Zuerst kommt der Blitz, dann kommt der Donner um am Ende ein ganzer Sommer Die Schritte der Feuerwehrmänner hallten durch das dunkle Haus. Von den einst klassischen und wertvollen Möbeln, die die Räume zierten, war nur noch Asche übrig. Die Wände waren schwarz verkohlt, die Fenster zersprungen und aus den klaffenden Löchern im Dach drangen dicke Rauchschwaden. Ingrid saß mit ihren Töchtern Lisa und Christin vor den Überresten der alten Villa. Lisa weinte bitterlich in den Schoß ihrer Schwester, die apathisch ins Leere starrte. Als der letzte der zwölf Feuerwehrmänner aus der Ruine trat, huschte ein flüchtiges Lächeln über Christins Gesicht. Ihre Mutter hingegen fing hysterisch an zu schreien, sprang auf und fasste einen der Feuerwehrmänner, um ihn kräftig zu schütteln. Am darauffolgenden Tag bestätigte sich der grausame Verdacht der Familie und der Retter. Die Polizei konnte die verkohlten menschlichen Überreste bergen, die nicht mehr identifiziert werden konnten, was ohnehin unnötig gewesen wäre, da es nur eine Möglichkeit gab. Der Stiefvater der Mädchen, Hermann, war in den Flammen umgekommen. Er hatte die Angewohnheit gehabt bis spät in der Nacht im Keller zu sitzen und dort in der Werkstatt zu arbeiten. Oft schlief er am Werkzeugtisch ein und erwachte am nächsten Tag mit schrecklichen Rückenschmerzen. So ähnlich durfte es sich auch bei dem Brand zugetragen haben, mit dem Unterschied, dass er nun nicht mehr erwachen würde. Den Mädchen und seiner Gattin war es streng untersagt die Kellerräume zu betreten und er verschloss diese auch stets ordentlich. Hermann hatte einige solcher Eigenheiten und lebtags etwas geheimnisvolles, unheimliches an sich, was es den Mädchen immer erschwerte ihn ins Herz zu schließen. Obwohl er seiner Tätigkeit als Psychiater nachging, und diese offensichtlich beherrschte, was unzählige Urkunden bezeugten, gab er sich keine Mühe den Kindern näher zu kommen. Ingrid belastete dieses Verhältnis doch sie gewöhnte sich allmählich daran. Nach dem Selbstmord Michaels, dem leiblichen Vater der Mädchen der jahrelang unter schweren Depressionen litt, fühlte sich sein Psychiater mitverantwortlich für dessen Tod und suchte den Kontakt zu den Hinterbliebenen auf. Ingrid und Hermann kamen sich schnell näher, heirateten zwei Jahre nach dem Ableben Michaels und Hermann zog in die Villa der Familie ein. Elf Jahre lang lebte er als vertrauter Fremder unter einem Dach mit Familie Söhling. Verschlossen und oft eingeschlossen in seinen Kellerräumen wurde er ein Mitglied, welches die drei Frauen durch emotionale Distanz und Launenhaftigkeit häufig verletzte. Ein knappes Jahr nachdem die Familie ihr vertrautes und geliebtes Haus durch den Brand verloren hatte, zeigte sich erneut die Angst vor dem Alleine sein bei Ingrid, und ihren Hang zu Rettern in der Not. Sie verliebte sich kurz nach dem schrecklichen Vorfall in den Feuerwehrmann, den sie einst vor Wut schüttelte. Albert war ein warmherziger, liebevoller Mann, der der Familie großzügig Unterkunft in seiner Wohnung gewährte und sich geduldig und interessiert mit Lisa und Christin auseinandersetzte. Die Mädchen, 15 und 17 Jahre alt, schlossen ihn schnell ins Herz und genossen Familienausflüge und ein idyllisches Zusammenleben nach den Jahren in denen sie unter der Distanz und den Aggressionen Hermanns litten. Vor allem Christin machte keinen Hehl
daraus, die durchaus dramatischen Vorfälle als „Glück“ zu werten. Sie verachtete ihren Stiefvater und litt unter dessen Autorität. In Albert fand sie einen Freund und Vertrauten und hatte das erste mal in ihrem Leben das Gefühl einen Vater zu haben. Bei einem der Familienausflüge in den städtischen Tiergarten wurde Christins Laune allerdings getrübt. Die Geschehnisse an diesem Tag spielten sich während einer Seelöwenfütterung ab. Lisa war für ihr Alter von 15 Jahren sehr klein und stieg um unter dutzenden Zuschauern besser sehen zu können auf das Gelände zum anliegenden Pinguin-Gehege. Sie hielt sich an der Hand ihrer Schwester fest und nahm die Stimme ihrer Mutter gar nicht wahr, die ihr durch unzählige Menschen zurief, sie solle vom Gelände steigen. Gerade schnappte sich ein Seelöwe mit einem großen Satz aus dem Wasser einen Fisch, als Lisa einen harten Griff um ihre Knöchel spürte, der ihr die Beine wegriss. Sie verlor das Gleichgewicht und die Hand ihrer Schwester, die gebannt auf den Seelöwen starrte, glitt ihr durch die Finger. Ein aufmerksamer junger Mann mit katzenartigen Reflexen konnte Lisa gerade noch auffangen und zurück über das Gelände ziehen, bevor sie zwölf Meter in die Tiefe geflogen wäre um auf harten Betonfelsen aufzuschlagen. Als die Familie kurz darauf zusammen saß um sich zu beruhigen und die Geschehnisse zu verdauen, war Lisa immer noch erpicht darauf, dass ihr jemand die Füße weggezogen hätte. Sie konnte den festen Griff an den Fußknöcheln noch spüren, doch die Mutter interpretierte diese Behauptung als Mischung aus Entschuldigung, Erklärung und Ergebnis des Schocks. Chrsitin wurde immer stiller und ihre Gedanken schweiften ab. Eine solche Grausamkeit traute sie nur einem einzigen Menschen zu, und dieser ruhte im Jenseits. Sie überfiel ein kurzer Schauer und zwang sich die Gedanken wieder zu verwerfen. Einige Tage darauf, das schreckliche Ereignis im Tierpark war schon beinahe in Vergessenheit geraten, ging Chrsitin schwimmen. Als begeisterte Schwimmerin zog sie beinahe jeden Morgen ihre Bahnen in dem Schwimmbecken vor der verbrannten Villa. Obwohl sie jedes Mal Gänsehaut bekam, wenn sie das Grundstück betrat und sich angesichts den Überresten ihrer Vergangenheit wieder fand, liebte sie den großen Pool, den sie ordentlich pflegte. Sie genoss es alleine im Wasser zu treiben, um ihre Gedanken zu ordnen. Auch an jenem Morgen sprang sie ins kühle Nass und schwamm einige Bahnen. Plötzlich legte sich eine dicke, Kunststofffolie über ihren Körper und sie verlor die Orientierung. Alles um sie war dunkel geworden und sie bekam keine Luft. Verzweifelt versuchte sie die Plane von sich zu reißen, doch schon bald verlor sie die Kraft und das Bewusstsein. Der Hund der Nachbarn bellte und versuchte hartnäckig sein Herrchen auf den Pool im Garten nebenan aufmerksam zu machen, doch dieser wunderte sich zwar über seinen sonst so ruhigen und friedlichen Hund, konnte den Grund für seine Aufregung aber trotz angestrengter Suche nach Ursachen für sein Verhalten nicht finden. Der Hundebesitzer wollte sich schon umdrehen und zurück in das Haus gehen, als er seinen Hund dabei beobachtete, wie dieser unaufhörlich versuchte seinen dicken Bauch unter dem Zaun durch zu schieben. Der Hundebesitzer erbarmte sich und öffnete dem Hund das Gartentor, worauf hin dieser sofort zum Schwimmbecken der Nachbarn stürmte, wo er unaufhörlich weiter bellte. Verwundert stellte der
Hundebesitzer fest, dass die Abdeckung über das Becken gerollt worden war, was eigentlich nur im Winter der Fall ist. Außerdem konnte er eine eigenartige Verformung unter der Plane erkennen und schob den Hebel zurück, durch den die Plane wieder eingezogen werden konnte. Als erstes erblickte der Hundebesitzer lange braune Haare und sein schrecklicher Verdacht bestätigte sich nur Sekunden nach dieser Beobachtung. Der leblose Körper Christins und ihr bläuliches Gesicht kamen zum Vorschein. Er zog das Mädchen aus dem Wasser rief seiner Gattin zu, sie solle die Rettung alarmieren und begann die Herzmassage und die Mund- zu Mundbeatmung bei dem Mädchen. Christin konnte auch durch die ärztlichen Bemühungen nicht vollständig gerettet werden und blieb vorerst im Tiefschlaf. Tag für Tag wurde sie von Angehörigen und Freunden besucht, doch sie erwachte nicht, und mit jedem Tag, der verstrich und sie bewusstlos blieb, sanken die Chancen dafür, dass sie jemals wieder erwachen würde. Nach der Sorge um das Mädchen beschäftigte die Familie vor allem die Frage was genau geschehen war. Christin hatte keine Feinde, im Gegenteil, sie war überall beliebt und wurde gern gesehen. Ingrid hatte anfangs den Verdacht, dass Chrisitin ihrem Leben ein Ende setzen wollte. Vielleicht hatte sie die depressiven Züge ihres Vaters vererbt bekommen. Man konnte seine charakterlichen Züge in Chrisitin durchaus wiedererkennen, denn sie war ebenso ruhig und nachdenklich, doch sie wirkte im Gegensatz zu Michael keineswegs traurig oder depressiv. Außerdem gab es keinen Abschiedsbrief und letztlich war diese Art von Suizid wirklich nicht die nächstliegendste, weshalb Ingrid den Gedanken auch wieder verwarf. Albert, Ingrid und Lisa besuchten das Krankenbett Christins täglich und blieben stundenlang dort sitzen. Eines Tages stand eine Torte auf dem Blumentisch im Zimmer, auf dem in Zuckerguss „Gute Besserung Christin“ stand. Ein handgeschriebener Brief mit den Worten „Wir wünschen Christin und ihrer Familie viel Kraft und hoffen, dass sie bald wieder auf die Beine kommt“ lag neben der Torte und war von vielen Namen unterzeichnet, woraus die Familie schloss es handele sich um KlassenkameradInnen des Mädchens. Weder Ingrid noch Lisa oder Albert hatten Appetit und schon gar nicht auf eine Torte, die für sie ein Symbol von Feiern war. Sie wollten die Leckerei aber auch nicht verderben lassen und schenkten sie den Krankenschwestern, die Christin versorgten. Einige Tage darauf, läutete es an Alberts Wohnungstüre. Mit verschwollenen Augen durch den wenigen Schlaf öffnete Lisa die Tür und stand zwei Polizeibeamten gegenüber. Sie bat die Polizisten herein und rief nach ihrer Mutter und Albert. Im Wohnzimmer nahmen die fünf Platz und die Polizei begann Fragen über die Torte zu stellen, die Familie Söhling vor Tagen den Schwestern geschenkt hatte. Nachdem Ingrid geduldig die ersten paar Fragen beantwortete, wollte sie den Grund für den Beamtenbesuch erfahren. Die Antwort war erschütternd, denn drei der vier Schwestern, die von der Torte gegessen hatten waren gestorben und die Reste der Torte wurden untersucht. Die Ergebnisse dieser Untersuchung diagnostizierten Rattengift in dem Gebäck. Dies war einfach zu viel für die drei. Albert brüllte die Beamten an, sein Haus zu verlassen, Ingrid und Lisa brachen in Tränen aus und alle stellten sich die Frage wer ihnen so etwas antun wolle und
warum drei Krankenschwestern ihr Leben lassen mussten. Die Recherchen der Beamten ergaben, dass die KlassenkameradInnen Chrsitins weder die Torte noch den Brief jemals gesehen hatten. Der Brief wurde Ingrid, Albert und Lisa noch einmal vorgelegt, um heraus zu finden, ob ihnen die Schrift bekannt wäre. Ingrid erkannte die markante Schlaufe des „K“ und erinnerte sich daran, dass ihr verstorbener Mann diese auf die gleiche Art machte, doch er ließ in den Flammen sein Leben, also schloss diese Möglichkeit aus und sie äußerte den Gedanken auch nicht. Niemand schien den Grund für die Aggression gegen Familie Söhling zu kennen, und offensichtlich gab es keine Verdächtigen. Die drei lebten in ständiger Furcht, sie organisierten eine Überwachung für Christin, die diese rund um die Uhr im Auge behielt. Jedem Menschen dem Ingrid oder Lisa begegneten traten sie skeptisch gegenüber. Täglich meldeten Mutter und Tochter der Polizei Bekannte, die sie getroffen hatten und die eigenartige Äußerungen machten. Beispielsweise fragte die Nachbarin lächelnd nach Christins Befinden und ein entfernter Verwandter gab vor, dringend einen Termin wahrnehmen zu müssen als er Lisa im Supermarkt begegnete. Die Polizei ging den Hinweisen zwar nach, fand aber keinerlei Indizien für ihren Verdacht. Nach Monaten erfolgloser Suche, und ständigen Banges um Christin, erwachte diese plötzlich. Die Familie war so voller Freude und Dankbarkeit, dass Angst und Sorgen vergessen wurden. Christin musste noch einige Wochen im Krankenhaus verbringen, doch die Familie lernte wieder zu lachen und zu vertrauen. In so einem Moment, der voller Zuversicht und Mut war, machte Ingrid einen entscheidenden Fehler. Es läutete an der Wohnungstür und sie öffnete diese ohne jemanden zu erwarten oder durch das Türloch zu sehen. Vor ihr stand Hermann. Die Frau, die in den letzten Monaten stark gealtert und abgemagert war, konnte ihren Augen nicht trauen. Sie wurde kreidebleich und starrte auf ihren tot geglaubten Mann. Hermann trat ein, schloss die Tür hinter sich und stach ihr, ohne ein Wort zu sagen ein Messer in den Bauch. Ingrid sank zu Boden und hielt die klaffende Wunde mit ihren Händen zu. Mit aufgerissenen Augen starrte sie ihn an und erkannte in ihm plötzlich den Verursacher für all die Vorfälle der vergangenen Monate. Alles was sie sagte war „Warum?“. Hermann fing an zu lachen, er sah ihr mit einem breiten Grinsen zu, wie sie versuchte den Schmerz zu unterdrücken der immer stärker wurde. „Weil es Spaß macht“ entgegnete er. „Einfach, weil es Spaß macht“. „Du bist krank“ flüsterte Ingrid, worauf sie eine schallende Ohrfeige erhielt. Ingrid gab nicht auf, sie sagte „Welche Überreste fand man in der alten Villa, wenn sie nicht von dir waren?“. Hermann setzte sich neben die Blutlache die immer größer wurde und fing an seine Geschichte zu erzählen „Dein Mann war jahrelang mein Patient. Durch seinen Tod brachte er mich um viel Erfolg und Anerkennung. Ich konnte nicht verstehen warum er sich das Leben nahm, und deshalb habe ich seine Leiche untersucht. Jahrelang studierte ich seine Hirnwindungen und verglich sie mit denen andere Menschen. Seine Überreste bewahrte ich im Keller auf, um Tag und Nacht daran arbeiten zu können. Ohne Ergebnis. Vor lauter Wut auf ihn und deine verdammte Familie, wollte ich euch auslöschen. Doch ihr musstet den Brand ja überleben. Es hätte so einfach sein können. Danach konnte ich problemlos ausnutzen, dass ich für tot gehalten wurde und habe
versucht euch schmerzlos zu vernichten. Anscheinend ist die Schwäche die dein Mann hatte bei euch Stärke. Ihr seit einfach nicht tot zu kriegen. Jetzt muss ich also zu harten Methoden greifen. Lisa kommt in 30 Minuten nach Hause also beeile dich mit dem sterben, du willst doch nicht ihre hilflosen Schreie hören oder?“ Helmut lächelte in sich hinein und ging in die Küche, um sich ein Glas Wasser zu holen. Als er zurück kam lag Ingrid nach wie vor in der Blutlache am Boden und krümmte sich vor Schmerzen. Als sie ihn sah, sagte sie leise „Küss mich bitte noch einmal. Du warst elf Jahre lang mein Ehemann, wenn ich sterbe wenigstens durch deine Hand und unter deinem Kuss“. Hermann war verblüfft, soviel Befriedigung hatte er sich nie erhofft. Er überlegte einige Sekunden lang und beschloss ihr diesen Wunsch zu erfüllen. Langsam kniete er sich auf den Boden, schloss die Augen und beugte sich über Ingrid. Plötzlich rammte ihm diese mit voller Wucht den Hausschlüssel ins Auge, den sie in seiner Abwesenheit unbemerkt aus der Tür ziehen konnte. Schreiend fuhr er zurück und hielt sich sein blutendes Auge. Er konnte nichts sehen, und der Schmerz war grenzenlos. Diese Sekunden nutzte Ingrid um sich mit letzter Kraft ins Badezimmer zu schleifen und die Tür zu verriegeln. Sie öffnete das Fenster und schrie so laut sie konnte um Hilfe. Die Nachbarn hörten sie glücklicherweise und alarmierten sofort die Polizei. Letztlich konnte Hermann festgenommen werden. Ingrid überstand die Operation gut und verbrachte einige Wochen zusammen mit ihrer Tochter im Krankenhaus. Nach einigen Jahren, erfuhr die Familie vom Tod Hermanns im Gefängnis. Er war unter ungeklärten Umständen umgekommen... doch das ist ein anderer Krimi...