist mein Leben geworden. Eine Frage zu Deinen Bronzefiguren. Die haben eine ganz andere Ästhetik als die Holzfiguren. Sind das zwei Seiten in Dir, zwei Künstler in Dir?

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Wie kommt das, haben diese beiden Seiten einen tieferen Grund? Auf jeden Fall sind es zwei ganz verschiedene Arbeiten. Etwas aus einem Material wie Holz heraus schlagen ist etwas anderes, als um einen Draht herum mit Wachs eine Figur zu modellieren. Das ist eine ganz andere sinnliche Geschichte. Aber ich habe keine Programme aufgestellt, weder für die eine noch die andere Seite. Wahrscheinlich ist es logisch, dass es unterschiedlich aussehen muss. Weil es verschiedene Arbeitsmethoden sind. In den Holzfiguren sehe ich Deine Kraft und Energie und in den Bronzen eine feine Ästhetik in ihrer raffinierten Komposition... als wären das Arbeiten von verschiedenen Bildhauern... Sind es aber nicht... Vielleicht bin ich ja nur zur Hälfte ein „Holzkopf“. Ein Kollege von Dir nannte Deine Holzfiguren bemalte Karikaturen. Ist Dir das von anderer Seite schon gesagt worden und was würdest Du darauf entgegnen? Der Mann verwechselt Charakteristik mit Karikatur. Deine Holzskulpturen wirken teilweise skurril, grotesk, sie spitzen zu, machen etwas deutlich. Kann man das so sagen? Ich will Deine Arbeiten nicht interpretieren, will nur von Dir wissen, wie Du selber das siehst. Ich kann dabei nicht helfen. Auf jeden Fall kommt es mir so vor, dass die Welt, die uns umgibt, skurriler ist, grotesker ist, als ich jemals mit meinen Figuren sein könnte. Und eben diese Welt inspiriert mich. Welche Rolle spielen Zweifel und Gewissheit in Deinem Leben, in Deiner Kunst? Kämpfst Du mit Deinen Zweifeln oder bist Du Dir Deiner Sache beim Arbeiten eher gewiss? Ich weiß nicht genau, ich nehme aber an, dass der Mix aus beidem ein guter Betriebsstoff ist. Denkst Du, dass sich ein Künstlerdasein vom Leben anderer Menschen mit anderen Berufen wesentlich unterscheidet und wodurch? Was muss man haben, um Künstler zu sein? Ich wäre lieber Artist. Ich finde, Artist klingt besser. Ich hatte im Leben nichts anderes vor. Meine Karriereversuche als Indianerhäuptling oder Lokomotivführer, als Spion oder Weltraumfahrer habe ich ad acta gelegt. Aber ich kenne ein wunderbares Zitat, das Picasso zugeschrieben wird: „Wenn ich wüsste, was Kunst ist, ich würde es euch nicht verraten.“ Vielleicht ist das genau das Richtige. Weil du durch die Dinge, die es schon gibt in der Natur und in der Kunst über die Jahrtausende inspiriert und geschult wirst. Vielleicht ist das ein schöner Weg, aber ich weiß nicht, ob das so ist und so funktioniert. Ich ahne es nur.

Hans Scheib 1949 in Potsdam geboren. Schriftsetzerlehre. 1971 – 76 Studium an der HfBK Dresden. Bildhauer und Zeichner. 1985 Übersiedlung nach West - Berlin. Lebt in Berlin. 72


M채dchen. Tod V (Detail), Holz / Farbe, 184 x 135 x 32 cm, 1992 73


Inge H. Schmidt

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Warum bist Du in der Malerei zum Porträt gekommen? Ich bin wahnsinnig neugierig auf Menschen, die ein besonderes Schicksal haben, eine besondere Erfahrung. Die unter schwierigen Umständen leben und wie sie dieses Leben meistern. Es gibt Leute, die leben im Reichtum und im Luxus und sind nur am Jammern. Dann gibt es welche, die leben irgendwo im Gebirge in tiefster Armut und sind glücklich und im Frieden mit sich. Was macht die Menschen aus, die so sind und so handeln? So eine Empathie haben, so freudig das Wenige teilen. Und andere, die so viel haben und die nichts geben. Vor 13 Jahren fing ich an, in Kreuzberger Cafes Gesichter in meinen Skizzenblock zu zeichnen. Danach bin ich ins Atelier und habe die Gesichter größer gemalt. Ich habe ein sehr gutes fotografisches Gedächtnis und male oft aus dem Kopf. Als ich begann, abseits von ausgetretenen Pfaden in entlegene Ecken der Welt zu reisen, habe ich Menschen gezeichnet, denen ich unterwegs begegnet bin und von deren Schicksal ich erfuhr. Einmal schaffte ich es nicht, die in meinem Atelier ausgelegten Zeichnungen von Köpfen wegzuräumen, bevor eine Galeristin kam. Sie sah die Porträts und sagte: „Wow, die Bilder sehen irre aus, die haben eine unheimliche Ausstrahlung!“ Das sind doch nur Köpfe, meinte ich. Ich wollte diese Porträts nur für mich malen, etwas verstehen, die Seele einfangen - wie du in deinen Fotos. Ich muss eine Seelenverwandtschaft spüren in dem, was die Person ausmacht und was sie mit mir zu tun hat. Jetzt kann ich nicht mehr damit aufhören, egal wo ich bin. Ich glaube, es ist die Suche nach mir selbst. Es ist gut, wenn man reist, das entwickelt einen weiter. Meine gemalten Köpfe sind meine Seelenbilder. Was macht Deiner Erfahrung nach das Künstlerdasein aus? Was stellen Dir die Leute für Fragen zu Deinem Künstlerleben? Was mir immer auffällt ist, dass viele kommen, die sich für Kunst interessieren, und eine Klischeevorstellung vom Künstler haben. Die muss ich nicht bedienen... Ich bin geboren worden und nur wenige Jahre später fing ich an zu malen. Irgendwas hat mich getrieben. Egal welche Konsequenz mein Handeln hatte, ich habe mich immer für die Kunst entschieden. Dass ich mein Leben durchgezogen habe mit der Malerei hat bestimmte Ursachen und Gründe. Dass ich auch heute noch, wenn ich Besucher im Atelier habe, mit ihnen in meiner Lebendigkeit, Leidenschaft und Besessenheit über das rede, was ich tue. Das macht die anderen immer ein bisschen nachdenklich. Ich habe das Gefühl, die reden aus ihrer finanziellen Sicherheit heraus. Sie leben in allen Bereichen so gesättigt. Aber denen fehlt irgendwas. Denen fehlt die andere Seite, dass irgendwas in ihnen ist, und das wissen sie, was sie nicht leben können. Jetzt sehen die mich und sehen in mir auf einmal Dinge, die ich tue, die sie auch gerne tun würden, aber vielleicht den Mut dazu nicht haben. Künstler zu sein hat viel mit Radikalität zu tun, auch sich selbst gegenüber, mit Prioritäten, na klar, auch mit Besessenheit. Wenn ich erzähle, dass ich in meinem Leben oft kein Geld zum Essen hatte und mir das immer egal war. Ich kann gar nicht anders handeln, ich handle, wie ich muss und es für mich stimmt. Dann merke ich, das ist kein Neid, eher die Faszination: Ah, da ist Eine, die traut sich, das zu leben, was sie will oder was sie kann. Dann kommen immer die Ausreden: Ich konnte nicht, weil ich Kinder hatte, weil mein Mann... Das sind alles nur Ausreden und für mich gibt es keine Ausreden, nur die Entscheidung für die Malerei. Es ist eine Art Ehrlichkeit. Ich bin ein sehr radikaler Mensch, ein sehr ehrlicher Mensch. Ich lebe so, weil das für mich richtig ist. Das ist genau das, was ich mit dem Projekt untersuche: Wie aus einem Menschen ein Künstler wird und aus anderen Menschen nicht. Vielleicht ist noch wichtig, was viele mich fragen: Sag mal, was machst du heute Abend? Wie feierst

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du Weihnachten? Wie sieht dein Wochenende aus? Immer sind sie neugierig, ob ich anders lebe als sie. Immer diese Frage, wie lebst du als Künstler? Oft lebt man als Künstler im Alltag gar nicht anders. Man ist im Kopf anders, das weiß ich. Man ist radikaler, hat eine Art Mut, es ist einem vieles egal, was für andere wichtig ist. Ich will nur malen und meine Ruhe. Und das will ich nonstop. Dieses „ anders sein“, was sie sich wünschen, das wollen sie immer gerne hören. Ich glaube, dass viele vielleicht mit ihrem Leben unzufrieden sind und wissen, irgendwas fehlt. Weil sie es selbst nicht leben können, möchten sie vielleicht ein bisschen teilhaben am Leben eines Künstlers. Das könnte sein. Vielleicht suchen sie deswegen den Vergleich zwischen ihrem Leben und dem Leben des Künstlers, während der Künstler diesen Vergleich nicht braucht? Weil sich sein Leben in seiner Arbeit erfüllt? Ich habe bei Hesse im „Steppenwolf“ gelesen, wie er durch die Dörfer geht und in die Fensterscheiben guckt. Bei mir ist das so in der Weihnachtszeit. Da gucke ich in die Fenster rein und denke immer, oh, die haben es bestimmt schön gemütlich. Und du bist immer nur am Ackern und Machen! Warum schaffst du das nicht, dir diese Gemütlichkeit, die Familie und alles, was als menschliches Glück gilt, nach Hause zu holen? Ich habe dann eine kleine Sehnsucht danach. Aber wenn ich dieses „Glück“ hatte oder habe, dann muss ich weg! Das ist eine extreme Ambivalenz. Das sind wirklich nur Momente. Es gibt einige, die ehrlich sagen, ich bin nicht so mutig wie du. Ich wäre gerne Künstler geworden, aber mir sind meine Sicherheit, mein Haus, mein Auto wichtiger. So eine Frage, so eine Entscheidung gibt es für mich nicht. Für mich gibt es nur die Frage, habe ich die Möglichkeiten zu arbeiten, habe ich die Zeit und meine Ruhe, und was inspiriert mich. Wann weißt Du, das Bild ist jetzt richtig gut, so muss ich es lassen? Ich weiß es sofort, bei jedem Bild. Ich merke, wenn ich anfange, das wird es... Wie ich den Pinsel ansetze, spüre ich, es wird gut oder nicht. Das ist Intuition, mein Bauchgefühl. Das geht mir von der Hand, ich brauche nicht lange. Aber ich habe mein Leben lang gebraucht, um das heute in so kurzer Zeit zu schaffen. Ich gucke nicht drauf beim Arbeiten, bevor das Bild fertig ist. Dann sagt mein Bauch, das ist es! Sobald ich anfange, bei einem Bild zu basteln und um die schönen Stellen herum zu malen, merke ich schon, jetzt wird das Bild abgequält. Wenn ich zu sehr will, wenn ich anfange zu denken. Das Schlimmste ist, wenn ich anfangen will, etwas „schön“ zu machen, damit es gefällt, dann ist es vorbei. Das ist das Übelste, was man machen kann. So ist das für mich, ich kann jetzt nicht für andere sprechen. Mir ist völlig egal, ob die anderen das gut finden. Nur ich allein entscheide. Wenn ich das Bild male, ist mir der Erfolg egal. Da bestimme nur ich. Nur ich bestimme, ob das Bild gut ist oder nicht. Ich bin heute so sicher, dass ich genau weiß, das ist eine ehrliche Arbeit. Da ist nichts schön gemacht, nichts gebastelt, da ist kein Effekt beabsichtigt. Da ist alles drin und nichts ist zu viel, keine Linie, kein Punkt. Es stimmt und ist in sich fertig. Diese Momente gibt es nicht oft, aber es gibt sie und das sind die größten Momente überhaupt.

Inge H. Schmidt Geboren in Wiehe, Thüringen. 1979 – 1983 Studium Malerei und Freie Grafik an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein Halle. 1985 – 1988 Studium der Malerei an der Hochschule der Künste Berlin. 1988 Meisterschülerin. Seit 1988 freischaffende Malerin in Berlin–Kreuzberg. 78


Kalte Nase, テ僕 auf Leinwand, 60 x 50 cm, 2012 79


Wolfgang Korall

Wolfgang Korall 27. Juni 1949 in Thüringen geboren. Abitur. Elektromonteur. Physikstudium an der Friedrich - Schiller - Universität Jena. Diplom - Physiker. Physiker und Fotograf bei Carl Zeiss Jena. Fernstudium Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Diplom - Fotograf. Mitglied im Verband Bildender Künstler der DDR. Ausreise in die BRD. Lebt als Fotograf und Autor von Büchern und Ausstellungen in Berlin. www.wolfgangkorall.de 80



Impressum Dieses Buch erscheint anlässlich der Ausstellung KÜNSTLER sein - Ein Projekt von Wolfgang Korall Vernissage am 27. 6 . 2014 Ausstellung vom 28 . 6 . – 2 . 8 . 2014 Galerie Alte Schule Adlershof Dörpfeldstrasse 56 124 8 9 Berlin www.galerie-alte-schule-adlershof.de Projektidee, Fotografien & Texte: Wolfgang Korall Gestaltungskonzept: Nora Pijorr & Wolfgang Korall Redaktion: Nora Pijorr Kataloggestaltung: Julia Brodauf & Felix Müller Herausgeber: Galerie Alte Schule Adlershof Druck: Laserline, Berlin Die Rechte an den Bildern liegen bei Wolfgang Korall und den Künstlern. Die Rechte an den Texten liegen bei Wolfgang Korall. Mit freundlicher Unterstützung der Senatskanzlei für kulturelle Angelegenheiten Ausstellungsfonds Kommunale Galerien Bezirksamt Treptow - Köpenick von Berlin Amt für Weiterbildung und Kultur Fachbereich Kultur

Danksagung Besonderer Dank gilt den beteiligten Künstlern für ihr Vertrauen, ihre Offenheit und die geduldige Unterstützung, den Mitarbeitern der Galerie für die Realisierung der Ausstellung, an Nora Pijorr für ihren persönlichen Einsatz zum Erfolg des Projektes, an Julia Brodauf und Felix Müller für die freundliche Zusammenarbeit bei der Gestaltung des Layouts, an das Bezirksamt Treptow - Köpenick, Fachbereich Kultur, das die Verwirklichung des Projektes erst ermöglichte.



Galerie Alte Schule Adlershof, Berlin 2014


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