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The Rise and Fall of Sigi Bergmann Es gibt nur eine Hand voll Menschen, die Chuck Norris weinen sahen und Heinz Prüller ist einer davon. Natürlich ist es ihm nicht erlaubt, darüber zu sprechen, sehr wohl darf er aber davon träumen. Und genau das tat er, als die Polizeibeamtin mit einer Tasse Kapselespresso und einem selbst gemachten Briochekipferl das Hinterzimmer betrat. »Frühstück, Herr Prüller«, sagte sie mit jener sanften Strenge, mit der allein erziehende Mütter dreier halbwüchsiger Buben anscheinend von Natur aus ausgestattet sind und welche jegliche Widerrede im Keim erstickt. Abgesehen davon war sie die Person mit der Waffe. Aber um der Polizistin nicht Unrecht zu tun, soll an dieser Stelle erwähnt werden, dass sie in ihrer 21jährigen Polizeilaufbahn ihre Dienstpistole bisher nur ein einziges mal abgefeuert hatte. Woraufhin ihr Exmann ihrer Aufforderung unverzüglich aus ihrer Wohnung und ihrem Leben zu verschwinden, widerstandslos Folge leistete. Dieser Vorfall wird auch gerne als der Grund dafür angegeben, weshalb sie im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen in den letzten Jahren bei sämtlichen Beförderungen übergangen wurde und nach wie vor als eingeteilter Revierinspektor ihren Dienst versieht. Möglicherweise behandelte sie Prüller auch deshalb zwar respektvoll, aber mehr auf die Art und Weise wie Sozialarbeiter mit Menschen umgehen, die vor kurzem teilentmündigt wurden. Zu seiner Verteidigung soll aber gesagt werden, dass die Polizistin, die sich als gelernte Gendarmeriebeamtin in der Polizeiuniform ein wenig wie gefangen in einem fremden Körper fühlte, grundsätzlich jedem Mann mit dem sie zu tun hatte auf diese Art und Weise entgegentrat. Prüller schmeckte den Duft des frisch zubereiteten Kaffees, hob den Kopf aus den in einander verschränkten Armen, blickte sich um und gähnte. Er war verwirrt und hungrig und wusste weder, wo er sich befand, geschweige denn, weshalb er sich dort befand. Allerdings hatte er Ähnliches schon früher erlebt, das gab ein gewisses Maß an Sicherheit. Über die geblümten Gummistiefel, und den türkisen Schlafanzug wunderte er sich aber trotzdem. »Wieso bin ich hier?«, fragte er. An seinem Blick erkannte die Beamtin sofort, dass er sich tatsächlich an nichts von dem, was in der letzten Nacht passiert war, erinnern konnte. »Sie können sich wirklich an gar nichts erinnern, richtig? Na, dann werde ich ihnen wohl ein wenig auf die Sprünge helfen und gleich mal mit der Tür ins Haus fallen. Sie sind hier, weil sie ihren besten Freund umgebracht haben.« Prüller verschluckte sich an einem Bissen Briochekipferl als ihn die Worte der Polizistin erreichten und hustete auf jene Stelle des Tisches, auf die er noch vor wenigen Minuten seinen Kopf gebettet hatte. »Sie sind kurz nach Mitternacht hier rein gestürmt«, fuhr die Beamtin fort »in dieser komischen Verkleidung und haben gegen die Plexiglasscheibe gebrüllt, sie seien hier um sich zu stellen und dann haben sie ein Geständnis abgelegt.« »Ein Geständnis, um Gottes Willen, um welchen Freund handelt es sich denn?« »Immer mit der Ruhe«, sagte die Polizistin »es geht um den Sigi Bergmann.« »Ach du meine Güte«, murmelte Prüller »der arme Sigi.« Er atmete drei Mal tief durch und schien nachzudenken. Dann blickte er der Polizeibeamtin tief in die Augen und fragte: »Aber wieso habe ich den Sigi umgebracht?« »Das kann ich ihnen leider auch nicht sagen«, antwortete sie und lächelte ihn dabei an. »Aber vielleicht möchten sie wissen, weshalb ich um diese Uhrzeit noch immer hier und nicht zu Hause bei meinen drei Jungs bin, um ihnen Wurstbrote für die Schule zu richten und heißen Kakao zu kochen? Ich bin hier, weil die Uhr tickt. In ca. 30 Minuten kommt der Postenkommandant in den Dienst und bis dahin will ich sie davon überzeugt haben, dass es wenig Sinn macht, ihm denselben Schwachsinn zu erzählen, den sie heute Nacht mir aufgetischt haben. Ich bin noch hier, um das Leben von Heinz Prüller zu retten. Ich werde nicht mit ansehen, wie jemand ins Gefängnis wandert für ein Verbrechen, das er gar nicht begangen hat, ist das klar?« Heinz Prüller nickte mit offenem Mund und wusste nicht, wie er sich fühlen sollte, als die Polizistin ein Aufnahmegerät auf den Tisch stellte. »Hier drauf befindet sich ihr Geständnis, Herr Prüller. Wir zwei sind die einzigen Menschen, die wissen, dass es dieses Geständnis gibt. Ich darf das zwar nicht, aber ich werde ihnen nun die Aufnahme vorspielen. Vielleicht hilft es ihnen dabei, sich an irgendetwas zu erinnern.


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