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KINDERTRÄUME Eine neue Symphonie zu komponieren ist keine Kunst! Wenn man allerdings mit der Fertigung einer unvollendeten Geschichte beauftragt ist, dann hat das durchaus den Stellenwert einer Hahnenkamm-Abfahrt. Noch dazu, wenn man schon bis Kapitel 29 vorwiegend improvisiert hat, ohne jemals einen goldenen Faden erkannt zu haben. Da verbergen sich viele Mausefallen! Jedenfalls soll es sich hinterher so lesen bzw. so wirken, als ob es auf Anhieb so gedacht gewesen wäre. Es muss eine griffige Story sein, eine Heldengeschichte! Selbstverständlich mit mir in der Titelrolle – schließlich möchte ich als Möchte-gernSternchen auf meine Kosten kommen! Jetzt braucht´s noch eine überzeugende Headline! Na ja, woher nehmen wenn nicht stehlen?! Es kommt nicht jeder als kleiner Grisu auf die Welt, der schon beim Schlüpfen lauthals verkündet: „Ich möchte Feuerwehrmann werden!“ Oder Sport-Idol Hermann Maier, der bereits als Kind wusste, dass er Ski-Rennläufer werden wird. Solche Menschen haben´s leicht – wo eine Diagnose da auch eine Behandlung. Diese Kapitel schreiben sich dann von selbst! Ich bin erstmal auf der Suche nach einer Headline für mein Kapitel 30 – mir fällt aber keine ein. Na, wozu gibt es Zeitungen?! Es gibt Leute, die darauf geschult sind solche Überschriften zu kreieren, da werde ich mir doch nicht den Kopf zerbrechen und klau´ mir einfach eine! Samstag, 19. Februar 2011, die Kleine Zeitung titelt: Der entzauberte Star. Diese Headline hat etwas berührendes! Das ist zwar kein Motto für mein nächstes Lebensjahrzehnt, aber als verzwickte Ausgangslage für eine Heldengeschichte ein genialer Einstieg! Was schreiben sie denn sonst noch über den entzauberten Star? Der hat´s ja ganz schön dick abbekommen! ... er galt als Saubermann und Polithoffnung ... zu Guttenberg verzichtet vorläufig auf seinen Doktortitel bis der Plagiatsvorwurf geklärt ist und trägt nur noch den Adelstitel ... Gut, dass ich diese Sorgen nicht habe! Ich trage meinen Vor- und Nachnamen und das sollte genügen! Naja, ein Titelchen in Ehren kann keiner verwehren, denn auf so manches Privileg wirkt dieses bedeutungsvolle Accessoire hin und wieder mit betörender Verlockung. Aber: Das Schicksal Guttenbergs schmeichelt nicht unbedingt


einer Heldengeschichte, also lohnt sich das Abkupfern vermutlich nicht! Da versuch´ ich lieber selber, mir was nettes zusammenzureimen! „Große Künstlerin verlor ihre Gabe“! - Klingt auch so abgeklatscht! Wie ein Titel der Bildzeitung! – Vor allem: Welche Gabe könnte ich verloren haben? Wobei, gefallen würde mir diese Idee mit dem Künstler-Comeback schon! „Den roten Faden im Leben wieder gefunden“ roter Faden ... Seiltanzen ... Zirkuswunderkind!? „Comeback der Artistin“ Eine, die Menschen nicht mehr begeistern kann. Sich auf keine Erhöhung mehr empor wagt, die früher ihr Leben bedeutet hat. Damit hat sie ihr Leben verloren – alles das ihr bislang wichtig war! Und ihr Lächeln! Sie kann sich an der Blume des Lebens nicht mehr erfreuen. Sie hat ihre Inspiration verloren. Die Schaffenskraft ist erlahmt. ... galt einst als Zirkus-Wunderkind ... ... bis auf weiteres schöpferisch tot ... ... gestorben an gebrochenem Mut ... „Artistenwunder hat die Inspiration verloren!“ Das nenne ich eine Schlagzeile für mein Kapitel 30! Ach, waren sie früher immer stolz auf mich, weil ich herausragende Leistungen vollbracht habe. Ich glänzte mit der Sonne um die Wette! Alles weg! Übrig geblieben sind jede Menge Frust und Enttäuschung, zerschellte Erinnerungen an die gute alte Zeit, geplatzte Illusionen und zerschlagene Träume. Warum ich sie nicht umgesetzt habe? Na, Enten sind doch keine Adler! Und abgesehen von den schwachen Flügeln, sind Hausenten nicht dazu prädestiniert um als Promenaden-Schwäne herumzustolzieren. Sie vertragen schon das Futter nicht! Also, ich war mir schon damals unsicher, ob ich mich in einer prächtigen Schwanenhaut überhaupt wohl fühlen würde! Außerdem war ich der Meinung, dass es mich mit meinem Kückenhirn bestimmt auf den Schnabel knallen würde, und diesem Risiko wollte ich mich dann doch nicht aussetzen. Ein wenig sehnte ich mich ebenso nach heimatlicher


Sicherheit! Auch wenn ich meine Wurzeln am liebsten ausgerissen hätte, um dem sozialen Leim zu entkommen – das Leben ist kein Pflänzchen, das sich einfach umtopfen lässt. Wer mit Wurzeln geboren wurde, sollte sie hochachtungsvoll pflegen und nähren und sich nicht einbilden, dass er ein frei fliegender Adler sei. Ich würde meinen, die Adler kristallisieren sich schon im zarten Teenageralter heraus und ziehen dann hoch oben Furcht einflößend ihre Kreise. Klar bin ich in jugendlichen Jahren auch ausgebrochen um fremde und abenteuerliche Luft zu schnuppern. Zugegebenermaßen lässt das nicht gerade auf eine stattliche Garteneiche schließen, aber für mehr als ein vorübergehendes Geflatter hat es bislang nicht gereicht. Ja, damals hatte ich tatsächlich große Träume ... - jetzt fühle ich mich wie Christoph Columbus nach der Entdeckung Amerikas ...ich bin definitiv nicht dort, wo ich sein wollte. Ich harre vor der roten Ampel des Lebens-Verkehrs aus und warte, und warte, und warte, und warte. Keiner schaltet meine Ampel auf grün. Vielleicht funktioniert das Leben gar nicht nach dem Ampelprinzip? Es könnte durchaus im Sinne eines Kreisverkehrs laufen: Einfach drauflos fahren und eine der möglichen Ausfahrten in Betracht ziehen. Bei Unentschlossenheit einfach eine Ehrenrunde drehen und sich nochmals der möglichen Tangenten versichern. Was aber wenn das Leben nach dem englischen Linksverkehrsprinzip funktioniert? Dann wäre es vermutlich eine rein politische Angelegenheit. Oder wenn es den mehrspurigen Bahnen von Paris gleicht? Vielleicht haben doch die Italiener das Leben erfunden - mit ihrem Straßen-Casino ... aber was, wenn man nicht einmal weiss, welches Fahrzeug man in welcher Verkehrswelt ist? Dann bestimmt eines auf dem Pannenstreifen! Eine Erkältungskranheit hat mich im wahrsten Sinn des Wortes heimgeholt – zurück zu meinen Eltern, zu meinen Wurzeln nach Schluggendorf – einer Weltmetropole der Langeweile und biederen Lebensweise. Der Ort ist ein noch unentdecktes Eldorado im Abseits der Zivilisation. Hier trauen sich noch nicht einmal Mobilfunkstrahlen die Idylle zu stören. Folglich bestimmt die Kettenreaktion nachbarschaftlicher Zaungespräche den Informationsfluss. Gegebenenfalls treten Netzstörungen auf, wenn Nachrichten in bewusst verfälschter Form und unbewusst fälschlicher Weise an Personen geraten die in der Lage sind, den Inhalt so falsch zu interpretieren, dass sie erkennen, was man ihnen ursprünglich verschweigen wollte.


An allen Ecken und Enden lauert das Ortsmobiliar mit heimlichen, längst verdrängten Geschichten meiner Kindheit und Jugend auf. Wie Stummfilme werden sie vor meinem geistigen Auge abgespult. Einige Erinnerungen wurden mir genommen, weil die Schauplätze dafür schlicht und einfach entfernt worden sind. So gab es beispielsweise am Dorfplatz eine Milchsammelstelle, die ich mit meinem Opa allmorgendlich aufsuchte um die Milch unserer Kühe dort abzuliefern. Zum einen erzählte mir mein Opa auf dem Weg dorthin immer Geschichten über seine Milchmärsche mit seinem Großvater. Zum anderen erfuhr ich dort die neuesten Dorfgerüchte. Diese Milchsammelstelle war einfach das Szenelokal des Ortes. Und ich war die Trendsetterin schlechthin! Dank meiner Kreativität besaßen wir – sehr zum Leidwesen meiner Familie – die erste Milka-Kuh der Gegend. Mir ist eigentlich unklar, warum Milka sich auf dieses langweilige Lila beschränkt hat. Mein Entwurf war kräftig violett, dunkelrot, blau und grün gemustert – nach zwei Wochen nur noch ein verschwommenes Aquarell. Da ich noch nie einen echten Osterhasen gesehen hatte und meine Katze Minka dafür nicht zu begeistern war, musste ich meine Farbenspiele an unserer Kuh Resi ausprobieren. Sie war die unbefleckteste von allen und offensichtlich begeistert von meiner Idee, denn an ihr war kein Zeichen von Unbehagen zu erkennen und sie agierte professionell geduldig als Modell. Daraufhin erging es mir wie vielen Künstlern der Geschichte: Mein Werk stieß auf Unverständnis und ich wurde eingesperrt. Drei Wochen lang durfte ich das Haus nur in Begleitung meiner Eltern verlassen. Erst als ich hoch und heilig versprochen hatte, dass ich meine Experimente künftig unterlassen werde, durfte ich wieder nach Lust und Laune meinen Frischluftaktivitäten nachgehen. So sehr ich mit meiner Vergangenheit auch hadere, so sehr schleudert mich die Schwerkraft immer wieder dahin zurück. Just zu einem Zeitpunkt an dem mein Lebens-Kompass förmlich kaputtgegangen scheint, verstehe ich die Warnung und Aufforderung, mich ins Basis-Lager zurückzuziehen. Im elterlichen Schutz-Haus wirkt das Lebenselixier Heimat unterstützt vom Probiotikum Kindheit um meine Wurzelkraft zu stärken – Inspiration wieder da, für den Zirkus da draußen.


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