1 Auch wenn man bereits dicht vor dem Hotel steht, ist man noch weit weg von ihm, weil es auf eine monumentale Fernwirkung berechnet ist, über der alle Klei nigkeiten vernachlässigt werden. Genau wie bei Filmstaffagen. Vor allem die große Halle scheint nur zu dem Zweck einer Komödie errichtet worden zu sein, die an der Riviera spielt. Der Marmor klingt dumpf wie Gips, und der matte Schiller der Pfeiler und Säulen rührt unstreitig davon her, daß sie mit Silber papier beschlagen sind. Jeden Augenblick erwartet man, Willi Fritsch hinter den grünen Vorhängen her vortreten zu sehen.
b
o
2
l
friends and acquaintances. My best trick however is the following: to close myself off from the outside world of the streets in a hotel lobby. The
Sometimes, of course, I can’t
floor is covered with nice car
go on. Then I try to wean my
pets, in a lounge chair the
self from the frenzy of strolling
flâneur finds peace. Or is this
around. I stick with familiar
the point where his journey
streets and in the evening I visit
really begins?
fig. 1
3 Nackte Schultern und Fräcke. Die Herrschaften lustwan delten im Vestibül, wo waren die gläsernen Türen. Ich selbst war durch eine unsichtbare Glasscheibe von den Paaren getrennt. Sie hatten Besitz vom Vestibül ergriffen und mich gewissermaßen hinter die Scheibe gebannt. Nicht zu regen wagte ich mich. Die farbigen Abendtoi letten verdunkelten den Glanz der Säulenschäfte, der Gesellschaftsduft erfüllte den Raum. Alle plauderten sie, Mädchen und Herren, und bildeten rosige Gruppen. Genau wie bei einem Fest. Aus einer Gruppe löste sich eine vereinzelte Dame. Sie war jung und eigentlich schön. Ich sah sie an und sie blickte in meine Ecke. Ob sie mich wirklich erblickt, vermochte ich nicht einmal zu sagen, denn auch um sie lag der helle Festschleier, der die andern einhüllte und die Außenwelt nicht durchließ mit ihrer Palme und ihrem Chauffeur. Auf einmal begegne ten sich unsere Blicke.
3 Naked shoulders and tuxedo jackets. The gentlefolk is saun tering around in the vestibule, where the glass doors were. I myself was separated from the couples by an invisible sheet of glass. They had taken over the vestibule and virtually banished me behind the pane. I did not dare to move. The colorful evening dresses out shone the shimmer of the columns, the scent of society pervaded the room. Everybody chatted, girls and gentlemen, and formed rosy groups. Just like at a party. From one group,
4 Rudimente von Individuen entgleiten ins Nirvana der Entspannung, Gesichter verlieren sich hinter der Zeitung, und die künstli che Dauerbeleuchtung erhellt lauter Mannequins. Ein Kommen und Gehen der Unbekannten, die durch den Verlust ihres Kennworts zur Leerform werden und als plane Ge spenster ungreifbar vor überziehen. Besäßen sie ein Innen, es entbehrte der Fenster, und sie vergingen in dem Bewußtsein unend licher Verlassenheit, statt wie die Gemeinde um ihre Heimat zu wissen. Als bloßes Außen aber ent schwinden sie sich selber und rücken ihr Nichtsein durch die schlechtästhetische Bejahung der zwischen ihnen gesetzten Fremde aus. Die Darbie tung der Oberfläche ist ihnen ein Reiz, der Hauch des Exotischen durchfrös telt sie angenehm. Ja, um die Ferne zu bekräftigen, deren Definitivum sie lockt, lassen sie sich ab prallen an einer Nähe, die sie selbst heraufbeschwö ren: ihre monologische Phantasie heftet den Mas ken Bezeichnungen an, die das Gegenüber als Spielzeug nutzen, und der flüchtige Blickwechsel, der die Möglichkeit des Austausches schafft, wird nur zugestanden, weil das Trugbild der Möglichkeit die Wirklichkeit der Dis tanz bestätigt.
a single lady detached herself.
b
couldn’t even say, because she was also surrounded by the
and columns indisputably originates from the fact that they are
bright mist of festivity that
covered with silver paper. Any second one expects Willi Fritsch to
covered the others and that
step out from behind the green curtains.
blocked out the outside world with its palm tree and its chauf 3
Aus einem französischen Seebad,
Abend im Hotel, Siegfried Kracauer,
Siegfried Kracauer, Frankfurter Zeitung,
Frankfurter Zeitung, 25. Dezember1928.
14. September 1932.
(Evening in the Hotel, translation: own)
(From a French Seaside Resort,
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translation: own)
Hotelhalle (1925), Siegfried Kracauer,
2
Der Detektiv-Roman, Frankfurt 1979.
Einer der nichts zu tun hat,
(The Hotel Lobby, translated by
Siegfried Kracauer, Frankfurter Zeitung,
Thomas Y. Levin, Siegfried Kracauer,
9. November 1929. (Someone with
The Mass Ornament,
Nothing to Do, translation: own)
Cambridge MA 1995.)
feur. Suddenly our eyes met.
y fig. 2
fig. 1
1
Foto: own
sounds as hollow as plaster and the faint shimmer of the pillars
Whether she really saw me, I
into the Sony Center, Berlin
of a film comedy that would take place at the Riviera. The marble
she glanced towards my corner.
fig. 2
ticularly the great hall seems to be built exclusively for the purpose
beautiful. I looked at her and
Remnants of the Grand Hotel Esplanade integrated
which leaves all details neglected. Exactly as with film décor. Par
She was young and actually
4a20100/4a20198u.tif
from it, because it is designed for monumental distance effect,
http://memory.loc.gov/master/pnp/det/4a20000/4a20000/
Even if you stand right in front of the hotel, you are still far away
Lobby of the New Arlington Hotel, Petoskey, Mich.
1
2 Manchmal freilich kann ich nicht weiter. Dann suche ich mich vom Rausch des Flanierens zu entwöhnen. Ich halte mich nur in den vertrauten Straßen auf und mache abends bei Bekannten und Freunden Visite. Mein bester Trick ist aber der: mich in einer Hotelhalle von der Straßenwelt abzuriegeln. Der Fußboden ist mit schönen Teppichen belegt, in einem Klubsessel findet der Flaneur seinen Frieden. Oder beginnt seine Wande rung von diesem Punkt aus erst recht?