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K3 Literaturpreis 2012 Beitrag 12 Codewort: "Wasser" Mr. Wassermann

Code:Wasser

‘Mr. Wassermann’. Die Stewardess ließ sich nichts anmerken und nickte freundlich: „Guten Tag!“ Mitreisende hielten beim Einsteigen und beim Schlichten des Handgepäcks ungewöhnlich viel Abstand und als er dem Mädchen auf dem Mittelsitz seinen Fensterplatz anbot - er machte eine weit ausholende Geste - drückte die Mutterhand das Kind fest in den Sitz zurück und verbot den Wechsel. Mr. Wassermann wollte keine Aufmerksamkeit erregen, ein Skandal – schrecklich! Er behielt das Jackett an und nahm auch die Schirmmütze nicht ab. Er litt. Zwei bräunliche Fäden sickerten unter dem Kappenrand rechts und links über seine Schläfen, er tupfte sie rhythmisch mit dem Taschentuch weg. Nur keine Flecken auf dem Hemdkragen! Während des Starts begann das Mädchen neben ihm aufgeregt zu ruckeln, so als müsste es das Abheben beschleunigen: “Bfffff!“ Ihre Spucketröpfchen zerstoben und landeten auch seitlich auf seinem Arm. Die Mutterhand klatschte der Tochter auf den Mund. „Gib Ruh, die schmeißen dich sonst raus!“ Das Flugzeug kurvte sich hoch, einmal grellgrüne Felder und Vorstadthäuschen, dann wieder blassblaue Leere , Vorsicht - den Magen geradehalten. Das Mädchen beugte sich über seinen Schoß hinweg zur Luke, Mr. Wassermann musste seinen Bauch einziehen, das Zischen aus dem Muttermund kümmerte die Kleine nicht. „Wir fahren in einen Club, da muss man gar nichts bezahlen. Sooo viele Schüsseln stehen den ganzen Tag im Speisesaal“- ihre Arme dehnten sich von der Fensterluke bis zum Mittelgang – „und immer wird nachgefüllt. Wir feiern meinen Geburtstag da unten – sechs Jahre! Im Herbst komme ich in die Schule.“ Sie streckte triumphierend ihre Finger in die Luft.“ Die Mutterhand zog ihre Tochter mit einem Ruck näher zu sich her und zerrte den Gurt fester. „Es gibt ein Kinderprogramm und Mutti kann auch ...“ „Pschscht, sei doch mal still.“ Der Steigflug war beendet, die Mutter ließ sich hintübersinken und schloss die Augen. Jetzt sah ihm die Kleine kerzengerade ins Gesicht. „Du fährst auch in einen Club?“ Mr. Wassermann deutete ein Nein an. „Wo fährst du denn dann hin?“ Die Augen des Mädchens blieben an ihrem Sitznachbarn festgesaugt. „Wohin denn?“ Mr. Wassermann ließ sich Zeit mit der Antwort. Bedächtig sammelte er seinen Mund, schob die Kiefer hin und her, dann begann er mit der Formung: leichtes Kauen am Beginn, er schien eine ständig größer werdende Masse mit der Zunge zu kneten. Immer ausladender wurden die Gaumenbewegungen, dann hielten die Kiefer plötzlich still und unter den verblüfften Blicken seiner Sitznachbarin zog er vorsichtig mit seinen kralligen Fingern eine rote Kugel zwischen den Lippen hervor. Sie hatte die Größe eines Tennisballs – wie hatte sie nur in seiner Mundhöhle Platz gefunden? Ein formvollendetes Glutstück pulsierte auf seinem Handteller, dunkle Röte fachte aus dem Inneren auf und zog sich wieder in schwarzes Dunkel hinein. Das Mädchen ergriff das seltsame Gebilde mit Daumen und Zeigefinger beider Hände und hielt es gegen die Fensterluke. Das rote Pulsieren wurde allmählich schwächer und Schlieren in allen Farbschattierungen begannen sich an der Innenwand der Kugel entlang zu ziehen, flossen ineinander und wurden immer heller und durchsichtiger. Farben sonderten sich aus. Ein helles und ein dunkles Blau schieden sich, weiße Fäden und elfenbeinfarbene Schleier tanzten ineinander und formten sich zu kunstvoll gebauten Formationen. Das letzte

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Rot floss zusammen, rotierte immer schneller und konzentrierte sich auf einen Punkt am Horizont: die untergehende Sonne. Die Sicht klärte sich und im Inneren wurde eine zierliche Moschee sichtbar, die sich elfenbeinfarben von einem knallblauen Hintergrund abhob. In der unteren Wölbung lag ein Schriftband. Das Mädchen entzifferte: „ISTANBUL, THE MAGIC TOWN.“ Aber nur zu bald begannen sich wieder Schleier über die Oberfläche zu ziehen, das ganze kunstvolle Gebilde löste sich in Augenblicken auf. Zwei rote Tropfen nur blieben an Daumen und Zeigefingern zurück. Die Mutter schreckte hoch, riss ein Erfrischungstuch aus dem Briefchen, säuberte die Hände ihrer Tochter, die sie ihr willig überließ und die Reinigungsprozedur gar nicht zu bemerken schien, sondern den Kopf wieder zu ihrem Nachbarn drehte. Gierig lächelte die Kleine zu ihrem Sitznachbarn: „Kommst du aus England? Bist du ein Zauberer? Nicht wahr, du bist ein Hexer? Ich weiß es. Jetzt ließ er alle guten Vorsätze sausen. So eine lustige kleine Kröte, eine neugierige, der wird er’s zeigen! Wieder begann er mit den bedächtigen Kaubewegungen und allmählich wurde sein fahles Gesicht lebendig. Die Haut bekam haarfeine Risse, Schuppen stellten sich auf, entließen winzige Tröpfchen, vibrierten suchend und begannen grüngolden zu leuchten. In feuchten Wellen liefen die Schattierungen über das Gesicht in den Hals hinein. Mr. Wassermann lockerte seinen Hemdkragen. Nun stülpte er noch seine wulstigen Nasenlöcher um und entließ mit jedem Atemzug bläuliche Dunstschleier. Endlich nahm er auch noch die Schirmkappe ab. Darunter hatte er einen grellgrünen Haarkamm verborgen, der sich nun zitternd erhob und aus seinen Spitzen einen feinen Sprühregen ausstieß. Ringsum begann es nach tiefbraunem Moder zu riechen. Die Umsitzenden waren aufmerksam geworden, empörte Gesichter tauchten hinter den Kopflehnen hoch., beugten sich über den Gang. Ausrufe! „Der Gestank!“ „Was soll das?“ Schrill: „Ein Attentat!“Die Mutter riss die Gurte auf, stürzte in den Gang, den Arm der Tochter nachziehend, das Kindergesicht bis zuletzt gebannt auf Mr. Wassermann gerichtet, bis es endgültig fortgezerrt wurde. Eine herbeigeeilte Stewardess teilte beruhigende Worte aus. Mr. Wassermann war tief zerknirscht. Wieder hatte er sich hinreißen lassen! Immer wieder passierte ihm das, allen guten Vorsätzen zum Trotz! Er nahm aus seiner Jackentasche ein Flakon MEXX Perspektive und sprühte möglichst unauffällig rund um sich und in die Tiefen seines Jacketts. Nach der Landung auf der Treppe hinunter zum Flugfeld schon lockerte Mr. Wassermann wieder seinen Hemdkragen und legte sich das Jackett über den Arm. Wieder eine Strapaze durchgestanden und jetzt: NICHTS WIE HIN! Das Taxi quietschte durch das Labyrinth der Gassen, Äpfel kollerten in den Rinnstein, fahle Männer drückten sich in die Mauerritzen, ein Esel, der den Weg versperrte, löste sich in Luft auf und Frauen erstarrten zu Kleiderbündeln. Aber: aus so manchem Fenster flatterte kurz ein rotes oder fliederfarbenes Tuch. Abrupt kam das Taxi schließlich zum Stehen und entließ Mr. Wassermann vor einem rotbraunen Haus: endlich! das HAMAM! Hinein in den Schatten des Torbogens, ein dunkler Gang nach rechts, die schwere Bohlentür, der Türklopfer pochte sein Rettungssignal. Ein heller Spalt öffnete sich wie von selbst, dann flog die Tür auf: „Ali! Aleikum, aleikum, endlich, endlich!“ Mr. Wassermann ließ seinen Koffer auf den Boden plumpsen und umarmte einen kleinen fetten Mann, der ein weißes Tuch nachlässig um den Leib geschlungen trug und den Überschwang mit einem kehligen Grunzen erwiderte. Vier Arme saugten sich aneinander fest, feuchte Küsse auf beide Wangen und in die Luft. Dann nahm Ali den Koffer hoch und ließ den Deckel für einen ersten Augenschein hoch

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schnappen. „ Auf Eis legen!“ rief er, sein Bauch kugelte auf und nieder. Ein halbwüchsiger Junge schleppte die Köstlichkeiten ab. Mr. Wassermann folgte den wackelnden Hüften des Bademeisters immer weiter ins Innere des Paradieses. Die Schuhe, diese Obermarterwerkzeuge, er hatte sie längst in die Luft katapultiert. Dunkel und feucht glänzten die Wände, kein Lichtschein konnte die Decke erreichen. Ein erster seifiger Wasserschwall umfuhr seine Füße. Die Kleider - weg mit ihnen! Dampfschwaden und porendurchdringende Wärme knickten ihm die Knie ein. Das Niedersinken - welche Wohltat, erträumt die ganzen langweiligen Konferenztage lang, eingezwängt zwischen Stuhllehnen und Hemdenknöpfen, eingelullt von Vorträgen, aufgeschreckt von Abstimmungen und während der einsamen Hotelabende, allein mit der Minibar und der Endlosschleife auf dem Bildschirm: Welcome, Mr. Wassermann... Und hier – ein Bett aus weichem Eiderdampf, Gurgeln, Dehnen, Abtriften. Auch die Mädchen waren alle da, genau wie sie es versprochen hatten - oder waren es andere? Das gleiche aufgeregte Gezirpe, Zwitschern, Trillern wie die letzten Male. Leicht ließen sie sich auf ihm nieder, kneteten, schrubbten, streichelten, zwickten, zupften, rubbelten und erweichten so alle Stellen seines müden Panzers. Mit dem Kopf lag er in sorgsamen Armen und tiefen Schenkeln, schnaubte, leckte, biss, saugte und schmatzte im vielfältigen Takt ihrer hilfreichen Hände. All die Tünche, den After Shave Film, die Krusten von Gleichgültigkeit, Überlegenheit und unverständlichem Gerede wuschen ihre geduldigen Finger von seinem Gesicht. Mit Seidenschwämmchen fuhren sie die Konturen nach, zerquetschten Avocadofleisch, tröpfelten Öl dazu, das nach Mandeln roch, rührten einen weichen Brei und verteilten ihn auf Stirn und Wangen. Er wetzte hin und her, fing kleine Happen mit der Zunge. „Nein, nicht jetzt!“ „Halt still!“ „Wir fesseln dich.“ Die Mädchen lösten die Schleier, die sie um Haare und Hüften geknotet hatten und banden ihn mit roten und fliederfarbenen Bändern. Den dichten Flossenwald auf Mr. Wassermanns Brust und Bauch bürsteten und kämmten die Mädchen vorsichtig nach allen Seiten hin, entfernten kleine Larven und Käferflügel, Krümel und Staubfetzen. Nach unten zu wuchs das Algenhaar immer undurchdringlicher und Mr. Wassermann wurde unruhig und kitzelig. Ali schob die kichernden Mädchen weg und übernahm diese Partie. Dann wurde er umgewälzt. Vom Rücken, den Armen und den Beinen lösten die Mädchen Algenwurzeln, Fett- und Ölschichten mit eiligen Fingern ab, bis die geschmeidige Echsenhaut freigelegt war in ihrer herrlich grün-goldenen Maserung. Zuletzt reinigten die Mädchen noch mit feinen Elfenbeinnadeln jede kleinste Schuppenritze in langwieriger Kleinarbeit. Aber auch weniger Schönes brachte diese gründliche Pflege zu Tage: blank gewetzte Stellen an den Schultern, am Hals und um die Hüften, abgeschabte Knie – überall dort, wo die Sakkos, Hemden und Hosen eingeschnitten, abgewürgt und erstickt hatten. Die feinen Schwimmhäute zwischen den Zehen sahen besonders mitgenommen aus: zusammengefaltet in den engen Schuhen, verklebt vom Schweiß und Straßenstaub hatten sie Schorf angesetzt und raschelten in den Händen der Mädchen wie abgestorbene Eichenlaubbüschel. Da musste die alte Baubo her. Vierunddreißig Kräuter stampfte sie im Mörser. Sie allein wusste die Namen, hatte sie zusammengesucht auf den Märkten der Stadt und auf den Schutthügeln, wo die Wohnblöcke, die niemals fertiggebaut worden waren, vor sich hinmoderten. Brabbelnd warf sie die Blätter und Wurzeln ein, nur sie wusste die Namen. In Echsenöl erwärmt, lange mit dem Kranichfuß gerührt und mit dem Daunenpinsel aufgetragen – das würde die wunden Stellen heilen! Reglos lag Mr. Wassermann in seiner Verpackung und dämmerte ein. Die Mädchen waren in die Küche geflattert.

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Sie kamen wieder mit Schüsseln, voll gefüllt mit den mitgebrachten Köstlichkeiten: graugrüne Aale schlängelten sich in ihrem Fett, eingedickt mit gestoßenen Pistazienkernen, in einer rot glühenden Pfanne raschelten Krebse und auf einer Platte thronte ein riesiger Wels auf einem Bett von gerösteten Lilienwurzeln. Die köstliche Soße aus Granatapfelkernen, herb und süß zugleich, nur hier konnte er sie kosten, keine Küche der Welt sonst kannte das Rezept. Und dazwischen die Süßigkeiten, so süß, dass das Blut erst in den Adern stockte und gleich darauf in Bocksprüngen weiter floss. Mr. Wassermann bekam in den Mund gesteckt, wonach ihm verlangte. „So ein Wickelkindchen, der!“ Die Mädchen zupften für ihn das weiße Fleisch aus den aufgeplatzten Krebsscheren und füllten seinen Mund mit Gemüse und milchigen Walnüssen, eingelegt in Loukum. Die alte Baubo hatte frisches Bier gebraut, in einem dickwandigen Tongefäß schleppte es der Gehilfe aus dem untersten Keller herauf und schöpfte es in die Gläser: kühl und rein und stark war es geraten. Einen Spritzer Mollkraut,Tollkraut, Trollkraut hatte die Alte auch dreingemischt. Kopfüber fielen sie, trudelten als Ascheflöckchen durch die Luft, der Raum summte von all den Träumen, schaukelte auf und nieder, bauschte sich auf und faltete sich ein im Rhythmus der Schlafenden. Zuerst regten sich die Mädchen, stiegen sanft aus der Nacht, dehnten sich, tuschelten, naschten von den zurückgebliebenen Süßigkeiten. Dann tupften und knufften sie ihren Gast, bis auch er sich streckte und die Augen aufmachte. Die Mädchen trugen jetzt ein Lavoir mit lauwarmem Rosenwasser herbei und begannen die heilende Paste abzuwaschen. Alle bestaunten das Ergebnis: eine Schicht, dünn wie Cellophan hatte sich an den geschundenen Stellen gebildet und darunter pulste das Blut, wie Wasser unter einer dünnen Eisdecke. Ganz sanft fuhren die Mädchenfinger über die frische Haut, drückten leicht hinein, um die Spannkraft zu erproben und die alte Baubo ermunterte sie, nicht zu vorsichtig zu sein. “Nazu nan nakusja“, und das heißt etwa: „Streichle hundert und drei Jahre und du hast noch nichts weggestreichelt.“ Die Mädchen hielten sich daran. Der Flossenwald auf Mr. Wassermanns Brust, der jetzt so seidig glänzte und sich tiefgrün kräuselte, verlockte zum Kraulen und Stöbern. Sie begannen seinen Nabel zu suchen. Den konnten sie aber nicht finden, so sehr sie auch wühlten, bis die Baubo sagte: „Halja nan nos. Kamma ma.“ „Es hat ihn keine Mutter geboren, wie kann er da einen Nabel haben.“ Da staunten die Mädchen nicht schlecht und stellten allerhand Fragen, aber Mr. Wassermann hatte keine Lust zu langen Erklärungen, die nur zu neuen Fragen führen würden. Jahrhunderte lang dieselbe Litanei! Außerdem machte ihn dieses Thema jedes Mal melancholisch. Nein, nicht jetzt! Eine kräftige Ablenkung war angesagt! Er spannte seine Bauchdecke an und ließ alle Luft aus seinen Eingeweiden fahren; das wilde Gurgeln wollte gar nicht aufhören, fing sich in den Nischen und Ecken und schlug die Mädchen in die Flucht. Bald kamen sie wieder, kicherten und täuschten Ängstlichkeit vor, aber ihr Respekt war geschwunden, sie knuddelten und kitzelten ihren Gast, wälzten ihn auf der Matte hin und her und begannen die Tiefen seines Flossenwaldes weiter zu inspizieren, Tiefen, die anfangs Ali zur Reinigung und Salbung überlassen worden waren. Und was sie da vorfanden, brachte sie zum Staunen. „Hast du das schon einmal gesehen!“ „Eine neunschwänzige Katze!“ „Nein, nicht neunschwänzig. Fünf!“ „Nein, viel mehr!“ „Die sind ja verschieden lang!“ Und tatsächlich: eine Vielzahl sich windender Tentakel war unter dem Vlies verborgen gewesen, sie züngelten nun hervor, schlangen sich rot, blau und violett um die Finger und Hände, klammerten sich fest mit vielen kleinen Saugnäpfen, wuselten immer schneller, wenn sie abgestreift wurden. Die Mädchen beeilten sich zu entwirren, zu zählen. Aber Mr. Wassermann machte ihnen einen Strich durch die Rechnung, er ließ sich nicht ruhig untersuchen, konnte nicht stillhalten, musste lachen und wieder lachen, sich winden, die

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kichernden Körper der Mädchen fangen, umklammern, verschwinden bis auf den Grund, brennen in den Spalten. Die flinken weißen Leiber, umwuselten ihn wie ein Fischschwarm seine Beute. In der übermütigen Wärme kamen sie näher und näher seinem Herzen, seinen Eingeweiden, seiner überschäumenden Seele. In Wonne stieß Mr. Wassermann klingende Fontänen an die Decke, rote und violette Schaumkugeln, die im Steigen und Fallen Farbe und Größe veränderten. Kleine und größere Töne schwebten zitternd abwärts, wurden aufgefangen und weiter gewippt von einer Hand zur nächsten, klangen leiser und leiser und zerschellten schließlich in Stille. Eines der Mädchen spielte eingesponnen mit den klingenden Kugeln, ließ sie von einer Hand in die andere rollen, hinauf und hinab in einer Melodie, andere versuchten sich in wilden Rhythmen und wenn ihnen die bunten Töne am Boden zerschellten, bettelten sie um neue. Goss Ali einen Kübel Wasser über die heißen Steine, versank alles im warmen, weichen Dampf, dann wurde die Lust ganz eng, die Bewegungen träger.... Aber jeder neue Schlaf ließ das Blut wieder dünn und kribblig werden, es füllte die Leiber bis zum Platzen und verlangte nach Reibung, nach Winden, nach Bewegung, bis die Erschöpfung ein Mädchen nach dem anderen träge werden ließ und auch Mr. Wassermann schließlich dalag wie ein gefällter Baum, verkrochen in ihren Umarmungen. „Schau, ein Baby ist er, auf dem Rücken liegt er wie ein Frosch.“ Zwischen Schlafen und Wachen erzählten die Mädchen ihre Träume und er lernte ihre Stimmen zu unterscheiden und gab ihnen Vogelnamen und die Mädchen lachten und neckten sich: “Du Schnepfe“ und sie nannten ihm ihre Namen und was sie bedeuteten. „Ardana: die fünfsaitige Windharfe“,„ Gulsyne: singende Zikade“. Er würde sich ihre Namen nicht merken, das wusste er, sie waren zu zauberhaft. Die Zeit hatte Ali an der Pforte eingeschlossen. In einem Verschlag hinter einem Vorhang kümmerte sie vor sich hin, zusammen mit der Aktentasche und dem Laptop. Der Koffer, der segensreiche, gab immer neue Köstlichkeiten her: Datteln so groß wie Zitronen gefüllt mit Weihrauchpaste, bitter fast, so dass der Mund nach Süßem verlangte, nach Anisplätzchen und kandierten Orangenscheiben. Das Bier ging zur Neige, die Baubo war längst verschwunden, Mr.Wassermann heulte auf. Da schleppte der Junge einen Schlauch an, die Haut einer Sau, gefüllt mit Süßwein und sie nuckelten allesamt an den Zitzen bis die stacheligen Gedanken eingeschläfert waren und nur die Dehnungen und Schwellungen, das wohlige Kitzeln der Haut und die pulsierende Gier am Leben blieben. Als der Koffer hohl klang und in seinem Inneren nur mehr schwarze Leere klaffte, wurde Ali ernst und geschäftsmäßig, legte sein Badetuch ab und eine frisch gebügelte Dschellaba an, streifte sich eine Rollex übers Handgelenk ,befreite die Zeit aus ihrer Pförtnerloge und ließ das Handy mehrmals im Inneren des Bades läuten. Mr. Wassermann summte träumerisch die Melodie mit, vergrub seinen Kopf im Bauch von Jachne, der schnellfüßigen Eidechse. Aber bald schon tauchte er wieder auf, dehnte sich nach allen Richtungen, kam auf seine Beine und schüttelte sich kräftig. Dann nahm er Abschied, einen wahrhaft unvergesslichen Abschied. Seinen Weiterflug nach Bombay drei Stunden später trat Mr. Wassermann pünktlich an. Es hielt sein Referat auf der „International Conference for Conscious Use of Water Resources“ – es wurde mit Beifall aufgenommen - und überstand drei Tage angestrengten Sitzens in engen Schuhen, Jackett und Krawatte ohne größere Zwischenfälle.

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