Manchmal kommen sie wieder Manchmal kommen sie wieder. Ja, manchmal ist es so. Bei einigen Dingen wäre es schön, wenn es nicht so wäre, aber es ist wie ein Sturm der von Zeit zu Zeit auftaucht, wie hohe Wellen, die ans Ufer peitschen. Wenn man etwas schlimmes erlebt hat, verschwindet es irgendwann in der Versenkung, um dann mit der gleichen Brutalität wieder aufzutauchen. Heute kann ich diese Zeilen beruhigt schreiben, weil keiner, der etwas damit zu tun hatte noch am Leben ist und auch keinem mehr etwas passieren kann. Auch ich bin heute ein alter Mann und weiß nicht, wie viele Tage, Wochen, Monate oder Jahre mir noch vergönnt sind. --Es war damals eine eigene Zeit in den Nachkriegsjahren. Vieles war zerstört, die Häuser waren fragmentarisch erhalten, die Leute in den Städten litten Hunger, der Schwarzmarkt und die Kriminalität blühten. Die Inder haben ein Sprichwort: Du musst nur am Ufer des Ganges sitzen und warten, bis die Leiche deines Feindes vorbeischwimmt – so oder so ähnlich. In jenen Jahren brauchte man dazu nicht zum Ganges sondern nur aufmerksam die Donau, die Mur oder die Drau zu beobachten. Oft genug schwammen Leute die Flüsse mit dem Gesicht nach unten oder hatten „Betonpatscherln“. Manchmal verschwand jemand und es hieß die Russen haben ihn geholt, oder er sei ausgewandert und niemand außer den engsten Vertrauten kümmerte es. Sie verschwanden eben einfach. In jener Zeit also ereigneten sich jene Ereignisse, die mein Gewissen bis heute belasten und die mich seit damals verfolgen. Oft war mein Leben dadurch die reinste Hölle. Es ist nicht einfach Dinge zu verarbeiten über die man mit niemanden sprechen kann. Die Leute in der Stadt hatten nicht viel. Wir am Land hatten es da schon ein wenig besser. Das nötigste, was man zum Leben brauchte, haben die Bauern an Lebensmitteln produziert. Gut ging´s damals nicht, aber es ging. Zum Leben zu wenig, zum Sterben zuviel, wie schon das Sprichwort sagt. Ich hatte wenn man von den Umständen des Krieges und der ärmlichen Zeit absieht eine glückliche, aber nicht ganz unbeschwerte Kindheit. Der Vater war irgendwo in Russland – nichts genaueres wusste man nicht, die Mutter, 1
meine Schwester und ich versorgten die kleine Wirtschaft. Von Zeit zu Zeit kam auch der Onkel, aber immer nur, wenn er wieder was brauchte um seine Spielschulden zu bezahlen oder sich wieder kurz vor dem Gesetz verstecken musste. Ein echter Hallodri, wie wir Steirer sagen – aber kein grundsätzlich schlechter Mensch. Manchmal brachte er auch fremde Männer mit, finstre Gestalten, vor denen ich mich als Bub so recht fürchtete. Als Kind hast eben ein besonderes Gespür für so was und das ist auch gut so. Warum die Alten das nicht mehr haben und wann man dieses Gespür verliert, weiß ich auch nicht. Jener Sommer des Jahres 1951 sollte mir aber für immer im Gedächtnis bleiben. In unserer Gegend häuften sich die Diebstähle und auch die Morde. Vier arme Leut wurden in jenem Sommer brutal ermordet. Heut kann man sich gar nicht mehr vorstellen, wegen welch geringer Beute die Leut ihr Leben lassen mussten. Niemand traute sich nach Einbruch der Dämmerung mehr auf die Strasse und keinem Fremden wurde mehr die Tür geöffnet und trotzdem konnte sich noch die Tragödie ereignen, die als eine der grausamsten in die steirische Kriminalgeschichte eingehen sollte. --„Geh Bua, geh gschwind in Keller und hol an Most. Da Bertl is wieder da und hat a paar Freund mitbracht“, ruft mir die Mutter zu. Gefreut habe ich mich nicht. Erstens weil ich gerade mit meinem Freund gespielt habe und zweitens den Onkel und seine Freunde wieder zu sehen. „Komm amal her Bua, kriegst a Zwickerbussl von mir“, sagte mein Onkel immer und gab mir eine Kopfnuss, die einem k.o. Schlag glich. So wie andere „Grüß Gott“ sagten, war das der Gruß meines Onkels an mich. Und seine Freunde lachten immer schallend, was mich immer wütend machte und mir die Zornesröte ins Gesicht trieb. Nachdem ich den Most geholt hatte und meine Begrüßungsnuss bekommen hatte, machte ich mich so schnell wie möglich auf und davon, um meine Ruhe zu haben und zu spielen. Ich kam erst spät nach Hause, in der Hoffnung weder meinen Onkel noch seine Kumpane noch sehen zu müssen, doch schon von weitem konnte ich sehen, dass überall noch Licht brannte und so zögerte ich noch ein wenig
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mehr. Einzig die Stille beunruhigte mich, da die Sauferei normalerweise mit lautem Gegröle einherging, dass man Kilometer gegen den Wind hörte. Doch diesmal – nichts! Irgendetwas war nicht in Ordnung, das wusste ich. Ich wusste es so sicher, wie morgen wieder die Sonne aufging. Als ich das Haus betrat, bot sich mir ein grauenhafter Anblick, jener Anblick, der sich mir ins Gehirn gebrannt hat, wie ein Foto. Überall war durcheinander, alles war voll Blut. Wo waren nur meine Mutter, meine Schwester und mein Onkel? Neben der Übelkeit, die mich anfiel, überkam mich nun noch eine schreckliche Panik. Starr stand ich einige Sekunden herum, bevor ich ins Schlafzimmer ging und dort die Leichen meiner Mutter und meiner Schwester fand. Schreiend vor Entsetzten und Furcht rannte ich aus dem Haus. Ich weiß nicht mehr wohin gerannt bin, noch wie lange, aber irgendwann war ich bei einem unserer Nachbarn, bei dem ich die Fenster einschlug in meiner Panik. „Bua, heast, bist deppat?“, sah ich den Bauern in seinem Schlafgewand mir gegenüber stehen. „Die Mutter ist tot, mei Schwester a und die Freund vom Onkel! Alle tot!“, schrie ich wie von Sinnen. Der Bauer und seine Frau blickten mich fassungslos an, bevor der Alte in den Heustadel lief und sich aufs Rad schwang um zum örtlichen Gendarmen zu fahren. Die Untersuchung der Gendarmerie nahm einige Zeit in Anspruch und auch ich musste einige Fragen beantworten. Vor allem für den Onkel, den Bertl interessierten sie sich. Jeder glaubte, dass er für das Blutbad verantwortlich sei. Doch er blieb verschwunden und Augenzeugen gab es keine. Da Onkel Bertl wurde zur Fahndung ausgeschrieben, ich kam zu Pflegeeltern und unser Hof wurde von den Nachbarn mitversorgt. Wochen und Monate vergingen, doch der Onkel tauchte nirgends auf. Wochen und Monate vergingen, doch ich wurde nicht mehr derselbe. Meine Kindheit war völlig abrupt zu Ende gegangen und ich war nicht mehr der fröhliche und unbeschwerte Junge, der ich davor war. So zogen der Herbst und der Winter ins Land. Das Frühjahr brach mit aller seiner Herrlichkeit ins Land, die Bäume begannen zu blühen, die Tiere führten ihre Jungen aus und – die Murauen tauten auf und brachten nicht nur den Schrott zutage, den manche Leute in sie versenkten. Beim Fischen wurde die Leiche meines Onkels entdeckt, die zwar beschwert und versenkt worden war – aber alles taucht 3
irgendwann, irgendwie wieder auf. Damit war klar, dass mein Onkel nicht der Mörder gewesen war. Nun begannen die Ermittlungen der Gendarmerie wieder von vorne und auch mich quälte die Sache wieder von neuem. Die Zeitungen waren voll vom Auftauchen meines Onkels und überall stand zu lesen: „Größter Mordfall in der Steiermark der Nachkriegsgeschichte ungeklärt!“. Die Leute waren erneut beunruhigt, doch es passierte nichts mehr. Die Ereignisse jener Nacht aber sollten für die Öffentlichkeit nie geklärt werden. Ein wenig getröstet wurde ich dadurch, dass man Onkel als Mörder ausschied. --Vier Jahre nach dem tragischen auftauchen meines Onkels erreichte mich der erste Brief meines Lebens. Ich war schon fast erwachsen mit meinen 15 Jahren. Aus Amerika ist er gekommen und mich als Bub freuten die Briefmarken die aufgeklebt waren. Post aus Amerika! Ja, in einem kleinen Dorf ist so eine Post schon was besonderes und der Postler die größte Tratschen im Dorf hats natürlich beim Wirt´n rausposaunen müssen, dass da junge Huber einen Brief aus Amerika bekommen hat. Absender war keiner drauf und ein wenig nervös öffnete ich den Brief, aber ganz vorsichtig, damit dass schöne Air-Mail-Kuvert nicht kaputt wurde. Ich hatte zwar keine Ahnung was eine Air-Mail ist, aber das Kuvert wollte ich auch behalten. „Lieber Junge! Mein Lieber guter Junge! Groß musst Du inzwischen schon sein. Wie gerne würde ich Dich sehen können. Es ist schon so lange her und ich fürchte, dass wir uns nie mehr sehen werden können. Ich war Dir nie ein guter Vater, weil es die Zeit in der wir lebten und leben nicht zugelassen hat. Zuerst der Krieg und dann die tragische Geschichte mit Deiner Familie. Aber Du musst mir glauben, ich wäre Dir und Deiner Schwester gerne ein guter Vater gewesen. Auch Deiner Mutter wäre ich gerne ein besserer Gatte gewesen. Ich möchte, dass du die Wahrheit erfährst über jene Nacht, in der die Morde passierten. Nach jahrelanger Gefangenschaft ist es mir gelungen zu fliehen. Mehr als ein Jahr habe ich gebraucht, bis ich wieder in meiner geliebten Heimat gewesen bin. Ohne die Hilfe der Leute unterwegs hätte ich es nie geschafft. Doch in 4
Sicherheit war ich auch zu Hause noch nicht, denn hätte man mich erwischt, wäre ich wieder zurück geschickt worden. So habe ich beschlossen, mich auch weiterhin versteckt zu halten. Ich habe euch oft genug beobachtet, Dich, deine Schwester und auch deine Mutter. Doch ich brachte nie den Mut auf, zu euch zu gehen; vor allem, weil mein Bruder dieser Nichtsnutz immer bei euch war. In jener Nacht nun saß ich nur ein paar Meter vom Haus entfernt als ich einen schrecklichen Schrei hörte. Ich sprang auf und hörte kurz darauf einen zweiten Schrei. Mir wurde übel und das Blut erstarrte mir in meinen Adern. Vorsichtig schaute ich durchs Fenster und sah deine Mutter und deine Schwester tot auf dem Boden liegen. Daneben stand dein Onkel und drei seiner Freunde. Sie begannen das Haus zu durchwühlen und lachten dabei. Ja, sie lachten dabei. Wie von Sinnen nahm ich mein Gewehr, stürmte ins Haus und erschoss die drei. Meinen Bruder verschonte ich. Als ich ihn fragte: „Warum?“, hat er mich nur laut ausgelacht. Gelacht hat er dieser Dreckskerl und so erschoss ich auch ihn. Von Entsetzen gepackt, beschloss ich, dass es das beste wäre, ihm alles in die Schuhe zu schieben und ich versenkte die Leiche meines eigenen Bruder in den Auen, in der Hoffnung, dass sie nie wieder auftauchen würde. Doch diese Hoffnung blieb mir verwehrt. Dein Onkel war der Kopf einer blutigen Mörderbande. So, nun weißt du alles, was in jener Nacht passierte. Ich hoffe es geht Dir gut und du kannst Deinem Vater verzeihen. Du wirst deinen Weg machen mein Sohn! Ich wünsche Dir alles Gute und ich liebe Dich, Dein Vater P.s. Bitte versuche nicht mich zu finden!“ Die Ereignisse von damals dürften der Grund gewesen sein, warum ich selbst Kriminaler wurde. Fast 45 Jahre lang habe ich meinen Dienst in voller Pflichterfüllung getan – aber manchmal kommen sie wieder, die Geister der Vergangenheit.
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