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Zeitgeist und Erinnerung Es war einer der ersten Frühlingstage. Der Himmel zeigte sich in seinem blausten Kleid und das emsige Konzert der Vögel ließ selbst die Verkehrsgeräusche im Schatten rauschen. Emma saß schon eine Zeit lang im Gras. Verträumt blickte sie durch die Löcher der Luft, befreit von der gesellschaftlich anerkannten Winterbegleitung namens Schwermut. Tief und bewusst atmet sie jetzt ein und aus. „Es war schon ein langer Winter.“ denkt sie, während sie versucht die Last, die die vergangenen Monate mit sich gebracht hatten, von sich los zu atmen. Emma fällt es schwer zu lächeln, oft lächelt sie tagelang kein einziges Mal. Doch hier im Gras, umgeben von nichts als der Friedlichkeit der Natur, schmunzelt sie, ganz unverhofft. Ruhe breitet sich in ihr aus, während sie das Leben des Grases im Wind beobachtet. Emma kann sich jetzt spüren. Sie fühlt in sich hinein und aus sich heraus. Sie spürt ihr Haar, ja jede Strähne vom Winde getragen, verweht und belebt. Und dann passiert es, ganz plötzlich. Zum ersten Mal seit, wie es Emma vorkommt, einer Ewigkeit fühlt sie sich gewappnet gegen ihren größten Gegner. Der Zeitgeist, wie sie ihn bezeichnet. Oft schon hat sie traurig beobachtet, dass viele Menschen diesem Phantom zum Opfer fallen. Gehetzt von der unsichtbaren Macht, welche den Alltagsrhythmus der menschlichen Spezies zu steuern scheint. Manchmal macht sich Emma einen Spaß daraus, sich Gedankenbilder von ihrem eigenen Zeitgeist zu malen. Darin hüpft dann ein Waldwesen, klein und flink, durch den Gedankensumpf und lacht Emma frech an. Das Wesen hat spitze Ohren, große Augen und sieht auf seine spitzbübische Art einfach lieb aus. Emmas Wesen hat auch einen Namen. Es heißt Inorie. Ungewöhnlicher Name, das weiß Emma auch, und dennoch gibt es keinen Namen, der besser passen könnte. Aber jetzt aber Punkt. Heute sitzt Emma draußen, umschlungen von sommerlichen Frühlingsbrisen. Fasziniert von Mutter Natur und ihrem Wunder des Lebens überkommt sie ein eiswarmes Kribbeln. Ähnlich als wenn man einen langen Fußmarsch hinter sich hat und zum ersten Mal die Schuhe auszieht und die Zehen ins Gras gräbt, und man sich dann hinsetzt, den Kopf zurücklehnt und die Beine entspannt. Dann mag man womöglich erschöpft sein, aber dennoch breitet sich eine Ganz tiefsitzende Glückseligkeit in einem aus, die jegliche Schwermut überschwemmt. Und jetzt sitzt Emma da, vollkommen zufrieden damit, dass sie zufrieden ist. Ein schönes Bild, wie da die Kinder unbeschwert und vollkommen glücklich schaukeln und lachen. Sie scheinen von der Last des Alltags verschont. Aber welche Kinder eigentlich? Grinsend schaut Emma aus ihrem Loch, wohlwissend das sie wieder da ist. Schon fast hätte sie vergessen, dass es Erinnerung gab. Doch sie kommt. Wortlos und gut getarnt. Kurz,


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