Raub & Rache
puch500
Früher, da war man noch wer, wenn man ein Raubopfer war. Da haben einen die Polizisten ernst genommen und mit mehr oder weniger Einfühlvermögen geduldig befragt. Man hat sogar einen Kaffe gekriegt, oder ein Kracherl, wenn man im WachzimmerKühlschrank eines gefunden hat. Wenn man dann das Vernehmungsprotokoll unterschrieben hat, ist man oft sogar im Streifenwagen nach Hause gebracht worden. Am nächsten Tag hat man dann sogar einen Hauch von Berühmtheit erfahren. Da haben die Zeitungs-Reporter angerufen, da ist danach meistens sogar ein Fotograf aufgetaucht und - wenn man großes Glück hatte - durfte man sein Abenteuer sogar vor den ORF-Kameras schildern. Raub - das war damals halt noch was ganz Großes. Wenn am selben Tag nicht gerade ein Mord in der Gegend passiert ist, hat man es vielleicht sogar auf die Seite eins der lokalen Gazetten geschafft. Die Zeiten haben sich geändert - und wie. Der Raub ist zum Alltags-Verbrechen geworden und die Opfer zu Opfern dieser inflationären Tendenz. Ich weiß es, denn ich bin unlängst zu einem davon geworden. Passiert ist es so. Nach einer Party bei Freunden habe ich auf Druck der Gastgeben mein Auto stehen gelassen. Natürlich soll man sich nicht ans Steuer setzen, wenn man ein bissl getankt hat. In meinem Fall waren es ein paar Achterl eines guten Roten. Normalerweise lasse ich mich in solchen Situationen nicht beeinflussen und setze meinen Sturschädel durch. Ich weiß nicht, warum ich an diesem Abend nachgegeben habe. Vielleicht war ich milde gestimmt, weil die Gastgeberein verkündet hat, im vierten Monat schwanger zu sein. In einem Punkt habe ich mich aber durchgesetzt: Ich habe das empfohlene Taxi nicht benutzt und bin die drei Kilometer zu Fuß gegangen. Vielleicht, weil ich es denjenigen, die mich vom Fahren abgehalten haben, heimzahlen und ein bissl ein Märthyrer sein wollte. Zuerst waren da noch Autos und Menschen und Lichter, dann war außer baumbeflanzter Gegend und Finsternis nichts mehr. Ich war gut drauf und habe die Stille mit heiterem Pfeifen aufgelockert. Genau weiß ich es nicht mehr, aber ich glaube, dass ich gerade musikalisch im "Hotel California" der Eagles war, als sich die zwei Gestalten aus dem Dunkel vor mir gelöst haben. In meiner Hochstimmung habe ich an nichts Böses gedacht und ihnen, als sie auf meiner Höhe waren, einen schönen Abend gewünscht. Die Antwort war ein "Arschloch", das vom Kerl an meiner Linken kam, der rechte hat mir danach an die Gurgel gegriffen und so fest zugedrückt, dass ich Sterne gesehen habe, obwohl der Himmel sternenlos war. Das "Arschloch" war ein steirisches, meine Räuber waren also Landsleute. Sonst sind´s, wie man in der Zeitung liest, ja hauptsächlich die Ausländer, die zur Zeit sowas tun. Normale Helden schlagen in einer solchen Situation zu, springen hoch, knocken den einen Räuber mit einem Kopftritt aus und treten dem anderen nach der Landung in die Weichteile. Mein Heldentum - und nachträglich betrachtet war´s ein solches -
bestand darin, dass ich alles mit mir geschehen hab lassen. Als das Würgen aufgehört hat, habe ich den beiden Herren brav Handy und Geldbörse ausgehändigt, mir zugleich aber alles eingeprägt, was mir bei einer späteren Identifizierung helfen konnte. Der eine hat eklatant nach Achselschweiß gerochen, Vielleicht kam´s auch aus dem Mund. Jedenfalls war es ein übler Geruch. Auf der Baseballmütze habe ich das "NY" für die New York Yankees gesehen, das T-Shirt war weiß, hat gestunken und vorne war etwas drauf, das ich im Halbdunkel als Drachen zu erkennen geglaubt habe. Die Jeans hatten Löcher und die Schuhe waren Converse oder eine Fälschung davon. Bem Zweiten war´s etwas schwieriger, weil der von hinten gekommen ist. Seine Hände, die mich gewürgt haben, habe ich aber genau gesehen. Der Mann war Nagelbeißer und auf einem Finger war ein fetter Totenkopf-Ring. Weil der Gestank des anderen so stark war, habe ich den Zweiten nicht riechen können. Dann war´s vorbei, der Stinker hat mir noch einen mächtigen Stoß mitgegeben, der mich ins Gras neben dem Fußweg befördert hat. Im Liegen habe ich wieder die Melodie von "Hotel California" aufgenommen und zu pfeifen begonnen. Dann habe ich mir überlegt, wo die nächste Polizeistation war und bin hingegangen. "Zwei Typen haben mich beraubt," hab ich gesagt und der Polizist hat gelangweilt die Augen gerollt. Sein Blick hat gesagt: "Schon wieder so ein Trottel, der uns unnütze Arbeit macht." Die Befragung war eher ernüchternd. Im Prinzip wollte er gar nichts von meinem Erlebnis wissen, meine Beobachtungen, die Personen betreffend, kamen nur fragmentarisch ins Protokoll. Ich hab´s unterschrieben und gespürt, dass es eines war, das hier täglich zu Dutzenden verfasst und nach den ersten RoutineErhebungen in der großen Ablage der ungeklärten kleinen Raubfälle versumpern würde. Meinem Handy und den geschätzten 125 Euro, die im Börsl waren, konnte ich, das wusste ich, aus Sicht der braven Exekutivbeamten, die sich sonst zweifellos für den Schutz der Bürger einsetzen, von der Masse der angezeigten Klein-Raubüberfälle aber massiv überfordert sind, baba sagen. Aber noch hatte ich den Geruch des ersten Räubers in der Nase und meine Beobachtungen hatten sich ins Gehirn gebrannt. Es ging nicht um das Handy - ich hatte mir längst ein neues besorgt - und auch nicht um die paar Euro. Die Burschen hatten mich gedemütigt, meinen Stolz verletzt und mich zu einem Mini-Raubopfer gemacht, das sich mit der Anzeige der kaum nennenswerten Dutzend-Tat bei der Polizei lächerlich gemacht hat. So habe ich es zumindest empfunden. Man hat ja seine Krimis gelesen und weiß was Detektivarbeit ist. Den Kerl mit dem Geruch habe ich dort ausfindig gemacht, wo sich Kerle seiner Art in unserer Stadt gewöhnlich herumtreiben. Im Stadtpark, beim Brunnen. Die Baseballmütze mit dem "NY" drauf hat die Identifizierung erleichtert. Natürlich musste ich ihm wegen der Geruchs-Sache sehr nahe treten, aber er hat mich nicht erkannt. Wahrscheinlich war ich für ihn nur eines von mehreren RaubOpfern. Den Zweiten habe ich durch die abgenagten Fingernägel und den angesteckten Totenkof-Ring gefunden. Jetzt hatte ich die Täter - aber wie sollte es weiter gehen? Polizei? Wäre der logische Weg gewesen, hätte mir aber vielleicht nur eine weitere Demütigung eingebracht. Die Beute war weg, klar, und als Beweis gab´s nur meine Bobachtungen, die aber wie man leicht recherchieren konnte - durch den Genuss des guten Roten bei der
Party eindeutig getrübt waren. Wie überführt man also als Mini-Raubopfer die Mini-Räuber? Gar nicht, lautete die Antwort auf mein Grübeln. Ich schloss Exekutive und Justiz als Gerechtigkeits-Instrumente aus und konzentrierte mich darauf, irgendeine Art der Rache für das üble Tun der beiden zu ersinnen. Das war ich meinem Stolz und auch dem offensichtlich nicht realisierbaren Gerechtigkeitsempfinden schuldig. Es war nicht allzu schwierig, im Bereich des Grazer Griesplatzes zu einer Pistole zu kommen. 300 Euro hat das Stück gekostet und es sah tatsächlich furchterregend aus. Munition habe ich keine dazu gekauft. Eine solche würde für mein Vorhaben nicht nötig sein. Erschießen wollte ich die Kerle ja nicht. Nur in Furcht und Schrecken versetzen, wie sie es mit mir getan haben. Ich habe die beiden nächtelang beobachtet und darauf gewartet, dass sie sich zu einem ähnlichen Coup, wie es jener, bei dem ich ihr Opfer war, entschließen würden. Dann war es so weit. Sie haben sich - mit mir als geduldigem Verfolger - zu jenem Ort aufgemacht, der damals mein Verbrechens-Schauplatz war. Wie damals ist ein harmloser Trottel des Weges gekommen, die beiden haben sich ihm in der selben Art genähert, wie sie es bei mir getan haben, der Stinker ist vor dem Opfer gestanden, der Zweite hat begonnen, es zu würgen. Ich habe im Gebüsch gewartet bis der Raub vorbei und das Opfer in Panik das Weite gesucht hat, dann habe ich mich den Räubern mit gezückter Pistole in den Weg gestellt. Ich war der Beraubte, der nun die Räuber von denen er beraubt worden war, berauben würde. Meine Hoffnung war, die Kerle, die ihn damals in Angst und Schrecken versetzt hatten, dazu zu bringen, vor Angst in die Hosen zu scheißen. Einige Sekunden lang durfte ich dieses Gefühl auch genießen. Es war ein gutes, ein echt erfüllendes Gefühl. Die beiden haben mich fassungslos angestarrt und ich habe erkannt, dass ich sie - angesichts der echten Waffe - tatsächlich zu einem Hosenscheiß-Akt bewegen könnte. Dann ist es aber ganz anders gekommen. Plötzlich sind Scheinwerfer aufgeflammt, von überall her sind Polizisten aufgetaucht. Der größte Scheinwerfer hat mich erfasst - den Mann mit der gezückten Pistole. Später habe ich erfahren, dass man meine Aussage doch ernst genommen und durch die exakte Personsbeschreibung, die ich abgeliefert hätte, auf die Täter gekommen, sie - wie ich - beobachtet und darauf gewartet hätte, bis sie wieder zuschlagen würden. Mein Anwalt sagt, dass ich angesichts meiner bisherigen Unbescholtenheit vielleicht mit einer bedingten, im Extremfall mit einer kurzen Haftstrafe auskommen könnte. Vor dem Gesetz sei es auch Raub, wenn man Räuber, die einen beraubt hätten, berauben würde. Kürzlich war ich bei der Taufe der Tochter jener Freunde, die mich damals vom Autofahren abgehalten haben. Es hat den selben guten Roten gegeben - und ich bin im Taxi heimgefahren....