Unbeschwerte Tage „Das Glück ist ein Vogerl“ sagt ein altes Sprichwort. Ich war immer vom Glück begünstigt. Ich hatte das Privileg, auf dem Land aufzuwachsen, hatte Eltern, die mich liebten und mir alles ermöglichten, hatte eine fröhliche Kindheit und ein erfülltes Leben. Als größtes Glück empfinde ich, dass ich noch meine Urgroßeltern kennen lernen durfte, Uropa und Uroma. Meist war meine Kindheit unbeschwert; und wenn sie es einmal nicht war, so waren es kindliche Sorgen und Probleme, die wohl jedes Kind durchlebt: die Angst und Nervosität vor dem ersten Schultag, die erste Schwärmerei für ein Mädel, die natürlich nicht erwidert wurde, Strafaufgaben in der Schule, weil man schlimm war. In Erinnerung auch die Erstkommunion, der kratzige Steireranzug, den ich tragen musste, in der Hand eine Kerze. Das alles fällt mir spontan ein, wenn ich an meine Kindheit auf dem Land denke. Eine Kindheit, in der wir viel Zeit im Freien verbrachten und uns selbst Spiele ausdachten. Eine Kindheit, in der ich so manch glücklichen Ferientag bei meinen Urgroßeltern verbringen durfte. Ja, das war wahrhaftig ein großes Abenteuer für mich. Weit, weit weg von zu Hause, auch wenn es nur 50 Kilometer und eine Stunde Autofahrt waren. Für mich als Kind jedoch war es eine Reise in eine andere Welt. Meine Urgroßeltern lebten in einem kleinen Ort in der Südsteiermark. Ich denke nicht, dass damals viel mehr als hundert Leute dort lebten. Mein Urgroßvater war bei der Straßenmeisterei – ein Straßenkramperl, wie die Südsteirer das mit ihrer eigenen Art von Charme nennen – und Messner. Meine Uroma war Schulwart. Ganz genau kann ich mich noch an die bangen Momente erinnern, wenn es tatsächlich soweit war, dass ich dort allein ohne meine Eltern zurück bleiben musste. Doch schnell war das kurze Aufflackern von Heimweh vergessen. Großeltern und Urgroßeltern können Kinder ganz besonders gut umsorgen und trösten, wenn sie selbst als Eltern auch noch so streng waren. In diesem Fall buk meine Uroma. Sie konnte die besten Strudel und Strauben backen, wie sie überhaupt sehr gut kochte. „Net traurig sein“, höre ich sie noch heute sagen und sehe wie sie mir einen Teller Strauben hinhält, dick mit Staubzucker besträut. Manchmal auch ein Teller mit selbstgemachten Buchteln oder Krapfen. Richtig saftige, nicht die 1
verdorrten, die man heutzutage im Geschäft bekommt und wenn ich hineinbiss kam die selbstgemachte Marmelade zum Vorschein. Welches Kind nascht nicht gerne? Immer wenn ich an diese kurzen Ferienaufenthalte zurück denke, ist es wie eine Zeitreise. Plötzlich tauchen längst verloren gegangene Erinnerungen und Bilder wieder auf. Selbst Gerüche hat man wieder in der Nase, als wäre alles erst ganz kurz her. Seltsam. Ich könnte aus dem Stegreif eine Zeichnung der Schulwartwohnung meiner geliebten Urgroßeltern zeichnen. Links, wenn man durch den Vorraum hinein kam, der alte Schwarz-Weiß-Fernseher, auf dem ich manchmal „Am-Dam-Des“ schauen durfte. Mein Uropa hingegen schaute nur die Nachrichten – sonst nichts. Gleich daneben eine Nähmaschine von Singer; keine elektrische, sondern eine, die man mittels Fußwippe bedienen musste. Wohnzimmer und Küche waren ein Raum. Rechts hinten war die Abwasch – heute würde man Spüle sagen – daneben der alte gusseiserne Herd, der nicht nur zum Heizen sondern auch zum Kochen benutzt wurde. Links hinten eine Eckbank und darüber der „Herrgottswinkel“. Auf jener Eckbank saß mein Uropa so manche Stunde Pfeife rauchend. Der Geruch ist mir heute noch in der Nase. Ich liebte diesen leicht süßlichen Geruch, „Amsterdamer“ hieß der Tabak. Wenn ich ganz besonders brav war, durfte ich die Pfeife für ihn stopfen, was mir mal besser, dann wieder weniger gut gelang. Am Tag des Herren, also sonntags gab es immer besonders gutes und vor allem reichlich Essen. Was war das für eine Freude, wenn frisch gebratener Hase mit Bratkartoffeln auf den Tisch kam, davor ein hausgemachtes Rindssupperl – am besten mit Frittaten. Hausmannskost konnte Uroma unvergleichlich gut kochen. Uropa war kein Mann vieler Worte. Damit man sich den Hasenbraten verdiente gingen wir zur Kirche. Ich war immer beeindruckt von den Ministranten und ihren rot-weißen Gewändern. Die Predigt des Pfarrers hingegen plätscherte dahin,
während
ich
meinen
eigenen
Gedanken
nachhing.
Danach
Frühschoppen, wo Karten gespielt wurde und ich voller Ehrfurcht den großen, alten Männern beim Kartenspiel zuschaute. Gegen 12 Uhr dann der Heimweg und endlich das langersehnte Essen.
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Fast hätte ich den liebsten Spielkameraden vergessen: den Jagdhund Lonny. Ich denke, er war schon alt, als ich ihn das erste Mal sah – ein Bayrischer Gebirgsschweißhund. Ein braver Kerl, der mir immer hinterher trottete. Manchmal war es ihm zu blöd und er legte sich hin und war durch nichts mehr zum weiter gehen zu bewegen. Also wartete ich, und wartete, und wartete. Irgendwann war er wieder putzmunter und auf ging´s. Gleich gegenüber dem Schulhaus war der Gemüsegarten. In manch dreister Stunde habe ich dort die Erbsen aus den Schoten gegessen und die Erdbeeren geplündert. Wie ein Heuschreckenschwarm und bis mir schlecht war. Abends dann, wenn ich zu Bett musste – an das steinharte Bett mit Rosshaarmatratze erinnere ich mich besonders gut, denn das harte Bett ist gut fürs Kreuz – deckte mich Uroma liebevoll zu. Tief und fest war mein Schlaf und frühmorgens wurde ich sanft geweckt. – Von Lonny, dessen Pfoten auf meiner Brust waren, und dessen Zunge mir unbarmherzig das Gesicht leckte, bis ich endlich auf war. So träge er beim Spazieren war, so agil war er beim Morgensport. Das Apportel hätte ich wahrscheinlich werfen können, bis zum Sankt Nimmerleinstag, so sehr hat es ihm das Spaß gemacht ein Stück Holz immer und immer wieder zurück zu bringen. Während meine Urgroßeltern den scheußlichsten Filterkaffee zum Frühstück tranken, den es gab und wohl jemals geben wird – das empfinde ich auch heute noch so – gab es für mich Kakao. Manchmal durfte ich den der Schule spielen. Wer spielt nicht gerne Schüler, wenn er Ferien hat? Mir machte es aber Spaß, Lehrer zu spielen und eine leere Klasse zu unterrichten. Oft gingen wir auch Schwammerl suchen. Wie sagte mein Uropa, Josef hieß er übrigens: „Bua, du bist sche derrisch“. Recht hatte er. Enthusiastisch bin ich an den Schwammerl vorbei gelaufen, die ich hätte finden sollen. Manche Dinge sich nie ändern; ich bin heute noch „a derrischer Schwammerlsucher“. Irgendwann endet auch die schönste Zeit und meine Eltern holten mich wieder nach Hause. Es war komisch, zuerst hatte ich, wenn auch nur kurz Heimweh nach zu Hause, dann, als es heimwärts ging, Heimweh nach den Urgroßeltern. Der Abschied war immer herzlich – und was mich als Kind besonders erfreute, immer mit ein wenig Taschengeld verbunden
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Diese Ferienerlebnisse werde ich nie vergessen. Als ich zehn Jahre alt war, starb mein Urgroßvater. Uroma hat ihn noch um gut zehn Jahre überlebt. Es waren glückliche, unbeschwerte und schöne Momente. Wenn ich eines Tages selbst Enkelkinder haben sollte, hoffe ich, ihnen nur halb so viel geben zu können, wie es mir durch meine Urgroßeltern gegeben wurde. Vielleicht habe ich das Glück, auch noch meine Urenkel kennen zu lernen.
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