3. Straßengler Literaturpreis, Platz 1, Miriam Leitold
Weiße Murmeln Aus voller Kehle prustete Nala los. Zuerst saß er nur da und blickte sie verwundert und gleichzeitig fasziniert an. Ihr hellbraunes, glänzendes Haar, das sie sich hinter ihr linkes Ohr gestrichen hatte, glitt ihr ins Gesicht. Ein paar einzelne Strähnen blieben auf ihren, vom Lachen feuchten Lippen kleben. Er steckte immer noch verdutz die Hand aus, um sie ihr aus dem Gesicht zu streichen. Dabei berührte er ihre Wange, fühlte die glatte Haut mit seinen Fingerspitzen – kühl und dennoch glühend rot gefärbt. Sie lachte immer weiter, konnte sich kaum noch halten. Tränen begannen ihr aus den großen, rehbraunen Augen zu schießen und über ihre Backen zu kullern. Als die erste Träne seine Haut berührte zuckte er zusammen. Da hielt auch Nala für einen Moment inne, kurz huschte ein Ausdruck von Erschrockenheit über ihr schönes Gesicht, ihre Blicke trafen sich, wenn auch nur für einen Bruchteil einer Sekunde. Und schon begann sie von neuem zu glucksen und zu kichern, aus tiefstem Herzen, unbeschwert... Er hörte sie schon nicht mehr. Sein Herz war ihm so schwer geworden und gleichzeitig so leicht, dass er meinte, es gar nicht mehr wahrnehmen zu können. Trotz allem raste es wie verrückt in seiner Brust. Er stand am Strand des Sees, spürte den warmen weichen Sand unter seinen Füßen. Hier und da kitzelte ihn ein Grashalm an seinen Sohlen. Die Sonnenstrahlen streichelten seinen Rücken, das Wasser tropfte aus seiner schwarz-rot karierten Badehose, die er von Oma zu seinem achten Geburtstag bekommen hatte, Rinnsale bahnten sich den Weg über seine Knubbelknie. Er lief auf sein Handtuch zu, doch plötzlich sah er sie, schlagartig blieb er stehen, wie vom Donner gerührt verharrte er. Sie hatte ihren Kopf in seine Richtung gedreht, das kohlschwarze Haar, von einem feinen Windhauch aus dem Gesicht geweht, umzingelte spielerisch ihr rundes Gesicht, aus dem zwei stahlblaue Augen blitzten. Ihre vollen Lippen waren zu einem kaum erkennbaren Lächeln geformt. Er wusste genau: dieses Lächeln galt nur ihm. Oder wünschte er es sich bloß? Es tat nichts zur Sache. Sie wandte den Kopf wieder ab, die Ärmel ihres T-Shirts waren ihr über beide Schultern gerutscht, ihre nasse, hellrosarote Badehose war zum Trocknen aufgehängt worden und die Räder ihres Rollstuhls hinterließen tiefe Furchen im Sand. In ihrer Hand hielt sie weiße Murmeln, in welchen die Sonnenstrahlen wie kleine Diamanten reflektierten. Er griff zu seiner Kamera und drückte ab. Genau ein Mal. Erst als er das Foto Jahre danach entwickelt hatte, stellte er fest, das perfekte Foto verbildlicht zu haben. All seine Gefühle, Emotionen, jeder noch so kleine Laut und jeder Duft dieses Tages waren auf diesem Bild festgehalten. Es war das Einzige, was ihm noch geblieben war. Von diesem Tag an kam er täglich zum Strand. Da sich ihre Familien kannten, lernte er Maja bald besser kennen. Zusammen bauten die beiden Kinder Sandburgen und plantschten im Wasser. Majas Behinderung störte ihn dabei nie. Vielmehr fiel sie ihm gar nicht mehr auf. An besonders heißen Tagen bildeten sich oftmals dunkle Wolken, die kräftige Sommergewitter zur Folge hatten. Dann rannte er nach Hause, dabei schob er den Rollstuhl so schnell er nur konnte. Das Wasser spritzte in alle Richtungen davon und platschte übermütig unter seinen nackten Füßen hinweg. Maja jauchzte vor Freude. Daheim angekommen wurden die beiden von Majas Mutter in Handtücher gewickelt und vor den Ofen verfrachtet, der im Sommer für solche Fälle in Betrieb genommen wurde. Das Feuer knisterte darin, während er und Maja, an ihrem Kakao schlürfend und genüsslich über die Lippen schleckend, um auch ja keine von den, in der Milchschaumkrone zart schmelzenden, Schokoflocken zu vergeuden, sich Geschichten erzählten. Sie malten sich aus, wie sie einst in einem Schloss leben und jeden Abend heißen Kakao mit Schokoflocken trinken würden... Diese Tage genoss er immer besonders.
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