ZEITDRUCK - Sonderausgabe zur 2. Straßenkinderkonferenz 2016

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2 Foto: Lutz M端ller-Bohlen


Lieber Leserinnen und Leser,

Inhalt Die unsichtbaren Kinder - Straßenkinder übergeben einen Ideen- und Forderungskatalog an Ministerin............. 2

getreu dem Motto des 1994 von obdachlosen Jugendlichen gegründeten Magazins ZEITDRUCK, jungen Menschen am Rand unserer Gesellschaft eine Stimme zu geben, möchten wir mit dieser Ausgabe dokumentieren, was Straßenkindern in den letzten zwei Jahren gelungen ist. Was sich zwischen der „Akademie für Mitbestimmung“, dem Justus Delbrück Haus, der „Konferenz für Straßenkinder und Flüchtlingskinder“ und der „Ständigen Vertretung“ zu entwickeln scheint, könnte einen Aufbruch auslösen, der mehr als nur die Jugendhilfe in Veränderung bringt.

Öffentliche Erklärung des 1. Bundeskongresses der Straßenkinder............................................................... 3 Sind so tolle Menschen! Über die Ständige Vertretung der Straßenkinder................. 4 Ein Feuer im Innern - Antje ................................................. 8 Manchmal fliegen bei uns auch die Fetzen - Sophia........... 9 Im Fokus: Straßenjugendliche in Deutschland Ein Bündnis für Straßenkinder in Deutschland...................12

Diese drei Instanzen der Selbstvertretung von Jugendlichen wachsen zu einem Sprachrohr von insgesamt 21.000 Minderjährigen in Deutschland heran, die laut dem Deutschen Jugendinstitut radikal entkoppelt sind von jeglicher Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. 7.000 von ihnen schlagen sich auf der Straße durch und tauchen oftmals ab in gewaltvollen Beziehungen zu Fremden, die ihre Obdachlosigkeit schamlos ausnutzen. Diese Mädchen und Jungen verfügen über keine Eintrittskarte zur Mitgestaltung unserer Gesellschaft. Sie sind ein Teil von insgesamt 20% der Kinder und Jugendlichen in Deutschland, die laut aktueller Shell-Studie Angst vor der Zukunft haben, weil sie die berechtigte Sorge umtreibt, dass sie ohne oder mit schlechten Schulabschlüssen niemals ein unabhängiges, ein freies Leben werden führen können.

Entkoppelt vom System - Eine Studie.................................16 Es entstehen gute Synergien -KARUNA e. V. betreut minderjährige unbegleitete Flüchtlinge..............................18 Klein und allein - Ankunft, Unterkunft und Zukunft für minder­jährige, unbegleitete Flüchtlinge.......................19 Minderjährige unbegleitete Flüchtlinge in Deutschland........ 20 PEOPLE Berlin - Ein Modelabel von Straßenkindern.......... 22 Wir sind geflohen... Eröffnungsansprache der Konferenz von Lucas................. 24 „Das muss man erstmal verstehen!“ - Rede der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Manuela Schwesig bei der Konferenz der Straßenkinder und Flüchtlingskinder................................ 26

Unsere Gesellschaft beginnt, sich in Frage zu stellen. Mehr Mitbestimmung wird gefordert. Kinder und Jugendliche beginnen, nach eigenen Formen eines selbstbestimmten Lebens zu suchen, fernab des Gehorsams, fernab der kulturellen Prägung: „Wir verfügen über dich, weil es zu deinem Besten ist“. Gehorsam ist destruktiv, miss­ achtet die Realitäten und grenzt das Denken ein. Das Jugendhilfesystem in Deutschland, auf das diese Kinder angewiesen sind, ist noch weit entfernt von einer kritischen Reflektion seiner Arbeit. Es will eher die Anpassung der Jugendlichen fördern, als sie zu ermutigen, die ganz eigenen Vorstellungen mit Hilfe des Jugendamtes umzusetzen.

Verbundenheit - Ansprache von Nhut aus Vietnam............ 28 „Ihr habt uns aufgenommen“ - Ansprache von Nasrin aus dem Iran........................................................... 28 Meine Nationalität ist Mensch! - Ansprache von Ciara....... 29 „Wir müssen gemeinsam Lösungen finden!“ Interview mit Manuela Schwesig (Jugendministerin) ........ 30 „Warum werden wir nicht akzeptiert?“ - Straßenkinder fordern mehr Respekt und Hilfe, qualifiziertes Personal bei den Jugendämtern und der Polizei............................... 32 „Mit dem ersten Zug nach Hamburg“ - Straßenkinder stehen Rede & Antwort...................................................... 33 Mein Hund, mein Schlafsack, mein Lutscher.................... 35

Etwa ein Drittel der Mitmenschen in unserer Kultur aber - und das macht Hoffnung - sind weder kritiklos noch gehorsam. Dass nach meiner lebenslangen Beobachtung besonders „Straßenkinder“ mit Gefühl und Verstand sich dem Gehorsam entgegenstellen, macht sie vielleicht genau zu dem, was sie sind. Sie besitzen die Fähigkeit zur Empathie, so wie „Momo“, die in der Geschichte von Michael Ende mit Mut, Herz und offenem Denken den Gehorsam besiegt. Der Psychoanalytiker Arno Gruen stellt in seiner vielbeachteten Publikation „Wider dem Gehorsam“ fest, dass Gehorsam ein weitverbreitetes Phänomen unserer Kultur darstellt und wir es „lange bevor Sprache und Denken sich ordnen“ anerzogen bekommen. Wie nun, im Widerstand zu herkömmlichen Formaten der Jugendhilfe, benachteiligte Mädchen und Jungen die Dinge mehr und mehr selbst in die Hand nehmen, erfahren sie auf diesen hoffnungsvollen 48 Seiten. Lassen Sie die zwei Jahre großer Anstrengung von hunderten Jugendlichen Revue passieren, die noch am Rand unserer Gesellschaft leben.

Zu jung für Hilfe?............................................................... 36 Auf die Straße gesetzt, weil sie die Norm nicht erfüllten......... 37 Wenn zwei Welten aufeinander treffen - Behörde trifft Straßenjugend - Straßenkinder planen eine eigene Vertretung als Anlaufstelle für Notfälle.............................. 39 Aus den Protokollen - des World Cafés der Konferenz der Straßen- und Flüchtlingskinder ...................................41 „Das Jugendamt und ich“ - Aus den Umfragebögen der Konferenz der Straßenkinder und Flüchtlingskinder....... 44 +++Eilmeldung: Hamburg richtet Büro für die örtliche Ständige Vertretung der Straßenkinder ein.......... 46 „Wir müssen mehr tun als nur ein Aktion Mensch-Los zu kaufen!“ - Die Schauspielerin Stefanie Stappenbeck wird Mitglied der solidarischen Sozialgenossenschaft KARUNA, der Genossenschaft mit Familiensinn................................ 47 Wir sind eine Welt und müssen uns gegenseitig helfen - Stella, 11 Jahre ................................ 48

Im Namen der Ständigen Vertretung der Straßenkinder & Flüchtlingskinder in Deutschland, Jörg Richert

Impressum ........................................................................ 49

Wir danken an dieser Stelle herzlich: Dem Bundesjugendministerium für die Finanzierung dieser Zeitschrift sowie den folgenden Organisationen für die Hilfe in der Akademie für Mitbestimmung, bei den Konferenzen der Straßenkinder und Flüchtlingskinder und bei dem Aufbau der Ständigen Vertretung: terre des hommes Deutschland, der VW Initiative: Eine Stunde für die Zukunft, Children for a better World, der HIT Stiftung Kinder brauchen Zukunft, der drosos Stiftung, der Bundeszentrale für Politische Bildung, Aktion Mensch sowie Babette Brühl. 3


DA M A L S

Die 1. Konferenz der Straßenkinder 2014

Die unsichtbaren Kinder Straßenkinder übergaben Familienministerin Schwesig am 18. Nov. 2014 einen Ideen- und Forderungskatalog, der im Ergebnis der 1. Bundeskonferenz der Straßenkinder entstanden war.

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erlin – Nima trägt Jeans und eine Kapuzenjacke, er hat ein Smartphone und eine modische Frisur. Kurzum sieht er aus wie ein ganz gewöhnlicher Teenager. Dass Nima obdachlos ist, sieht ihm keiner an. Der 17-Jährige gehört zu einer weitgehend unbemerkten Gruppe von etwa 20.000 Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Die Zahlen sind schwer zu erfassen, die Dunkelziffer liegt wohl höher als die Schätzung des Bündnisses für Straßenkinder in Deutschland. Wenn Jugendliche in die Obdachlosigkeit abdriften, gibt es kaum Erkennungszeichen. „Es ist eine versteckte Obdachlosigkeit“, sagt Frederik Rühmann, Erzieher im Verein KARUNA, der sich um jugendliche Obdachlose kümmert. In den 90er-Jahren seien Straßenkinder im öffentlichen Erscheinungsbild viel präsenter gewesen. „Inzwischen ist das viel schambehafteter“, sagt Rühmann. Das Bild vom Straßenkind unter der Brücke sei der absolute Notfall. In der Regel ziehen obdachlose Jugendliche von Kumpel zu Kumpel, vom Verwandten zum Bekannten - unerreichbar für die Jugendhilfe, unerkennbar für die Gesellschaft. Deshalb hat sich der Verein KARUNA gemeinsam mit anderen Hilfsorganisationen entschlossen, den Wohnungslosen ein Gesicht zu geben. Ende September nahm Nima zusammen mit 120 weiteren Jugendlichen am ersten Bundeskongress der Straßenkinder teil. Gestern wurde der erarbeitete Katalog mit Forderungen Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) übergeben. Er reicht von Weiterbildungsmaßnahmen für Jugendamtsmitarbeiter und Lehrer bis hin zur Vereinfachung von Behördenformularen und einer Modifizierung des Jugendstrafsystems. In vier Modellprojekte sollen in den nächsten beiden Jahren bereits 400.000 Euro aus dem Förderprogramm des Bundesfamilienministeriums fließen. Auf dem Kongress hat Schwesig die Jugendlichen aufgefordert, Kritik am Hilfesystem zu üben. „Überlegt miteinander, wie wir euch besser helfen können! Seid direkt mit der Kritik daran, was euch nicht hilft oder wer euch bisher nicht geholfen hat“, betont sie. „Unsere wichtigste Forderung ist, nicht mehr wegzuschauen“, sagt Rühmann. Den ersten Schritt dazu sieht er durch den Kontakt mit Schwesig nun gemacht. Jugend-Obdachlosigkeit als pubertäre Phase oder Rebellion abzutun, sei falsch. „Die wenigsten meiner Klienten haben sich das freiwillig ausgesucht“, sagt er. Obdachlosigkeit sei ein Problem des Systems. Viele der bei KARUNA betreuten Jugendlichen haben eine lange „Jugendhilfe-Karriere“ hinter sich: etliche Rausschmisse aus 4

betreuten Einrichtungen, oft leiden sie auch an einem misslungenen Übergang von der Jugend- in die Erwachsenenhilfe. Rühmann nennt seine Jugendlichen „Klienten“, so wie Anwälte ihre Kunden Mandanten nennen, weil das für einen Aha-Effekt sorgt. Rühmann will demonstrieren, wie wichtig ihm seine Jugendlichen sind. Einer bekam einmal die Sozialleistungen gekürzt, weil er zahlreiche Termine nicht mehr wahrgenommen hatte. „Der war psychisch einfach nicht mehr fähig dazu“, sagt Rühmann. Wegen Regelverstößen von Einrichtung zu Einrichtung tingelnd, verlieren die Jugendlichen mit ihren Erfahrungen wie häuslicher Gewalt, Missbrauch und Sucht

dann ihre Beziehungen und das Vertrauen in die Jugendhilfe. „Ohne dass einmal jemand nach der Ursache schaut, geraten die Jugendlichen in einen Teufelskreis“, sagt der Erzieher. Ein weiteres Problem sei der sich zuspitzende Wohnungsmarkt in vielen Städten Deutschlands. Wo schon Menschen mit sicherem Gehalt Schwierigkeiten hätten, eine Wohnung zu finden, sei es für die Klienten von Rühmann meist unmöglich. Trotz schwieriger Bedingungen hat Straßenjunge Nima den Absprung vom Drogenkonsum nach eigenen Angaben geschafft: Seit einer Woche wohnt er in einer WG, bald soll er eine eigene Wohnung bekommen. (aus „Saarbrücker Zeitung“)


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nlässlich des heutigen Empfangs durch Sie, sehr geehrte Frau Bundes­jugendministerin Manuela Schwesig von uns, den 6 jugendlichen Delegierten des 1. Bundeskongresses der Straßenkinder möchten wir folgende Erklärung abgeben: Durch die heutige Übergabe des Ideen- und Forderungskataloges der Straßenkinder Deutschlands fühlen wir uns gemeinsam mit den über 120 Kongress-TeilnehmerInnen bestätigt, dass unser 1. Bundeskongress der Straßenkinder in Deutschland einen überfälligen Dialog zwischen den betroffenen Jugendlichen und der Politik eingeleitet hat. An dieser Stelle möchten wir uns bei terre des hommes Deutschland bedanken, die mit

Ständige Bundeskonferenz der Straßenkinder einberufen werden! Die Ständige Bundeskonferenz der Straßenkinder wird den eingeleiteten Dialog aufrecht erhalten bzw. herzustellen versuchen: • mit den Landesjugendämtern • dem Justizwesen • der Bundesagentur für Arbeit • mit der Polizei • mit dem Gesundheitswesen • mit Bundestags- und Landtagsabgeordneten • mit Stiftungen • mit Vertretern der Wirtschaft • und anderen.

Öffentliche Erklärung des 1. Bundeskongresses der Straßenkinder Wir verstehen uns als Interessenvertreter von rund 20.000 Straßenkindern in Deutschland. Zu unseren Zielen wird es auch gehören, so viele Jugendliche wie nur möglich in unsere Arbeit einzubeziehen. Dazu werden wir die Einrichtungen des Bündnisses für Straßenkinder wie auch die sozialen Netzwerke wie Facebook, Twitter, Google+, YouTube, Instagram usw. nutzen. Wir möchten Ihnen zudem mitteilen, dass

Für die 120 Delegierten des 1. Bundeskongresses der Straßenkinder: Greeny, Lucas, Sarah, Sophia-Marie, Shiva, Gregor, KARUNA e.V., Bündnis für Straßenkinder, Justus Delbrück Haus-Akademie für Mitbestimmung Das Geld für das Bildungspaket sollte nicht an die Eltern, sondern direkt an die Kindergärten und Schulen ausgezahlt werden, damit dort sozial benachteiligte Schüler gefördert werden können.

Wir fordern, zielgruppenspezifische Angebote und Einzelfallentscheidungen, sowohl im rechtlichen Rahmen als auch in der Praxis, die Bedürfnisse und besonderen Belange von uns zu berücksichtigen und die Rechtsrahmen zu erweitern.

Wir fordern, dass bei Beratung und Durchführung von Maßnahmen Traumata, Obdachlosigkeit und Sucht berücksichtigt werden.

Wir fordern, dass H4-Anträge nach Lebenslagen unterschieden werden und unterschiedliche Lebenslagen berücksichtigen, z.B. Anträge für Jugendliche, Wohnungslose, Alleinerziehende, Suchtkranke.

Fotos: Babette Brühl

ihrer finanziellen und ideellen Hilfe unseren Wunsch nach Einflussnahme möglich gemacht haben. Der heutige Tag mit Ihnen, sehr geehrte Frau Ministerin, gibt uns Anlass, dass wir mit Hilfe des KARUNA Zukunft für Kinder und Jugendliche in Not International e.V. , seiner Einrichtung Justus Delbrück Haus | Akademie für Mitbestimmung und dem Bündnis für Straßenkinder in Deutschland e.V., die

wir den 2. Bundeskongress der Straßenkinder „Mein Name ist Mensch“ bereits im September 2015 in Berlin durchführen werden. Seien Sie bereits heute herzlich eingeladen, daran teilzunehmen und uns auf unserem Weg der Mitbestimmung zu begleiten.

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St ä n d ige

Ve r t r e t u n g d e r S t r a ß e n k i n d e r i n D e u t s c h l a n d Dieses Treffen mit den engagierten Jugendlichen, die alle schwierige Lebenssituationen auf der Straße gemeistert haben, war sehr inspirierend und hat mich tief beeindruckt. Mit welch einer Leidenschaft und mit wie viel Herz sie sich für die wichtige Sache der Straßenkinder ins Zeug legen, das imponiert. Und es relativiert das klischeehafte Bild, das viele Menschen von Straßenkindern haben, vollkommen.“ Andreas Düllick, Chefredakteur „strassen|feger“

Sind so tolle Menschen! „Ein warmes Essen auf dem Tisch und ein Dach über dem Kopf sind nicht selbstverständlich!“

zwei Jahre drin gewohnt und von Straßenmusik und Betteln gelebt. Manchmal auch vom Containern. Vor kurzem hat ein Kollege ein Projekt gestartet, der überlässt mir seit einem halben Jahr eine kleine, simple Wohnung, zehn Quadratmeter. Dafür mache ich

TEXT & INTERVIEWS: Andreas Düllick & Leonie Karnowsky (strassen|feger) Beim KARUNA e.V. in Berlin gab es am 31. Juli 2015 ein Treffen der StäV (Ständige Vertretung der Straßenkinder). Thema u.a.: „Verhinderung von Jugendwohnungslosigkeit und der sozialen Exklusion von Straßenkindern.“ Live dabei war ein Fernsehteam des Kinderkanals „KIKA“. Eine Woche später, am 8. August, diskutierte die StäV im „Justus Delbrück Haus, Akademie für Mitbestimmung” beim 115. Bürgerdialog der Bundesregierung („Gut leben in Deutschland – Was uns wichtig ist“) darüber, was Lebensqualität in Deutschland für sie bedeutet. Sie diskutierten insbesondere über Mindestlohn, bezahlbaren Wohnraum, das Bildungssystem und über soziale Aspekte wie Geborgenheit, Vertrauen, Nächstenliebe und Zusammenhalt. In einer zweiten Gesprächsrunde fokussierten sie Aspekte zu Gesetzen und Recht sowie Finanzen. Mit dabei waren u.a. Chantal, Isi, Johnny, Habib, Dave, Sophia, Pia, Florian, Sabrina sowie Gabriela Schützler und Jörg Richert, die Geschäftsführer des KARUNA e.V. Sie alle haben uns im Vorfeld des Kongresses Rede und Antwort gestanden. strassen|feger: Wie sind eure Lebensumstände? Warum seid ihr von zuhause weggegangen? Wie seid ihr zur Ständigen Vertretung der Stra­ßenkinder gekommen? Chantal (17): Ich lebe zurzeit sozusagen aus dem Rucksack. Also, ich wohne immer mal wieder bei Freunden, mal bei meiner Oma … jedenfalls nicht zuhause. Mit 13 hatte ich viele Probleme mit meiner Mutter. Deswegen bin ich zuerst bei meiner Oma untergekommen, dann war ich auf der Straße und jetzt mittlerweile eben bei Freunden. Zur StäV kam ich so: Meine Streetworkerin hat mich zum Bundeskongress eingeladen. Ich find‘s super, das ist wie eine riesengroße Familie, die sich untereinander viel besser versteht als mit anderen Leuten, die das nicht nachvollziehen können.

Mitglieder der Ständigen Vertretung der Straßenkinder bei einem weiteren Vorbereitungstreffen ... Isi (16, Mecklenburg, zieht gerade nach Hamburg): Ich muss sagen, bei mir zuhause gab es generell keine Probleme. Klar, ab und zu mal Streitigkeiten wie bei jedem anderen auch, aber ich ziehe nach Hamburg, weil ich mich da einfach wohler fühle. Ich möchte selbstständig und nicht mehr auf zuhause angewiesen sein, ich will meine Zukunft starten und ein FSJ anfangen. Ich habe das Glück, dass ich durch einen Bekannten vorübergehend eine Wohnung bekommen habe. StäV? Na ja, ich war beim 1. Bundeskongress dabei und war sehr überrascht, wer da alles zusammengekommen ist. Jörg Richert meinte dann, sie brauchen immer neue Leute und hat damit mein Interesse geweckt, weil ich mich sowieso gern sozial engagiere. Johnny, (22, Hamburg): Früher hatte ich ein bisschen Stress mit den Erzeugern und bin mit 13 im Heim gelandet, bin mit 14 wieder abgehauen. Ich war im Ruhrpott schon obdachlos, habe auf der Straße gelebt, zeitweilig bei meinem Bruder gehaust. Dann bin ich nach Hamburg gezogen, um da noch mal neu anzufangen. Ich hatte Glück, dass ich am Bahnhof eine Gruppe Punks kennengelernt habe, die haben mich aufgenommen. Dann haben wir eine alte Teppichfabrik in der Holstenstraße besetzt. Da haben wir 6

dort den Hausmeister, ich kriege also die Miete quasi geschenkt, dafür, dass ich ihm helfe. Das ist so sein kleines Sozialprojekt. Außerdem habe ich einen kleinen Nebenverdienst bei einer Firma, die Filmrequisiten an Film- und Serienproduktionen vermietet. Habib (23, Berlin): In meiner Familie war alles okay. Aber ich habe einen falschen Freundeskreis gehabt und bin auf die schiefe Bahn gekommen. Mir war die Straße lieber als zuhause. Ich habe etwa zwei Jahre auf der Straße gelebt. In Hamburg, wo ich für ein paar Monate war, habe ich unter der Brücke gepennt, mit Schlafsack und allem. Gott sei Dank war das im Sommer, da war das kein Problem. Paar Mal habe ich auch in Notunterkünften geschlafen, wobei ich sagen muss, dass es erst mal viel Kraft kostet, überhaupt zu einer Notübernachtung zu gehen, weil man natürlich schon auf sein Hab und Gut aufpassen muss. Wir haben dauernd Drogen konsumiert, größtenteils Amphetamine, ab und zu auch Marihuana geraucht, um wieder runterzukommen vom Kokain. Bei mir wurde mit sieben ADHS festgestellt, deshalb habe ich auch Ritalin genommen, ich habe das komplette Alphabet an Tabletten hinter mir, von A bis Z. Wenn ich jetzt zurückschaue, hat meine Drogenkarriere wirklich damit angefangen. Deshalb bin ich auch hier bei der


Dave (25, Berlin): Es ging los mit einem einfachen, leichten Klaps auf den Po bis hin zum Psychoterror und ständiger Gewaltandrohung. Ich musste dann das Achtfamilienhaus putzen, und wenn ich das nicht geschafft hatte, durfte ich nicht zur Schule. Mit 14 bin ich aus Frust nochmal abgehauen und habe durchgehend auf der Straße gelebt, bis ich wieder aufgegriffen wurde. Das war so ein Katz-und-Maus-Spiel, irgendwann bin ich dann in Spanien gelandet. Ich hab vier Jahre „Asphalt-Abi“ gemacht, also acht Jahre auf der Straße gelebt, seit meinem zehnten Lebensjahr. Ich bin einmal durch halb Deutschland getrampt, dann war ich in Barcelona in einer Kommune. Teilweise war das Straßenleben sehr interessant, teilweise aber auch einfach nur krass und nervig. Hier in Deutschland wurde ich immer blöd angeguckt, nach dem Motto: „In Deutschland muss es doch keine Straßenkinder geben“, das typische Gelaber, das jeder kennt. Auch beim Schnorren, wenn man die Leute um Kleingeld anbettelt, kriegt man immer so dumme Sprüche zu hören, „such dir Arbeit“ und „mach doch mal was Anständiges“. In Spanien hab ich dann wie gesagt in einer Kommune bzw. einem besetzten Haus gelebt und da angefangen, mir ein bisschen meine Wunschfamilie aufzubauen. Ich hab mich da auch wohlgefühlt, aber wegen meinem Ausweis und so Zeug musste ich nochmal nach Deutschland zurück, wo mich die ganze Bürokratie dann regelrecht gefesselt hat. Überall Termine und immer dieses „Suchen Sie sich ’ne Wohnung“ – eine Wohnung hat man aber nur gekriegt, wenn man Arbeit hatte, und Arbeit hat man nur gekriegt, wenn man eine Wohnung hatte. Teufelskreis Deutschland, endlos oft. Jetzt hab ich endlich eine Wohnung gefunden, auch ohne Arbeit, weil ich da dann bisschen geschummelt habe. Ich hab ein Praktikum angefangen, mir eine Wohnung gesucht und behauptet, das sei meine Arbeit, und jetzt kriege ich Sozialhilfe. Abstellgleis, hurra! Pia (27, Dresden): Ich war zwei, drei Jahre obdachlos. Ich bin durch unglückliche Familienzustände da hingekommen. Dann hatte ich Drogen- und Alkoholprobleme, das lief immer so im Wechsel oder manchmal auch alles zusammen. Da waren Bekanntschaften mit komischen Menschen, komischen Männern und komischen Frauen. Dann hab ich mich langsam aufgerappelt, immer mal geguckt: Eigene Wohnung, geht das? Irgendwann habe ich es geschafft, bin dann aber doch wieder obdachlos geworden. Das war eigentlich eine WG, meine Mitbewohne-

rin ist dann ausgezogen und weil sie ihr Zimmer in einem absolut beschissenen Zustand zurückgelassen hatte, konnte man das nicht neu vermieten. Dadurch haben sich dann Mietschulden angehäuft, und es ging dann nochmal zurück auf die Straße. Weg von der Familie bin ich eigentlich schon relativ lange, zehn Jahre sind das bestimmt schon, wenn nicht sogar mehr. Ich habe dann immer mal wieder in einem sozialen Verein mitgearbeitet, mitgeholfen, und dann habe ich

Wart ihr beim 1. Bundeskongress dabei und was erwartet ihr euch vom 2. Bundeskongress? Chantal: Ja, natürlich! Ich möchte das allesweiter unterstützen und unsere Fortschritte sehen. Dass viele neue Leute dazukommen und auch viele Jugendliche sich weiterhin trauen, daran teilzunehmen. Es wäre schön, wenn wir unsere Ziele durchsetzen können und gehört werden.

... für die 2. Konferenz der Straßenkinder im Justuns Delbrück Haus | Akademie für Mitbestimmung Jamlitz vom Bundeskongress gehört und bin da hingefahren. Dort hab ich super Leute kennen gelernt, seitdem bin ich auch bei der StäV dabei. Florian (30, Duisburg): Als Straßenkind gelte ich zwar nicht mehr. Ich habe mit 16 zwei Jahre auf der Straße gelebt, habe dann eine Ausbildung gemacht in einem Bereich, der mir nicht gefallen hat und mich dann aus Unzufriedenheit sozial engagiert. Ich bin ehrenamtlich im Streetworking in Duisburg tätig und darüber, weil ich auch politisch engagiert bin, in die StäV gekommen. Der zuständige Streetworker hat mich angesprochen, ob der 1. Bundeskongress nicht was für mich wäre. Da habe ich dann dran teilgenommen und viel Spaß gehabt. Sabrina (35, Krefeld): Ich war in Köln sechs Jahre auf der Straße. Es begann im Alter von zehn Jahren. Heute bin ich eine erfolgreiche Autorin. Ich habe fünf Kinder, mit denen ich eine ganze Menge zu tun habe, aber setze mich eben auch für Straßenkinder ein, weil mir das eine Herzensangelegenheit ist. Außerdem unterstütze ich auch Kinder, die Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sind, damit nicht der erste Schritt, der Missbrauch, zum zweiten Schritt, dem Leben auf der Straße, führt. 7

Isi: Ja. Und ich hoffe natürlich, dass noch mehr Leute kommen und wir dadurch auch mehr Aufmerksamkeit bekommen. Dass einfach ein Statement gesetzt wird, wie viele es eigentlich wirklich sind. Dave: Ja, ich war auch dabei. Ich war auch schon bei den Vortreffen in der Organisation dabei und war dann auch ziemlich erstaunt, was wir alles an Themen zusammengekriegt haben. Das hat meine Begeisterung noch mehr gesteigert, auch, weil ich wusste, die Themen sind wichtig. Es gab ja auch ein riesiges Medienaufgebot, das hat mir die Hoffnung gegeben, dass wir den Leuten die Augen öffnen und für das Thema empfänglich machen können. Mich hat es geärgert, dass es zum 1. Bundeskongress hieß, wir Straßenkinder würden uns über Flüchtlinge stellen, deshalb fand ich auch den Titel „Mein Name ist Mensch“ sehr passend gewählt, weil wir uns eben nicht über jemand anderen stellen wollen. Es ist wichtig, noch mal zu betonen, dass wir keine Unterschiede machen. Der Forderungskatalog hat mich auch beeindruckt: Zu sehen, was wir für eine mächtige Stimme haben, die aber eigentlich keiner hören will. Pia: Ich hoffe, noch mehr tolle Leute kennenzulernen, aber hauptsächlich, noch mehr Fortschritte zu machen. Das Projekt

Fotos: Babette Brühl

StäV, um damit gewisse Menschen zu erreichen, damit sich was verändert.


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Ve r t r e t u n g d e r S t r a ß e n k i n d e r i n D e u t s c h l a n d soll noch mehr Aufmerksamkeit erregen und noch mehr Leute wachrütteln. Am besten wäre es natürlich, es gäbe nicht nur Lösungsvorschläge, sondern es würden auch konkrete Ziele erreicht, bei denen man sagen kann: „Das haben wir jetzt geschafft, davon können jetzt viele Jugendliche profitieren“. Florian: Noch viel mehr Aufmerksamkeit, viel mehr Medienpräsenz, weil das auch der Grund ist, warum wir letztendlich beim Bundesministerium angekommen sind. Einfach die Resonanz, um der Gesellschaft die Augen zu öffnen.

gefühlsmäßig mit ihr macht; ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass das jemanden kalt lässt. Vielleicht hat sie ja auch ein paar Vorschläge, was sie ändern würde. Es werden immer nur wir gefragt, was wir ändern wollen, aber es wäre doch auch interessant, zu erfahren, was andere für Vorstellungen haben. Und ich würde mir wünschen, dass sie kein Mitleid zeigt, das kann man nämlich nicht gebrauchen. Verständnis ja, aber kein Mitleid!

Dave: Ich beneide die Dänen für das Housingfirst-System, das hätte es in Deutschland schon vor 25 Jahren geben sollen. Es ist aber immer noch nicht zu spät, das noch umzusetzen. Eigentlich ist es gerade wichtig, es trotz allem jetzt noch umzusetzen, dass Ein- oder Zweiraumwohnungen zu niedrigen Preisen einfach mit angeboten werden müssen.

Florian: Mein Steckenpferd in der StäV ist immer wieder das Jugendamt. Und ich bin der Meinung, dass das Jugendhilfe-System komplett überarbeitet werden muss.

aber skeptisch, ob das überhaupt irgendwas bewirkt. Es tun zwar gerade alle interessiert, aber so ist es ja eigentlich immer. Es sind ja immer alle so Gutmenschen … Also, ich hoffe, dass es etwas bewirkt, ich fand Frau Schwesig auch total nett. Sie wirkte auch wirklich interessiert, nicht nur so: „Ich muss es eben machen, weil es mein Job ist“. Insofern hoffe ich, dass was passiert und dass das Ministerium Vertrauen in uns hat und uns unterstützt, sei es durch Leute, die mitarbeiten, oder durch Gelder. Das Problem mit den Wohnungen, dass viel Leerstand ist, viel abgerissen wird und dann einfach Eigentumswohnungen hochgezogen werden: Das ist ja nicht nur etwas, das Straßenkinder betrifft. Alle reden immer davon, es gäbe keinen Platz und man müsse Zelte für die Einwanderer aufbauen, dabei wären an dieser Stelle zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Saniert die Häuser, dann ist wieder genug Platz!

Pia: Die Dame vom Ministerium hat bestimmt viele Anregungen mitgenommen. Ich bin

Sabrina: Ja. Und: Wir wollen diesmal nicht mit 120, sondern mit 300 Kindern und Jugendlichen reingehen und im Gegensatz zu letztem Jahr international sein, weil wir einfach ganz klar sagen: Wir stellen uns nicht über die Flüchtlinge, wir sind gleichwertig. Die haben das gleiche Problem wie wir, vielleicht sogar noch viel schlimmer. „Mein Name ist Mensch“ bleibt unser Motto und dafür werden wir immer weiter kämpfen. Wir haben den 2. Bundeskongress noch nicht erreicht und denken schon an einen dritten, der Weg ist das Ziel. Habib: Ich habe eigentlich nur eine große Erwartung: Dass wir gehört werden. Dass gewisse Menschen zuhören und es dann eventuell besser verstehen können. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass diese Erwartung erfüllt wird. Was sind denn eure Ziele? Chantal: Unsere Ziele sind zum Beispiel, dass sich das Jugendamt unserer Situation besser anpasst, Jugendliche sich besser Hilfe suchen können und vor allem, dass die Wohnungslosigkeit abnimmt. Isi: Natürlich muss was passieren. Es heißt ja immer: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, aber das sollten die Leute auch endlich mal umsetzen. Was wollt ihr der Jugendministerin Manuela Schwesig gern sagen? Chantal: Ich glaube, ich würde sie fragen, was sie vom Bundeskongress hält und davon, dass wir uns jetzt für unsere Rechte einsetzen. Isi: Erst mal würde ich sie fragen, welchen Eindruck sie von dem Kongress hat, wie sie sich dabei fühlt und was ihr durch den Kopf geht, warum diese Jugendarmut und -obdachlosigkeit überhaupt existiert, weil wir ja in einem reichen Land leben. Was das

Habib: Dass man auf jeden Fall was ändern muss und mehr auf die Jugendlichen, die auf der Straße sind – egal welcher Abstammung oder Herkunft – eingehen muss. Die Grenzen, die noch in den Köpfen sind, müssen verschwinden. Was ich auch wichtig finde, ist, dass man im Jugendamt für mehr Verständnis sorgt. Dort sitzen einige Menschen, die die Situation gar nicht nachvollziehen können und dann einfach irgendwas sagen, ohne darüber Bescheid zu wissen. Es gibt sehr viele Kinder und Jugendliche, die werden in Familien reingesteckt, die noch schlimmer sind als ihre eigenen. So was dürfte es eigentlich nicht geben. Ihr hattet heute ein Brainstorming zu neuen Wohnmodellen, zusammen mit einer Mitar­ beiterin aus dem Bundesjugendministerium. Wie lautet euer Fazit? 8

Sabrina: Ich finde es traurig, dass unsere Regierung darauf hinweist, sie habe keine


Möglichkeiten und könne die Leute nirgendwo unterbringen. Dann werden massive Gelder in Zeltprojekte gesteckt, in denen die Menschen, die glauben, hier Sicherheit zu bekommen, untergebracht werden und die dann im Grunde genommen von unserer Gesellschaft niedergemacht werden. Und dann wird es so dargestellt, als nähmen die uns irgendwas weg, was totaler Quatsch ist. Ich bin gebürtige Duisburgerin und in Duisburg-Bruckhausen oder Marxloh gibt es wirklich massive Leerstände, da frage ich mich: Wo ist eure Menschlichkeit geblieben, dass bedürftige Menschen nicht die Chance bekommen, dort unterzukommen? Man müsste ein bisschen Geld in die Renovierung stecken, aber dafür hätte jeder die Chance, ein Zuhause zuhaben. Und dann muss man wiederum weiter denken: Mit dem Zuhause kommt die Sicherheit und die meisten möchten dann auch wieder arbeiten, das eine ergibt sich aus dem anderen, wie ein Ball, den ich ins Rollen bringe. Dazu müsste man aber sofort reagieren, anstatt die Häuser verfallen zulassen und dann zu sagen: „Nee, haben wir nicht, die setzen wir mal alle in Zelte“.

keit ein bisschen verringern würde, etwa die Abhängigkeit von den Eltern – das ist ein großes Thema für mich. Ich möchte nicht abhängig sein von dem Standard, den meine Mutter hat: Nur weil sie Hartz IV kriegt und ich dadurch das ‚Hartz-IV-Kind‘ bin, muss ich die ganzen Sachen einstecken, die sie verbockt hat. Ich finde, das sollte man ändern, dass man nicht immer von seinen Eltern abhängig ist. Das wäre mir am wichtigsten.

noch zu vermieten sind, kann man sich kaum leisten. Am Mehringdamm zahlt man über 650 Euro Miete für eine Wohnung, die nicht mal 20 qm groß ist. Das ist echt schlimm. Der Wunsch nach Familie ist auf jeden Fall da, aber ich habe mir gesagt, solange ich gewisse Sachen noch nicht geregelt habe, gründe ich erst mal keine Familie. Momentan hole ich meinen mittleren Schulabschluss nach, danach würde ich gerne Brandschutzbeauftragter werden. Oder ich würde gern meinen eigenen Club führen.

Im Zusammenhang mit beiden Konferenzen der Straßenkinder entstanden zahlreiche Videos

Was bedeutet für euch Lebensqualität in Deutschland? Isi: Mein größtes Thema war § 1 Absatz 1, „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Ich finde, das wird immer noch nicht genügend befolgt, obwohl es ein Gesetz ist. Zur Würde des Menschen gehören auch Wohnraum, Verpflegung und alles Mögliche. Viele sagen immer, Schule sei scheiße, aber Bildung ist sehr wichtig und meistens die Antwort auf alles, ohne Bildung funktioniert nichts. Außerdem die emotionale Basis aus Vertrauen, Zusammenhalt und Loyalität, die braucht jeder Mensch. Und dann noch die Finanzen: Es wird sehr viel Geld ausgegeben für Dinge, die keiner braucht. Aber der wichtige Teil, Kinder und Jugendliche, werden dabei nicht beachtet. Habib: Bildung sollte frei für jedermann sein. Wenn man eine Ausbildung macht, sollte man auch übernommen werden, so wie es immer versprochen wird, aber oft nicht stimmt. Und: Die Altbauwohnungen in Berlin werden zum Teil zu Ferien- oder Eigentumswohnungen gemacht, da frage ich mich, warum? Es gibt Leute, die nicht so viel Geld haben, die werden dann irgendwo reingestopft, in irgendwelchen Randbezirken. Chantal: Dass man ohne Probleme in Deutschland leben kann und sich keine Sorgen um die Finanzen machen muss. Mich würde es freuen, wenn sich die Abhängig-

Sabrina: Für mich bedeutet das an allererster Stelle meine Kinder, allgemein Familienleben, eine gute Arbeit zu haben, die gut bezahlt wird und auf andere Menschen zu schauen, die sich in schwierigen Lebenssituationen befinden und ihnen da rauszuhelfen. Was erwartet ihr euch für eure persönliche Zu­kunft? Was habt ihr für Pläne, Träume, Ziele? Chantal: Ich möchte es bald schaffen, eine eigene Wohnung zu bekommen und mein Fachabitur anzufangen. Danach natürlich einen Beruf erlernen. Ich würde gerne ein duales Studium der Sozialpädagogik aufnehmen, um mich für Jugendliche einzusetzen. Und auf jeden Fall auch weiterhin Teil der StäV sein! Ja, Familie wär natürlich auch ganz schön. Später … oder jetzt? Man weiß ja nie, was kommt. Habib: Eine Zweizimmerwohnung wäre top. Ich würde gerne wieder zurück in meine alte Wohngegend, wo ich groß geworden bin, in den Bergmannkiez. Da hat man aber fast keine Chance, da ist alles voll mit Ferienwohnungen oder Eigentumswohnungen und die, die 9

Dave: Mein Traum war es immer, im medizinischen Bereich, der Humanmedizin, zu arbeiten. Ich habe auch schon mehrere Praktika absolviert und schon öfter ehrenamtlich in dem Bereich gearbeitet. Durch den Bundeskongress wurden meine Pläne aber nochmal umstrukturiert. Momentan warte ich auf eine Zusage für das Schuljahr 2016/17, um meinen mittleren Schulabschluss nachzuholen, danach möchte ich mein Fachabitur machen. Und wenn ich das geschafft habe, will ich studieren und dann alternative Jugendsozialhilfe anbieten. Pia: Viel Geld und Gesundheit (lacht). Jetzt habe ich wieder eine Wohnung, diesmal habe ich Glück gehabt. Bei meiner letzten Wohnungssuche musste ich über neun Monate warten. Ich wünsche mir einfach, dass die Leute toleranter werden und dass es nicht noch unnötig erschwert wird, eine Wohnung zu bekommen. Ich würde gerne was im sozialen Bereich machen, weil mich das sehr interessiert, vielleicht sogar ein bisschen was mit Psychologie. Was sich ziemlich schwer gestaltet, mein Abschluss war nicht so gut. Ich bin nicht auf den Kopf gefallen, ich leg mich nur zu viel mit den Leuten an.


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Ein Feuer im Innern

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ie 2. Deutsche Konferenz der Straßenund Flüchtlingskinder liegt hinter mir. Kraft, Ausdauer und Leidenschaft, mit der die Jugendlichen und jungen Erwachsenen sich dafür einsetzen, unsere Zukunft besser zu machen, haben mich beeindruckt. Sogar Bundesjugendministerin Manuela Schwesig ist gekommen, um unsere Forderungen zu unterstützen. Toll fand ich ihr Geständnis, nicht viel über Straßenkinder gewusst und Vorurteile gehabt zu haben. Als Kind habe ich in den 90er-Jahren selber fast zwei Jahre lang auf der Straße gelebt. Die Straße ist Teil meiner Geschichte und wird es immer bleiben. Nichts hat mich mehr geprägt als dieser bedeutungsvolle Lebensabschnitt. Blicke ich zurück, taucht vor meinem Auge dieses kleine Mädchen auf, völlig verloren in der kalten Welt der Erwachsenen und doch mit einem Feuer im Innern, das nicht zu ersticken war. Meine Geschichte ist ziemlich klassisch für ein Straßenkind: geboren in eine Familie, die dem Untergang geweiht war, mit Eltern, die selbst eine unaufgearbeitete traumatische Kindheit hatten, in der sexueller Missbrauch und Misshandlung vorkamen. Als ich sieben war, zog mein Vater aus, meine Mutter ging nun Vollzeit arbeiten, Zeit für mich fand sie kaum noch. Auf der Suche nach Aufmerksamkeit wurde ich zu einem „schwierigen Kind“. Schon als Neunjährige hatte ich Depressionen und Suizidgedanken. Oft konnte ich meinen Körper nicht mehr fühlen, hatte keinen Zugang mehr zu mir selbst. Mit Selbstverletzungen versuchte ich, mich wieder lebendig zu fühlen. Meine Mutter heiratete schließlich einen Mann, mit dem ich überhaupt nicht klar kam. Dann verstarb mein leiblicher Vater, den Verlust konnte ich nie verkraften. Ich begann zu rauchen, Alkohol zu trinken, mich herumzutreiben, wodurch die Distanz zu meiner Mutter unüberwindbar wurde. Immer öfter schlug sie in ihrer Verzweiflung und Hilflosigkeit zu, wenn ich mal zu Hause war, wurde nur noch gebrüllt. Ich wandte ich mich an das Jugendamt mit der Bitte, mich aus der Familie herauszunehmen. Dort schickte man mich wieder nach Hause: Die Probleme wären nicht schwerwiegend genug für eine Fremdunterbringung. So blieb mir die Flucht auf die Straße. Dort suchte ich Liebe, Halt, Freundschaft und Geborgenheit. Ich fand Kälte, Gleichgültigkeit, sexuelle Ausbeutung und Drogenelend. Mit gerade mal 13 Jahren lebte ich inmitten von Obdachlosen, Fixern, Strichern und Straßenkindern. Schnell geriet ich in meiner Naivität und Verzweiflung an Heroin. Hilfe vom Jugendamt

Antje Raphael, 35, ist Mitglied der Ständigen Vertretung der Straßenkinder

Zwei Jahre lebte Antje Raphael auf der Straße. Hier schreibt sie über das Damals und das Heute erhielt ich nicht, im Gegenteil: Als ich mir im Winter eine billige Absteige suchte, in der auch andere Obdachlose lebten, musste ich nach zwei Tagen im Warmen wieder zurück auf die Straße, weil das dem Jugendamt zu teuer war. Ein Platz in einem Heim hätte wesentlich mehr gekostet. Diesen ersten Winter auf der Straße werde ich niemals vergessen! Es war der kälteste seit Jahrzehnten und rings um mich herum erfroren viele Menschen, die ich kannte. Solidarität untereinander gab es nicht, jeder gute Schlafplatz wurde verteidigt bis auf‘s Blut. Als eine der Jüngsten konnte ich mich nicht durchsetzen. Immer wieder wurde mir mein Schlafsack geklaut. Ich musste die Nächte durchmachen, um nicht zu erfrieren, ständig vertrieben von Polizei, Ordnungsamt und privaten Wachschutzfirmen. Länger als eine Viertelstunde konnte ich mich nir10

gendwo aufhalten. Ich kann bis heute nicht verstehen, wie man gegenüber einem Kind so gleichgültig sein kann! Ich bin nun erwachsen, Mama dreier fantastischer Kinder. Ich habe mir meinen Platz in der Gesellschaft mühevoll zurückerkämpft, habe meinen Schulabschluss nachgeholt, einen Beruf erlernt, den Führerschein gemacht und arbeite als Betreuerin für Demenzerkrankte in einem Altenheim. Der Weg war hart und ich bin sehr stolz auf das Erreichte. Die Mitarbeit in der Ständigen Vertretung ist mir eine Herzensangelegenheit, denn hier bin ich wichtig, so, wie ich bin. Meine Erfahrungen gelten zum ersten Mal in meinem Leben nicht als Manko, sondern als Erfahrungsschatz, der der anderen helfen kann. (aus „tageszeitung“)


Manchmal fliegen bei uns auch die Fetzen

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ophia ist 27 Jahre alt, transsexuell und waschechte Berlinerin. Mit 19 ist Sophia von zuhause weg, weil es zu viel Stress mit den Eltern gab, das kennt wohl jeder pubertierende Jugendliche. Sophia hat die Flucht nach vorn ergriffen, weil sie keine Lust hatte, sich ständig zu streiten. Knapp sechseinhalb Jahre hat Sophia auf der Straße gelebt oder bei Freunden bzw. in einem Übergangswohnheim, was aber nicht funktioniert hat. Jetzt ist Sophia im Justus Delbrück Haus/ Akademie für Mitbestimmung, einem Projekt von KARUNA e.V., (in Jamlitz) und organisiert seit zwei Jahren den Bundeskongress der Straßenkinder mit. Andreas Düllick sprach mit Sophia über die Arbeit in der Ständigen Vertretung der Straßenkinder und über deren Forderungen. strassenIfeger: Seit wann gibt es die Ständige Vertretung der Straßenkinder (StäV), wie viele Mitglieder hat die StäV und wie wird man Mitglied? Sophia: Die Frage kann ich gar nicht so leicht beantworten, weil ich das selbst noch nicht so hinterfragt habe. Ich bin da einfach so reingerutscht. Ich habe den ersten Bundeskongress der Straßenkinder mitorganisiert. In diesem Zusammenhang wurden wir dann zur Familienministerin Manuela Schwesig eingeladen. Zuvor hatte Jörg Richert von KARUNA e.V. diese StäV ins Leben gerufen. Beim letzten Arbeitstreffen der StäV in Jamlitz waren wir 34 Leute, die den zweiten Kongress im September dieses Jahres vorbereiten.

Sophia: Unsere Aufgabe ist es, die Interessen der Kinder und Jugendlichen, die ihren Lebensmittelpunkt auf der Straße haben, in der Öffentlichkeit und gegenüber der Politik zu vertreten. Ein wichtiger Schritt dabei war der Besuch nach dem ersten Bundeskongress bei Manuela Schwesig, der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, im vergangenen Jahr. Und das tun wir, indem wir jetzt u.a. auch ganz intensiv den zweiten Bundeskongress vorbereiten. In der StäV gibt es derzeit sechs – mit Jörg Richert sieben – Pressesprecher, die Termine wahrnehmen, vor allem in Norddeutschland, in Berlin und Brandenburg sowie in Nordrhein-Westfalen. Woran habt Ihr die letzten Monate gearbei-

Sophia ist Mitglied der Ständigen Vertretung der Straßenkinder tet und wie sieht Eure Arbeitsweise generell aus? Sophia: Wir treffen uns relativ regelmäßig für drei Tage, davon sind anderthalb Tage Power-Workout, d.h. da geht es dann um solche Themen z.B. wie wir mit der Presse umgehen, wie wir Interviews vermitteln mit 11

Kindern bzw. Jugendlichen die unter 18 Jahre alt sind, die brauchen ja eigentlich eine Einwilligung der Eltern dafür. Wie geht Ihr in der StäV miteinander um? Streiten … oder eher harmonisch? Sophia: Es ist eine Mischung aus allem. Wir

Fotos: Babette Brühl

Was ist der Auftrag, die Aufgabe der Ständigen Vertretung?


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St ä n d ige

Ve r t r e t u n g d e r S t r a ß e n k i n d e r i n D e u t s c h l a n d

beantragt bei:

verstehen uns schon untereinander, haben aber auch durchaus unterschiedliche Ansichten und haben uns mittlerweile auf eine Professionalität verständigt, dass wir z.B. persönliche Dinge erst mal außen vor lassen. Wenn es nötig ist, dann moderieren Jörg Richert und Gabriela Schützler von KARUNA e.V. auch schon mal die kontroversen Diskussionen. Das klingt ja alles nach sehr viel Struktur, die Otto Normalverbraucher Straßenkindern wohl kaum zutrauen, sondern eher sagen, das ist eh alles nur chaotisch und anarchisch … Na ja, manchmal fliegen bei uns auch die Fetzen. Wir müssen bei den Arbeitstreffen sehr darauf achten, dass wir uns an die Rednerliste halten, sonst würden wir wahrscheinlich allein zwei Tage lang über Wortschöpfungen aus den Fachhochschulen der 80er-Jahre wie ‚professionelle Distanz zu den Klient_innen‘ diskutieren. Seit dem Auswertungstreffen des Bundeskongresses im November 2014 ist das ein immer wiederkehrendes, großes Thema bei uns. Ihr habt im Jahr 2014 zum ersten Mal einen Bundeskongress der Straßenkinder durchgeführt. Wie kamt Ihr dazu und hat er Deinen Vorstellungen entsprochen? Meine Vorstellungen hat er wirklich übertroffen. Ich war eher ein wenig pessimistisch eingestellt. Ich dachte, ich wäre froh, wenn

70 Leute kommen. Es wurden 130 Leute! Die Initialzündung war, dass KARUNA e.V. genauso wie „Fixpunkt e.V.“, „Raum 58“ in Essen, die „Treberhilfe“ in Dresden usw. im bundesweiten „Bündnis für Straßenkinder in Deutschland“ sitzt und dass dort die Frage gestellt wurde: „Wir reden immer von Partizipation und Mitbestimmung der Jugendlichen, aber wo sind denn unsere Jugendlichen aus den Einrichtungen?“ Da hatte Jörg dann auf einem Bundestreffen in Jamlitz die Idee, das so zu organisieren, dass die Jugendlichen aus den Einrichtungen mit dorthin kommen. Das war der Ausgangspunkt für den ersten Bundeskongress. Sophia, Du warst dabei beim Besuch bei Manuela Schwesig. Wie war Dein Eindruck, nimmt sie Eure Anliegen ernst oder ist das eher so eine Art geheucheltes Politikerinteresse? Sophia: Ich selbst war und bin immer noch gegen Rechtsextremismus aktiv. Deshalb bin ich Politikern gegenüber immer etwas skeptisch. Ich denke aber, dass die Ministerin unsere Anliegen ernst nimmt. Ob sie sich allerdings ganz persönlich damit auseinandersetzen wird oder jemanden aus ihrem Ministerium beauftragt, ist eine ganz andere Frage. Mir wäre es schon lieb, wenn sie jemanden ganz speziell beauftragen 12

würde, sich mit dem Thema ›Straßenkinder in Deutschland‹ zu befassen. Eine Art Straßenkinderbeauftragter wäre nicht schlecht, das werden wir auf dem nächsten Bundeskongress vorschlagen. Demnächst soll der „Bürgerdialog“ aus dem Bundeskanzleramt zu uns nach Jamlitz kommen. Da bin ich wirklich misstrauisch, weil hier in Berlin ist dieser „Bürgerdialog“ ja eher ein Flop. Wenn da wirklich hochrangige Politiker zu uns kommen sollten, dann werde ich ganz offen aussprechen, was für mich zu einem schönen Leben gehört. Mir geht es dabei nicht um Geld. Klar, machen Geld und eine eigene Wohnung vieles leichter. Aber für mich ist das Leben schön, ich lebe in einem Land, das sich nicht im Krieg befindet oder von Krieg bedroht ist. Ich habe eine Krankenversicherung. Wenn irgendwas ist, kann ich jederzeit zum Arzt gehen und weiß, dass ich auch behandelt werde. Es gibt viele obdachlose Menschen, die können das nicht, weil sie vollkommen außerhalb des Systems leben. Das finde ich erschreckend. Ich habe einen guten Kontakt zu meiner Familie, ich muss keinen Hunger leiden. Ich würde Geld für meinen Lebensunterhalt bekommen. Mein Leben ist durchaus schön. Habt Ihr die Möglichkeit zu prüfen, ob Eure Forderungen umgesetzt werden? Könnt Ihr Druck machen, Kritik anbringen?


Na ja, Frau Schwesig wollte länderspezifische Forderungen in so genannte Regionalkonferenzen geben. In NRW z.B. geht es um die Frage: Warum werden Jugendliche, die ihren Lebensmittelpunkt auf der Straße haben, regelmäßig wegen Schwarzfahrens in die Justizvollzugsanstalten gesteckt? Warum muss man das dort so regeln und kann das nicht so machen wie wir hier in Berlin über das Programm ‚Arbeit statt Strafe‘? Das gibt’s hier seit zwei Jahren, dass Straßenkinder wegen Schwarzfahrens nicht mehr so einfach in den Knast gesperrt werden. Na und bei unseren wichtigsten Forderungen wie mehr geschultes Personal bei Behörden wie Polizei, Jobcentern und Jugendämtern, da werden wir genau hingucken und nachfragen. Genauso bei der Erleichterung des Zugangs zu Bildung für Straßenkinder, die Jahre in der Schule verpasst haben. Oder aber bei der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen. Und natürlich, dass die Medien ein realistisches Bild von Straßenkindern zeichnen, statt sie in dubiosen TV-Formaten wie „Die Ausreißer“ auf RTL nur negativ darzustellen. Die Medien müssen Straßenkinder mehr persönlich zu Wort kommen lassen und nicht

einfach nur über sie berichten. Das wollen und müssen wir einfordern. Druck machen wir ganz sicher durch den zweiten Bundeskongress im September 2015. Was bedeutet Politik und Mitreden für Dich persönlich? Sophia: Von politischen Parteien halte ich nichts, gleich jedweder Couleur. Ich bin aber immer mit dabei, wenn es darum geht, Proteste gegen Rechtsextreme zu organisieren. Ich bin auch beim Mietenvolksentscheid dabei. Ich finde es ganz wichtig, sich einzumischen, und auch seine staatsbürgerlichen Rechte einzufordern. Ich bin nicht politikverdrossen, politikerverdrossen schon eher. Wenn man uns Straßenkinder irgendwie vereinnahmen will, dagegen wehre ich mich. Neulich hat PEGIDA das versucht nach dem rechtspopulistischen Motto ›Für Asylbewerber ist Geld da, aber nicht für die eigenen Kinder, die auf der Straße leben‹. Da haben wir mit einer eigenen Videobotschaft drauf reagiert und haben denen klar gesagt, dass wir das ablehnen und für uns selbst sprechen. Wir sind solidarisch mit allen Flüchtlingen und würden unser letztes Hemd mit ihnen teilen.

Du bist ja nun schon ein paar Tage dabei in der StäV, bleibt es spannend oder wird es irgendwann langweilig, zu sehr an den bestehenden politischen Verhältnissen orientiert … Nein, dazu sind wir alle viel zu unterschiedlich. Wir entscheiden auch in einer Art demokratischem Konsens in der StäV, aber wir sagen auch schon mal, ich finde das nicht gerade gut, aber macht das mal, wenn die Mehrheit dafür ist. Wie geht’s mit Dir persönlich weiter, was möchtest Du in Deinem Leben erreichen, wovon träumst Du privat und beruflich? Ich träume davon, wieder nach Berlin zu kommen und wieder hier Fuß zu fassen. Ich möchte meine Therapien anfangen. Schritt für Schritt wieder ins Schulsystem rein. Abitur oder Fachabitur machen. Und dann Sozialpädagogik oder Sozialarbeit studieren. Und dann als Straßensozialarbeiterin und im queeren Bereich arbeiten, weil wir da in unserer Gesellschaft einen riesigen Nachholbedarf haben. Ein Interview von Andreas Düllick

Fotos: Babette Brühl

Performance auf der Eröffnungspressekonferenz des 1. Bundeskongresses der Straßenkinder 2014

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für Straßenkinder in Deutschland

Wie alles begann: Straßenkinder im Berlin der 90er-Jahre

Im Fokus: Straßenjugendliche in Deutschland Ein Bündnis für Straßenkinder in Deutschland – von Jörg Richert Es war der Autor Uwe Britten, der zusammen mit terre des hommes Deutschland dazu beitrug, dass im Jahr 2008 von mehr als 20 Hilfsprojekten bundesweit ein Bündnis für Straßenkinder in Deutschland geschlossen wurde. In der Recherche zu dem Buch „Abgehauen“ von Uwe Britten, das nach dem Erscheinen des Romans eines Straßenkindes in Deutschland bis heute an Aktualität nichts verloren hat, lernten wir uns kennen, Uwe Britten und ich. Das ist nun 25 Jahre her und so lange gibt es sie, als wahrzunehmende größere Gruppe von Mädchen und Jungen, die oft auch als Minderjährige von zu Hause fliehen und nicht den Weg in das Jugendhilfesystem finden (wollen). Sie „bevorzugen“, so scheint es, eher auf der Straße zu leben als in einer Jugendhilfe-WG. Seit dieses Phänomen zu beobachten ist, streitet sich die Fachwelt darum, ob man mit dem Begriff der Straßenkinder arbeiten darf und um wie viele Jugendliche es sich handelt, die weggelaufen sind und Ihre Existenz auf der Straße zu sichern versuchen.

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lles begann in den frühen neunziger Jahren und spielte sich augenscheinlich und sehr konzentriert in den ostdeutschen Ländern ab, die nach dem Beitritt eine erhebliche Anzahl von unsanierten leer stehenden Häusern und Wohnungen als neuen Lebensort für junge Menschen unfreiwillig zur Verfügung stellten. Das zog junge Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet an, die eher andere Formen des Zusammen­ lebens ausprobieren wollten. Diese Refugien wurden sehr schnell zu Anlaufstellen auch von minderjährigen Jugendlichen ab 12 Jahren, die gute Gründe hatten, von den Eltern zu fliehen um hier Schutz zu finden. In den Ostberliner Stadtteilen z.B. rund um die Pfarr­straße in Lichtenberg oder in der Mainzer Straße in Friedrichs­hain waren es z.B. mehrere hundert sehr junge Menschen aus allen Teilen der alten und neuen Bundesrepublik, die hier unterkamen. Wer minderjährig war, gefährdete aber auch die Besetzerszene und die Duldungen der Besetzungen, weil die Polizei nun einen guten Grund hatte, die Häuser unangemel14

det aufzusuchen, wenn man ein offiziell vermisstes Kind in einem solchen Haus vermutete. So kam man sich schnell näher und konnte kooperieren. Die bis dahin außen vorstehende Sozialarbeit mit der Hausbesetzerszene begann. Es entstanden Ostberliner Hilfeprojekte, wie die Erstanlaufstelle „Die Bleibe“, das Café DRUGSTOP oder das Projekt „Bio de Janeiro“, ein kleiner Naturkostladen zur Berufsorientierung, die „Villa Störtebeker“ als Wohnprojekt fur minderjährige Jugendliche oder das „Klik“. Andere Städte und Träger zogen nach, so die Stadt Halle, mit dem Straßenkindercafé „Schirm“, die Treberhilfe in Dresden, Gera mit dem Streetwork Gera e. V. und seinen vielfältigen Initiativen. Off Road Kids gründete in Süddeutschland ein Wohnprojekt fern von der Besetzerszene und setzte Streetworkerinnen und Streetworker in verschiedenen Bundesländern ein. Sehr tradierte Strukturen und Hilfeeinrichtungen, wie die Notschlafstellen „Schlupfwinkel“ in Stuttgart, „Schlaf am Zug“ in Bochum oder diverse Hilfeprojekte von Basis und Woge e. V. in Hamburg


abhaute, suchte sich leer stehende Wohnungen. Tagsüber versammelten sich die Straßenkinder zum Beispel auf dem Alexanderplatz. Mitunter standen 60 bis 80 Hilfesuchende an den Bussen der KUB, von KARUNA, am Arztmobil der Caritas u.a. Die aufsuchende Straßensozialarbeit wurde nun zum wichtigen Instrument der Helferinnen und Helfer. Diese Bil­der finden sich noch heute wieder, wenn zum Beispiel der Strassenkinder e.V. mit seinem Mobil am Fernsehturm halt macht.

Im Grunde konnte von einer großen Selbsthilfeinitiative gesprochen werden ... Heute ist die Vereinzelung dieser Jugendlichen eine der größten Herausforderungen. Allein, ohne Peergroup, selbstverletzend, psychisch erkrankt, betteln sie im Stadtbild, in den öffentlichen Verkehrsmitteln nach Geld oder verkaufen Obdachlosenmagazine, um sich über Wasser zu halten. Uwe Britten, der in den neunziger Jahren als Autor auch eine Zeit mit Straßenkindern verbrachte, um so authentisch wie nur möglich das Leben von Weglaufkindern in seinem Roman zu beschreiben, wurde nun 15 Jahre später von terre des hommes beauftragt, verlässliche Zahlen von weggelau­fenen Kindern und Jugendlichen in Deutschland zu

erfassen. Nachdem klar war, dass sich die Gruppe von Straßenkindern nicht wegdiskutieren lassen konnte. Dazu wurden die Betreu­ungs- und Kontaktzahlen von 26 Hilfeeinrichtungen für Straßenkinder aus dem Ruhrgebiet, aus Dresden, Berlin, Hamburg und anderen Orten ausgewertet. Im Zuge dieser quantitativen Bestandsaufnahme lag es auf der Hand, mit den wichtigsten Trägern der Sozialen Arbeit für Straßenkinder zusammenzu­kommen um sich überregional auszutauschen und darüber zu diskutieren, wie man Straßenkindern am besten helfen kann. Von da an war es nur noch ein kleiner Schritt bis zur Gründung des Bündnisses für Straßenkinder in Deutschland e.V. Verbunden mit den Pionieren von damals agiert das Bündnis seither, um sich deutlicher für diese 20.000 Jugendlichen einzusetzen, die aus der Zählung hervorgingen. Diese 20.000 zumeist wohnungslosen Kinder und Jugendlichen leben, für die kommunalen Strukturen der jeweils verantwortlichen Jugendämter schwer erreichbar, in den Großstädten Deutschlands. Sie suchen die Anonymität der Großstadt, weil sie sich vor dem Elternhaus verstecken. In den ersten Jahren ging es neben der Öffentlichkeitsarbeit um einen fachlichen Austausch unter den Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern innerhalb dieses Bündnisses. Das war ein sehr wichtiger Prozess, getragen von einer Art Solidarität unter den

Fotos: Daniel Rosenthal

in den alten Ländern machten im Laufe der Jahre und auch schon vorher ebenfalls diese Gruppe von Mädchen und Jungen aus, denn Weglaufkinder gab es selbstverständlich auch schon vor der Wiedervereini­gung beider deutscher Staaten. Nun aber schienen die Möglichkeiten, in der Besetzer­szene ein Zuhause zu finden, diese Gruppe von vernachlässigten Kindern und Jugendlichen zu motivieren, um dem Martyrium des Elternhauses, dem schweren Leiden unter den Eltern viel eher zu entkommen. Im Grunde konnte von einer großen Selbsthilfeinitiative gesprochen werden, die so unkoordiniert, unabgesprochen und lokal entstand. Die staatliche Jugendhilfe und die freien Träger hatten zu tun, um angemessen und schnell zu reagieren. Im Zuge der neuen Lebensumstände gab es eine Reihe von Problemen zu bewältigen: Epidemieartig brachen Schleppe und Krätze aus. Viele hatten Läuse und konsumierten täglich Alkohol und ille­gale Drogen. In Berlin starben die ersten Minderjährigen an Heroin. Erste besetzte Häuser wurden geräumt. Die Sozial­ arbeit fand sich in den Verhandlungen um Legalisierung und Sanierung der Häuser wieder. Die Sozialarbeit wurde Träger von Modernisierungsvorhaben. Erste Wohnprojekte entstan­den. Langsam kam es zur nachhaltigen Verbesserung der Lebensumstände aller hier lebenden Jugendlichen. Wer nun

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für Straßenkinder in Deutschland Einrichtungen und Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeitern. Wer hatte bislang so interessiert zugehört, nachgefragt und mit einem diskutiert, als jemand, der auch mit diesen Jugendlichen zu tun hatte? Im Grunde wirkten die ersten Bündnistreffen wie ein Pflaster für die Seele der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter. Die Unermüdlichkeit der Helferinnen und Helfer fand und findet kaum gesellschaftliche Anerkennung, wird so wenig wahrgenommen wie die Jugend­ lichen selbst, obwohl sie seit über 25 Jahren augenscheinlich anzutreffen sind. Ihr Lebensmittelpunkt ist die Straße, sind die Plätze vor Einkaufszentren, sind Bahnhöfe, sind aber auch oft­ mals versteckte leer stehende Wohnungen, Notschlafstellen und zwanghafte Beziehungen, die über das Couch·Hopping entstehen, ist die Drogenszene, sind Krankenhäuser und die Kinder- und Jugendpsychiatrie, die sie – als „DrehtürpatientenInnen“ hospitalisiert – immer wieder aufsuchen. Straßenkinder sind im Hilfesystem eine stark vernach­ lässigte Gruppe. Sie verharren im Bereich der Nothilfe. Sofern sie überhaupt im System der Jugendhilfe ankommen, scheitern sie hier regelhaft an den schlechten Strukturen zwischen der Nothilfe und den z.B. stationären Therapieeinrichtungen. Entweder sie verweilen in der Unterforderung, so in den Notunterkünften, mitunter über Jahre, oder sie scheitern an sehr anspruchsvollen stationären Hilfen, weil ihre Apassungsfähigkeit noch nicht ausgebildet ist. In der Überforderung werden sie aus den betreuten Wohnformen zumeist aus disziplinari­ schen Gründen entlassen und wieder auf die Straße gesetzt. Neuer Anlauf, neues GIück? Es folgen dann immer wieder neue Hilfekonferenzen und neue stationäre Einrichtungen in denen die Jugendlichen regelhaft scheitern. Ohne wichtige Lernerfahrungen ausgestattet, möglicherweise posttraumatisch belastet, bleibt diesen Jugendlichen nur der Kampf oder die Flucht. Sie verletzen sich selbst oder werden gegenüber anderen Jugendlichen oder den Sozialpadagoginnen und Sozialpädagogen gewalttätig. Schlimmstenfalls, eher unsystematisch, demnach zufällig, kommt es zu einer „geschlossenen Unterbringung“*. Selbstverständlich gut gemeint, zur Gefahrenabwehr bei Fremd- oder Selbstgefährdung. Diese kurze Zustandsbeschreibung, die für viele dieser Mädchen und Jungen zutrifft, die aus sehr schwierigen Familien kommen,

geprägt von der Alkoholabhängigkeit der Eltern, von innerfamiliärem Missbrauch und Gewalt, konnte als Resultat des Meinungsaustauschs der Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen innerhalb des Bündnisses für Straßenkinder e.V. formuliert worden sein. Eine tiefergehende Zustandsbeschreibung ist auch vom Bündnis für Straßenkinder versucht worden. Viele der 26 Hilfeeinrichtungen für Straßenkinder im Bündnis für Straßenkinder haben sich an einer gemeinsamen Analyse versucht. Lokale Daten wur-

den mit einer überregionalen Betrachtungs­ perspektive zusammengetragen. Doch schließlch fehlte es an personellen Ressourcen, um daraus eine umfassende Berichterstattung aufzustellen. An dieser Stelle stockte die Entwick­lung des Bündnisses. Fragen nach dem Selbstverständnis wurden gestellt. Wem nutzt eine Zustandsbeschreibung, wenn wir vor Ort in Dreden, Bochum, Berlin, Hamburg oder Essen wieder auf uns zurückfallen, ohne dass in Aussicht steht, dass sich etwas im Grundsatz ändert? An dieser Stelle kam wieder Uwe Britten ins Spiel, der als Autor und Nichtpädagoge fragte, ob es nicht sein könnte, dass wir, die Einrichtungen des Bündnisses, diese Jugendlichen nicht systematisch unterfordern – und sie so in ihrem Status des „Ausgegrenztseins“ verweilen würden. Hat sich hier nicht ein sich selbst die Referenz erweisen­des System etabliert? Der Ball wurde von KARUNA e.V. als Mitgliedsorganisation des Bündnisses aufgenommen, indem nun die Straßenkin­der selbst zusammengerufen wurden um sich in

der damals gerade von KARUNA gegründeten Akademie für Mitbestim­mung für Straßenkinder zu versammeln. Mit den Thesen der Effekte einer beschleunigten Gesell­ schaft des Soziologieprofessors Hartmut Rosa aus der Friedrich-Schiller-Universität Jena, der die Gesellschaft in Entschleuniger, Beschleuniger und Verlierer gliedert, haben 25 Jugendliche von der Straße drei Tage lang nachgedacht, zu welcher Gruppe sie sich zugehörig fühlen und zu welcher sie aufschließen möchten in ihrem Leben. Solche und ähnliche Formate werden hier in der Akademie für Mitbestimmung in Brandenburg aufgerufen. Jährlich treffen sich über 230 Stra­ ßenkinder aus allen Teilen der Bundesrepublik um über Betei­ ligungsformen zu diskutieren, um zu philosophieren, um sich zu erholen. Sie machen hier das, was Rosa in Jena interdiszipli­när erforscht. Sie machen Resonanzerfahrungen. Das Resultat war verwirrend und machte uns am dritten Tag ratlos. Wir sind Verlierer, die wir nicht mehr sein wollen, aber wollen auch keine Beschleuniger (Banker, Börsianer ... ) sein, wie wir aber auch keine Entschleuniger (Vertreter von Attac, Greenpeace, Compact ... ) werden möchten.“ Ein erlösender Zwischenruf in der Stille der Ratloslgigkeit durch einen Jugendlichen: „Nun ja, wir sind ja nun nicht alle, sind nur 25 von 20.000. Wir müssten mal ein paar mehr zusammenholen!“ – wurde zur Geburtsstunde der 1. Bundes­konferenz der Straßenkinder 2014 in Berlin. Diese außerordentliche Konferenz des Bündnisses für Straßenkinder in Deutschland mit mehr als 120 Jugendlichen von der Straße, aus Erstanlaufstellen und Notunterkünften war außerordentlich erfolgreich und hat einen ganzen Ideen-­und Forderungskatalog erarbeitet, der dann von einer Dele­ gation von Straßenjugendlichen an Bundesjugendministerin Manuela Schwesig persönlich übergeben wurde. Dieser Moment wurde genutzt, um vor laufenden Kameras zwei Stunden lang mit der Ministerin zu sprechen. In der Folge wurde u. a. eine Arbeitsgruppe von Straßenkindern unter Teil­ nahme einer Ministeriumsmitarbeiterin ins Leben gerufen. Die 25 jugendlichen Gäste der Akademie für Mitbestimmung von damals stellen nun die ,,Ständige Vertretung der Straßenkinder in Deutschland“. Es soll ein eigenes Büro in Berlin aufgebaut werden und versicherungspflichtige Anstel­ lungen für Jugendliche sollen entstehen.

*Persönliche Anmerkung des Autors: Ich habe noch keine Jugendliche bzw. keinen Jugendlichen getroffen, der im Nachgang seiner Erfahrungen in einem „geschlossenen Heim“ einschätzen konnte, dass diese Form der zwanghaften Unterbringung von Nutzen gewesen wäre. Jahrzehnte später zahlen wir dann den Opfern Geld, wenn sie nachweisen können, dass sie in diesen Heimen möglicherweise neben der systematischen Gewalt auch körperliche und psychische Gewalt erfahren haben ...

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Foto: Babette Brühl

Um den Faden und den Schwung des Aufbruchs nicht zu verlieren, fand am 25. und 26. September 2015, unter der Schirmherrschaft von Bundesjugendministerin Manuela Schwesig und des Präsidenten der Bundeszentrale für politi­sche Bildung, Thomas Krüger, die 2. Konferenz der Straßenkinder statt. Diesmal begrüßten der Veranstalter KARUNA und das Bündnis für Straßenkinder 200 Straßenkinder, darunter auch aus Vietnam, wie auch 40 Flüchtlingskinder und 80 Beob­achterinnen und Beobachter aus der Zivilgesellschaft. Die Konferenzen der Straßenkinder dienen dem Ziel, sich als Gruppe sichtbar zu machen. Empathie auszulösen, Ver­ständnis und Respekt zu erzeugen. Das scheint sehr nötig zu sein, wie sich auf der 1. Konferenz herausstellte. Hier wurde resümiert: „Wir wehren uns gegen Willkür von Behörden, Dis­kriminierung und Stigmatisierung durch Polizei und Passanten auf der Straße.“ (...) Es ist an der Zeit, sich erfolgreichere Settings und Haltungen anzusehen, um die

Das in Dänemark strukturell verankerte Housing-First-Programm ist wesentlich erfolgreicher. Wohnungslosigkeit unter dieser Gruppe von Jugendlichen nicht weiter ansteigen zu lassen. Das in Dänemark strukturell verankerte Housing-First-Programm ist wesentlich erfolgreicher. Es verfolgt die Ziele der Inklusion durch eine bedingungslose Grundversorgung mit Wohnraum und einer freiwilligen Hinzunahme von Hilfe durch die jugend­ lichen Wohnungslosen selbst. Folgt man diesem Gedanken weitestgehend, kommt man nicht umhin auch die Organi­ sationsformen der Sozialarbeit zu hinterfragen. Fördern die Jugendhilfeträger wirklich demokratische Mitbestimmung, Partizipation? Die Schlussfolgerung für den KARUNA e.V. als Mitglied des Bündnisses der Straßenkinder wird sein, sich zu verge­sellschaften und KARUNA in eine solidarische Sozialgenossen­ schaft zu wandeln, damit die Jugendlichen der Straße künftig als Eigentümerinnen und Eigentümer mitbestimmen können und die Möglichkeit haben, in einer lnklusionsgemeinschaft zu verweilen, in der sie ihre Lebenserfahrungen auch anderen langfristig gewinnbringend zur Verfügung stellen können. Es wird der Versuch sein, dass man den Hilfekontext verlassen kann, ohne gleichzeitig die Gemeinschaft verlassen zu müs­sen, die ja oft auch die Familie „ersetzt“. So weit kann es kommen, wenn Straßenkinder Einfluss bekommen ;-). (...)

Jörg Richert (r.) auf dem 1. Bundeskongress der Straßenkinder 2014

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Jugendliche am Übergang ins Erwachsenenalter und Herausforderungen für Jugendhilfestrukturen Auszüge aus einer Studie des Deutschen Jugendinstituts im Auftrag der Vodafone Stiftung

Entkoppelt vom System „Entkoppelte Jugendliche“ meint junge Menschen zwischen 15 und 27 Jahren, die aus sämtlichen institutionellen Kontexten herausgefallen sind, sich also weder in Schule, Ausbildung oder Erwerbsarbeit befinden, noch kontinuierlich SGB II-Leistungen in Anspruch nehmen. Übergangsprozesse im Jugend- und jungen Erwachsenenalter sind mit einer Reihe von Anforderungen an junge Menschen verbunden. Es ist ein wichtiger Lebensabschnitt, in dem sie Bildungsentscheidungen treffen müssen, stabile Peer- und Partnerbeziehungen entstehen, die Ablösung vom Elternhaus sowie der Aufbau eines eigenen Haushalts realisiert werden sollen. Solche Übergangsprozesse sind in den letzten Jahrzehnten insgesamt brüchiger geworden und gestalten sich oftmals langwieriger. Auf der anderen Seite existiert jedoch auch eine Gruppe von Jugendlichen, die an diesen Übergangsanforderungen scheitert. Diese Gruppe droht zum einen, aus institutionellen Bezügen wie Schule oder Ausbildung, zum anderen aber auch aus sozialen Netzwerken und Hilfeeinrichtungen herauszufallen (...). Solche „entkoppelten“ jungen Menschen laufen Gefahr, temporär oder gar dauerhaft sozial exkludiert zu sein. Neben der institutionellen Entkopplung treten weitere Faktoren hinzu, (...) wie beispielsweise gesundheitliche Beeinträchtigungen, Teenager-Schwangerschaften, Drogenkonsum oder Gewalterfahrungen. Auch lassen sich vielfach schwierige Beziehungen zur Herkunftsfamilie beobachten. Es können verschiedene Ein-

„Ich bin mit 14 Jahren von zu Hause weg, mein Vater hat mich damals sexuell belästigt, ich hatte auch sehr starke Depressionen gehabt, wurde geschlagen, ich wurde regelrecht verprügelt. Bis ich mir irgendwann in der Schule von meiner Sozialarbeiterin Hilfe geholt hab (…) Da hat sie eben dem Jugendamt Bescheid gesagt; die haben mich dann von zu Hause weggenommen, bin dann ins Heim gekommen (…) Da gab’s Gerichtstermine, und meine Eltern haben das Sorgerecht erst mal entzogen bekommen (…) Diese ganze Zeit vom 14 bis zu meinem 18. Lebensjahr, das war für mich einfach die Hölle.“

„Ich hab schon so viel Scheiße mit dem Jugendamt hinter mir, dass ich eigentlich gar keinen Bock hab, mit denen weiterzuarbeiten. Weil die mich so was jedes Mal aufs Neue einfach nur enttäuscht haben (…) Ich hab keine Lust mehr! Irgendwann hat’s mir auch gereicht. Wie gesagt, mir wurde so oft nicht zugehört, was ich schon alles mit dem Jugendamt durchgemacht habe, also wirklich. Das ist auch anstrengend, das geht einfach nur noch alles auf die Psyche.“

flussfaktoren für Entkopplungsentwicklungen identifiziert werden, wenn junge Menschen aufgrund ihrer sozialen Herkunft schon sehr frühzeitig in ihrer Biografie negative Erfahrungen gemacht haben. Dazu zählen zum Beispiel Heimunterbringungen oder gar ein Leben auf der Straße. Auch das Aufwachsen in benachteiligten Stadtquartieren kann Entkopplungsentwicklungen befördern. Einige der betroffenen jungen Menschen haben also schon frühzeitig Benachteiligungen erfahren, für andere haben lebensgeschichtlich spätere Ereignisse (z.B. fehlende Bildungsabschlüsse) zu Ausgrenzungen geführt. Gesellschaftliche Ursachen für Entkopplungsphänomene liegen vor allem in fehlenden Zugängen zu (materiellen wie immateriellen) Ressourcen. Dazu zählt ökonomisches Kapital genauso wie familiärer Rückhalt. Häufig zeigt sich ein Ursache-Wirkungs-Zusammenhang – materielle Armut erzeugt Bildungsarmut, Bildungsarmut erzeugt materielle Armut (...). Armut hat schwerwiegende Folgen für Kinder und Jugendliche: Arbeitslosigkeit, Überschuldung, Drogen-/Alkoholprobleme, biographische Brüche, psychische Beeinträchtigungen, Flucht aus Elternhäusern und Pflegefamilien, von Großeltern und aus Heimen. Für die Jugendlichen drückt sich Armut auch in der Gefahr sozialer Ausgrenzung und im Fehlen von Entwicklungs- und Verwirklichungschancen aus, d.h. in der Unmöglichkeit, vorhandene Fähigkeiten entwickeln und nutzen zu können. Entkopplung und soziale Exklusion weisen stets einen Prozesscharakter auf und sind damit bestimmten Entwicklungen unterwor-

Alle Grafiken aus: Entkoppelt vom System – Studie des DJI

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des Deutschen Jugendinstituts

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fen. So sind sie keine notwendigen biografischen Endstationen, sondern es können Umkehrprozesse (...), also Wiedereingliederung und soziale Inklusion stattfinden. Eine Reihe von Hilfeeinrichtungen und sozialpädagogischen Begleitangeboten setzt im Jugendalter an, um das beschriebene Herausfallen aus institutionellen Bezügen zu verhindern und Entwicklungs-

„Wenn das mit der Schule klappt und ich auch sehe, dass ich schon alles selber kann und eigentlich auch groß keine Hilfe mehr brauche, dann wünsche ich mir auf jeden Fall auch eine eigene Wohnung. Wo ich dann auch für mich bin.“

prozesse im Jugendalter zu unterstützen. Nicht selten jedoch brechen solche Unterstützungsprozesse genau am Übergang in das junge Erwachsenenalter oder in die Volljährigkeit ab, zum einen weil entsprechende Angebote nicht (ausreichend) vorgehalten werden, zum anderen weil die betroffenen Jugendlichen sich allein Zugang zu derartigen Angeboten verschaffen müssen.

(Einige) Handlungsempfehlungen des Deutschen Jugendinstituts auf der Ebene der Angebotsstrukturen •

Jugendhilfeträger müssen durch Unterstützung der vor Ort zuständigen Kompetenzinstanzen in die Lage versetzt werden, einen unverzüglichen Zugang zu Wohnraum zu schaffen, z. B. durch Ausbau des Sozialwohnbaukontingentes, ggf. auch durch Zuschüsse vom Land oder Bund, so dass damit verbindliche Kontingente für Jugendliche bei Neu- und Bestandsbauten gewährleistet werden könnten. Auch

die Finanzierung der Begleitung in den eigenen Wohnraum ist abzusichern. •

Schaffung von bezahlten, kurzfristig bereitgestellten und gleichwohl wertschätzenden Tätigkeitsgelegenheiten, z. B. in Form von niedrigschwelligen Angeboten für Geringqualifizierte – ergänzend zu weiterhin bestehenden (Re-)Integrationsangeboten.

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Insgesamt müssen Möglichkeiten erschlossen werden, erfolgreiche Ansätze bzw. Projekte verstetigen zu können; eine notwendige Kontinuität, die den Bedürfnissen von „entkoppelten Jugendlichen“ nach stabilen Bezugspersonen Rechnung trägt, kann nur durch regelfinanzierte Angebote abgesichert werden.


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Flüchtlingskinder

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rage: Herr Richert, KARUNA betreut minderjährige Obdachlose und minderjährige unbegleitete Flüchtlinge. Gibt es da nicht eine Konkurrenz, etwa um stets knappe Fördergelder? Jörg Richert: (lacht) Vor ein paar Monaten bekamen wir einen Anruf aus dem Drogenreferat, dass uns 2016 25.000 Euro für die Arbeit mit drogenabhängigen obdachlosen Jugendlichen gestrichen werden. Die Begründung: die steigenden Kosten für die Flüchtlingsarbeit. Nun kam ein Anruf von der gleichen Senatsverwaltung, dass wir für die Arbeit mit Flüchtlingskindern in derselben Einrichtung Mehrbedarf anmelden sollen. Wenn das so läuft, macht uns das zwar ein bisschen Arbeit, ist aber eigentlich egal. Und vielleicht gibt es durch die Flüchtlinge am Ende insgesamt sogar etwas mehr Geld, wer weiß das schon? Sie bauen die Unterkunft von KARUNA demnächst um, um weitere Flüchtlinge aufzunehmen. Finanziert das das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso), das für die Flüchtlingsunterbringung zuständig ist? Nein. Dafür bekommen wir Geld von einer Stiftung. Wir hoffen auch auf Geld von privaten Förderern. Die Hälfte der Kosten ist noch nicht gedeckt. Aber wir kommen schon klar. Die Konkurrenzsituation zwischen Flüchtlingen und Obdachlosen ist erheblich stärker im Bereich der Erwachsenen. Da reichen die Notübernachtungsplätze im Winter ja schon für die einheimischen Wohnungslosen nicht. Deshalb kommt es angesichts der großen und ja auch erfreulichen Solidaritätswelle mit Flüchtlingen schon dazu, dass sich manche, die mit Obdachlosen arbeiten, fragen, wo denn die Solidarität für diese bleibt. Warum betreuen Sie hier beide Gruppen? Eigentlich haben unsere Jugendlichen selber mich auf die Idee gebracht. Viele Straßenkinder verorten sich ja in einem linken politischen Lager. Aber irgendwann begannen auch die sich zu fragen, ob die Versorgung der Flüchtlinge zu ihren Lasten gehen würde. Und sie haben gesehen, dass viele Flüchtlingskinder vorankommen, etwa in Sachen Schule, während sie auf der Straße hängen bleiben. Warum ist das so? Fragt man die obdachlosen Jugendlichen selber, suchen sie oft die Schuld bei sich selbst. Sie kriegen halt nichts auf die Reihe, verpassen Termine … Und die Flüchtlingskinder und -jugendlichen, die sind zielstrebiger?

Sie können auf ihre Eltern zurückgreifen. Die sind doch gar nicht hier! Nein. Aber sie waren da. Die Straßenkinder hier haben die Erfahrung gemacht, dass sie von ihren Eltern geschlagen, missbraucht, missachtet wurden. Aus der Tiefenpsychologie weiß man, dass das eine so starke seelische Verletzung ist, dass man darauf eigentlich nur mit Widerstand reagieren kann. Kinder, die so aufwachsen, lernen nicht, sich selbst zu äußern, haben Schwierigkeiten damit, Bindungen aufzubauen. Stattdessen verletzen sie sich selbst oder nehmen Drogen. Bei unserer Arbeit mit Straßenkindern und jugendlichen Flüchtlingen erleben wir, dass die Flüchtlinge oft wesentlich stabiler sind. Sie haben doch oft auch Schlimmes erlebt. Das stimmt. Aber ich rede von Erfahrungen der frühesten Kindheit, beginnend vor dem Spracherwerb. Flüchtlingskinder haben oft eine gute Bindung zu ihren Eltern, eine in diesem Sinne behütete Kindheit gehabt. Sie fliehen ja nicht vor ihren Familien, sondern vor Krieg oder Not. Sie haben, selbst wenn ihre Eltern tot sind, eine innere Stärke, einen Rückhalt, der aus diesen existenziellen Erfahrungen der elterlichen Liebe stammt. Natürlich sind auch unter den Flüchtlingen Kinder, die nicht behütet aufgewachsen sind, vielleicht geschlagen wurden. Ich rede von einem Muster, das für uns erkennbar wird. Wieso haben Sie bei KARUNA eigentlich überhaupt jugendliche Flüchtlinge aufgenommen? Es gab doch sicher keinen Leerstand in Ihrer Einrichtung? Die Kinder brauchen ja ein Zuhause. Wir haben sie aus humanitären Gründen aufgenommen. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge dürfen eigentlich nicht in Hostels untergebracht werden, sondern brauchen besondere Betreuung, Aufnahmeeinrichtungen mit einer speziellen Qualifikation. Wie kommen die beiden Gruppen hier bei Ihnen miteinander klar? 20

Es entstehen gute Synergien Der Verein KARUNA betreut minderjährige Obdachlose und minderjährige unbegleitete Flüchtlinge. Geschäftsführer Jörg Richert im Gespräch über Gemeinsamkeiten und Unterschiede – und die Konkurrenz um knappe Fördergelder


Es gibt Unterschiede, aber auch Anknüpfungspunkte. Und es formuiert sich unter den Jugendlichen beider Gruppen auch ein Bewusstsein dafür, es entstehen gute Synergien. Die Straßenkinder sehen es als Chance für sich, den Flüchtlingen zu helfen. Sie kennen sich hier aus und können nützlich sein. Und die Flüchtlinge können mit ihrer inneren Stabilität wiederum die

Straßenkinder stärken. Beide Gruppen können voneinander profitieren. Wir haben ja gerade erst angefangen, aber wir sehen da schon erste zarte Pflänzchen, beim Essen, beim gemeinsamen Sport oder auch im Umgang miteinander. Das verhindert auch Konkurrenzdenken. (aus „taz“, 30.10.2015)

Klein und allein

Ankunft, Unterkunft und Zukunft für minder­jährige, unbegleitete Flüchtlinge

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eit ein paar Tagen gibt es bei KARUNA Zukunft für Kinder und Jugendliche in Not e.V. ein neues Projekt: NEUKUNFT – ein Zuhause für minderjährige, unbe­gleitete Flüchtlinge in Berlin. Die ersten Jungen sind bereits angekommen. Sie haben in den letzten Jahren und Monaten den Krieg in ih­rer Heimat erlebt oder sind aus anderen Staa­ten vor Hunger und Armut geflohen und haben eine lebensgefährliche Reise nach Deutschland zurückgelegt. Jetzt haben sie endlich ein eigenes Zimmer und Menschen um sich herum, darunter Psycholog_innen und Sozialarbeiter_innen, die Tag und Nacht für sie da sind. Der Verein will nun seine Therapieeinrichtung für psychisch kranke Jugendliche erweitern und ausbauen. Andreas Düllick sprach für mit einem dem Geschäftsführer_innen von KARUNA, Jörg Richert. Wofür genau steht Euer Pro­jekt „Neukunft“? Jörg Richert: „Neukunft“ steht für Ankunft, Unterkunft, Zukunft Wir wollen jungen Men­schen, die zu uns kommen, die vor Gewalt und Krieg geflohen sind, ein Zuhause geben. Nach­dem sie zuerst in den Notunterkünften waren, wo ihr Alter festgestellt wurde und man weiß, wo sie herstammen, kommen sie dann zu uns und zwar langfristig, bis sie selbstständig sind und eine eigene Wohnung bekommen. Habt Ihr denn ausreichende Räumlichkeiten für so ein Projekt?

Im Haus Hausotterstraße wurden die ersten Flüchtlingskinder untergebracht

Leider haben wir keine ausreichenden Räum­lichkeiten. Deswegen haben wir über Nacht Geld besorgen müssen, um einen 21

Ausbau bei uns in der Hausotterstraße zu ermöglichen. Insgesamt sollen dort 20 Plätze für dieses Projekt entstehen, das sind vorwiegend Einzelzimmer, dazu gibt es eine Gemeinschaftsküche, so wie man sich das in einer schönen WG vorstellen kann. Woher kommt denn das Geld und reicht es? Wir brauchen tatsächlich eine Anschubfi­nanzierung. Leider werden entsprechende Inves­ titionsmittel für solche Unterbringungsprojekte nicht zur Verfügung gestellt – da sind wir übri­gens nicht die Einzigen in Berlin. Aber klar ist: Wir können jetzt nicht warten, wir waren schnell und sind ein hohes finanzielles Risiko eingegan­gen. Ohne eine Finanzierung in der Kasse zu ha­ben, haben wir losgelegt. Wir haben dann aber schnell von der „HIT Stiftung – Kinder brauchen Zukunft“ eine Spende von 30.000 Euro zur Ver­fügung gestellt bekommen. Wir haben einerseits ein ganz gutes Netz­ werk, andererseits muss man sich prinzipiell da­rüber Gedanken machen, woher die Investitions­kosten kommen und wo es passende Immobilien dafür gibt. Nehmen wir das FEZ, wo wir gerade unsere Konferenz der Straßenkinder und Flücht­lingskinder abhalten, hier stehen drei Häuser leer in bester Lage. Aber diese zu nutzen, dafür fehlt das Geld. Dann prüft man die Gebäude und sagt, das ist zu teuer. Da müssten dann besten­falls Stiftungen ins Boot kommen, um finanzielle Lücken zu schließen und die Nutzung passender, leer stehender Gebäude zu ermöglichen. Wir sind in großer Not, was Gebäude an­geht. Auch für die unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlinge. Da können wir nicht mit Turnhallen antworten. Zwei Drittel dieser Kinder und Ju­gendlichen sind traumatisiert! Und sie sind ohne Mutter und Vater! Also ohne Rückhalt, sie kön­nen die Sprache nicht. Deshalb brauchen wir für sie sehr viele geschützte Wohnmöglichkeiten. (aus strassen|feger, Interview: Andreas Düllick)


Der Hilfebedarf beginnt mit dem Clearingverfahren

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Flüchtlingskinder

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Minderjährige unbegleitete Flüchtlinge in Deutschland

edes Jahr kommen tausende minderjährige Flüchtlinge unbegleitet nach Deutschland, weil sie oder ihre Familien in ihren Herkunftsländern keine Perspektive oder ihr Leben, ihre körperliche Unversehrtheit oder ihre Freiheit konkret in Gefahr sehen. Oft sind die Flüchtlinge traumatisiert und brauchen besonderen Schutz. Die Lage dieser Kinder und Jugendlichen hat sich in den letzten Jahren in Deutschland – auch aufgrund europäischer Richtlinien – verbessert. Aber die jungen Flüchtlinge sind nach wie vor benachteiligt gegenüber anderen Kindern, die in Deutschland leben, und bekommen keine ausreichende Unterstützung. Den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen wird beispielsweise selten ein Ergänzungspfleger, wie etwa ein Rechtsanwalt, zur Seite gestellt, der sie professionell zum Aufenthaltsrecht und Asylverfahren beraten könnte. Das Kindeswohl muss oberste Priorität haben. Zu den wesentlichen Forderungen gehört daher, dass unbegleitete minderjährige Flüchtlinge schnell einen sicheren Aufenthaltsstatus erhalten, um nicht in Angst vor Abschiebung zu leben. Für ihr aufenthalts- und asylrechtliches Verfahren brauchen sie einen Ergänzungspfleger, der sie gut beraten kann. Flüchtlingskinder dürfen nicht in Abschiebungshaft genommen werden. Vielmehr benötigen sie Unterstützung, sie brauchen Schutz und Ruhe sowie gegebenenfalls psychotherapeutische Begleitung, um sich nach oft traumatischen Erfahrungen gut entwickeln zu können. Gemeinschaftsunterkünfte, die nicht den Standards der Kinder- und Jugendhilfe entsprechen, sind daher weder zur Inobhutnahme noch zur dauerhaften Unterbringung geeignet. 22


Fotos: Babette Br端hl

Ankunft Unterkunft Zukunft

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NEUKUNFT

Ein Zuhause f端r minderj辰hrige unbegleitete Fl端chtlinge in Berlin 23 Hausotterstr. 49 | 13409 Berlin | Tel.: 030 499188805 | Mobil:01710296789 | www.karunaberlin.de


Das Modelabel von Straßenkindern „PEOPLE ist eine Enklave, gibt Raum wie Möglichkeit für kreativen Austausch. Zusammen mit Straßenkindern arbeiten Designer und Kreative im Team an gemeinsamen Editionen, die sowohl Mode als auch Objekte umfassen, um den Ideen der Jugendlichen eine Stimme zu geben.“

Ein Modelabel von Straßenkindern

PEOPLE Berlin holt Kinder und Jugendliche ab, die sonst nur wenig Zugang zu Kultur hätten. Sie sind 13–27 Jahre alt, leben auf der Straße oder haben dort ihren Lebensmittelpunkt. Seit jüngster Schätzung des Deutschen Jugendinstituts (DJI 2015) leben bundesweit 21.000 Minderjährige weitestgehend entkoppelt vom System der staatlichen Jugendhilfe in den Großstädten. Sie haben Gewalt und Missbrauch in ihren Familien erfahren und sind zum Gehorsam erzogen worden. Viele Eltern dieser Kinder sind alkohol- und drogensüchtig oder psychisch erkrankt. Ihr Alltag ist geprägt durch Aufgaben der materiellen und psychischen Existenzsicherung. Dauerstress, Drogenkonsum, posttraumatische Belastungsstörungen und Wohnungslosigkeit verursachen körperliche und psychische Erkrankungen. Altersgerechte Aufgaben, wie der Besuch der Schule oder die Aufnahme einer Berufsausbildung werden vernachlässigt. Im Kampf um die Sicherung der Existenzgrundlage verlieren sie so den Anschluss an ihre Altersgruppe. PEOPLE Berlin hat eine sinnstiftende, eine persönlichkeitsfördernde Aufgabe innerhalb der Hilfeeinrichtung DRUGSTOP des KARUNA e.V. im Alltag dieser Jugendlichen etabliert. Der Besuch der Einrichtung rhythmisiert, gibt Sinn, fördert Beziehung und gibt Unterstützung bei Alltagsaufgaben. Der Aufenthalt wird genutzt, um mit Sozialarbeiter_innen, Casemanager_innen an der Schnittstelle Krankenhaus, Kinder- und Jugendpsychiatrie und Jugendamt ins Gespräch zu kommen. Für einige Jugendliche ist die Einrichtung DRUGSTOP, mit dem Label PEOPLE Berlin, der Mittelpunkt ihres Lebens. Hier suchen und finden sie menschliche Zuwendung, Schutz und Aufgaben.

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Das Modelabel von

In Begleitung von Designern wird an Editionen gearbeitet, die multidisziplinär das vielseitige Potenzial der Jugendlichen fordern wie fördern. Die materielle Erweiterung gibt den Jugendlichen mehr Raum sich einzubringen und macht die Arbeit mit den Jugendlichen am kompletten Entwicklungsprozess ganzheitlicher. Von der Erarbeitung des Themas, der konzeptionellen Umsetzung ins Design bis hin zur Präsentation und Vermarktung müssen die Jugendlichen Vertrauen wagen, sich verlassen auf die Erfahrung der Designer und die Jugendlichen im Team.

Vermittlung von Bildung mit der Sprache der Kunst, mit der Sprache der Mode

Straßenkindern

PEOPLE Berlin bietet in eigenen Werkstatträumen eine Vielzahl von kreativen, handwerklichen, künstlerischen und kognitiven Ausdrucksmöglichkeiten.

Ein langer Zeitraum der Entstehung erzwingt eine unbekannte Ausdauer und der hohe Mitwirkungsgrad schafft eine neue Wahrnehmung für die eigenen Stärken. Die eigene Erfahrungswelt verlassen, Aushalten und Überwinden, sich auf jemanden verlassen und am Ende erkennen, an etwas Komplexem Teilhabe gehabt zu haben, sind wesentliche Erfahrungen für die Jugendlichen. Die Professionalisierung von PEOPLE Berlin soll zu einer veränderten Außenwirkung beitragen, Aufmerksamkeit generieren für die Problematik entkoppelter Jugendlicher in Deutschland und den Jugendlichen eine Stimme im Design verleihen.

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Fotos: Tina Lippstreu, Jan Welchering, Sebastian Meyer

Das Projekt PEOPLE Berlin ist eine Einrichtung des KARUNA Zukunft für Kinder und Jugendliche International e. V. und wurde im Juni 2015 mit dem BKM Preis für kulturelle Bildung 2015 ausgezeichnet. www.peopledesign.de


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2. Konferenz der Straßenkinder und Flüchlingskinder

Wir sind geflohen

vor unseren Eltern, die wir auch lieben ..., vor der psychisch kranken Mutter, vor dem alkoholkranken Vater, vor den Umständen, vor Lieblosigkeit, vor Gewalt, vor Missbrauch?! Vor alldem oder vor auch nur einem dieser Gründe – und andere flüchten vor der Armut, vor Krieg und Verfolgung. Wir gemeinsam, die Flüchtlingskinder und die Straßenkinder suchen nach einem Zuhause, suchen nach Schutz und Geborgenheit, suchen Akzeptanz und Frieden.

Lucas hält die Eröffnungsansprache

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ennen Sie das, wenn man vor der eigenen Kindheit fliehen muss? Wenn man in der Nacht weint und Angst hat? Viele von uns, deren Lebensmittelpunkt heute die Straße ist, waren noch so klein, dass wir uns heute nicht erinnern können, dass wir von unseren Müttern und auch Vätern nicht geliebt wurden (vielleicht weil sie selbst nie geliebt wurden?). Dann kann es geschehen, dass man sich nicht fühlen kann, dass man keine Verbindung zu sich selbst hat. Deshalb sind Selbstverletzung, Alkohol und Drogen für einige von uns ein Mittel oder Medikament zur Flucht aus der Realität. Viele von uns sind zum Gehorsam erzogen worden. In Todesangst, in der Abhängigkeit von unseren Müttern und Vätern (als wir noch klein waren) haben wir Gehorsam gezeigt und haben so die Verbindung zum eigenen Ich verloren. Dieser Widerspruch, zwischen dem eigenen Ich und dem, der wir sein sollen, macht uns unglücklich. Wir suchen uns – Unser eigenes ICH haben wir vielleicht noch nicht gefunden aber wir fanden uns. Euch fand ich, zum Beispiel hier,

auf der 2. Konferenz der Straßenkinder und Flüchtlingskinder in Deutschland. Es hilft zu wissen, dass man nicht allein ist und dass es anderen auch so geht. Wie viele aber müssen wir noch werden, damit wir wahrgenommen werden? Für 21.000 Minderjährige ist die Straße Lebensmittelpunkt. 7000 bis 8.000 sind obdachlos. 30.000 kommen noch dazu, die zwischen achtzehn und siebenundzwanzig Jahre alt sind. Viele, viele wohnungs- oder obdachlos, haltlos ... Wir haben unsere lebensrelevanten Themen für die heutige Konferenz der Straßenkinder und Flüchtlingskinder in Berlin zusammen getragen und sie dem Grundgesetz unseres Landes, wie der Charta der Europäischen Union gegenübergestellt. Wir fragen uns: Wenn aber doch die Würde des Menschen unantastbar ist, warum darf man Straßenkinder so oft respektlos und entwürdigend behandeln? ... beim Jugendamt, in den Jobcentern, auf der Straße, in den Hilfeeinrichtungen? Es ist die Aufgabe unserer 2. Konferenz die Ursachen zu suchen und eigene Lösungen zu finden. Vorweg aber und weil wir in dem 26

Aus der Pressemitteilung der Konferenz der Straßenkinder und der Flüchtlingskinder in Deutschland 25./26.September 2015 Berlin Zum zweiten Mal innerhalb von zwei Jahren versammeln sich Hunderte von Straßenkindern, Jugendliche, die vom Leben der Gemeinschaft entkoppelt sind und keine Zukunftsperspektiven haben. Sie sind es, die in den Inobhutnahmeeinrichtungen der Jugendhilfe immer schon mit Flüchtlingskindern zusammen leben. Deshalb hat die Ständige Vertretung, die Initiativgruppe der Konferenzen, die sich aus 30 Jugendlichen im Alter von 14 bis 33 Jahren bundesweit zusammensetzt, auch über 60 unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge eingeladen, mitzuwirken. Neben Gästen aus Vietnam kommen die Straßenkinder aus Hamburg, Dresden, Halle, Gera, Essen, Bochum, Stuttgart, München, Saarbrücken und anderen Städten. Die Flüchtlingskinder kommen aus Albanien, Pakistan, Libanon, Afghanistan, Syrien, Eritrea, Tunesien, Marokko, Iran, und Tschetschenien. Die Konferenz der Straßenkinder und der Flüchtlingskinder in Deutschland steht unter der Schirmherrschaft der Bundesjugendministerin Manuela Schwesig und des Präsidenten der Bundeszentrale für Politische Bildung, Thomas Krüger. Beide sind auch Gäste der Konferenz, so wie über 60 weitere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, der Wirtschaft, aus Kunst und Kultur. Schirmherrin Manuela Schwesig lobt das Engagement der Jugendlichen: „Ich finde es Klasse, dass ihr mit eurer Konferenz auf die Situation und die Rechte von Flüchtlingskindern in Deutschland aufmerksam macht. Straßenkinder können gut verstehen, wie es Menschen geht, die ihre Heimat verloren haben und auf der Flucht sind. Aber es ist nicht selbstverständlich, sich gegenseitig zu unterstützen. Mit der Konferenz setzt ihr ein starkes Zeichen. Ich danke euch allen, für die große Solidarität und verspreche, dass ich euch weiter unterstützen und auf eure Probleme öffentlich aufmerksam machen werde.“ Alle gemeinsam werden wir 16 Schwerpunktthemen innerhalb eines World-Cafés diskutieren, die sich mit Widersprüchen und Verstößen der Einhaltung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland beschäftigen. Die Konferenz der Straßenkinder und der Flüchtlingskinder in Deutschland 2015 ist eine Veranstaltung des KARUNA Zukunft für Kinder und Jugendliche in Not Int. e.V.


Wir haben viele Fähigkeiten und möchten uns gern humanitär einbringen, auch um endlich selbst Anerkennung zu erfahren. Deshalb werden wir heute auch über Gemeinschaftshäuser nachdenken, die uns zusammenbringen, uns als Straßenkinder und die Flüchtlinge, werden wir unsere Wünsche in einem Kunstprojekt Ausdruck verleihen. Liebe Manuela Schwesig, im letzten Jahr haben wir in ihrem Arbeitszimmer auf ihrer Couch gesessen. Sie haben uns zugehört. Wir haben uns verstanden gefühlt. Wir sind stolz, dazu beigetragen zu haben, dass sie heute dabei sind. Es wäre

Liebe Gäste, liebe Frau Schwesig, lieber Thomas Krüger, in einem kleinen Brandenburger Dorf mit dem Namen Jamlitz aber spielt sich seit Jahren etwas Wundervolles ab. Fast unbemerkt ist hier eine Art Gegenentwurf entstanden. Hunderte Jugendliche wie ich besuchen seit Jahren diesen Ort und seinen ehemaligen

Viele Jugendhilfeeinrichtungen arbeiten mit Bestrafungssystemen. Ein Jugendamt, das mit geschlossener Unterbringung drohen kann, folgt eben auch dem Modell der Erziehung zum Gehorsam. Dass viele von uns zehn, zwanzig und mehr Jugendhilfemaßnahmen erlebt haben, obwohl wir erst so jung sind, sollte die Jugendhilfe nachdenklich machen! Es ist aber viel einfacher zu behaupten, dass wir immer schwieriger werden ... Viele Straßenkinder boykottieren das staatliche Jugendhilfesystem. Eine Empfehlung der 1. Bundeskonferenz der Straßenkinder 2014 lautete: Schließen sie die geschlossenen Heime, als erste vertrauensbildende Maßnahme uns gegenüber. Wussten Sie schon, dass wir uns, und das nicht erst seit gestern, in den Notunterkünften, in der Inobhutnahme die Plätze mit unbegleiteten minderjährigen und älteren Flüchtlingen teilen? Sie fliehen vor Armut, Krieg und Perspektivlosigkeit, wie wir vor den Verletzungen unserer Kindheit. Sie sind unser Brüder und Schwestern. Wir können deutsch und kennen uns aus, in der Stadt und im Land.

unehrlich nicht zu behaupten, dass wir uns in Zukunft nicht ganz praktische Unterstützung von Ihnen und dem Jugendministerium erhoffen würden. Es gibt Dinge, die schwer zu verändern sein werden. Wir wissen das. Für einige Dinge aber muss uns Kindern und Jugendlichen, die individuell und strukturell so benachteiligt leben, die Geduld fehlen, wir können nicht länger auf Veränderung warten! Es ist eben auch inhuman und passt überhaupt nicht zum Grundgesetz, wenn allein zehntausende Mädchen und Jungen unter 18 Jahren völlig von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben abgeschnürt sind. Es wäre fatal, wenn es den unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen ähnlich ergehen würde. Euch geht es ähnlich schwer wie uns, hier in Deutschland Anerkennung zu finden. Es ist nicht schön sagen zu müssen, dass auch wir auf der Straße und in den sozialen Netzwerken als Penner und Schmarotzer, Asoziale und Junkies bezeichnet werden, wenn man uns nicht gerade benutzt, um gegen Einwanderung und Flüchtlinge zu

Bahnhof. Hier, in der heutigen Akademie für Mitbestimmung, dem Justus Delbrück Haus entstand auch die Idee zu den Konferenzen der Straßenkinder, hier wurde die Ständige Vertretung der Straßenkinder in Deutschland gegründet. Einige von uns leben hier zeitweise, um der Obdachlosigkeit zu entkommen, um Ruhe und Abgeschiedenheit zu finden, um ihre Krisen zu bewältigen. Ein Ort der Toleranz und des Miteinanders. Die Menschen von Jamlitz schätzen uns. Wir helfen ihnen, sie helfen uns. Das Dorf und seine Mitbewohner sind für uns eine Art Familie geworden. Wir glauben, dass es mehr solcher Orte geben kann und muss, das neue Möglichkeiten an den Rändern der Städte, auf dem Land oder vielleicht sogar inmitten der Innenstadt entstehen können. Orte an denen wir uns beweisen können, indem wir uns zum Beispiel politisch einbringen, wie heute und hier, auf der 2. Konferenz der Straßenkinder in Deutschland. Seien Sie, liebe Frau Schwesig und lieber Thomas Krüger, herzlich eingeladen uns einmal hier zu besuchen, wo wir uns angenommen und aufgehoben fühlen.

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Fotos: Lutz Müller-Bohlen

sein. In einem Leserkommentar hieß es unter anderem:“... seht her, unsere eigenen Kinder leben auf der Straße aber die Fremden alle hier rein lassen...“. Solche Kommentare dürfen wir nicht dulden, denn so eine intolerante Gesellschaft ist nicht in unserem Sinn.

Jahr zwischen dem 1. Bundeskongress der Straßenkinder und der heutigen 2. Konferenz fleißig gearbeitet haben, fragen wir uns: Was ist mit der Jugendhilfe in Deutschland los? Entmutigte, überarbeitete Mitarbeiter in den Jugendämtern. Ein System, dass Hilfeangebote systematisch verknüpft mit Anforderungen, die uns all zu oft überfordern. In Ländern wie Dänemark, Finnland und den USA hat man mit dem Ansatz, bedingungslos zu helfen sehr gute Erfahrungen gesammelt. Die Housingfirst-Philosophie-Dänemarks gegen Jugendwohnungs- und Obdachlosigkeit ist sehr überzeugend, ist menschlich und deshalb so viel wirkungsvoller als unsere Haltung.


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2. Konferenz der Straßenkinder und Flüchlingskinder Sehr geehrte Damen und Herren, I. Herzlichen Dank für die Einladung zur Konferenz der Straßen- und Flüchtlingskinder! Ich freue mich sehr, dass ich heute hier sein kann. Im letzten Jahr, als wir uns getroffen haben, habt Ihr gesagt: Wir wollen regelmäßig mit der Politik sprechen.

herauszufallen. Ihr macht mit der Konferenz der Straßenkinder auf diese Kinder und Jugendlichen aufmerksam. 20.000 sind viele. Wir müssen uns darum kümmern, dass Kinder und Jugendliche einen Ausweg aus dieser Situation finden. Und wir müssen uns

Rede der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Manuela Schwesig bei der Konferenz der Straßenkinder und Flüchtlingskinder in Deutschland 2015, Berlin, 25. September 2015

„Das muss man erstmal verstehen!“ Wir wollen das, was wir mit dem ersten Bundeskongress der Straßenkinder angefangen haben, weiterführen. Und Ihr habt es geschafft. Ihr habt eine ständige Vertretung der Straßenkinder in Deutschland ins Leben gerufen. Und Ihr habt die Konferenz wieder auf die Beine gestellt! Das ist eine großartige Leistung. Alle, die sich beteiligt haben, die Ständige Vertretung der Straßenkinder, das Bündnis für Straßenkinder und KARUNA e. V. haben ganze Arbeit geleistet. Herzlichen Dank an alle für ihr Engagement! Ihr wollt mit Eurer Konferenz auch Flüchtlingskinder unterstützen, ihnen eine Stimme geben. Ihr habt Eure Konferenz sogar Anfang September noch umbenannt, damit das deutlich wird. Es soll nicht um wir oder die gehen. Sondern um ein Miteinander. Straßenkinder können vielleicht besser als andere verstehen, wie es Menschen geht, die ihre Heimat verloren haben und auf der Flucht sind. Danke für Eure Solidarität!

II. Auch in unserem Land gibt es Kinder und Jugendliche, die sich nicht unterstützt, nicht respektiert, nicht beschützt, nicht wertgeschätzt fühlen. Eine Studie des Deutschen Jugendinstituts hat es gerade gezeigt: Mehr als 20.000 Kinder und Jugendliche sind gefährdet, aus Schule und Ausbildung, aber auch aus sozialen Einrichtungen komplett

dafür einsetzen, dass Kinder und Jugendliche gar nicht erst in eine Notlage geraten.

III. Straßenkinder und -jugendliche hatte die Politik lange nicht gut auf dem Schirm. Ihr habt euch zu Recht darüber beschwert. Ich habe Euch im letzten Jahr versprochen, dass ich Euch unterstützen werde. Ich habe Euren Forderungskatalog bei der Jugend- und Familienministerkonferenz meinen Kolleginnen und Kollegen aus den Ländern übergeben. Denn an vielen Punkten sind es eher die Länder oder die Kommunen als der Bund, die etwas tun können. Wir sind seitdem im Kontakt geblieben. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meines Ministeriums haben mir von den Ideen der ständigen Vertretung erzählt: eine Telefonnummer gegen Wohnungskummer und ein Gemeinschaftshaus für Straßen- und Flüchtlingskinder in Berlin. Auch ich finde die Idee des „Housing first“ für obdachlos gewordene Jugendliche und junge Erwachsene vielversprechend. Andere Länder haben sehr gute Erfahrungen mit dieser Form des betreuten Einzelwohnens gemacht. Und die ersten Erfahrungen in Deutschland sind auch positiv. Wir bleiben auf jeden Fall weiter im Gespräch!

IV. Das Bundesjugendministerium fördert seit dem letzten Jahr vier Modellprojekte, die auf 28

unterschiedliche Weise versuchen, Straßenkindern eine längerfristige Perspektive zu geben. Ein Projekt hat das Thema Schule. Straßenkinder können mit den Straßensozialarbeitern von Off Road Kids klären, wie ihr Bildungsstand ist, und dann mit einer Fernschule auf den Haupt- oder Realschulabschluss hinarbeiten. Lernen, wann man will, mit der Lehrerin oder dem Lehrer telefonieren, dazu eine Betreuung vor Ort – das ist eine sehr flexible Form von Schule. Viele Straßenkinder – das wisst ihr besser als ich – träumen von einem Leben mit Familie, mit einer Wohnung und einer Arbeit. Ein Schulabschluss ist ein wichtiger Schritt dorthin; gleichzeitig sind viele Straßenkinder gerade wegen der Schule abgehauen. Flex, die Fernschule, kann da eine gute Alternative sein. Beim zweiten Projekt geht es ebenfalls um Schule, aber auch um Arbeit und vor allem darum, durch niedrigschwellige Angebote wieder Mut und Vertrauen zu fassen. Die Sozialarbeiter der StreetWorkstatt sprechen Straßenkinder dort an, wo sie sich aufhalten, zum Beispiel bei einer Essensausgabe. Man kann in der StreetWorkstatt einfach erst einmal seine Ruhe haben und sich mit dem Nötigsten versorgen. Ich habe das von einem Mädchen gehört: Zunächst einmal ging es um schnelle Hilfe. Und darum, zu nichts gezwungen zu werden. Dieses Mädchen merkte: Sie wurde nicht gedrängt, etwas zu erzählen. Aber wenn sie etwas sagte, hörte ihr jemand zu. Sie wurde nicht gedrängt, etwas zu machen. Aber wenn sie etwas machen wollte, dann gab es auch Angebote. So kam sie zu einem Musikworkshop und sogar zu einem Gesangsauftritt bei der Weihnachtsfeier. Eine unglaublich mutige Sache. Ich glaube, keiner Sängerin auf den großen Bühnen der Welt hat jemals ein Applaus so gut getan wie diesem Mädchen. Und dann ging es weiter: Krankenversicherungsnachweis und Arztbesuch. Für Menschen, die eine Wohnung und einen Arbeitsplatz haben, das Normalste von der Welt. Für Straßenkinder eine große Hürde. Das muss man erstmal verstehen! Irgendwann hat dieses Mädchen von selbst gesagt: Auf der Straße zu leben, ist mir zu viel Stress. Geht mit mir zum Jugendamt ich möchte gern in ein betreutes Wohnen! Das war leichter gesagt als getan – viele von euch kennen sicherlich die Schwierigkeiten. Aber nach ein paar Monaten klappte es. In die StreetWorkstatt kommt dieses Mädchen weiterhin. Weil sie den Menschen dort vertraut. Und weil sie in der Holzwerkstatt noch ein paar kleine Möbel für ihr neues Zimmer bauen will. Das dritte Projekt hat das Thema Theater. 40 Jugendliche studieren drei Monate lang mit einer Regisseurin ein Theaterstück ein.


Fotos: Lutz Müller-Bohlen

Die Organisatoren der Konferenz mit Ministerin Schwesig (mitte), daneben Ingrid Stahmer, ehem. Berliner Familiensenatorin und Thomas Krüger (2.sv.r.), Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung

Es ist ein Stück, das von den Jugendlichen selbst weitergeschrieben wird. Sie spielen ihr Leben. Und ihre Hunde sind auch dabei. Beim vierten Projekt geht es um Mode. Straßenkinder bauen mit einer Modedesignerin ein eigenes Modelabel auf, machen ihre eigene Mode und verkaufen die Sachen. Eine junge Frau, die da mitgemacht hat, sagt auf YouTube, dass ihr das Projekt geholfen hat, „weil ich weiß, dass ich was geschaffen habe, was gut ist“. Etwas schaffen, was gut ist – davon träumen nicht nur Straßenkinder. Aber viele Straßenkinder haben bei ihren Eltern und in der Schule die Erfahrung gemacht: Alles, was ich mache, ist schlecht. Das zu durchbrechen, zu merken: Ich kann etwas schaffen, was gut ist, macht Mut. Und diese junge Frau will dranbleiben: Sie will aufs Oberstufenzentrum Mode und Bekleidung und dabei eine Ausbildung zur Näherin machen.

V. Ich hoffe, dass sich unsere Modellprojekte herumsprechen. Es gibt gute Möglichkeiten, Straßenkinder zu unterstützen. Es gibt auch Wege weg von der Straße. Diese Möglichkeiten und Wege sind unterschiedlich, weil auch Ihr alle unterschiedlich seid und unterschiedliche Bedürfnisse habt. Auch mit unserem Programm „JUGEND STÄRKEN im Quartier“ erproben wir neue Wege der Jugendhilfe.

Es wird nicht die eine Maßnahme geben, die Straßenkinder oder -jugendliche anspricht. Für die eine klappt der Weg besser in der Gruppe, der andere kommt leichter ohne zurecht. Der eine findet über eine Fernschule seinen Weg, die nächste über das Modemachen. Wir müssen das Rad nicht neu erfinden. Aber wir müssen weiter daran drehen. Und dabei Eure Bedürfnisse noch besser im Blick haben. Politik für Kinder und Jugendliche muss sich insgesamt noch stärker am Bedarf und an den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen ausrichten. Ich halte es zum Beispiel für sinnvoll, Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, sich selbst Hilfe zu holen, wenn in ihrer Erziehung etwas grundlegend schief läuft. Ich möchte erreichen, dass Kinder und Jugendliche selbst ein Recht auf Hilfen zur Erziehung haben. Nicht nur über ihre Eltern. Bis jetzt ist das nicht so, aber wir wollen das im Gesetz ändern. Damit die Bedürfnisse und Rechte von Kindern ein stärkeres Gewicht bekommen.

VI. Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kinder und Jugendliche, Ein letzter Punkt, den ich ansprechen möchte, ist das ehrenamtliche Engagement. Das sehen wir in diesen Tagen ganz besonders. Die Ehrenamtlichen, die sich um Flüchtlinge kümmern, werden gefeiert. 29

Zu Recht. Aber das, was Ihr macht, ist auch ehrenamtliches Engagement. Das fängt nämlich ganz oft damit an, dass man sich selbst und anderen hilft, sich zusammenschließt und die eigenen Interessen vertritt. Ihr habt das geschafft, mit der ständigen Vertretung der Straßenkinder in Deutschland und mit euren Kongressen. Selbsthilfe und Engagement können den Weg in andere Bereiche der Gesellschaft leichter machen. Ich bin sicher, Ihr werdet das merken.

VII. Bei unserem Treffen im letzten Jahr habe ich mitgenommen: Ihr wollt respektiert und wertgeschätzt werden. Und Ihr wollt Teil der Gesellschaft sein, nicht am Rand stehen. Lucas hat in seiner Eröffnungsrede gesagt, Ihr wollt Euch beweisen und einbringen, aber fühlt Euch „abgeschnürt von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben“. Für mich gehört Ihr ganz fest zu unserer Gesellschaft. Die Aufgabe von Politik ist es, dass auch Ihr Euch zugehörig fühlt. Ich will helfen, dass Ihr ankommen könnt. Dass Ihr Euch nicht nur an wenigen ausgewählten Orten unterstützt, respektiert, beschützt und wertgeschätzt fühlt. Ich will das mit meiner eigenen Politik unterstützen und möchte Euch Türen öffnen, die bislang verschlossen sind. Ich bin beeindruckt von Eurer Energie. Ich wünsche Euch eine gute Konferenz!


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2. Konferenz der Straßenkinder und Flüchtlingskinder

Nhut (Vietnam) auf der Konferenz der Straßenkinder und Flüchtlingskinder

Verbundenheit Liebe Freunde aus Deutschland, meine Name ist Nhut, ich komme aus Cao Lanh, einer Stadt im Süden Vietnams. Ich freue mich, hier sein zu dürfen und einen Eindruck zu bekommen, wie ihr selbst nach Lösungen sucht, die Armut zu bekämpfen, wie ihr euch einsetzt, für andere Kinder und Jugendliche die Schutz in Deutschland suchen, vor Bürgerkriegen und Verfolgung. Ich finde das bewundernswert. Viele meiner Landsleute sind damals in die DDR als Vertragsarbeiter gekommen. So haben 59.000 Vietnamesen Erfahrungen in

einem Teil Deutschlands gemacht. Sie sind geblieben oder wieder nach Vietnam zurückgekehrt. Sie sind mit Deutschland verbunden. Heute gibt es zwischen Vietnam und der Bundesrepublik sehr gute Beziehungen, und das auch mit den Vietnamesen zu tun, die damals hier her gekommen sind. Verbundenheit entsteht, wenn man sich begegnet und kennenlernt. So wie wir das heute hier in Berlin tun. Die Organisation t.info in Cao Lanh, die mir hilft besser Leben zu können und KARUNA in Deutschland haben gestern vor einem Jahr einen Vertrag geschlossen, in dem sie

eine langfristige Zusammenarbeit vereinbart haben. Ihr Motto ist: „Gemeinsam für Menschen“, so sehr ähnlich wie euer Slogan der Konferenz der Straßenkinder und Flüchtlingskinder: „Mein Name ist Mensch“. Ich würde mich sehr freuen, auch einmal jemanden von Euch in meiner Stadt begrüßen zu dürfen. Lasst uns gemeinsam nach neuen Wegen suchen, für eine bessere Welt, auf allen Kontinenten, in Frieden und sozialer Gerechtigkeit. Euer Nhut aus dem schönen Cao Lanh in Vietnam.

Nasrin (Iran) auf der Konferenz der Straßenkinder und Flüchtlingskinder

„Ihr habt uns aufgenommen“ Mein Name ist Nasrin, ich komme aus der Stadt Shiraz, im Iran. Ich habe die wundervolle Aufgabe, im Namen der Flüchtlingskinder einige wenige Worte zu sprechen. Wir, die Flüchtlingskinder, die wir ohne unsere Eltern und Familien zu Euch gekommen sind, möchten uns bedanken dafür, dass ihr uns aufgenommen habt, in eurem Land, in euren Städten und auch hier, auf der Konferenz der Straßenkinder und Flüchtlingskinder in Berlin.

Ich spreche für alle minderjährigen, unbegleiteten Flüchtlinge dieser Konferenz, die aus so vielen Ländern kommen, so aus Marokko, aus dem Libanon, aus Tschetschenien, aus Afghanistan, Syrien, Eritrea, dem Iran, aus Albanien ... und anderen Staaten. Wir sind geflohen vor dem Bürgerkrieg, vor Armut, vor Verfolgung. Ihr habt uns aufgenommen, in eurer Mitte. Dafür sind wir Euch sehr dankbar. Für viele von uns wird 30

Deutschland unsere Heimat werden. Wir wissen aber auch, dass die westliche Welt, dass lokale und Großmächte Mitschuld an Armut und Krieg haben. Die Welt hat ein Gedächtnis. Wir rufen von hier aus nach Frieden und nach einer gerechten Verteilung des Wohlstands in einer gesunden Umwelt für alle Menschen. Salam, Peace, Hoa binh, Frieden, Page, Pokoje, Mir ...


Fotos: Lutz Müller-Bohlen

Ciara auf der Konferenz der Straßenkinder und Flüchtlingskinder

Meine Nationalität ist Mensch! Ich hab nichts mehr zu verlieren Wenn ich nicht schaff werd ich zur Last Such einen Platz in deinem Quartier Und nicht was du gespart hast Nur etwas Halt in dem Dickicht Etwas Halt und sonst nichts Nur eine Minute Ruhe Nur eine stille Nacht Die sich kümmert, mich bewacht die um mich weiß Und nicht schweigt Hast du noch Liebe irgendwo Steht vielleicht ein bisschen rum Ich bin der ungebetene Gast, Zersplittert und verstummt Mein Ass im Ärmel ist durchnässt Mein Ass im Ärmel ist mein letzter Rest Ich such keine grüne Wiese Suche einen sicheren Platz Für meinen Ideen und meine Kraft Eine Hand

Hallo Pädagogen, Jugendliche, FIüchtlinge, Botschafter und Presse Ihr fragt euch sicher, warum ich hier stehe. Nun ja, ich bin einfach der Meinung, dass ich als Erwachsene von morgen zu Wort kommen muss. Ich bin eine Jugendliche des KARUNA e.V. und erlebe das Geschehen hier in Berlin hautnah mit. Ja Lucas, wir alle, die hier versammelt sind, sind irgendwann geflohen vor unseren Eltern, vor der Lieblosigkeit, vor der Gewalt oder ja auch vor dem Missbrauch. Und sie, die Geflüchteten, sind eben geflohen vor den Terrorristen, vor dem Krieg in ihrem Land und vor den Waffen. Meiner Meinung nach heißt es hier in Deutschland sofort immer „Nazi“, wenn jemand sich negativ über Flüchtlinge äußert. Aber das ist nicht so. Es ist die Angst, die aus manchen Menschen spricht. Die Angst vor Neuem, vor Veränderung. Aber woher kommt diese Angst? Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und alles, was verändert wird in seinem Leben, stößt er grundsätzlich ab. Ich habe auch irgendwie Angst vor Veränderung. Vor dem, was auf mich zukommt. Vor dem was auf uns alle zukommt. Aber gehört Veränderung nicht irgendwo dazu im Leben? Doch wie können wir diese Angst vor neuem bekämpfen ? Es wird Zeit die Angst vor dem Neuen zu besiegen. Die Zahlen und Fakten sagen doch schon alles, mehr muss doch gar nicht mehr 31

gesagt werden. Derzeit befinden sich weltweit knapp 60 Millionen Menschen auf der Flucht und es sind täglich ca. 42.500 Menschen auf dem Weg auf einer Suche nach Frieden, Sicherheit und einem neuen Leben. 19,5 Millionen Flüchtlinge sowie 1,8 Millionen Asylsuchende, die noch auf den Ausgang ihres Asylverfahrens warten. Es wird Zeit für Veränderung in unserem Leben!!! Finden wir uns nicht irgendwo in den Geflüchteten wieder? Warum immer diese Vorurteile? Was sollen immer diese Blicke der restlichen Gesellschaft, wenn sie uns auf der Straße sehen? Dieser Gleichmut, obwohl sie nicht wissen, was uns in unserem Leben so gemacht hat, was uns in unserem Leben so verändert und in die Flucht getrieben hat ... Nur eine Minute Ruhe Nur eine stille Nacht Die sich kümmert, mich bewacht die um mich weiß Und nicht schweigt Wir wollen doch alle das gleiche – Sicherheit & Freiheit ! Meine Nationalität ist Mensch! Danke! in Deutschland. Seien Sie, liebe Frau Schwesig und lieber Thomas Krüger, herzlich eingeladen uns einmal hier zu besuchen, wo wir uns angenommen und aufgehoben fühlen.


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2. Konferenz der Straßenkinder und Flüchtlingskinder Andreas Düllick: In Deutschland leben schät­ zungsweise 20.000 Kinder und Jugendliche auf der Straße. Die Ursachen dafür, warum sie ihre Elternhäuser verlassen haben, sind vielfältig, reichen von häuslicher Gewalt, sexuellen Über­griffen bis hin zu Alkohol- und Drogenmiss­brauch. In was für einer Gesellschaft leben wir eigentlich, ist das nicht erschreckend? Manuela Schwesig: Ja, Wir müssen uns da­ rum kümmern, dass diese Kinder und Jugendli­ chen einen Ausweg finden und Halt bekommen. Und wir müssen uns dafür einsetzen, dass junge Menschen erst gar nicht in eine solche Notlage geraten. Kein Kind, kein Jugendlicher soll sagen müssen: Ich wusste nicht wohin. Viele Mitarbei­ ter der Jugendhilfe kümmern sich bereits sehr engagiert und geben ihr Bestes, um die Kinder und Jugendlichen zu unterstützen. Die Jugend­ hilfe ist in Bewegung – Veränderungen gehen aber nicht von heute auf morgen. Ich arbeite be­reits gemeinsam mit den Ländern und Kommu­nen an den Problemen und Missständen, die die Straßenkinder auf ihrer

allem schauen, den Zugang der Straßenkin­ der zu diesen Angeboten zu verbessern und ihre Bedürfnisse bei der Weiterentwicklung der An­gebote stärker mitzudenken. Was halten Sie als Fachministerin generell von der Idee einer „Ständigen Vertretung der Stra­ ßenkinder in Deutschland“ und einer jährli­chen Bundeskonferenz der Straßenkinder? Ich finde es richtig, dass die Straßenkinder mit der Ständigen Vertretung ein Forum ge­schaffen haben, um sich über ihre Interessen zu verständigen und diese öffentlich zu vertreten. Deswegen habe ich auch sehr gerne die Schirm­herrschaft für die Konferenz der Straßenkinder übernommen. Hier geht es auch darum, die Si­tuation und die Probleme der Jugendlichen für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Die Poli­tik hatte die Straßenkinder lange nicht auf dem Schirm, aber das wollen wir jetzt ändern. Es ist wichtig, dass die Jugendlichen ihre Ziele klar de­ finieren und sich Gedanken machen, wie diese Ziele in unserem politischen System erreicht wer-

ses Jahres den Län­ dern den Forderungskatalog der Straßenkinder überreicht. Da nämlich die Länder bzw. die Kommunen für die Finanzierung und Umset­ zung der Jugendhilfeangebote zuständig sind, sind sie hier die zentralen Ansprechpartner. Klar ist aber: Wir müssen gemeinsam Lösungen fin­den! Ich kann verstehen, dass ein junger Mensch resigniert, wenn er sich in einer Notsituation erst einmal an verschiedenste Stellen wenden muss, um Hilfe zu bekommen. Benachteiligten jungen Menschen kann viel schneller und effektiver ge­holfen werden, wenn alle beteiligten Hilfeein­ richtungen Hand in Hand arbeiten. Unser neues Modellprogramm „JUGEND STÄRKEN im Quartier“, das wir seit Januar dieses Jahres gemeinsam mit dem Bundesbaumi­nisterium in rund 180 Kommunen bundesweit fördern, setzt genau hier an, um die Zusam­menarbeit von Jugendhilfeträgern, Jobcentern, Agenturen für Arbeit, Schulen, Quartiersma­nagement und Kooperationspartnern vor Ort zu verbessern. Die Modellkommunen schaffen sozialpädagogische Beratungs- und Begleitan­gebote für

Der Chefredakteur der Berliner Straßenzeitung strassenIfe­ ger, Andreas Düllick, bat Manuela Schwesig, die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, anlässlich der Konferenz der Straßenkinder und Flüchtlingskinder um ein paar Antworten auf durchaus schwierige Fragen.

„Wir müssen gemeinsam Lösungen finden!“

Konferenz beraten und die sie mir auch in einem gemeinsamen Treffen vorgetragen haben.

den können. Nichts ist frustrierender als sich einzusetzen, aber nichts damit zu bewirken. Die Forderungen müssen natürlich realistisch sein und an die richtigen Stellen adressiert werden. Ein gutes Beispiel ist die Videobotschaft, mit der sich die „Ständige Vertretung“ letztes Jahr an mich gewandt hat: Diese Botschaft hat mich direkt erreicht, sodass ich die jungen Menschen gerne eingeladen habe, um mit ihnen über ihre Situation und ihre Forderungen zu sprechen.

Die Straßenkinder haben im Ergebnis der 1. Bundeskonferenz folgende Dinge von der Poli­tik eingefordert: Respekt, unbürokratische Un­terstützung, Bildungszugang, Chancen auf dem Wohn- und Arbeitsmarkt sowie qualifizierteres Personal bei Behörden, Jugendämtern und Po­ lizei, das die speziellen Sorgen und Nöte von jungen Obdachlosen kennt. Unterstützen Sie diese Forderungen? Ich finde es sehr gut, dass die Jugendlichen konkrete Vorschläge erarbeiten, wie es aus ihrer Sicht besser werden kann. Als Jugendministerin möchte ich, dass die jungen Menschen in mir eine feste Ansprechpartnerin in der Politik ha­ben, die sich für ihre Belange einsetzt. Die Forde­rungen der Jugendlichen sind da die Grundlage, um Politik an ihren Bedürfnissen auszurichten. Es gibt viele gute Ideen und Ansätze, die wir auf­nehmen können. Viele Unterstützungsangebote und Leistungen gibt es auch schon. Wir müssen vor

Interview mit Manuela Schwesig (Jugendministerin)

Sie haben bei einem sehr vertrauensvollen Ge­spräch mit Jugendlichen der Ständigen Vertre­tung in ihrem Arbeitszimmer versprochen, das Thema der Straßenkinder auf der Jugendminis­ terkonferenz Anfang 2015 zu diskutieren. Was ist in der Folge von Ihrem Ministerium unter­nommen worden um die Lebensumstände von Straßenkindern in Deutschland zu verbessern? Insgesamt betreffen die Forderungen die un­ terschiedlichsten Zuständigkeiten auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene. Deswegen habe ich auch auf der Jugendund Familienmi­nisterkonferenz im Mai die32

junge Menschen, die besondere Un­terstützung am Übergang von der Schule in den Beruf brauchen und von anderen Angeboten der Arbeitsförderung nicht mehr erreicht werden. Hiervon können auch obdachlose junge Men­schen ebenso wie zum Beispiel junge Flüchtlinge profitieren. Zum Wohnprojekt „Q-Base“ der Stadt Schweinfurt beispielsweise werden junge Menschen über Streetworker vermittelt, wo sie Basiskompetenzen erlernen, die ihnen bei der Ausbildungs- und Arbeitsplatzsuche helfen. Im Ergebnis der Gespräche zwischen der Stän­ digen Vertretung und Mitarbeiter_ innen Ihres Ministeriums im Nachgang der 1. Konferenz im Jahr 2014 haben die betroffenen Jugend­lichen zwei kluge Ideen ausgearbeitet. Zum einen möchten sie eine Telefonnummer gegen Wohnungskummer für Kinder und Jugendliche einrichten und selbst betreuen und ein erstes Bundeswohnmodell als Gemeinschaftshaus für Straßen- und Flüchtlingskinder bei Berlin auf­ bauen. Dafür benötigen die Jugendlichen und ihr Hilfeverein KARUNA Unterstützung durch Ihr Ministerium und das


Foto: Lutz Müller-Bohlen Isi von der Ständigen Vertretung der Straßenkinder im Gespräch mit Frau Schwesig

Bundesbauministe­rium. Werden Sie diese Initiativen unterstüt­zen? … und wie? Die Ideen der Jugendlichen sind sehr gut. Dass es schwer ist, sich über Schule und Aus­ bildung Gedanken zu machen, wenn man nicht einmal weiß, wo man für die nächste Nacht un­terkommt, ist völlig klar ... Das Projekt „Bahnhof Jamlitz“ zeigt, welche Chancen so ein innovati­ves Wohnmodell für junge Menschen bietet, ins­besondere wenn es eng mit der Nachbarschaft verknüpft wird. Auf Grund der schwierigen Wohnungsmarktlage in vielen Städten, die sich durch den Zuzug der Flüchtlinge noch deutlich verschärft hat, setzt sich meine Kollegin, Bundes­ bauministerin Barbara Hendricks, dafür ein, dass der soziale Wohnungsbau gestärkt wird. Davon profitieren auch obdachlose junge Menschen. Der Vorschlag einer „Nummer gegen Woh­ nungskummer“ belegt, wie groß das Bedürfnis der Jugendlichen ist, direkt und ganz praktisch Unterstützung zu bekommen. Mir gefällt der An­satz, dass Betroffene bzw. ehe-

malige Betroffene selbst das Telefon betreiben. Sie können sich besser als irgendjemand sonst in die Kinder und Jugendlichen hineinversetzen, die auf der Straße stehen. Sie wissen, welche Gefühle und Ängste sie umtreiben und was sie am dringendsten be­nötigen. Ich könnte mir gut vorstellen, in einer Stadt, wo das Problem besonders groß ist, einen Versuch zu starten, um zu sehen, ob eine solche „Nummer gegen Wohnungskummer“ von Stra­ßenkindern besser angenommen wird als die ver­schiedenen bestehenden Hilfenummern von Ju­ gendämtern und freien Jugendhilfeträgern. Ganz wichtig ist den Jugendlichen, dass sie im Notfall jemanden erreichen und die Nummer auch rund um die Uhr besetzt ist. Vor kurzem hat das Deutsche Jugendinstitut im Auftrag der Vodafone Stiftung Deutschland eine Studie zu Jugendlichen am Übergang ins junge Erwachsenenalter und die Herausforde­ rungen für Jugendhilfestrukturen unter dem bezeichnenden Titel „Entkoppelt vom System“ veröffentlicht. Die 33

Fakten sprechen eine ein­deutige Sprache. Wie bewerten Sie diese Studie und wird sie in Ihre Arbeit einfließen? Wir stehen mit dem Deutschen Jugendins­ titut (DJI) in engem Kontakt. Es evaluiert auch die vier Straßenkinderprojekte, die mein Mi­nisterium seit Anfang des Jahres mit insgesamt 400.000 Euro aus dem Kinderund Jugendplan des Bundes fördert. Damit fördert die Bundes­regierung erstmals Projekte in diesem Bereich. Für mich ist es ein wichtiges Anliegen, mehr über Straßenkinder und -jugendliche und ihre Bedürfnisse zu erfahren. Bislang wissen wir zu wenig über diese Gruppe. Auch fehlen uns im­mer noch belastbare Erkenntnisse darüber, wie viele Jugendliche tatsächlich betroffen sind. Die Erkenntnisse, die wir unter anderem aus der DJI-Studie und der noch laufenden Evaluation der Straßenkinderprojekte erhalten, beziehen wir in die Weiterentwicklung unserer Programme und Projekte ein, um so die Belange wohnungsloser junger Menschen stärker zu berücksichtigen.


Foto: Lutz Müller-Bohlen

„Warum werden wir nicht akzeptiert?“ Straßenkinder fordern mehr Respekt und Hilfe, qualifiziertes Personal bei den Jugendämtern und der Polizei aus „Neues Deutschland“

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um zweiten Mal trafen sich Straßenkinder aus ganz Deutschland in Berlin. Dieses Jahr waren auch Flüchtlingskinder dabei. Sie kommen aus verschiedenen Welten und teilen doch viele Erfahrungen. „Lass mich nicht fallen“, sang Dirk Zöllner zur Eröffnung der Konferenz der Straßenkinder und Flüchtlingskinder. Ein besseres Motto hätte der Rockbarde wohl kaum finden können. Denn hier, im Freizeit- und Erholungszentrum FEZ in Berlin-Köpenick, trafen sich am Freitag und Samstag rund 150 Jugendliche, die bereits fallen gelassen worden sind. Sie haben sich vor allem aus Berlin, Hamburg, dem Ruhrgebiet und Sachsen zusammen mit vielen Helfern auf den Weg in die Wuhlheide gemacht, um jenen jungen Menschen eine Stimme zu geben, die als „entkoppelt“ gelten, das heißt, ihren Lebensmittelpunkt auf der Straße haben. Jeder dieser Jugendlichen hat seine eigene

Geschichte, dennoch lassen sich Muster erkennen. Zerrüttete Familienverhältnisse, frühe Gewalt- und Missbrauchserfahrungen, oft auch Drogenkonsum auf der einen Seite, überforderte Schulen und Jugendhilfeinstitutionen auf der anderen. Das Deutsche Jugendinstitut geht in seiner aktuellen Studie „Entkoppelt vom System“ von rund 21.000 Minderjährigen aus, die ihren Lebensmittelpunkt außerhalb geregelter Strukturen haben, 7.000 von ihnen sind obdachlos. Die anderen würden teilweise in Schutzräumen oder in sogenannter Obhutnahme leben, sagte Jörg Richert, Leiter des Vereins KARUNA, der den Kongress organisierte, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dazu kommen rund 30.000 rechtlich „Erwachsene“ bis zu einem Alter von 27 Jahren, die von der Jugendhilfe gar nicht mehr erfasst werden. 34

Auf der Konferenz wurde nicht wie üblich über die Jugendlichen geredet; vielmehr kamen sie selbst zu Wort. Lucas aus Hamburg brachte die Anliegen der Straßenkinder in seiner Eröffnungsrede auf den Punkt: „Warum werden Straßenkinder so respektlos und entwürdigend behandelt? Warum werden wir nicht akzeptiert, sondern drangsaliert? Viele von uns haben schon 20 oder mehr Jugendhilfemaßnahmen erlebt. Das sollte den Verantwortlichen zu denken geben.“ Bei ihrem zweiten Bundeskongress diskutierten die Straßenkinder, wie ihnen besser geholfen werden kann. Am Ende sollte ein Ideen- und Forderungskatalog an das Jugendministerium übergeben werden. Der junge Hamburger Lucas betonte auch die Verbundenheit der „einheimischen“ Straßenkinder mit den vielen unbegleiteten jugendlichen Flüchtlingen, die jetzt nach Deutschland kommen. Rund 50 waren selbst vor Ort. „Sie


Die Medien über die 2. Konferenz der Straßenkinder

Derzeit sind es einige freie Träger, die sich im Bündnis für Straßenkinder vernetzt haben und die niederschwellige Angebote entwickeln. Mit Anlaufstellen wie „Drugstop“ in Berlin-Lichtenberg wollen sie einen Schutzraum anbieten, eine Möglichkeit, mal auszuruhen und sich auszuprobieren zum Beispiel in einer Textilwerkstatt, so eine Mitarbeiterin von KARUNA gegenüber „nd“. Beratung werde angeboten, aber nicht oktroyiert. Doch gerade in den Ballungsräumen stehen die Träger vor fast unlösbaren Aufgaben, es fehlt vor allem an geeignetem Wohnraum, aber auch an Personal. Eine zentrale Rolle bei der Arbeit mit Straßenkindern spielt das Tagungszentrum der Akademie für Mitbestimmung im brandenburgischen Jamlitz. Hier gibt es eine „Ständige Vertretung der Straßenkinder“, es werden Seminare und Workshops für betroffene Jugendliche, aber auch für professionelle Helfer angeboten. Und es ist schlicht eine Möglichkeit, für einige Tage oder Wochen dem Straßenalltag zu entfliehen. „Hier habe ich erstmals erfahren, dass ich was kann und dass ich was wert bin“, beschreibt ein 18-Jähriger, der jetzt zum Pressesprecherteam der Konferenz gehört, seine Erfahrungen in Jamlitz. Auch Manuela Schwesig (SPD), Bundesjugendministerin und Schirmherrin, stattete der Konferenz einen Besuch ab. Sie lobte das Engagement für junge Flüchtlinge. „Straßenkinder können gut verstehen, wie es Menschen geht, die ihre Heimat verloren haben und auf der Flucht sind. Aber es ist nicht selbstverständlich, sich gegenseitig zu unterstützen“, betonte Schwesig. Sie habe in den vergangenen Jahren auch durch persönliche Begegnungen einiges über die Problematik der Straßenkinder gelernt, hieß es in ihrem Grußwort. Viel könne der Bund allerdings nicht tun, senkte sie Erwartungen, da die Jugendhilfe Sache der Länder und Kommunen sei. Schwesig versprach denn auch lediglich, die Anregungen und Forderungen der Straßenkinder an die Länderkollegen weiterzugeben.

Bist Du so richtig von zu Hause ab­gehauen? Flo (30, Duisburg): Ich bin mit 16 auf die Straße ge­kommen. Mehr oder weniger abgehauen und rausgeflogen. Das war glaube ich, im gegensei­tigen Einverständnis, meine Eltern waren Al­koholiker. Und das hat alles nicht mehr so ganz gepasst und dann bin ich abgehauen. Und was machst Du jetzt? 14 Jahre später? Mittlerweile habe ich eine Ausbildung ab­geschlossen, die mir nicht so gut gefällt. Jetzt versuche ich im Bereich Streetwork Fuß zu fas­ sen. Ich möchte nochmal eine Ausbildung zum Erzieher beginnen und eventuell danach Sozial­pädagogik studieren. Was hast Du für eine Ausbildung? Ich bin Fachmann für Systemgastronomie. Warum willst Du jetzt Streetworker werden? Ich habe in meinem Leben einiges gemacht. Bei vielen Dingen habe ich mich ausgebeutet gefühlt oder es hat meiner inneren Einstellung widersprochen. Der Beruf als Fachmann für Sys­ temgastronomie, das ist moderne Sklaverei und das wollte ich

geschrieben. Lieberose ist fünf Kilometer von Jamlitz entfernt. Ist Jamlitz so eine Art Hippiekommune? (Lacht) Nein es ist keine Hippiekommune. Das Justus Delbrück Haus war früher der Bahn­hof Lieberose. Da waren eine Außenstelle von einem KZ und ein sowjetisches Speziallager. Auf dem Bahnhof wurden die Soldaten und die Ge­ rätschaften an- und abtransportiert. Der Bahn­ hof wurde vom KARUNA e.V. übernommen. Und bringt Dir das Projekt was? Ich bin jetzt einen Monat da und es hat mir innerhalb von drei Wochen schon sehr viel ge­bracht. Ich fange an, über mich nachzudenken. Es ist eher gemütlich, wir können entspannt le­ben, haben wenige Vorschriften. Klar ist: Keine Drogen, kein Alkohol. Zigaretten darf man rau­chen. Man hat viel Freizeit, ist nicht so gebun­den, dass man morgens aufsteht – Appellplatz – und dann da irgendwas runterarbeiten muss. Wir suchen uns die Arbeit selbst. Jetzt fängt bald der Winter an, da muss Holz gehackt werden.

„Mit dem ersten Zug nach Hamburg“ Straßenkinder stehen Rede & Antwort aus strassenIfeger

nicht mehr machen. Das Einzige, was mich bisher glücklich gemacht hat, ist die Ar­beit mit Straßenkindern. Zum Beispiel die Arbeit in der „Ständigen Vertretung“ vom KARUNA e.V. Was ist die „Ständige Vertretung“ (StäV)? Die „Ständige Vertretung“ ist aus der 1. Bundeskonferenz für Straßenkinder 2014, aus dem Organisationsteam der Straßenkinder, die die Konferenz mit organisiert haben, entstan­den. Diese Struktur ist bestehen geblieben, dar­aus hat sich die „StäV“ gebildet. Wir treffen uns alle paar Monate, organisieren die Bundesstra­ ßenkinderKonferenz und wollen jetzt auch ein Büro in Berlin aufbauen. Eigentlich bist Du in Berlin gemeldet, aber? Dave (25, Jamlitz) Ich mache momentan in Jamlitz ein neun­monatiges Praktikum im Justus Delbrück Haus. Das heißt „Landeinwärts“. Was macht man bei „Landeinwärts“? So Kleinigkeiten am Haus, Umbauarbeiten, das Gelände schön machen, aufräumen. Wir machen alltägliche Sachen. Und ich hoffe, dass ich jetzt bald einen Praktikumsplatz in der KITA in Lieberose bekomme. Die Anträge sind schon gestellt, die Bewerbung ist schon 35

Du bist hier Pressesprecherin, wie sind Deine Erfahrungen mit der Presse? Sophia (27, Berlin): Ich habe relativ viel mit dem rbb zusammen­ gearbeitet, mit dem ZDF und ja, auch mit RTL. Ein Filmprojekt war eine Langzeitdokumentation über den Bahnhof in Jamlitz, ich war dort 1,5 Jahre. Jetzt bin ich wieder zurück in Berlin, habe eine therapeutische Wohngemeinschaft gefunden. Also hast Du mit der Presse immer über das Thema ‚Straßenkinder‘ gesprochen. Es war schon auf mich und meine Themen bezogen, aber in der Gesamtheit ging es um Stra­ßenkinder. Also kennst Du Dich mit dem Thema richtig gut aus? Jeder bringt seine eigene Geschichte und seine eigene Erfahrung mit rein. Ich kann nur meine Erfahrung und meine Geschichte mit einbringen und andere an meinen Erfahrungen teilhaben lassen. Was möchtest Du gerne mal werden? Es gibt zwei Berufe, die mich interessieren. Fotojournalismus oder Straßensozialarbeit. Ich habe mal eine Ausbildung als Koch angefangen und musste die wegen Mobbing abbrechen.

und Flüchtlingskinder

fliehen vor Armut, Krieg und Perspektivlosigkeit, wie wir vor den Verletzungen unserer Kindheit. Sie sind unsere Schwestern und Brüder.“ Oft haben sie ihre Eltern verloren. Ohne Familie werden sie ebenso wie Straßenkinder häufig von den Behörden in Obhut genommen. Auf der Konferenz wurde unter anderem die Einrichtung von mehreren Gemeinschaftshäusern im gesamten Bundesgebiet gefordert. In diesen Unterkünften wollen Straßenkinder und Flüchtlingskinder zusammen wohnen. Bislang gibt es eine solche Einrichtung in Deutschland nicht.


Das Justus Delbrück Haus | Akademie für Mitbestimmung, in dem Straßenkinder im Rahmen des Programms „Landeinwärts“ wohnen und arbeiten können

Was sind Deine Lieblingsbands? Momentan „Swiss“ und die anderen aus Hamburg und „Feine Sahne Fischfilet“.

Menschen, die möglicherweise auch noch nicht geboren sind, später die passende Unterstützung bekommen.

Du bist ein Straßenkind? Lucas (20, Hamburg): Ein knappes halbes Jahr lang war mein Le­bensmittelpunkt vor allem die Straße. Ich habe zu Hause viele Schwierigkeiten gehabt, Gewalt war allerdings zum Glück nie ein Thema. Zu Hause hat es durch eine Trennung der Eltern nicht funktioniert, es wurde mir einfach alles zu viel, ich habe auch noch zwei Geschwister. Ich habe erst mal gesagt: Ich muss raus. Ich bin ab­gehauen, und es hat mich auf die Straße gezogen. War das in Hamburg? Ursprünglich komme ich nicht aus Ham­burg. Mit 17 bin ich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nach Hamburg gefahren. Abends bin ich dann noch zu einem Kumpel, und morgens habe ich den ersten Zug nach Hamburg genommen. Dort kannte ich Leute und wollte eigentlich nur drei Wochen Urlaub machen und ein bisschen abschalten. Ich bin dann dageblieben. Was hast Du denn jetzt vor? Momentan widme ich mein ganzes Leben dem Bundeskongress der Straßenkinder. Weil ich finde, dass das eine sehr wichtige Sache ist. Ich weiß, dass ich nicht mehr zu der Genera­tion gehöre, der das was helfen wird. Wir haben schon massenhaft Dinge erreicht, aber bis wir wirklich merkliche Veränderungen haben, wird es noch ein bisschen dauern. Ich hoffe, dass die jüngeren

Wo wohnst Du denn jetzt? Bist Du noch in Thü­ringen? Laura (17, Thüringen): Ich lebe vom Rucksack. Ich schlafe immer mal bei Freunden, bei meiner Oma, da wo ich wohne, in Thüringen oder in Jamlitz in der Akade­mie für Mitbestimmung. Ich pendele, ich bin ganz oft zu Hause in Thüringen, bei meiner Oma und wenn Seminare dort sind, fahre ich nach Jamlitz und bleibe immer so zwei, drei Wochen länger. Nimmst Du Drogen? Ich kiffe zum Einschlafen mal einen Joint. Was wünscht Du Dir für Dein weiteres Leben? Ich will Sozialpädagogik studieren, das be­ deutet für mich, zwei Jahre Fachabitur und drei Jahre duales Studium. Studieren möchte ich auf jeden Fall in Berlin. Warst Du schon mal im Ausland? Vor vier Jahren war ich in Norwegen, bei meinem Vater zu Besuch. Mein Vater wollte mich dann ein Jahr oben behalten, und dann gab es aber Probleme mit dem Sorgerecht, und das war‘s dann mit dem Auslandsaufenthalt. Am liebsten würde ich nach Neuseeland oder auf die Seychellen oder nach Jamaika fahren. In welchen Stadtteil bist Du meistens in Ham­burg? Lucas (20, Hamburg): Wo was los ist, wo gerade Kumpels unter­wegs sind. Meistens 36

bin ich in einem kollektiven Zentrum in Hamburg, dem Münzviertel. Da bin ich im Moment sehr aktiv. In letzter Zeit waren dort viele Polizeirepressionen. Wir machen auch viel Flüchtlingsarbeit. Dort kann man angenehm chillen und sich einbringen, es ist ein selbstver­waltetes Haus. Ist das ein besetztes Haus? Es war mal besetzt und es gibt aktuell einen Mietvertrag. Bei uns gibt es keine Sozialarbeiter, wir sind komplett selbstverwaltet. Wir rocken die Geschichte alleine ohne staatliche Hilfe. Wie kamst Du auf die Straße? Das ist schon ein bisschen her. Die Probleme mit den Eltern fingen an, die kamen mit meiner politischen Gesinnung nicht klar, weil sie anders denken. Ich bin öfter abgehauen und rausgeflo­gen und irgendwann mal ganz. Komplett rausge­ flogen bin ich mit 16, das erste Mal abgehauen mit 13. Meine Eltern haben immer die Bullen ge­rufen und die haben mich wieder zurückgeholt. Was ist Dein Plan für die Zukunft? Ich bin gelernter Erzieher. Aber mich stellt keiner mehr ein. Wenn man sich meine Strafakte so anschaut, wird mir keiner mehr sein Kind anvertrauen. Passiert. Ich hab aber auch nicht wirklich Bock zu arbeiten. Ich mache lieber sozi­ale Arbeit auf der Straße, Flüchtlingsarbeit – das finde ich viel cooler als irgendwo fest angestellt zu sein und dafür bezahlt zu werden, dass ich Menschen helfe.


Die Medien über die 2. Konferenz der Straßenkinder und Flüchtlingskinder

Mein Hund, mein Schlafsack, mein Lutscher aus „Süddeutsche Zeitung“

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hiara ist 17 und hat einiges hinter sich. Gewalt durch den Vater, Amphetamine, Alkohol. Zu ihrer Mutter hat sie keinen Kontakt, die Schule hat sie geschmissen. „Alles nicht so schön“, sagt Chiara. Sie ist groß, mit dunklen Locken, ihren Beutel hat sie fest um den Bauch geschnallt. So wie früher, als sie auf der Straße lebte und nicht noch das Letzte verlieren wollte, ihr Handy, die Ausweise, das bisschen zusammengeschnorrte Geld. Chiaras Geschichte ist ungewöhnlich für ein Mädchen, das noch nicht mal volljährig ist. Aber sie ist typisch für die Jugendlichen, die in Deutschland auf der Straße landen. 21.000 sind es, 7.000 von ihnen haben nicht mal einen Schlafplatz, an dem sie nachts unterkriechen können. Jetzt holt Chiara einen Zettel hervor und beginnt, mit stockender Stimme vorzulesen. Die Zeile von Herbert Grönemeyer, die sie so gern mag: „Mein Ass im Ärmel ist durchnässt. Mein Ass im Ärmel ist mein letzter Rest.“ Dass sie „vor Lieblosigkeit, Gewalt und Missbrauch geflohen sei“ und deswegen hier stehe. „Ich will etwas sagen, weil ich eine Erwachsene von morgen bin.“ Eine große Bühne hat Chiara schon, in einer Mehrzweckhalle in Berlin. Hier findet am Wochenende der „Bundeskongress der Straßenkinder“ statt. Es ist schon der zweite, der sich mit der Situation von Jugendlichen beschäftigt, die auf der Straße leben. Hunderte Leute hören Chiara zu, Sozialarbeiter, Vertreter von Ämtern, Bundesjugendministerin Manuela Schwesig (SPD) ist auch gekommen.

Die Münchener Künstlerin Babette Brühl schuf während der Konferenz einen Raum, in dem sich die Jugendlichen selbst inszenieren konnten. Dabei sind faszinierende Porträts entstanden.

Die Berliner Wuhlheide, ein riesiges Areal aus Spielplätzen, Veranstaltungsorten und Wiesen, auf denen Leute trommeln und Eltern mit ihren Kindern unterwegs sind. Eine heile Welt, die so gar nichts mit dem Leben derer zu tun hat, die zum Straßenkinderkongress in diese Ecke der Hauptstadt gekommen sind. Sie heißen Anni, Laura, Katrin, Lukas, Nadja, Daniel, Antje oder eben Chiara, sie sind aus Dresden, Hamburg, Gera, Bochum, München oder Stuttgart. Jetzt sitzen sie in Grüppchen auf dem Boden, manche haben einen Hund dabei, die meisten ihre Schlafsäcke. Und alle haben die Lutscher im Mund, die auf den Tischen ausliegen. So, als wollten sie so viel Süße, so viel Kindheit wie möglich aufsaugen. Antje, 35, nennt sich selbst „Pionierin“. Sie ist Altenpflegerin und hat drei Kinder, aber in den 90er-Jahren lebte sie in Köln auf der Straße. Damals war sie 13 und litt unter dem Borderlinesyndrom. Mehr will sie nicht über ihre Vergangenheit erzählen, die wenigsten hier wollen viel erzählen. Nur eines noch, sagt Antje: In einem Winter sei es so kalt gewesen, dass einige ihrer Freunde auf der Straße erfroren. Antje selbst hatte genau zwei Möglichkeiten: geschlossenes Heim oder zurück zu den gewalttätigen Eltern. Seither habe sich einiges verändert, sagt Antje. Die Ämter seien flexibler geworden, es gebe 37


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die 2. Konferenz der Straßenkinder und Flüchtlingskinder im ganzen Land Einrichtungen für Straßenkinder und Süchtige. Im brandenburgischen Jamlitz haben Jugendliche von der Straße sogar einen alten Bahnhof ausgebaut und leben jetzt dort. Aber das Problem gibt es natürlich immer noch. Antje sagt: „Dass ich nach 20 Jahren noch immer hier stehe, ist schon traurig.“ (...) Auf Pappschilder in der Halle sind Dinge wie „Schule und ich“ oder „Notschlafstelle oder Wohnung?“ gekritzelt. Tatsächlich haben die Jugendlichen oft sehr praktische Sorgen. Ein Mädchen sagt, das Leben auf der Straße sei teurer als in einer Wohnung, weil man nichts kochen könne, sondern immer Fertiges kaufen müsse. Ein Junge erzählt, dass er bald ins Gefängnis müsse, weil er die Strafe für 28 Anzeigen nicht zahlen könne. Die hat er bekommen, weil er, wie viele Straßenkinder, schwarzgefahren ist. Anders hätte er sich in der Stadt nicht bewegen können. Und da seien noch all die Leute, die „uns als Penner, Schmarotzer, Assis oder Punks beschimpfen“, sagt ein junger Mann namens Lukas. Immerhin, untereinander halte man zusammen. „Unser eigenes Ich haben wir vielleicht nicht gefunden, aber wir fanden uns.“ Die Organisatoren haben auch einige Dutzend Flüchtlingskinder in die Wuhlheide eingeladen. 22.000 minderjährige Flüchtlinge sind in diesem Jahr schon ohne Familie nach Deutschland gekommen – in den Einrichtungen der Jugendhilfe treffen sie oft mit den Straßenkindern zusammen. Am Ende der Konferenz steht die Erkenntnis, dass sich die typischen Geschichten von Straßenkindern über die Jahrzehnte verändert haben. Aber dass sie heute ganz sicher nicht weniger traurig sind.

Zu jung für Hilfe?

„Kinder in Not“. Etwa 7.000 davon seien tatsächlich obdachlos. Genaue Zahlen gebe es nicht: „Aber die 100 Notübernachtungsplätze für Jugendliche, die Berlin anbietet, reichen nicht“, so Richert. Eine Forderung der Straßenkinder an die Politik lautet deshalb, das Prinzip „Housing First“, das etwa in den USA oder Skandinavien erfolgreich genutzt wird, auch in Deutschland anzuwenden. Es bedeutet: Obdachlose Kinder und Jugendliche mit Wohnraum zu versorgen, ohne damit Bedingungen zu verknüpfen. Das falle selbst SozialarbeiterInnen nicht leicht, sagt Richert, auch ihm nicht: „Wir in Deutschland haben mit dieser Vorgehensweise ein kulturelles Problem.“ Doch die hier meist angewandte Forderungs- und Sanktionspädagogik „entmündigt Jugendliche auf dem Weg zur Verselbstständigung“. Der Straßenkinderkongress geht andere Wege: „Wir suchen nach Impulsen, die nicht von Sozialarbeitern stammen“, so Richert. Straßenkinder bereiten die Konferenz vor und entscheiden über deren Themen. Ihre Erfahrungen werden so zu Kompetenzen: für viele ein Weg, eigene Perspektiven abseits der stets verspürten gesellschaftlichen Ablehnung zu entwickeln. Er wolle „unabhängig leben, auf einem Dorf, mit Freunden, außerhalb des Systems“, sagt der jetzt 25-jährige Dave, der acht Jahre auf der Straße lebte. Er berichtet, welche Probleme auftauchen, wenn sich obdachlose Jugendliche entscheiden, Hilfe anzunehmen: „Ich musste tausend Papiere besorgen.“ Als er als 13-Jähriger seine Familie verlassen hatte, habe er eben nicht daran gedacht, seine Geburtsurkunde mitzunehmen. Wie kann Kindern und Jugendlichen beim Leben auf der Straße, beim Umsetzen eigener Zukunftspläne geholfen werden? Die auf der 2. Straßenkinderkonferenz zusammengetragenen Vorschläge sollen der Politik übergeben werden. Sie werde sich dafür einsetzen, „dass eure Stimme Gehör findet“, versprach Bundesjugendministerin Manuela Schwesig (SPD) den Teilnehmern.

aus „taz“

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eim Kongress der Straßenkinder in Berlin zeigt sich, wie politisch das Private ist. Und welche Kompetenzen obdachlose Jugendliche aus ihren Erfahrungen entwickeln. Chaotisch, bewegend, politisch: Beim 2. Bundeskongress junger Obdachloser konnte eindrucksvoll gelernt werden, wie aus buntem Chaos kompetente politische Forderungen entstehen. Mehrere hundert TeilnehmerInnen aus ganz Deutschland hatten sich am Freitag im FEZ in der Wuhlheide getroffen, um über Probleme junger Obdachloser und deren Lösungen zu debattieren – Punks, PolitikerInnen, Sozialarbeiter, erstmals auch Flüchtlinge, die ohne Eltern nach Deutschland kamen. An 15 Diskussionstischen ging es um „Das Jugendamt und ich“, „Wohnen“ oder „Gesetzeskonflikte“. Nicht ihnen schenkten Jugendamtsmitarbeiter Glauben, sondern lieber ihren Eltern, vor denen viele Straßenkinder flüchteten, berichten Betroffene. Hilfe folge nicht menschlichen, sondern allein finanziellen Erwägungen oder absurden Vorschriften, klagen andere: Ihr sei eine Drogentherapie verweigert worden mit der Begründung, sie sei zu jung, berichtet eine junge Frau. Von 30.000 Kindern und Jugendlichen, die von privaten oder staatlichen Institutionen wie Familie, Schule, sozialer Unterstützung „entkoppelt“ seien, gehe man bundesweit aus, sagt Jörg Richert, Leiter des Berliner Vereins KARUNA, der Anlaufstellen bietet für 38


Fotos: Babette Brühl

„Auf die Straße gesetzt, weil sie die Norm nicht erfüllten“ aus „Junge Welt“

Deutsche Straßenkinder und junge unbegleitete Flüchtlinge fordern Grundrecht auf Wohnen und Versorgung. Ein Gespräch mit Jörg Richert, Geschäftsführer des Vereins KARUNA Zukunft für Kinder und Jugendliche in Not. Ihr Verein, der sich um obdachlose Jugendliche kümmert, hat vergangenen Freitag in Berlin die 2. Konferenz der Straßen- und Flüchtlingskinder mit über 100 Betroffenen organisiert. Was ist Ihr Resümee? Die Jugendlichen haben viel Auftrieb bekommen. Sie haben sich Gedanken über ihre Wünsche gemacht, eine Arbeitsgruppe hat sogar bis drei Uhr morgens diskutiert. Das ist genau unser Ziel – vielleicht sind wir in zwei, drei Jahren so weit, dass wir nur noch wenig beim Planen der Konferenz helfen müssen. Es gibt schon eine Jugendvertretung, unser Ziel ist es, sie mit Bundesfreiwilligenstellen auszustatten. Vor allem logistisch ist ein solches Treffen eine enorme Herausforderung, die wir neben dem normalen Wahnsinn stemmen. Eine Studie des Deutschen Jugendinstituts spricht von etwa 21.000 „komplett entkoppelten“ Minderjährigen und rund 30.000 Menschen im Alter von 18 bis 27. Gibt es eine Dunkelziffer? Ich bin zunächst einmal froh, dass es überhaupt Zahlen gibt. Ich denke aber, dass das tatsächliche Ausmaß noch unterschätzt wird. Diejenigen, die völlig abtauchen – das ist leider eine Tendenz – kommen bei keiner Befragung und in keiner Akte vor. Ich kenne etliche, die in Notschlafstellen auftauchen und wieder verschwinden. Manche geraten in zwanghafte Beziehungen zu Männern oder tauchen bei Freunden unter. Was sind die gravierendsten Probleme der Betroffenen? Sie sind nicht krankenversichert, leben vom Betteln, vom Verkauf von Obdachlosenzeitungen oder von Diebstählen. Sie klinken sich aus, sie haben kein Vertrauen mehr. Es fehlen familiäre und gesellschaftliche Bindungen, viele sind total isoliert. Ich sehe in Berlin oft junge Leute in so schlechtem Gesundheitszustand, dass ich eigentlich den Arzt holen müsste.

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die 2. Konferenz der Straßenkinder und Flüchtlingskinder Auf der Konferenz kritisierte einer dieser Jugendlichen, die Anforderungen seien viel zu hoch, die ihnen das Jugendamt als Bedingung für eine Hilfe auferlegt … Es fließt viel Geld in Angebote, die den Jungen und Mädchen Leistungen abverlangen, die sie völlig überfordern. Sie schaffen es dann von einer Notaufnahmestelle zur nächsten, wo sie nur kurzzeitig bleiben können. In der Jugendhilfe ist die Haltung verbreitet: Wenn du was haben willst, musst du eine bestimmte Ausbildung absolvieren, dich in der Schule bemühen, in die Gruppe einfügen oder ähnliches. Das kann man nicht mit Menschen machen, die in existentieller oder seelischer Not und meist durch ihre Geschichte schon traumatisiert sind. Auch Heime fordern von Minderjährigen ständiges Wohlverhalten als „Gegenleistung“. Alleine in Berlin werden jedes Jahr etwa 400 Minderjährige von Hilfseinrichtungen mit der gesamten Habe in einer Mülltüte auf die Straße gesetzt, weil sie die verlangten Normen nicht erfüllt haben. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) versprach bei der Tagung zwar kleinere Hilfen, schob die Verantwortung den Ländern zu. Nimmt die Politik Betroffene überhaupt ernst?

Immerhin hat sie zugegeben, dass das Jugendhilfesystem kurz vor dem Kollaps steht und versprochen, genauer hinzuschauen. Sie darf zwar kleine Projekte finanzieren, aber nicht in den Kompetenzbereich der Bundesländer eingreifen. Ihre jetzigen Vorhaben, etwa Theatergruppen zu gründen, werden marginal vom Bund unterstützt. Dies setzt aber nicht an der existentiellen Versorgungsnot der Jugendlichen an. Was wir indes brauchen, sind Formen der Sozialarbeit, bei der Jugendliche eigene Erfahrungen machen können. Nötig ist bezahlbarer Wohnraum. Unsere Idee sind Gemeinschaftshäuser, die vor Obdachlosigkeit bewahren, und eine bundesweite Notrufnummer für Straßenkinder. In Dänemark werden beispielsweise bedingungsloses Wohnen und eine Grundversorgung angeboten. Dort hat man die Erfahrung gemacht, dass Jugendliche dann meist von selbst nach kurzer Zeit Hilfe annehmen. Die Jugendlichen äußerten auf der Konferenz den Wunsch, mit minderjährigen Flüchtlingen, die auch oft auf der Straße landen, zusammenzuleben. Schweißen erlebte Traumata zusammen? In Berlin haben wir zur Zeit etwa 700 unversorgte junge Flüchtlinge; in München und Hamburg herrschen ähnlich katastrophale Zustände. Aus eigener Erfahrung und Not heraus denken Straßenkinder eher gemeinschaftlich; sie wollen nicht, dass es anderen auch noch schlecht geht. Ihre Erfahrungen haben sie sensibler gemacht – allerdings gibt es auch junge Leute, die fürchten, nun noch weniger beachtet zu werden.

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Wenn zwei Welten aufeinander treffen Fotos: Babette Brühl

Behörde trifft Straßenjugend – Straßenkinder planen eine eigene Vertretung als Anlaufstelle für Notfälle. aus „taz“

HAMBURG – Als im September 2015 in Berlin die 2. Bundeskonferenz der Straßenkinder tagte, kam mit 40 Leuten die größte Gruppe aus Hamburg. Anlass für die Sozialbehörde, die jungen Leute einzuladen. Freitagmittag überreichten der 20-jährige Lucas und die 19-jährige Trieze dem stellvertretenden Leiter des Amtes für Familie, Dirk Bange, die in Berlin erarbeiteten Forderungen und blieben danach zum Gespräch. Lucas lebte ein halbes Jahr in Hamburg auf der Straße, bevor er mit Hilfe der Straßensozialarbeit eine Bleibe fand. Trieze war aus einem Heim geflohen, dass autoritäre Strukturen hatte. Heute lebt sie mit Baby in einer Mutter-Kind-Einrichtung. Seit der Schließung von Heimen wie Haasenburg und Friesenhof gibt es bundesweit eine Diskussion um die Heimpolitik. Es gebe gerade ein Zeitfenster „wo Sie mit ihrer Stimme gehört werden“, sagte Bange. Er wollte zum Beispiel wissen, ob die Einrichtung von Ombudsstellen sinnvoll ist. In ihrem Heim habe das nicht geholfen, sagt Trieze: „Da gab es totale Überwachung. Ich konnte keinen Schritt allein machen.“ Wichtig sei, überhaupt gehört zu werden und auf Augenhöhe mit Sozialarbeitern zusammenzuarbeiten, sagt Lucas. „Eine Beschwerdestelle ist nicht sinnvoll, wenn dann die Beschwerde nicht anerkannt wird. Da treten wir lieber selber an die Politik ran.“ Jugendliche, die in solche Heime kommen, würden oft als schwer erziehbar abgestempelt, ergänzt Trieze. „Da heißt es, der denkt sich das eh alles nur aus“.

Geschichten wie die von Lucas und Trieze gibt es viele. Bundesweit leben etwa 7.000 Minderjährige auf der Straße. Seit 2013 gibt es als erste Form der Selbstorganisation die rund 20-köpfige „Ständige Vertretung der Straßenkinder“, die sich alle zwei Monate im Raum Berlin trifft. Eine solche „Ständige Vertretung“ müsste es auch in Hamburg geben, sagte Carolin Becker vom Paritätischen Wohlfahrtverband, die gemeinsam mit Ronald Prieß (Linksfraktion) die Delegation begleitet hatte. Für so eine Vertretung, „bräuchte man auch Mittel“, setzte Pries nach. Auch Lucas und Trieze schwebt so eine eigene Vertretung vor. Ohne Sozialarbeiter mit Notruftelefon, wo sich Jugendliche rund um die Uhr über ihre Rechte informieren können. „Wenn jemand geschlagen wird in einer Einrichtung“, sagt Lucas, dann spreche der vielleicht lieber mit Gleichaltrigen als mit der Polizei. „Wir sind nicht nur gegen die Jugendhilfe. Vielen von uns hat sie geholfen“, sagt Lucas. Die Probleme gebe es meist wegen Schule, Ausbildung und Wohnungsnot. Hier will die Behörde einiges tun. Man habe einen Masterplan gegen Obdachlosigkeit von jungen Menschen entwickelt, sagte Banges Mitarbeiter Wolfgang Pritsching. Man wolle Notschlafplätze schaffen und dafür mit den Straßenkindern Ideen entwickeln. Auch andere Mitarbeiter ermunterten die beiden, sich zu melden, wenn sie Ideen haben. Lucas will das tun und ein Konzept für eine Straßenkinder-Vertretung einreichen 41


Pro t o k o lle

Warum landen Kids auf der Straße? (Erfahrungen)

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die 2. Konferenz der Straßenkinder und Flüchtlingskinder

➔➔ keine Unterstützung von Ämtern und Einrichtungen ➔➔ Missstände und Unfähigkeiten in Einrichtungen (z.B. schlagende Betreuer_innen, ➔➔ Erziehung mit Druck und Zwang), sowohl in Ämtern als auch in Einrichtungen. fühlen sich die Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht ernstgenommen sondern bevormundet (...)

Probleme im Elternhaus: Alkoholkonsum, Gewalt, psychische Probleme, Druck auf die Kinder / Überforderung

Wiederholte Argumente: ➔➔ Probleme zu Hause (Probleme der Eltern, Gewalt, Druck, s.o.), hatten alle ... ➔➔ Mehr Jugendliche berichteten über schlechte Erfahrungen als über fehlende Anlaufstellen. ➔➔ Bzgl. fehlender Anlaufstellen gab es Unterschiede, je nachdem ob sie aus Städten oder ländlicheren Regionen kamen. (...) Dass die Jugendlichen sich nicht ernstgenommen sehen oder ihnen nicht geglaubt wurde, wurde sehr oft erzählt! Zitate: ➔➔ „Was zählt mein Wort gegen das von selbsternannten Sozialpädagogen?“ ➔➔ „Dann sollt ich da was unterschreiben und wusste gar nicht, was das ist“ ➔➔ „... Gegenteil von dem passiert, was ich gebraucht hätte ➔➔ „Da bist Du nur ‘n Fall und wirst abgewimmelt.“ ➔➔ „von 10 gehen 5 wieder“ (Recht nicht bekommen, uninformierte Sachbearbeiter_innen, Scheitern an Fristen, und Termine einhalten) Mehrere Jugendliche berichten von Gewalt durch Betreuer_innen und Rauswürfen aus Einrichtungen und das Durchlaufen von mehreren Einrichtungen. Außerdem wurde mehrfach von der Weigerung durch Ämter berichtet, zustehende Rechte und Leistungen zu bewilligen, teilweise mit der Behauptung, dass diese nicht bestehen würden. Einige Jugendliche bezeichneten dies als Schikane und Kalkül. „Wachsender gesellschaftlicher Druck“ wurde in dieser Formulierung nicht so wiederholt, fand sich aber in unterschiedlichen Punkten wie z.B. erschwerter Zugang zu Wohnung und Arbeit, Perspektivlosigkeit etc wieder. (...)

Geschlossene Heime? ➔➔ Die Jugendlichen haben durchweg schlechte Erfahrungen mit Unterbringung in Heimen insgesamt gemacht oder von anderen nur Schlechtes gehört. ➔➔ Sie fühlen sich als Individuen nicht beachtet. ➔➔ Sie sollen in ein Schema gepresst werden und funktionieren. ➔➔ Keiner fragt, was für sie eine gute Lösung ist. ➔➔ Niemand interessiert sich für ihre Wünsche. Sie werden nicht ernst genommen. ➔➔ Die Betreuer begegnen ihnen wie einem Feind. Kinder/Jugendliche und Betreuer in den Einrichtungen stehen gegeneinander. Sie arbeiten nicht zusammen im Sinne der Jugendlichen. ➔➔ Geschlossene Heime schüchtern ein, machen seelisch kaputt, verunsichern und verängstigen. Die Jugendlichen der Konferenz berichteten von ähnlichen Zuständen aus eigenem Erleben oder sie hatten es von anderen gehört. Ein Mädchen hat ihre eigene Geschichte aus einem geschlossenen Heim erzählt. Sie wurde dort anderthalb Jahre festgehalten, bis sie fliehen konnte. Das ist jetzt fast zwei Jahre her. Beim Erzählen haben ihre Hände vor Erregung gezittert und sie war sehr aufgewühlt. Die Jugendlichen wurden weggesperrt. Ihnen wurde alles abgenommen. Sie durften keine persönlichen Dinge behalten, mussten Heimkleidung tragen und wären damit „draußen“ erkennbar gewesen. Sie waren den Betreuern ausgeliefert. Es gab „Anti-Aggressionsmaßnahmen“: mehrere Betreuer haben sich auf ein Kind draufgesetzt, bis es ruhig war. „Betreuer haben solange provoziert, bis man ausgerastet ist. Wenn man in sein Zimmer gehen wollte, um sich zu beruhigen, haben sie einen nicht gelassen. Sie haben nur gesagt, man solle sich endlich beruhigen. Die wussten ganz genau, dass es dann nur noch schlimmer wird und dann ist man wirklich ausgerastet. Und dann hatten sie wieder recht.“ Security-Leute standen überall. Man wird dort gedemütigt. „Wenn man immer schön gelächelt hat und alles gemacht hat, was die wollten, hat man einen Chip bekommen und damit dann Vergünstigungen.“ „Alles musste sich erkauft werden.“ „Am Anfang war man nur in seinem Raum. Da durfte man 10 Minuten am Tag raus, mit einem Betreuer. Aber nur, wenn der das nicht vergessen hat.“ „Man musste fragen, ob man was sagen darf. Durfte einen Raum nur nach Aufforderung betreten. Wenn man auf’s Klo musste, musste man klopfen und fragen, ob man das darf.“ (...) 42

Im World Café der Konferenz wurden lebhafteste Diskussionen zu 15 Themenkomplexen geführt. Wichtige Passagen wurden dabei auf großen Papierbahnen notiert. (Hier einige Auszüge aus den Protokollen)


Aus den Protokollen

Fotos: Lutz Müller-Bohlen

des World Cafés der Konferenz der Straßen- und Flüchtlingskinder 2015 in Berlin

Themenkomplex: Wohnen

Die Medien

Alle Besucher des World Cafés wünschen sich vier eigene Wände. Für die Einen bedeutet es eine eigene Wohnung, für die Anderen eine WG. Die Einen möchten auf dem Land leben, die Anderen in Stadtnähe und ein Großteil spricht vom Leben und Wohnen in der Stadt. Die Teilnehmenden wünschen sich mehr Unterstützung durch die zuständigen Ämter. Betont wurde von Vielen, dass die Hilfen individueller gestaltet werden sollten. Sie wünschen sich, dass verschiedene Wohnformen ausprobiert werden dürfen und dass ein Wechsel bzw. Abbruch einer Wohnform keine Strafen nach sich zieht. (Wohnformen und Zusammenleben ERLEBEN). Für einen Großteil der Jugendlichen ist ein harmonisches Miteinander mit den Nachbarn sehr wichtig.

Überraschend viele der Jugendlichen haben direkt eigene Erfahrungen mit Medienvertretern gesammelt. Etwa 30–40% der Jugendlichen berichteten direkt aufgrund eigener Erlebnisse und aus dem unmittelbaren Freundeskreis. Ein Großteil der Darstellungen beruht auf Erster-Hand-Erfahrungen mit TV-Sendern und Printmedien, und nicht auf reinen Meinungen oder Mutmaßungen.

Welche Ideen haben die Jugendlichen, damit eine positive Veränderung stattfinden kann. Was müsste sich systemisch ändern? ➔➔ Keine Ghettos in den Städten bilden lassen. Die Wohnungen, die vergeben werden, sollen nicht in Problembezirken liegen in denen wieder Gefahren wie z.B. Drogen oder Gewalt lauern. ➔➔ Den Ruf von sozialen Brennpunkten aufbessern, z.B. durch stadtteilübergreifende Kunstprojekte. ➔➔ Generationsübergreifendes Miteinander-Leben. ➔➔ Respektvoller Umgang mit seinen Nachbarn, egal aus welcher Gegend, aus welchem Land und mit welchem Aussehen. ➔➔ Zusammenarbeit zwischen den Ämtern stärken. ➔➔ Einfachere Regeln bei Wohnungsbeantragung, z.B. WBS aufstellen. ➔➔ Einfacherer, freundlicherer und niedrigschwelligerer Zugang zu den Vermietern. ➔➔ Wohnraum, in dem auch Tiere leben dürfen. ➔➔ Mehr Jugendwohnheime schaffen. Selbstbestimmte Wohnprojekte ➔➔ Kleingarten mit Laube auch als Dauerwohnsitz zulassen. ➔➔ Kaution und Genossenschaftsanteile in der Höhe reduzieren. Mehr billigeren Wohnraum schaffen. ➔➔ Zeitnahe Erstattung der Mietkaution. ➔➔ Belohnungsprogramm beim Wohnen durch die Betreuer einführen, z.B. wenn etwas nicht klappt, nicht bestrafen sondern wenn etwas klappt, belohnen. Beispiel: Der Jugendliche bekommt zur Belohnung einen neuen Schrank. ➔➔ Mehr offene Wohngruppen bzw. Heime schaffen. Die Jugendlichen auch mal woanders übernachten lassen, wenn es vorher angekündigt wurde und eine Adresse angegeben wird. (...) 43

Es werden durchaus Unterschiede zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen TV-Anstalten festgestellt. In einem konkreten Beispiel wurden beim ZDF fertige Filme vor der Ausstrahlung vorgelegt; dies war bei den Privaten niemals der Fall – es wurde vielmehr das Unwissen der Protagonistin bewusst genutzt, um sie während des Drehs unvorbereitet in unangenehme Situationen zu bringen. Absprachen und Zusagen wurden gebrochen und es gab praktisch keine Mitbestimmung. Eine junge Frau wurde als 13-Jährige ohne Zustimmung der Eltern in eine Talkshow geladen und dort bloßgestellt; die in einem kleinen Dorf lebende Familie in Mitleidenschaft gezogen. Von einem Mädchen wurden Fotos für BRAVO angefertigt, die aber von der Jugendlichen zurückgezogen wurden – drei Jahre später wurden ebendiese Fotos ohne Freigabe in einem sinnentstellenden Zusammenhang veröffentlicht. Einige Jugendliche konnten berichten, dass neben ihrer eigenen Mitwirkung an einer Doku-Sendung zusätzlich Darsteller gecastet wurden, um Straßenkinder zu mimen. Zitate: „Vieles wird aus dem Zusammenhang gerissen.“ / „Geld mit Straßenkindern zu verdienen (…) NO GO!“ /„Ausnutzen der hilflosen Situationen der Jugendlichen für Geld.“ / „Darstellung eines verfälschten Bildes der Situation von Straßenkindern.“ /„Keine Angstmache mehr!“ ➔➔ Es wird keine langfristige Hilfe geboten oder unterstützt ➔➔ Jugendliche werden als asozial dargestellt ➔➔ Jugendliche werden eher in ein negatives Licht gestellt ➔➔ Die Diskriminierung und gesellschaftliche Ächtung wird durch die Art der medialen Darstellung vorangetrieben. ➔➔ Durch das negative Bild werden Ängste geschürt; z.B. auch in Verbindung zur Flüchtlingsthematik ➔➔ Die negative Darstellung stärkt auch Vorbehalte seitens der Ämter, wodurch das Misstrauen der MitarbeiterInnen dort spürbar größer wird (...)


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Pro t o k o lle

die 2. Konferenz der Straßenkinder und Flüchtlingskinder

Themenkomplex Flüchtlinge

Gesetzeskonflikte

Krankenversicherung

Ein relativ großer Teil der Leute ist ehrenamtlich aktiv in der Flüchtlingshilfe; z.B. Begrüßung am Bahnhof, Hilfe bei Ausgabe, Begleitung der Flüchtlinge von dort zu den Unterkünften. Alle waren der Überzeugung, dass die Flüchtlinge aufgenommen werden müssen und erklärten sich uneingeschränkt solidarisch. Beide – Flüchtlinge/Flüchtlingskinder/unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) und Straßenkinder – haben mit Vorurteilen in der Gesellschaft zu kämpfen und sind gesellschaftlich ausgegrenzt. Vorurteile der Gesellschaft gegen Straßenkinder sind groß, da die meisten nicht wissen oder nachvollziehen können, was die Kinder auf die Straße getrieben hat. „Schmarotzer, Drückeberger, faules Pack, dreckige Gören“ etc. sind nur einige der Beschimpfungen, die sich die Straßenkinder täglich anhören müssen. Ähnlichen Vorurteilen sind auch Flüchtlinge ausgesetzt.

➔➔ Schwarzfahren ➔➔ Diebstahl und “Kollateralschaden” ➔➔ Platzverweise ➔➔ Vorurteile/Diskriminierung/Schubladendenken der Polizei ➔➔ Fehlende professionelle Hilfe, um sich zu strukturieren (manche Kids haben Betreuer; Bewährungshelfer kommt zu spät) ➔➔ Geldmangel macht den Umgang mit Bußgeldern zur Farce (und zwingt zu Diebstahl, Schwarzfahren und teilweise zur Prostitution) ➔➔ Schulbesuche bzw. Schulversäumnisanzeigen ➔➔ Einschüchterungsmaßnahmen / Gewalt der Polizei ➔➔ Bestrafung: Erzieherische Maßnahmen bringen häufig mehr als Knast (außer wenn dort Ausbildung möglich ist); Vermögensdelikte werden härter bestraft als Körperverletzung ➔➔ Fehlender Wohnsitz und damit keine postalische Erreichbarkeit sowie lange Strafverfahren führen dazu, dass die Jugendlichen sich in dem Moment nicht bewusst über die Konsequenzen sind. Zudem erreichen sie die Strafen dann gehäuft und teilweise rutschen die Jugendlichen dadurch aus mittlerweile geregelten Verhältnissen wieder zurück

➔➔ Mindestbeiträge der Krankenkassen (KK) für viele zu hoch ➔➔ Schuldenfalle durch Behandlungskosten bzw. Nachforderung nicht geleisteter Beiträge zur Krankenversicherung (KV) ➔➔ Hohe bürokratische Hürden ➔➔ Meldefehler, wenn mitversicherte Kinder von einem Elternteil zum anderen wechseln ➔➔ Uneindeutige Zuständigkeiten von Ämtern und KV und damit verbunden viele Wege ➔➔ Sachbearbeiter, die Wissen über Möglichkeiten der Versorgung selbst nicht haben oder nicht weiter geben ➔➔ Mangelnde Fachkenntnis auf Seiten der Mediziner über häufig vorkommende Erkrankungen Obdachloser

Gemeinsamkeiten der Straßenkinder und Flüchtlingskinder: ➔➔ Beide benötigen Aufmerksamkeit, Unterstützung und ggf. psychologische Hilfe ➔➔ Beide benötigen menschenwürdige Unterkünfte ➔➔ Beide flüchten/sind geflüchtet ➔➔ Die Schicksale von beiden müssen besser von der Gesellschaft verstanden werden ➔➔ Beide sind mutig und belastbar und zeigen Eigeninitiative ➔➔ Beide sind ausgeschlossen vom gesellschaftlichen Leben, möchten aber gesellschaftlich teilhaben

Vermutete Ursachen? Menschen haben Angst vor dem Neuen, dem Unbekannten, Berührungsängste gegenüber allem und allen, das/die nicht „normal“ erscheint/erscheinen ➔➔ Die Bevölkerung hat kein Interesse, ist abgestumpft; es kommt zu einer wachsenden Gleichgültigkeit ➔➔ Gesellschaft ist nicht aufgeklärt, sie versteht die Hintergründe nicht ➔➔ Die Solidarität für Flüchtlinge ist momentan da, aber sie wird nachlassen ➔➔ Der Staat ist überfordert und handelt in Feuerwehrmentalität

Ängste und Befürchtungen: ➔➔ Anstieg von Rechtsextremismus, Rassismus, Faschismus ➔➔ Befürchtung, dass die sozial Schwachen gegeneinander ausgespielt werden; z.B. Kürzung von Fördermitteln bei Wohnungssuche, Arbeitsplätzen, Betreuung (...)

Analysen haben die Jugendlichen: ➔➔ Man braucht Tickets, um den bürokratischen Verpflichtungen nachzukommen. Um an Geld vom Staat zu kommen, um sich Tickets leisten zu können, muss mann schwarzfahren ➔➔ Ihnen fehlen Informationen und Struktur, wie man Unterstützung vom Staat bekommt ➔➔ Es fehlt eine Beschwerdestelle, um sich gegen Polizeiwillkür zu verteidigen ➔➔ Platzverweise erfolgen aufgrund des Aussehens ➔➔ Gründe für die häufige Kontrolle durch die Polizei sehen sie in ihrem Alter, in ihrem Aussehen/Kleidung und in Vorurteilen ihnen gegenüber ➔➔ Es fehlt an Kontakten zwischen Straßenkindern und Helfern ➔➔ „Der Schulbesuch von der Straße aus ist (fast) unmöglich.“ Kinder auf der Straße gehen unter erschwerten Bedingungen zur Schule. Dadurch, dass sie keinen geregelten Schlafplatz haben, ist es schwer, früh aufzustehen (sie sind dann die einzigen, die früh aufstehen). Dazu kommt, dass sie sich die Schulmaterialien nicht leisten können ➔➔ Zu lange Strafverfahren (...) 44

Kosten: ➔➔ Die finanzielle Belastung durch Mindestbeiträge der KV, die bei Kleinstbezügen immer noch zu leisten sind und die immensen Kosten, die sich durch eine (Krankenhaus-­)Behandlung oder eine Rückforderung nach einer versicherungsfreien Zeit ergeben, waren für fast alle das wichtigste Thema ➔➔ Jemand musste ins Krankenhaus, wurde auch behandelt, sah sich aber danach Forderungen gegenüber, die er in absehbarer Zeit nicht wird begleichen können ➔➔ Betroffene gingen trotz Schmerzen nicht zum Arzt oder ins Krankenhaus, weil sie die entstehenden Kosten fürchten ➔➔ Wichtige Untersuchungen unterbleiben, weil die Zuzahlung nicht geleistet werden kann oder sie gänzlich außerhalb des Maßnahmenkatalogs der Krankenkasse liegen und privat bezahlt werden müssten ➔➔ Verträglichere Medikamente oder solche für bestimmte Erkrankungen wurden nicht bezahlt

Bürokratie: KV und Verwaltung: ➔➔ Sehr häufig wurde darauf hingewiesen, dass die Betroffenen nicht wussten wie man sich als junger Erwachsener um die KV kümmert, welche Schritte anstehen, an wen sie sich wenden müssen, da „... der ganze Papierkram ...“ vorher entweder von zumindest einem Elternteil oder vom Jugendamt erledigt wurde ➔➔ Andere haben sich auf einen langen Weg durch den Zuständigkeitsdschungel gemacht, wurden hin-­und hergeschickt, bis sie den entscheidenden Hinweis für das richtige Vorgehen außerhalb des Systems bekamen (...)


Thema Schule ➔➔ Fast alle berichteten von Mobbing an der Schule, fühlten sich nicht sicher dort ... ➔➔ Sehr häufig wurde gesagt, dass die Lehrer_innen kein Interesse an den Schülern_ innen hatten oder ihnen auch sehr hilflos begegneten – bis zur Gewalt am Schüler ➔➔ Oft durch den Unterrichtsstoff überfordert und keine Möglichkeit, durch Nachhilfe den Unterrichtsstoff erklärt zu bekommen, da die finanziellen Mittel fehlten ➔➔ Das „Schwänzen“, „nicht zur Schule gehen“ setzte ein, als sie merkten, das sie vom/von der Lehrer_in nicht richtig wahrgenommen wurden und sich mit ihrer Situation alleine gelassen fühlten ➔➔ Es wurde immer wieder vermittelt, dass ihnen gesagt oder gezeigt wurde, was sie alle nicht können ➔➔ Kein Interesse am Schüler – so wie sie es oft von zu Hause kennen ➔➔ Ein Wiedereinstig in die „normale Schule“ wurde als unmöglich beschrieben

Analysen der Jugendlichen: Überforderte Lehrkräfte, die nur ihre Unterrichtsinhalte vermitteln wollen und nicht die Schüler_innen sehen ➔➔ Schlecht ausgebildete Lehrer_innen in sozialen Kompetenzen ➔➔ Zu wenig Sozialarbeiter ➔➔ Zu große Schulklassen (bis zu 40 Schüler in einer Klasse – wurde mehrmals berichtet) ➔➔ Zu wenig Zeit für den Unterrichtsstoff (nur noch 12 Jahre Schule und nicht 13); der Zeitdruck wird auf die Schüler verlagert, sie müssen viel schneller Unterrichtsinhalte verstanden haben; wer mehr Zeit zum Verstehen benötigt, kommt nicht mit und braucht Nachhilfeunterricht, wenn dieser nicht bezahlbar ist, bleibt man auf der Strecke ➔➔ Keine Hilfe von den Eltern

Ideen für Veränderungen:

Fotos: Lutz Müller-Bohlen

➔➔ Schule als Ort der Sicherheit ➔➔ Jeder sollte soviel Zeit zum Lernen haben, wie er benötigt ➔➔ Bildungspakete (Geld) direkt an die Schulen, nicht an die Eltern (Zuschüsse für Klassenfahrten etc.) ➔➔ Soziales Kompetenztraining für Schüler; Umgang mit Menschen, mehr gemeinsame Aktivitäten ➔➔ Individuelle Kleidung mit einigen Vorgaben ➔➔ Gleichbereichtigung zwischen Lehrern und Schülern – Autoritäten auflösen ➔➔ Unterrichtsfächer, welche lebensnah sind; mehr Sachen und Dinge lernen, die man im unmittelbaren Leben braucht (...) 45


„Das Jugendamt und ich“ Aus den Umfragebögen der Konferenz der Straßenkinder und Flüchtlingskinder

wie das im Prätext geschilderte Beispiel; so schreibt ein junger Mann aus Hamburg: „Das Jugendamt Emden hat sofort realisiert, dass ich dringend Hilfe brauche. Sie haben mich sehr gut beraten und waren nicht nur

Fotos: Lutz Müller-Bohlen

d e r A us we r t un g

Fragebögen der Konferenz

„Beim Erstkontakt mit dem Jugendamt – da war ich 12 Jahre – wurde ich von der zuständigen Frau einfach wieder nach Hause geschickt, obwohl ich um Herausnahme aus der Familie gebeten habe. Die Frau glaubte mir nicht, dass ich zu Hause geschlagen werde. So blieb mir nur die Flucht auf die Straße. Später hat mir dann mein „Betreuer“ mein Geld auf die Domplatte gebracht; eine Unterkunft fand man nicht. [...] 2x wurden mir Wohnungen versprochen, doch diese Versprechen nie eingehalten.“

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ines unserer Hauptziele auf der Konferenz der Straßenkinder und Flüchtlingskinder ist es, Themen auszumachen und anzupacken, die für beide Teilnehmergruppen unmittelbar relevant und problembehaftet sind. Anknüpfend an den persönlichen Erfahrungsschatz jedes Teilnehmers möchten wir in den Diskussionsgruppen der Konferenz analysieren, worin genau die Probleme begründet liegen und wie demzufolge mögliche Lösungsansätze aussehen könnten. Neben Schule und Ausbildung, Gesundheit und dem Leben innerhalb und außerhalb von Jugendhilfeeinrichtungen sind dabei Behördengänge im Allgemeinen und der Gang zum Jugendamt im Besonderen ein Thema, das bei den Jugendlichen regelmäßig für viel Unmut und für dementsprechend heftige Diskussionen sorgt. Aus diesem Grund haben wir uns entschlossen, im Rahmen des World Cafés unserer diesjährigen Konferenz einen Fragebogen auszuteilen, der sich explizit mit den Vorerfahrungen und den Änderungswünschen der TeilnehmerInnen im Bezug auf das Jugendamt befasst. Insgesamt 33 Straßenkinder aus ganz Deutschland und der Welt haben an der Umfrage teilgenommen und haben den von uns entworfenen Fragebogen „Das Jugendamt und ich“ am gleichnamigen Diskussionstisch des World Cafés beantwortet; darunter 18 junge Frauen und 15 junge Männer. Die Altersspanne der TeilnehmerInnen ist dabei recht weit: der jüngste Teilnehmer ist 13, die älteste Teilnehmerin 48 Jahre alt. 4 von ihnen leben dabei noch immer auf der Straße; der Rest lebt entweder in Jugendhilfeeinrichtungen (2), bei Verwandten oder Freunden (2), im Elternhaus (5) oder hat eine eigene Woh-

nung (11). Im Durchschnitt waren oder sind die TeilnehmerInnen 2,7 Jahre wohnungslos; als Grund für ihre Wohnungslosigkeit geben die Meisten Streit mit den Eltern (11) oder andere familiäre Probleme wie die Erkrankung bzw. der Tod eines Elternteils oder Gewalt in der Familie (insg. 4) an. An zweiter Stelle, wenn es um den Verlust des Obdachs geht, steht das Ausscheiden aus dem Jugendhilfesystem: 7 Jugendliche geben an, dass sie auf der Straße gelandet sind, weil sie der Maßnahme verwiesen (2) oder schlicht volljährig geworden (5) sind. Bei 2 TeilnehmerInnen war hingegen der Verlust des Ausbildungs- bzw. Arbeitsplatzes der ausschlaggebende Faktor. Wenn es um die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt geht, so fallen gottseidank nicht alle Erfahrungsberichte so deprimierend aus 46

für mich da, sondern auch für meine Eltern.“ und auch andere TeilnehmerInnen berichten, dass ihnen schnell und vor allem zielgerichtet geholfen wurde. Grundsätzlich aber bestätigt sich der – in den Augen der Jugendlichen – schlechte Ruf der Behörde: eine junge Frau aus Essen klagt an, das Jugendamt habe „... jahrelang die Misshandlungen in der Familie nicht bemerkt, trotz offensichtlicher Narben“, und zwei weitere TeilnehmerInnen, gebürtig aus Polen und Kasachstan, berichten, sie seien wegen ihrer sexuellen Orientierung bzw. wegen ihres brüchigen Deutsch offen diskriminiert worden. Insgesamt bewerten von den 33 befragten Jugendlichen 8 ihre bisherigen Erfahrungen mit dem Jugendamt als „sehr schlecht“, 7 als „schlecht“, weitere 8 sind neutral – „weder gut noch schlecht“ – und nur 5 TeilnehmerInnen beurteilen die


Zusammenarbeit als „gut“. Das einzige „sehr gut“ bekommt die Behörde ausgerechnet von einem jungen Mann verliehen, der zur Zeit selbst noch auf der Straße lebt. Wenn man sich die Verteilung der Bewertungen genauer anschaut, so fällt auf, dass vor allem die weiblichen Teilnehmerinnen der Umfrage negative Erfahrungen mit dem Jugendamt gemacht zu haben scheinen: von den insgesamt 15 Befragten, die ihre Erfahrungen als „sehr schlecht“ oder „schlecht“ eingeordnet haben, sind 10 weiblich; umgekehrt stammen 5 von den insgesamt 6 Bewertungen im Bereich „gut“ bis „sehr gut“ von männlichen Teilnehmern – die einzige weibliche Teilnehmerin, die dem Jugendamt die Note „gut“ verleiht, hat selbst keine Erfahrungen mit der Behörde gemacht; sie berichtet auf ihrem Fragebogen von einer Freundin, die über das Jugendamt an einen Platz in einer Wohngruppe gekommen ist. Fragt man die Jugendlichen ganz konkret nach positiven Erfahrungen mit dem Jugendamt („Was war / ist besonders gut (bei deiner Zusammenarbeit mit dem Jugendamt)?“), so erhält man auffallend häufig entweder keine Angabe (11) oder auch ein eindeutiges „Nichts“ (9). Einige wissen dann aber doch Positives zu berichten: insgesamt 4 TeilnehmerInnen geben an, dass man sich beim Erstkontakt sofort um alles Notwendige gekümmert hat und dass sie gut beraten worden sind; 3 weitere verweisen darauf, dass sie über das Jugendamt in einer guten Jugendhilfemaßnahme oder einer guten Pflegefamilie untergebracht werden konnten. 2 TeilnehmerInnen betonen außerdem, dass die jeweiligen MitarbeiterInnen ihnen zugehört haben, als sie von ihren Problemen berichteten; auch, dass ihnen das Jugendamt dabei geholfen hat, sich zu verselbständigen, geben 2 der Befragten an.

Was die negativen Erfahrungen mit dem Jugendamt betrifft („Was war /ist besonders schlecht (bei deiner Zusammenarbeit mit dem Jugendamt)?“), so lautet die häufigste Antwort, dass die MitarbeiterInnen den Jugendlichen nicht zuhören und dass diese sich folglich nicht ernst genommen fühlen (9). Auch dass die MitarbeiterInnen einen überforderten Eindruck machen und ausgesprochen unfreundlich wirken, wird von 2 TeilnehmerInnen erwähnt; in einem Fall wurde dem Jugendlichen sogar offen mit einer geschlossenen Unterbringung gedroht, sollte dieser sich den Vorgaben der Behörde nicht fügen. 2 Jugendliche geben an, dass die Misshandlungen im Elternhaus von den MitarbeiterInnen über einen Zeitraum von mehreren Jahren nicht bemerkt (1) oder, trotz eindeutiger Aussage des betroffenen Jugendlichen, wissentlich ignoriert wurden (1). Auch von Schuldzuweisungen vonseiten des/der zuständigen Mitarbeiters/in ist die Rede (1). 2 Jugendliche bemängeln zudem, dass sie ohne erkennbare Struktur von einer Jugendhilfemaßnahme in die andere geschoben wurden und dass sie sich dementsprechend häufig mit Betreuerwechseln konfrontiert sahen. Ein weiterer Kritikpunkt, der von insgesamt 2 Jugendlichen ins Feld geführt wird, sind die langen Warte- und Bearbeitungszeiten; so berichtet eine junge Frau von einer 2-jährigen Wartezeit, bevor ihr Antrag auf ambulantes Wohnen schließlich bewilligt wurde. Ausgehend von ihren persönlichen Vorerfahrungen mit dem Jugendamt wollten wir von den Jugendlichen natürlich auch wissen, was sie sich für die zukünftige Zusammenarbeit mit den MitarbeiterInnen der Behörde wünschen würden („Was wünscht du dir von den MitarbeiterInnen im Jugendamt?“) und bekommen dabei eine eindeutige Antwort: „dass sie mich ernst nehmen und soweit wie möglich auf meine Wünsche eingehen“ (9).

Darüber hinaus wünschen sich die TeilnehmerInnen unter anderem mehr Toleranz und mehr Engagement (4), eine schnellere und bedingungslose Hilfe, vor allem im Notfall (4) sowie eine fundiertere Ausbildung der MitarbeiterInnen, insbesondere im psychologischen Bereich (3). Hierbei kritisieren die Jugendlichen insbesondere, dass vielen MitarbeiterInnen des Jugendamts der Umgang speziell mit Straßenkindern und -jugendlichen fremd sei und plädieren dementsprechend nicht nur für einen „Background-Check“, um die persönliche und professionelle Kompetenz sicherzustellen, sondern auch für einen „Praxistest“, „[...] dass die ‘mal ‘raus auf die Straße gehen und sich das Bild ‘mal persönlich ansehen“. Wieder Andere wünschen sich eine/n persönliche/n Ansprechpartner/in statt einem permanenten Wechsel der Zuständigkeiten (1) und mehr Netzwerkarbeit vonseiten der MitarbeiterInnen, die den Austausch zwischen Kind und Eltern (1), aber auch den Austausch zwischen betroffenen Kindern und Jugendlichen (1) fördern sollen. Eine Teilnehmerin bringt die Wünsche und Hoffnungen der Jugendlichen in ihrer Antwort auf den Punkt: „Dass bei der Schulung und auch schon im Bewerbungsverfahren der Mitarbeiter auf die Bereitschaft geschaut wird, wie sie auf die Klienten eingehen. Dass ihnen nicht nur der erzieherische Auftrag als Priorität liegt, sondern dass sie mit den Klienten eine individuelle Version des Hilfeauftrags erarbeiten, in der sich die Jugend auch aufgehoben fühlt und somit eine Festigung und Stabilität der oftmals zerbrochenen Persönlichkeit erfahren kann. [...] Wichtig finde ich auch, dass mehr Transparenz herrscht; es zeugt und schafft Vertrauen und Vertrauen ist enorm wichtig.“ Jennifer Menges

EURE SOLIDARITÄT MACHT JUGENDHILFE ÜBERFLÜSSIG Kauft euch ein in die solidarische KARUNA Genossenschaft mit Familiensinn! KARUNA Zukunft für Kinder und Jugendliche International e.V. e.G. www.karunaberlin.de 47


A us wirk un ge n

der Konferenz

+++Eilmeldung: Hamburg richtet Büro für die örtliche Ständige Vertretung der Straßenkinder ein +++ Geplant sind vorerst 3 Stellen aus dem Programm Bundesfreiwilligendienst, mitfinanziert durch die Hansestadt

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ie Vorgeschichte: Hamburg auf dem Weg zur 2. Konferenz der Straßenkinder und Flüchtlingskinder

Es ist der 25. September 2015: knapp 50 Straßenkinder und -jugendliche aus Hamburg und Umgebung machen sich auf den Weg nach Berlin, um bei der zweiten Konferenz der Straßenkinder und Flüchtlingskinder über die aktuelle Situation der Jugendhilfe zu sprechen und Lösungsansätze für die Politik zu erarbeiten. Begleitet von 8 BetreuerInnen und 2 BotschafterInnen haben die Jugendlichen gute Neuigkeiten im Gepäck: Eine Grußbotschaft und, was noch viel wichtiger ist, einen konkreten Termin vonseiten des Senators, an dem die Jugendlichen die Ergebnisse der Konferenz den örtlichen PolitikerInnen mitteilen sollen.

der Paritätische Hamburg wird sich an der Finanzierung beteiligen. Die Linke hat darüber hinaus bereits im Vorfeld des Gesprächs ihre Beziehungen spielen lassen und einen Makler kontaktiert, der in Aussicht gestellt hat, die Kosten für die Büroräume zu übernehmen. Das Ziel: Am 01.04.2016 soll das Büro der Ständigen Vertretung der Hamburger Straßenkinder eröffnet werden. Außerdem wurde vereinbart, dass die Mitglieder der Ständigen Vertretung ab sofort zu allen relevanten Themen im Bereich Jugendhilfe gehört werden sollen. Trietze und Lucas

Der Termin: Ein Meilenstein in der Hamburger Jugendhilfepolitik! Am 09. Oktober 2015 war es dann soweit: Trietze und Lucas übergaben in Vertretung aller Hamburger Straßenkinder und -jugendlicher die Ergebnisse der Konferenz unter Beteiligung vieler BehördenmitarbeiterInnen, KollegInnen, u.A. von KIDS, sidewalX und basis und woge e.V., und – nicht zuletzt – der beiden BotschafterInnen Carolin Becker (Paritätischer Hamburg) und Ronny Prieß (Die Linke Hamburg) an Herrn Dr. Bange von der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration. Neben einer bewegten Diskussion um die Konferenz als Solche sowie um die drohende Schließung des KIDS, das Gefahr läuft, seine Räumlichkeiten im September 2016 aufgeben zu müssen, war ein Hauptthema des Termins die Gründung einer örtlichen Ständigen Vertretung der Straßenkinder sowie die Einrichtung eines offiziellen Lobbybüros, von dem aus die Ständige Vertretung zukünftig arbeiten soll. Das Ergebnis des Gesprächs kann man ruhigen Gewissens als Durchbruch bezeichnen: Die Hansestadt wird die Personalkosten und Teile der Sachkosten für 3 BUFDI-Stellen in Form einer Zuwendung übernehmen; auch

Letztes Gespräch in der BASFI – hier wurde die Eröffnung der Ständigen Vertretung in Hamburg geplant. Von links nach rechts: Frau Klipp (BASFI), Oxana, Monica Cotera (Praktikantin BASFI / basis & woge e.V), Frau Gehrken, Trietze und ihr Junior

wurden bereits zu mehreren Sitzungen der Stadtverwaltung und diverser politischer Parteien geladen; außerdem gab es eine Einladung zum Landesjugendhilfeausschuss und zum Hamburger taz-Salon mit dem Thema „Schlechte Heime - Schlechte Jugendhilfe“. Wir gratulieren und wünschen den Jugendlichen und allen Beteiligten einen guten Start und viel Erfolg für die gemeinsame Arbeit! 48


Eine Genossenschaft mit Familiensinn

„Wir müssen mehr tun als nur ein Aktion Mensch-Los zu kaufen!“ Die Schauspielerin Stefanie Stappenbeck wird Mitglied der solidarischen Sozialgenossenschaft KARUNA, der Genossenschaft mit Familiensinn

Stefanie Stappenbeck: Sehen wir die Krisen in dieser Welt, so wie die der Finanzen und alle anderen bösen Machenschaften, wie Kriege, kommt man nicht umhin, Alternativen zu denken. Dabei habe ich mich ertappt, dass es nicht immer nur die bösen Anderen sind. Es gibt auch einen Eigenanteil. Auf welchem Konto z.B. liegt mein Geld? Dort wo es vielleicht mehr Zinsen gibt? Auch ich bin gierig, nicht nur die Finanzhaie, nicht nur die bösen Investmentbanker. Immer öfter frage ich mich was ich tun kann in meinem Leben? Was steht in meiner Macht? Und da hab ich eben zum Beispiel gedacht, ganz radikal: mein Geld gebe ich der GLS Bank, der Gemeinschaftsbank für Leihen und Schenken. Oder was eine umweltschonende Landwirtschaft betrifft, was die Ernährung angeht, kaufe ich doch besser Bioprodukte. Ich hoffe auch, so dazu beizutragen, dass die Bio-Nahrungsmittel preiswerter werden, damit sich jeder das leisten kann.

kommen, die einen ja klein macht. Und toll doch auch, was ihr schon alles auf die Beine gestellt habt: eine Akademie für Mitbestimmung, Wohnprojekte, Kinderhäuser, Schulen, ein Café, die ganze Präventionsarbeit für fast 20.000 Schulkinder, die Vorhaben in Vietnam, was ihr schon in der Mongolei gemacht habt für Straßenkinder, die Hilfeeinrichtung DRUGSTOP ... Also kurzum, ich werde Mitglied der KARUNA

Genossenschaft mit Familiensinn und möchte auch andere dazu ermutigen, mitzumachen, Anteile zu zeichnen und mit allen gemeinsam, zusammen mit den Jugendlichen, die wir fördern möchten, zu überlegen, was wir auf die Beine stellen, zukünftig. Mit mir könnt ihr rechnen. Neuigkeiten zur Gründerversammlung 2016 unter: www.karunaberlin.de

Foto: Jörg Richert

Stefanie, was motiviert dich mitzumachen, bei der solidarischen Sozialgenossenschaft KARUNA, die 2016 gegründet werden soll und die aus dem KARUNA Zukunft für Kinder und Jugendliche in Not e.V. hervorgeht?

Ich glaube daran, dass man mit dem Fluss des Geldes dazu beitragen kann, die Welt friedvoller zu gestalten. Wir sitzen auf einer Gemütlichkeitsinsel. Die Situation jetzt aber fühlt sich so verkehrt an, wenn man nicht aktiv dazu beiträgt, dass es den Anderen besser geht. Wir müssen mehr tun als nur ein Aktion Mensch-Los zu kaufen! Und schließlich habe ich eine kleine Tochter. So ist der nächste Schritt für mich, mich aktiv einzubringen. Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich über KARUNA nachdenke. KARUNA als eine Solidargenossenschaft mit Familiensinn. Wie toll. Da möchte ich mitmachen, da kann ich auch was lernen! Eine ganz wundervolle Idee, so eine Gemeinschaft, in der ich genauso meinen Platz habe wie ein Jugendlicher ohne Eltern, ob nun aus Syrien oder aus Deutschland. Dass wir dann gemeinsam über die Zukunft nachdenken können. Eine Verantwortungsgemeinschaft. Was mir besonders gefällt, ist der Gedanke, dass junge Menschen so viel eher eine Chance haben aus der Opferrolle zu 49


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rieg ist etwas sehr Schlimmes. Wenn der Krieg dann so schlimm ist, dass die Menschen aus ihrer Heimat fliehen müssen, ist es noch schlimmer. Flüchtlinge - es gibt kaum eine Nachrichtensendung, in der dieses Thema nicht vorkommt. Ich finde es sehr wichtig, dass wir die Flüchtlinge in unserem Land aufnehmen und verstehe nicht, warum manche Länder keine Flüchtlinge aufnehmen wollen. Wir sind eine Welt, und wir müssen uns gegenseitig helfen. Als damals in Deutschland und in anderen Ländern der 2. Weltkrieg war, sind auch viele Menschen geflüchtet. Deshalb sollte jedes Land Flüchtlinge aufnehmen. Wenn jetzt andere Länder Mauern bauen, damit die Flüchtlinge nicht in ihr Land können, ist es ja fast so, wie die große Mauer, die damals Deutschland in zwei Hälften geteilt hat. Es waren sich ja so ziemlich alle einig, dass so etwas nie wieder passieren darf. Die Politiker haben sicher ein paar gute Gründe, die Flüchtlinge nicht aufzunehmen, doch einzelne Menschen denken wahrscheinlich auch, dass die Flüchtlinge ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen und sind deshalb gegen Flüchtlinge. Das ist ein Vorurteil und es stimmt überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil. Sie sorgen für neue Arbeitsplätze. Die Flüchtlinge müssen Deutsch lernen. Deshalb werden Lehrer gebraucht. Außerdem waren die Flüchtlinge lange unterwegs und haben möglicherweise Krankheiten und Verletzungen. Es werden also auch mehr Ärzte gebraucht. Eine Flucht muss schrecklich sein. Die Flüchtlinge reisen teilweise mehrere 1000 km. Das ist so weit. Das kann schon mehrere Jahre dauern. Wenn sie dann tatsächlich ihr Ziel erreichen, sind sie bestimmt erst mal total glücklich. Sie haben viel Schreckliches erlebt, sind erschöpft und müssen sich deshalb ausruhen. Leider werden viele Flüchtlinge abgeschoben. Dann müssen sie wieder nach Hause. Das ist doch richtig blöd. Man hat sein Ziel gerade erreicht und dann sagt jemand, dass man hier nicht bleiben darf. Dabei hat man sich gerade total wohl gefühlt. Wie, als würde man eine voll große Steinkugel einen Berg hochrollen. Man hat es gerade geschafft, die Kugel bis nach oben zu rollen und man ruht sich aus. Dann kommt jemand und stößt die Kugel an. Man merkt es zu spät, und sie rollt den Berg runter. Bis ganz nach unten. Wenn Flüchtlinge abgeschoben werden, bedeutet es für mich, dass ihnen ein Stück Freiheit genommen wird. Jeder sollte dahin reisen können, wo er will. Nicht nur dahin, wo es ihm erlaubt wird. Ich glaube, wir können es uns sehr schwer vorstellen, wie schwierig und anstrengend eine Flucht ist. Ganz einfach darum, weil die Jüngeren unter uns, so etwas nicht unbedingt schon mal gemacht haben. Dass man noch nie flüchten musste, ist ja gut. Aber ich finde, man sollte ab und zu mal darüber nachdenken, wie gut wir es haben. Für uns in Deutschland ist es ganz normal, dass man einfach so draußen spielen kann, ohne dass man Angst haben muss, erschossen zu werden. Wir können jeden Tag in die Schule gehen. Viele Kinder können das nicht. Zum Beispiel Kinder in Syrien. Wahrscheinlich verbieten die Eltern, die noch nicht getötet wurden oder geflüchtet sind, ihren Kindern, auf die Straße zu gehen. Sie müssen sich wahrscheinlich im Haus verstecken, sich beschäftigen und hoffen, dass einfach alles vorbei ist. Daran sollte man einfach ab und zu mal denken. Wir haben das große Glück.

Wir sind eine Welt und müssen uns gegenseitig helfen Stella, 11 Jahre

Text und Illustration stammen aus einer Materialsammlung, die auf Initiative von Doreen Mechsner entstand: Berliner Kinder und Jugendliche schrieben und zeichneten zum Thema Heimat und Flucht. Mit diesem Material wird ein Lernparcour entstehen, der Verständnis und Toleranz unter Kinder und Jugendlichen fördern soll.

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Foto: Lutz Müller-Bohlen

Der Kinderchor der Freien Integrativen Montessorischule STERNENWIESE Berlin-Pankow unter der Leitung von Simone Just eröffnete die 2. Konferenz der Straßenkinder und Flüchtlingskinder mit einer beeindruckende Performance.

Impressum ZEITDRUCK - Magazin von jungen Ein- und Aussteigern besteht seit 1994 und erscheint unregelmässig | Häusliche Anschrift: Hausotterstr. 49. 13409 Berlin | Tel.: 030 - 55 48 95 29, Fax: 030 - 55 48 95 27 | e-mail: karunaberlin@t-online | V.i.s.P.: Jörg Richert u.v.a. Layout: Karsten Schützler, Titelfoto: Jim Rakete, Druck: Druckerei Braul, Berlin | Herausgeber: KARUNA Zukunft für Kinder und Jugendliche in Not International e. V. Alle Nachdruckrechte bei KARUNA e.V., Veröffentlichungen widerspiegeln nicht immer die Meinung des Herausgebers.

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BILDE DEIN ANDERSSEIN Melde Dich an unter www.demokratiebildung.info Justus Delbrück Haus | Akademie für Mitbestimmung Bahnhof Jamlitz 15868 Jamlitz / Tel.: 0176 10 612 789 und 033671-2682 /jamlitz@karuna-ev.de 52


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