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Hinterhofgeschichten aus der Leonhardstraße

Wieder einmal war es soweit, ich musste Zigaretten für die Eltern holen gehen. Doch diesmal ging ich die zweihundert Meter zum Schratzerwirt gerne. Wir sind im Jahre 1968, es findet gerade die Winterolympiade in Grenoble statt. Ich ließ mir mit der Bestellung der sechs Stück Dreier - Zigaretten Zeit, denn hier gab es neben der beeindruckend großen La Cimbali Espressomaschine auch einen der seltenen Schwarzweiß – Fernsehgeräte. Im rauchgeschwängerten Lokal herrschte gespannte Hochstimmung. Es ging um die Goldmedaille im Slalom. Jean Claude Killy hatte die Bestzeit hingelegt. Der Slalomhang befand sich teilweise im Nebel, doch nun kam der österreichische Held - Karl Schranz aus dem vorarlbergerischen St. Anton! Die beiden Schiasse duellierten sich schon die ganze Wintersaison lang. Schranz fuhr gut wie noch nie, links, katzenartig das nächste Tor rechts, wieder links - was ist da? Seelenruhig überquert ein Streckenarbeiter die Piste und bringt unseren Karli völlig aus dem Konzept! Große Aufregung, im Lokal übertönt ein Gast den anderen, ein Riesentohuwabohu! Das Rennen läuft weiter, Schranz darf seinen Lauf wiederholen. Atemlose Spannung, die Biergläser auf den Tischen werden kaum angerührt, die Zigaretten glühen. Schranz! Jubel! Zwischenbestzeit! Tatsächlich erreicht unser sportlicher Teufelskerl die Bestzeit und hat den Sieg über seinen Rivalen Killy errungen. Doch was hört man? Sein Lauf wird aberkannt, Karl Schranz, das Skiidol Österreichs wird disqualifiziert! Der Lärm in der Gaststube nimmt bedrohliche Ausmaße an, da klopft mir jemand unwirsch auf die Schulter: „Wennst nichts konsumieren tust, schau dass du nach Hause kommst!“ und der Kellner schubst mich in Richtung der Ausgangstüre. Daheim angekommen, muss ich mich für mein langes Ausbleiben rechtfertigen, aber das ging beim einen Ohr hinein und beim anderen hinaus. Wie fast jeden Tag schnappe ich mir ein Buch und suche eine ruhige Ecke zum Lesen. So ruhig muss es aber gar nicht sein, denn bald nehmen mich die Geschichten über Indianern oder Ritter gefangen und ich vergesse alles rings um mich herum. Bücher begleiten mich schon, solange ich mich zurück erinnern kann. Unsere Eltern hatten kaum Geld für das Notwendigste. Gerne denke ich aber an eine Partei zurück, wie sie damals für uns hießen. Frau Trauner bewohnte im Obergeschoss des Vorderhauses mit ihrem Gatten eine hübsch eingerichtete Wohnung. Sie war eine Dame wie aus einer dieser Frauenillustrierten. Mit ihrer stattlichen Figur trat sie ganz vornehm auf, im Winter standesgemäß in einen teuren Pelzmantel gehüllt. Ihr Gatte Carl war ein Autoverkäufer für gehobene Kunden und schrieb sich mit C im Namen. Er hätte meiner Meinung nach auch der Präsident eines großen Staates oder ein berühmter Schauspieler sein können, so elegant und perfekt erschien er mir. In der kleinen Tasche seines Anzuges trug er stets ein weißes Stecktuch. Als ich so ungefähr zwölf oder dreizehn Jahre alt war, bekam ich von ihm einen Stapel mit Autohochglanzprospekten der Marke FIAT. Damit hatte er mir eine unglaubliche Freude bereitet, da ich aber ungemein schüchtern war, bekam ich außer danke kein weiteres Wort heraus. Frau Trauner, mit dem etwas ungewöhnlichen Vornamen Klothilde, war angestellt in der Buchhandlung Kienreich. Das Ehepaar hatte keine eigenen Kinder. Sonst sahen wir sie eher selten, aber um die Weihnachtszeit rief Frau Klothilde meine Mutter zu sich in die Wohnung. Was Mutti dort zu tun hatte, erfuhren wir dann am Heiligen Abend, denn viele Jahre lang lagen neue Jugend- und Kinderbücher unter dem Weihnachtsbaum, die sie uns als Geschenk machte. Selbst hätten wir uns neue Bücher niemals leisten können, aber so konnten auch wir in den Fantasiewelten der Autoren mitfliegen. Einige Zeit später nach dem Umzug in den Neubau in den neunzehnhundertsiebziger Jahren bekamen wir die Trauner als Nachbarn. Da waren beide 1 mandyx


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