18_beitrag

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Apparat Sie sah auf ihr Handgelenk, doch da war keine Uhr. Der Himmel über dem Geäst schien wie eine Schraffur aus Bleistift. Es half Za's Orientierung nicht, dass bei längerer Betrachtung desselben kleine türkise Quadrate im Grau bemerkbar wurden und ein allmählicher Farbwechsel eintrat. Im unbestimmten Licht schwankte ein Weberknecht auf haardünnen Beinen über den Arm im Blattwerk. Za kniete sich neben die reglose Gestalt. Zwischen bleichen, in den Grund gekrallten Fingern sammelten sich die verflüssigten Überreste toter Blätter. Der andere Arm der Leiche verlief angewinkelt gegenüber des Profils, die halb geschlossene Hand kam hinter dem Kopf zu liegen, am Rande einer schwarzen Senke, über der die Wurzelfasern eines ausgerissenen Baumstumpfs hingen, deren Schattenmuster sich wie Risse auf die kalte Haut schlugen. Am Waldboden fand sie keine Anzeichen von Spuren, nur Furchen und Rinnen in denen das Regenwasser wie Quecksilber stand und die schwarzen Stämme reflektierte. Hat es sich hier zugetragen? Einzig Spritzer dunklen Schlamms auf dem Hemd, den grünvioletten Venen des Genicks- nichtmal eingetrocknet kriecht die Masse wie Teer herab... Aber... Was? Sie lenkte ihren Blick entlang des rechten Arms, betrachtete die gebeugten Finger der Hand, die nur wenige Millimeter erstarrt über dem feuchten Laub hing. Unter den brüchigen Nägeln war ein Streifen fleckig grünen Gewebes gepresstZa wurde unvermittelt schwarz vor Augen. Während sie sich blind aufrichtete, um die Stockung des Kreislaufs zu lösen, breitete sich ein Kopfschmerz -synchron zu ihrem Herzschlag- in ihrem Hirn aus, wie Wellen von Metallscharten. Ihre Sicht in diffusen Lichtflecken wiederkehrend, beugte Za sich über die Hand. Der grüne Film bedeckte auch teilweise die Fingerkuppen, der Struktur nach erinnerte er mehr an Schimmel, denn Gras, sich graduell entlang der feinen Hohlwege der Haut fortpflanzend, eine schäumende Flut, die Konturen verschwindenden Fleischs langsam verwischend. Za stürzte zu ihrer Tasche. Sie fand zwischen ledernen Falten das Taschenmikroskop. War der Körper jetzt noch bleicher geworden? Ihr schien die Haut weiß wie Kalk. Sie richtete die Linse auf die Fingerspitzen und hob mit einigen Drehungen am Mikroskop aus verzerrten Lichtschlieren ein Bild zufriedenstellender Schärfe. Die unregelmäßig grüne Farbfläche wurde unter dem Mikroskop plastisch; statt eines Organismus blickte sie aber in ein Gewirr feinen Drahts, der sich in Schleifen wand wie Stahlwolle. Zwischen Verläufen metallischer Fäden hingen, in dicht geflochtene Nester gebettet, Kristallfragmente, bei denen Za an Splitter geborstener Spiegel dachte. Sie setzte das Mikroskop ab. Ihre fielen die Augen zu. Das ergibt keinen Sinn. Über die Lider und Augenfalten der Leiche, bis an die Ausläufer der Retina, zog sich ein feines Netz grüner Ablagerung, wie mit Feder gezeichnet. Za stützte sich mit einer Hand im Schlamm ab, das Mikroskop in der anderen, und senkte ihren Kopf über das Gesicht der Leiche; versehentlich stieß sie mit einem Knie an deren Oberarm. Scheiße, ich sollte ja nichtEin Knirschen beutelte den Raum; ihr Sichtfeld brach wie Splitter zerschmetterter Glühbirnen;


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18_beitrag by k3 verein - Issuu