13_-seinerzeit-kindheit

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stolper-welten der zaun – der nicht ist und trennt die tür – die nicht ist und zugeschlagen wird das hindernis – das nicht ist und stolpern lässt die faust – die nicht ist und zu boden zwingt die kette – die nicht ist und fesselt das gefängnis – das nicht ist und aus dem spiegel schaut o freiheit

… seinerzeit Kindheit Es war dieser ländliche Raum, mit all seiner Schönheit und Härte. Mit Härte ist nicht so sehr das gemeint, was unmittelbar körperlich spürbar war. Mitunter wehgetan hat. Der Rücken, wenn nächtens die Bretter durch das flach gelegene Stroh drückten. Die Blasen an den Fingern, nach harter Arbeit. Die blutige Zehe, vom Stein auf der Schotterstraße – Schuhe waren im Sommer überflüssig. Aber das war mitunter recht angenehm. So konnte man den Staub zwischen den Zehen spüren. Oder ein sanftes Kitzeln an den Fußsohlen. An manchen Stellen war die Straße nämlich samtig weich. Besonders wenn der Hömina Luis sie mit frischem Sand geebnet hat. Ich habe ihn bewundert. Wie er da so ruhig und gelassen mit der Pfeife im Mundwinkel sein Wagerl vor sich her geschoben hat. Und diese Treffsicherheit. Das ging "schwups", und der Sand flog von seiner Schaufel zielgenau in die Schlaglöcher. Da war dann das Radfahren wieder eine wahre Freude. Schlaglöcher sind nämlich heimtückisch. Sie warten auf den richtigen Moment. Ein richtig harter Stoß – und schon kann es geschehen sein. Und einmal geschah es prompt. Die Füße rutschten – tschack – von den Pedalen und wurden unfreiwillig zu Bremsklötzen. Barfüßig hängend! Mit den Händen krampfhaft am Lenker festgekrallt. Mit dem "Nichts" auf dem Kettenblatt holprig abgestützt. Das Damenradl von der Mama hatte also auch seine Nachteile. Die Beine waren noch um einiges zu kurz, um beim Treten auf dem Sattel zu sitzen. Von den Pedalen abzurutschen, war somit heikel und mitunter recht schmerzhaft. In diesem Fall waren weniger die wund geschundenen Füße das Problem, sondern der atemberaubende Schmerz beim "Nichts". Richtig zusammenziehend. Ein einsames Leid, denn reden konnte man darüber mit niemand. Dazu muss man wissen, dass der Körper damals beim Scheitel begonnen hat, in der Hüftgegend vorübergehend endete und sich dann von den Oberschenkeln bis zu den Fußsohlen fortsetzte. Dazwischen war dieses "Nichts" oder zumindest das, worüber man nicht reden konnte. Auch nicht mit dem Hömina Luis. Und so konnte ich ihm auch meine Dankbarkeit über seine gefüllten Schlaglöcher nie zum Ausdruck bringen. Ich konnte meine Lehrerin nicht verstehen, als sie mich ganz entgeistert angeschaut hat. "Wegmacher", habe ich gesagt – auf die Frage, was wir einmal werden wollen. "Wegmacher?" Und dass das doch kein richtiger Beruf sei, hat sie noch gesagt. Zugegeben: Idole sind scheint's auch recht zeitbedingt. Aber der Hömina Luis war ein Wegmacher, und das ist beileibe kein Straßenkehrer. Damals waren aber auch die Straßenbenützer noch ganz andere: Fußgänger, Radfahrer, Pferdefuhrwerke, ein paar Motorräder. Autos sind fast keine gefahren. Wenn dann doch eines gekommen ist, ist auch immer dieser Konflikt gekommen – zwischen Neugier und Verstecken. Wie immer, wenn etwas "Fremdes" oder "Lautes" auf einen zugekommen ist. Und das war eine der eigentlichen Härten: Diese kindliche Verschrecktheit. Dieses "sich verstecken wollen". Vor dieser diffusen Bedrohung. Da ist man zurückgeschreckt. Gehemmt, verschämt, schweigsam – sprachlos. Wie ohnmächtig. Niedergedrückt, von einer unsichtbaren Last. Mitunter ist daraus wohl das geworden, was man Rückgratlosigkeit nennen kann. f-blues

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