06_beitrag

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Codewort: „KREISCH“ Siri, die Imwegstehkatze. Eine Kriminalgeschichte, garantiert ohne Kochrezept. Montagmorgen. Dienstbeginn im Polizeiwachzimmer, ich bin wie immer der Erste. Der frühe Vogel fängt in diesem Fall nicht den Wurm sondern sich einen morgendlichen Erstickungsanfall ein. Kippe ich die Fenster, riecht es nach Abgasen von einer der am stärksten befahrenen Grazer Durchzugsstraßen, schließe ich die Fenster riecht es nach Katze. Die Katze selbst kommt zwar immer erst gemeinsam mit ihrer Besitzerin, meiner Wachzimmerkommandantin, aber ihre Duftspuren halten sich auch über das Wochenende. Die von der Katze, die Duftspuren meiner Chefin sind leichter zu ertragen. Ammoniakgeruch und Treibstoffdämpfe vermischen sich zu einer Duftsymphonie. Auf meinem Schreibtisch liegt aufgeschlagen ein Donald Duck Heft. In der Sprechblase steht: „Ächz, würg“. Das kann ich absolut nachvollziehen. Nicht immer, aber immer öfter kommt mir dann der Ausspruch von Helmut Qualtinger, leicht abgewandelt in den Sinn: „Wenn mich das Arbeitsamt net vermittelt hätt`“ Schreibkraft in einer kleinen Polizeiwachstation in Graz. Ein Abstieg? Ein Aufstieg? Am ehesten wohl ein Umstieg. Ein erzwungener Umstieg. Früher war ich Postbeamter. In der Paketlogistik, aber die Post baut Personal ab. Nicht sehr aufbauend für die Betroffenen. Irgendein kluger Kopf beim Arbeitsamt hat dann gemeint, mit meiner Qualifikation als Logistiker wäre ein Job bei der Polizei gerade das Richtige für mich. Jetzt sitze ich hier und tippe für die Kolleginnen und Kollegen die Berichte. Die einzige logistische Herausforderung hier ist es zu wissen in welcher Schublade sich welches Formular befindet. Mittlerweile ist auch der Rest der Belegschaft eingetroffen. Revierinspektor Karl Knobloch und unsere Chefin. „Thomas, sind die Berichte schon fertig, oder muss ich bis zum Sanktnimmerleinstag darauf warten?“ keift meine Vorgesetzte, Kontrollinspektorin Herta Krause. Eine „Zugereiste“ aus Ostfriesland. Hätten sie uns Otto Waalkes geschickt, der wäre wenigstens lustig gewesen, aber Herta Krause? Ihre erste Amtshandlung war das Austauschen der Bürovorhänge, jetzt haben wir wahrscheinlich als einzige Polizeiwachstube in Graz Vorhänge mit Herzchen und Blümchen. Als nächste


Schikane brachte sie ihre Katze mit ins Büro. „Darf ich vorstellen“ sagte sie, „das ist Siri, eine echte Perserkatze und ab sofort unser neues Maskottchen“. „Siri“ wagte ich zu fragen, „das ist aber ein seltsamer Name“. „Ja, Mensch Thomas, denken sie in Österreich heißen alle Perser Niavarani?“ meinte die Chefin. Was die Rasse betraf, so hatten wir, also mein Kollege Karl Knobloch und ich erhebliche Zweifel daran, dass es sich um eine echte Perserkatze handelt. Unsere Chefin war, das hatten wir sehr rasch herausgefunden, eine echte – und zwar eine echte Angeberin. So behauptete sie zum Beispiel, sie käme jeden Tag mit ihrem Porsche zur Arbeit, das Fahrzeug wäre aber aus Sicherheitsgründen immer etwas weiter weg geparkt. Einen Autoschlüssel mit einem Porscheanhänger legte sie dann immer auffällig auf ihren Schreibtisch, vergaß aber manchmal die Spange an ihrer Hose zu entfernen die sie als Radfahrerin outete. Was die Reinrassigkeit der angeblichen Perserkatze Siri betraf, so hatten wir den Verdacht, dass es sich um eine ganz andere Rasse handelte, nämlich um eine „Imwegstehkatze“. Siri hatte das Talent, immer und überall im Weg zu stehen. Wenn die Chefin fragte wo ihre Katze sei, so lautete unsere Antwort immer: „im Weg“. Eine weitere Schikane unserer Chefin war, dass sie sich beharrlich weigerte unsere Sprache zu lernen. Auch Ostfriesinnen sind Integrationsunwillig. Karl provozierte sie dann immer mit extrem in steirisch gehaltenen Ansagen. „I geh jetzt plaidern mit die Mouped“ sagte er kürzlich. Mit „die Mouped“ meinte er sein Dienstfahrzeug, ein Motorrad der Marke BMW R1200 RT mit 110 PS und mit „plaidern“ war natürlich eine Dienstfahrt gemeint. „Ich versteh mal wieder nur Bahnhof“ sagte unsere Chefin. „Gewöhnen sie sich dieses unverständliche Bellen im Dienst gefälligst ab, ich wünsche dass hier Deutsch gesprochen wird, das ist ein Befehl“. „Jawouhl“ bestätigten Karl und ich im Duett und wir salutierten wie beim Militär. „Ich komm mir hier vor wie eine reziproke Eliza Doolittle“ penzte die Chefin und blickte unglücklich drein. Sie war aber nicht die einzige Unglückliche in dieser Polizeiwachstube. Auch ich war mit meiner Situation alles andere als zufrieden. Ich träumte davon, Kriminalfälle zu lösen, Verbrecher zu verhaften, Vermisste zu finden, stattdessen saß ich hier und tippte wie ein Irrer Berichte. Außerdem hatte ich die erniedrigende Aufgabe erhalten, für die Reinheit des Katzenklos zu sorgen was aber derzeit keinen Aufwand bedeutete denn die


„Imwegstehkatze“ entsorgte ihre Stoffwechselprodukte überall, nur nicht im dafür vorgesehenen Katzenklo, und dafür war wiederum die Putzfrau zuständig, deren tägliches Repertoire an serbischen Flüchen dadurch ständig zunahm. Zwischendurch vernahm man sogar ein paar Brocken Deutsch, die sich so ähnlich wie: „Scheißkatz“ anhörten. Vergangenen Freitag ereignete sich nun endlich etwas, dass es mir ermöglichte meine kriminalistischen und logistischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Unsere Chefin hatte wieder einmal einen schweren Anfall von Angeberei und verkündete: „Ich werde am Wochenende bergsteigen gehen. Irgendeinen der nächstgelegenen Dreitausender, welchen weiß ich noch nicht.“ Dabei präsentierte sie uns stolz eine nagelneue Kletterausrüstung auf der noch die Preisetiketten klebten. Es war alles dabei: Steigeisen, Funktionskleidung, Seile, Karabiner, es fehlte nur noch eine Sauerstoffausrüstung. „Sie gehen Bergsteigen“ fragte ich skeptisch. „Noch dazu auf einen Dreitausender“. „Ihnen wird doch schon schwindlig wenn sie nur auf einem dicken Teppich stehen“. „Thomas, sie ungläubiger Thomas, in meiner Heimat war ich immer am Wochenende bergsteigen, ich beherrsche das durchaus“. Dazu muss man allerdings wissen, dass die höchste Erhebung in Ostfriesland eine Düne mit 24 Metern ist, aber das verschwieg sie uns natürlich. Am Freitag nach Dienstschluss wünschten wir ihr noch „Berg Heil“ und verabschiedeten uns ins Wochenende. Am Montag war von unserer sonst immer überpünktlichen Chefin nichts zu sehen und man konnte jeden Punkt im Büro ungehindert erreichen da auch die Katze nicht im Weg herumstand. Die Putzfrau machte ein hoffnungsvolles Gesicht und wir machten uns ans Recherchieren. Als erstes versuchten wir natürlich unsere Chefin am Handy zu erreichen, das war aber abgeschaltet. „Wir müssen die Bergwacht anrufen“ meinte Karl im schönsten Deutsch, wenn die Chefin nicht da war machte es ihm keinen Spaß steirisch zu bellen. Aber wo sollten wir sie suchen? Die von unserer Chefin angekündigten nächsten Dreitausender waren der Ankogel mit 3252 Meter in Kärnten oder der Hohe Sonnblick mit 3105 Meter in Salzburg. Die Steiermark konnte leider nicht mit einem Berg über 3000 Meter dienen. Da hatte ich plötzlich eine Eingebung. „Mensch Karl“ sagte ich, „du kennst doch unsere Chefin, was sie für eine Angeberin ist, wahrscheinlich meinte sie mit den nächsten Dreitausendern doch etwas in der Steiermark. Ganz in der Nähe, bei Stift Rein: Der Mühlbachkogel, der Plesch und der Walzkogel, drei Berge, jeder knapp über 1000 Meter, also: Die 3 Tausender“. „Perfekt“ meinte Karl, „dort beginnen wir zu suchen“. Er schwang sich auf sein „Mouped“ und ich war der Sozius. Unsere Vermutung


wurde zur Gewissheit, als wir beim Beginn der Wanderstrecke ein Damenfahrrad entdeckten, auf dessen Gepäcksträger ein noch original verpacktes Kletterseil lag. Nur einige Meter in den Wald hinein, und tatsächlich, da lag sie. Dehydriert wie Michael Jackson nach einem Konzert aber, im Gegensatz zu Michael Jackson war sie noch am Leben. „Gott sei Dank, Thomas, ich bin ja so froh dass sie mich gefunden haben. Ich glaube ich habe mir den Fuß gebrochen“. „Sozusagen ein Fallfehler“ meinte ich. Entrüstet entgegnete sie: „Ein Fallfehler, Thomas, wäre es wenn ich gesagt hätte: „Ich habe mir dem Fuß gebrochen, ich sagte aber klar und deutlich, dass ich mir wahrscheinlich den Fuß gebrochen habe“. So schlecht konnte es ihr also nicht gehen wenn sie schon wieder herumpenzte. „Hatten sie ihr Handy nicht mit“ fragte ich vorwurfsvoll. „Natürlich, ich bin doch nicht so doof und gehe ohne Handy auf die Drei Tausender, aber der Akku war leer“. „Also doch doof“ dachte ich mir. Mein Handy funktionierte wenigstens und so war es nur mehr eine Frage der Zeit bis die Rettungskräfte eintreffen würden. „Thomas“ meinte die Chefin, „ich habe eine große Bitte, könnten sie in meine Wohnung fahren und Siri füttern und vor allem geben sie ihr zu trinken. Mittlerweile weiß ich, wie grässlich man sich ohne Wasser fühlt“. Sie gab mir ihren Wohnungsschlüssel und die Adresse. Spöttisch meinte ich, dass ich die Wohnung leicht finden müsste, weil ja sicher ein Porsche vor dem Haus steht. Beleidigt drehte sie den Kopf weg und spielte weiter die Leidende. Am nächsten Tag, also das muss man ihr lassen, ein zäher Knochen ist sie, erschien sie wieder samt Katze und Gipsfuß in der Wachstube. „Ich danke ihnen Beiden für meine Errettung“ sagte sie und drückte Karl und mir die Hand. „Vor allem ihnen Thomas danke ich für ihre Kombinationsgabe, dass sie sofort auf die Idee gekommen sind, mich dort zu suchen“. Voller Stolz nahm ich das Lob entgegen. Aber noch jemand war stolz an diesem Dienstag. Die Imwegstehkatze Siri thronte erstmals auf dem Katzenklo und blickte Lob heischend in die Runde, die serbische Putzfrau applaudierte, und ich wusste: „Verdammt, jetzt fangt der Stress für mich erst richtig an“.


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