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Die Gebete meiner Mutter in Maria Straßengel

Als es begann, mein Leben, war Papa gerade aus dem Krieg heimgekehrt. Das nur deshalb, weil die Mama täglich nach Maria Straßengel gefahren ist und dort für ihn gebetet hat. Und die heilige Maria hat sie erhört. Er ist gesund heimgekehrt. Das erzählte unsere Mutter so oft, dass ich nicht weiß, wann ich es zum ersten mal gehört habe. Die Eltern hatten viele Jahre auf ein Kind gewartet. Natürlich auf einen Buben, das erfuhr ich später. Doch dann waren sie auch ganz froh mit mir. Wir wohnten in einer kleinen Dachwohnung. In dieser Wohnung war schon meine Mutter geboren und aufgewachsen. Es gab zwei Räume, eine Küche, ein Zimmer. Und die „schiefen Wänd“ wie meine Mutter sagte, auch einen schiefen Holzboden, überhaupt war alles schief. (Jemand hat vor einiger Zeit einmal zu mir gesagt, du bist ganz schön schräg, Lalla…. na ja, wenn er die Wohnung gesehen hätte, hätte er sich nicht gewundert.) Also in der Küche gab es einen gemauerten Tischherd, einen Waschtisch sowie etliche andere alte Möbel. Basena war am Gang, Klo im Hof. Ein Plumpsklo. Hinter dem Herd war eine alte Kohlenkiste. Da waren oft ganz viele Mäuse drin, mein Vater ärgerte sich, weil meine Mutter die so putzig fand zum Zuschauen, wenn sie in der Nacht mit allen Jungen in der Küche spazieren gingen, willst jetzt Mäusezüchten oder was? Sie konnte sie einfach nicht umbringen. Dann kaufte Papa eine Mausefalle. Einmal im Monat kamen die Fasslräumer um fünf Uhr Morgens und rollten die vollen Fassl aus den Klos unter lautem Geplärr durch den Hof, über die Stiege auf die Strasse und auf einen Pferdewagen. Und ein leeres Fassl wurde zurückgerollt. An solchen Tagen war im Hof ein entsprechender Gestank. In unserem Zimmer standen noch die alten Möbel von der Großmutter. Überhaupt wurde niemals etwas weggeben. So war die kleine Wohnung ordentlich voll gestopft. Altdeutsche Ehebetten und Nachtkästen, (da war auch der Nachttopf zuhaus`), Kommoden und ein Biedermeiersofa, auf das unsere Mutter sehr stolz war. War es doch ein Geschenk von ihren ehemaligen Dienstgebern, der Familie Peiser. Leider saß der Papa immer am selben Platz darauf und da wir als kleine Mädchen sehr gerne hupften, war der schöne Biedermeierdiwan auch mit zahlreichen Einbuchtungen versehen. Da nahm die Mama kurzerhand einen Stapel alter Decken, die sie übereinander auf den Diwan legte. Künftig staubte es beim Hupfen noch mehr. Vor dem Diwan stand ein Tisch mit drei Stühlen. Der war nicht sehr groß. Als ich älter wurde und wir beim Essen zusammen saßen, stießen wir fast mit den Köpfen aneinander. Ich ärgerte mich weil der Papa immer so schlürfte, und meine Schwester so schmatzte. Ja aber das stört einen erst, wenn man älter wird. Als kleines Kind hingegen wähnte ich mich im Paradies. Papa spielte jeden Tag mit mir wenn er von der Arbeit heimkam, hope hope reiter, er sang und warf mich in die Luft, fing mich wieder auf. Mama schrie oft, Stefan hör auf, aber er hüpfte nur herum. Als ich zweieinhalb Jahre war, kam meine Schwester auf die Welt. Da wurde es schon etwas schwieriger für mich. Wieder kein Bub. Papa war enttäuscht. Ich versuchte es so gut wie möglich hinzukriegen, damit er wieder froh ist. Ich ludelte wie er im Stehen, tat alles wie ich es bei ihm sah und wusste eigentlich nicht, was ein Mädchen ist. Ich wollte nur so werden wie Papa. Mit der Mama war es nicht so einfach. sie war sehr empfindlich und schnell auf der Höh, wie man damals sagte. Da kann sie nichts dafür,, sagte Papa, das ist weil sie zwei Weltkriege mitgemacht hat. Ich wusste nichts von Kriegen, stellte mir alles ganz furchtbar vor, vor allem weil Mama die „leidenden Füß“ davongetragen hatte. Auch der Kopf war leidend, der Magen und die Brust. die war besonders


betroffen, ich hab nicht herausgefunden, ob es mit dem Krieg etwas zu tun hatte, sie sagte, da ist mir einer mit dem Ellbogen angestoßen beim Tanzen. Seither diese Empfindlichkeit. Mit drei Jahren bin ich als Bub mit dem Puppenwagen in unserer Wohnung schnell gefahren. Mamas Füße waren im Weg. sie hat geschrien und geweint, meine leidenden Füß `um Gottes Christi willen, dieses Kind bringt mich noch ins Grab. Truderl hat zu plärren angefangen im Gitterbett. Ich hab mich hinter dem Diwan versteckt. Ich glaub es hat ganz lang gedauert, bis sie wieder ruhig war. Von dieser Zeit an hatte ich Angst, wenn ich bei der Mama anstoß`, fällt sie vielleicht um, und dann? So hab ich einen Sicherheitsabstand eingehalten. Meine Schwester war das schönste Kind weit und breit. Blaue große Augen, dunkle Locken rahmten das runde Gesichtchen. Ging meine Mutter mit dem Kinderwagen und mit mir einkaufen, blieben die Leute stehen, um sie zu bewundern. Ich bemerkte, wie stolz die Mama auf dieses Prachtkind war. Einmal im Gemüseladen, als die Bewunderung meiner Schwester kein Ende nehmen wollte, verzog ich mein Gesichtchen kunstvoll zu einem herzigen Lächeln, indem ich mein Unterkiefer nach unten schob. Ich erinnere mich noch an den schwarzen geölten Holzboden mit dem Geruch von Leinöl und Gemüse, und wie ich mich zum ersten Mal verstellte um auch bewundert zu werden. Später konnte man dieses Lächeln auf den Familienfotos bemerken. In unserer Familie wurden viele Geschichten erzählt. Mein Vater erzählte uns täglich welche. solche, die er erlebt hatte, und andere die er gerade erfand. das war himmlisch. Bei den erlebten Geschichten, wo ich dabei war, war ich oft am Zweifeln. Er erzählte sie laut, auch wenn gar nichts Besonderes geschehen war, dramatisch und spannend. Einmal, als er wieder so etwas erzählte, wo ich dabei gewesen war und es ganz anders erlebt hatte, sagte ich zur Mama, ich glaub der Papa lügt. Ich war erst sechs und ganz sicher war ich mir nicht. Die Mama war bös, so redet man nicht über den Vater, er lügt nicht, denn zu zehn Prozent ist seine Geschichte immer wahr. Der Rest ist Dichtung! Jahrelang war ich damit beschäftigt, die zehn Prozent Wahrheit aus seinen Geschichten herauszuklauben, und das war viel Arbeit mit Nachdenken, denn er hat, wie gesagt, immer viel erzählt. So war ich ein ernstes Kind geworden, mit frühen Falten auf der Stirn. Meine Mutter sagte, die ist ganz wie ihr Vater, „aus dem G`sicht g`rissen“. Das war ich auch gern. Alle Welt liebte meinen Vater. Als ich zur Schule musste, ging er mit mir mit. Gleich mochte ihn die Lehrerin Wurm. Mich leider nicht. Sie krallte ihre roten Fingernägel in mein Ohrlapperl und zog mich hoch, als ich statt meinen Namen „krize kratze kritze kratze“ schrieb. Da hatte sie bei mir ausgespielt. Ich sprach kein Wort mehr mit der. In der Schule wurde ich ausgelacht. Vor allem beim Turnen. Mama hat bei mir von klein auf ängstlich aufgepasst, dass ich ja nicht wo hinaufsteig`, ich könnt ja runterfallen. So bin ich beim Turnen immer runtergefallen, von der Bank, von der Leiter, von den Ringen. Die Lehrerin Wurm hat sich furchtbar aufgeregt, so ein patschertes Kind hab ich noch nie gesehen. Ich hatte eine schreckliche schwarze Turnhose an und habe mich rot geschämt, leider gab es keine Winkel, wo ich mich verstecken konnte. Bei uns zu Hause aber gab es überall Winkel. Die liebte ich, denn ich fand auch immer interessante Dinge da hinten. Schließlich war das ja die Wohnung von Mamas Eltern gewesen. Doch die waren schon lange gestorben. Neun Kinder hat meine Mutter in diesem Bett geboren, erzählte uns Mama viele, viele Male, und der Vater war nervenkrank, ein Schuster ohne Arbeit. Drei Kinder sind gleich nach der Geburt gestorben. Mama war die älteste. Nach ihr kamen nur Buben auf die Welt, auf die sie dann aufpassen musste. Die waren ziemlich schlimm. Oft wenn wir abends zusammensaßen und die Eltern Geschichten erzählten aus der Kindheit, war der jüngste Bruder von Mama dabei. Da hörte ich dass die Mama und ihre Geschwister keine Schuhe besaßen, (obwohl der Vater Schuster war!) Wie sie Hunger hatten und sich um ein einziges Stück Brot rauften. Wie die Mama, die Fanny, den Brüdern ihr Brot gab, weil sie so weinten. Wie ihre Mutter Wäsche für


andere Leute waschen musste, weil der Vater keine Arbeit hatte. Und dass sie abends beim Beten knien mussten, und Schläge vom Vater bekamen, wenn sie darüber einschliefen... Und Papa glänzte dann auch mit seinen Geschichten. Wie er und sein Bruder mit der Mutter beim Bombenangriff in den Luftschutzkeller gerast sind. Wie die Mutter mit ihnen gespielt hat und sie die „Bu“ genannt hat, statt Buben. Sie war ja Ausländerin und konnte nicht richtig deutsch. Später erfuhr ich, dass sie in Prag aufgewachsen war. Papa erzählte wie es im Waisenhaus war, wohin er kam, nachdem seine Mutter nicht gut für ihn und seinen kleinen Bruder sorgen konnte. Und wie er sich jeden Tag mit den anderen Buben geprügelt hat, weil alle ständig Hunger hatten. Wie sie alle eine Glatze haben mussten wegen der Läuse. Und wie er die Rosinen aus dem Striezl geklaubt und sich als Leckerbissen aufgehoben hat. Und wie er später bei einem Müller in die Lehre gehen musste, der ihn gottlob zum richtigen Glauben gebracht hat. Ja, sagten die Eltern und der Onkel, ihr Kinder habt es gut, ihr wisst ja nicht was Hunger ist. Und Schuhe und Kleider habt ihr auch. Und vergesst nie, unserem Herrgott zu danken. So war ich war froh, keine Läuse zu haben und trug die geschenkten Kleider von der Caritas und den Cousinen ohne Murren. Auch wenn ich dafür ausgelacht wurde. Vor dem Krieg, wo es keine Arbeit gab, war mein Vater Schauspieler geworden. Er spielte den Knierim in Lumpazivagabundus. Alle waren wir stolz auf ihn. Oft hat er mit uns die Lieder aus dem Stück gesungen, er kannte sie alle auswendig. Für uns Kinder hat er immer Kaspertheater gespielt. Es wurde ein Strick quer durchs Zimmer gespannt, eine Decke draufgehängt, das war gleich der Vorhang. Dahinter stand Papa und hat die Puppen und Teddibären oben rauskommen lassen. Wir beide und unsere Freundinnen aus dem Haus saßen auf Schemeln und mussten immer klatschen und Kasperl rufen. Samstag Nachmittag ist Papa mit uns oft in den Leechwald gewandert. Alle Nachbarskinder durften mit. Mama packte den Rucksack, mehrere Decken, Bälle, Jackerln und Jause, wir waren oft zehn Kinder. Die Leute auf der Straße haben gestaunt, so viele Kinder haben Sie? Ja sagte der Papa, alles meine. Ich dachte an die zehn Prozent Wahrheit und fing an zu zählen. Die Sommer meiner Kindheit waren immer schön. Da waren wir draußen im Hof, auch im Nachbarhof, auf der Strasse, und am Hilmteich. Wir waren einige Mädchen im Haus, spielten Puppen, verkleideten uns mit den Kleidern meiner Mutter, spielten feine Dame und Theater. Mit Eva spielte ich Oper und wir sangen Arien im Schlafzimmer ihrer Eltern, das ganz schwarze Möbel hatte und einen großen Spiegel. Die selbst ausgedachte Oper probten wir alleine, manchmal machten wir auch eine Vorstellung für ihre Familie. Eva ist sehr begabt, auch beim Tanzen, sagten ihre Onkel. Das patscherte Kind das ich war, hüpfte halt brav mit, angetan mit den zu großen Pumps meiner Mama und ihren Kleidern aus den 30er Jahren. Ich hätte immer gern die Mama von der Eva gehabt. Die konnte und wusste so vieles. Sie hörte mir auch zu, wenn ich etwas erzählte. Meine Mama hingegen erzählte meine Geschichten immer um. Zufällig war ich dabei, wenn sie der Nachbarin schilderte, was ich grad ihr erzählt hatte. Das war ja eine ganz andere Geschichte! Ich war empört: so war das nicht! Meine Mutter sagte mit einer ärgerlichen Handbewegung: Was wirst denn du schon wissen. Ich war daher immer am Zweifeln, ist das was ich erlebt hab jetzt so gewesen? Oder hat Mama doch recht? Schließlich sagte Mama uns ständig: eine Mutter muss alles am Besten wissen, sie ist ja schon so lange auf der Erde. So wurden die meisten meiner Geschichten irgendwie umgedreht. Mama konnte sich so richtig aufregen. Oft war die Aufregung dergestalt, dass sie sich nicht mehr abregen konnte. Das ging viele Stunden so, wo sie lamentierte und klagte und anklagte. Oft schaute ich nur mehr auf den Mund, der sich bewegte und immer einen Zahn sichtbar werden ließ. Papa nannte diesen Zahn den Keppelzahn. Ich dachte, hoffentlich stirbt sie nicht, wie sie immer sagt, wenn ich mich aufrege, kann`s passieren dass ich einen Nervenzusammenbruch krieg. Und Grund zum Aufregen gab es in unserer Familie genug.


Der Ofen rauchte, ständig hatten wir zu wenig Geld, der Papa hatte einen schweren Arbeitsunfall, meine Schwester wurde krank, Wenn dem Papa das Keppeln zuviel wurde, nahm er die Mama um die Hüfte, drehte das Radio laut auf und tanzte mit ihr herum. Hör auf, hör auf, Stefan, doch er ließ nicht locker bis sie lachen musste. Dann sagte er, siehst, so geht’s zu bei die armen Leut`, die haben wenigstens a Hetz. Aber wenn Mama lachte, war sie so lustig und lieb mit ihren blauen Augen und ich liebte sie mit ihren langen schwarzen Haaren und ihrem ganz eigenen Geruch. Sie hatte gerne Hüte auf und hübsche Kleider an. Und als Köchin war sie unschlagbar. Später hab ich mich oft gefragt, wie Mama es hinkriegte, immer wie eine Dame auszusehen. Selbst wenn die Kleidung lang getragen wurde und die immer selben Schuhe sich mit den Jahren fast aufgelöst hatten und nur mehr aus Flicken bestanden wirkte sie niemals schäbig oder arm. Dafür bügelte, wusch und flickte Mama nicht nur für sich sondern für uns alle. Wenn schon nicht neu, dann wenigstens sauber und ohne Löcher, war ihr Motto für die Kleidung... Und das schöne Gwand wird geschont und nur zum Kirchgang getragen! Das hab ich mir mein Leben lang gemerkt. Gemerkt habe ich mir auch die aufregenden Reisen, die wir nach Maria Straßengel mit dem Zug machten. Im Sonntags-Gewand. Zwar versäumten wir meistens einen Zug weil Mama mit allem so lange gebraucht hat, aber schließlich erreichten wir Straßengel kurz vor dem Ende der heiligen Messe doch noch. Meistens. Damit uns die Heilige Maria auch hört, so glaubte ich damals, hat mein Papa in der Kirche so laut gesungen, dass sich die Straßengler alle nach uns umgedreht haben. Auch wenn er falsch und laut gesungen hat, die Gottesmutter in Maria Straßengel hat sich sicher gefreut.

Lalita, März 2013


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