Codewort: NOSTALGIE
Tofelkrotza … Tintnpotza Recht lange ist es schon her, dass ich in die erste Schulklasse gegangen bin. Es war kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Ich erinnere mich noch gut daran! Am ersten Schultag ist weder die Mama noch der Papa mit uns in die Schule mitgekommen. Diese war ja nur ein Straßenstück von unserem Daheim entfernt. Meine gleichaltrige Cousine Trude und ich sind mit unseren Schulranzen auf dem Buckel Hand in Hand ganz stolz hinmarschiert. An jedem Ranzen hingen außer einem Blechhäferl für die Ausspeisung auch ein Schwamm, der zum Löschen der Schreibtafel diente und ein Tuch, mit dem wir die Tafel nach dem Löschen wieder trockneten. Unsere Schule befand sich damals in einem Haus, in dem es auch Wohnungen gegeben hatte, die Schulklassen waren im Keller untergebracht. Das Fräulein Lehrerin hatte uns empfangen und in die Klasse geführt, wo mir sofort ein alter Ofen auffiel, welcher in einer Ecke stand und um den Holzscheiter geschlichtet waren. Eine wohlige Wärme strahlte der Ofen aus. Neben der großen Schultafel ist ein alter Blechkübel mit Wasser gestanden und auch ein größerer Schwamm war dabei, mit dem eines der Kinder die Tafel zu reinigen hatte, sobald es nötig war. Für je zwei Kinder war ein niedriges Schreibpult vorgesehen und statt auf Sesseln wurde auf einer Doppelbank gesessen. Diese Pulte waren mit einer Rinne ausgestattet wo wir unsere Schreibwerkzeuge ablegen konnten, ohne dass diese zu Boden rollten. Auch hatte jedes Pult sein eigenes Tintenfass. Dieses Fass war aber fürs Erste noch leer. Trude und ich hatten uns gleich in die erste Bank gesetzt, denn da konnten wir am besten dem Unterricht folgen. Wir waren eine Mädchenklasse mit cirka 40 Kindern. Was mir noch gut in Erinnerung geblieben ist, beim Eingang in die Schule waren zwei weiße Pfeile auf die Wand gemalt. Diese Pfeile zeigten Richtung Keller. Erst später habe ich erfahren, dass dort in der Kriegszeit ein Luftschutzkeller gewesen ist. Die Bevölkerung hat bei Flieger- und Bombenalarm dorthin flüchten können. Unsere schöne Stadt Wels wurde sehr oft bombardiert. Viele Ruinen standen wie Mahnmale in der Siedlung wo ich mit meiner Familie wohnte. Die erste Schulstunde hat mit einem Gebet begonnen, die Frau Lehrerin hatte sich vorgestellt und uns nach unseren Namen gefragt. Das Lustige bei unseren Vornamen war der Name „Erika“. Sobald von der Lehrerin dieser Name gerufen wurde, sind immer mehrere Mädchen aufgesprungen und so wurden wir gleich umgetauft in: „Große Erika“, „Lange Erika“, Erika Eins“, „Erika Zwei“ und „Kleine Erika“. Diese war ich. Und wie der Name Erika so beliebt wurde, möchte ich jetzt erzählen. Von meiner Mama weiß ich, dass in der Zeit, als sie mit mir in guter Hoffnung war, Soldaten auf unserer Hauptstraße marschierten und dass sie dabei das Lied sangen: „Auf der Heide blüht ein kleines Blüüümelein und das heißt EEErika!“ Meiner Mama hat dieser Name sehr gut gefallen. Aber nicht nur ihr … Es wurden in dieser Zeit viele Mädchen auf den Namen „Erika“ getauft. Und so verlief damals unser Schultag: Wenn in der Früh das Fräulein Lehrerin das Klassenzimmer betrat, sprangen alle Kinder auf und mussten unser lang gezogenes „Grüüüß Gott“ sagen. „Setzen!“, war die Antwort der Lehrerin. Das hieß aber nicht einfach „Setzen!“. Ganz ruhig auf unseren Plätzen mussten wir kerzengerade sitzen und die Hände auf dem Pult halten. Wenn uns das zuviel wurde, durften wir die Hände auf den Rücken geben oder unter der Brust verschränken. Ist jemandem etwas zu Boden gefallen, so hat er sich gleich dazusetzen können. Falls ein Kind besonders viel schwätzte, musste es „im Winkel Stehen“ oder vor der Klassentür, solche Maßnahmen waren an der Tagesordnung. Als wir schon schreiben konnten, wurden wir verdonnert hundertmal zu schreiben: Ich darf nicht schwätzen. Ich darf nicht schwätzen … Unsere Finger taten uns sehr weh und wir überlegten uns das Schwätzen, es war eine harte Strafe, es wurden einige Seiten, die wir zu schreiben hatten. So war es fast immer mucksmäuschenstill in der Klasse. Wenn an der Tür geklopft wurde und jemand eintrat, sind wir gemeinsam aufgesprungen und haben laut unser „Grüüüß Gott!“ gerufen. Auch die Türe aufhalten, wenn eine Lehrperson durchging, war unsere Pflicht. Und wenn wir einen Lehrer besonders gerne mochten, dann haben wir seine Tasche getragen. Unsere neidvollen Mitschüler haben uns gleich „Lehrerscheißal“ genannt, wenn sie uns mit der Tasche gesehen haben. Aber für uns war es eine Ehre.
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Codewort: NOSTALGIE Schulhefte hatte es damals für uns noch keine gegeben, dafür eine Schiefertafel mit Holzrahmen. Mit einem Griffel wurde darauf geschrieben oder gezeichnet und mit einem feuchten Schwamm wurde alles wieder gelöscht. Da gab es keinen Verschleiß! Solange einem die spröde Tafel nicht zu Boden fiel … Schrieb jemand mit dem Griffel auf der Schiefertafel, dann hat dies furchtbar gekratzt und gequietscht, sodass es uns ganz kalt über den Rücken gelaufen ist. Daher der Name „Toflkrotza“. An eine Schwammschlacht kann ich mich auch noch gut erinnern, die ist nicht gut ausgegangen, denn wir mussten zum Herrn Direktor. Natürlich wurde auch die Hausaufgabe auf der Tafel geschrieben und mit in die Schule gebracht! Ja, auch vom Blechhäferl, welches wir an unsere Schulranzen gebunden hatten, möchte ich noch erzählen. Die Amerikaner hatten für uns in dieser kargen Zeit Schulausspeisungen finanziert und diese Essen schmeckten uns meistens recht gut. Nur die Milchnudeln, die habe ich nicht gern gegessen. Dafür war die Erdnussbutter ein wahrer Traum für mich. In einer langen Schlange sind wir mit unseren Blechhäferln angestanden, bis wir dann bei der Essens-Ausgabe einen Schöpfer davon zugeteilt bekamen. Die Weihnachtsferien kamen auf schnellen Schritten auf uns zu. Immer wenn Weihnachten näher rückt, muss ich heute an meine Kindheit denken und an die Weihnachten der Nachkriegsjahre. Die amerikanischen Besatzungssoldaten waren in Wels stationiert und es ging uns gut in der amerikanischen Zone. Von einem einprägsamen Erlebnis möchte ich euch auch erzählen. Den Weihnachtsmann habe ich damals in der Schule kennen gelernt. Wir Schulkinder wurden in einer großen Halle zu einer Weihnachtsfeier geladen. Auf einmal war ein Feuerwehrhorn zu hören, die großen Flügeltüren gingen auf, mit Sirenengeheul ist ein rotes Feuerwehrauto in den Saal gerollt und auf der Motorhaube saß der Weihnachtsmann. Sein purpurrotes Gewand hatte mich fasziniert und der lange weiße Rauschebart. Sein tiefes Ho-Ho klingt heute noch in meinen Ohren. Jedes Kind bekam vom Weihnachtsmann einen großen, roten Netzstiefel und darinnen waren kleine Spielsachen und viele Süßigkeiten. Wir konnten es gar nicht glauben, was alles im Stiefel war. Ich war ein bisschen skeptisch, was den Weihnachtsmann betraf, irgendwie hat mich sein langer Bart angezogen, und ich war mir nicht sicher ob dieser Bart auch echt war? Im Gedanken hätte ich gerne ein bisschen beim Bart gezogen, aber da kam schon das nächste Kind, um sein Geschenk zu erhalten. So blieb die Frage offen, war er echt, oder unecht? Auch ein Essen hat es gegeben und am besten war für mich eine Eiscreme, welche wir mitten im Winter schlecken durften. Ich ließ mein Eis ganz langsam im Mund zergehen. Ich glaube, dass ich bis dahin noch nie so ein gutes Eis gegessen habe, wie damals bei der Weihnachtsfeier mit dem Weihnachtsmann. Er hat mich tief beeindruckt, weil er uns persönlich den gefüllten Stiefel übergab. Unser Christkind war für uns unsichtbar. Es ist immer heimlich zu uns gekommen, und ich bin ihm auch bis heute treu geblieben. Der Weihnachtsmann passt einfach nicht zu uns, er ist eine Kultfigur, eine Cola-Reklame. Unser Christkind dagegen macht unsere Weihnachten zu einem unvergessenen Erlebnis und jedes Jahr aufs Neue freuen wir uns darauf. Ich hätte es sooo gerne einmal gesehen … So wie den Weihnachtsmann! Die Weihnachtsferien gingen schnell vorbei. In der Schule begann eine neue Zeit. Wir bekamen Schreibhefte und auch Schulbücher. Diese waren zwar antiquarisch und mit blauem Packpapier eingebunden. Doch wir waren schon sehr neugierig auf unsere Bücher. Zum Schuljahr-Ende wurden sie wieder eingesammelt, kontrolliert und für die nachfolgende Klasse bereitgehalten. Zum Schreiben im Heft musste erst das Schreiben mit Tinte gelernt werden. Unser Tintenfass am Pult wurde jetzt mit Tinte gefüllt, wir hatten „Federstiele“, das waren bleistiftförmige Holzstiele, wo am vorderem Ende eine spitze Metallfeder eingeschoben wurde. Die Spitze dieser Feder musste mit Gefühl nur ein bisschen in die Tinte getaucht werden. Beim Herausziehen vom Tintenfass mussten wir die überschüssige Tinte abstreifen, dann konnte man damit einige Zeilen schreiben, ehe man wieder erneut in die Tinte tauchte. Diese Prozedur ist schnell beschrieben, aber die Ausführung war nicht ganz einfach.
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Codewort: NOSTALGIE Etwas zu tief in die Tinte getaucht, beim Herausziehen aufs Abstreifen vergessen, die Feder zu schnell über das Heft bewegt und schon gab es einen unlöschbaren „Tintenpatzen“ im Heft. Aber nicht nur einen, viele dicke Patzen zierten das Heft von der Trude, von mir und von fast allen Kindern. Tintenkiller kannten wir ja nicht. Wir Kinder sind beim Tintenschreiben meistens mit blauen Fingerspitzen herumgelaufen! Eine Schande war es, wenn wir gepatzt hatten und „Tintnpotza“ wurden wir genannt. Aber „Übung macht den Meister“ und bald hatten wir auch mit Tinte immer besser und schöner geschrieben … Über die „Tofelkrotzer“ und „Tintnpotza“ könnt ich noch sooo vieles erzählen! Aber das ist eine andere Geschichte.
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