25_kindheitserinnerung

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Kindheitserinnerung Kennwort: Leonardo Ich wurde 1951 in Mühlbach am Hochkönig in Salzburg geboren und verlebte dort gemeinsam mit meinen Eltern und zwei Brüdern meine ersten elf Lebensjahre. Der kleine Ort Mühlbach mit seinen knapp über 1900 zählenden Einwohnern war damals zumindest unter der großen Anhängerschaft und Bewunderern des Skispringens weltbekannt. Sepp „Bubi“ Bradl, Weltmeister im Skispringen, Vier -Schanzen- Tournee Sieger und der erste Mann, der in dieser Disziplin über hundert Meter gesprungen war, war in dem Ort aufgewachsen und damit selbstverständlich der unumschränkt bewunderte Star unter den Einheimischen und klarerweise Idol für die meisten von uns heranwachsenden Jungen der Gemeinde. Unmittelbar hinter dem Siedlungshaus, in dem ich mit meiner Familie in einer Wohnung lebte, schloss eine steile Wiese an, die sicher an die zweihundert Meter in die Höhe an den beginnenden Wald heranreichte und die sich in den immer sehr schneereichen Wintern natürlich vorzüglich zum Schifahren eignete. Von mir und den übrigen Jungen unserer Siedlung, von denen jeder wie ich zwischen sechs und zehn Jahre alt waren, wurde sie vorwiegend für den Bau von Sprungschanzen verschiedener Größen benützt , über die wir fast jede freie Minute mit großer Begeisterung und unermüdlicher Ausdauer hinunter sprangen. Sehr oft viele Stunden lang und nicht selten, bis es so dunkel war, dass wir nichts mehr sehen konnten und uns unser Vergnügen doch zu gefährlich wurde. Trotz unzähliger Stürze und dem einige Zeit dauernden Hinaufstaffeln nach einem Sprung hatten wir einen Höllenspaß dabei. Obwohl ich danach meistens völlig durchnässt und halb erfroren nach Hause kam, freute ich mich jedes Mal schon auf eine weitere Herausforderung am Schanzentisch für den folgenden Tag. Manchmal stand aber nicht der Spaß im Vordergrund, sondern wir agierten sehr wettbewerbsorientiert, veranstalteten unsere eigene Art von Vier-Schanzen-Tournee, indem wir einfach an vier Tagen über vier verschiedene, natürlich selbstgebaute Schanzen sprangen und genau darüber Buch führten, wer mit der schönsten Haltung am weitesten gesprungen war. Keine zehn Minuten von mir zuhause entfernt in Richtung Ortskern gab es eine weitere große steile Wiese, die aber in einem etwa einhundertfünfzig Meter langen Auslauf endete. Da stand unsere größte Schanze, über die, je nachdem wie viel Anlaufspur genommen wurde , Weiten von fünfzehn Metern und mehr gesprungen werden konnten, denn natürlich träumten wir Jungspunde davon, eines Tages vielleicht einmal so berühmt wie „Bubi“ Bradl zu werden. Ich bin viele Male über diese Schanze gesprungen, was ich mir heute gar nicht mehr vorstellen kann. Auch als relativ guter Skifahrer würde mich heute selbst mit kurzem Anlauf niemand dazu bewegen können, nur einmal darüber zu fahren. Ich besuchte übrigens mit Bradls Tochter Karin dieselbe Klasse der örtlichen Volksschule. Ich erinnere mich daran, dass sie furchtbar eingebildet war und sich wie eine unnahbare Diva benahm, was, wenn ich mich recht erinnere, vorwiegend uns Jungen betraf. Entweder sie würdigte uns keines Blickes oder sah mit blasiertem Gesichtsausdruck einfach durch uns hindurch. Wie viele andere in der Klasse konnte ich sie nicht ausstehen und bedachte sie im Gedanken eine Zeitlang als „Eingebildete blöde Kuh“, hätte das als wohlerzogenes Kind aber selbstverständlich nie gesagt! Mein Vater und meine Brüder, die sie bei einem Besuch in Mühlbach später als Erwachsene kennen lernten, erlebten sie dabei als äußerst bodenständige, freundliche und charmante Dame.


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