"Die letzte Therapie" - von Jan-Heiner Tück

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SAM ST AG, 28. JUL I 20 18

L EBEN

GEIST & WELT 11

Die letzte Therapie Jahrhundertelang hat die Kirche Höllenängste verbreitet. Was sagt die Theologie heute über Liebe und Zorn Gottes? Kommt jede und jeder in den Himmel? JOSEF BRUCKMOSER

„Angst?“ ist das Thema der Salzburger Hochschulwochen von morgen, Sonntag, bis 5. August in der Aula der Universität Salzburg. Der Theologe Jan-Heiner Tück befasst sich mit Angstwelten der Gegenwart und ihrer Therapie aus christlicher Sicht. Hat die Kirche die „Höllenangst“ abgelegt? SN: Sie sprechen über Religion zur Angstbewältigung. Tatsächlich haben aber die christlichen Kirchen die Höllenangst gepflegt.

Tück: Das sperrige Motiv des ewigen Heilsverlusts ist bereits in Jesu Gerichtsrede am Ende des Matthäusevangeliums zu finden, mit einem klaren doppelten Ausgang: Die Guten werden belohnt, die Bösen werden bestraft – für immer. Dieses Motiv ist von der Kirche oft moralisch, pädagogisch, katechetisch aufgenommen und auch instrumentalisiert worden, um die Gläubigen zu disziplinieren und domestizieren. Es war klar, wer als schwerer Sünder stirbt, wird in die Hölle kommen. Insofern hat man durchaus mit der Angst gewirtschaftet. SN: Ist das in der zitierten Bibelstelle vom Gericht tatsächlich begründet?

Jesus selbst kündigt das Jüngste Gericht an. Er nennt aber ein Kriterium: Was ihr dem Geringsten meiner Brüder und Schwestern getan habt, habt ihr mir getan, und was ihr ihnen vorenthalten habt, habt ihr mir vorenthalten. Es geht also darum, dass man dem Not leidenden Nächsten die Barmherzigkeit nicht vorenthalten soll. Wer das dennoch tut, speichert moralische Hypotheken an, die im Gericht offengelegt werden. Es ist nicht gleichgültig, wie wir leben. Wir werden noch einmal befragt werden. Da steckt auch Hoffnung drinnen. Wir werden erwartet und befragt. In Zeiten, wo viele klagen, dass niemand nach ihnen frage, ist das ein wichtiger Aspekt. Ich würde das Gericht sogar als Vorgang einer wechselseitigen Befragung denken. Auch wir können offen gebliebene Fragen an Gott adressieren ... SN: Etwa: Willst du mich wegen meines Lebens ewig verdammen?

Nun, der christliche Glaube lebt von der Hoffnung, dass der Richter zugleich der Retter und Anwalt sein wird. Anders gesagt: Die Wahrheit, die uns richtet, wird nichts unversucht lassen, uns zu retten. Daher besteht Hoffnung, dass jede Person angenommen und bejaht wird – trotz der Schuld, die sie begangen hat und die kritisch aufgearbeitet werden muss. Das ist die Umcodierung des Gerichtsmotivs von einem Topos der Angst zu einem der Hoffnung.

SN: Mit dem Salzburger „Jedermann“ gesagt, jede und jeder kommt vors Gericht, aber es gibt Hoffnung?

Jeder darf hoffen, im Gericht zu bestehen, aber es ist auch der Ort, wo das Verdrängte, das Vertuschte auf den Tisch kommt. Ohne den Vorbehalt überspringen zu wollen, dass wir über letzte Fragen nur tastend sprechen können, würde ich sagen, dass der Richter in einer letzten Therapie niemanden zugrunde richtet, sondern die ungeschminkte Wahrheit über sein Leben aufrichtet. Das ist gewiss schmerzhaft, weil jede Biografie auch von Momenten der Schuld durchzogen ist. Aber es ist zu hoffen, dass jeder befähigt wird, sich von seiner Schuld reuevoll zu distanzieren. SN: Es ist für viele Menschen undenkbar, im Himmel mit Hitler am Tisch zu sitzen.

Wenn man wirklich die Hoffnung für alle stark macht, wie es Theologen wie Karl Rahner oder Hans Urs von Balthasar getan haben, dann muss man sich der kühnen Vision stellen, dass auch die großen Verbrecher der Menschheitsgeschichte am himmlischen Hochzeitsmahl teilnehmen werden. Wie wäre es für Gott selbst, wenn auch nur eines seiner Geschöpfe verloren ginge? Die Hoffnung für alle muss allerdings an das Motiv des Gerichts rückgebunden bleiben, wenn sie die Dramatik der Geschichte nicht leichtfertig überspielen will. Die Täter müssen ihre monströsen Verbrechen aufarbeiten und bereuen – und die Differenz zwischen Henkern und Opfern darf nicht eingeebnet werden. Im Bild gesprochen: An der himmlischen Hochzeitstafel gibt es gewiss unterschiedliche Plätze. Der Topos der Hölle ruft den dramatischen Ernst menschlichen Lebens in Erinnerung. Es ist vorstellbar, dass Menschen sich in einem Akt steifnackiger Verbohrtheit verschließen. Das war die Reaktion vieler Täter des Naziregimes: Wir haben nur getan, was uns befohlen wurde, und das war gut. Wir haben nichts zu bereuen. Der Ernstfall wäre, dass sich eine Freiheit selbst vom Himmel ausschließt. Wichtig ist hier: Nicht Gott verdammt, sondern ein Mensch selbst verweigert sich – in einer Art Selbstverdammung in den ewigen Tod. SN: Wie weit kann das Christentum den Ernst des Lebens aufrechterhalten und den Gott der Liebe verkünden?

Nach Jahrhunderten einer Drohpastoral, die mit der Angst gearbeitet hat, kam nach dem II. Vatikanischen Konzil eine Gegentendenz, die zu einer Banalisierung der Gottesrede geführt hat: Gott sei der liebe Gott, der allen alles verzeiht. Aber das wird der Dramatik des Lebens nicht gerecht. Ein Gott der Lie-

be kann gegenüber der Verweigerung der Liebe, gegenüber krassen Formen des Unrechts, nicht gleichgültig bleiben. Daher bleibt die Semantik von Gericht und Zorn als der anderen Seite der Liebe wichtig. Sie bestimmt auch die Verkündigung Jesu, wenn er androht: „Sie werden heulen und Zähne knirschen“ – eine sperrige Rede, die ungern gehört wird. SN: Wie bringen Sie die Angstfreiheit und den zornigen Gott in Einklang?

Das Christentum hat eine Angst bewältigende Kraft, weil es in ein Grundvertrauen einweist. Weil ich trotz meiner Hypotheken bejaht und anerkannt bin, kann ich selbst zu mir Ja sagen. Das Gericht aber wäre als der Prozess zu denken, in dem ich mit mir selbst, mit den anderen vor Gott in die Wahrheit komme – bis dahin, dass Gott mir hilft, auch mit denen ins Reine zu kommen, mit denen ich es im Leben nicht geschafft habe. Auch zerstörte zwischenmenschliche Verhältnisse müssen hier noch einmal therapeutisch aufgearbeitet werden. SN: Früher hatten die Menschen Angst vor dem Tod. Heute haben sie Angst vor dem Sterbeprozess.

Die Gegenwartsliteratur beschreibt Sterbenmüssen als „Heidenangst“. Viele halten das lauter werdende Hintergrundgeräusch des Todes nicht aus, sie flüchten in Verdrängungsmuster. Die Angst hat sich verschoben. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit war es die Höllenangst. Heute ist es die Angst vor Leere und Sinnverlust oder dem definitiven Verlöschen – wobei es spirituelle Strategien der Selbstrelativierung gibt: Nimm dich nicht zu wichtig, angesichts der kosmischen Weltzeit ist dein Leben ein Wimpernschlag. Hol das Beste heraus. Gleichzeitig haben wir auf gesellschaftlicher Ebene neue Formen der Angst: vor dem Fremden, dem Klimawandel, der atomaren Katastrophe. Das geht bis zu apokalyptischen Angst-Inszenierungen. Gegenläufig zu den Utopien der Neuzeit, die eine bessere Zukunft herbeiführen wollten, grassieren in der Gegenwartskultur Dystopien, die die Zukunft als Katastrophe ausmalen. Das bringt die christliche Hoffnung und Weltverantwortung neu zur Geltung. Jan-Heiner Tück ist Professor für Dogmatische Theologie an der Universität Wien, Schriftleiter der Internationalen Katholischen Zeitschrift Communio und Initiator der Wiener Poetikdozentur Literatur und Religion. Info zu den Salzburger Hochschulwochen unter: WWW.SALZBURGER-HOCHSCHULWOCHEN.AT

Michelangelos „Jüngstes Gericht“ in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan. Hier ein Ausschnitt des 180 m2 großen Freskos – unten erleidet man Höllenqualen.

BILD: SN/DOROTHEA SCHMID / LAIF / PICTUREDESK.COM


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