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Erster Sündenfall

Während in Wien am Heldenplatz der erste Schrei unserer Republik aus abertausenden Kehlen herausbrach, kam meine Mutter mit mir in Graz nieder. Es war eine leichte Geburt und ich ein wunderschöner Säugling mit tiefblauen Augen. Ich war für meine Eltern gewissermaßen der Garant für den Frieden und eine hoffnungsfrohe Zukunft. Mein Vater begann voll Elan ein Haus zu bauen, das bis zu seinem Tod nicht fertig werden sollte, da viel zu größenwahnsinnig konzipiert, aber das tat nichts zur Sache. Es lag ihnen die Welt zu Füßen und ich war ihr Talisman. Von mir wurde alles ferngehalten, was an die schreckliche Vergangenheit gemahnte. Ich war ein einzelgängerisches Kind, gezwungenermaßen, da mein Großvater in seinem Haus, das wir noch Jahrzehnte bewohnen sollte, keine fremden Kinder duldete. Einsam war ich jedoch nicht. Ich war eingebettet in die Geborgenheit meiner immer anwesenden Großeltern, die mich unaufdringlich umhüllte. Großmutter sorgte für meine leiblichen Bedürfnisse, mein Großvater entführte mich in die Welt der Geschichten und der Dichtung, der wir auch aktiv frönten; er machte mich auch vertraut mit dem Wald und seinen Geschöpfen. Seine Gebrochenheit durch zwei Kriege und sein schroffes Misstrauen seinen Mitmenschen gegenüber begann ich erst viel später zu erahnen, ebenso blieb mir der desaströse Zustand der großelterlichen Ehe lange verborgen. Mein Vater war ein seltener Gast, der sein Geld wahrlich im Schweiße seines Angesichts auf verschiedensten Baustellen Österreichs verdiente, aber auch davon bekam ich nichts mit. Für mich war er der gute Onkel aus Amerika sozusagen, der mich bei jedem Heimaturlaub mit Geschenken überhäufte. Meine Mutter saß hinter der Nähmaschine und manchmal gingen sie und ich auf Stör, das heißt, wir verbrachten Stunden oder auch Tage auf Bauernhöfen, wo meine Mutter die Näharbeiten verrichtete und ich mich in die Bauernfamilie integrierte und die Licht- und Schattenseiten eines Lebens inmitten einer Kinderschar erfahren konnte. Die meiste Zeit verbrachte ich jedoch im großelterlichen Heim, das auch einen Gemüse- und Blumengarten, eine Weinhecke sowie einen Hühner- und Ziegenstall umschloss. In diesem Reich verspielte und verträumte ich meine Tage , die Ziegen und das gelegentliche Schwein waren meine Freunde und natürlich die Katzen und Kätzchen, halbwilde, deren Zähmung ich mich mit Hingabe und Ausdauer widmete. Langweilig wurde mir nicht. Ich streifte durch den Dachboden, der sich über dem Ziegenstall befand und stöberte in dem Gerümpel für mich wertvolle und mysteriöse Schätze auf. Ich verschwand im Dickicht des kleinen Kukuruzackers, der sich dem Hühnerstall anschloss und watete im Dorfbach, wo Blutegel ihre gierigen Saugnäpfe nach mir ausstreckten. Angst oder Ekel waren mir fremd. Ich untersuchte die madenzersetzte Amsel mit gleichem Interesse wie ich die gummiartigen Hufe der totgeborenen Zicklein betastete. Die zweite Welt, in der ich mich bewegte, war die Baustelle, die eine Konstante darstellte in meinem Leben. Ich entwickelte eine seltsame Passion : ich liebte es, von Höhen zu springen: von Gerüsten, von halbfertigen Balkonen auf die Sandhäufen, die zur Weiterverarbeitung bereitstanden, von Leitern, vom Flachdach der Werkstätte in den Hühnerhof, sehr zum Entsetzen des gefiederten Volkes, wenngleich es da auch einmal einen Hahn gab, der mir vehement zu Leibe rückte. Außer


aufgeschlagener Knie und einiger Abschürfungen, die Großmutter kommentarlos mit Arnikaschnaps desinfizierte, trug ich keinerlei Verletzungen davon. Besorgt schienen meine Erwachsenen ohnehin nicht zu sein. Diesem Kind der Verheißung würde schon nichts widerfahren. Auch in einem nahen Tümpel durfte ich bedenkenlos plantschen; auf eine Frage an meine Mutter, als ich schon erwachsen war und selbst die Last mütterlicher Sorge zu tragen hatte, ob sie nie Angst gehabt hätte, ich könnte ertrinken, bekam ich die schlichte Antwort: „Ich dachte, du hättest schon immer schwimmen können.“ Das könnte man Gottvertrauen nennen, aber nur meine Großmutter war gläubig, Alle anderen Familienmitglieder jedoch eingefleischte Sozialisten, was natürlich genug Konfliktstoff in sich barg. Aber auch davon wurde ich nicht berührt, ich durfte stillschweigend mit Großmutter in die Kirche gehen, was mich wegen des anschließenden Kaffehausbesuches mit Kracherl und Würstel immer wieder lockte. Aber auch in meinem Paradies gab es den Teufel. Und das war mein Bruder. Als Nachkriegskind gehörte er zu einer anderen Zeit, einer martialischen. Hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder. Er war verschlossen, vorsichtig, trotzig. Und er hasste mich mit Inbrunst. Alles, was mir wie selbstverständlich zufiel, musste er sich erkämpfen. Anmut, Liebe, eine schnelle Auffassungsgabe. Von all dem wusste ich zu jener Zeit nichts. Ich sah in ihm nur das drohende Unheil, das meine kindliche Welt verfinsterte. Auf meinen Streifzügen musste ich immer auf der Hut sein, denn unverhofft stand er da, riesig, verächtlich, und verhöhnte und schlug mich. Ich fürchtete mich maßlos vor ihm, was mich aber nicht daran hinderte, seine gehorteten Süßigkeiten zu stehlen und Chaos in seine penibel geordnete Welt zu bringen. Ich bemühte mich auch nach Kräften, ihn bei den Eltern anzuschwärzen. Sein pubertärer Widerstand trugen ihm sowieso immer wieder Strafen und Schläge ein. Ich sehe ihn noch vor mir in der Küche stehen, breitbeinig und mit herausforderndem Blick einen Befehl des Großvaters verweigern. Das war eigentlich undenkbar, selbst ich hätte so eine Ungeheuerlichkeit nicht wagen dürfen. Mein schmächtiger, poetischer Großvater verwandelte sich in einen tobenden Choleriker. Doch mein Bruder wich nicht. Meine Mutter, die sich wahrscheinlich für das ungebührliche Benehmen ihres Sohnes verantwortlich fühlte, wollte ihn zur Folgsamkeit bekehren und sagte zu mir: „Hol` den Pracker!“,womit der Teppichklopfer gemeint war, der draüßen Im Vorhauskasten einer anderen Bestimmung harrte. Und ich folgte dieser Aufforderung willfährig und gewiss mit freudiger Erregung. Somit hatte auch ich meine Unschuld verloren.


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