Option einer governance-orientierten Reform des Finanzausgleichs

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Option einer governanceorientierten Reform des Finanzausgleichs Strategische Überlegungen Endbericht – Langfassung 10.12.2019 verfasst von Dr. Helfried Bauer Dr.in Karoline Mitterer Dalilah Pichler, MSc Qualitätssicherung Mag. Peter Biwald

KDZ Zentrum für Verwaltungsforschung Guglgasse 13 · A-1110 Wien T: +43 1 892 34 92-0 · F: -20 institut@kdz.or.at · www.kdz.or.at


Studie im Auftrag des Parlamentsklubs JETZT Lรถwelstraร e 12 1017 Wien


INHALT

Inhaltsverzeichnis Management Summary .................................................................................................................. 5 1

Ergebnisse .................................................................................................................... 5

2

Handlungsempfehlungen .............................................................................................. 8

Einleitung ........................................................................................................................................ 9

II

1

Ausgangslage und Zielsetzung .................................................................................... 9

2

Ziele, Methodik und Gliederung der Studie ................................................................ 11

Finanzausgleich, Föderalismus und Public Governance .............................................. 12 1

Finanzausgleich in Österreich – Zweck, Stärken/Schwächen, Reformen ................. 12

1.1

Zum Verständnis von Finanzausgleich ...................................................................... 12

1.2

Verschiedene Reformansätze des Finanzausgleichssystems ................................... 14

1.3

Finanzausgleich 2017 – starke Ansagen und dürftiger Reformerfolg ........................ 18

1.4

Zur Schweizer Finanzausgleichs- und Föderalismusreform (NFA) ........................... 21

1.5

Zwischenresümee....................................................................................................... 22

2

Föderalismus in Österreich – Konzepte und Reformen ............................................. 24

2.1

Grundsätze und Modelle............................................................................................. 24

2.2

Schwacher Föderalismus in Österreich – blockierte Reformansätze ........................ 26

2.3

Föderalismusreform – Teilbereiche und integrierte Maßnahmenpakete ................... 28

2.4

Zwischenresümee....................................................................................................... 29

3

Public Governance im föderalen Staat ....................................................................... 31

3.1

Governance – Begriffe und System ........................................................................... 31

3.2

Formen von Public Governance ................................................................................. 33

3.3

Umgehen mit institutioneller und strategischer Komplexität ...................................... 35

3.4

Zielentwicklung in Governance-Netzwerken (aus analytischer Sicht) ....................... 36

3.5

Design und Management von Verhandlungsprozessen ............................................ 38

3.6

Mehr-Ebenen-Steuerung als praxiserprobtes Governance-Konzept ......................... 39

3.7

Zwischenresümee....................................................................................................... 43

3 10.12.2019


III

IV

V

Option einer governance-orientierten Finanzausgleichsreform ................................... 45 1

Handlungsbereiche von Governance im Finanzausgleich ......................................... 45

2

Eckpunkte einer governance-orientierten Finanzausgleichsreform ........................... 47

Erfahrungen und Einschätzungen aus der Praxis .......................................................... 52 1

Methodische Hinweise ................................................................................................ 52

2

Auswertung der Interviews und der Umfrage-Unterstützungsbögen ......................... 52

2.1

Themenbereich 1 – Föderalismus .............................................................................. 53

2.2

Themenbereich 2 – Finanzausgleich ......................................................................... 61

2.3

Themenbereich 3 – Eignung von Governance-Ansätzen .......................................... 68

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen ................................................................. 75 1

Governance zur Regelung von Strukturen und Prozessen staatlichen Handelns im

Kontext von Föderalismus- und Finanzausgleichsreformen ................................................ 75 2

Option einer governance-orientierten Reform von Finanzausgleich und föderaler

Beziehungen ......................................................................................................................... 78

VI

3

Erfahrungen und Einschätzungen von Vertreterinnen und Vertretern der Praxis ..... 80

4

Erkenntnisse und Schlussfolgerungen ....................................................................... 83

Anhang ................................................................................................................................ 91 1

Abbildungsverzeichnis ................................................................................................ 91

2

Tabellenverzeichnis .................................................................................................... 91

3

Literaturverzeichnis..................................................................................................... 92

4

Interviewleitfaden und Unterstützungsbogen ............................................................. 96

4.1

Interviewleitfaden ........................................................................................................ 96

4.2

Unterstützungsbogen.................................................................................................. 99


MANAGEMENT SUMMARY

Management Summary 1

Ergebnisse

Finanzausgleichsreformen stehen seit vielen Jahren auf der Politikagenda, grundlegende Reformen erscheinen jedoch nicht verein- und durchsetzbar. Dabei zeigen sich vielfältige Defizite im Steuerungssystem, insbesondere in der Würdigung der empirischen Befunde sowie bei der Zusammenarbeit der Akteure in der Mehr-Ebenen-Steuerung. Fehlende gemeinsame Zieleinigungen und Blockaden sind die Folge. Der Studie liegt die These zugrunde, dass das Weiterentwickeln staatlicher Steuerung, also von Public Governance, dazu beitragen kann, Reformen des föderalen Systems und des Finanzausgleichs voranzubringen. Hierzu erfolgt einerseits eine theoriegeleitete Auseinandersetzung mit den Potenzialen von Governance für die inhaltliche Weiterentwicklung des Finanzausgleichs sowie für den Reformprozess. Andererseits wird versucht, die Akzeptanz von Governance-Ansätzen in der Praxis zu erfassen, wozu Interviews mit zentralen Akteuren im föderalen System und im Finanzausgleich geführt wurden. Ergebnis ist ein Vorschlag für eine Reformstrategie des Finanzausgleichs im Mehr-Ebenen-System unter besonderer Berücksichtigung von Governance-Aspekten. Governance zur Regelung von Prozessen und Strukturen Governance-Ansätze haben zum Ziel, die Koordination und Kooperation relevanter Akteure zu verbessern. Im Fokus steht dabei das Bewältigen von Interdependenzen und institutionellen Verflechtungen. Die Vielzahl an Handlungsmöglichkeiten im Bereich der Governance ist dabei hoch (Tabelle 1). Tabelle 1: Teilbereiche und Ansatzpunkte der Governance bei Finanzausgleichsreformen Teilbereich

Bezug des Teilbereichs * Wertebasis des Agierens (z.B. Föderalismusmodell, Art der Kooperation) * Zielqualität (z.B. mehrere Zieldimensionen, Werte und Ziele für strategische Ausrichtung) den Finanzausgleich * Evaluierungen

Ansatzpunkte für Finanzausgleichsreformen * Stärkung des kooperativen Föderalismus gleichberechtigte Partnerschaft (Bund, Länder, Gemeinden) * Verknüpfung von Aufgabensteuerung und finanzpolitischen Entscheidungen * Einbezug von Leistungs- und Wirkungszielen * gebietskörperschafts-übergreifende Zielsteuerung * aufgabenorientierte Finanzierung

* Zuständigkeiten (Kompetenzverteilung) und Accountability * Ausmaß/Art an Kooperation Agieren in mehreren * Berücksichtigen von Handlungsfeldern Interaktionen * Organisationsprinzipien Formen/ (z.B. Hierarchie oder Mechanismen der Netzwerk) Steuerung * Demokratiequalität

* Verknüpfen von Föderalismus- und Finanzausgleichsreform * Entflechten und Neuordnen der Kompetenzen * Schaffen von Accountability * Stärken der gemeinschaftlichen Aufgabenerbringung * Sichern der finanziellen Autonomie der subnationalen Ebenen * Koordination der Parlamente der drei staatlichen Ebenen

* Aufdecken und Bearbeiten Instrumente der funktionaler/ Mehr-Ebenenorganisatorischer Defizite Governance * ergänzende Instrumente Quelle: KDZ: eigene Darstellung 2019.

* mehr Netzwerk und Abbau von Hierarchieelementen * dosierter politischer Wettbewerb (Benchmarking) * Stärken direktdemokratischer Elemente * bessere vertikale und horizontale Beziehungen * verbesserte Koordination bei gemeinschaftlicher Aufgabenerfüllung * Planung im regionalen Kontext * mehr Augenmerk auf Verhandlungsdesign und -prozess

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MANAGEMENT SUMMARY

Akzeptanz aus Praxissicht Im Rahmen von 16 Interviews mit 22 Expertinnen und Experten der Bundes-, Länder- und Gemeindeebene aus Politik und Verwaltung wurde die praktische Anwendbarkeit der skizzierten Governance-Ansätze überprüft. Eine wichtige Erkenntnis ist zunächst, dass Finanzausgleichsund Föderalismusreformen nur gemeinsam lösbar sind. Weitere Punkte mit hoher Zustimmung im Bereich Föderalismus sind eine gleichberechtigte Kooperation aller drei staatlichen Ebenen sowie vermehrte Bemühungen um die Koordination bei der Erfüllung gemeinschaftlicher Aufgaben. Die Notwendigkeit einer Finanzausgleichsreform wird überwiegend als hoch eingeschätzt, allerdings besteht ausgeprägte Skepsis gegenüber einer Reform „aus einem Wurf“. Vielmehr wird ein schrittweises Vorgehen als realistischer angesehen. Vielfältige Gründe werden für das bisherige Scheitern von Reformen genannt. Diese reichen von mangelndem politischen Engagement, unzureichend definierten Reformzielen bis hin zu Mängeln im Verhandlungsdesign. Auch wenn das Wissen über Governance in der Praxis vielfach nur ansatzweise besteht, werden doch einige konkrete Governance-Aspekte als hilfreich angesehen: Eine schwache Mehrheit der Befragten interessierte sich für Regeln zu Koordination und Zielabstimmung, für vertrauensbildende Maßnahmen und für konsensförderliches Verhandlungsdesign. Für Aufgabenkritik, Benchmarking und andere Innovationen gibt es eher beschränktes Interesse. Netzwerkdenken wird grundsätzlich positiv gesehen, allerdings zeigt sich hier auch eine gewisse Skepsis der Akteure hinsichtlich der Umsetzbarkeit. Vorschlag für eine Reformstrategie des Finanzausgleichs Basierend auf den theoretischen Ansätzen und den Einschätzungen aus der Praxis wurde eine alternative Reformstrategie für den Finanzausgleich im Mehr-Ebenen-System entwickelt (Abbildung 1). Abbildung 1: Etappen zu einer alternativen Reformstrategie im Finanzausgleich

Quelle: KDZ: eigene Darstellung 2019.

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MANAGEMENT SUMMARY

Insgesamt zeigen sich drei Etappen einer governance-orientierten Finanzausgleichsreform:  Zu Beginn gilt es, Governance als Lösungsansatz anzuerkennen und zu kommunizieren.  Darauf aufbauend braucht es Governance-Analysen zum Status quo, um aus Vergangenem und Bestehendem zu lernen.  Schließlich wäre eine Weiterentwicklung des Reformprozesses, einer inhaltlichen Konzeption des Finanzausgleichs und der Interaktion der Akteure möglich. Etappe 1: Governance als Lösungsansatz Zunächst würde es eine Anerkennung der Eignung von Governance-Ansätzen brauchen. Eine strategische governance-orientierte Finanzausgleichsreform böte hier vielfach Potenzial, bestehende Blockaden zu reduzieren und das Finanzausgleichssystem stärker aufgabenorientiert und kooperationsbetont zu gestalten. Sodann wären Governance-Ansätze weiter zu konkretisieren und deren Nutzen zu kommunizieren, um ein gemeinsames Verständnis von neuen Governance-Formen und -Regelungsbereichen zu schaffen. Etappe 2: Governance-Analysen des Status quo Drittens bietet sich das Lernen aus dem bisherigen Scheitern von Finanzausgleichsreformen an. So fehlen Status quo-Analysen zu den Stärken und Schwächen der bestehenden Mehr-EbenenSteuerung (z.B. Kompetenzverflechtungen, Autonomiemängel) sowie Evaluierungen zu bisher gescheiterten Reformansätzen aus Governance-Sicht (z.B. aufgabenorientierter Finanzausgleich, Grundsteuerreform, Abgabenautonomie der Länder). Viertens gilt es aus bestehenden erfolgreichen Projekten der Mehr-Ebenen-Steuerung zu lernen und für die Finanzausgleichsreform zu nutzen. Etappe 3: Entwickeln alternativer Reformstrategien Hat man die Grundlagen für eine Weiterentwicklung von Finanzausgleichsreformen gelegt, kann eine alternative Reformstrategie entwickelt werden. Dies basiert dabei auf den drei Elementen Reformprozess, inhaltliche Konzeption und partnerschaftliches Agieren. Fünftens wäre der Reformprozess zu optimieren. Dies bedeutet mehr Beachtung für das Management der Verhandlungen, etwa durch Erarbeiten strategischer Grundkonsense, eine verbesserte Entscheidungsfindung, mehr Verhandlungen im Netzwerk, Regeln für das Verhandlungsdesign sowie vertrauensbildende Maßnahmen. Insgesamt ist zu berücksichtigen, dass Finanzausgleichs- und Föderalismusreformen eng miteinander verbunden sind. Sechstens bedarf es einer Konzeption eines aufgabenorientierten Finanzausgleichs-Modells. Auch hier sind die engen Verschränkungen zwischen Finanzausgleichs- und Föderalismusreform zu beachten. Reformen des Finanzausgleichs müssen dementsprechend an verschiedenen Punkten ansetzen, etwa bei der Autonomie der einzelnen Gebietskörperschaften, der Ergebnisverantwortung und Rechenschaftspflicht, der maßvollen Entflechtung der Komplexität der Aufgabenzuordnungen sowie der Verschränkung von Aufgaben- und Finanzierungssteuerung. Zur besseren Abstimmung benötigt es dabei verbesserter Koordinierungsinstrumente und -prozesse, sowohl vertikal als auch horizontal. Schließlich benötigt es für das Gelingen der Reformstrategien ein partnerschaftliches Agieren im Netzwerk. Gemeinschaftliche Aufgabenerbringung bietet die Chance, immer komplexere Herausforderungen – bei geeigneten Prozessen und Strukturen – besser meistern zu können als in klassischen Hierarchien. Hierzu bedarf es vor allem auch des Engagements der politischen Entscheidungsträgerinnen und -träger.

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MANAGEMENT SUMMARY

2

Handlungsempfehlungen

Keine Finanzausgleichsreform ohne Föderalismusreform Die notwendige Verschränkung von Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen bedeutet, dass die Finanzierungsströme auch auf die sich verändernden Aufgaben der Gebietskörperschaften Bedacht nehmen müssen. Hierfür wären das Berücksichtigen von Autonomieerfordernissen von Ländern und Gemeinden, eine Entflechtung sowie klare Aufgabenzuständigkeiten bei gemeinschaftlich erbrachten Aufgaben sowie mehr Mittel für die subnationalen Ebenen mit der zunehmenden Verantwortung für Lebensqualität, Klimaschutz und Integration notwendig. Da große Würfe (wie z.B. mit dem Österreich-Konvent beabsichtigt) nur schwer leistbar sind, sollten Reformen des Finanzausgleichs schrittweise in einzelnen Aufgabenfeldern erfolgen (z.B. Bildung, Pflege, Verkehr). Dabei sind auch die Gemeinden als gleichberechtigte Partner einzubeziehen. Verbesserung der Mehr-Ebenen-Steuerung Bisherige Reformen scheiterten nicht nur am inhaltlichen Dissens, sondern auch an Verfahrensfragen, wie partnerschaftlicher Interaktion (Interessenausgleich), Bereitschaft zu Kooperation und Koordination sowie Verhandlungsdesign. Deswegen sollten – auf Basis von Governance-Ansätzen – Evaluierungen zu den Gründen des bisherigen Scheiterns von Reformansätzen durchgeführt und eine Optimierung des Reformprozesses angestrebt werden:    

Erarbeiten strategischer Grundkonsense unter Einbezug der Gemeindeebene (zum Finanzausgleich bzw. in einzelnen Aufgabenbereichen) mehr Beachtung auf Design und Management von Verhandlungen Verhandlungen im Netzwerk (statt in der Hierarchie) vertrauensbildende Maßnahmen

Inhaltliche Konzeption des Finanzausgleichs Es wäre an drei zentralen Reformthemen weiterzuarbeiten: 

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Mehr Aufgabenorientierung der Mittel des Steuerverbundes - Weiterführen der 2017 angepeilten Pilotprojekte (Klären der Ziele, Erproben unterschiedlicher Lastenausgleiche) - Erweitern der Pilotprojekte auf Ländermittel (z.B. Pflichtschulen, Gesundheit, Soziales) Sichern/Stärken der subnationalen Autonomiebereiche : - Reform der Grundsteuer (einschließlich deren Ökologisierung) - Ausbau der Abgabenautonomie der Länder (bei horizontalem Ressourcenausgleich) Transferbereinigung: - Überführen zeitlich befristeter Bundes- bzw. Länder-Transfers in die laufende Finanzierung (z.B. 15a-Mittel zur laufenden Finanzierung des Gratis-Kindergartens, Mittel zum laufenden Betrieb von Ganztagsschulen, Pflegefonds) - bundesweit einheitlicher Grundrahmen zu deutlich reduzierten Transferbeziehungen zwischen Ländern und Gemeinden: v.a. Stärkung des Lastenausgleichs gegenüber dem Ressourcenausgleich, Abbau der Ko-Finanzierung von Länderaufgaben durch die Gemeinden, Verstärken des horizontalen Ausgleichs zwischen Gemeinden bei Aufgaben mit regionaler Versorgungsfunktion (wie ÖPNV, Sozialangebote, Kultur- und Sporteinrichtungen)


EINLEITUNG

Einleitung 1

Ausgangslage und Zielsetzung

Bundesstaatsreform und Finanzausgleichsreform Diese beiden Reformbereiche beschäftigen Politik und Verwaltung seit Jahrzehnten. Allerdings sind trotz vielfacher Ankündigungen in Regierungsprogrammen und Bemühungen von Politstrateginnen und -strategen, Spitzenbeamtinnen und -beamten sowie Expertinnen und Experten die Erfolge bisher ausgeblieben – die Reformanläufe sind entweder gescheitert oder in minimalen Lösungen steckengeblieben. Beide Materien sind aber für die Menschen im Land bedeutsam: Zum einen, weil ein gut funktionierender Föderalismus zu mehr Qualität des demokratischen Systems beitragen könnte und zum anderen, weil der Finanzausgleich Voraussetzungen zur Erfüllung der jeweils dringenden Aufgaben von Bund, Ländern und Gemeinden und damit auch für bessere Lebensqualität böte. Warum scheitern die meisten Reformanläufe? Vielfach wird behauptet, dass unüberbrückbar scheinende politische Interessengegensätze zwischen zentralstaatlicher und den subnationalen/dezentralen Ebenen der Länder und Gemeinden bestünden. Andere meinen, dass der Streit über die Mittelverteilung zwischen Bund und Ländern ohnedies auf dem Rücken der Steuerpflichtigen und zum Teil auch zu Lasten der Gemeinden als schwächste Partner ausgetragen wird und somit kein Handlungsbedarf bestünde. Es besteht auch die Ansicht, dass die beiden Konfliktbereiche wenig miteinander zu tun haben, weil die Föderalismusproblematik verfassungsrechtlicher Natur sei und der Finanzausgleich ein ökonomisches Problem wäre. Eine politikwissenschaftliche Diagnose1 betont die Dominanz der Vetointeressen gegenüber den Interessen an Innovationen, wodurch die Innovationen auf der Strecke bleiben und der wenig befriedigende Status quo prolongiert wird. Diese Argumente sind nicht von der Hand zu weisen, gehen jedoch der Problematik zu wenig auf den Grund. Wir führen dieses Scheitern hauptsächlich auf entscheidende Defizite im öffentlichen Steuerungssystem zurück und versuchen, dies im Verlauf der Arbeit zu begründen. Chancen auf erfolgreiche Reformen durch Public Governance Dazu erscheint es hilfreich, Ergebnisse und Erkenntnisse sozialwissenschaftlicher Beschäftigung mit öffentlicher Governance und bereits erprobter Mehr-Ebenen-Steuerung aufzugreifen. Wir gehen hierbei von zwei Thesen aus: (1) Föderalismus und Finanzausgleich können als zwei Seiten einer Medaille verstanden werden, d.h. sie sind miteinander verknüpft, voneinander abhängig. Auf beiden Seiten der Medaille gilt es, jeweils eine ähnliche Gewichtung (Ausgleich) zwischen zwei strategischen Polen (Zielbereichen) anzustreben, dem ökonomischen (finanzpolitischen) und dem demokratiepolitischen (föderalismus-bezogenen). Entscheidend ist hierbei, welche Zielbereiche dazu herangezogen werden: Pelinka2 führt bezogen auf den Föderalismus die Pole Legitimität (Demokratiequalität) und Effizienzgewinne (also ein ökonomisches Ziel) als vorrangig an. Für den Bereich des Finanzausgleichs sollte nach Thöni/Bauer3 eine politisch-administrative Balance zwischen den 1 2 3

Siehe Fallend: Bund-Länder-Beziehungen, 2006, S. 1.039 f. Pelinka: Föderalismus, 2007, S. 146. Thöni; Bauer: Föderalismus und Bundesstaat, 2017, S. 33.

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EINLEITUNG

Polen „Autonomie stärken“ und „Koordination verbessern“ erarbeitet werden. Ähnlich sehen dies auch Bröthaler/Getzner4, dass ein Abwägen zwischen Demokratiequalität und mehr Kooperation eine Option wäre, um weniger Widersprüchlichkeit der verschiedenen Reformrichtungen zu erreichen. Es ist dabei wohl kein Zufall, dass diese Zielbereiche ähnlich lauten – sie beziehen sich doch auf ein und dieselbe Medaille. (2) Wir gehen davon aus, dass das Weiterentwickeln staatlicher Steuerung Reformen des föderalen Systems und des Finanzausgleichs begünstigt. Mit anderen Worten erschiene uns ein Paradigmenwechsel im Kontext demokratischer Qualitätserfordernisse, wie Machtverteilung im Staat, Verpflichtungen gegenüber der Wählerschaft und Minderheitenschutz sowie wegen der vielfachen gegenseitigen Abhängigkeiten (zwischen den einzelnen Organisationseinheiten des Staates und zwischen den Politikbereichen) zur Behebung des Reformstaus unerlässlich: Anders als die Steuerung im klassischen, also hoheitlich-bürokratischen Interventionsstaat Weberscher Prägung angelegt war (und bis heute nachwirkt), sollten die zeitgemäßen Grundsätze von Public Governance aufgegriffen bzw. mehr als bisher in politischen und administrativen Entscheidungsprozessen berücksichtigt werden. Diese Grundsätze wurden v.a. von Mayntz, Pollitt/Bouckaert, Scharpf (in den 1980er und 1990er Jahren) angelegt und durch Benz, Hooghe, Klijn, Hammerschmid u.a. weiterentwickelt5. Denn – wie es Schedler ausdrückt – „Public Governance bezeichnet die Strukturen und Prozesse, die es dem Staat erlauben, auf der Klaviatur möglicher Arrangements zu spielen“6. Diese „Klaviatur“ böte zuallererst 

4 5

6

ein neues Verständnis vom Staat als Netzwerk gleichberechtigter Partner in Form von Werten, Regeln und neuen Prinzipien (Wirkungsorientierung, Gleichstellung, Nachhaltigkeit u.a.). Damit soll den vielfältigen Interdependenzen im öffentlichen Bereich Rechnung getragen werden. Ebenso erleichterte die Governance-Option zielgerichtete strategische Interaktionen und kooperative Entscheidungen von Bund und subnationalen Ebenen als gleichberechtigte Partner, noch dazu mit weniger Transaktionskosten. Die Governance-Klaviatur setzt schließlich auf effektivere Prozesse, um ein besseres Zusammenwirken der verschiedenen Ebenen zu erreichen.

Bröthaler; Getzner: Evaluierungsrahmen zum Finanzausgleich, 2017, S. 409. Siehe hierzu Bauer; Mitterer: Konzepte von Public Governance, 2019. Schedler: Jahresbericht 2018, S. 4.

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EINLEITUNG

2

Ziele, Methodik und Gliederung der Studie

Ziele Ziel der Studie ist das Herausarbeiten der Herausforderungen bei Finanzausgleichs- und Föderalismusreformen im Rahmen der Mehr-Ebenen-Steuerung, unter Governance-Perspektiven. Hierbei soll sowohl auf sozialwissenschaftliche Erkenntnisse zurückgegriffen werden, als auch die Sicht der Praxis dazu erfasst werden. Konkret sollen die folgenden Teil-Ziele erreicht werden: I II

III

Die Hauptelemente einer Mehr-Ebenen-Steuerung mit Bezug zur Finanzausgleichsreform sind herausgearbeitet. Die Sicht und Einschätzung zentraler Akteure im föderalen System und im Finanzausgleich auf Bundes-, Länder- und Gemeindeebene zu einer alternativen Reformstrategie sind erfasst und analysiert. Die Eckpunkte einer alternativen Reformstrategie für den Finanzausgleich im MehrEbenen-System sind beschrieben.

Methodik Die Methodik leitet sich aus dem Bemühen ab, internationale sozialwissenschaftliche Erkenntnisse auf praktische Fragen des öffentlichen Handelns zu beziehen und gleichzeitig den vorgegebenen zeit- und ressourcenbezogenen Rahmen einzuhalten. Es werden konkrete Ansätze für die Weiterentwicklung von Strukturen und Verfahren öffentlicher Reformpolitik im Bereich von Föderalismus und Finanzausgleich geboten. Methodisch basiert die Arbeit auf finanz-, wirtschafts- und politikwissenschaftlichen Analysen, die mit Daten und Ergebnissen aus Berichten von Rechnungshöfen und anderen Evaluierungen sowie mit Einschätzungen aus Interviews mit 22 Akteurinnen und Akteuren des politischadministrativen Systems der Bundes-, Landes- und Gemeindeebene verknüpft werden. Gliederung Im Kapitel I werden die beiden miteinander verknüpfbaren Reformbereiche des Finanzausgleichs und des Föderalismus erläutert (Begriffliches bzw. Konzeptuelles, Stand der Reformansätze und bestehende Herausforderungen). Es folgen Erläuterungen zum Begriff und zum System von Public Governance, weiters zu Handlungsfeldern. Zentrale Governance-Prozesse, die für Finanzausgleichs- und Föderalismusreformen gleicherweise notwendig erscheinen, werden aus analytischer und aus praxisnaher Sicht skizziert. Kapitel II bietet – als Zwischenergebnis – Ansatzpunkte einer governance-orientierten Option für eine Föderalismus- und Finanzausgleichsreform. In Kapitel III werden die Ergebnisse der Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern des politisch-administrativen Systems in Österreich zusammengefasst. Der Fokus liegt hier einerseits auf einem tieferen Verständnis der relevanten Governance-Prozesse und -Strukturen. Andererseits wird die Praxistauglichkeit von governance-bezogenen Lösungsansätzen beurteilt. Kapitel IV bietet zusammengefasste Erkenntnisse und Schlussfolgerungen.

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FINANZAUSGLEICH, FÖDERALISMUS UND PUBLIC GOVERNANCE

II

Finanzausgleich, Föderalismus und Public Governance

1

Finanzausgleich in Österreich – Zweck, Stärken/Schwächen, Reformen

1.1

Zum Verständnis von Finanzausgleich

Mit Finanzausgleich wird in der Ökonomie ein System „der Zuordnung der öffentlichen Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen auf die verschiedenen Gebietskörperschaften im Staat“7 verstanden. Diese knappe finanzwissenschaftliche Definition geht von einem umfassenden Verständnis aus, das als Äquivalenzprinzip bezeichnet wird (Abbildung 2). Dieses theoretische Konstruktionsprinzip für föderal organisierte Staaten setzt sich aus drei Teilen zusammen, dem Konnexitäts-, dem Kongruenz- und dem Prinzip der fiskalischen Äquivalenz. Nach dem Konnexitätsprinzip treffen die „politischen Entscheidungsträger eines Staates oder einer subnationalen Organisationseinheit nicht nur die Entscheidungen bezüglich Qualität und Quantität der zu erbringenden Aufgaben und der zu leistenden Ausgaben. Vielmehr müssen sie auch die erforderlichen Einnahmen beschaffen“8. Dies erfolgt hauptsächlich durch bundesweite, regionale und lokale Abgaben, die den Abgabepflichtigen vorgeschrieben und politisch verantwortet werden. Das Kongruenzprinzip postuliert, dass eine direkte politische Verantwortlichkeit der Entscheidungsträger gegenüber den Nutzerinnen und Nutzern besteht, nämlich über institutionelle und räumliche Übereinstimmung (Kongruenz) zwischen der Wählerschaft, den Leistungsempfängerinnen und Leistungsempfängern sowie den Financiers. Fiskalische Äquivalenz bedeutet, dass die produzierten Leistungen und die gewünschten Wirkungen von den Nutzerinnen und Nutzern auch finanziert werden müssen. Abbildung 2: Äquivalenzprinzip im Föderalismus Entscheidungsträger Kompetenz, Aufgabenerfüllung Übergeordnete Einheit Effizienzprinzip

Subsidiaritätsprinzip

Nachgeordnete Einheit

Kongruenzprinzip

Nutzer Lokale / Regionale Inanspruchnahme der Leistungen, lokale / regionale Präferenzen

Konnexitätsprinzip

Finanzierungsträger Fiskalische Äquivalenz

Finanzierung der Leistungserbringung Leistungsfähigkeits-, Aufkommens-, Bedarfsprinzip

Quelle: Bröthaler et al.: Reformoptionen und Reformstrategien, 2010, S. 12. 7 8

Siehe Zimmermann et al.: Finanzwissenschaft, 2012, S. 207; siehe auch Nowotny; Zagler: Der öffentliche Sektor, 2009, S. 137 f. Siehe Thöni; Bauer: Föderalismus und Bundesstaat, 2017, S. 40.

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FINANZAUSGLEICH, FÖDERALISMUS UND PUBLIC GOVERNANCE

In der Praxis werden diese Prinzipien nur der Tendenz nach umgesetzt werden können, denn es gilt, im Finanzausgleich auch andere Umstände zu berücksichtigen, etwa technische oder topografische Gegebenheiten sowie politische Erwägungen. Ebenso wäre verwaltungsökonomischen Anforderungen Rechnung zu tragen. Dazu gehören die Gebote von Effizienz, Effektivität und Nachhaltigkeit sowie der strategischen Steuerung. Letztere erscheint nützlich, weil wechselnde politische Prioritäten öffentlicher Aufgabenerfüllung, veränderliche ökonomische und soziale Bedingungen (die sich auf die öffentlichen Aufgaben auswirken können) sowie ökonomische Überlegungen ein flexibles und zukunftsorientiertes Finanzausgleichssystem verlangen9. Allerdings beschränkt sich die finanzwirtschaftliche Praxis in Österreich überwiegend auf eine engere Definition, wie jene des BMF. sie lautet nämlich: „Finanzausgleich ist die Regelung der finanziellen Beziehung zwischen den Gebietskörperschaften. Er wird zwischen den Finanzausgleichspartnern (Bund, Länder, Gemeinden) im Verhandlungsweg vereinbart und findet seinen Niederschlag in den auf einige Jahre befristeten Finanzausgleichsgesetzen“10. Die Verteilung von Kompetenzen und der Trägerschaft von Aufgaben wird hierbei im Wesentlichen als gegeben angesehen, Wirkungsziele scheinen keine Rolle zu spielen, ebenso wenig die Bestimmungen des Artikels 13 Abs. 2 B-VG11. Neben dem Finanzausgleichsgesetz des Bundes bestehen weitere Regelungen zur inhaltlichen Gestaltung von einzelnen Aufgaben bzw. Teilaufgaben und zu deren Finanzierung, die ein Geflecht des Finanzausgleichs ergeben. Dazu zählen einzelne Bestimmungen der Finanzausgleichspakte12, Art. 15a-Verträge zwischen dem Bund und den Bundesländern, ebenso zahlreiche Landesgesetze, die das Finanzausgleichsgesetz des Bundes in verschiedener Hinsicht ergänzen, teils konterkarieren13. Dies ergibt sich aus dem Verbundprinzip im österreichischen Föderalismus, wonach bedeutende öffentliche Aufgaben von allen drei oder von zwei staatlichen Ebenen erfüllt und finanziert werden14. Treibende Kräfte für die Finanzausgleichsvereinbarungen im engeren Sinn sind traditionellerweise die Finanzverwaltungen von Bund, Ländern und Gemeinden. Dem BMF obliegen die weitaus überwiegende Beschaffung der finanziellen Ressourcen (durch Ausüben der Abgabenhoheit) und die Verteilung von Teilen der Abgabenerträge (durch Regeln der Ertragshoheit) an die subnationalen Gebietskörperschaften. Dabei wird jedenfalls das Äquivalenzpinzip vernachlässigt, weil der größte Teil der Steuereinnahmen aus (ausschließlichen und gemeinschaftlichen) Bundesabgaben fließt. Neben der zentralisierten Mittelaufbringung ist auch der Umstand bemerkenswert, dass für die Finanzverwaltungen der Finanzausgleich ohne ausreichende Bezüge zu Aufgaben – also zu konkreten Leistungen und auch angestrebten Wirkungen und den daraus entstehenden Lasten – „auskommt“15. Dies steht klar im Widerspruch zum Sachlichkeitsgebot des § 4 F-VG 1948, wonach die Regelung des Finanzausgleichs in Übereinstimmung mit der Verteilung der Lasten der öffentlichen Verwaltung zu erfolgen hat und darauf Bedacht zu nehmen ist, dass die Grenzen der Leistungsfähigkeit der beteiligten 9

Siehe Bauer; Thöni: Finanzausgleich im Überblick, 2017, S. 50 f. Siehe https://www.bmf.gv.at/glossar/finanzausgleich.html (nachgeschlagen 05.08.2019) Art. 13 Abs. 2 lautet: Bund, Länder und Gemeinden haben bei ihrer Haushaltsführung die Sicherstellung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes und nachhaltig geordnete Haushalte anzustreben. 12 Bezüglich der Verhandlungen zum Finanzausgleich 2017 siehe Kremser; Sturmlechner; Wolfsberger: Finanzausgleichspaktum 2017, S. 199 ff. 13 Vgl. Bröthaler et al.: Funktionsweisen im Finanzausgleichssystem, 2017, S. 80 ff.; Brückner et al.: Aufgabenfinanzierung und Transferbeziehungen im tertiären Finanzausgleich, 2017, S. 142 ff. 14 Für einen Einblick in gemeinschaftliche Aufgabenerfüllungen siehe Brückner et al.: Aufgabefinanzierung und Transferbeziehungen im tertiären Finanzausgleich, 2017, S. 157 ff. 15 Vgl. Bröthaler et al.: Reformoptionen und Reformstrategien, 2011, 26 f.; Mitterer: Aufgabenorientierter Finanzausgleich, 2019, S. 107 ff. 10 11

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FINANZAUSGLEICH, FÖDERALISMUS UND PUBLIC GOVERNANCE

Gebietskörperschaften nicht überschritten werden16. Die inhaltlichen und aufgabenpolitischen Entscheidungen werden jedoch primär von den verschiedenen fachlichen Ressorts des Bundes bzw. der jeweiligen Fachabteilungen von Landes- und Stadtverwaltungen getroffen. Dabei geht es klarerweise um die vielfältigen Interdependenzen sachlicher/inhaltlicher Art der Aufgaben sowie um die strategischen und praktischen (interorganisatorischen) Beziehungen zwischen den Fachabteilungen und anderen (teils auch privaten) Akteuren. Wenn aber keine solide Verknüpfung von Entscheidungen bezüglich der Aufgaben und solchen der Finanzierung von erforderlichen Leistungen und Wirkungen erfolgt, entstehen beträchtliche Störungen der Aufgabenumsetzung und Unwirtschaftlichkeiten. Zusätzliche Transaktionskosten resultieren aus Kontroversen und Blockaden wegen konträrer Denkweisen und Entscheidungslogiken der Verhandlungspartner: Vertreter von Fachressorts und auch von Gemeinden gehen vielfach davon aus, dass die Entscheidungen zur Finanzierung von Aufgaben erst auf Basis von inhaltlichen/sachlichen Festlegungen, also den angestrebten Leistungen und Wirkungen, folgen können17. Demgegenüber vertreten Finanzverwaltungen meist die konträre Sicht, wonach vorrangig die Finanzierbarkeit von Aufgaben maßgeblich wäre. Die Ausführungen zum herrschenden Verständnis des Finanzausgleichs sollen schließlich durch ein demokratiepolitisches Argument ergänzt werden: Dieses betrifft die Dominanz der Regierungen beim Zustandekommen der finanzausgleichspolitischen Regelungen und die weitgehende Vernachlässigung der Thematik durch die Parlamente. Diese legen zwar zu Recht viel Gewicht auf die jährlichen Budgetberatungen, vernachlässigen jedoch periodische Grundsatzdebatten und Entscheidungen über die jeweiligen strategischen Ziele im Bereich der Aufgabenfinanzierung. Dies ist nicht zuletzt die Folge der bestehenden Über-Zentralisierung der öffentlichen Finanzwirtschaft. 1.2

Verschiedene Reformansätze des Finanzausgleichssystems

Forderungen nach Reformen des Finanzausgleichssystems sind so alt wie das System selbst. Dies, das viele Anforderungen und Wünsche bezüglich der öffentlichen Aufgabenerfüllung bestehen, die vorhandenen Ressourcen dafür jedoch immer zu knapp sind, wobei um die Mittelverteilung zwischen den staatlichen Ebenen gestritten wird. Daneben erwachsen jedoch auch strukturelle Reformbedarfe, die in demokratie- und wirtschaftspolitischen Postulaten und Entwicklungen wurzeln. Dazu gehören das verbesserungsbedürftige föderale System, die zunehmenden politisch-administrativen Verflechtungen der einzelnen Ebenen bei der Aufgabenerfüllung sowie die komplizierter werdenden Verfahren des Finanz- und Verwaltungsmanagements. Darüber hinaus prägen viele sachlich begründete Interdependenzen zwischen einzelnen öffentlichen Aufgabenbereichen (z.B. Bildung und Arbeitsmarktpolitik, Siedlungsentwicklung, öffentlicher Verkehr und Klimaschutz), die in zunehmendem Maß berücksichtigt werden sollen, den Reform- bzw. Steuerungsbedarf im Finanzausgleich. Ein Überblick18 über die Entwicklung der Finanzausgleiche der 1970er und 1980er Jahre zeigt nur eng begrenzte finanzpolitische Maßnahmen und einige „finanzpolitische und -technische“ Anpassungen, welche die Mittelverteilung zwischen den staatlichen Ebenen gemäß 16

Warum dies weder einzelne Länder noch Gemeinden vor dem VfGH angefochten haben, mag am gemeinsamen Verhandlungsprozess liegen. Der Rechnungshof hat diese Problematik, dass nämlich einzelne Gruppen von Gemeinden strukturelle Abgänge in ihren Haushalten aufweisen, bisher nicht aufgegriffen. 17 Siehe Weninger; Puchner: Finanzausgleich 2017, S. 347: „Nur wenn die Mittel den Aufgaben folgen, können die zu finanzierenden Aufgaben effizienter und günstiger erbracht werden und eine Win-win-Situation für alle Beteiligten entstehen.“ 18 Siehe Bauer; Thöni: Finanzausgleich im Überblick, 2017, S. 71 f.

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dem „Verhandlungspatt“ kaum veränderten. Von Expertenseite19 wurden dagegen schon in den 1970er Jahren auch föderalismus- und wirtschaftspolitische Reformen vorgeschlagen, so z.B. bezüglich der Kompetenzverteilung im Bundesstaat, aber auch zu Gunsten einer Stärkung des Konnexitätsprinzips durch Ausbau der eigenen Abgaben von Ländern und Gemeinden sowie durch Beschränkungen von vertikalen intragovernmentalen Transferzahlungen. Die in den 1990er und 2000er Jahren geführten Debatten über die Reform des Bundesstaates (zunächst durch den EU-Beitritt ausgelöst und später im Rahmen des Österreich-Konvents) sowie die institutionellen und organisatorischen Veränderungen durch die Managementreformen auf allen staatlichen Ebenen führten zu keinen grundsätzlichen Neuregelungen in den Finanzausgleichsgesetzen der Jahre 1997, 2001, 2005 und 2008. So wären eine bessere Abstimmung der Bestimmungen der Finanzverfassung mit den einzelnen Teilbereichen des Finanzausgleichssystems, d.s. der primäre, sekundäre und tertiäre Finanzausgleich20 sowie Bemühungen zu mehr Steuerungsqualität – z.B. stärkere Zielausrichtung des Finanzausgleichs – geboten gewesen. Die folgende Abbildung 3 bietet eine schematische Sicht auf die Verflechtungen der hier angesprochenen drei Teilbereiche des österreichischen Finanzausgleichssystems. Abbildung 3: Schematischer Überblick über die Finanzströme in den Teilbereichen des Finanzausgleichs-Systems in Österreich Primärer Finanzausgleich

Sekundärer Finanzausgleich

Tertiärer Finanzausgleich

Abgaben-/Ertragshoheit gem. FAG 2001

Transfers (Kostenersätze, Zuweisungen, Zuschüsse, Umlagen) zwischen Gebietskörperschaften gemäß FAG 2001

Alle übrigen intragovernmentalen Transfers nach sonstigen Bundesund Landesgesetzen1)

Ausschließliche Abgaben

Gemeinschaftliche Bundesabgaben Vorwegabzüge

Gemeinden

Länder

Bund

Vertikale Verteilung

GBA

Zuweisungen, Zuschüsse des Bundes an Länder u. Gemeinden

Ausschließliche BundesErtragsanteile des Bundes abgaben

Vergabe der Gemeinde-Bedarfszuweisungen

Horizontale Verteilung Ausschließliche Landesabgaben

B K

Bund

Länder

Landesfonds

Gemeinden

Gem.verbände

…W

Länderertragsanteile

Zweistufige horizontale Verteilung Ausschließliche Gemeindeabgaben

Bundesfonds

B K

…W

Landesumlage

Gemeindeertragsanteile

Quelle: Bröthaler et.al.: Österreichs Gemeinden im Netz der finanziellen Transfers, 2006, S. 63. 19

20

Siehe Matzner: Öffentliche Aufgaben und Finanzausgleich, 1977. Siehe Bauer; Thöni: Finanzausgleich im Überblick, 2017, S. 57 f.; Bröthaler et al.: Funktionsweisen im Finanzausgleichssystem, 2017, S. 80 ff.

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FINANZAUSGLEICH, FÖDERALISMUS UND PUBLIC GOVERNANCE

Abbildung 4 bietet einen vereinfachten Überblick über die konkrete Verteilung der Mittel auf die drei staatlichen Ebenen. Die Mittel werden gegliedert nach finanzwirtschaftlichen Kategorien, d.s. eigene Abgaben von Bund, Ländern und Gemeinden, weiters anteilige Erträge am Steuerverbund sowie nach Transfers. Mit Steuerverbund werden die Erträge aus den gemeinschaftlichen Bundesabgaben verstanden, die der Bund erhebt, jedoch nach verschiedenen Kriterien vertikal (auf die drei staatlichen Ebenen sowie als Vorausanteile an öffentliche Fonds) und auf Länder und Gemeinden auch jeweils horizontal verteilt. Obwohl insgesamt ein politisches Bekenntnis zur Reformnotwendigkeit des Finanzausgleichs besteht, konnten ganzheitliche Reformbestrebungen bisher nicht umgesetzt werden. Zwar sind ernsthaftere Bestrebungen mit dem Pakt zum FAG 2008 erkennbar, wonach eine Evaluierung der Auswirkungen des FAG 2008 als Basis für Reformvorschläge erfolgen sollte. Konkret wurde im Paktum zum FAG 2008 zwischen den für die Finanzen verantwortlichen Vertreterinnen und Vertretern von Bund, Ländern und Gemeinden nämlich vereinbart,  

eine Evaluation der Auswirkungen des FAG 2008 bis Ende des Jahres 2010 vorzunehmen sowie eine Arbeitsgruppe zur „grundsätzlichen Reform des Finanzausgleichs“21 einzusetzen, welche ebenfalls bis Ende 2010 Vorschläge auf den Tisch legen sollte.

Allerdings wurden weder Evaluationen zum genannten Zeitpunkt vorgelegt, noch dürfte die Arbeitsgruppe von Vertreterinnen und Vertretern der Finanzverwaltungen der drei staatlichen Ebenen herzeigbare Ergebnisse – also abgestimmte Reformvorschläge – zustande gebracht haben. Zumindest ist kein diesbezügliches Dokument publiziert worden. Dem Finanzausgleichsgesetz 2008 teils vorangehend, teils nachfolgend sind jedoch verschiedene finanzwissenschaftliche Studien (die meisten wurden vom BMF beauftragt) erarbeitet worden. Auch der Rechnungshof und nicht zuletzt die OECD sowie die EUKommission haben kritische Stellungnahmen verfasst.

21

Siehe Paktum zum Finanzausgleich 2008, S. 460.

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Abbildung 4: Finanzierungsstrรถme im Finanzausgleich, 2017

Quelle: KDZ: eigene Berechnungen und Darstellung 2019 auf Basis BMF: Sonderauswertungen zum Finanzausgleich 2017; Statistik Austria: Gemeindefinanzdaten 2017.

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FINANZAUSGLEICH, FÖDERALISMUS UND PUBLIC GOVERNANCE

Fasst man diese zusammen, ergeben sich vordringliche Reformansätze: Es geht dabei v.a. um 

1.3

das öffentliche Finanzmanagement generell, wofür z.B. Rossmann die Frage der unzureichenden Zielorientierung aufgreifend einen Paradigmenwechsel fordert, nämlich den Finanzausgleich „verstärkt auf wirtschafts- und gesellschaftspolitische Ziele auszurichten“22; Transparenz- und Koordinationsdefizite sowie Effizienz- und Effektivitätsverluste des bestehenden Steuerungs- und Finanzierungssystems (z.B. die mangelnde Abstimmung unterschiedlicher Interessenlagen und Ziele bei „Gemeinschaftsaufgaben“), die der Rechnungshof fallweise thematisierte, wenn er „die fortgeschrittenen Konzepte von Public Governance und Management als hilfreiche Grundlagen für eine Modernisierung im Sinn erweiterter Inhalte und verbesserter Steuerung der öffentlichen Aufgabenerfüllung“23 bezeichnete; die wiederholte Kritik der OECD (und ähnlich der EU-Kommission24) am System des Finanzausgleichs: „The existing multilayer organisation of the government makes decision making difficult in many areas, including key service (…) in particular, the present framework suffers from a misalignment between spending and tax attributions (…) intergovernmental grants and taxsharing are the main revenue sources of sub-central governments while their share of own taxes is among the lowest in the OECD”25; die Ausrichtung der Gesamtarchitektur des Finanzausgleichs an dem jeweils verfolgten Föderalismusmodell und um die Gestaltung des Verhandlungsprozesses zum Finanzausgleich26; eine Flexibilisierung bzw. eine Differenzierung von Teilbereichen des Finanzausgleichs (ordentliche Finanzmittel für den laufenden Bedarf und Mittel für aufgabenspezifische Reformvorhaben der Gebietskörperschaften), damit wechselnde politisch-strategische Aufgabenziele besser berücksichtigt werden können27; eine verbesserte Abstimmung zwischen dem sekundären und dem tertiären Finanzausgleichsbereich zur Überwindung des „Transferchaos“28. Finanzausgleich 2017 – starke Ansagen und dürftiger Reformerfolg

Bei den Verhandlungen zum FAG 2017 wurde – ausgehend erstmals von einem erweiterten begrifflichen Verständnis – versucht, konkrete strukturelle Reformen durchzusetzen. Dem damaligen Arbeitsprogramm 2013-2018 der Bundesregierung29 und dem Strategiebericht 2016 des Bundes zufolge waren im Bereich des Finanzausgleichs grundlegende Reformen geplant: „Bis zum Ende des Jahres 2015 wird von den Finanzausgleichspartnern ein Vorschlag für eine grundsätzliche Reform des Finanzausgleichs vorbereitet, wobei vor allem die Themen  Entflechtung der Aufgaben, Mischfinanzierungen und Transfers,  Aufgabenadäquate Mittelausstattung sowie  Effizienzsteigerungen durch Beseitigung von Doppelgleisigkeiten vordergründig sind“30. 22 23 24 25 26 27 28 29 30

Rossmann: Finanzausgleich 2008, S. 309. Rechnungshof: Tätigkeitsbericht 2006, Reihe Bund 2006/12, S. 46 f. Europäische Kommission: Länderbericht 2019, S. 5. OECD: Economic Surveys: Austria, 2015, S. 21. Bröthaler et al.: Reformoptionen und Reformstrategien, 2010, S. 5. Siehe Bröthaler et al.: Reformoptionen und Reformstrategien, 2010, S. 3.; Mitterer et al.: Leistungs- und wirkungsbezogene Pflichtschulfinanzierung, 2019, S. 82 ff. Brückner et al: Aufgabenfinanzierung und Transferbeziehungen im tertiären Finanzausgleich, 2017, S. 169 ff.; Mitterer et al.: Länder-GemeindeTransferverflechtungen, 2016; Biwald et al.: Transferreformen auf Länder- und Gemeinde-Ebene, 2017, S. 502 ff. Arbeitsprogramm der Bundesregierung 2013-2018, S. 112: „Ziel: Erarbeitung eines neuen, aufgabenorientierten Finanzausgleichsgesetzes“. BMF: Strategiebericht 2016-2019, 2015, S. 11.

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Welche Herausforderungen dabei allein in einem einzigen Aufgabenbereich zu bewältigen wären, zeigt die folgende Tabelle 1 für den Pflichtschulbereich. Sie betreffen zunächst das Abstimmen einzelner Teilaufgaben, die jeweils nach verschiedenen Gesichtspunkten den einzelnen Gebietskörperschaften zugewiesen sind. Weiters sind einzelne gegensätzliche Ziele zwischen Bund und Land oder zwischen Land und Gemeinden oder zwischen allen drei beteiligten Gebietskörperschaften zu harmonisieren, z.B. bezüglich der Schulsozialarbeit und der Unterstützungssysteme. Dabei muss auch die Finanzierung geregelt werden, die man gern den jeweiligen Partnern überlässt. Nicht zuletzt gilt es, unterschiedliche Vorstellungen über Standorte, Ausbaubedarfe sowie betreffend der Einschätzungen der erbrachten Leistungen und Wirkungen unter einen Hut zu bringen. Eine Weiterentwicklung der Steuerung blieb jedoch unberücksichtigt. Der schließlich diskutierte Vorschlag zum aufgabenorientierten Finanzausgleich in den Bereichen Kinderbetreuung und Pflichtschule beschränkte sich auf die Mittelverteilung, es erfolgte keine Verschränkung mit der Aufgabensteuerung. Tabelle 2: Ausgewählte gebietskörperschaftsübergreifende Ziele und Maßnahmen im Bereich der Pflichtschulen Zielbereiche

Ziele / Maßnahmen

Bildungsqualität und - Erhöhen des Bildungsniveaus der Schülerinnen und niveau Schüler

primär verantwortliche Gebietskörperschaft Bund, Länder

Stärken der sozialen Durchlässigkeit an Bildungsübergängen Steigerung der Unterrichtsqualität durch laufende Fortbildung von LehrerInnen Ganztagesschule

Ausbau und Betrieb der ganztägigen Schulformen in getrennter oder verschränkter Form mit VIF-konformen Betreuungszeiten

Sozial benachteiligte Unterstützungssysteme / Schulsozialarbeit: Stärken Kinder von interdisziplinären Teams an Schulen Ausbau und qualitative Verbesserung von Maßnahmen zur Integration von SchülerInnen mit Migrationshintergrund

alle Ebenen

Bund, Länder, (Gemeinden) alle Ebenen

Kinder mit Behinderung

Sonderpädagogik / Betreuungsdienste: Stärken eines gemeinsamen Unterrichtes von behinderten und nicht behinderten Kindern

Bund, Länder, (Gemeinden)

Tages- und Ferienbetreuung

VIF-konformer Ausbau der Tages- und Ferienbetreuung von SchülerInnen

Länder, Gemeinden

Optimierte Schulstandorte

Optimieren der Schulstandorte: Chancengerechtigkeit im Zugang für alle SchülerInnen in einer Region

Länder, Gemeinden

Infrastruktur

Bereitstellen einer gesetzeskonformen Infrastruktur / Schaffen von Mindeststandards

(Länder), Gemeinden

Quelle: Mitterer et al.: Leistungs- und wirkungsbezogene Pflichtschulfinanzierung, 2019, S. 85; unter Berücksichtigung von Bundesvoranschlag 2018, Wirkungsmonitoring 2017, Land Steiermark: Wirkungsziele 2018 und Regionaler Bildungsplan 2012.

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Vereinbarte Reformansätze zum Finanzausgleich 2017 In den rund 1,5 Jahre währenden Verhandlungen von Vertreterinnen und Vertretern aus Politik und Verwaltung sind Ansätze für strukturelle Reformen ebenso wie Vereinfachungen und kleinere finanztechnische Anpassungen an neue Gegebenheiten sowie einige regulatorische Maßnahmen vereinbart worden. In folgender Aufzählung werden lediglich die strukturellen Reformen angeführt. Dazu zählen  Pilotprojekte zur Aufgabenorientierung im Bereich Kinderbetreuung und Pflichtschulen (neue Verteilkriterien der Gemeinde-Ertragsanteile);  die Neufassung von Transfers zum Ressourcenausgleich auf Ebene der Gemeinden;  das Stärken der Abgabenautonomie der subnationalen Ebenen (v.a. im Weg der „Verländerung“ des Wohnbauförderungsbeitrags (als ausschließliche Landesabgabe) sowie durch Einsetzen einer Arbeitsgruppe zur Reform der Grundsteuer der Gemeinden) und weiters  Ansätze zu einer Bundestaatsreform und eines gemeinsamen Performancemanagements (Vorbereitung einer Bundesstaatsreform bis Ende 2018, Einführen von Aufgabenkritik durch Modelle für Spending Reviews und Benchmarking ab 2019, Erweiterung der Transparenzdatenbank)31. Einige dieser Vorhaben scheiterten aber schlussendlich an mangelnder Zustimmung zu Regelungen im Detail, welche durch Arbeitsgruppen auszuarbeiten waren. Dies betraf zuerst die im §15 FAG 2017 nur grundsätzlich geregelte aufgabenorientierte Mittelverteilung bei zwei Pilotprojekten auf Ebene der Gemeinden, welche mit BGBl. I Nr. 106/2018 zum 31.12.2018 aufgehoben wurde, weil keine Einigung über den konkreten Reformansatz erzielt werden konnte. Stattdessen wurde für die Elementarpädagogik und für die Anschubfinanzierung der ganztägigen Pflichtschulen auf die traditionelle Form der Zuschussfinanzierung zurückgegriffen (vom Bund an die Länder, bei einer Aufgabe, die weitgehend von den Gemeinden erbracht wird)32. Weiters ist eine in Aussicht gestellte Reform der Grundsteuer gescheitert, da eine Arbeitsgruppe bis Mitte 2017 diesen Auftrag nicht erledigen konnte. Auch vereinbarte Ansätze zur Vorbereitung einer Bundesstaatsreform sowie zu einem verbesserten Verwaltungsmanagement durch Aufgabenkritik sind bis dato weitgehend ausgeblieben. Immerhin ist ein erster Schritt zur Reform des Art. 12 B-VG („Kompetenzbereinigungspaket“) mit BGBl. I Nr. 14/2019 beschlossen worden. Im Kern weist das Gesetz bisher gemeinsame Politikbereiche der ausschließlichen Zuständigkeit der Bundes- oder der Landesebene zu. Es sind jedoch nur wenige Politikbereiche betroffen: so werden etwa Mutterschaft-, Kinder- und Jugendfürsorge den Ländern zugewiesen, die Bevölkerungspolitik dagegen dem Bund. Auch den Erläuterungen von Kremser et al.33 zum vereinbarten Paktum des Finanzausgleichs 2017 ist zu entnehmen, dass für das Scheitern einiger Reformvorhaben mehrere Gründe eine Rolle gespielt haben: Diese sind v.a. fehlende politisch/strategische Konsense zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, unzureichende Verfügbarkeit aufbereiteter empirischer Daten, keine ausreichend ausgearbeiteten Vorschläge (auch Alternativen), Unverständnis bzw. nicht 31 32

33

Vgl. Bauer; Mitterer: Reformen im Finanzausgleich, 2018, S. 51 ff. Den Erläuterungen zur Regierungsvorlage ist zu entnehmen, dass trotz intensiver Gespräche im Jahr 2017 kein Einvernehmen zur Aufgabenorientierung bei der Elementarbildung hergestellt werden konnte und sich angesichts der unterschiedlichen Interessen auch keine realistische Möglichkeit abzeichnet, während der laufenden Finanzausgleichsperiode eine Einigung über eine Änderung bei der Verteilung der Ertragsanteile erzielen zu können (…) In Abstimmung mit den Ländern sowie dem Österreichischen Gemeindebund und dem Österreichischen Städtebund soll daher dieser Teil des Paktums bis zu den nächsten Finanzausgleichsverhandlungen nicht mehr verfolgt werden (370 der Beilagen XXVI. GP gemäß www.parlament.gv.at. Kremser; Sturmlechner; Wolfsberger: Finanzausgleichs-Paktum 2017, S. 199 ff.; siehe hierzu auch Bauer; Mitterer: Reform der Finanzausgleichsreform, 2019.

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aufgelöste Zielkonflikte bei einzelnen Reformmaßnahmen. Vermutlich bestand auch zu wenig Innovationsbereitschaft.

1.4

Zur Schweizer Finanzausgleichs- und Föderalismusreform (NFA)

Angesichts dieser jahrzehntelangen und nur beschränkt erfolgreichen Bemühungen um substanzielle Finanzausgleichsreformen im föderalen System Österreichs soll im folgenden Text ein Blick auf die Schweizer Finanzausgleichs- und Föderalismusreform 2008 (nach einem 15 Jahre dauernden Reformprozess) geworfen werden. Mit dieser Reform wurden nur die Beziehungen zwischen Bund und Kantonen neu geregelt, wobei im Sinn von Daflon34 Föderalismusreformen – v.a. bezüglich Zuständigkeiten/Trägerschaften von Aufgaben, verbesserter Kooperation zwischen Bund und Kantonen – mit Reformen der finanziellen Strukturen verknüpft wurden. Die innerkantonalen Finanzausgleiche mit den Gemeinden waren davon jedoch kaum betroffen. Am Beginn stand ein deutlicher Wunsch nach einer besseren politischen Steuerbarkeit, da der damalige Finanzausgleich ein hochkomplexes und schwer nachvollziehbares Modell darstellte. So führte R. Frey allein zum Transfersystem drei grundsätzliche Mängel an: Vermischung von Effizienz- und Umverteilungszielen, zu hoher Zentralisierungsgrad trotz weitgehender Kantonsautonomie sowie ineffiziente Ausgestaltung und Ausrichtung von Transfers35. Sowohl Bund als auch Kantone wollten mehr Transparenz schaffen, da das damalige System keine Information über die Zusammenhänge von Finanzmitteln und Wirkungen gab. Zu den Eckpunkten dieser Reform zählten36  weitgehende Entflechtung von Aufgaben;  Neugestaltung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen;  Organisation von Gemeinschaftsaufgaben nach dem Vorbild des New Public Management und der Principal-Agent Theorie (d.h. strategische Kompetenzen beim Bund, Ausführungskompetenzen bei den Kantonen, es gibt ein Controlling, Verträge, eine Finanzierung nach Ergebnissen und nicht nach Kosten);  Verstärkung der interkantonalen Zusammenarbeit (Zusammenarbeit kann vom Bund erzwungen werden);  eine umfassende Finanzausgleichsreform, die v.a. den horizontalen Ressourcen- und Lastenausgleich (statt Bundessubventionen) sowie die Berücksichtigung des Steuerpotenzials betraf. Weiters wurden sozio-demografische Strukturnachteile der Zentrumskantone sowie die strukturellen Schwierigkeiten der Bergkantone berücksichtigt und eine langjährige Übergangsregelung vereinbart.

34 35 36

Der Schweizer Finanzwissenschafter Dafflon betont seit Jahren den Grundsatz, dass „decentralized public finance arrangements cannot plausibly be divorced from the nature of intergovernmental relations in general“ (Dafflon: Assignment of functions, 2008, S. 272). Frey: Standortwettbewerb und Neuer Finanzausgleich, 2005, S. 27. Nach Braun: Föderalismusreform in der Schweiz, 2009, S. 87 sowie Frey; Wettstein: Reform des schweizerischen Finanzausgleichs, 2008, S. 3 ff.

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Nach Analysen einiger Schweizer Wissenschafter haben mehrere Faktoren zum Gelingen dieser bedeutenden Reform beigetragen37:  Ausarbeitung und politische Vereinbarung eines umfassenden strategischen Handlungsrahmens in Form eines Grundzügeberichts (u.a. mit klaren Diagnosen zur Problematik des bestehenden Systems und der Festlegung von Effizienz und Subsidiarität als gemeinsame Ziele bei allen Aktivitäten);  Beteiligung von Vertreterinnen und Vertretern aus Politik und Verwaltung des Bundes und der Kantone (aus Finanzverwaltungen sowie aus einzelnen Aufgabenbereichen), von Expertinnen und Experten sowie von diversen Interessenvertretungen;  Festlegen der jeweiligen Rollen von Politikerinnen und Politikern, von Beamtinnen und Beamten, weiters von Mitwirkungs-, Teilhabe- und Gestaltungsrechten aller Akteure (damit entstanden Bindung der Beteiligten an das Projekt und Verantwortung für das Gelingen), Vermeiden von Fragmentierung der Akteure (z.B. Verhandeln eines Interessenausgleichs zwischen den Kantonen in gesonderten Gremien) sowie Reduktion der Zahl der Akteure in der Vorbereitung von Gesetzesvorschlägen;  Verhandlungsstrategie und Agenda-Setting, insbesondere Kombinieren von mehreren Reformthemen (Aufgabenentflechtung, verbesserte interkantonale Kooperation, kompakte Lastenausgleiche) mit Kompensationszahlungen und Reduzieren des ursprünglichen Expertenvorschlages bezüglich der Aufgabendezentralisierung sowie getrenntes Behandeln von Wirkungs- und Verteilungsfragen (z.B. Wirkungsbeurteilung von externen Expertinnen und Experten);  professionelles Projektmanagement. 1.5

Zwischenresümee

Das über Jahrzehnte bestehende unterschiedliche Verständnis von Finanzausgleich in Österreich (weite bzw. enge Definition) scheint vorerst mit den Bemühungen um explizites Verknüpfen von Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen, also mit dem Anerkennen des Konnexitätsprinzips, gemildert. Gleichwohl besteht zwischen finanzwissenschaftlichen/ökonomischen Reforminhalten und solchen von Politik und Verwaltung ein Gegensatz: Während Ökonominnen und Ökonomen meist die Geltung des Äquivalenzprinzips38 und damit möglichst getrennte Aufgaben- und Finanzverantwortung der einzelnen staatlichen Ebenen vorschlagen, bleiben die Repräsentantinnen und Repräsentanten des politisch-administrativen Systems dem VerbundModell verpflichtet. Die gemeinschaftliche Aufgabenerfüllung wird mit bürokratischer topdown-Steuerung und mit überzentralisierter und verflochtener Finanzierung verknüpft. Sie folgen damit dem seit fast 100 Jahren geltenden föderalistischen Kompromiss der Bundesverfassung, nämlich einem (nur bedingt kooperativen) Verbundföderalismus39, gekoppelt mit Vollzugsföderalismus. Damit werden die Zuständigkeiten für die Aufgabenerfüllung unübersichtlich und Verantwortlichkeit für die Ergebnisse „verwischt“. Gleichzeitig werden dadurch Spielräume der subnationalen Ebenen für Entscheidungen reduziert40.

37 38 39 40

Wettstein: Neugestaltung des Finanzausgleichs, 2002, S. 35 ff.; Braun:, Föderalismusreform in der Schweiz, 2009, S. 112 ff. sowie Cappelletti et al.: Reform of Swiss Federalism, 2014, S. 22 f. Siehe Thöni; Bauer: Föderalismus und Bundesstaat, 2017, S. 38 ff. Siehe Thöni; Bauer: Föderalismusreformen oder Gamsbartföderalismus?, 2019, S. 131. Thöni; Bauer ebda, S. 132; siehe auch Frey: Standortwettbewerb und Neuer Finanzausgleich, 2005, S. 23.

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Es gilt festzuhalten, dass die in anderen Ländern durchaus anerkannten gegenseitigen Abhängigkeiten41 zwischen zentralstaatlichen und föderalen/dezentralen Strukturen und Organisationsformen einerseits und dem Finanzausgleichssystem andererseits hierzulande wenig Beachtung finden. Dabei würde es beispielsweise gehen um  Regeln von Ergebnisverantwortung für (Teil-)Leistungsbereiche;  Schaffen ausreichender politisch-administrativer Kapazitäten für die Berücksichtigung regionaler (horizontaler) sowie vertikaler Verflechtungen;  Festlegen abgestimmter und überprüfbarer Wirkungs- und Leistungsziele bei gemeinsamer Aufgabenerfüllung und institutioneller Vorkehrungen für die Abstimmungsvorgänge;  Etablieren vertrauensbasierter Kooperation;  finanzielle Absicherung der subnationalen Autonomien durch angemessene eigene Abgabenerträge und beschränkten Einsatz von Transfers. Dementsprechend bietet auch die wenig engagierte Diskussion über die weitere Entwicklung des föderalen Systems in Österreich kaum Ansatzpunkte für die (Neu-) Konstruktion des Finanzausgleichs. Im Paktum zum Finanzausgleich 2017 ist lediglich die Absicht nach Vorbereitung einer Bundesstaatsreform und nach weiteren Strukturveränderungen für künftige Reformen des Finanzausgleiches enthalten. Diesbezüglich unterscheidet sich die Lage in Österreich von den offensichtlich erfolgreich kombinierten Reformen von Finanzausgleich und Föderalismus bzw.Dezentralisierung in der Schweiz und in skandinavischen Staaten42. Bemerkenswert ist, dass in der österreichischen Reformdiskussion Interesse am effektiveren Vollzug der Regelungen der Finanzausgleichsgesetze und damit an vereinfachter Steuerung bestand. Deshalb konnten sukzessive vereinfachte Verteilungsregeln der subnationalen Anteile des Steuerverbundes sowie ein partieller Abbau diverser Transfers beschlossen werden. Zuletzt hat sich so der Bund mit dem FAG 2017 „auf den länderübergreifenden Finanzkraftausgleich beschränkt“43 und den gemeindeweisen Finanzkraftausgleich (innerhalb der einzelnen Länder) den Ländern – jedoch ohne substanzielle Vorgaben – überlassen44. Damit ist jedoch kaum eine Entschärfung des „Transferchaos“ erfolgt, weil dieses weiterhin durch die unüberschaubaren finanziellen Verflechtungen zwischen Land und Gemeinde geprägt wird. Gleichzeitig mit vereinfachten horizontalen Verteilungsregelungen auf Gemeindeebene kam es im FAG 2017 zu weiteren Verflechtungen im Transfersystem. So wurden mit dem Strukturfonds, dem Fonds für Eisenbahnkreuzungen und mit der Einmalzahlung im Bereich Migration und Integration zusätzliche Transfers geschaffen und damit die Transferverflechtungen intensiviert. Insgesamt ist daher keine einheitliche Richtung der einzelnen Reformmaßnahmen im FAG 2017 erkennbar. Das FAG 2017 enthält jedenfalls nach wie vor mehrfache Widersprüche zwischen den gewählten Instrumenten45.

41

Siehe Dafflon: Assignment of functions, 2008 sowie bezüglich der skandinavischen Staaten Lotz: Financing Nordic Local Government, 2008, S. 383: „The Nordic model builds generally on dialogue between the central and the local level (…) Own taxation is a choice for countries with good dialogue and trust between tne centre and the local sector and where the value of accountability is appreciated”. 42 Lotz: Financing of Nordic Local Government, 2008, S. 383 f. 43 Kremser et al.: Finanzausgleichs-Paktum, 2017, S. 209 f. 44 Bisher zeigen sich aber kaum Verhandlungen zwischen Land und „seinen“ Gemeinden über strategische Ziele (Wahrung autonomen Handlungsspielräume, Nutzen/Kosten Evaluieren) oder über vereinfachte und transparente Praktiken für diese wichtigen interkommunalen Ausgleiche. 45 Siehe Bröthaler; Getzner: Evaluierungsrahmen zum Finanzausgleich, S. 409: „Die Veränderungen des Finanzausgleichs 2017 gehen (…) bei einer Gesamtbetrachtung teilweise in konträre Richtungen“.

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FINANZAUSGLEICH, FÖDERALISMUS UND PUBLIC GOVERNANCE

2

Föderalismus in Österreich – Konzepte und Reformen

2.1

Grundsätze und Modelle

Für die Begründung föderalistischer Organisationsformen im Staat, ebenso in Staatenbünden sind mindestens zwei Aspekte maßgeblich: Der erste betrifft eine räumliche und/oder inhaltliche Dezentralisierung, d.i. eine Verteilung der staatlichen Tätigkeiten (einer „Zentralmacht“) auf mehrere Organisationen aus „technischen“ Gründen bzw. verwaltungsökonomischen Überlegungen. Die föderale Struktur wird dabei wesentlich durch die vom Zentralstaat in der Verfassung geregelte Verteilung von Kompetenzen und Zuständigkeiten für Aufgaben, durch die Regelung der Trägerschaft von (Teil-)Aufgaben und deren Finanzierung bestimmt. Der zweite und entscheidende Aspekt besteht darin, dass über die „verwaltungsmäßige Dezentralisierung hinaus in Bezug auf mehrere Bereiche öffentlicher Funktionen auch die politische Willensbildung auf verschiedenen Ebenen des öffentlichen Sektors erfolgt“46. Damit liegt eine Gewaltenteilung in vertikaler Hinsicht vor, was u.a. auch Voraussetzung für Bürgerbeteiligung auf allen Ebenen ist. Föderalismus hat somit „im Rahmen der Demokratie eine dienende Funktion, (…) nämlich das demokratische Prinzip zu stärken“47. In einzelnen Staaten dient Föderalismus aber auch zum Schutz von Minderheiten gegenüber der durch die Mehrheit verfolgten Politik eines Zentralstaates und/oder vermehrter Autonomie „von unten“ her durch das – politisch v.a. in der EU-Verfassung verankerte – Subsidiaritätsprinzip48. Grundsätzlich geht es hinsichtlich der Regelungsbefugnis von Aufgaben und/oder bezüglich der Beschaffung von Einnahmen um einen Kompromiss zwischen zwei Grundmodellen, dem Trennmodell und dem Verbundansatz: 

46 47 48 49

Mit dem Trennansatz setzt man auf eigene Kompetenzen zur Regelung von Aufgaben einzelner staatlicher Ebenen, auf separate Trägerschaft von (Teil-)Aufgaben, ebenso auf (teilweise) eigenständige Einnahmenbeschaffung bzw. Ausgabenbefugnis der einzelnen Ebenen. Damit kann unterschiedlichen Präferenzen und politischen Zielen Rechnung getragen werden; bei umfassenden Aufgaben schafft die Trennung allerdings öfters Probleme bei der Abstimmung von Zielen und Maßnahmen. Der Verbundansatz gilt einer Politik- und Verwaltungsverflechtung zwischen den staatlichen Ebenen in der Weise, dass die Gesetzgebung weitgehend zentralisiert und der Vollzug überwiegend dezentralisiert ist. Damit sollen „einheitliche Lebensverhältnisse“, internationale Wettbewerbsfähigkeit und andere anspruchsvolle Wirkungsziele erreicht werden. Kennzeichnend dafür sind formelle institutionelle Regelungen einer gemeinschaftlichen Aufgabenerfüllung („geteilte Entscheidungskompetenzen“49) sowie Ko-Finanzierungen in strategisch bedeutsamen Bereichen wie Bildung, Klimaschutz, Gesundheitssicherung. Potenzielle Vorteile liegen grundsätzlich in einer abgestimmten Arbeitsteilung und Koordinierung (Effektivitätsgewinne); nachgeordnete Gebietskörperschaften können auf Solidarität und Beistand durch übergeordnete rechnen. Nachteile sind Einbußen an Transparenz, an Ergebnisverantwortung und damit verbundene Effizienzverluste.

Nowotny; Zagler: Der öffentliche Sektor, 2009, S. 138. Pelinka: Föderalismus für das 21. Jahrhundert, 2007, S. 146. Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit sind grundsätzlich in Art. 5 des Vertrages über die Europäische Union festgeschrieben. Sie bedeuten, dass die EU nur in den Fällen tätig wird, in denen deren Maßnahmen effizienter sind als auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene. Benz: Föderalismus und Demokratie, 2003, S. 14.

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Weitere ökonomische Konstruktionsprinzipien föderaler Staatsorganisation betreffen nicht nur das bereits weiter oben genannte Äquivalenzprinzip, sondern auch die Minimierung von Transaktions- und Organisationskosten (z.B. Zeit- und Wegekosten von Bürgerinnen und Bürgern, ebenso Entscheidungs- und Kontrollkosten von öffentlichen Verwaltungen). Auch bedeutende demokratietheoretische Begründungen des Föderalismus sind anzuführen. So etwa bei Friedrich aus 1968, der demokratische Politik in einem Gemeinwesen als „Prozess der Gemeinschaftsbildung“ betrachtet und das Prinzip der Gleichberechtigung vertritt: „We have federalism only if a set of political communities coexist and interact as autonomous entities, united in a common order with some autonomy of its own. No sovereign can exist in a federal order system; autonomy and sovereignity exclude each other in such a political order (...) No one has the last word”50. Weniger radikal erscheint das demokratiebezogene Verständnis von Föderalismus im Konzept einer „Konsens-orientierten Konkordanzdemokratie“51. Nach Pelinka sollen in diesem Modell „die durch gesellschaftliche Fragmentierungen getrennten Teilgesellschaften an der Macht beteiligt werden“, wodurch die demokratische Legitimation eines politischen Systems tendenziell gestärkt wird. Politikwissenschafterinnen und -wissenschafter beziehen sich hierbei zuerst auf die Funktion des Föderalismus zur Überbrückung von gesellschaftlichen Bruchlinien („cleavages“), d.s. tiefe Konfliktlinien ethnischer, territorialer oder politisch-ideologischer Natur52. Eine andere demokratiepolitische Begründung führen Hooghe et al. an, nämlich Stabilität der Machtverteilung durch gegenseitige Bindung53. Pernthaler verweist auf die erhöhte demokratische Legitimation des politischen Systems durch Partizipation, etwa durch Mitwirkung von Ländern und Gemeinden an der zentralstaatlichen Planung54. Ausmaß und Form eines föderalen Systems werden oft als Folge historisch-politischer Entscheidungen verstanden. Das System kann/muss jedoch auch zukunftsorientiert durch gemeinsame Interpretationen von Fundamentalkonzepten, wie Demokratie, Autonomie, Subsidiarität, Dezentralisierung/Delegation, Bundesstaat, Äquivalenzprinzip sowie durch Experimentiermöglichkeiten strategisch reformiert bzw. weiterentwickelt werden. Im Bereich der Finanzierung wären etwa der Zusammenhang von Aufgaben-, Ausgaben- und Finanzierungsverantwortung, aber auch der Grundsatz „Wer anschafft, zahlt“ zur Diskussion zu stellen55. Zwischen den föderalen Partnern könnte auch ein demokratiepolitisch positiver Wettbewerb über Lernen voneinander, z.B. bezüglich Transparenz, Koordination und Partizipation geführt werden. Es gibt daher nicht das eine „Föderalismuskonzept“, sondern eine Mehrzahl unterschiedlicher Ausformungen föderaler Ordnungen (Föderalismustypen). Zu nennen wären etwa Vollzugsföderalismus (= Gliedstaaten vollziehen lediglich zentralstaatliche Regelungen in einzelnen Aufgabenbereichen56), kooperativer Föderalismus (= verschränkte Machtbeziehungen zwischen Bund und Gliedstaaten, wie z.B. in Deutschland), Exekutiv-Föderalismus bzw. Administrativer Föderalismus57 (erweiterte Entscheidungs- und Handlungsspielräume der subnationalen Akteure beim Aufgabenvollzug), Wettbewerbsföderalismus, Dualer Föderalismus (Trennung der Kompetenzen zwischen Bund und Gliedstaaten; letztere stehen untereinander in 50 51 52 53 54 55 56 57

Friedrich: Trends of Federalism, 1968, S. 7. Pelinka: Föderalismus für das 21. Jahrhundert, 2007, S. 123. Pelinka führt für den Föderalismus in Österreichs Verfassung den in der ersten Republik bestehenden Bruch zwischen den späteren Bürgerkriegsgegnern im Jahr 1934 an (Pelinka: Föderalismus, 2007, S. 123). Hooghe; Marks; Schakel: Multilevel governance and its effects, 2019, S. 8: “Government functions within a country are shared between the central government and regional governments so that neither the center nor the regions may unilaterally change the system. ” Pernthaler: Bundesstaatsrecht, 2004, S. 157. Siehe Thöni; Bauer: Föderalismusreformen, 2019, S. 129. Thöni; Bauer: Föderalismus und Bundesstaat, 2017, S. 35: „Sub-nationale Ebenen haben keine eigene, sondern nur eine stellvertretende Regelungsbefugnis (z.B. die mittelbare Bundesverwaltung in Österreich). Siehe Färber: Finanzföderalismus, 2013, S. 26 ff.

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einem Wettbewerb, z. B. in den USA), symmetrischer / asymmetrischer Föderalismus (= Gliedstaaten verfügen über die gleichen bzw. über unterschiedliche Rechte). Als statische Konzepte umschreiben sie politische oder lediglich administrative Entscheidungsspielräume, konkrete Institutionen und organisatorische Strukturen, wie räumliche Bundesstaaten (Länder und Gemeinden), institutionelle Regelungen (z.B. verteilte Zuständigkeiten zu dezentraler Entscheidung und Aufgabenerfüllung) oder funktionelle Selbstverwaltungs-Netzwerke (z.B. Sozialversicherungsbereich und andere Parafisci in Österreich). Dynamische Konzepte setzen v.a. auf – intergovernmentale – Prozesse, wie Wettbewerb, Lernen voneinander, Evaluation und Innovation58. In der Praxis muss dabei in allen Konzepten der konkrete trade-off zwischen „Autonomie“59 und „Koordination“, und damit der Ausgleichsumfang (auch im Finanzausgleich) festgelegt werden, worin sich der Grad der Autonomie widerspiegelt.

2.2

Schwacher Föderalismus in Österreich – blockierte Reformansätze

Das föderale System in Österreich lässt sich kaum einem einzigen Konzept zuordnen. Pitlik/Loretz bezeichnen das System als „kooperativen Vollzugsföderalismus“. Sie betonen „die komplexe und oft wenig transparente Verflechtung von Aufgaben-, Ausgaben- und Finanzierungsverantwortung zwischen den gebietskörperschaftlichen Ebenen, was die gesamtstaatliche Steuerung beträchtlich erschwert“60. Thöni/Bauer sprechen dagegen von einem – eher statischen61 – „kooperativen Föderalismus“ (auch „Verbundföderalismus“)62 mit Tendenz zu vermehrtem Zentralismus63, in dem jedoch die kommunale Ebene aus zentralen politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen bleibt. Pelinka64 versteht das föderale System in Österreich aus politikwissenschaftlicher Sicht zwar demokratiestärkend, da die Möglichkeiten zur politischen Partizipation durch die drei staatlichen Ebenen erhöht werden. Gleichzeitig werden die Entscheidungsprozesse in Politik und Verwaltung komplizierter und intransparenter, sodass die damit bedingte „Effizienzverminderung den Vorteil der Legitimitätsmehrung aufbrauchen (könnte)“65. Weiters konstatiert er, dass die Bevölkerung sich nicht nur mit Österreich (als Land, als Nation) identifiziert, sondern auch mit ihrem Bundesland, „unabhängig davon ob eine bestimmte Kompetenz auf der Bundes- oder auf der Landesebene liegt“66. Damit wird dem föderalen System auch ein symbolischer Wert zugesprochen, wobei die hohe Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger zu den Ländern, also die starke Ausprägung verschiedener Identitäten in einzelnen Ländern, oft nicht in politische Wahrnehmung umgesetzt wird. Dies kann u.a. aus Umfragen abgeleitet werden: Eine in mehreren europäischen Staaten durchgeführte Befragung zeigt eine in österreichischen Regionen besonders stark ausgeprägte paradoxe Haltung der Bürgerschaft zum Land bzw. zum 58

59 60 61 62

63

64 65 66

Ein föderaler Wettbewerb soll die Aufgabenerfüllung der einzelnen Organisationen so ausrichten helfen, dass das Verhalten der politischen Akteure die Interessen der Bürgerinnen und Bürger wahrt und die Transaktions-kosten auf Seiten der Bürgerschaft sowie auf Seiten der öffentlichen Organisationen minimiert. Siehe dazu u.a. Nowotny; Zagler: Der öffentliche Sektor, 2009, S. 5. Thöni; Bauer: Föderalismus, 2017, S. 29; Thöni; Bonn: Fiskalische Autonomie, 2011, S. 71-73. Pitlik; Loretz: Steuerung und Aufgabenorientierung, 2019, S. 87. Einzelne Politiker der Landesebenen zeigen dagegen eine Neigung zu einem dynamischeren „solidarischen“ Wettbewerbsföderalismus, was von anderen VertreterInnen auf der Länderebene jedoch abgelehnt wird. Insbesondere „aus Gründen der Aufgabenerfüllung in Formen des Privatrechts (Art. 17 B-VG für Privatwirtschaftsverwaltung von Bund bzw. Ländern und Art. 118 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 116 Abs. 2 B-VG von Gemeinden hat sich das Konzept des kooperativen Föderalismus (…) mit seiner Teilautonomie stark durchgesetzt“ (Thöni; Bauer: Föderalismusreformen, 2019, S. 131). Siehe auch Pelinka: Föderalismus für das 21. Jahrhundert, 2007, S. 125: „Ein Prozess der allmählichen Aushöhlung der Länderkompetenzen (hat) …dadurch stattgefunden, dass über weite Strecken der Zweiten Republik Kompetenzen durch spezielle Verfassungsgesetze in Richtung Bund verlagert wurden“. Pelinka: Föderalismus für das 21. Jahrhundert, 2007, S. 124. Pelinka: Föderalismus für das 21. Jahrhundert, 2007, S. 125. Pelinka: Föderalismus für das 21. Jahrhundert, 2007, S. 125.

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Zentralstaat. Während eine große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger (zwischen 79 und 82 Prozent in drei österreichischen Regionen) meint, dass die „Landesregierung den größten Einfluss im Land haben sollte“, sprechen sich 60 bis 70 Prozent der Befragten gegen regionale (eventuell auch differenzierte) Leistungserbringung aus, in dem sie „meinen, dass sich in erster Linie die Bundesregierung um die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die Bekämpfung der Kriminalität, die Bildung und die Gesundheitsvorsorge kümmern sollte, und nur 20 bis 30 Prozent sehen die jeweiligen Landesregierungen am Zug“67. Das österreichische föderale System, insbesondere die Kompetenzlage, die eher verwischte als klar geteilte Ergebnisverantwortung zwischen den Ebenen ebenso wie die Verteilung der Mittel des Steuerverbundes und des Großteils der Transferzahlungen, ist seit Jahren in der „Krise“ und lässt viele unbefriedigt. Denn trotz deutlichen Veränderungen in den Aufgaben des öffentlichen Sektors ist der Föderalismus weitgehend festgefahren bzw. blockiert. Einige ausgewählte Kritikpunkte am föderalen System von Expertinnen und Experten aus Verfassungsrecht, aus Politik- und aus Finanzwissenschaft sollen diese Ansicht illustrieren: 

Öhlinger68 bezeichnet die Kompetenzverteilung von 1925 „in sich widersprüchlich: Die Länder sind für alles zuständig, was in der Bundesverfassung nicht explizit dem Bund vorbehalten ist. Der Katalog der Bundeskompetenzen in den Art. 10 bis 14b B-VG ist freilich so umfangreich (…) dass den Ländern trotz dieser Generalklausel nur sehr bescheidene Gestaltungsspielräume verblieben sind.“ Karlhofer69 beschreibt das föderale System kritisch als „ein Amalgam von zersplitterten Kompetenzen, Verflechtungen in Rechtsetzung und Rechtsumsetzung, von durch Netzwerkkontakte und Doppelloyalitäten überlagerte Formalzuständigkeiten“. Neisser betont neben der „mangelnden Anpassung an den Strukturwandel im modernen Staat“70 auch das Fehlen „einer positiven Einstellung zum Föderalismus bei den meisten Spitzenpolitikerinnen und -politikern des Bundes. Sie sehen in diesem eher einen Störfaktor für die rasche Umsetzung ihrer politischen Interessen“71. Pelinka verweist darauf, dass „auch die Frontstellungen der verschiedenen Parteiungen versteinert (sind), die ihre jeweilige Vetoposition zu nützen verstehen, um jede Entwicklung des Bundesstaats zu blockieren“72. Pernthaler stellt fest, dass trotz der Gemeindeverfassungsnovelle 1962 noch immer ein streng hierarchisches Verhältnis zwischen Bund, Ländern und Gemeinden vorherrscht (…) bei dem die Gemeinden (…) dem Bund und den Ländern so untergeordnet (sind), dass sie kaum noch als Partner angesprochen werden können“73. Pitlik/Loretz erörtern eine im Vollzugsföderalismus bestehende besondere Herausforderung, dass „durchführende Behörden (Bezirkshauptmannschaften) bei ihrer Aufgabenerledigung oft nicht nur einem, sondern gleich zwei Prinzipalen (Landeshauptmann/Landeshauptfrau und Bundesministerium) verantwortlich sind. Diese sind auf unterschiedlichen Ebenen gewählt und verfolgen nicht notwendigerweise

67

Jeffery: Bürger, Länder und Föderalismus in Österreich, 2011, S. 47. Siehe dazu auch aktuelle Aussagen von Heinisch (zitiert nach einer Zusammenfassung seines Referats bei einer Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Gesetzgebungslehre vom Okt. 2018 von Lienbacher, Gesetzgebungskompetenz der Länder, 2019, Zeitschrift f. Verwaltung 1/2019, S. 36), wonach „die Demoskopie ein sehr widersprüchliches Bild von der Einstellung der Bevölkerung zum Föderalismus (zeige). Dieser werde einerseits als störender Kostenfaktor empfunden, zugleich existiert ein Wunsch nach möglichst großer Bürgernähe. Jedenfalls zeige sich eine starke Präferenz für einheitliche zentral gesteuerte Entscheidungen auf nationaler Ebene“, die zwischen den Ländern divergierten. 68 Öhlinger: Weit entfernt von einer Bundesstaatsreform. Wiener Zeitung, 25.07.2018, S. 7. 69 Karlhofer: Finanzausgleich und Bundesstaatsreform, 2011, S. 104. 70 Neisser: Perspektiven Bundesstaatsreform, 2011, S. 30. 71 Neisser: Föderalismus in Österreich, 2010, S. 85. 72 Pelinka: Föderalismus für das 21. Jahrhundert, 2007, S. 151. 73 Pernthaler: Österreichisches Bundesstaatsrecht, 2004, S. 435.

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gleichgerichtete (politische) Ziele (...), was zu Kostenverlagerungen und zu einem Verlust an Verwaltungseffizienz führt“74.

2.3

Föderalismusreform – Teilbereiche und integrierte Maßnahmenpakete

Reformen des föderalen Systems sind grundsätzlich kein „primärer Wert, sondern ein sekundärer Wert …, denn (es) hat im Rahmen der Demokratie eine dienende Funktion“75. Bei der Beurteilung der verschiedenen Reformvorschläge erscheint daher das Kriterium „Beitrag zu mehr Demokratiequalität“ vorrangig. Radikale Vorschläge für das föderale System in Österreich, wie die Abschaffung der Länder (mehr Zentralstaatlichkeit) oder ein Übergang zu einer Bundesstaatlichkeit nach Schweizer Muster (mehr Gewicht den Kantonen), haben keinen realen Stellenwert: Sie sind wenig geeignet, weil sie die politische Machtverteilung in einem spürbaren Ausmaß zu Lasten v.a. der Gemeinden verändern und stärkere Spannungen zwischen. den Regionen, insgesamt also demokratie-reduzierende Wirkungen erzeugen können. Es gilt also, auf allen Seiten ausgewogene, gleichheitsfördernde Vorschläge zu entwickeln oder bestehende auf ihren bundesstaatlichen Bezug zu prüfen. Pelinka formuliert dies bezogen auf das Verhältnis zwischen Bund und Ländern wie folgt: „Den österreichischen Bundesstaat mit neuem Leben zu erfüllen, bedeutet, die Gewichte neu zu ordnen – ohne im Kräfteparallelogramm die Länder gegenüber dem Bund zum Sieger oder zum Verlierer zu machen“76. Die Belebung des föderalen Systems verlangt jedoch mehr als „eindimensionale“ Veränderungen bzw. Maßnahmen, vielmehr gilt es verfassungsrechtliche, aufgabenbezogene (funktionale), finanzwirtschaftliche, verwaltungsökonomische und steuerungsbezogene Bereiche zu adressieren und in wenigen Paketen zu kombinieren. Es sind dies Regelungen, welche einzelne Entflechtungen und „Arrondierungen“ von Bundes- und Landeskompetenzen betreffen und in Verbindung mit kritischen Analysen gemeinschaftlich wahrzunehmender Aufgaben („Gemeinschaftsaufgaben“) und ihrer Finanzierung zu treffen wären77. Ebenso hätte die verfassungsrechtliche Erweiterung des föderalen Systems zu einem dreigliedrigen kooperativen Föderalismus Priorität in governance-bezogener Hinsicht. Damit könnten die Gemeinden als gleichwertige Partner von Bund und Ländern in den gesamtstaatlichen Entscheidungsprozess besser eingebunden werden. Denn viele bundes- und landesgesetzliche Regelungen von „Gemeinschaftsaufgaben“ räumen den Gemeinden und interkommunalen Abstimmungsprozessen zu wenig autonomes Entscheidungspouvoir ein78. Hierfür scheinen partnerschaftlich ausgehandelte gesetzliche und – 74 75 76 77

78

Pitlik; Loretz: Steuerung und Aufgabenorientierung, 2019, S. 94 f. Pelinka: Föderalismus für das 21. Jahrhundert, 2007, S. 146. Pelinka: Föderalismus für das 21. Jahrhundert, 2007, S. 146. Abg.z.NR Rossmann unterstützte in der Debatte um das „Kompetenzbereinigungspaket“ (die Reform des Art. 12 B-VG mit BGBl. I Nr. 14/2019) die von LH Platter signalisierte Reformbereitschaft der Länder: „Es ist wichtig, dass das Besitzstandsdenken ein Ende findet und die Zusammenführung von Einnahmen-, Ausgaben- und Aufgabenverantwortung in den Vordergrund gerückt wird. Bisherige Anläufe, vom Perchtoldsdorfer Pakt bis zum Österreich-Konvent, scheiterten an den wechselseitigen Blockaden zwischen Bund und Ländern“. Doch, dass Platter nun die Steuerautonomie der Länder ins Spiel bringt, noch bevor überhaupt die Aufgabenverteilung im Bundesstaat geklärt ist, sieht Rossmann kritisch: „Eine Steuerautonomie für Bundesländer kann erst sinnvoll diskutiert werden, wenn geklärt ist, welche Rolle diese Verwaltungsebene im zukünftigen Österreich und Europa spielen soll. Konkretes rund um die angekündigte Föderalismusreform ist Minister Josef Moser jedoch noch schuldig geblieben“(APA OTS, 08.08.2018). Brückner et al. (Aufgabenfinanzierung und Transferbeziehungen, 2017, S. 173) weisen nachdrücklich auf die Einschränkungen der Gemeindeautonomie durch die Gemeindetransfers hin. Im Zusammenhang mit der Klimapolitik und den von der Gemeinde Traiskirchen kürzlich ausgerufenen Klimanotstand beklagt der Bürgermeister, dass die auf alle drei staatlichen Ebenen verteilte Zuständigkeit – etwa im Bereich von Immissionen des Straßenverkehrs - die Handlungsmöglichkeiten einer Gemeinde stark beschränken: „Das Problem sei (…) ein juristisches. Spürbar werde das etwa bei der Verkehrsbelastung am südlichen Speckgürtel. Wir haben fast null Handhabe bei den Straßenzügen, die uns Probleme machen, weil es hier Bundes- oder Landesstraßen sind", sagt Babler. „Selbst für Gemeindestraßen sei die Bezirkshauptmannschaft zuständig. Hier werde das

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weil flexibler – auch differenzierte vertragliche Regelungen bei unterschiedlichen Präferenzen in einzelnen Regionen zweckmäßig. Weitere Bereiche sind   

die Reform von aufgabenbezogenen Finanzausgleichen, wofür bereits Ausführungen oben im Kapitel I vorliegen, die Weiterführung von Verwaltungsinnovationen bei der Zielsteuerung und Wirkungsorientierung sowie im Haushaltswesen, und nicht zuletzt Verbesserungen im Steuerungssystem, worauf noch einzugehen sein wird.

„Eine Aufgabenreform muss den Ausgangspunkt von föderalismusbezogenen Verfassungs- und Verwaltungsreformen bilden“ – so der frühere Präsident des Rechnungshofes Moser – „erst dann können die dafür notwendigen Strukturen angepasst bzw. geschaffen und schlussendlich durch eine Organisationsreform möglichst bürgernah umgesetzt werden“79.

2.4

Zwischenresümee

Der österreichische Föderalismus leidet an seiner Widersprüchlichkeit – zwischen den verfassungsrechtlichen Kompetenzen (die auf dem Verfassungskompromiss der Ersten Republik beruhen), den grundsätzlich garantierten Autonomiebereichen der Länder und seit der Verfassungsnovelle 1962 auch der Gemeinden sowie dem stark zentralisierten Finanzausgleichssystem. Hinzu kommen noch die Verwaltungsbürokratien, auch gegenseitiges Misstrauen und die im Lauf der Jahre gewachsenen gegenseitigen Abhängigkeiten bei der Erfüllung der öffentlichen Aufgaben. Aber damit leidet auch die Demokratiequalität, die gut funktionierende föderale Beziehungen doch verbessern könnten. Diese Widersprüche wenigstens zu reduzieren, wäre somit ein erster Reformschritt. Am Beispiel des „Klimanotstands“ wird deutlich, dass in verschiedener Hinsicht auch ein institutioneller Neuordnungs- und/oder Entflechtungsbedarf besteht (z.B. bezüglich einer alle Ebenen erfassenden Vorrangigkeit des Ausbaues erneuerbarer Energiequellen oder Regelungsbefugnisse zur Verringerung der Immissionen von Luftschadstoffen aus dem Straßenverkehr auch für Gemeinden). Auch die Koordinierung der angestrebten Wirkungen und einer flächendeckenden Priorisierung von Maßnahmen zum Klimaschutz wäre anzustreben. Hierfür könnten „Planungsverbände“, „Planungsregionen“, also vernetzte Strukturen bei Planung und Produktion öffentlicher Leistungen eingerichtet werden, ohne dass sich an der institutionellen Vielfalt der öffentlichen Verwaltung etwas ändern muss. Abgrenzungskriterien wären im Fall von Infrastrukturaufgaben, von Planungsleistungen, von Ordnungsmaßnahmen (Gebote und Verbote) nicht die bestehenden administrativen Grenzen, sondern die Intensität der Interaktionen, der externen Effekte und etwa der Mobilitätserfordernisse. Es geht um politische Koordinierung von Zielen, um regional abgestimmte Verfahren zur Leistungserstellung bzw. zur Durchführung der Maßnahmen sowie um die Überprüfung der Zielerreichung. Diese Abstimmung erfolgt heute zwischen fünf – schließt man die supranationale Ebene der EU ein – bzw. vier staatlichen Ebenen (Bund, Länder, politische Bezirke und

79

enge Korsett durch die unterschiedlichen Kompetenzen von Bund, Ländern und Gemeinden spürbar, die eine nachhaltige Klimapolitik zusätzlich erschweren“ (Wiener Zeitung, 10.07.2019, S. 10). Moser: Verwaltungsreform aus Sicht des Rechnungshofes, 2011, S. 557.

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Gemeinden). Verschiedene Möglichkeiten bieten sich wohl an, dies zu vereinfachen – Vernetzung, Reduzieren der Akteure, verbesserte Prozesse. Institutioneller Reformbedarf im föderalen System wird vielfach geäußert, politisch besteht bisher jedoch wenig Bereitschaft, diesen umfassender als durch Einzelmaßnahmen im legistischen oder im organisatorischen Bereich aufzugreifen. Einzelne Initiativen des Bundes oder subnationaler Gebietskörperschaften werden gern blockiert, wenn sie eigenen Interessen zuwider laufen. Damit wird nicht nur die Legitimität des Bundesstaates in Frage gestellt, sondern nach Pelinka „auch die Legitimität der Demokratie.“80. Bezüglich des Finanzausgleichs ist immerhin – wie oben gezeigt wurde - insofern Gewissheit erreicht worden, dass keine strukturelle Finanzausgleichsreform ohne „Belebung“ der föderalen Beziehungen durch schrittweises Entflechten von Kompetenzen und durch Konsense hinsichtlich Trägerschaft von bestehenden oder neuen Aufgaben auch mit den Gemeinden möglich sein wird. Andererseits ist auch klar, dass ohne eine erweiterte Einnahmenverantwortung von Gemeinden und deren geringere Abhängigkeit von Transfers auch keine halbwegs abgesicherte Gemeindeautonomie erreicht werden kann. Was wiederum bedeutet, dass kein Gewinn an Demokratiequalität erreicht werden kann. Möglicherweise könnte auch den Ländern mit erweiterter Einnahmenverantwortung gedient sein, was nicht nur zu mehr Effektivität, sondern auch zu vermehrter autonomer Gestion beiträgt. Mit den bisher zu wenig ausgeschöpften Möglichkeiten von Public Governance böten sich weitere Chancen für den Aufbau - von mehr gegenseitigem Vertrauen und Entgegenkommen und damit zur leichteren Bewältigung der vielfachen Interdependenzen bis zu neuen Steuerungsregelungen, die natürlich überkommene Verfahren ersetzen müssten.. Dies soll im nächsten Abschnitt erörtert werden.

80

Pelinka: Föderalismus für das 21. Jahrhundert, 2007, S. 151.

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3

Public Governance im föderalen Staat

3.1

Governance – Begriffe und System

Governance bildet einen in Politik, Wirtschaft und Verwaltung zunehmend verwendeten, jedoch recht unscharfen Begriff. Das Wort meint etwas anderes als Government (Regierung), nämlich ein Steuerungs- und Regelungssystem im Staat.81 Aus sozialwissenschaftlicher Sicht sind hierbei vor allem die Wirkungsweisen der Steuerung (Mechanismen genannt) im Weg der Strukturen, Regeln und Prozesse von Bedeutung, also „die kausalen Verbindungen zwischen Strukturen (Institutionen, Machtverteilung), Interessen und Interaktionen“82. Handlungsfelder, wie z.B. das Einrichten von Koordinationsstrukturen, Abstimmen von Wirkungszielen verschiedener Akteure, ebenso wie Formen und Instrumente von Governance beziehen sich auf – teils – veränderliche gesellschaftliche und politische Gegebenheiten und Rahmenbedingungen. Dazu gehört etwa der Wandel des Staatsverständnisses vom „hoheitlichen Interventionsstaat“ zu einer Form eines „kooperativen Staates“, was bedeutet, dass Potenziale für nicht-hierarchische, netzwerkartige Beziehungen zwischen den staatlichen Ebenen sowie zwischen Staat und Gesellschaft bestehen. Ebenso sind auch Probleme, die in Netzwerken auftreten, zu adressieren. Aus analytischer Sicht ist – vereinfacht formuliert – Public Governance mit der Bewältigung von Problemen auf Grund von Interdependenzen bei der Erbringung von kollektiven Leistungen und Wirkungen zwischen verschiedenen öffentlichen Akteuren (Bund, Länder, Gemeinden) sowie zwischen öffentlichen und privaten Organisationen in diversen Regelungsfeldern befasst83. Der Governance-Begriff wird auch für normative Überlegungen und politische Konzepte verwendet, um damit modellhafte Vorstellungen von „Good Governance“ zu bezeichnen, wie z.B.   

die Unabhängigkeit von einzelnen Interessen seitens der Politik und Verwaltung, die Verfolgung des Gemeinwohls grundsätzlich und etwa in Hinblick auf die Funktionalität der föderalen Strukturen, die Berücksichtigung von Nachhaltigkeit und Zukunftsbezug des öffentlichen Handelns.

Die EU bekennt sich seit vielen Jahren und in mehrfacher Form zum Governance-Konzept, wird es doch „sowohl auf die Systemeigenschaften der EU, d.h. auf die Merkmale der europäischen Entscheidungsprozesse als auch auf die Policy-Ebene bezogen“84. In Erinnerung wäre zu rufen, dass die EU-Kommission zur Diskussion um die EU-Verfassung in der Folge des gescheiterten Vertrages von Nizza bereits im Jahr 2001 ein Weißbuch85 herausgebracht hat, in dem ihre geplanten Maßnahmen zu einer verbesserten Governance dargelegt werden. 81

Auf der Informationswebsite des Bundesministeriums für Nachhaltigkeit und Tourismus (BMNT) wird u.a. dazu angemerkt: Governance umfasst nicht nur Steuerung und Regelung im Bereich der bundesstaatlichen Institutionen, sondern auch die Kooperation mit Einrichtungen der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft (Vereine, Interessenvertretungen, Bürgerinitiativen, Medien, …), die über formelle und informelle Netzwerke mit den öffentlichen Stellen zusammenwirken. Siehe https://www.partizipation.at/governance.html [Download: 04.08.2019]. 82 Benz et al.: Einleitung, 2007, S. 14. 83 Siehe ausführlicher Bauer; Mitterer: Konzepte von Public Governance, 2019, S. 15 ff. Mit Corporate Governance werden dagegen Grundsätze der Unternehmensführung betreffend den rechtlichen und faktischen Ordnungsrahmen für die Leitung und Überwachung von Unternehmen im Interesse aller stakeholder bezeichnet. In Österreich entfällt auf staatseigene und -nahe Unternehmen ein großer Teil des BIP, der Beschäftigung und der Marktkapitalisierung. Es kommt daher auf die Corporate Governance dieser Unternehmen an, um sicher zu stellen, dass sie einen positiven, fairen, transparenten Beitrag zur gesamtwirtschaftlichen Effizienz und Wettbewerbskraft Österreichs leisten, die allgemein anerkannt, geschätzt und akzeptiert ist. Der Bundes-Public Corporate Governance Kodex findet sich auf den Seiten des Bundeskanzleramtes. 84 Siehe Eising; Lenschow: Europäische Union, 2007, S. 325. 85 Europäische Kommission: Europäisches Regieren – ein Weißbuch, 2001.

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Public Governance ist nicht in einem einzelnen Gesetz geregelt, sondern bildet ein System von Haltungen, Denkweisen und Handlungen auf Seiten der einzelnen Akteure sowie von Formen (z.B. Hierarchie) und Instrumenten (z.B. Regeln, Strukturen), die der Konzeption, Entscheidung sowie der Umsetzung von öffentlichen Aufgaben im demokratischen Staat dienen bzw. dazu beitragen. Die OECD86 gliedert das System von Governance in folgende drei Teilbereiche: 

Grundsätze für staatliche Steuerung, die auf Werten oder Haltungen (Wo endet die Freiheit der einzelnen Menschen – wo beginnt der Einfluss des öffentlichen Handelns?) beruhen und auf politischen Zielen (Solidarität, Fairness, Nachhaltigkeit); politisch-administrative Strukturen und Verfahren, d.s. institutionelle Planungs-, Organisations- und Umsetzungsprozesse, die über Ideen und Ressourcen zur Leistungserstellung (outputs) führen sowie Festlegungen von Wirkungen des öffentlichen Handelns (outcomes, impacts) auf Individuen, Gesellschaft und Natur, die heute und künftig erreicht werden sollen.

Wie dieses System grundsätzlich funktioniert, zeigt die Abbildung 5. Nicht nur die Akteure, sondern auch die Mechanismen der verschiedenen Governance-Formen und die Instrumente wirken aufeinander ein; ebenso bestehen auch Interdependenzen innerhalb der Teilbereiche. Abbildung 5: Schema des Governance-Systems

Quelle: Bauer; Mitterer: Konzepte von Public Governance, 2019, S. 19.

Das Wirken der unterschiedlichen Formen und Instrumente von Governance auf die verschiedenen Akteure soll zur Produktion effektiver Leistungen und Wirkungen oder zur Verhinderung negativer Folgen (von Schäden) beitragen. Es geht dabei um bestmögliches Bewältigen von:  

86

inhaltlicher Komplexität, z.B. hinsichtlich der Interdependenzen von Zielen, Programmen und Maßnahmen von Regierungen; institutioneller Komplexität, weil staatliches Handeln über eine Vielzahl von Akteuren erfolgt, wobei es durch Regeln und organisatorische Strukturen geordnet wird (z.B. durch jeweils teilautonome Organisationen), die wiederum im Weg zahlreicher Prozesse und Vorgangsweisen agieren;

Vgl. OECD: How is life, 2017, S. 16.

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strategischer Komplexität, weil jeder Akteur eigene Sichtweisen der Probleme und zu deren Lösung einbringt, verschiedene Strategien bei Abstimmungsfragen verfolgt oder sich diese auch im Verlauf der Verhandlungen ändern können.

Allerdings sind die Ergebnisse von Governance öfters unsicher bzw. nicht vorhersehbar. Dies resultiert aus den teilweise zu wenig einschätzbaren gegenseitigen Auswirkungen der zu koordinierenden Programme und Maßnahmen. Zum anderen deshalb, weil die strategischen Entscheidungen der Akteure nicht rationalen Mustern folgen müssen.

3.2

Formen von Public Governance

Mehrere Formen (Handlungsmöglichkeiten) von Public Governance bestehen, nämlich im Weg von Hierarchie, Netzwerken, Verhandlungen und politischem Wettbewerb. Diese Formen sind auf das Herstellen „einer sozialen Ordnung durch ebenfalls in eine soziale Ordnung eingebettete Akteure“87 gerichtet. Beispielsweise geht es in der Föderalismuspolitik um institutionelle Maßnahmen. Diese gelten vor allem der Verteilung der politischen Macht im Staat, der Berücksichtigung der Präferenzen der Mehrheit und dem Sichern der Interessen von Minderheiten. Dabei muss beachtet werden, dass die Autonomie der subnationalen Akteure wiederum auf einer eigenen Ordnung beruht, nach der zugewiesene oder eigene Aufgaben teils mit eigenen Ressourcen erfüllt werden, und dass die Akteure ihrer eigenen Wählerschaft verantwortlich sind. Damit kann staatliche Steuerung nicht nur auf hierarchischer Unterordnung beruhen, sondern auch auf dem Wirken von Koordination und Kooperation gleichberechtigter Gebietskörperschaften – horizontal und vertikal verstanden. Neben der institutionellen Ordnung gilt es, einem inhaltlichen und einem strategischen Ordnungsbedarf gerecht zu werden. Beispielsweise verlangt das Umgehen mit der strategischen Komplexität seitens der Akteure einige Regelungen. Diese können aus wettbewerbsähnlichen Anreizen (Transparenz, Benchmarking) bestehen oder auch auf spezielle Arrangements von Verhandlungen setzen 88. Die Steuerungsleistungen von Public Governance beruhen so vielfach „auf der Wirkung von einfachen (…) Mechanismen: Akteure können ihr Verhalten aufgrund wechselseitiger Beobachtung einander anpassen, (…) sich wechselseitig beeinflussen oder im Verhandeln, d.h. im direkten Austausch von Meinungen und Argumenten, zu einer Einigung über gemeinsame Interessen gelangen“89. Meist wirken mehrere dieser Mechanismen gemeinsam, wobei sie durch die Strukturen und Regeln von Governance nur grundsätzlich geformt werden. Ihre Dynamik und ihre Wirkungen entfalten sich erst in den verschiedenen Prozessen zwischen den Akteuren. Einige der genannten Mechanismen sollen nun im Folgenden skizziert werden. Hierarchien Sie bezeichnen ein Organisationsprinzip und/oder ein Verfahren, das auf Über- bzw. Unterordnung zwischen Funktionen, Organisationen oder Personen fußt. Hierarchie bedeutet in der öffentlichen Verwaltung klare Anordnungszuständigkeiten der vorgesetzten Behörden und Kontroll- bzw. Aufsichtsrechte. „Bei Weber (…) ist sie ein Ordnungsprinzip, das Willkür oder situativ motivierte Herrschaftsausübung zu Gunsten verbindlicher, das Akteurshandeln 87 88 89

Schimank: Elementare Mechanismen, 2007, S. 30. Siehe Klijn; Koppenjan: Governance Networks, 2016, S. 156 ff. Benz et al.: Einleitung, 2007, S. 21.

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anleitender Regeln ausschließt“90. Aus Sicht der Machtbalance im dezentral oder föderal organisierten Staat wird die in absolutistischen Regimes oft geltende hierarchische Ordnung, nämlich der Vorrang des Zentralstaats gegenüber den nachgeordneten staatlichen Ebenen, gegenwärtig eher kritisch gesehen, da sie in Konflikt mit Autonomiebefugnissen und möglichen differenzierten Präferenzen von Minderheiten gerät. Aus institutionsökonomischer Sicht dient Hierarchie zur Reduzierung von Transaktionskosten. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht weist diese dagegen funktionale Defizite auf, weil v.a. Leistungs- und Verantwortungsbereitschaft beeinträchtigt sind und das Wissen auf den ausführenden Ebenen vernachlässigt wird. Neuere konzeptionelle Vorstellungen, wonach Hierarchie-, Netzwerk- und Wettbewerbsprinzipien kombiniert werden könnten, werden von Döhler als eine Möglichkeit für erhöhte Wirksamkeit von Governance angesehen. Mayntz konstatiert dagegen „noch fehlende Einblicke in die Zusammenhänge zwischen der Beschaffenheit verschiedener Regelungsfelder (…) und den auf sie bezogenen Formen der kollektiven Regelung“91. Netzwerke Sie werden in den Sozialwissenschaften „als eine Menge von Akteuren betrachtet, die über eine Menge von Beziehungen mit einem bestimmbaren Inhalt verbunden sind“92. Mayntz hat PolicyNetzwerke als „a new mode of governing“ bezeichnet, „that is distinct from the hierarchical control model, a more cooperative mode where state and non-state actors participate in mixed publicprivate networks“93. Als typisch gelten in Netzwerken eine (begrenzte) Autonomie der Akteure und ihre relative Gleichrangigkeit, d.h. eher horizontale als vertikale Beziehungen, und eine auf Vertrauen beruhende Kooperation der Akteure94. Umfassender beschreiben Klijn/Koppenjan Netzwerke als Beziehungen zwischen Regierungen und anderen Akteuren, mit dem Ziel einer verbesserten Koordinierung zwischen diesen und damit auch gesteigerter Politikqualität. Aus Sicht der beiden Autoren bilden solche Netzwerke „more or less stable patterns of social relations between mutually dependent actors, which cluster around a policy problem, a policy programme, and/or a set of resources and which emerge, are sustained, and are changed through a series of interactions“95. Die Betonung der sozialen Beziehungen zwischen den Netzwerkpartnerinnen und -partnern ist nicht nur für die Stabilität wichtig, sondern auch für den Aufbau und Erhalt von Vertrauen und von Sozialkapital, was nicht zuletzt für die Motivation der Partner bedeutsam erscheint. Verhandlungen Verhandlungen bilden eine weitere, einfachere Form von Governance. Als Basis für das Verhandeln setzen sie auf gleichberechtigte Partner und auf ein ausreichendes Maß an Vertrauen. Eine solcherart erreichte Handlungskoordinierung „beruht auf verbindlichen Vereinbarungen, die das Ergebnis wechselseitiger Einflussnahme in direkter Kommunikation sind“ schreibt Benz96. Verhandeln bedeutet somit, die eigenen Positionen und Vorschläge zu begründen, sich jedoch auch auf die Partner einzustellen. Dies fördert – so Benz – „den Übergang von kompetitivem oder egozentrischem zu kooperativem Verhalten und damit von (…) kompromissorientiertem zu verständigungsorientiertem Verhandeln“. Man kann dabei auf eine gewisse Eigendynamik setzen, denn in der Auseinandersetzung lernen die Partner sich nicjt nur 90 91 92 93 94 95 96

Döhler: Hierarchie, 2007, S. 46. Mayntz: Governance Theory, 2005, S. 50. Wald; Jansen: Netzwerke, 2007, S. 93. Wald; Jansen: Netzwerke, 2007, S. 93. Mayntz: New challenges to Governance Theory, 1998, S. 13. Klijn; Koppenjan: Governance networks, 2016, S. 11. Benz: Verhandlungen, 2007, S. 110.

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besser einzuschätzen, sondern es entwickelt sich eventuell auch Vertrauen, was Risiken (z.B. hinsichtlich der Ausbeutung von kooperativem Verhalten) reduzieren und die Informationsbasis verbessern kann. Bestimmte Strukturen von Verhandlungen spielen ebenfalls eine Rolle, denn mit der Zahl der Verhandlungspartner, den geltenden Entscheidungsregeln, ob Verhandlungen öffentlich gemacht werden oder nicht u.a.m. kann Einfluss genommen werden. Bei „Zwangsverhandlungen“, wenn etwa zwischen Regierungsebenen eine gemeinsame Entscheidung gesetzlich vorgeschrieben ist, erhöht sich – wie praktische Erfahrungen zeigen - die Blockadeneigung. Benz sieht dies noch pessimistischer, denn „unterliegen Akteure einem hohen Druck, sich zu einigen, macht (dies) (…) Kompromisslösungen auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner oder Tauschgeschäfte mit hohen Kosten wahrscheinlich“97.

3.3

Umgehen mit institutioneller und strategischer Komplexität

Handlungsfelder von Public Governance sind vielfältig. Je nach dem Erkenntnisinteresse bzw. den konkreten Konfliktbereichen können (Wirkungs-)Ziele, Haltungen und Werte, gesellschaftliche Prozesse (zunehmende Verarmung, Radikalisierung), ebenso große Infrastruktursysteme98 mit Formen und Instrumenten von Governance bearbeitet werden. Die Handlungsbereiche können dabei auf der Ebene internationaler und supranationaler Institutionen, der nationalen oder auch der regionalen Ebene situiert sein. Die in Österreich erst seit einigen Jahren auf der Ebene des Bundes und in einigen wenigen Bundesländern verpflichtend auszuweisenden Wirkungsziele (von Teilen) des Mitteleinsatzes bestimmen beispielsweise ein solches Handlungsfeld von Governance mit Zielen, Regeln, Lernprozessen, Evaluierungen u.a.m. Bei einer föderalen Staatsorganisation bestehen meist unterschiedlich entwickelte und funktionierende Handlungsbereiche von Public Governance:  das Einrichten von Strukturen, Koordinierungsinstitutionen und Prozessen zur Abstimmung von Zielen, Verfahren der Leistungserstellung, Evaluierungen und das Anpassen bzw. Erneuern der Regelungen bei Reformen in einzelnen Bereichen gemeinschaftlicher Aufgabenerfüllung;  die grundsätzliche Regelung eines Finanzausgleichssystems hinsichtlich des Verknüpfens von Aufgaben und den erforderlichen Mitteln und/oder Anpassungen des Systems bezüglich der Balance der verschiedenen sozial- und wirtschaftspolitischen Allokationsziele und dem Ressourcenausgleich;  das Lösen mehrerer praktischer Fragen, wie z.B. das Sichern der Bereitstellung valider Daten zur Ergebnismessung, bei gemeinsamer Trägerschaft von Aufgaben eine funktional verbesserte Rechenschaftslegung und damit das Schaffen klarer Ergebnisverantwortung, Fördern der Bereitschaft zu Veränderung und Innovation. Ähnlich verstehen auch Pitlik/Loretz gebietskörperschaftsübergreifende Koordination und Abstimmung, die „im Weg (von) unterschiedlichen institutionellen Arrangements und Verfahren erreicht werden kann“. Sie gehen dabei von verschiedenen Governance-Optionen aus; diese reichen von zentraler Steuerung der dezentralen Politik, also auf Basis einer hierarchischen Lösung, über „Zielvorgaben, mehr oder weniger weit gefassten regulativen Normen, Anreiz- und 97 98

Benz: Verhandlungen, 2007, S. 114. Siehe z.B. Hammerschmid; Wegrich: Infrastructure Governance, 2016, S. 31-54.

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Kontrollarrangements über Wettbewerbsverfahren bis hin zu institutionalisierter Kooperation in Ausschüssen und Gremien“99. Anhand von zwei Teilbereichen von Governance in einem hypothetischen Netzwerk der drei staatlichen Ebenen im föderalen System, nämlich der Entwicklung gemeinsamer Ziele sowie eines spezifischen Design von Verhandlungsprozessen zwischen staatlichen Organisationen, sollen im Folgenden einige theoretische Erkenntnisse referiert und reflektiert werden. Sie könnten auch im Rahmen – des weiter unten angeführten – praxisnahen Governance-Ansatzes der MehrEbenen-Steuerung mehr als bisher genutzt werden und dieser zu mehr Effektivität verhelfen.

3.4

Zielentwicklung in Governance-Netzwerken (aus analytischer Sicht)

Ziele einer verbesserten Steuerung im Netzwerk tendenziell gleichberechtigter Gebietskörperschaften sind grundsätzlich wie folgt zu definieren: Effektive sachliche Abstimmung der Leistungen und Wirkungen unter Berücksichtigung von inhaltlichen Interdependenzen zu anderen Aufgaben, nach Maßgabe der Zuständigkeiten und Ressourcen der einzelnen Ebenen im Netzwerk sowie eines maximalen nachhaltigen Nutzens für die Bevölkerung und für andere Stakeholder. Handelt es sich um das Entwickeln von Zielen bei gemeinschaftlichen Aufgaben, ist dies ein herausforderndes Steuerungsproblem. Denn es bestehen neben den verschiedenen inhaltlichen Fragen (z.B. Interdependenzen im Bereich der Bildung mit der jeweiligen sozialen Situation der Menschen und den Erfordernissen der Digitalisierung) auch Erschwernisse der Zielbildung auf Grund des institutionellen Kontextes. Diese Erschwernisse betreffen etwa das Einhalten supranationaler Verpflichtungen in der EU oder die Aufgabenverteilung im Bundesstaat und/oder spezifische politische Qualitätsziele. Letztere können etwa den Aufbau von Resilienz für Krisenzeiten oder Partizipation der jeweils beteiligten Bürgerinnen und Bürger betreffen. Weiters spielen die Strategien der Akteure eine Rolle, wenn sie beispielsweise verschiedene Verhandlungsstrategien verfolgen. Eine erste Herausforderung gemeinsamer Zielentwicklung gilt dem Mobilisieren der politischen Entscheidungsträger und dem Aufrechterhalten ihres Engagements bei der langwierigen Suche nach Konsensen oder wenigstens nach Kompromissen. Die politischen Verantwortungsträger der einzelnen staatlichen Ebenen berücksichtigen dabei nicht nur parteipolitische und persönliche Ziele für die Wahlperiode, sondern verhandeln gemeinsam auch über ein Bündel prioritärer ergebnisbezogener Leistungs- und Wirkungsziele im betreffenden Leistungsbereich. Dazu brauchen sie eine ausreichende demokratische Legitimation. Hinzu kommen Erschwernisse, wenn mehrere Akteure der jeweiligen politisch-administrativen Führungsebene (aus verschiedenen Organisationseinheiten) an den Aushandlungsprozessen mitwirken müssen. Sie folgen dabei oft verschiedenen strategischen Vorgaben, Handlungsaufträgen und mit mehr oder weniger Verantwortung für die erzielten Resultate. Bereits das Definieren von Problemen der Aufgabenerfüllung und ihrer Finanzierung sowie eine gemeinsame Interpretation der vorliegenden empirischen Daten bereiten unter diesen Umständen oft Schwierigkeiten. Weiters fallen Entscheidungen nicht notwendigerweise rational, also unter Gesichtspunkten der Effizienz oder der Nachhaltigkeit. Vielmehr können auch Kompromisse zu Lasten Dritter entstehen oder 99

Pitlik; Loretz: Steuerung und Aufgabenorientierung, 2019, S. 93 f.

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unproduktive Pattstellungen100. Mehrere Autorinnen und Autoren setzen sich mit dieser Problematik auseinander und schlagen verschiedene Ansatzpunkte vor, wie gemeinsam „winwin-Lösungen“ bei divergierenden Zielen entwickelt werden können101. Schlagwortartig dargestellt, betreffen diese Ansätze 

 

Bemühungen um eine Annäherung der Problemsichten und Meinungen, zunächst v.a. durch gemeinsames Einschätzen der empirischen Fakten und Berücksichtigen deren Kontextabhängigkeit, sodann durch Entwickeln eines gemeinsamen Problemverständnisses und daraus zu ziehender Schlussfolgerungen; das Bewältigen der inhaltlichen Komplexität: durch Anführen verschiedener Aspekte und Optionen, Vermeiden einer voreiligen Festlegung von Lösungen bei Zielkonflikten durch Schaffen von inhaltlichen Auswahlmöglichkeiten und deren Nutzen/Kosten-Relationen; das Entwickeln von Vorschlägen für das Kombinieren verschiedener win-win-Ziele und Maßnahmenpakete mit Etappen- und Übergangslösungen u.a.m.; das Vermeiden asymmetrischer Formen politischer Debatten und von inhaltlichen Blockaden zwischen Politik, Verwaltung, Planern und weniger versierten Bürgerinnen und Bürgern mit ihren oft nicht ausreichend ausgearbeiteten alternativen Vorstellungen; weiters gehören dazu die Suche objektiver Beurteilungskriterien, das Überwinden von Sprachbarrieren, das Beharren auf zweckmäßigen Vorschlägen durch Einbeziehen von Expertinnen und Experten und damit auch der Zwang für die „Gegner“, sich bessere Argumente zu überlegen; die Auswahl von Optionen und Lösungsvorschlägen mit Hilfe von Kriterien aus den vorangehenden Debatten und Interaktionen sowie Anwenden von Abstimmungsregeln.

Diese und andere Vorgangsweisen zur gemeinsamen Suche nach Lösungen erscheinen zu Recht aufwändig. Vielfach stehen sie im Gegensatz zu Verhandlungsbedingungen in der Praxis, die unter Zeit- und Erfolgsdruck vereinfachte Zielkompromisse und rasche Entscheidungen über Maßnahmen anstreben, die wenigstens kurzfristig brauchbar erscheinen. Klijn versteht deshalb die gemeinsame Zielsuche als ein umfassendes und schwieriges Projekt, das nicht in ein oder zwei Gesprächsrunden mit vielbeschäftigten Politikerinnen und Politikern bzw. Managerinnen und Managern gelöst werden kann: „It (…) makes the goal structure of inter-organizational cooperations and decision-making more like a package deal, where different actors find interesting elements that suit their interests and capacities“102.

100

101 102

Unter Verweis auf Mayntz und Scharpf beschreiben dies Cappelletti et al. so: „Selfinterested bargaining among actors from different state levels runs the risk of suboptimal policy outcomes, inefficient lowest-denominator compromises, or even deadlocks“ (Cappelletti et al.: Reform of Swiss Federalism, 2014, S. 37). Siehe u.a. Klijn; Koppenjan: Governance Networks, 2016, S. 128 ff.; Fisher: Reframing Public Policy, 2003, S. 89 ff. sowie De Leon: Public Management, Democrazy and Politics, 2005, S. 112 ff. Klijn: Inter-Organizational Management, 2005, S. 267 f.

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3.5

Design und Management von Verhandlungsprozessen

Auch Design und Management von Verhandlungsprozessen ist oft schwierig, da es nicht nur um die Taktik oder die Geschicklichkeit der Akteure geht. Vielmehr umfasst es generell die Vielfalt institutioneller und prozeduraler Dispositionen: Dazu gehören beispielsweise die Regeln der Verhandlungsarrangements und die konkreten Prozesse, mit deren Hilfe Lösungen für komplizierte Probleme etwa über die bereits erwähnten „package deals“ entwickelt werden sollen. Auch das Ausrichten auf (ungewisse) künftige Entwicklungen und damit auf mögliche Risiken wäre ein weiteres Erfolgskriterium für das Führen von Verhandlungen. Ein heute theoretisch weitgehend akzeptiertes Verständnis von Verhandlungsführung begreift institutionelle Arrangements als ein System von Regeln, welche sich auf „(a) die Zahl der Beteiligten, (b) die ‚default condition‘103, (c) das Abstimmen, (d) den Grad der Öffentlichkeit und (e) der Arenendifferenzierung“104 beziehen. Problematische Umstände, wie sie heute vielfach vorliegen, – etwa fehlende empirische Evidenzen, unterschiedliche Ideologien, Zwang zu Einstimmigkeit – können die Ergebnisse von Verhandlungsprozessen insofern beeinflussen, als sie aus Sicht einzelner Stakeholder das Zustandekommen ausgewogener Ergebnisse erschweren oder einen Stillstand der Verhandlungen herbeiführen. Verhandlungsstrukturen bedürfen deshalb einer besonderen Aufmerksamkeit und eines Regelsystems, das in schwierigen Prozessen oder bei externen Schocks Lösungen erleichtern kann. Ein solches System für Verhandlungen zwischen Gebietskörperschaften umfasst hauptsächlich Regeln für das Erstellen der Agendas und der Abläufe von Verhandlungen; die Zusammensetzung der Verhandlungsgruppen und deren jeweiliges Arbeitsgebiet; das Verhalten der Gruppenmitglieder; Abstimmungen und das Lösen häufig auftretender Konflikte; Aufbau von Vertrauen, einer gemeinsamen Wissensbasis und eines „homogenisierten“ Problemverständnisses.

    

Das Schaffen von Vertrauen als Voraussetzung für gemeinsame Lösungen, das meist als wichtigste Regel angesehen wird, ist somit nicht allein entscheidend bzw. ausreichend. Der hier vorgestellte institutionelle Ansatz von Design und Management von Verhandlungsprozessen bildet vielmehr einen formalen „Innovationsmotor“, einen Schrittmacher zur Lösung bekannter, aber als unvermeidlich hingenommener Probleme. Dieser Ansatz braucht nicht nur Zeit, sondern besseres Problemverständnis, Wissen, Erfahrung, Risikobewusstsein. Denn er garantiert nicht unbedingt das angestrebte Ergebnis, weil z.B. neben regelkonformem auch informelles Handeln zweckmäßig sein kann, weil nicht nur sachliche Logik, sondern auch Empathie in Verhandlungsszenarien eine Rolle spielen. Einige Aufmerksamkeit wird deshalb in der politikwissenschaftlichen Governance-Debatte Fragen des Policy-Transfers gewidmet, ebenso in der Institutionenökonomie. Erkenntnisse dieser theoretischen Erwägungen und Debatten betreffen beispielsweise die Rolle von Vermittlern („change agents“)105, ein anderer Aspekt betrifft 103 104

105

D.h., welche Regeln im Fall des Scheiterns von Verhandlungen greifen, z.B. Mehrheitsentscheidungen. Arenendifferenzierung bedeutet, dass Verhandlungen untergliedert und in verschiedenen Gremien geführt werden. Beispiele hierfür sind zuerst Verhandlungen zwischen Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Ressorts, wobei im Fall des Scheiterns die Verhandlungen auf die Ebene der politischen Führung verlagert werden. Damit können drohende Blockaden verhindert oder über neue Verhandlungssituationen Lösungen gefunden werden. Siehe Benz: Verhandlungen, 2007, S. 113. Siehe Lütz: Policy-Transfers, 2007, S. 140.

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die intrinsische Motivation, die aus Leistungsvergleichen und -wettbewerben zwischen einzelnen öffentlichen Akteuren, aber auch Organisationen oder Regionen resultieren kann.

3.6

Mehr-Ebenen-Steuerung als praxiserprobtes Governance-Konzept

Scharpf106 machte bereits in den 1980er Jahren mit seiner Theorie der Politikverflechtungsfalle darauf aufmerksam, dass Politikverflechtung systematisch zu ineffizienten und inadäquaten Entscheidungen führen könne, und dass Lösungen hauptsächlich bei Interessenskonflikten und anderen Interaktionsproblemen (z.B. bei Verteilung knapper Ressourcen) zwischen mehreren staatlichen Ebenen nur schwer erreichbar wären. Politikwissenschaftliche Analysen befassten sich in der Folge mit der Mehr-Ebenen-Steuerung. Nach Marks/Hooghe/Schakel kann Multilevel Governance wie folgt erklärt werden:  “Multilevel governance is the dispersion of authority to subnational and international jurisdictions;  multilevel governance is a response to functionalist pressures for the efficient provision of public goods from the local to the global levels;  multilevel governance is a response to the demand for self-rule by a group that sees itself as a distinct community”107. Verschiedene Politikwissenschafter, darunter auch Marks und Hooghe sowie Benz verweisen darauf, dass durch enge Zusammenarbeit und durch die Mitwirkung aller Ebenen (wenigstens partielle) Verhandlungslösungen erreichbar sind: „Für das Verständnis von Multilevel Governance ist deshalb das Zusammenwirken von Institutionen und das Akteurshandeln essentiell (…) und deren Eigendynamik erkennbar“108. Dazu stehen mehrere politische Strategien zur Positionierung der einzelnen Ebenen im breiten Spektrum zwischen Trenn- und Verbundsystem bzw. zwischen „contractual“ und „corporatist approach“109 zur Diskussion. Es geht um mehr Effektivität des öffentlichen Handelns bei der vertikalen Aufgabenverteilung auf die supranationale, die nationale und die subnationalen Ebenen sowie bei gemeinschaftlicher Aufgabenerfüllung, wobei auch praktische Gegebenheiten (z.B. Flächenstaaten oder kleinstrukturierte Länder) sowie politische Traditionen eine Rolle spielen. International sind seit Beginn der 2000er Jahre praktische Bemühungen für eine bessere MehrEbenen-Steuerung zu registrieren. Dazu zählt nicht nur das bereits oben genannte Weißbuch der EU-Kommission zu Governance. Auch Analysekonzepte der OECD (wie z.B. die Gap-Analysis) und die OECD-Daten zu Lebensqualitätsvergleichen nach Großregionen/Bundesländern für die meisten OECD-Mitgliedsstaaten, die seit wenigen Jahren erst möglich sind, ebenso Status-quoAnalysen in einzelnen öffentlichen Aufgabenbereichen (z.B. Bundesländervergleiche von Gesundheitsindikatoren in Österreich110) bieten Grundlagen für effektivere Steuerung. Ebenso können verschiedene Instrumente zur Behebung von unzulänglicher Steuerung eingesetzt werden. Es handelt sich etwa um Kapazitätsverbesserungen bei institutionellen Defiziten auf einzelnen Ebenen, um spezielle Instrumente horizontaler und/oder vertikaler Koordination wie

106

Scharpf: Politikverflechtungsfalle, 1985 und ders.: Koordination durch Verhandlungssysteme, 1992, S.63 (zitiert nach Benz: Multilevel Governance, 2007, S. 303). Marks; Hooghe; Schakel: Multilevel governance and its effects, 2019, S. 7. 108 Siehe Benz: Multilevel Governance, 2007, S. 302. 109 Siehe Spahn: Contract Federalism, 2008, S. 182-197. 110 Siehe Hofmarcher: Factbook zur "Leistungskraft regionaler Gesundheitssysteme", 2019 (nach Bericht der Wiener Zeitung vom 21.08.2019) 107

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Diskussionsplattformen und/oder verschiedene Vertragsformen, die zwischen Akteuren geschlossen werden können. Die OECD hat sich in ihren Beratungstätigkeiten zunächst um präzisere Diagnosen der als „multilevel governance gaps“ bezeichneten Steuerungs- und Verteilungsprobleme bemüht. Der auf den ersten Blick einfache Analyseraster der OECD in Tabelle 2 betrifft die systematische Prüfung der nur schlagwortartig beschriebenen Steuerungsdefizite bzw. Schwachstellen111. Derartige Prüfungen verlangen teils umfassende Ermittlungen (Erscheinungsformen, Auswirkungen) und möglichst gemeinsam akzeptierte Schlussfolgerungen. Die Hinweise auf Maßnahmen (z.B. auf bestimmte Instrumente) machen deutlich, dass Vorschläge für Maßnahmen und/oder ganzer Programme zur Behebung der Defizite sorgfältig ausgearbeitet, diskutiert und umgesetzt werden müssen. Tabelle 3: Lückenanalyse im Multi-Level-Governance-Ansatz der OECD Defizite

Informationsdefizite

Kapazitätsdefizite

Finanzierungslücken

Beschreibung Informations-Asymmetrien (Quantität, Qualität, Informationsart) zwischen den Gebietskörperschaften; freiwillig oder verpflichtend Unzureichende inhaltliche, technische und/oder infrastrukturelle Kapazität der subnationalen Akteure; insbesondere zur Gestaltung geeigneter Strategien Unzureichende oder unsichere Einnahmen, welche die wirksame Aufgabenwahrnehmung auf subnationaler Ebene beeinträchtigen

Defizite im Zielentwicklungsprozess

Fragmentierte Aufgabenzuständigkeiten von Verwaltungseinheiten (z.B. Zuständigkeiten mehrerer Ministerien oder GK-Ebenen) Nicht-Übereinstimmung der Verwaltungsgrenzen mit Funktionsbereichen Unzureichend aufeinander abgestimmte Ziele, mangelnder Interessenausgleich im Zielentwicklungsprozess

Defizite der Accountability

Mängel bei der Transparenz und Integrität – insbesondere gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern

Kompetenzzersplitterung Defizite der administrativen Grenzen

Schlüsse Instrumente zur Bereitstellung und Teilung von Informationen

Instrumente zum lokalen und regionalen Kapazitätsaufbau Notwendigkeit gemeinsamer Finanzierungsmechanismen Schaffen von multidimensionalen / systemischen Führungs- und Steuerungsansätzen auf subnationaler Ebene Finden einer "effektiven Größe“ (Subsidiarität) Anreize zur besseren Abstimmung von Zielen Qualitätsmanagement, Stärkung der Accountability auf allen Gebietskörperschaftsebenen, Stärkung der Bürgerbeteiligung

Quelle: Charbit; Romano: Contracts across Levels of Government to improve Performance, 2019; übersetzt aus dem Englischen.

Die OECD hat in weiterer Folge Muster für Kontrakte verschiedener Art entwickelt, z.B. solche für gemeinschaftliche Aufgabenerfüllung („Policy-sharing contracts“, die Planung, Entscheidung und Implementierung umfassen) und Kontrakte für den Aufgabenvollzug durch subnationale Organisationseinheiten („Delegation contracts“). Weitere Instrumente vertikaler Koordination sind in Abbildung 6 ersichtlich. Auch einzelne bereits oben erläuterte Governance-Prozesse spielen eine Rolle112, wie die oft langwierigen Abstimmungen von Zielen, systematisches Monitoring und/oder Evaluieren sowie der Aufbau von 111 112

Die diversen Gaps werden in einem Beitrag von Charbit; Romano: Contracts across levels of government (2019, S. 39 f.) näher kommentiert. Siehe auch Bauer; Biwald: Governance im österreichischen Bundesstaat, 2019, S. 73 ff.

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Vertrauen und anderer organisationskultureller Faktoren, die in Verträgen nur schwer fassbar und einklagbar geregelt werden können. Abbildung 6: Vertikale Koordinierungsinstrumente in OECD-Staaten

National level regional development agencies National representatives in regions Contracts or other agreements

14

18

23

Project co-financing

26

Consultation forum or other form of regular dialogue

26

Quelle: OECD: Regional Outlook Survey, 2015. Anmerkung: Die Gesamtzahl der Befragten beträgt 30.

Im Fall gemeinsamer Aufgabenerfüllung durch mehrere Regierungsebenen zählen Dialog- und Konsultations-Foren, Ko-Finanzierungen und verschiedene Formen von Verträgen für „shared policy making“ zum Standard. In großen „Flächenstaaten“ werden auch nationale Agenturen bzw. Beauftragte für Regionalpolitik sowie das Fördern verschiedener Formen institutioneller Konkurrenz, z.B. Yard stick competition, instrumentell eingesetzt. In Österreich werden dazu öfters eigene Organisationseinheiten, wie Fonds, Gemeindeverbände u.a. eingerichtet. Ein weiterer Teil der OECD Mehr-Ebenen-Steuerung betrifft die Vereinbarungen zwischen den Gebietskörperschaften verschiedener Ebenen. Diesbezügliche Verträge sind seit einigen Jahren auch in Österreich üblich, allerdings hauptsächlich zwischen Bund und Ländern, wofür ein verfassungsrechtlicher Rahmen durch Art. 15 a B-VG geschaffen wurde. Wie bereits ausgeführt, bleiben jedoch die Gemeinden bei den Vereinbarungen gemäß Art. 15 a ausgeschlossen. Daneben verweisen Rechnungshöfe und andere auf verschiedene Konstruktionsschwächen von Verträgen, Landesgesetzen und sonstigen Vereinbarungen (wie Richtlinien). Dies betrifft z.B. die öfters fehlenden Regelungen zur Evaluierung der erreichten Ergebnisse und von Sanktionen113 oder bewusst vage gehaltene Regelungen, so z.B. jene des Landes Oberösterreich zur Abgangsdeckung der Gemeinden114. Charbit/Romano begreifen dementsprechend Vertragslösungen umfassender115 als in der hiesigen Praxis und sehen differenzierte Formen (z.B. Empowerment Contracts, Delegation Contracts und Policy-Sharing Contracts) als zweckmäßig. Policy-sharing contracts sind die am meisten vorkommende Art von Verträgen und dienen verschiedenen Zwecken. Etwa dazu, um zentralstaatliche und subnationale Strategien in der Regionalpolitik abzustimmen, oder zur gemeinsamen Aufgabenerfüllung von Programmen oder einzelnen Reformprojekten in föderal 113 114 115

Bauer; Biwald: Governance im österreichischen Bundesstaat, 2019, S. 74. Brückner et al: Aufgabenfinanzierung und Transferbeziehungen, 2017, S. 171. Charbit; Romano definieren generell Kontrakte zwischen den staatlichen Ebenen als “any arrangement that reorganises the rights and duties of governments, other than by way of the constitution. They define mutual obligations of parties, who have to agree on authority (the assignment of decision rights), respective duties, and enforcement mechanisms” (Contracts across Levels of Government, 2019, S. 42).

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organisierten Staaten. Sie werden eingesetzt, wenn unzureichende gesetzliche Regelungen der föderalen „Arbeitsteilung“ bestehen sowie zur Konkretisierung von Umsetzungsprozessen. Es ist klar, dass – wie schon oben betont – Abstimmungsprozesse über gemeinsame Ziele, über das Entwickeln von Kompromissen oder win-win-Lösungen langwierige Verhandlungen und ausgefeilte vertragliche Regelungen (nicht zuletzt auch über Kompensationszahlungen) erforderlich machen können. In den Verträgen wird man sich auch über die Absicherung gegen Risken116 einig werden müssen. Internationale Erfahrungen zeigen, dass den Phasen der Vertragsvorbereitung (siehe dazu Abbildung 7) sowie der Umsetzung und der Evaluation besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden muss. Abbildung 7: Schritte bei Kontraktlösungen

Quelle: Charbit; Romano: Contracts across Levels of Government, 2019, S. 46.

Zum einen gilt es, die Phase der Vorbereitung der Verträge präziser zu gestalten, insbesondere hinsichtlich der Aufbereitung der empirischen Fakten, dem Erstellen von Nutzen/KostenAbschätzungen für alle Beteiligten, von zukünftigen Einflüssen und Auswirkungen sowie hinsichtlich der in die Konsultationen einzubeziehenden Stakeholder, Expertinnen und Experten. Zum anderen geht es um klare Regeln zur Umsetzung der Vereinbarungen, der Evaluation der Ergebnisse sowie hinsichtlich der Sanktionen im Fall von Nichterfüllung der vertraglichen Vereinbarungen.

116

Charbit; Romano (Contracts across Levels of Government, 2019, S. 44 f.) führen dazu aus: “Risks of “strategic behavior” may rise when one party aims to transfer the burden of the decisionmaking and cost of the implementation to the other party. In this case, the solution is to envisage a revisable negotiation procedure. Moreover, there might be the risk of duplication and high transaction costs in situations where the allocation of roles is too rigid”

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3.7

Zwischenresümee

Governance als Steuerung – im gesellschaftlichen Bereich und im öffentlichen Sektor – gibt es schon seit Urzeiten. Die Handlungsfelder, Formen und Instrumente hängen jeweils von den Problemen und vom Verständnis von Steuerung ab. Heute erscheinen die zahlreichen theoretischen Erkenntnisse geeignet, hartnäckige Steuerungsfragen, wie die vielen Interdependenzen im öffentlichen Handeln und den Reformstau, besser als bisher zu verstehen und anzupacken. Die praxisbezogenen Konzepte bieten klarerweise nur Ansatzpunkte, die je nach Sachlage zu konkretisieren sind. Regierungsprogramme und Reformstrategien verweisen zwar öfters schlagwortartig auf Steuerungsfragen, die jedoch vielfach vage bleiben und ungenügend durchdacht erscheinen. Im Kontext von anstehenden Finanzausgleichs- und Föderalismusreformen verstehen wir das explizite Einbeziehen von Public Governance als „Klaviatur für Arrangements“ in mehrfacher Hinsicht: Durchführen von Lückenanalysen zur Diagnose, Einführen von Kooperation und von Formen von Konkurrenz als Schrittmacher für das Lernen voneinander, gemeinsam erzielte Konsense auch als Impulsgeber für institutionelle Innovationen, die über das bisherige Repertoire (angestrebtes Entflechten von Kompetenzen in der Verfassung, vereinfachte Verteilung der Mittel des Steuerverbundes) hinausgehen117. Governance als System von organisatorischer Strukturierung, von Regeln und von gemeinsam getragenen Werten, Haltungen, Wirkungszielen im Kontext eines Netzwerks von gleichberechtigten Gebietskörperschaften, in dem die Akteure (ob große oder kleine) voneinander abhängig sind, verhilft zu besseren praktischen Resultaten im Interesse von Effektivität und Demokratie – zum Nutzen der Bürgerinnen und Bürger. Dafür finden sich auch einzelne Beispiele in der bundesstaatlichen Praxis in Österreich – etwa im Rahmen der großen Gesundheitsreform, im Vorarlberger Sozialfonds, in den Kapazitätsverbesserungen im Land Steiermark (Gemeindefusionen, Zusammenlegen von Bezirkshauptmannschaften) oder im Bemühen zur Verbesserung der Elementarbildung im Rahmen von Art. 15 a Verträgen. Drei Faktoren erscheinen uns besonders bedeutsam, weil sie sich auf unterschiedliche Teilbereiche des Governance-Systems beziehen:  Das allseits bekannte Bild vom Eisberg in Abbildung 8 – hier hinsichtlich der bewussten und der unbewussten Steuerungsfaktoren – zeigt, dass im Bereich der Haltungen und Einstellungen, der Vorurteile und der vorgefassten Meinungen, des Aufbereitens von Chancen und Risken einiges Potenzial für indirekte Steuerung steckt. Dies kann beispielsweise über Diskussionsprozesse, über Lernen voneinander und über kohärente Führungspraxis erfolgen.  Dem Risiko, dass Zielabstimmungen wegen der jeweiligen Abhängigkeiten und Bindungen der Verhandlungspartner scheitern können, wird keine bzw. zu wenig Beachtung geschenkt. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn ausschließlich für die Finanzen Verantwortliche über verteilungs- und allokationspolitische Fragen der Mittelverteilung in einzelnen zentralen Aufgabenfeldern verhandeln. Die aufgabenspezifische Perspektive wird dadurch vielfach vernachlässigt. 117

Anheier; Kaufmann machen im Governance Report 2016 (S. 126) den Unterschied zwischen Innovationspolitik und Governance Innovation deutlich: “Innovation policy includes proposals, laws, measures, and tools to support innovation. Governance innovation, by contrast, are novel rules, regulations, and approaches that seek to address a public problem in more efficacious and effective ways, to achieve better policy outcomes, and ultimately to enhance legitimacy”.

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FINANZAUSGLEICH, FÖDERALISMUS UND PUBLIC GOVERNANCE

Der dritte Faktor betrifft institutionelle Defizite, wenn Koordinationseinrichtungen fehlen, die zu einem gemeinsamen Problemverständnis der Akteure, zu einem strategischen Konsens und für Vertrauen untereinander beitragen könnten. Divergierende Ziele bei unterschiedlichen föderalen Konstellationen und Voraussetzungen unter einen Hut zu bringen, verlangt mehr politische Anstrengungen als die meist unter Zeitdruck stehende Suche von „Arbeitsgruppen“ nach möglichen Gemeinsamkeiten bei bereits vorformulierten Interessen und „roten Linien“.

Abbildung 8: Steuerungsfaktoren für Performance im öffentlichen Sektor

Quelle: Eigene Darstellung 2019; nach Hauser: Impacts on Performance Management, 2018.

Wichtige Voraussetzung für das Zusammenspiel der Akteure sind etwa der Aufbau der notwendigen Fähigkeiten und Kapazitäten sowie die Möglichkeit, neue budgetpolitische Prioritäten anzustreben bzw. zu realisieren. Eine Revision der bisherigen Verteilung von funktional sinnvollen Teilbereichen auf die subnationalen Ebenen, womit die Ergebnisverantwortung der einzelnen Organisationseinheiten gestärkt bzw. überhaupt hergestellt werden sollte, wird nur im Rahmen verbesserter Aushandlungsprozesse gelingen. Diese fehlen aber öfters. Auch innovativere Ansätze, etwa bezüglich des Designs der Prozesse zum Interessenausgleich und zur Stärkung nachhaltiger Politiken, sind wenig entwickelt und/oder müssen erst erprobt und verbreitet werden.

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OPTION EINER GOVERNANCE-ORIENTIERTEN FINANZAUSGLEICHSREFORM

III Option einer governance-orientierten Finanzausgleichsreform 1

Handlungsbereiche von Governance im Finanzausgleich

Governance-orientiert bedeutet, vorhandene und neue Reformideen sowie schon eingeleitete, jedoch blockierte Reformschritte einer Reform des Finanzausgleichs, durch Nützen von speziellen Steuerungsmethoden zu realisieren. Welche Ansätze dazu aus den oben erläuterten Teilen des Governance-Systems in Frage kommen, soll hier einleitend skizziert werden. 1. Teilbereich – Werte, Haltungen, Ziele Mit der Wahl eines auf gleichberechtigte Kooperation setzenden Föderalismusmodells würde eine demokratiepolitisch wichtige Wertebasis geschaffen werden können, die jeder staatlichen Ebene einen Bereich autonomer Entscheidungen sichert, aber auch Ergebnisverantwortung abverlangt. Dazu würde der – aufgrund von Stärken/SchwächenAnalysen der Mehr-Ebenen-Steuerung erfassbare – Bedarf nach verbesserten Kapazitäten adressiert werden können. Dieser betrifft vielfach tradierte Einstellungen, auf die weiter unten noch einzugehen sein wird. Mit abgestimmten Leistungs- und Wirkungszielen bei den bedeutenden gemeinschaftlichen Aufgaben von Bund, Ländern und Gemeinden könnte den bestehenden sachlichen und institutionellen Interdependenzen besser als bisher Rechnung getragen werden. Darüber hinaus wäre eine strategische Fokussierung von Reformen in einigen Funktionsbereichen erforderlich, etwa bezüglich des trade-offs zwischen Demokratiequalität und Effektivität. Der Zukunftsbezug wäre insofern abzusichern, als periodisch vorzunehmende Evaluierungen von Reformschritten weitere Impulse für künftiges koordiniertes Handeln böten. Zu solchen Impulsen zählen etwa Lernen voneinander und institutionelle Innovationen einer stärkeren (v.a. horizontalen) Vernetzung. 2. Teilbereich – Agieren in mehreren Handlungsfeldern zum Bewältigen von Interdependenzen Bisher oft nur zögerlich angesprochene einzelne Handlungsfelder, wie punktuelles Ändern der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung im B-VG, Vereinfachen und/oder Abbauen einzelner tradierter Regeln und Einführen neuer aufgabenbezogener Regelungen im Weg von Art. 15a-Verträgen zwischen Bund und Ländern oder kaum genützte Kooperationsansätze wie jene des Stabilitätspakts sollten dort, wo erfolgreich, weiter geführt bzw. verstärkt genützt werden. Teilweise braucht es jedoch zusätzliche Maßnahmen und Ergänzungen um einen entsprechenden Erfolg zu erzielen. Dazu gehören in erster Linie das Entflechten von Zuständigkeiten mit gleichzeitigem Zurückdrängen von Klientel-Politik und/oder das Verstärken von Ergebnistransparenz, das Verknüpfen von Föderalismus- mit der Finanzausgleichsreform, das Verstärken von institutionellen Regelungen mit adäquatem Verhalten bzw. innovationsbereiten Einstellungen der Akteure, so vor allem zu Ergebnisverantwortung und Kooperationsbereitschaft.

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OPTION EINER GOVERNANCE-ORIENTIERTEN FINANZAUSGLEICHSREFORM

3. Teilbereich – Formen/Mechanismen der Steuerung ändern Hierarchie als staatliches Organisationsprinzip sowie subnationaler Maßnahmenvollzug wäre wenigstens zu reduzieren, wenn schon nicht abzulösen. Dazu braucht es umfassende Kontrakte zwischen den drei staatlichen Ebenen über Leistungen, Wirkungen, der finanziellen Ausstattung und der Evaluierung samt Sanktionen bei Verzug. Dem entspräche auch das Bestreben, die Bürgerinnen und Bürger aus ihrer „hierarchisch unterlegenen Position von ‚Antragstellern‘ zu befreien“ und sie als Mitwirkende an politischen Gestaltungsprozessen in direktdemokratischen Prozessen oder wenigstens als Empfänger von Leistungen öffentlicher Verwaltungen zu betrachten. Der hierarchische Gesetzesvollzug (im Vollzugsföderalismus auch häufig zwischen Land und Gemeinden praktiziert) würde durch Einführen kooperativer Handlungsformen, die in Netzwerken funktionieren (z.B. zwischen Führungskräften auf den einzelnen Ebenen, zwischen fachlichen Expertinnen und Experten), relativiert werden können. Damit wäre gesteigerte Politikqualität verbunden. Während in hierarchischer Steuerung der vorrangige Governance-Mechanismus in Weisungen besteht, gilt in Netzwerken Vertrauen und gegenseitige Rücksichtnahme als hauptsächlicher Mechanismus. 4. Teilbereich – spezifische Instrumente von Mehr-Ebenen-Governance nutzen Hauptsächliche Instrumente der Mehr-Ebenen-Governance betreffen zunächst das Aufdecken und Bearbeiten funktionaler und organisatorischer Defizite („gaps“) auf den einzelnen Ebenen, z.B. bezüglich der Informationsversorgung, der Ausstattung mit Ressourcen, aber auch hinsichtlich der Gestaltung des Zielentwicklungsprozesses, einer funktional und governancebezogenen Verteilung von Ergebnisverantwortung und Rechenschaftspflicht. Im Bereich der Gesetzgebung besteht zwar ein breiteres Arsenal an Instrumenten für den kooperativen Bundesstaat (der nur Bund und Länder umfasst), dagegen liegen vielfach nur unzulängliche oder überhaupt keine Regelungen für essenzielle Steuerungsprozesse vor. Die auf Rechtsetzung und Vollzug gerichteten rechtlichen Instrumente umfassen beispielsweise einen eigenen Vertragstyp zwischen Gebietskörperschaften (Art. 15a B-VG Verträge), Regelungen von Aufsichtsrechten des Bundes und des Landes, Instrumente zur Umsetzung des Berücksichtigungsprinzips (d.s. Rücksichtnahmepflicht und Berücksichtigungsbefugnis)118, Regelungen des Amtsgeheimnisses, Prüfpflichten und Prüfbereiche der Rechnungshöfe und u.a.m. Governance-stärkende Instrumente zur Koordinierung und Kooperation119, ebenso zur Regelung von Vertragsvorbereitung, von Ergebnisfeststellung und Resultatverantwortung, also Instrumente, die überwiegend einer besseren Performance dienen, sind dagegen wenig entwickelt. Daher fehlt es auch an entsprechenden Verfahren sowie an Verständnis und Qualifikationen des Personals für den Nutzen von Resultatverantwortung und/oder von „Folgeabschätzungen“ auf den subnationalen Ebenen, was vorrangig zu ändern wäre.

118 119

Siehe Öhlinger; Eberhard: Verfassungsrecht, 12, 2019, Rz 316. Gamper spricht deshalb von Koordination im Bundesstaat als ein „ungeschriebenes Verfassungsprinzip“ (Koordination im Bundesstaat, 2011, S. 157).

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OPTION EINER GOVERNANCE-ORIENTIERTEN FINANZAUSGLEICHSREFORM

2

Eckpunkte einer governance-orientierten Finanzausgleichsreform

Im Folgenden werden diese Teilbereiche als Eckpunkte einer governance-orientierten Reformstrategie für den Finanzausgleich näher dargelegt. In Tabelle 4 findet sich zunächst ein Überblick über die Eckpunkte nach den genannten Teilbereichen. Tabelle 4: Eckpunkte einer governance-orientierten Finanzausgleichsreform Teilbereich

Bezug des Teilbereichs * Wertebasis des Agierens (z.B. Föderalismusmodell, Art der Kooperation) * Zielqualität (z.B. mehrere Zieldimensionen, Werte und Ziele für strategische Ausrichtung) den Finanzausgleich * Evaluierungen

Ansatzpunkte für Finanzausgleichsreformen * Stärkung des kooperativen Föderalismus gleichberechtigte Partnerschaft (Bund, Länder, Gemeinden) * Verknüpfung von Aufgabensteuerung und finanzpolitischen Entscheidungen * Einbezug von Leistungs- und Wirkungszielen * gebietskörperschafts-übergreifende Zielsteuerung * aufgabenorientierte Finanzierung

* Zuständigkeiten (Kompetenzverteilung) und Accountability * Ausmaß/Art an Kooperation Agieren in mehreren * Berücksichtigen von Handlungsfeldern Interaktionen * Organisationsprinzipien Formen/ (z.B. Hierarchie oder Mechanismen der Netzwerk) Steuerung * Demokratiequalität

* Verknüpfen von Föderalismus- und Finanzausgleichsreform * Entflechten und Neuordnen der Kompetenzen * Schaffen von Accountability * Stärken der gemeinschaftlichen Aufgabenerbringung * Sichern der finanziellen Autonomie der subnationalen Ebenen * Koordination der Parlamente der drei staatlichen Ebenen

* Aufdecken und Bearbeiten Instrumente der funktionaler/ Mehr-Ebenenorganisatorischer Defizite Governance * ergänzende Instrumente Quelle: Eigene Darstellung 2019.

* mehr Netzwerk und Abbau von Hierarchieelementen * dosierter politischer Wettbewerb (Benchmarking) * Stärken direktdemokratischer Elemente * bessere vertikale und horizontale Beziehungen * verbesserte Koordination bei gemeinschaftlicher Aufgabenerfüllung * Planung im regionalen Kontext * mehr Augenmerk auf Verhandlungsdesign und -prozess

Werte und Ziele für den Finanzausgleich Seit längerem stehen politische Auseinandersetzungen um mehr oder weniger Staat auf der Agenda. Folgt man finanzwissenschaftlichen Prinzipien und Einschätzungen würde eine grundlegende Reform des Finanzausgleichs die Effektivität des öffentlichen Mitteleinsatzes wohl spürbar erhöhen. Bezieht man sich weiters auf die zunehmenden inhaltlichen und institutionellen Interdependenzen wäre der Fokus einer Reform auf Fragen der Abstimmung und der Kooperation im föderalen Staat zu richten. Damit erschiene für den Finanzausgleich eine Richtungsentscheidung im Sinn „gleichberechtigter Partnerschaft“ geboten. Dies bedeutet nichts anderes, als dem Modell des kooperativen Föderalismus (und nicht dem des Vollzugsföderalismus) zu folgen. Da im Finanzausgleich alle drei staatlichen Ebenen erfasst werden, hätte die Föderalismusreform auch die Gemeinden einzuschließen. Somit könnten Finanzausgleichsreform und eine Reform des föderalen Systems zumindest in diesen Punkten simultan erfolgen und sich gegenseitig stützen. So verstanden, könnten nicht nur demokratiepolitische Werte gestärkt werden, sondern brächten auch Synergien bezüglich ökonomischer Kriterien mit sich.

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OPTION EINER GOVERNANCE-ORIENTIERTEN FINANZAUSGLEICHSREFORM

Eine Weiterentwicklung des Modells des Föderalismus bedeutet Verfassungsbestimmungen120 zu ändern, wofür Regierungen oft keine ausreichenden Mehrheiten im Parlament finden. Dagegen sind Regelungen des Finanzausgleichs primär Angelegenheit der Regierungen. Somit müssten sich sowohl die legislative als auch die exekutive Gewalt mit demokratisch bedeutenden Wertefragen befassen: Zuerst betrifft dies eine relative Gleichstellung der Gemeinden und der Länder in ihren jeweiligen Autonomiebereichen. Weiters geht es darum, aufgabenpolitische Ziele mit finanzpolitischen Entscheidungen abzusichern. Damit würden die subnationalen Gebietskörperschaften mehr als bisher in die strategische Debatte über Ziele und Finanzierung der öffentlichen Aufgabenerfüllung einbezogen werden, weil doch längst große Teile der öffentlichen Dienste und infrastrukturellen Einrichtungen in deren Verantwortungsbereich fallen. Auch für den Finanzausgleich würde ein Übergang von der noch immer auf den subnationalen Ebenen dominierenden Inputsteuerung zur Steuerung über akkordierte Leistungs- und strategische Wirkungsziele auf allen drei staatlichen Ebenen einen großen Reformschritt bedeuten. Dieser Fortschritt verlangt – was auch Hammerschmid/Hopfgartner121 betonen – einen umfassenden kulturellen Wandel hinsichtlich einer stärkeren Sensibilisierung der Politik. Zusätzlich werden auch Kapazitätsverbesserungen (z.B. Qualifizierung eines Teils der Akteure in den politisch-administrativen Bereichen, verlässliche Ergebnis- und Wirkungsmessungen) benötigt. Bei den vielen gemeinschaftlich zu erledigenden Aufgaben, zu denen meist alle staatlichen Ebenen in ihren verschiedenen Organisationsformen (einschließlich ihrer Beteiligungen wie Gemeindeverbände, Fonds) beitragen, bildete die Abstimmung der Wirkungs- und Leistungsziele einen Schwerpunkt der Steuerungsarbeit. Ein zweiter Schwerpunkt läge bei der Ausweitung der aufgaben- bzw. leistungsbezogenen Finanzierung. Damit könnte den gegenseitigen funktionalen Abhängigkeiten bei Aufgaben, wie Bildung, Gesundheitsförderung und -sicherung, Integration, Klimaschutz, Raumplanung, etc., besser als bisher Rechnung getragen werden. Handlungsfelder einer governance-orientierten Finanzausgleichsreform Wie mehrfach ausgeführt, geht es um die Steuerung bei gegenseitigen Abhängigkeiten. Dies bedeutet auch, grundsätzlich mehrere Handlungsfelder simultan zu adressieren. Zunächst wäre – vermutlich in mehreren Schritten – eine weniger kasuistische Neuordnung der Kompetenzen der jeweiligen staatlichen Ebene vorzunehmen sowie die gemeinsame Wahrnehmung einzelner gemeinschaftlicher Aufgaben in der Verfassung zu regeln. Sodann wäre die Umgestaltung des Finanzausgleichs auf die neu geregelten Autonomiebereiche sowie die gemeinsam wahrzunehmenden Aufgaben im föderalen System abzustimmen, was einen zweiten Handlungsbereich darstellt. Dies bedeutet etwa, dass die Autonomiebereiche der subnationalen Ebenen auch eine gegenüber heute verstärkte politische Verantwortung für das Aufbringen der Mittel bedingen. Dies würde sich auch auf den Steuerverbund auswirken sowie zu einem substanziellen Abbau der wechselseitigen Transferzahlungen führen (müssen). Auf den subnationalen Ebenen wären in weiterer Folge jeweils angemessene Autonomie- und Verantwortungsbereiche bei den betreffenden Aufgaben inhaltlich-, kapazitäts- und 120

121

Die bereits im Österreich-Konvent angesprochene Möglichkeit einer dritten Säule gemeinsamer Kompetenzen, jedoch nicht nur von Bund und Ländern, sondern auch der Gemeinden könnte hierfür eine verfassungsgesetzliche Basis bilden. Siehe hierzu Thienel ([Verwaltungs-]Reformen in Österreich, 2017, S. 17), der „eine zeitgemäße Umschreibung der einzelnen Kompetenzen sowie große Flexibilität bei den gemeinsamen Kompetenzen als entscheidend“ ansieht. Hammerschmid; Hopfgartner: Fokusstudie II – Umsetzung der wirkungsorientierten Verwaltungssteuerung, 2019, S. 11 f.

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OPTION EINER GOVERNANCE-ORIENTIERTEN FINANZAUSGLEICHSREFORM

finanzierungsbezogen zu definieren, womit etwa bisherige vielfach hierarchische Beziehungen zwischen Land und Gemeinden überwunden und vor allem horizontale Kooperationen verstärkt werden könnten. Beispielsweise bedeutete dies eine potenziell flächensparende Raumplanung benachbarter Gemeinden und koordinierte Leistungen in einzelnen kommunalen Aufgabenbereichen, wie z.B. Kinder- und Altenbetreuung, Integration, Recycling. Ein Ausbau der Infrastrukturen müsste dabei nach strategischen, gesamtstaatlichen oder regionalen Prioritäten erfolgen. Dies schließt horizontale Kapazitäts- und Ressourcenausgleiche im regionalen oder kommunalen Kontext ein sowie Verpflichtungen für interkommunales Vergleichen von Gebühren/Entgelten, von Ergebnissen und/oder von Verfahren im Interesse von wirkungs- und leistungsbezogener Qualität und Wirtschaftlichkeit. Als dritter Handlungsbereich erscheint es – resultierend aus dem Grundverständnis von kooperativem Föderalismus und wirkungsorientierter Politik- und Verwaltungsführung – nützlich, eine Koordination der Parlamente der drei staatlichen Ebenen zur Beratung gesamtstaatlicher Strategien von vorrangigen Aufgaben und deren Finanzierung einzurichten. Dazu könnte ein Rat von Parlamentariern aller Ebenen sowie der Abgeordneten zum Europaparlament dienen, der alle zwei, drei Jahre zusammentritt. Dieser Rat hätte regionale, nationale und supranationale Standpunkte bzw. Initiativen bezüglich Aufgaben und Ressourcen sowie erreichte Resultate zu debattieren. Weiters wären Beiträge zu Aufgabenreformstrategien zu leisten und die Strategien auch zu verabschieden. Ebenso wären nicht nur Rechnungsabschlüsse, sondern auch Rechnungshofberichte und insgesamt die Performance in gemeinsam verfolgten Aufgabenbereichen zu würdigen bzw. zu behandeln. Solcherart könnten die Parlamentarier eventuell zu künftigen aufgaben- und finanzausgleichspolitischen Strategien der Regierungen beitragen. Es versteht sich von selbst, dass hierzu zusätzliche Ausschüsse und ein ausgebauter Budgetdienst substanzielle Vorarbeiten zu leisten hätte. Steuerungsmechanismen für mehr Kooperation und politischen Wettbewerb wählen Ein bedächtiger Wechsel der elementaren Mechanismen von Governance würde einen weiteren Eckpunkt einer Reformoption für den Finanzausgleich bilden. Elemente hierarchischer Steuerung im Finanzausgleich sollten im Interesse der Demokratiequalität abgebaut und durch (relative) Gleichstellung der drei staatlichen Ebenen innerhalb eines Netzwerks ersetzt werden. Dies würde dem Aufbau bzw. Erhalt von Vertrauen und Stabilität ebenso dienlich sein, wie dem Schutz vor Ausbeutung bei kooperativem Verhalten durch einzelne egozentrische Akteure. Weiters sollte dosierter politischer Wettbewerb als bisher im Finanzausgleich zu wenig genutzter Governance-Mechanismus wegen seiner „Dynamisierung“ der Interaktionen122 zwischen gleichgestellten Partnern mehr Aufmerksamkeit erhalten. Es geht um verschiedene Formen von Vergleichen, wie z.B. das Vergleichen von Leistungs- und Managementprozessen, das Lernen voneinander oder Qualitätswettbewerbe. Allerdings ist zu bedenken, dass die Ergebnisse von Wettbewerben öfters nicht vorhersehbar sind, weil diese auch von den Reaktionen der Konkurrenten und/oder von den Bewertungen der Performance (seitens der Bevölkerung oder einzelner Gruppen wie mobile Steuerzahler) abhängen. Wie das Stärken von Vergleichen und Wettbewerb in den verschiedenen Teilbereichen des Finanzausgleichs (z.B. primärer oder tertiärer Finanzausgleich) erfolgt, ist sorgsam zu überlegen: Formen von 122

Siehe Benz: Politischer Wettbewerb, 2007, S. 66: „Generell gilt, dass politischer Wettbewerb im Vergleich zu anderen Governance-Formen, wie Hierarchie (…) oder Netzwerk eine besondere Dynamik von Interaktionen bewirkt. Er ist also immer dort von Vorteil, wo Stillstand unerwünscht ist.“

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OPTION EINER GOVERNANCE-ORIENTIERTEN FINANZAUSGLEICHSREFORM

Bonuszahlungen oder institutionelle Hilfestellungen bieten sich jeweils an, sie könnten eventuell auch als Voraussetzung für das Zuteilen von Mitteln des Steuerverbundes verankert werden. Instrumente der Mehr-Ebenen-Steuerung und ihre Interdependenzen nützen Vielfältige Governance-Instrumente sind gegeben, wie z.B. Herstellen von Transparenz, Kohärenz und Koordination, das Abschließen von Verträgen über Leistungsqualität, Zugänglichkeit, konditionale Zuschüsse, von entsprechenden Kontrollen und Sanktionen zwischen staatlichen Ebenen oder einzelnen Organisationseinheiten. Bei der Auswahl der Instrumente gilt es jedenfalls, auf die Interdependenzen zwischen bestimmten Instrumenten Bedacht zu nehmen und sie zu nützen. Dies gilt insbesondere für verschiedene Anreizmechanismen, wie z.B. die bereits genannten Vergleiche, die Abgabenautonomie bei gleichzeitigem Ressourcenausgleich sowie möglichst klar feststellbare Ergebnisverantwortung auf Basis einheitlicher Messungen und Transparenzbestimmungen. Daneben erscheinen Instrumente, die für die Mehr-Ebenen-Steuerung von spezifischer Bedeutung sind, auch im Finanzausgleich nützlich. Für effektive gemeinschaftliche Aufgabenerfüllung sind die Koordination der einzelnen Teilleistungen, ebenso auch die Wahrung der Ergebnisverantwortung bedeutende Instrumente. Solche Aufgaben sollten deshalb so organisiert werden, dass funktional zweckmäßige Teilbereiche inhaltlich und finanziell jeweils einer Ebene organisatorisch zugeordnet und hinsichtlich der festgestellten Ergebnisse (an Hand von leistungs- und finanzierungsbezogenen Indikatoren) der politisch-administrativen Alleinverantwortung (Rechenschaftspflicht) unterstellt werden. Ohne gleichzeitig geregelte Transparenz der Ergebnisse und/oder von Kontrollen besteht jedoch in der Regel kein ausreichender Anreiz für effektives Handeln. Beispiele hierfür wären Kosten-, Gebühren-, Preis- und Qualitätsvergleiche für einzelne Dienstleistungen (z.B. für Kinderbetreuung, Pflege, Essen auf Rädern), Infrastrukturstandards für örtliche/regionale Feuerwehren, Schulklassengrößen und Schulausstattungen. Eine andere Lösungsmöglichkeit für koordiniertes Erbringen von Gemeinschaftsaufgaben besteht darin, eine gemeinsame Steuerungsinstanz123 zu schaffen, die sich mit strategischen und analytischen Planungs-, Umsetzungs- und Weiterentwicklungsfragen befasst und nur einvernehmlich Entscheidungen treffen kann. Dazu zählen etwa Erhebungen der aktuellen Versorgungssituation anhand einheitlicher Indikatoren, Vergleiche der Effektivität einzelner Produkte bzw. Leistungsprozesse, Erstellen von Bedarfsprognosen, Regeln für die Budgetierung sowie Sanktionen bei Verstößen u.a.m. Ähnlich entwicklungsbedürftig erscheint der Einsatz spezifischer Instrumente zu einer verbesserten räumlichen Planung (z.B. Einrichten von Planungsregionen, gemeinsam festgelegte Ziele/Strategien/Innovationen), von Partizipation und von Evaluation zu sein. Dazu wären etwa Informations-Plattformen, Konsultationsforen, Bedarfsprognosen, Abschätzungen von Folgewirkungen bzw. von Nutzen-Kostenbetrachtungen für alternative räumliche und funktionale Entwicklungen zu zählen. Politisch abgestimmte regionale Mobilitäts-, Finanz- und Infrastrukturplanungen wären auch so zu regeln, dass Gesichtspunkten der Bürgerpartizipation sowie der sozialen und ökologischen Verträglichkeit entsprochen wird. Ob es zweckmäßig wäre, diesbezügliche Regelungen in das F-VG 1948 oder in die Finanzausgleichsgesetze aufzunehmen, wäre zu prüfen.

123

Siehe hierzu den Prüfbericht des Landes-Rechnungshofs Vorarlberg: Finanzielle Planung und Steuerung des Sozialfonds, 2018.

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OPTION EINER GOVERNANCE-ORIENTIERTEN FINANZAUSGLEICHSREFORM

Denkbar wäre auch, geeignete Regelungen in den Haushaltsrechten oder Details in speziellen Verordnungen festzulegen. Management und Design von Verhandlungsprozessen bei vertikalen und horizontalen Verflechtungen von Organisationseinheiten bedürfen einer besonderen Beachtung. Dies ist im 1. Kapitel unter Punkt 3.5 bereits ausgeführt worden. Es geht darum bei zahlreicher Teilnehmerschaft an den Verhandlungen und wegen der Vielfalt der teils gegensätzlichen Interessen Regeln zu vereinbaren und durch zu setzen, um das Scheitern oder den Stillstand von Verhandlungen zu vermeiden. Dazu zählen etwa das Aufbauen einer gemeinsame Wissensbasis oder Regeln für Mehrheitsentscheidungen festzulegen. Im Fokus stehen weiters Fragen der Gestaltung der Agendas und des Ablaufs der Verhandlungen, zur Zusammensetzung der Verhandlungsgruppen, zu Prozessen der Konfliktlösung. Alle diesbezüglichen Maßnahmen bedürfen jedoch oftmals einer politisch bedeutsamen Ergänzung, nämlich eine Werthaltung aller Beteiligten zu festigen, nämlich der Lebensqualität der Menschen, dem sozialen Zusammenhalt und der Nachhaltigkeit verpflichtet zu sein.

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ERFAHRUNGEN UND EINSCHÄTZUNGEN AUS DER PRAXIS

IV Erfahrungen und Einschätzungen aus der Praxis 1

Methodische Hinweise

Mit ausgewählten Vertreterinnen und Vertretern der Praxis wurden im Zeitraum zwischen Ende September und Mitte Oktober ausführliche Interviews geführt. Hierzu sind vorher getestete Fragen in einem Interviewleitfaden124 den jeweiligen Gesprächspartnerinnen und -partnern vor dem Gespräch übermittelt worden. Zusätzlich wurde ein Unterstützungsbogen zum Ausfüllen während der im Durchschnitt 1,5 Stunden dauernden Interviews verwendet. Insgesamt konnten 16 Interviews mit insgesamt 22 Interviewpartnerinnen und -partnern durchgeführt werden. Es wurden 14 Unterstützungsbögen befüllt. Bei der Suche nach Interviewpartnerinnen und -partnern wurde auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Bundes-, Länder- und Gemeindeebene geachtet. Auch wurden sowohl politische Vertreterinnen und Vertreter als auch Führungskräfte der Verwaltungen angefragt. Schließlich konnten wir folgende Zusammensetzung erreichen: 7 Interviews auf Bundesebene (Abgeordnete zum Nationalrat, Vertreter der Bundesregierung, Führungskräfte der Bundesverwaltung und des Rechnungshofs), 3 Interviews auf Länderebene (Führungskräfte von Landesverwaltungen und eines Landesrechnungshofs), 6 Interviews auf Gemeindeebene (Bürgermeister aus west- und ostösterreichischen Städten, Führungskräfte von Gemeindeverwaltungen und des Österreichischen Städtebundes125).

  

Der Interviewleitfaden basiert auf den Erkenntnissen der Vorkapitel zu den Themen Finanzausgleich, Föderalismus und Public Governance und greift dabei insbesondere die zuvor entwickelten Ansätze einer governance-orientierten Finanzausgleichsreform auf. Die Interviews wurden anonym ausgewertet. Um die Anonymität der Interviewpartnerinnen und -partner durchgehend zu gewährleisten, wurde im Rahmen der Auswertung auf eine geschlechtsspezifische Differenzierung der Antworten verzichtet.

2

Auswertung der Interviews und der Umfrage-Unterstützungsbögen

Die Befragung erfolgte nach drei Themenbereichen, die miteinander verknüpft sind. Sie gelten 1. 2.

der Weiterentwicklung von Föderalismus und Finanzausgleich, möglichen inhaltlichen und prozessbezogenen Schwerpunkten einer Reform des Finanzausgleichs und der Zweckmäßigkeit von spezifischen Governance-Ansätzen für die Reformen.

3.

124 125

Siehe Anhang. Der Österreichische Gemeindebund nahm die Anfrage nach einem Interview nicht an.

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ERFAHRUNGEN UND EINSCHÄTZUNGEN AUS DER PRAXIS

2.1

Themenbereich 1 – Föderalismus 1. Ist eine Finanzausgleichsreform ohne Föderalismusreform möglich?

Eine knappe Mehrheit der befragten Personen erachtet eine Finanzausgleichsreform ohne vorangehender bzw. paralleler Föderalismusreform als nicht möglich. Nur wenige Teilnehmer meinen, dass eine Verknüpfung von Föderalismusreform mit einer Reform des Finanzausgleichs nicht erforderlich wäre. Stellvertretend für die meisten Aussagen seien hier drei Antworten angeführt: Ausgewählte Antworten:   

„Eine Finanzausgleichsreform ist nur mit einer Föderalismusreform im großen Stil möglich.“ „Eine FAG-Reform ist erst nach einer Bundesstaatsreform sinnvoll und zweckmäßig.“ „Es gibt zwar Zusammenhänge, aber beide Reformen gleichzeitig wären noch schwerer zu realisieren als eine.

Bei vielen Befragten besteht eine eher ausgeprägte Skepsis, dass das Verknüpfen der beiden Themen in naher Zukunft angedacht bzw. in Angriff genommen wird. Es gibt vor allem Zweifel an einer grundlegenden Reform im großen Stil, es bestehe zu wenig Druck und es mangle am politischen Willen diese Reformen anzugehen. Ausgewählte Antworten:   

„Änderungen im Föderalismus sind kaum durchsetzbar.“ „Unser Föderalismus ist mit den derzeitigen Playern nicht reformierbar.“ „Positiv wahrgenommene Reformansätze wie Aufgabenorientierung oder Grundsteuerreform wurden bisher nicht realisiert. Warum? Weil es keinen Druck und keinen ausreichenden Willen gibt, wesentliche Änderungen vorzunehmen.“ „Beide Reformen wären dringlich, werden aber nicht als prioritär behandelt.“

Manche Interviewpartner sehen jedoch Möglichkeiten, wenigstens gemeinsame Grundsätze beider Reformbereiche festzulegen. Die konkreten Lösungsmöglichkeiten, an welchen Eckpunkten der Reform angesetzt werden müsste, sind dabei vielfältig. Ein Bereich betrifft die Architektur des Finanzausgleichs – etwa eine stärkere Aufgabenorientierung und mehr Abgabenautonomie für die Länder. Ein weiterer Aspekt betrifft den Reformprozess und die Zusammenarbeit der Akteure, etwa Leuchtturmprojekte statt großer Reformen, vertragliche Regelungen und eine gleichwertige Partnerschaft. Ausgewählte Antworten:  

„Die große Reform schafft Österreich nicht. Reformen sollten über verschiedene Leuchtturmprojekte möglich sein.“ „Aufgaben und Geldmittel sollten Hand in Hand gehen. Derzeit sind Aufgaben und Verantwortlichkeiten häufig zersplittert – Beispiel Bildung, wo die Dreiteilung der Kompetenzen auf Bund, Länder und Gemeinden als absurd zu bezeichnen ist.“ „Bei einer ausreichenden Steuerautonomie der Länder könnte die Chance bestehen, dass sich das föderale System durch mehr Transparenz und höhere Verantwortlichkeit der Länder zum Positiven verändert.“

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ERFAHRUNGEN UND EINSCHÄTZUNGEN AUS DER PRAXIS

„Finanzausgleich muss im weiteren Sinne und nicht als Geldverteilungsmechanismus gesehen werden, unter Einbeziehung von Föderalismus-Fragen.“ „Eine Reform ist möglich, wenn man sich auf vertragliche Regelungen und auf Werte einigt.“ „Ein vollkommen neuer Zugang erscheint notwendig: gleichwertige Partnerschaft.“

  

2. Geht man von der heutigen Aufgabenverteilung und Finanzierung aus: Ist künftig mit mehr oder weniger Lasten / Ungleichgewichten auf den dezentralen Ebenen zu rechnen? Diese Frage beantworteten neun Teilnehmer. Einige der Befragten gehen davon aus, dass künftig beide dezentralen Ebenen zusätzliche Lasten der Aufgabenerfüllung zu bewältigen haben werden. Zwei Interviewpartner können dies nicht so generell beurteilen, da es aus ihrer Sicht von den jeweils gesetzten gesamtstaatlichen Prioritäten bei den Aufgaben abhängt. Einige wenige Teilnehmer sehen zunehmende Ungleichgewichte von Aufgabenlasten und zugeteilten Ressourcen verstärkt vor allem für die Gemeinden, was v.a. mit den landesinternen Finanzausgleichen einiger Länder zusammenhängt. Ausgewählte Antworten: „Ja, denn die Herausforderungen in den Bereichen Gesundheit, Pflege, Bildung, Raumordnung, Nahverkehr im Interesse des Klimaschutzes sind groß. Das bedeutet nicht nur zusätzlichen Mittelbedarf für Länder und/oder Gemeinden, sondern auch subnationalen Handlungsbedarf – z.B. Reorganisation im Spitalsbereich, verstärkte horizontale Kooperationen auf der Ebene der Gemeinden.“ „Eher mehr Lasten dezentral, jedoch auch mehr Einnahmenverantwortung der Länder.“

3. Sollte die – häufig konstatierte – Blockade im föderalen Gefüge durch Veränderungen in Kompetenzen, Verantwortung für Erfüllung von Teilaufgaben gelöst werden? Diese Frage bezieht sich vor allem auf die gemeinschaftliche Aufgabenerfüllung mehrerer Ebenen und wird von einer Mehrheit der Befragten befürwortet und als umsetzbar eingeschätzt. Es wird aber auch der große Koordinations- und Abstimmungsbedarf zwischen den Gebietskörperschaftsebenen betont. Einige Interviewpartner sehen es jedenfalls als eine Verbesserung der Demokratiequalität, wenn Autonomie und Selbstverwaltung erweitert wird. Teilverantwortlichkeiten auf subnationaler Ebene werden als sinnvoll erachtet, jedoch kommt es auch auf die Größe der Gemeinden an, wie zwei Befragte anmerken. Ausgewählte Antworten: 

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„Bei gemeinschaftlicher Aufgabenerfüllung sollte es klare, vorgegebene Prozesse für stärkere Accountability geben. Auch bei verteilten Aufgaben zwischen Land und Gemeinden wären besser geregelte Teil-Verantwortlichkeiten möglich und sollten genutzt werden.“ „Mehr Aufgabenverantwortung auf subnationale Ebenen verlagern, auch mehr Verantwortung für Einnahmen. Tendenziell (bedeutet dies) mehr Demokratiequalität, wenn Autonomie etwas vergrößert wird.“


ERFAHRUNGEN UND EINSCHÄTZUNGEN AUS DER PRAXIS

  

„Klarere Definition von Teilverantwortlichkeiten bei Gemeinschaftsaufgaben wäre sinnvoll, ist aber mit den aktuellen Akteuren nicht umsetzbar.“ „Zusätzliche Kompetenzen (im Sinn von Aufgabenträgerschaft) von Gemeinden bedürfen Gemeindestrukturreformen.“ „Ja, nämlich im Weg stärkerer Regelung durch den Bund. Es braucht Prioritäten der Aufgaben, Qualitätsvorgaben und Evaluationen. Subnationale Ebenen sollten stärker für den Vollzug zuständig sein, jedoch mit mehr Spielräumen.“ „Transparenz, Simplifizierung, Definition und Einhaltung von Grundsätzen. Leistungserbringung und Leistungsabdeckung müssen im Einklang stehen.“

Die Gründe für Blockaden beziehen sich dabei in erster Linie auf das Verhandlungsdesign und auf Machtverhältnisse der Verhandlungspartner. Ausgewählte Antworten:     

„Bei der gemeinschaftlichen Aufgabenerfüllung ist der Abstimmungsbedarf groß. Blockaden resultieren auch aus Zustimmungsrechten der Länder.“ „Mit voller Gewalt ‚von oben‘ hineinfahren ist falsch, man muss auf der Fachebene die Gesprächsfähigkeit herstellen bzw. sichern.“ „Blockaden entstehen durch die enge Fokussierung auf das Geld. Die Akteure wollen weder Geld noch Macht verlieren.“ „Vereinbarungen erfolgen hinter geschlossenen Türen, die Ergebnisse werden dem Parlament nur präsentiert, es gibt weder Diskussion noch Adaptierungen.“ „Die Angst des Finanzministeriusm vor Verhandlungen mit den Ländern ist in der Asymmetrie – Neun gegen Einen – begründet.“ 4. Wie berücksichtigt man gegenseitige Abhängigkeiten?

Zu dieser Frage liegen zehn Antworten vor, die Hälfte davon spricht sich eindeutig für eine stärkere Konsensorientierung zwischen den Akteuren aus. Probleme bereiten vor allem Zielkonflikte, Misstrauenskultur und Machtinteressen, die jedoch durch gemeinsame Strategien und das Schaffen von Win-Win-Situationen überbrückt werden könnten. Ausgewählte Antworten: 

     

„Gleichberechtigung der Partner wäre erreicht, wenn diese mehr Einnahmenverantwortung übernehmen dürfen. Dann könnte auch die Aufgabenorientierung im Finanzausgleich leichter erfolgen.“ „Bund soll weniger monetäre Anreize im Weg von Zuschüssen schaffen, insbesondere wenn die Interdependenzen nicht näher bearbeitet werden. Es sollten mehr Konsense und gemeinsame Ziele entwickelt werden.“ „Gegenseitige Berücksichtigung wäre bei Verfahren (etwa gemäß Konsultationsmechanismus) vorzuziehen.“ „Der Konsultationsmechanismus – wie er derzeit gelebt wird – ist völlig zahnlos.“ „Kompromisse und Konsense werden immer schwieriger.“ „Ohne entsprechenden Konsens drohen Blockaden oder zumindest Effizienzverluste. Gegenseitige Abhängigkeiten erfordern gemeinsame Strategien.“ „Auflösen der häufig gegebenen Zielkonflikte wäre anzustreben; am besten durch WinWin-Lösungen.“ „Konsensfähigkeit ist wesentlich bei Finanzausgleichsverhandlungen.“

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ERFAHRUNGEN UND EINSCHÄTZUNGEN AUS DER PRAXIS

5. Der Finanzausgleich wird zumeist nur als alleinige Mittelverteilung im föderalen Staat verstanden. Ohne Berücksichtigung der Aufgabensteuerung führt dies zu Verteilungsproblemen. Die Notwendigkeit einer stärkeren Verschränkung von Aufgabensteuerung und Mittelverteilung wird in fast allen Interviews bestätigt. Ein Interviewpartner merkt jedoch an, dass obwohl eine Mittelverteilung nach Aufgaben sinnvoll wäre, das System noch weniger überschaubar werden würde. Ausgewählte Antworten: „Es braucht die Verschränkung von Aufgabensteuerung und Mittelverteilung.“ „Aufgabenorientierung im FAG 2017: Hier wurden programmatische Ziele verfolgt, das funktioniert aber nur mit mehr Geld.“ „Es braucht eine regional differenzierte Steuerung auch der Kosten. Mehr Flexibilität ist notwendig – auch über Bundeslandgrenzen hinweg.“

  

Relativ eindeutig fiel auch die Bewertung der Frage aus, ob Geld den Aufgaben folgt. Das wurde überwiegend bejaht. Ausgewählte Antworten: „Aufgaben folgen den vorhandenen Ressourcen. Ressourcen sollten jedoch den Aufgaben folgen.“ “Geld folgt den Aufgaben, aber es muss auf Effizienz geachtet werden.“

 

6. Soll die Abgabenautonomie zur Sicherung autonomer Aufgabenerfüllung und von Effizienz auf jeder Ebene gestärkt werden? Auf allen Gebietskörperschaftsebenen spricht man sich für eine stärkere Aufgabenautonomie aus. Jedoch ist je nach Ebene zu differenzieren. Auf Gemeindeebene befürworten mehrere Interviewpartner vor allem eine funktionsfähige Grund- und Kommunalsteuer. Differenzierter waren die Antworten hinsichtlich einer Abgabenautonomie der Länder. Zumeist wurde darauf hingewiesen, dass diese nur bei einem relevanten Steuervolumen sinnvoll ist. Die Schaffung zusätzlicher Finanzverwaltungen soll jedenfalls vermieden werden. Auch ein Steuerwettbewerb zwischen den Ländern wird weitgehend für nicht sinnvoll erachtet, dafür sei Österreich ein zu kleines Land. Ausgewählte Antworten:      

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„Die Abgabenautonomie soll ganz klar gestärkt werden.“ „Für Gemeinden braucht es funktionsfähige Grundsteuer und Kommunalsteuer.“ „Für Länder wäre dies nur bei einem relevanten Steuervolumen sinnvoll. Der Steuerwettbewerb zwischen den Ländern wird kritisch gesehen. Österreich ist zu klein.“ „Die Maßnahmen im FAG 2017, die unter dem Mantel der Abgabenautonomie entstanden, waren Scheinmaßnahmen.“ „Auch innerhalb der Länder bestehe keine einheitliche Position.“ „Dies gilt nicht nur zwischen Bund und Ländern. Genauso wichtig wäre es zwischen Ländern und Gemeinden. In Ländern ist Ko-Finanzierung von Länderaufgaben durch die Gemeinden sehr unterschiedlich.“


ERFAHRUNGEN UND EINSCHÄTZUNGEN AUS DER PRAXIS

7. In welche Richtung soll sich der Föderalismus entwickeln? Föderale Ausgestaltung Hierzu wurden zunächst Einschätzungen zu zwei generellen Aspekten föderaler Gestaltung abgefragt, nämlich  

hinsichtlich der politischen Gewichtung des föderalen Systems der Machtverteilung im Staat (mehr oder weniger Zentralisierung der Aufgabenerfüllung) und bezüglich des möglichen Typs von Föderalismus (Ausbau in Richtung des Modells des Vollzugsföderalismus oder Ausbau des kooperativen Verbundföderalismus).

Hinsichtlich der Frage zu mehr oder weniger Zentralisierung bei der Trägerschaft von Aufgaben erwarten vier Personen (bei insgesamt neun Antworten) eine politische Stärkung der subnationalen Ebenen (Dezentralisierung). Vier Interviewpartner weisen darauf hin, dass die Antwort auf die gestellte Frage von den künftigen politischen Prioritäten sowie von den Entscheidungen bezüglich der Organisation einzelner Aufgaben abhängt. Einzelne Aufgaben – z.B. Nahverkehr, Pflege – können aus dieser Sicht entweder stärker dezentral oder auch zentralisiert organisiert werden. Damit wird deutlich, dass sich die künftige politische Gestaltung der föderalen Beziehungen in zwei unterschiedliche Richtungen entwickeln könnte. Ausgewählte Antworten:   

„Richtung zentral oder dezentral hängt auch von den jeweils zur Diskussion stehenden Aufgabenbereichen ab.“ „Mehr Dezentralität eröffnet die Möglichkeit für differenzierte Lösungen. Denn mehr Zentralität erhöht nicht notwendigerweise die Wirtschaftlichkeit.“ „Ich bin weitgehend für Zentralisierung, denn Dezentralisierung von öffentlichen Aufgaben führt vielfach dazu, dass alte, überholte und wenig nachgefragte Aufgaben, Leistungen bzw. Strukturen erhalten bleiben. Weiters überfordern einzelne Aufgaben die subnationalen Gebietskörperschaften.“ „Mehr Zentralität auf nationaler Ebene und mehr Dezentralität auf kommunaler Ebene. Wir scheitern auf kommunaler Ebene an Bundesländergrenzen. Gebietsgemeinden wären zu befürworten.“ „Eher mehr Dezentralität, denn für politische Lösungen braucht man Akzeptanz, welche im regionalen und kommunalen Bereich leichter zu erreichen ist.“

Zur Frage des künftigen Modells der föderalen Organisation sind die Einschätzungen dagegen klarer: Es befinden zwei Personen, dass es je nach Aufgabenstellung einen verstärkten Vollzugsföderalismus braucht, sieben Interviewpartner präferieren das Modell einer gleichberechtigten Kooperation zwischen den drei staatlichen Ebenen. Ausgewählte Antworten:    

„Mittelbare Bundesverwaltung gibt den Ländern viele Spielräume.“ „Reiner Vollzugsföderalismus ist zu befürworten, da die aktuellen Spielräume der Landtage ohnehin sehr gering sind.“ „Differenzierte Aufgabenstandards in einem föderalen Bundesstaat machen Sinn.“ „Idealvorstellung ist schon die gleichberechtigte Kooperation, aber es kommt auf die Aufgabe an.“

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ERFAHRUNGEN UND EINSCHÄTZUNGEN AUS DER PRAXIS

Veränderte Steuerungsbereiche im föderalen System Erwartungen bzw. Einschätzungen für einzelne Regelungsbereiche föderaler Organisationen, die in Bezug auf Public Governance und auf den Finanzausgleich von besonderer Bedeutung erscheinen, wurden zusätzlich abgefragt. Die folgenden Abbildungen, welche auf den Antworten des Unterstützungsbogens basieren, bieten einen Überblick. Daran anschließend werden die jeweils vorliegenden Argumente auszugsweise angeführt. Besonders positiv werden das Sichern von Autonomiebereichen aller Ebenen sowie das stärkere Regeln von Teil-Verantwortlichkeiten bei Gemeinschaftsaufgaben eingeschätzt. Neun bzw. acht der Interviewpartner schätzen diese Maßnahmen als sinnvoll und umsetzbar ein. Hingegen schätzt bei der Priorität nur die Hälfte aller Interviewpartner dies als sehr hoch ein. Deutlich geringere Umsetzungschancen werden den Maßnahmen einer besseren Balance zwischen Autonomie/Demokratiequalität und Ökonomie/Effizienz sowie einer besseren Balance zwischen Regierung und Parlament gesehen. Insbesondere letzteres wird zwar als tendenziell sinnvoll, aber schwer umsetzbar und auch weniger prioritär gesehen. Abbildung 9: Umsetzbarkeit von Föderalismusreformen – veränderte Steuerungsbereiche

0

2

4

6

8

10

Anzahl Nennungen 12 14

Sichern von Autonomiebereichen aller Ebenen

Stärkeres Regeln von Teil-Verantwortlichkeiten bei Gemeinschaftsaufgaben

bessere Balance zwischen Autonomie/Demokratiequalität und Ökonomie/Effizienz

bessere Balance zwischen Regierung und Parlament

Sinnvoll und umsetzbar

Sinnvoll, aber nicht / schwer umsetzbar

Nicht sinnvoll

Quelle: KDZ, eigene Darstellung; auf Basis: Unterstützungsbögen zu den Interviews, 2019.

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keine Angabe


ERFAHRUNGEN UND EINSCHÄTZUNGEN AUS DER PRAXIS

Abbildung 10: Priorität von Föderalismusreformen – veränderte Steuerungsbereiche 0

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Anzahl Nennungen 12 14

Sichern von Autonomiebereichen aller Ebenen

Stärkeres Regeln von TeilVerantwortlichkeiten bei Gemeinschaftsaufgaben bessere Balance zwischen Autonomie/Demokratiequalität und Ökonomie/Effizienz bessere Balance zwischen Regierung und Parlament Quelle: KDZ, eigene Darstellung; auf Basis: Unterstützungsbögen zu den Interviews, 2019.

Hinsichtlich des Sicherns von Autonomiebereichen auf allen Ebenen wird von einer überwiegenden Mehrheit der Befragten teils mit verschiedenen Argumenten zugestimmt. Einzelne Interviewpartner orten jedoch Umsetzungsprobleme. Einige der geäußerten Argumente lauten wie folgt: Ausgewählte Antworten: 

  

 

„Es gibt keine klare Trennung zwischen „Zentral“ und „Dezentral“, es sollten zeitgemäße Regelungen sein. Verfassung und Finanzierung sollen in Einklang stehen. Der Bund hat die Tendenz, sich aus der Kostentragung hinaus zu schmuggeln“. „Sinnvoll und umsetzbar, hätte hohe Priorität.“ „Autonomie der Gemeinden ist zu stärken. Dies wäre auch bei entsprechendem Gestaltungswillen der Akteure im Finanzausgleichs-Prozess machbar.“ „Auf Gemeindeebene ein klares Ja. Es braucht dazu eine Gemeindestrukturreform. Es gibt viele Abgangsgemeinden, die strukturell und finanziell nicht eigenständig lebensfähig sind.“ „Es gibt unterschiedliche Bedarfe im städtischen und ländlichen Raum. Es gibt auch unterschiedliche Kompetenzen und Anforderungen (Qualität) zwischen Groß und Klein.“ „Die Entscheidungsautonomie der Länder ist zu gering, bei Gemeinden ist es besser. Die Länder leben ganz gut von diesem System.“

Die Frage einer stärkeren Regelung von Teil-Verantwortlichkeiten bei Gemeinschaftsaufgaben wird ebenfalls großteils als sinnvoll erachtet. Ausgewählte Antworten:  

„Gleichberechtigte horizontale Kooperationen zwischen Gemeinden wären hilfreich.“ „Gemeinden werden vom Land stark gefördert und trotzdem fordern die Gemeinden mehr vom Land. Gemeinsame Finanzierung von Aufgaben ist in manchen Bereichen umsetzbar.“

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ERFAHRUNGEN UND EINSCHÄTZUNGEN AUS DER PRAXIS

„Pragmatisch, warum sollte man lohnabhängige Abgaben (bei der Einhebung) nicht zusammenziehen?“

Insgesamt liegen bei der Frage einer besseren Balance (trade-off) zwischen Autonomie/Demokratiequalität und Ökonomie/Effizienz von zehn Interviewpartnern Antworten vor. Allerdings wird von vier Interviewpartnern die Umsetzung als schwierig oder überhaupt nicht realisierbar gesehen. Folgende Argumente werden explizit angeführt: Ausgewählte Antworten:  

„Mehr Dezentralität in Verbindung mit direktdemokratischen Abstimmungen wäre erwägenswert. Damit würden sich für alle Beteiligten Lernprozesse eröffnen.“ „Bargaining Prozesse dominieren – es sind oftmals machtpolitische Entscheidungen, wer sich irgendwie durchsetzt. Faktenbasiertes Entscheiden wäre besser; es ist jedoch immer eine politische Frage, inwieweit Fakten berücksichtigt werden.“ „Ich sehe kein Ungleichgewicht. Natürlich braucht man mehr Demokratie, auch wenn es nicht billiger wird. Oft wird die Qualität der Leistungserbringung gesteigert. Man kann nicht alles über einen Kamm scheren.“

Die Frage nach einer besseren Balance zwischen Regierung und Parlament, daher einer stärkeren Beteiligung der gewählten Volksvertreterinnen und -vertreter an der Weiterentwicklung des föderalen Systems wird von fünf Befragten als wünschenswert und realisierbar bezeichnet. Sechs andere Befragte sehen dies als sinnvoll, aber nicht bzw. schwer umsetzbar an. Auch erhält diese Frage am wenigsten Prioritätszustimmung. Einzelne Interviewpartner merken an, dass durch die parlamentarische Tradition in Österreich die Parlamente mehr eine Kontrollfunktion innehaben. Abgeordnete stimmen eher über bereits ausverhandelte Reformen ab, und gestalten diese weniger aktiv mit. Ausgewählte Antworten:    

 

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„Das freie Spiel der Kräfte im Parlament (Stichwort Vorwahlzeit) ist nicht zweckmäßig.“ „Parlamentarismus ist im Rückgang; wo hat man noch gute Abgeordnete?“ „Sinnvoll und machbar, wenn Gestaltungswille da ist. Derzeit in der Praxis aber nicht umsetzbar; vor allem wegen falsch verstandenem Parlamentarismus.“ „Klarerweise erscheint es sinnvoll, die Parlamente zu stärken. Aber der Parlamentarismus ist in Österreich vergleichsweise schwach ausgeprägt; wir haben kein Arbeitsparlament. Parlament in Österreich hat primär Kontrollfunktion. Die Abgeordneten sind vor allem in die Vorbereitung von Entscheidungen nicht oder nicht rechtzeitig eingebunden.“ „Koordination zwischen Bundes- und Länderparlamenten wäre schon wünschenswert. Man denke etwa an die Umsetzung der SDGs oder an gemeinsame Strategien.“ „Parlamente lassen es so zu, wie es jetzt ist. Eine bessere Abstimmung wäre theoretisch möglich. Regelung wäre da, man müsste sie nur mit Leben füllen. Abgeordnete müssten sich dann damit beschäftigen. Reformpakete des Bundes werden nie abgestimmt mit Ländern.“


ERFAHRUNGEN UND EINSCHÄTZUNGEN AUS DER PRAXIS

2.2

Themenbereich 2 – Finanzausgleich 1. Braucht es eine Reform des Finanzausgleichs – in seiner Gesamtheit als System oder nur einzelner Elemente innerhalb des bestehenden Systems?

Der überwiegende Teil der Interviewpartner sieht die Notwendigkeit einer Finanzausgleichsreform. Hingegen besteht keine Einigung hinsichtlich des Reformprozesses. Weitgehend Skepsis besteht in Bezug auf einen ganzheitlichen Wurf, wohingegen ein schrittweises Reformieren in sieben Interviews explizit angesprochen wurde. Ein schrittweises Vorgehen kann sich beispielsweise auf Pilotprojekte bzw. einzelne Aufgabenbereiche beziehen, aber auch auf das grundsätzliche Definieren von Inhalten und Zielen der Reform. Generell überwiegt jedoch die Skepsis gegenüber der Machbarkeit von grundlegenden Finanzausgleichsreformen. Insgesamt liegen dreizehn Antworten vor. Ausgewählte Antworten: Grundsätzliche Antwort zur Klärung des Reformbedarfs: 

„Es braucht keine Reform der Reform wegen. Zu definieren ist daher, wo und warum Reformbedarf besteht, und vor allem, was das Ziel der Reform ist.“

Braucht es eine Gesamtreform?   

„Ja, das FAG ist zu stark formal und zu wenig auf das Inhaltliche orientiert.“ „Ja, sie wurde schon mehrfach politisch angestrebt, bisher jedoch kaum realisiert.“ „Ja, aber wir schaffen keinen großen Wurf. Die Gefahr bei Pilotprojekten ist, dass isoliert einzelne Aspekte herausgegriffen werden und zu wenig die Wechselwirkungen innerhalb des FA-Systems berücksichtigt werden.“ „Ja, es braucht eine Reform des Finanzausgleichssystems. Die auf einzelne Aufgaben und deren Finanzierung bezogenen beschränkten Bund-Länder- Vereinbarungen nach Art. 15a machen die finanziellen Beziehungen zwischen den Gebietskörperschaften noch unübersichtlicher und fördern die Ergebnisverantwortung nicht.“ „Es geht zunächst um das teils widersprüchliche System (zwischen FA des Bundes und dem landesinternen FA).“

Sind nur Teilbereiche reformbedürftig? 

 

„Kein grundlegender Reformbedarf. Der Prozess muss geändert bzw. auf das Wesentliche gekürzt werden. Die vertikale Verteilung muss viel stärker diskutiert werden. Die horizontale Verteilung hat in der Diskussion mit dem Bund nichts verloren.“ „Bin eher skeptisch gegenüber einem großen Wurf. Realistischer ist ein schrittweises Vorgehen.“ „Berücksichtigung von einzelnen Aufgaben (z.B. Nachholbedarf, Qualitätsverbesserungen) wäre erforderlich. Generelle Reform könnte zu schwierig werden, jedoch schrittweise – bezogen auf einzelne Aufgabenbereiche etwa – erscheint Reformieren möglich.“ „Eine Einigung darüber, wer für welche Aufgaben zuständig ist, wäre erforderlich. Transparenz schaffen wäre wichtig.“

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ERFAHRUNGEN UND EINSCHÄTZUNGEN AUS DER PRAXIS

2. Wie schätzen Sie die Verhandlungen zum FAG 2017 hinsichtlich Stärken und Schwächen sowie Verhandlungsdesign ein? Bei jenen Interviewpartnern, welche Einblick in die konkreten Verhandlungen zum FAG 2017 hatten, wurden mehrere kritische Aspekte im Verhandlungsprozess angesprochen, wie insbesondere:        

fehlende gemeinsame Zielfestlegungen – dies hat etwa auch zum Scheitern der Aufgabenorientierung geführt; unzureichende empirische Entscheidungsgrundlage; mangelnde Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit; Blockaden aufgrund eines unzureichenden Interessenausgleichs; Gleichberechtigung der Verhandlungspartner realpolitisch nicht gegeben – dies gilt vor allem für die Gemeindeebene; Mangel an politischem Mut; Verhandlung einer großen Themenvielfalt, die teils nichts mit dem FAG zu tun hatten (z.B. Eisenbahnkreuzungen, Transparenzdatenbank); Optimierungsmöglichkeiten im Projektmanagement (sehr große Teilnehmerzahl in Arbeitsgruppen, sehr häufige Treffen, fehlende Ergebnisorientierung der Tagesordnung, späte Bereitstellung der Sitzungsunterlagen).

Eine deutliche Mehrheit (bei insgesamt 10 Interviewpartnern) lieferten zu den beiden Teilfragen umfassende Antworten. Dabei haben sich die Antworten der Befragten zu beiden Fragen teils wiederholt, teils ergänzt. Fünf Befragte konnten keine Antworten geben, da sie an den Verhandlungen zum Finanzausgleich nicht teilgenommen haben. Ausgewählte Antworten: Welche Stärken und Schwächen hat der Verhandlungsprozess?    

 

   

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„Schwächen: Einseitige Vorgaben; subnationale Ebenen wollen mehr Geld bzw. keine Anteilsverluste.“ „Es ist eher eine Stärke, dass alle drei Ebenen miteinander verhandeln.“ „BMF gibt Themen vor. Länder und Gemeinden können nur Vorschläge machen.“ „Politische Ebene bzw. Kabinette der Ministerien brachten Vorschläge und Ideen ein, die unüberlegt waren (und Konsequenzen für die einzelnen Beteiligten nicht berücksichtigten).“ „Schwächen vor allem wegen mangelnder Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit . Es bräuchte eine Offenlegung der Verhandlungsunterlagen.“ „Es wurde in den Verhandlungen von vornherein keine substanzielle Änderung angestrebt, Dominiert haben dann aber politische Verhandlungsprozesse über Teilaspekte (Flüchtlinge, Pflegefonds, Eisenbahnkreuzungen, Transparenzdatenbank u.a.m.).“ „Wenig Gesprächsbereitschaft und Mangel an politischem Mut für Lösungen.“ „Reformprozess ist nicht ausreichend geplant, schlecht gesteuert (Zeitdruck); unverantwortlich.“ „Fehlende strategische Konsense seitens der Politik – wenigstens zwischen Bund und Ländern wäre dies notwendig.“ „Gemeinsame Ziele setzen, würde helfen.“


ERFAHRUNGEN UND EINSCHÄTZUNGEN AUS DER PRAXIS

Wie schätzen Sie das Verhandlungsdesign ein? (Projektmanagement, Interessenausgleich, Zielbestimmung, Aufbereiten der empirischen Fakten)?      

„Dieser Frage wird viel zu wenig Aufmerksamkeit beigemessen.“ „Bei den Verhandlungen ist wichtig, sich auf das Ziel der Reform zu einigen.“ „Es hilft, den FAG-Verhandlungs-Prozess so spät wie möglich zu beginnen. Je später er beginnt, desto eher schlagen Argumente der Gemeinden und Länder durch.“ „Es gibt zu viele Themen, die mit dem FAG nichts zu tun haben.“ „Frage ist nicht einschätzbar, da nicht öffentlich.“ „Länder verweisen darauf, dass neues FAG nur bei frischem Geld zustande kommt. Neue Themen brauchen neues Geld. Dieses kann nur vom Bund kommen. Länder vereinnahmen auch die Gemeindeebene und tun so, als ob sie für diese mitverhandeln. Das ist aber nicht so.“ „Organisation des Verhandlungsprozesses erschien problematisch. Die Arbeitsgruppen waren sehr groß (viele Vertreter der Länder). Während die „politischen Treffen“ einmal im Monat stattfanden, trafen sich die Arbeitsgruppen teilweise schon 2 Mal pro Woche.“ „Wenn etwas paktiert ist und man es nicht umsetzt, dann muss ich zumindest wieder dieselben Akteure einbinden und ein neues Paktum abschließen oder ich führe die Sache ad absurdum.“ „Es gab schon von Seite des BMF ein Projektmanagement. Die Organisation an sich war nicht schlecht. Nur ist es an anderen Dingen gescheitert (Datenlage, späte Protokollübersendung, mangelnde Konsensfähigkeit).“ 3. Wie schätzen Sie den strategischen Reformprozess zum Finanzausgleich ein – insbesondere seit 2008?

Insgesamt liegen von sieben Befragten Antworten vor. Dabei ist erkennbar, dass mehrheitlich negative (kritische) Kommentare vorliegen und ein gesamthafter Reformprozess nicht erkennbar ist. Die Erklärungsansätze hierfür sind vielfältig, etwa wechselnde politische Konstellationen, Mängel im Projektmanagement, fehlende Sachlichkeit im Diskussionsprozess, fehlende Zieldiskussionen und mangelnde Verknüpfung mit der Aufgabensteuerung, das „Nicht-VerlierenDürfen“ als vorrangiges Ziel und fehlender politischer Lösungswille. Ausgewählte Antworten: 

  

„Ein gleichgerichtetes, grundsätzliches Reforminteresse über mehrere Finanzausgleichsperioden ist ableitbar, nämlich bezüglich der Ausweitung des Steuerverbundes, der Reduzierung des abgestuften Bevölkerungsschlüssels sowie des wiederkehrenden Versuchs des Bundes, Reformen der Länder durch Zuteilung neuer Geldmittel zu erkaufen.“ „Kein Interesse des Bundes an grundlegenden Reformlösungen. Diskussion zu Ziel und Ausprägungsmöglichkeiten der Aufgabenorientierung hat es nicht gegeben.“ „Ich sehe den gesamthaften Reformprozess nicht; Reformen gab es nur im FAG ieS.“ „Die Realisierbarkeit einer gesamthaften Reformstrategie hängt weniger von der Mentalität als von der Machtfrage ab. Es bestehen ausreichend Studien zur FAG-Reform, aber am Schluss entscheiden die reinen Zahlen punkto Verlusten oder Zugewinnen. Das ist schwer zu durchbrechen.“

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ERFAHRUNGEN UND EINSCHÄTZUNGEN AUS DER PRAXIS

„Es braucht keine Fachexperten, vielleicht Moderatoren. Jedenfalls wäre mehr politischer Lösungswille und Bereitschaft zu oft aufwendiger Konsensentwicklung notwendig. Heute verfällt man zu leicht in populistische ‚Scheinlösungen‘.“

4. Woran scheiterten bisherige Reformen? Es liegen Antworten von 12 Interviewpartnern vor, welche sehr unterschiedliche Problemfelder ansprechen: 

akteurbezogene Aspekte, wie etwa Interessenunterschiede, fehlende Ernsthaftigkeit der Akteure zur Umsetzung von grundlegenden Reformen („Nicht-Verlieren“ als oberstes Ziel), mangelnde politische Entscheidungsstärke, fehlende sachliche Diskussionen, unzureichende Kooperationsbereitschaft; Verhandlungsdesign, etwa unzureichende Planung des Verhandlungsprozesses (z.B. konkrete Maßnahmenpakete), ein zu enger Begriff des Finanzausgleichs, unzureichender Interessenausgleich, intransparente Entscheidungsgrundlagen; Steuerung und Management, wie insbesondere die fehlende Verknüpfung von Aufgabensteuerung und Finanzausgleich, unzureichende Zieldefinitionen, fehlende gemeinsame Zielentwicklung.

Die Antworten zu dieser Frage überschneiden sich vielfach mit den bereits behandelten Fragen 1 bis 3. Deshalb sollen hier nur bisher nicht genannte inhaltliche Antworten auszugsweise angeführt werden: Ausgewählte Antworten: 

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„Zieleinigung ist notwendig, sonst scheitern Reformen an gegensätzlichen Interessen und Vorstellungen. Man muss die Diskussion über die Reformziele zu Beginn der Verhandlungen oder noch früher beginnen; man muss hinterfragen, warum ein Partner etwas fordert - die Forderung muss verstanden werden.“ „Mangelnde Transparenz und Machterhalt. Zitat eines Landeshauptmanns: ‚Erst muss die finanzielle Welt für das Land in Ordnung sein, dann kann man über Solidarität reden‘. Solange diese Mentalität herrscht, wird es schwierig, neue Prozesse loszutreten. Wir brauchen neue Player. Alte Denkweisen (Reservationen und Mentalitäten) müssen über Bord geworfen werden.“ „Unbefriedigende Planung des Verhandlungsprozesses – ein zu enger Begriff des Finanzausgleichs dominiert (= Mittelverteilung); keine Strategie bezüglich prioritärer Aufgaben. Kein Commitment bzw. wenig Kooperationsbereitschaft. Die explizite (oder implizite) Vorgabe, kein Partner dürfe bei einer Neuordnung des Finanzausgleichs Finanzmittel verlieren, ist für einen kreativen Prozess ziemlich kontraproduktiv (es gibt z.B. auch die Möglichkeit nichtmonetärer Ausgleiche).“ „Wir sind bereit, eine Systemreform mitzumachen, auch wenn wir nichts gewinnen, wir wollen aber nicht groß verlieren (...) Verlierer müssen ausgeglichen werden. Es darf nicht sein, dass Zugewinne einzelner Länder durch Verluste anderer Länder finanziert werden.“ „Keine Bereitschaft der Länder in den Verhandlungen zur Bereitstellung der notwendigen Daten bei den Länder-Gemeinde-Transfers, um Entscheidungsgrundlage zu haben. Evaluierungen zum FAG 2008 wurden im Verhandlungsprozess des FAG 2017 nicht außer Streit gestellt. Sie spielten keine Rolle.“


ERFAHRUNGEN UND EINSCHÄTZUNGEN AUS DER PRAXIS

 

„Datengrundlage war z.B. für die Aufgabenorientierung in der Elementarbildung (bei Verhandlungen zum FAG 2017) nicht valide bzw. Datenqualität war nicht gegeben. Datenbasis müsste vorab festgelegt werden und man müsste sich strategisch auf eine plausible Prognose einigen. BMF hat dafür generell eine bessere Position, das zu organisieren, bspw. weil Beziehung zu Statistik Austria besteht.“ „Die 15a Vereinbarungen sind ein Anreizsystem; nach dem Auslaufen der Vereinbarungen wird man jedoch mit der Finanzierung allein gelassen.“ „Die Mittel in der Elementarbildung, die für die Gemeinden bestimmt sind, werden auch ausgeschüttet; kein Euro bleibt beim Land (….) Der Landeshauptmann kämpft auch für die Gemeinden, 13% unserer Ertragsanteile gehen an die Gemeinden. Gemeindeverband arbeitet mit dem Land (…) gut zusammen. Im FA ist immer jemand nicht zufrieden; Gemeinden sitzen mit am Verhandlungstisch, aber danach fordern sie wieder etwas vom Land.“ „Solidarität zwischen Land und Gemeinden wird sehr groß geschrieben im Land (…). Für die Städte ist dies ganz schwierig, da sich die Solidarität v.a. auf die Zusammenarbeit mit dem Gemeindeverband (= Gemeindebund) erstreckt. Das ist politische Realität. Die Solidarität im Gemeindeverband erstickt die Stimmen der Städte vielfach. Diese Sichtweise stellt die reale Gewichtung dar, wird jedoch im Kontext des FA nicht berücksichtigt.“ „Es fehlte auch ein Managementansatz: Vision, Mission, Leitlinien, Strategie, Maßnahmenplan. An einem solchen Modell könnten sich alle orientieren.“ 5. In welche Richtung soll sich das System des Finanzausgleichs entwickeln?

Dazu liegen teils verbunden mit bereits behandelten anderen Fragen mehrere Aussagen vor. Sie betreffen zunächst die Verknüpfung von Aufgaben und Mittelzuteilung in einzelnen Bereichen gemeinschaftlicher Aufgabenerfüllung. Zu dieser Frage liegen 10 Antworten vor, wobei in drei Interviews die Realisierung der Verknüpfung von Aufgaben und Mittelzuteilung als schwierig eingeschätzt wurde. Stellvertretend für diese Antworten sollen folgende Aussagen angeführt werden: Ausgewählte Antworten: 

 

„Die Verknüpfung von Aufgaben und Mitteln und damit ein umfassenderes Verständnis von Finanzausgleich kommen heute zu kurz; dies zu ändern hätte hohe Priorität und erscheint mir durchsetzbar.“ „Es braucht die Verschränkung von Aufgabensteuerung und Mittelverteilung. Geld folgt den Aufgaben; aber es muss auf Effizienz geachtet werden.“ „Die aufgabenbezogene Strukturierung der Tiroler Gemeinden nach Zentralitätsgraden erscheint hilfreich, weil man Mittelbedarf nach Gemeindekategorie abschätzen könnte. Allerdings sind sie vergangenheitsbezogen und ohne Bezüge zu eventuellen vergangenen oder künftigen strategischen Schwerpunktsetzungen.“

Die Frage nach der Verstärkung der subnationalen Abgabenhoheit zur Sicherung autonomer Aufgabenerfüllung und von Effizienz auf jeder Ebene hat ebenfalls große Beachtung in mehreren Teilen der Befragung gefunden. Insgesamt liegen acht zustimmende Antworten vor; vier Interviews haben dazu keine Aussagen gemacht.

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ERFAHRUNGEN UND EINSCHÄTZUNGEN AUS DER PRAXIS

Grundsätzlich spricht man sich für eine stärkere Abgabenautonomie aus. Jedoch ist je nach Ebene zu differenzieren: 

Auf Gemeindeebene befürworten mehrere Interviewpartner vor allem eine funktionsfähige Grund- und Kommunalsteuer (z.B. durch eine Valorisierung der Einheitswerte bei der Grundsteuer). Die Antworten zur Frage der Abgabenautonomie der Länder waren stärker differenziert als jene für die Gemeinden. Meist wurde darauf hingewiesen, dass diese nur bei einem relevanten Steuervolumen sinnvoll ist. Die Schaffung zusätzlicher Finanzverwaltungen soll jedenfalls vermieden werden. Ein Steuerwettbewerb zwischen den Ländern wird weitgehend für nicht sinnvoll erachtet, dafür sei Österreich ein zu kleines Land.

Ausgewählte Antworten:  

„Für Gemeinden braucht es eine funktionsfähige Grundsteuer und Kommunalsteuer.“ „Auch innerhalb der Länder besteht keine einheitliche Position. Klar ist, dass die bei Einführung einer Abgabenautonomie entstehenden Verluste, nicht durch einen länderinternen Finanzausgleich aufgefangen werden können. Darüber hinaus sollten nicht nur Bagatellsteuern, sondern auch aufkommensintensive Steuern betrachtet werden (z.B. Einkommensteuer).“

Die nächste Frage bezieht sich auf das Entwickeln ausgewogener Ziele für den Finanzausgleich (das FAG und die landesinternen Finanzausgleiche) unter Berücksichtigung mehrerer Zieldimensionen (z.B. Wirtschaftspolitik, Demokratiequalität, Effizienz). Elf Interviewpartner halten diese Forderung für sinnvoll, davon sieben auch umsetzbar, die restlichen vier für nicht oder nur schwer umsetzbar. Drei Personen haben dazu keine Angaben gemacht. Die finanzpolitisch bedeutsame Frage nach einer besseren (funktionalen) Abstimmung der hauptsächlichen Finanzausgleichsinstrumente, die in mehreren vorliegenden Expertisen als dysfunktional bezeichnet wird, ist von 10 Interviewpartnern beantwortet worden. Sechs sehen dies als machbar, vier weitere befürchten größere Probleme bei der Umsetzung. Vier Befragte haben dazu keine Antworten gegeben. Die abschließende Frage betrifft die Ausrichtung des Finanzausgleichs am Kriterium der Wirkungsorientierung, das bereits in die Budgetierungsvorschriften des Bundes und einiger Bundesländer Eingang gefunden hat. Hierfür stimmen 10 Interviewpartner, zwei davon haben Bedenken hinsichtlich der Umsetzung, eine Person hält dieses Thema nicht für sinnvoll. Die folgende Abbildung 11 erleichtert den Überblick über die wichtigsten hier angeführten Fragen hinsichtlich ihrer Umsetzbarkeit.

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ERFAHRUNGEN UND EINSCHÄTZUNGEN AUS DER PRAXIS

Abbildung 11: Umsetzbarkeit von Reform-(oder Entwicklungs)potenzialen des Finanzausgleichs(systems)

0

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Anzahl Nennungen 12 14

Verknüpfung Aufgaben und Mittel Schaffen ausgewogener Ziele unter Berücksichtigung mehrere Zieldimensionen Bessere Abstimmung der Instrumente (eigene Steuern, Steuerverbund, Transfers) Wirkungsorientierung Sinnvoll und umsetzbar

Sinnvoll, aber nicht / schwer umsetzbar

Nicht sinnvoll

keine Angabe

Quelle: KDZ: eigene Darstellung; auf Basis: Unterstützungsbögen zu den Interviews, 2019.

Von den genannten Maßnahmen erhielt die Verknüpfung von Aufgaben- und Mittelsteuerung klar die höchste Priorität. Abbildung 12: Priorität von Reform-(oder Entwicklungs)potenzialen des Finanzausgleichs(systems)

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Anzahl Nennungen 12 14

Verknüpfung Aufgaben und Mittel Schaffen ausgewogener Ziele unter Berücksichtigung mehrerer Zieldimensionen Bessere Abstimmung der Instrumente (eigene Steuern, Steuerverbund, Transfers) Wirkungsorientierung Quelle: KDZ: eigene Darstellung; auf Basis: Unterstützungsbögen zu den Interviews, 2019.

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ERFAHRUNGEN UND EINSCHÄTZUNGEN AUS DER PRAXIS

2.3

Themenbereich 3 – Eignung von Governance-Ansätzen

Governance-orientierte Reformen bieten mehrfache Chancen, da verschiedene Steuerungsbereiche angesprochen werden, mit denen die Abhängigkeiten zwischen den öffentlichen Akteuren besser berücksichtigt werden können. Ebenso fördern sie produktive Verhaltensweisen und Verfahren durch entsprechende Haltungen/Einstellungen, nicht zuletzt auch durch Governance-Mechanismen und Instrumente (z.B. Anreize). Allerdings sind diese Teilbereiche in der politisch-administrativen Praxis unterschiedlich entwickelt, teils sind nicht alle erforderlichen Voraussetzungen für deren Einsatz gegeben. Ein zentraler Ansatz der international üblichen Mehr-Ebenen-Steuerung, welcher für intergovernmentale Steuerungsprobleme herangezogen wird, besteht in der „Lücken- oder Schwachstellen-Analyse“. Diese ist oben erläutert worden. Sie liegt auch den Interviews zugrunde, da sie auf erprobte Verfahren zu deren Überwindung gerichtet ist. Die geführten Interviews erstreckten sich demgemäß auf die Vertrautheit/Kenntnis der Governance-Methodik, auf einzelne Einstellungen/Haltungen sowie auf mögliche oder bereits genutzte Mechanismen und Regelungen. 1. Braucht es weitere Konkretisierungen zum Governance-Ansatz oder ist dieser Begriff ausreichend bestimmt? Sind praxisorientierte Ansätze – wie die MehrEbenen-Steuerung – bekannt und nützlich? Neun Interviewpartner fänden weitere Erläuterungen zu Begriff, Mechanismen und Anwendungskonzepten von Governance nützlich, zwei davon beschränken dies explizit auf den Ansatz der Mehr-Ebenen-Steuerung. Drei Befragte fühlen sich ausreichend informiert, fünf haben dazu keine Meinung. 2. Können Sie einem konsensorientierten Ansatz von Gleichberechtigung der drei Ebenen zustimmen – Stichwort Netzwerk statt Hierarchie? In Bezug auf die Finanzausgleichsverhandlungen wird betont, dass formal alle Gebietskörperschaften – daher auch die Gemeinden – entsprechend der Finanzverfassung gleichberechtigt sind. Dies wird auch durch den Konsultationsmechanismus unterstützt. Realpolitisch werden jedoch durchaus andere Realitäten beobachtbar – insbesondere hinsichtlich der Position der Gemeinden, einzelner Bundesländer oder im vertikalen Verhältnis. Auch der Konsultationsmechanismus wird in einigen Interviews als „zahnlos“ bezeichnet. In zwei Interviews wurden auch 15a-Vereinbarungen kritisch angesprochen, von welchen Gemeinden derzeit ausgeschlossen sind. Neun Interviewpartner halten gleichberechtigte, netzwerkartige Beziehungen für wünschenswert. Gleichzeitig wird die Umsetzbarkeit in Frage gestellt, etwa zeigen sich politisch motivierte Umsetzungsprobleme (etwa fehlendes Vertrauen zwischen den Partnern) oder weitere zu klärende Fragen (etwa Eignung von Aufgabenbereichen). Sechs Befragte haben keine Aussage zur Frage gemacht.

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ERFAHRUNGEN UND EINSCHÄTZUNGEN AUS DER PRAXIS

Ausgewählte Antworten: 

   

„Was die Gemeinden anlangt, sieht die Finanzverfassung die Gemeinden als gleichberechtigte Partner. Realpolitisch sind Gemeinden aber wegen Interessengegensätzen schwächer.“ „Bei Art. 15a-Vereinbarungen wäre es analog zum ÖSTP und Konsultationsmechanismus kein Problem, die Vertretung der Gemeinden zu inkludieren.“ „Gleichwertigkeit der Gebietskörperschaften ist formal gegeben. Realpolitisch ergeben sich andere Realitäten.“ „Formen der hierarchischen Steuerung sind immer noch weit verbreitet. Mehr Denken und Agieren in Netzwerken wäre grundsätzlich wünschenswert.“ „Abbau von Hierarchien ist schwierig, Übergang zu Netzwerkdenken/gleichberechtigte Partnerschaft braucht noch Zeit und Vertrauensbildung.“

Eine kritische Sicht: 

„Es gibt keine gleichberechtigten Partner, sondern es ist eine Machtfrage – die Länder sind mächtiger als Städte und Gemeinden und häufig auch wie der Bund.“ 3. Verstehen Sie Kooperation und Wettbewerb (z.B. Benchmarks) zwischen Gebietskörperschaften als unvereinbar?

Diese Frage wurde von einer deutlichen Mehrheit der Befragten (10) nicht beantwortet. Ein Interviewpartner verweist darauf, dass Steuerwettbewerb nicht funktioniere. Fünf Befragte können dem Governance-Instrument Wettbewerb Einiges abgewinnen, insbesondere als Vergleichswettbewerb. Dazu stellvertretend ein Zitat: Ausgewählte Antworten: 

„Ein gewisser Wettbewerb der Ideen hat Charme und bietet Chancen, neue oder alternative Lösungen auszuprobieren. Aber Konkurrenz, die zu Effizienzverlusten führt, ist nicht erwünscht.“ 4. Wie stehen Sie zur Wirkungsorientierung als neuem Steuerungsfokus?

Neun Interviewpartner befürworten diesen Steuerungsansatz, vier weitere sprechen sich ebenfalls dafür aus, merken jedoch Probleme in der derzeitigen Handhabung (v.a. beim Bund) an. Zwei Zitate sollen diese Meinungen verdeutlichen: Ausgewählte Antworten:   

„Ausbau wäre hilfreich; eventuell beschränkt auf strategische Wirkungsziele bei den gemeinschaftlichen Aufgaben.“ „Wirkungsorientierung wird sehr positiv gesehen und im Land (…) bereits teilweise verfolgt.“ „Wirkungsorientierung ist prinzipiell sinnvoll, funktioniert aber auch auf Bundesebene noch nicht befriedigend.“

Eine weitere Antwort verweist darauf, dass die Steuerung über Wirkungsziele bei den Aufgaben und nicht bei der Finanzierung ansetzen sollte. Zwei Befragte haben keine Meinung mitgeteilt.

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ERFAHRUNGEN UND EINSCHÄTZUNGEN AUS DER PRAXIS

5. Ist die Weiterentwicklung der folgenden Regelungen für den weiteren Prozess von Föderalismus- und Finanzausgleichsreformen hilfreich? Zu dieser Frage kann sowohl auf Antworten aus den Interviews als auch auf die Ergebnisse aus den Unterstützungsbögen zurückgegriffen werden. Im Folgenden wird zuerst ein Überblick über die Antworten der Unterstützungsbögen gegeben und anschließend näher auf die Einschätzungen der Interviewpartner eingegangen. In den Unterstützungsbögen wurden die folgenden Governance-Ansätze verstärkt mit einer hohen Priorität versehen (über sechs Nennungen): vertrauensbildende Maßnahmen (9 Nennungen); Regeln für Koordination (8 Nennungen); Ziele und Strategien (strategischer Grundkonsense) (7 Nennungen); gebietskörperschaftsübergreifende Zielsteuerung bei Aufgaben und Finanzierung (7 Nennungen).

   

Abbildung 13: Priorität von Governance-Ansätzen

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Anzahl Nennungen 12 14

Ziele und Strategien Grundlagen zur Entscheidungsfindung weniger Hierarchie - mehr Netzwerke GK-übergreifende Zielsteuerung aufgabenkritische Instrumente Regeln für Koordination Verhandlungsdesign und Projektmanagement Vertragslösungen Schaffen von Innovationsräumen Institutionen der Mehr-Ebenen-Steuerung vertrauensbildende Maßnahmen Quelle: KDZ: eigene Darstellung; auf Basis: Unterstützungsbögen zu den Interviews, 2019.

Hingegen wird die Umsetzbarkeit der Regelungen deutlich differenzierter gesehen (Abbildung 14). Hohe Zustimmung hinsichtlich Sinnhaftigkeit und Umsetzbarkeit haben die folgenden Governance-Ansätze (über sechs Nennungen):   

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Ziele und Strategien (strategischer Grundkonsense); Grundlagen zur Entscheidungsfindung (z.B. gemeinsam anerkannte empirische Fakten und deren Einschätzung, auch Prognosen); Abbau von hierarchischem Entscheidungsverhalten / Stärken von gleichberechtigtem Agieren in Netzwerken;


ERFAHRUNGEN UND EINSCHÄTZUNGEN AUS DER PRAXIS

 

Regeln für Verhandlungsdesign und Projektmanagement im Kontext des Finanzausgleichs; Regeln für Koordination.

Anzumerken ist, dass zusätzlich dazu jeweils meist zwei bis drei Befragte die Ansätze zwar als sinnvoll erachten, aber auf die Schwierigkeiten bei der Umsetzung hinweisen. Bemerkenswert ist weiters, dass keiner der angeführten Ansätze als „nicht sinnvoll“ erachtet wurde. Allerdings wurde bei einigen Ansätzen verstärkt auf eine Angabe verzichtet, was ein Indiz auf eine sehr schwierige Einschätzbarkeit dieser Ansätze sein kann. Dies betrifft insbesondere:     

Regelungen von aufgabekritischen Instrumenten; vertrauensbildende Maßnahmen; (differenzierte) Vertragslösungen; Einrichten von Institutionen der Mehr-Ebenen-Steuerung; das Schaffen von Innovationsräumen.

Abbildung 14: Umsetzbarkeit von Governance-Ansätzen

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Anzahl Nennungen 12 14

Ziele und Strategien Grundlagen zur Entscheidungsfindung weniger Hierarchie - mehr Netzwerke GK-übergreifende Zielsteuerung aufgabenkritische Instrumente Regeln für Koordination Verhandlungsdesign und Projektmanagement Vertragslösungen Schaffen von Innovationsräumen Institutionen der Mehr-Ebenen-Steuerung vertrauensbildende Maßnahmen Sinnvoll und umsetzbar

Sinnvoll, aber nicht / schwer umsetzbar

Nicht sinnvoll

keine Angabe

Quelle: KDZ: eigene Darstellung; auf Basis: Unterstützungsbögen zu den Interviews, 2019.

Im Rahmen der Interviews ergaben sich dazu folgende Konkretisierungen: Ziele und Strategien werden als wichtig und grundsätzlich auch umsetzbar eingeschätzt. Dies betrifft etwa Strategien zur Weiterentwicklung des Finanzausgleichs, kann aber auch Strategien in einzelnen Aufgabenbereichen, wie etwa in der Pflege, betreffen. In mehreren Interviews wurde auf die schwierige und mühsame Konsensfindung hingewiesen. In einem Interview wurde auch die mangelnde Transparenz der Zielsetzungen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern angesprochen.

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ERFAHRUNGEN UND EINSCHÄTZUNGEN AUS DER PRAXIS

Ausgewählte Antworten:    

„Gesamtstaatliche Ziele und Strategien sind offensichtlich schwer zu vereinbaren, weil oft kein ausreichender Wille vorhanden ist.“ „Man kann sich schnell auf große Worte einigen, aber jeder versteht etwas anderes darunter.“ „Bei gesellschaftspolitischen Zielen ist es schwierig, einen Konsens zu finden.“ „Konsensfähigkeit von allen Partnern muss gegeben sein.“

In Bezug auf die Qualität der Grundlagen zur Entscheidungsfindung wird beispielsweise auf die hohe Komplexität und ein fehlendes gemeinsames Problemverständnis hingewiesen. Auch wurde die Notwendigkeit von mehr Sachlichkeit im Diskussionsprozess angesprochen. In einigen Interviews wurde darauf verwiesen, dass es gemeinsam anerkannte empirische Fakten benötigt, welche etwa durch neutrale Stellen (z.B. Budgetdienst, Wissenschaft) zu erstellen sind. Ausgewählte Antworten:   

„Daten sind immer ideologisch. Dennoch gibt es auch gemeinsam anerkannte empirische Fakten.“ „Es braucht mehr Sachlichkeit.“ „Es braucht Evaluierungen durch neutrale Stellen. Regierungsberichte sind wertlos, da beschönigt.“

Einer gebietskörperschaftsübergreifenden Zielsteuerung wird eine hohe Priorität zugemessen, die Umsetzbarkeit wird aber auch kritisch gesehen. Als bereits bestehende Beispiele werden der Stabilitätspakt oder die Zielsteuerung Gesundheit genannt. Als weitere sinnvolle Aufgabenbereiche wurden der öffentliche Personennahverkehr und die Pflege genannt. Ausgewählte Antworten:   

„Es bestehen punktuelle Fortschritte. Stabilitätspakt und Konsultationsmechanismus oder Zielsteuerung Gesundheit wären Beispiele dafür.“ „Diese ist umsetzbar, wenn der Leidensdruck groß genug ist (z.B. Zielsteuerung Gesundheit).“ „15a-Vereinbarungen sind definitiv keine Zielsteuerung.“

Aufgabenkritische Instrumente wurden in mehreren Interviews als grundsätzlich sinnvoll erachtet. Im Bereich der Umsetzung werden jedoch relevante Probleme angesprochen. Dies betrifft einerseits Bechmarking, dessen Entwicklung sich als sehr schwierig herausgestellt hat (Stichwort Transparenzdatenbank). Andererseits wurde die Umsetzung der mit dem FAG-Paktum beschlossenen Spending Reviews kritisch angesprochen (z.B. viele Akteure, unklare Zielsetzungen). Ausgewählte Antworten:   

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„Regeln für Benchmarking, Spending Reviews könnten Länder und Gemeinden jeweils von sich aus entwickeln.“ „Instrumente sind ja vorhanden und bekannt, sie werden aber nicht genutzt, ebenenübergreifend schon gar nicht.“ „Misslungener Prozess der Spending Reviews.“


ERFAHRUNGEN UND EINSCHÄTZUNGEN AUS DER PRAXIS

Regeln für Koordination wurden insgesamt als wichtig eingeschätzt. In mehreren Interviews wurde hierbei auf den Konsultationsmechanismus hingewiesen, welcher ein wichtiges Instrument im Zusammenspiel von Bund, Ländern und Gemeinden darstellt, aber auch noch mehr genutzt werden könnte. Ein Interviewpartner verwies auf die Wichtigkeit von Regelungen zur Entscheidungsfindung. Ausgewählte Antworten:   

„Regeln für Koordination funktionieren nur in einzelnen Bereichen. Wäre sinnvoll.“ „Regeln für Koordination, wie man zu Entscheidungen kommt, sind relativ wichtig.“ „Stabilitätspakt oder Konsultationsmechanismus funktionieren nur beschränkt, haben aber doch insgesamt zu besseren Ergebnissen geführt.“

Im Bereich Verhandlungsdesign und Projektmanagement wurde verstärkt die Möglichkeit eines neutralen Moderators diskutiert. Dabei zeigte sich, dass fünf Interviewpartner eher skeptisch und drei Interviewpartner tendenziell positiv gegenüber einem Moderator eingestellt sind. Begründung für die Skepsis sind etwa die Notwendigkeit, dass der Prozess in einer Hand bleiben muss oder dass der Moderator nicht anerkannt werden würde. Als weitere Aspekte zum Verhandlungsdesign und Projektmanagement wurden etwa genannt: eine Reduzierung der verhandelten Themen, mehr Transparenz, klare Ziele, kleinere Arbeitsgruppen, Transparenz von beauftragten Studien, gleicher Informationsstand. Ausgewählte Antworten:     

„Es könnte bei Verhandlungen zwischen Beamten/Experten durchaus sinnvoll sein, einen neutralen Dritten einzubinden, auf politischer Ebene ist dies jedoch schwer vorstellbar.“ „Neutraler Moderator bringt nichts. Muss einer im Bund sein, der an Lösungen interessiert ist.“ „Wichtig wäre eine neutrale und professionelle Moderation. Dies sollte eine methodisch ausgebildete Person sein und weder Politiker noch Beamter. „Verbesserungen im Verhandlungsdesign und Projektmanagement wären angebracht. Es besteht das Problem, dass das BMF Aufgabenverantwortliche nie mitreden lässt.“ „Bessere Lösung ist über mehr Transparenz und klare Ziele zu erwarten.“

Im Bereich der Institutionen der Mehr-Ebenen-Steuerung wurde in drei Interviews das Koordinationskomitee des Österreichischen Stabilitätspaktes als Beispiel angesprochen. Gremien wie dieses könnten zur besseren laufenden Abstimmung, aber auch zum Vorantreiben strategischer Themen zum Finanzausgleich geeignet sein. In einem Interview wurde die Frage zum Formalisierungsgrad gestellt. In einem Interview wurde vorgeschlagen, auch die Wissenschaft in solche Gremien einzubinden. Ausgewählte Antworten: 

 

„Eine wichtige Institution der Mehr-Ebenen-Steuerung zur besseren laufenden Abstimmung besteht bereits, nämlich das Koordinationskomitee im Rahmen des Österreichischen Stabilitätspaktes.“ „Grundsätzlich sinnvoll. Fraglich ist aber, ob Formalisierung notwendig ist.“ „Das Koordinationskomitee ist nicht transparent. Gremien könnten sinnvoll sein, wenn sie strategische Themen besprechen.“

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ERFAHRUNGEN UND EINSCHÄTZUNGEN AUS DER PRAXIS

Das Umsetzen von vertrauensbildenden Maßnahmen wurde zwar am häufigsten als prioritär bezeichnet, gleichzeitig wird die Umsetzbarkeit angezweifelt. In den Interviews wurde eine Vielzahl an vertrauensbildenden Maßnahmen genannt: Zusammenarbeit hängt von den Personen ab. Helfen würde mehr Zuhören, mehr Kompromissbereitschaft, Handschlagqualität, bessere Fehlerkultur, professionellere Zusammenarbeit; Schaffen einer Diskussionsbasis: mehr Diskussion über strategische Ziele, außer Streit stellen von empirischen Evidenzen, externe Evaluationen, Transparenz; Änderungen im Verhandlungsprozess: neutrale Moderation, mehr Geld vom Bund zur Vermeidung von Veto-Positionen, stärkerer Einbezug von Bürgerbeteiligung, ausreichendes Stimmrecht aller Gebietskörperschaftsebenen, Kontrolle von Verhandlungsvereinbarungen.

 

Ausgewählte Antworten: „Bei Konflikten müsste man auch versuchen zu verstehen, warum der Partner sein Veto einlegt.“ „Zusammenarbeit hängt stark von Personen ab.“ „Ganz wichtig: Man muss Menschen mitnehmen. Aber schwer vorstellbar, dass vertrauensbildende Maßnahmen bei den FAG-Partnern helfen, da sie misstrauisch sind.“ „Helfen würde neutrale Moderation, Handschlagqualität, rechtzeitige Bereitstellung der Sitzungsunterlagen.“

   

Zum Governance-Ansatz Hierarchie-Netzwerk sei auf die Frage 2 in diesem Kapitel verwiesen. In Bezug auf Vertragslösungen, Schaffen von Innovationsräumen sowie Zielentwicklungsprozess und Interessenausgleich waren die Nennungen zu gering, um fundierte Aussagen treffen zu können.

6. Eine abschließende Frage: Wird eine grundlegende Finanzausgleichsreform in den nächsten 20 Jahren gelingen? Hervorgehoben hat sich vor allem die Skepsis gegenüber einer grundlegenden Reform, solange der politische Wille fehlt und kein externer Druck herrscht. Mit der derzeitigen politischen Zusammensetzung wird nicht mit einer Priorisierung von Finanzausgleichsagenden gerechnet. Die relevanten Akteure seien derzeit in einer komfortablen Situation, daher mangelt es an Reformwillen. Im derzeitigen Format gilt vor allem die Vorgabe für die politischen Akteure, dass mehr Mittel für die eigene Ebene gesichert werden. Um mehr Bewegung ins Thema Finanzausgleich zu bringen, schlagen einige Interviewpartner vor, dass mehr Druck aus der Zivilgesellschaft kommen müsse. Auch die Einigung auf Ziele der Reform wird als Voraussetzung genannt. Zwar würde eine Zieldebatte eventuell länger dauern wie die tatsächlichen Verhandlungen über konkrete Regelungen. Aber bei ausreichend spürbarer subnationaler Abgabenautonomie, würde sich bspw. die Landespolitik auch für effizienteren Mitteleinsatz interessieren.

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ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN

V

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Nach Jahrzehnten des Zurückdrängens staatlicher Intervention in Wirtschaft und Gesellschaft der entwickelten Länder erleben wir nach der großen Bankenkrise, den Migrationswellen, der anhaltenden Arbeitslosigkeit einzelner Bevölkerungsgruppen und der anstehenden Klimakrise wachsenden Druck auf staatliches Handeln aller Ebenen – von der supranationalen bis zur kommunalen. In der Zeit einer Verunsicherung vieler Menschen und zahlreicher Wirtschaftssektoren richten sich Erwartungen und Forderungen an die EU und an den Sozialstaat, d.h. an Bund, Länder, Städte und ländliche Regionen. Sie gelten etwa besserer Bildung für die jungen Generationen, der Sicherung von Gesundheit und Pflege für die Älteren, mehr Investitionen in die Infrastruktur, Klimaneutralität beim Wohnen und Umverteilungsfragen. Allerdings erweisen sich die Organisationen des öffentlichen Sektors – nicht nur in Österreich – wegen der bestehenden Schwächen in Planung, Umsetzung und Finanzierung bei der Aufgabenerfüllung nur eingeschränkt handlungsfähig, um sich den globalen Herausforderungen sowie den Erwartungen der Bevölkerung stellen zu können. Die Idee einer zumindest auf gemeinsamen Grundwerten ausgerichteten Aktivierung des Staates liegt nahe. Dies umfasst Systemreformen von Basiseinrichtungen und Steuerungsprozessen einer demokratischen Republik, also auch der föderalen Organisation und des Finanzausgleichs. Diese beiden Grundlagen des staatlichen Handelns sind zwar nicht die einzigen – jedoch wegen nicht vorankommender Reformen – hochgradig erneuerungsbedürftig. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, zu untersuchen, inwieweit mit Public Governance alternative Reformstrategien für den Finanzausgleich im Mehr-Ebenen-System, daher innerhalb des föderalen Systems, beschrieben werden können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Finanzausgleich und die föderale Ordnung mehrfach miteinander verknüpft sind. Denn beide sind essentiell für Demokratiequalität und die Effektivität des staatlichen Handelns, ebenso bedingen sie sich gegenseitig – jedenfalls partiell. Schließlich sollen sie auch auf den gesellschaftlichen Wandel Bezug nehmen und politischen Prioritätensetzungen für künftiges Handeln dienlich sein. Theoretische Klärungen und bereits erprobte Konzepte von Public Governance liefern hierfür Ansatzpunkte. Denn Public Governance ist nicht nur eine „wissenschaftliche Kopfgeburt“126, sondern verleiht auch einer veränderten Realität Ausdruck. Mit „Good Governance“ als einem auch hierzulande verbreiteten normativen Konzept wird ein Handlungsrahmen zur gegenwärtig in Gang befindlichen Transformation des „hoheitlichen Interventionsstaates“ in verschiedene Formen des „Gewährleistungsstaates“ bzw. eines „kooperativen Staates“ geboten. Dieser Handlungsrahmen ist bisher für eine grundlegende Reform des Finanzausgleichs und des damit auch verbundenen föderalen Systems kaum genützt worden.

1

Governance zur Regelung von Strukturen und Prozessen staatlichen Handelns im Kontext von Föderalismus- und Finanzausgleichsreformen

Public Governance kommt vor allem deshalb ins Spiel, weil es zunehmend auf die Bewältigung von Interdependenzen bei der Erbringung kollektiver Leistungen und Wirkungen in diversen Regelungsfeldern ankommt. Governance wirkt – wie Mayntz127 vor mehr als zehn Jahren 126 127

Nach Benz. Mayntz: Governance Theory, 2005, S. 46.

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ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN

ausführte – in doppeltem Sinn, bezieht es sich doch „sowohl auf eine Handeln regelnde Struktur als auch auf den Prozess der Regelung“. Governance – dies wird im Kapitel II.3 behandelt – unterstützt die Weiterentwicklung staatlicher Strukturen und Handlungsweisen. Begründungen dafür sind die Notwendigkeit, effektivere, effizientere und demokratiefördernde Leistungen und Wirkungen zu erzielen und dabei mit den vielfachen Interdependenzen des öffentlichen Handelns (in inhaltlicher, institutioneller und strategischer Hinsicht) zu Rande zu kommen. Dafür sind formalisierte Vereinbarungen zwischen dem Bund und den subnationalen Ebenen, ebenso zwischen diesen und den aus dem staatlichen Verwaltungsbereich ausgegliederten Trägern für Teile öffentlicher Aufgaben (z.B. Betrieb öffentlicher Krankenanstalten als Kapitalgesellschaften) erforderlich. Auch andere Regelungsstrukturen, wie Setzen von Wirkungs- und Leistungszielen, Benchmarking, Korruptionsprävention und Beteiligungsmanagement zwischen Politik und Aufgabenträgern außerhalb der öffentlichen Verwaltungen sind wohl teils in Einführung, teils harren sie noch der Konzeption und/oder der Umsetzung. Der angesprochene Wandel verlangt – tendenziell zumindest – nicht-hierarchische, netzwerkartige und kooperationsfördernde Beziehungen zwischen den genannten Akteuren, besonders zwischen den einzelnen staatlichen Ebenen bei gemeinsamer Aufgabenerfüllung. Diese müssen jedoch auch formalisiert werden. Es geht deshalb um veränderte institutionelle Strukturen und Regelungsprozesse, vor allem um • die Suche nach Win-win-Lösungen anstatt dem Beharren auf unterschiedlichen Interessen und bescheidenen Kompromissen, • gegenseitige Rücksichtnahme statt Verweisen auf gesetzliche Regelungsbefugnisse aus früheren Epochen, • Einrichtungen wie Dialogplattformen, Planungsregionen, Benchmarking, • teilweisen Ersatz von Hierarchie als Steuerungsmechanismus durch gleichberechtigte partnerschaftliche Beziehungen sowie durch Vergleichen und Lernen voneinander, • Aufbau von mehr Vertrauen zwischen Regierten und Regierenden bzw. innerhalb der Regierungen und Parlamente. Generell zeigt sich in der Literatur über Governance-Netzwerke Konsens, dass gemeinsam getragene Werte, Haltungen, Konsense bezüglich der gewünschten gesellschaftlichen Wirkungen hilfreich für mehr Demokratie wären. Gleiches gilt für Diskussions- und gemeinsame Lernprozesse von gleichberechtigten Gebietskörperschaften und zivilgesellschaftlichen Institutionen. Allerdings führt das zu Spannungen zwischen repräsentativer Demokratie und Formen direkter Demokratie. Darauf verweisen auch Klijn/Koppenjan: “It can be argued that governance networks are often based on alternative sources of democratic legitimacy“128. Die OECD129 gliedert das System von Public Governance in drei miteinander verknüpfte Teilbereiche, nämlich „values, enablers und instruments/tools“. Teile des politisch-administrativen Systems und seiner Akteure in Österreich folgen jedoch nach unseren Beobachtungen und Analysen zu wenig diesen drei verschiedenen Zugängen: Verwaltungsreform, Bundesstaatsreform oder Finanzausgleichsreform werden fast ausschließlich als Frage von

128 129

Klijn; Koppenjan: Governance networks in the public sector, 2016, S. 208. OECD: Policy Coherence for sustainable development, 2019.

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ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN

Kompetenzen, Institutionen, Ressourceninput sowie von bürokratischen Regelungen verstanden.130 Dies wird auch aus den kurzen Betrachtungen zu Status quo und Reform des Finanzausgleichs und des föderalen Systems in der vorliegenden Arbeit ersichtlich. Kapitel II.1 beschäftigt sich mit dem Finanzausgleichsbegriff, den Finanzströmen, dem Reformbedarf und den zuletzt neuerlich gescheiterten Reformansätzen. Dabei werden u.a. konträres Verständnis von Begriff und Aufgaben eines Finanzausgleichssystems seitens Politik und Verwaltung einerseits und von Finanzwissenschafterinnen und -wissenschaftern andererseits sichtbar. Einige Staaten (z.B. Kanada, Schweden, Schweiz) zeigen, dass mit verschiedenen Reformen vielfach funktionierende Verknüpfungen von föderalem/dezentralem System mit verteilten Aufgaben, mit substanziellen eigenen Abgaben und eingeschränkter gemeinschaftlichen Finanzierung sowie mit verschiedenen Steuerungsgrundsätzen funktionieren. In Österreich fehlen hingegen Regelungen für gemeinsam festgelegte und überprüfbare Leistungs- und Wirkungsziele auf allen staatlichen Ebenen ebenso wie für Ergebnisverantwortung in den einzelnen Leistungsbereichen. Es besteht zudem eine ziemlich unterschiedliche Ausstattung (nicht nur aus Mitteln des Steuerverbundes) der subnationalen Ebenen für Aufgaben, die gemeinschaftlich wahrgenommen werden. Andere Schwachstellen sind ungenügende Absicherung der Autonomiebereiche der subnationalen staatlichen Ebenen und ausstehende Reformen in anderen Teilbereichen des Finanzausgleichssystems, wie z.B. der Abbau der zahllosen Transfers oder das Berücksichtigen von unterschiedlichen (Sonder-)Lasten im tertiären Finanzausgleich. Im Kapitel II.2 wird die Widersprüchlichkeit zwischen Kompetenzen und garantierten Autonomiebereichen sowie zwischen den föderalismusbezogenen Bestimmungen des B-VG und der Realverfassung des föderalen Systems behandelt.131 Daraus resultiert u.a., dass ein Bedarf nach teilweiser Entflechtung und/oder Neuordnung der Aufgabenzuständigkeiten im föderalen Staat und etwa nach politischer Koordinierung der Ziele in horizontaler, vertikaler sowie in regionaler Hinsicht besteht.132 Darüber hinaus erscheinen uns dynamik- und demokratiefördernde institutionelle und prozessbezogene Innovationen erforderlich, die für Bürgerinnen und Bürger nützlich wären, wie z.B. Planungsregionen, Partizipation in Bürger-, Schüler- und Seniorenräten, im Pflege-, Gesundheits- und im Bildungsbereich. Hierfür braucht es allerdings „Regelungen, die nicht behindern, sondern ermöglichend und legitimierend wirken.“133 Auch Vergleichswettbewerbe für Lebensqualität, ästhetische Gestaltung und klimaneutrale öffentliche Dienstleistungen zwischen Regionen, Städten und Gemeinden erscheinen uns wichtig. Auf eine solche Entwicklung des föderalen Systems sollte auch der Finanzausgleich – beispielsweise durch ausgewogene Ziele und/oder durch angemessene Anreize – ausgerichtet werden.

130 131

132 133

Siehe z.B. die Zusammenstellung der Vorstellungen der politischen Parteien zum föderalen System (Quelle: Standard 12.9.2019: Wo kann man Bürokratie vermeiden?) Eine pointierte Zustandsbeschreibung lieferte dazu Neisser (Perspektiven der österreichischen Bundesstaatsreform, 2011, S. 35): Die Praxis des österreichischen Föderalismus ist durch „wenig transparentes Political Bargaining (geprägt), in dem die politischen Akteure ziemlich ungehemmt versuchten, ihre politischen Interessen durchzusetzen (…) Auf Seiten des Bundes hindern bornierte Positionen der Verantwortlichen einen Fortschritt, auf Seiten der Länder erweisen sich Engstirnigkeit und Provinzialismus als Hemmschuh“. Siehe Biwald; Prorok: Vorwort, 2019, S. 14: „Verstärkte Notwendigkeit von Koordination und Abstimmung auf Augenhöhe zwischen den Akteuren aus Politik und Verwaltung ist eine zentrale Herausforderung für ein staatliches Gemeinwesen“. Hill: Trends und Treiber der Verwaltungsentwicklung, 2019, S. 28. Es braucht jedoch nicht nur Freiräume zum Denken, Handeln und Experimentieren, sondern auch Führung, „die deutlich macht (…), dass sie dahinter steht, offen ist für neue Ansätze und auch Fehler und Sackgassen toleriert“ (Hill: Wie geht Innovation, 2017, S. 271).

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ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN

2

Option einer governance-orientierten Reform von Finanzausgleich und föderaler Beziehungen

Die im Teil III entwickelte Option für eine governance-orientierte Reform des Finanzausgleichssystems, die zumindest bei den Grundwerten und Basisprozessen des Föderalismus gleichermaßen erforderlich erscheint, umfasst vier Teilbereiche (siehe Tabelle 4). Diese Gliederung basiert auf dem dreiteiligen Verständnis von Governance der OECD und berücksichtigt die verschiedenen (institutionellen, sachlich-fachlichen, interpersonellen) Interdependenzen, die auch mit dem Finanzausgleich zu adressieren wären. Zum Unterschied von der gegebenen Praxis versteht sich die hier vorliegende Option nicht als strukturell angelegte Mittelverteilung, sondern als System der Steuerung mehrerer verknüpfter Reformelemente. Tabelle 5: Eckpunkte einer governance-orientierten Finanzausgleichsreform Teilbereich

Bezug des Teilbereichs * Wertebasis des Agierens (z.B. Föderalismusmodell, Art der Kooperation) * Zielqualität (z.B. mehrere Zieldimensionen, Werte und Ziele für strategische Ausrichtung) den Finanzausgleich * Evaluierungen

Ansatzpunkte für Finanzausgleichsreformen * Stärkung des kooperativen Föderalismus gleichberechtigte Partnerschaft (Bund, Länder, Gemeinden) * Verknüpfung von Aufgabensteuerung und finanzpolitischen Entscheidungen * Einbezug von Leistungs- und Wirkungszielen * gebietskörperschafts-übergreifende Zielsteuerung * aufgabenorientierte Finanzierung

* Zuständigkeiten (Kompetenzverteilung) und Accountability * Ausmaß/Art an Kooperation Agieren in mehreren * Berücksichtigen von Handlungsfeldern Interaktionen * Organisationsprinzipien Formen/ (z.B. Hierarchie oder Mechanismen der Netzwerk) Steuerung * Demokratiequalität

* Verknüpfen von Föderalismus- und Finanzausgleichsreform * Entflechten und Neuordnen der Kompetenzen * Schaffen von Accountability * Stärken der gemeinschaftlichen Aufgabenerbringung * Sichern der finanziellen Autonomie der subnationalen Ebenen * Koordination der Parlamente der drei staatlichen Ebenen

* Aufdecken und Bearbeiten Instrumente der funktionaler/ Mehr-Ebenenorganisatorischer Defizite Governance * ergänzende Instrumente Quelle: Eigene Darstellung 2019.

* mehr Netzwerk und Abbau von Hierarchieelementen * dosierter politischer Wettbewerb (Benchmarking) * Stärken direktdemokratischer Elemente * bessere vertikale und horizontale Beziehungen * verbesserte Koordination bei gemeinschaftlicher Aufgabenerfüllung * Planung im regionalen Kontext * mehr Augenmerk auf Verhandlungsdesign und -prozess

Als wesentliche Reformelemente sind hervorzustreichen: 

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Die laufende Erfüllung gegebener gemeinschaftlicher Aufgaben einschließlich der Finanzierung aus Mitteln des Steuerverbundes möglichst anhand von Leistungskriterien (=Aufgabenbezug); einzelne Projekte/Programme bei spezifischen gemeinschaftlichen Aufgaben mit politischer Priorität (hinsichtlich Qualität und Quantität der Versorgung, Decken von Nachholbedarf, Mittelumschichtungen zu Gunsten neuer/prioritärer Verfahren), wofür pauschale oder leistungsbezogene Mittelzuweisungen an die Träger von Teilaufgaben und/oder an temporäre Fonds geeignet erscheinen;


ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN

das Sichern der Autonomiebereiche („eigene Aufgaben“) der beiden subnationalen Ebenen in Bezug auf die Verfügbarkeit eigener Ressourcen, das Stärken der horizontalen Abstimmung im Interesse von Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit; generell vermehrte indirekte Steuerung über die Mechanismen des Vergleichens und von Qualitätswettbewerben (in verschiedenen Formen, z.B. durch Einschätzungen der Leistungsempfänger/Nutzer, durch Vergleichen von Nutzen/Kosten) sowie durch Berücksichtigen der Ergebnisse aufgabenkritischer Evaluierungen und des Lernens voneinander; Design und Management der Verhandlungen, Organisation der Meinungsbildung zu Problemlagen, zu möglichen Lösungen, Risiken und zu Fragen zukünftiger Herausforderungen.

Es bestehen dabei Verknüpfungen bei mehreren Dimensionen:   

funktionell zwischen Aufgaben und deren Finanzierung; wertbezogen zwischen föderaler Partnerschaft und fairer Ausstattung mit Ressourcen im Weg des Finanzausgleichs; prozessbezogen zwischen den Akteuren, die sich nicht um Machterhalt, sondern um nachhaltige Lösungen für die Gemeinschaft engagieren.

Besonderes Gewicht wird der Konzeption und dem Ablauf der Verhandlungsprozesse sowie der Verhandlungsführung mit den verschiedenen Akteuren aus Politik, Verwaltung, Interessenvertretungen und Bürgerschaft in den unterschiedlichen Phasen der Reformprojekte beizumessen sein. Die Phasen betreffen die Aufbereitung des Status quo, die Festlegung eines strategischen Rahmens von Aufgaben- und Finanzierungszielen („Grundstrategie“, „institutionelle Architektur“), Autonomiebereiche und deren finanzielle Absicherung, gemeinschaftliche Aufgaben und Finanzierung sowie Folgenabschätzung für die mittelfristige Geltungsperiode. Weiters wäre auch die Differenzierung zwischen nationalen und regionalen Aufgaben- und Finanzierungsregelungen zu berücksichtigen. Ergänzend geht es unserem Verständnis nach um Konsultationen oder Abstimmungen zwischen Vertreterinnen und Vertretern der Regierung, des Nationalrates und der regionalen/kommunalen Ebene. Weiters wären Interessenvertretungen und die Zivilgesellschaft ernsthaft miteinzubeziehen. Hierfür sind Regeln für das Verhandeln, für das Beiziehen von Expertinnen und Experten sowie zur Festlegung der benötigten empirischen Evidenzen und Bedarfsschätzungen zu entwickeln und/oder zu vereinbaren. Zu betonen ist, dass eine solche grundlegende Reform eines Systems der aufgaben-orientierten Finanzierung im nationalen oder regionalen Kontext nur in Schritten bei jedem der angeführten Systemteile konkretisiert und umgesetzt werden kann und so als „work in progress“ zu qualifizieren ist.

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ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN

3

Erfahrungen und Einschätzungen von Vertreterinnen und Vertretern der Praxis

Zu der hier vorgestellten Option einer governance-orientierten Reform des Finanzausgleichs wurden auch Stellungnahmen und Einschätzungen von Führungskräften der Praxis eingeholt und in einem weiteren Teil dieser Studie aufgearbeitet.134 Hierfür sind 16 meist 1,5 stündige Interviews mit 22 Vertreterinnen und Vertretern135 öffentlicher Institutionen zu drei Themen geführt worden: zum Zusammenhang zwischen Föderalismus- und Finanzausgleichsreform, zu inhaltlichen Fragen einer Finanzausgleichsreform sowie zu Strategien und Instrumenten von Governance zur Umsetzung einer solchen Reform.

  

Die Ergebnisse bieten teils stark differenzierte, teils mehrheitlich ähnliche Einzelmeinungen, erheben jedoch keinen Anspruch auf Repräsentativität. Eine Zusammenfassung der Auswertung der Informationen zu Thema 1 „Zusammenhänge von Föderalismus und Finanzausgleich sowie Entwicklungsrichtung des föderalen Systems“ ergibt auf Basis weniger Aspekte immerhin ein „Bild“, das bei mehreren Antworten eine skeptische Grundhaltung über die Umsetzbarkeit erkennen lässt. Abbildung 15: Umsetzbarkeit von Föderalismusreformen – veränderte Steuerungsbereiche

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Anzahl Nennungen 12 14

Sichern von Autonomiebereichen aller Ebenen

Stärkeres Regeln von Teil-Verantwortlichkeiten bei Gemeinschaftsaufgaben

bessere Balance zwischen Autonomie/Demokratiequalität und Ökonomie/Effizienz

bessere Balance zwischen Regierung und Parlament

Sinnvoll und umsetzbar

Sinnvoll, aber nicht / schwer umsetzbar

Nicht sinnvoll

Quelle: KDZ, eigene Darstellung; auf Basis: Unterstützungsbögen zu den Interviews, 2019.

134 135

Für weitere Hinweise zur Methode siehe Kapitel IV. Insgesamt wurden 14 Erhebungsbögen befüllt.

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keine Angabe


ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN

Konkret betrifft dies:  

 

Finanzausgleichsreform ohne Bezug zur Weiterentwicklung des föderalen Systems macht keinen Sinn; eine häufig genannte Entwicklungsmöglichkeit ist, künftig subnationalen Ebenen bei der Aufgabenerfüllung (hinsichtlich Trägerschaft und Ressourcenbedarf) mehr Gewicht einzuräumen; dies gilt jedoch nicht bei sämtlichen Aufgaben (z.B. Spitäler); mehrheitlich wird das Modell einer gleichberechtigten Kooperation zwischen den drei staatlichen Ebenen befürwortet, jedoch unter Bedingungen wie Reformen von Gemeindestrukturen, adäquate Verantwortlichkeit für eigene Einnahmen, verstärkte horizontale Kooperation; bei gemeinschaftlicher Aufgabenerfüllung wären klareres Definieren von Teilverantwortlichkeiten, gemeinsame Strategien bei einzelnen Aufgaben und Spielräume für den Vollzug auf den einzelnen Ebenen erforderlich; Demokratie- und Leistungsqualität wäre in besseren Einklang zu bringen; Parlamente könnten mehr mitreden; faktenbasiertes Entscheiden wäre besser als machtpolitisches Bargaining.

Eine Zusammenfassung der Antworten zu Fragen des Themas 2 „Finanzausgleich“ ergibt folgende Vielfalt an Argumenten: Abbildung 16: Umsetzbarkeit von Reform-(oder Entwicklungs)potenzialen des Finanzausgleichs(systems) 0

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Anzahl Nennungen 12 14

Verknüpfung Aufgaben und Mittel Schaffen ausgewogener Ziele unter Berücksichtigung mehrere Zieldimensionen Bessere Abstimmung der Instrumente (eigene Steuern, Steuerverbund, Transfers) Wirkungsorientierung Sinnvoll und umsetzbar

Sinnvoll, aber nicht / schwer umsetzbar

Nicht sinnvoll

keine Angabe

Quelle: KDZ: eigene Darstellung; auf Basis: Unterstützungsbögen zu den Interviews, 2019.

Mehrheitlich wird die Notwendigkeit einer Finanzausgleichsreform betont, jedoch bestehen geteilte Meinungen hinsichtlich einer schrittweisen oder einer Reform aus „einem Wurf“. Für eine Gesamtreform plädiert ein Interviewpartner mit dem Hinweis auf das gegebene teils widersprüchliche System zwischen dem bundesweit geltenden Finanzausgleich und einzelnen landesinternen Finanzausgleichen. Für eine Teilreform spricht z.B. das von einigen vertretene Argument, wonach es vorrangig um die vertikale Mittelverteilung gehen sollte.

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ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN

Woran bisherige (strategische) Reformanläufe scheiterten, wurde unterschiedlich beantwortet: etwa wegen mangelndem politischen Einsatz/Engagement und/oder unzureichend definierten Reformzielen, teils wegen ungenügendem Verhandlungsdesign (keine Verknüpfung von Aufgaben und Ressourcenverteilung, unzureichende bzw. intransparente Entscheidungsgrundlagen). Hinsichtlich der Weiterentwicklung des Finanzausgleichssystems wurde mehrfach der Wunsch nach stärkerem Verknüpfen von Aufgaben mit Mitteln genannt („Geld folgt den Aufgaben“). Weitere häufig genannte Zukunftsvorstellungen betreffen den Ausbau der subnationalen Abgabenautonomie (dies trifft klar auf die Gemeindeebene zu, bei den Ländern gab es unterschiedliche Einschätzungen), ausgewogene und zwischen den Ebenen abgestimmte Ziele, die Wirkungsorientierung und eine bessere Abstimmung der Finanzausgleichsinstrumente (insbesondere Reduzieren der Zuschüsse und Umlagen).

Die Meinungen zum Thema 3 „Eignung von Governance-Ansätzen“ lassen sich wie folgt zusammenfassen: Abbildung 17: Umsetzbarkeit von Governance-Ansätzen

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Ziele und Strategien Grundlagen zur Entscheidungsfindung weniger Hierarchie - mehr Netzwerke GK-übergreifende Zielsteuerung aufgabenkritische Instrumente Regeln für Koordination Verhandlungsdesign und Projektmanagement Vertragslösungen Schaffen von Innovationsräumen Institutionen der Mehr-Ebenen-Steuerung vertrauensbildende Maßnahmen Sinnvoll und umsetzbar

Sinnvoll, aber nicht / schwer umsetzbar

Nicht sinnvoll

keine Angabe

Quelle: KDZ: eigene Darstellung; auf Basis: Unterstützungsbögen zu den Interviews, 2019.

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Das gegebene Verständnis von Governance (Grundwerte, Ziele, Verfahren) erscheint eher begrenzt zu sein, da eine Mehrheit der Befragten weitere Erläuterungen zu Begriff, Mechanismen und zu den Ansätzen der Mehr-Ebenen-Steuerung nützlich fänden. Die Frage nach einer Erweiterung der Governance-Mechanismen (z.B. neben Hierarchie auch Wettbewerbs- und netzwerkorientierte-Konsenspräferenz und damit ein bottom-up Gegengewicht zum herrschenden Top-down-Mechanismus), wird zwar bevorzugt, doch sehen mehrere Interviewpartner erhebliche Umsetzungsprobleme. Vordergründig wird primär auf das Machtdenken der Politik, fallweise jedoch auf gegenseitige Abhängigkeiten der Akteure im föderalen System verwiesen. Wirkungsorientierung wird


ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN

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als deutlich wichtiger angesehen, wenngleich hierbei erhebliche strategische Schwächen in der Anwendung etwa beim Bund bestünden. Bezüglich des teils wenig bekannten/angewendeten Instrumentariums zeigt sich eine schwache Mehrheit interessiert an Regeln für Koordination und Zielabstimmung, für vertrauensbildende Maßnahmen und für konsensförderliches Verhandlungsdesign. Für Aufgabenkritik, Benchmarking und Innovationen gibt es eher beschränktes Interesse, obwohl diese Instrumente schon seit Jahren als nützlich propagiert werden. Der Ansatz der Mehr-Ebenen-Steuerung wird zwar grundsätzlich als nützlich angesehen, ist aber wohl zu wenig bekannt. Insgesamt erfahren die von der OECD forcierten Analyse- und Handlungsraster zu wenig Aufmerksamkeit. Diese beziehen sich u.a. auf Informations- und Kapazitätsmängel sowie auf eine verbesserte Zielabstimmung der Entscheidungsträger bei gemeinschatlicher Aufgabenerfüllung und auf verschiedene Formen innerstaatlicher Verträge.

Erkenntnisse und Schlussfolgerungen

Abschließend werden die bisherigen Erkenntnisse zusammengefasst und Eckpunkte einer alternativen Reformstrategie für den Finanzausgleich im Mehr-Ebenen-System herausgearbeitet. Wir gehen hierbei von drei Etappen aus. Zu Beginn gilt es, Governance als Lösungsansatz anzuerkennen und zu kommunizieren. Darauf aufbauend benötigt es Analysen über das Scheitern von Reformprojekten sowie von Evaluierungen des Status quo, um aus Vergangenem und Bestehendem zu lernen. Schließlich sollte daraus eine alternative Reformstrategie entwickelt werden. Unter Berücksichtigung der Governance-Perspektiven umfasst dies eine Optimierung des Reformprozesses, eine aufgabenorientierte Neukonzeption des Finanzausgleichs-Modells sowie verbesserte, kooperationsbezogene Interaktionen zwischen den Akteuren. Abbildung 2: Etappen und Eckpunkte einer alternativen Reformstrategie im Finanzausgleich

Quelle: KDZ: eigene Darstellung 2019.

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ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN

GOVERNANCE ALS LÖSUNGSANSATZ 1. Anerkennen der Eignung von Governance-Ansätzen Governance bietet mehr Erfolgsaussichten für grundlegende Reformen im Finanzausgleich und in der föderalen Kooperation als bisher verfolgte Ansätze und verwendete Methoden. Diese bestehen – verkürzt gesagt – meist aus Versuchen, die Komplexität zu reduzieren (etwa durch eine beschränkte Zahl der Beteiligten), durch frühzeitige Selektion von Lösungsoptionen, durch Vorgabe von „roten Linien“ und Nebenbedingungen u.a.m. Bestätigt wird deren Erfolglosigkeit mit dem seit Jahrzehnten kaum vorankommendem Entflechten bzw. Neuordnen der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern sowie mit nur punktuellem Vereinfachen des grundsätzlich hierarchisch angelegten und zu wenig auf Aufgabenlasten sowie künftige Erfordernisse abstellenden Finanzausgleichs. Governance setzt dagegen vor allem bei der Bewältigung von Interdependenzen an, welche die kollektive Erbringung von Leistungen und Wirkungen nachhaltig erschweren. Diese gegenseitigen Einflüsse und/oder Abhängigkeiten bestehen nicht nur zwischen einzelnen öffentlichen Aufgaben, sondern auch zwischen Akteuren und Organisationseinheiten aus Politik und Verwaltung sowie externen Akteuren. Schließlich spielt auch strategische Komplexität eine Rolle, weil die verschiedenen Akteure nicht vorhersehbaren Strategien folgen (können), wodurch die Entscheidungen auch unberechenbare oder unerwartete Ergebnisse mit sich bringen. Governance arbeitet deshalb mit einem Mix von Ansätzen, um angemessen mit den Interdependenzen umzugehen. Dazu gehören etwa das sorgfältige Abstimmen politischer Ziele der einzelnen Aufgabenträger, das Fördern von gegenseitigem Problemverständnis und Lernen voneinander, das Einsetzen von Vermittlern, das Verknüpfen von Lösungen mit Zusatzvereinbarungen u.a.m. Bei föderaler Staatsorganisation mit teils autonomer und teils gemeinschaftlicher Erfüllung von öffentlichen Aufgaben braucht es auch eine effektive und partnerschaftliche Mehr-EbenenSteuerung. Diese befasst sich mit dem Sichern von Kapazitäten für wirkungsbezogenes Koordinieren der Akteure auf und zwischen den einzelnen Ebenen. Weiteres Augenmerk wird auf verschiedene Ansätze für aufgabenorientierte Finanzierung von (vielfach) unterschiedlich erforderlichen öffentlichen Leistungen gelegt. Schließlich geht es um gemeinsames strategisches Handeln teil-autonomer Akteure mit oft divergierenden Problemverständnissen, Zielen und Lösungsansätzen. Unabhängig von den institutionellen Regelungen verlangt eine Mehr-Ebenen-Steuerung im Interesse der Lösungen für die Bürgerschaft auch mehr gegenseitiges Vertrauen und Bereitschaft zu Kooperation als bisher. Denn soziale Spannungen nehmen überall zu – im öffentlichen wie im privaten Sektor, national und international. Diese indirekt wirkenden Maßnahmen sollen Bedingungen schaffen helfen, „which enhance learning processes between parties focused on joint image building, on accomplishing enrichment and goal intertwinement, and on strategic and institutional learning processes (…) for increased cognitive reflection and substantive variety“.136 Damit versucht man demokratische Legitimation, Wirkungs- bzw. Nutzen-/Kosten-Relationen, nachhaltige Effizienz und Effektivität möglichst gut und kombiniert zu fördern. 136

Klijn; Koppenjan: Governance networks in the public sector, 2016, S. 300 ff.

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ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN

Daraus kann eine erste Schlussfolgerung gezogen werden: Die hier behandelte Option einer strategischen, governance-orientierten Finanzausgleichsreform böte ausreichende Grundlagen und Ansatzpunkte für einen weiteren Versuch zur Weiterentwicklung eines stärker aufgabenorientierten und kooperationsbetonten Finanzausgleichssystems. 2. Governance-Ansätze konkretisieren und kommunizieren: Schaffen eines gemeinsamen Verständnisses von neuen Governance-Formen und Regelungsbereichen In den Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern der Praxis zu den Ausarbeitungen und Vorschlägen der vorliegenden Studie wurde mehrfach fehlendes Wissen oder Skepsis über die Umsetzbarkeit von Governance geäußert oder diese ist erkennbar geworden. Daraus kann eine zweite Schlussfolgerung gezogen werden: Das Wissen über die analytischen Potenziale von Governance wäre zu verbreiten und zu stärken. Konkret betrifft dies die koordinierenden, vermittelnden und regulierenden Möglichkeiten, insbesondere in Verbindung mit Steuerungsmechanismen, wie politischer Wettbewerb und Verhandlungen zwischen gleichwertigen Partnern auf Augenhöhe.137 Auch der GovernanceTeilbereich von Werten, Haltungen und Zielen wäre anzusprechen. Kurzfristige Lösungen sind hier zwar nicht zu erwarten, allerdings sollte ein vielfältiges Bemühen um Annäherungen und besseres gegenseitiges Verständnis bei unterschiedlichen Haltungen und Einstellungen erbracht werden, was auf längere Sicht vorteilhaft erscheint. Jedenfalls gilt es, Vorbehalte bzw. negative Einstellungen zu „weicher, indirekter Steuerung“, zu neuen Regeln und Institutionen (wie Dialog-Plattformen), zur oft vernachlässigten Berücksichtigung empirischen Fakten und zu Überlegungen über mögliche künftige Entwicklungen abzubauen. Denn zu den heute dominierenden Verhaltensweisen trugen früher verwendete Entscheidungsmechanismen, Institutionen und Regeln bei. GOVERNANCE-ANALYSEN DES STATUS QUO

3. Lernen aus bisherigem Scheitern: Analysieren gescheiterter Projekte substanzieller Kompetenzentflechtungen und eines aufgabenorientierten Finanzausgleichs Trotz nützlicher Ergebnisse und Erkenntnisse der Beratungen des Österreich-Konvents, ist bisher zu wenig Nachdruck in die Aufarbeitung und Evaluierung dieses einmaligen, aber gescheiterten Reformansatzes138 gelegt worden. Auch der Versuch, Pilotprojekte für eine aufgabenorientierte Regelung des Finanzausgleichs im Bereich der Elementarbildung zu determinieren, ist an unzureichenden politischen Vorgaben und an zu wenig Bemühungen, Interessensgegensätze aufzulösen, gescheitert.139 137

Hammerschmid; Wegrich verweisen etwa darauf, dass „political rationality will always be a key driver of decision-making, and the task of (governance) reforms is to increase the quality of political decision-making…” (Infrastructure Governance, 2016, S. 53. Immerhin wurde mit der Reform der Verwaltungsgerichte ein Schwerpunktthema umgesetzt. Am 1.Jänner 2014 nahmen neun Landesverwaltungsgerichte, ein Bundesverwaltungsgericht sowie ein Bundesfinanzgericht ihre Arbeit auf. 139 Siehe Bauer et al.: Ergebnisse und Erkenntnisse, 2019, S. 176: „Als zentrale Reformhindernisse werden die hohe Komplexität der Steuerung im Finanzausgleich, Mängel im Zielentwicklungsprozess und ein nicht erfolgter Interessenausgleich im Verhandlungsprozess identifiziert“. 138

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ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN

Das Lernen aus dem Scheitern von Veränderungsprojekten und das Ableiten von weiteren Reformkonzepten erscheint uns jedoch nützlich und bringt wohl eher weniger Transaktionskosten mit sich, als die Opportunitätskosten für das weitere Hinnehmen längerfristig ineffizienter und ineffektiver Regelungen. Daraus kann eine dritte Schlussfolgerung gezogen werden: Es sollten ehestens Evaluierungen des gescheiterten Reformansatzes zur Aufgabenorientierung im FAG 2017 angestellt werden. Ebenso erscheinen uns kritische Analysen („gap analysis“) über die Stärken und Schwächen der gegenwärtigen Mehr-Ebenen-Steuerung in einzelnen Aufgabenbereichen (z.B. Bildung, Pflege) nützlich. Auch Gemeinschaftsprüfungen dieser Thematik durch den Rechnungshof und einzelne Landesrechnungshöfe könnten zur Aufarbeitung der Problematik beitragen. Immerhin ist die nachträgliche Annullierung der über viele Monate behandelten Aufgabenorientierung als Versagen politisch-administrativer Führungsarbeit zu qualifizieren. Über kurz oder lang wird erneut mit politischem Druck zu Gunsten von Optionen eines aufgabenorientierten Finanzausgleichs und vielleicht von grundsätzlichen Strategien zur Verknüpfung von Aufgaben und deren Finanzierung zu rechnen sein. Als ein Indiz für die Berechtigung dieser Schlussfolgerung kann das in den Interviews festgestellte Interesse von verschiedenen Vertreterinnen und Vertretern von Politik und Verwaltung an dieser Frage gewertet werden.

4. Bestehende Best-Practice-Beispiele nutzen: Aufarbeiten innovativer institutioneller Strategien und Steuerungsprozesse im öffentlichen Bereich Es liegen in einzelnen Bundes-, Landes- und Städteverwaltungen durchaus Beispiele für innovative Lösungen von Schnittstellenproblemen, von Koordinierungsprozessen und von Lösungsansätzen zu zukünftigen Problemlagen vor. Daraus kann eine vierte Schlussfolgerung gezogen werden: Es gilt, sich auf die Suche nach Best-Practice-Beispielen zu machen und dabei Erfolgsfaktoren (z.B. Ergebnisverantwortung und Rechenschaftspflicht) und notwendige Voraussetzungen (z.B. organisationskulturelle Innovationsbereitschaft) zu explorieren.

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ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN

ENTWICKELN ALTERNATIVER REFORMSTRATEGIEN

5. Optimieren des Reformprozesses: Verhandlungsdesign und Reformprozess unter Berücksichtigung von Governance-Ansätzen neu gestalten „Wicked problems that confront governments, private companies, and societal groups in the current complex society (…) require a shift from a more traditional top-down way of problemsolving to a more horizontal cooperative approach, which is often referred to as the shift from government to governance.”140 Geht man von gleichberechtigten und teils gegenseitig voneinander abhängigen Verhandlungspartnerinnen und -partnern für Reformen aus, die sich mit besserem Problemverständnis, unsicheren Zukunftserwartungen und neuen Lösungsansätzen auseinandersetzen wollen oder müssen, gilt es zuerst das Design und das Management der Verhandlungsprozesse darauf auszurichten. Dies bedeutet etwa inhaltliche Gestaltungsfragen und tradierte bzw. vorgefasste Lösungsansätze vorerst zurückzustellen. Vor allem deshalb, um gegenseitige Verständigung über die Reformziele, für den Umgang mit Interessensgegensätzen und für gegenseitiges Vertrauen zu erzeugen. Darüber hinaus wird man sich mit den Formen und Mechanismen von Governance unter Netzwerk-Bedingungen, um Kooperations- und Koordinationsbereitschaft (trotz der Möglichkeiten oportunistischem Verhaltens) in dynamischen Verhandlungssituationen und diesbezüglicher Regelungen bemühen müssen. Im Fokus stehen aber auch Regelungen141 zu Agenda und Ablauf der Verhandlungen, zur Zusammensetzung der Verhandlungsgruppen, zur Abstimmung sowie über Prozesse zur Konfliktlösung. Es geht dabei darum, nicht nur Stillstand der Verhandlungen zu vermeiden, sondern Win-win-Lösungen hervorzubringen. Als Erfolgsfaktoren können genannt werden:  die für Entscheidungen befugten Politikerinnen und Politiker wirken im Reformprozess bis zum Schluss selbst mit;142  einvernehmlich akzeptierte Statusberichte und andere Entscheidungsgrundlagen liegen vor;  Analysen von unzureichenden Koordinationskapazitäten und Transparenzdefiziten werden erstellt sowie strategisches Verständnis der Akteure liegen vor (z.B. gemeinsame Wirkungsziele, gemeinsames Lernen).

140

Klijn; Koppenjan: Governance networks, 2016, S. 4. Klijn; Koppenjan verweisen diesbezüglich auf „agreements about the structuring of the interaction, which means structuring via sub-arenas, task division, inclusion of research, and experts, symmetrical representation, and the choice of work methods (Governance networks, 2016, S. 298.) 142 Siehe hierzu Lienbacher (Verfassungsreform durch Konventsmethode, 2005, S. 51), der argumentiert, dass „die Konventsmethode für Verfassungsreformen bestimmten Funktionsbedingungen unterliegt, ohne die sie zu scheitern droht“. Zu diesen zählt er u.a. Engagement und Mitwirkung der Politik, Einbeziehen von Expertisen, die ständige Rückkoppelung zwischen Politik und Expertinnen/Experten, Einbindung von Bürgervertretungen. 141

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ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN

Die aus diesen Argumenten zu ziehende fünfte Schlussfolgerung lautet: Föderalismus- und Finanzausgleichsreformen wären zu verknüpfen. Es bedarf eines überlegten Vorgehens, beginnend etwa mit einer grundlegenden Bereitschaft zu Kooperation, mit schrittweiser Aufarbeitung einiger weniger Aufgabenbereiche. Dem Management der Verhandlungen zur Lösung komplizierter Probleme sollte mehr Bedeutung verliehen werden. Besonderes Augenmerk ist dabei auf folgende Aspekte zu legen: 

   

Erstellen strategischer Grundkonsense (daher gemeinsame, gebietskörperschaftsübergreifende Ziele und Strategien, Betonen der Nutzen für Bürgerschaft und Gesellschaft insgesamt); verbesserte Entscheidungsfindung (z.B. gemeinsam anerkannte empirische Fakten und deren Einschätzungen); mehr Netzwerk, weniger Hierarchie (gleichberechtigtes Agieren); Regeln für Verhandlungsdesign und Projektmanagement (z.B. zeitnahe Bereitstellung der Unterlagen, kleinere Verhandlungsrunden); vertrauensbildende Maßnahmen.

Damit wäre zwei offensichtlichen Schwachstellen von Reformen beizukommen: a) Begnügen mit dürftigen Kompromissen anstatt dem Annähern strategischer Einstellungen der Akteure zu Gunsten von Win-win-Lösungen und des Lernens miteinander und voneinander b) Vermeiden von hohen Transaktionskosten des Scheiterns von Verhandlungen und des Prolongierens des Status quo

6. Konzeption eines aufgabenbezogenen Finanzausgleichs-Modells: Unser strategischer Reformansatz zum Finanzausgleich und die Stellungnahmen aus der Praxis zeigen in einigen Punkten Übereinstimmung Eine inhaltliche Annäherung über die instrumentelle Ausgestaltung braucht zuerst ein gemeinsam getragenes Problemverständnis und die Bereitschaft, den Finanzausgleich als Verteilen von Aufgaben, Ausgabenlasten und Einnahmen zu verstehen und dazu die einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse anzunehmen. Die Umsetzbarkeit von strategischen Reformen im Finanzausgleich hängt schließlich von der Akzeptanz der Praktikerinnen und Praktikern ab. In Tabelle 6 werden unseren Vorschlägen für Optionen einer governance-orientierten Finanzausgleichsreform (Kapitel III) die Einschätzungen zur Akzeptanz aus Praxissicht (Kapitel IV) gegenübergestellt. Der Fokus liegt dabei auf der inhaltlichen Ausgestaltung des Finanzausgleichsmodells. In der letzten Spalte der Tabelle erfolgt eine Einschätzung, wie hoch die Akzeptanz für eine Umsetzbarkeit der einzelnen Maßnahmen ist. Dabei erfolgt eine Einschätzung nach zwei Kategorien: eine vergleichsweise hohe Übereinstimmung (++) oder eine beschränkte oder nur teilweise Übereinstimmung (+/-).

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ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN

Tabelle 6: Teilbereiche der Finanzausgleichsreform und ihre Akzeptanz in der Praxis Teilbereiche der Finanzausgleichsreform

Hauptaspekte

Akzeptanz der Praxis

(1) Werte und Ziele für den Finanzausgleich Modell des gleichberechtigten/kooperativen

Partnerschaft aller drei

Föderalismus

Gebietskörperschaftsebenen,

++

Stärken der horizontalen Kooperation Verknüpfen von Aufgaben und Finanzierung

aufgabenorientierte Mittelverteilung

++

vermehrte dezentrale

+/-

Aufgabenerfüllung verlangt zusätzliche Mittel Kohärenz nationaler und regionaler Regelung

keine Widersprüche

+/-

Balance von Demokratiequalität und

je nach Aufgabe

+/-

Effektivität/Effizienz Einbezug von Wirkungs- und Leistungszielen

über alle Ebenen abgestimmte Ziele

++

Wirkungsorientierung

+/-

Entflechten und Neuordnen von Kompetenzen

Stärken von Verantwortlichkeiten

++

Besseres Regeln der gemeinschaftlichen

Festlegen von Teil-

++

Aufgabenerbringung

Verantwortlichkeiten

Sichern der finanziellen Autonomie der

mehr Abgabenautonomie der

(2) Agieren in mehreren Handlungsfeldern

subnationalen Ebenen Stärken der Demokratiequalität

++

Gemeinden mehr Abgabenautonomie der Länder

+/-

bessere Balance zwischen Regierung

+/-

und Parlamenten (3) Formen/Mechanismen der Steuerung Mehr Netzwerk und Abbau von

gleichberechtigte Partnerschaft

+/-

Suche nach win-win Lösungen

+/-

Anreize für Verbesserungen

+/-

Gap-Analysen für bessere vertikale und

Feststellen von institutionellen

++

horizontale Beziehungen

Schwachstellen

verbesserte Koordination bei

Regeln für Koordination,

gemeinschaftlicher Aufgabenerfüllung

Schaffen gemeinsamer

Hierarchieelementen Besseres Verhandeln (vertikale Verteilung von Aufgabenträgerschaft und Ressourcen) Dosierter politischer Wettbewerb, Lernen voneinander (horizontale Koordination) (4) Instrumente der Mehr-Ebenen-Governance

++

Steuerungsinstitutionen Instrumente der Koordination

optimierte räumliche Planung und

+/-

Abstimmung Schaffen von Innovationsräumen

+/-

Differenzierte Leistungs-

nach regionalen Präferenzen

+/-

/Finanzierungsverträge

(Notwendigkeiten)

Quelle: KDZ: eigene Darstellung 2019.

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ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN

Die aus dieser Übersicht zu ziehende sechste Schlussfolgerung lautet: Teilweise bestehen bereits Übereinstimmungen zwischen Praxis und theoretischen Konzepten. Eine Neuausrichtung des Finanzausgleichs sollte daher jedenfalls die folgenden Elemente enthalten:  Modell des gleichberechtigten/kooperativen Föderalismus;  stärkeres Steuern mit Zielen (gebietskörperschaftsübergreifend, Wirkungsziele);  Verknüpfen von Aufgaben und Finanzierung;  Ausbau der subnationalen finanziellen Autonomie;  Stärken der Verantwortlichkeiten durch klare Kompetenzabgrenzungen insbesondere bei Gemeinschaftsaufgaben;  verbessere Koordinierungsinstrumente und -prozesse (vertikal und horizontal, mehr Netzwerk). Zentral wird bei der Umsetzung dabei die Einigung auf die jeweils allokativen, verteilungs- und demokratiepolitischen Ziele sein. Dies gilt insbesondere für die landesinternen Finanzausgleiche. Generell gilt es auch, die Einstellung zu Innovation als „Werthaltung“ durch verstärktes Bearbeiten von „Zukunft“ zu fördern. 7. Partnerschaftliches Agieren im Netzwerk Finanzausgleich und Föderalismus sollten, wie einleitend postuliert, heute im Sinn von Empfehlungen von Governance, insbesondere als Netzwerk gleichberechtigter Partner weiterentwickelt werden. Entscheidend für Reformen in beiden politischen Handlungsfeldern ist daher, ob sich die Akteure gegenüber den neuen Perspektiven von Governance aufgeschlossen zeigen und politische Kultur und Mut mitbringen.143 Gleichzeitig gilt es, die positiven Seiten des fest verankerten traditionellen Politik- und Managementverständnisses zu bewahren, nämlich mit ausreichender demokratischer Legitimation, Augenmaß und sozialem Verantwortungsbewusstsein. Es ist nämlich klar, dass auch Netzwerke ihre Schattenseiten aufweisen können, indem undurchsichtige Verflechtungen um sich greifen, indem offene Verhandlungsprozesse nicht immer zu Ende gebracht werden. Deshalb lautet die siebente Schlussfolgerung: Um den zunehmenden Herausforderungen gerecht zu werden, bedarf es einer stärkeren Interaktion in Netzwerken. Die gemeinschaftliche Aufgabenerbringung ist dabei als Stärke des österreichischen Föderalismus wahrzunehmen. Um jedoch Schnittstellenprobleme zu reduzieren, braucht es einer näheren Betrachtung und Lösung bestehender Lücken in der Zusammenarbeit. Insgesamt bedeutet dies ein stärker partnerschaftliches Agieren im Netzwerk – mit Augenmaß und Empathie.

143

Thienel (gegenwärtiger Präsident des Verwaltungsgerichtshofes) führt mehrere Gründe für die Schwierigkeiten von (Verwaltungs-)Reformen an und plädiert für institutionelle Änderungen zur Stärkung der politischen Entscheidungsträger sowie für mehr politische Kultur und Mut zur Überwindung von Widerständen (Verwaltungsreformen in Österreich, 2017, S.20).

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ANHANG

VI Anhang 1

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Etappen zu einer alternativen Reformstrategie im Finanzausgleich Abbildung 2: Äquivalenzprinzip im Föderalismus Abbildung 3: Schematischer Überblick über die Finanzströme in den Teilbereichen des Finanzausgleichs-Systems in Österreich Abbildung 4: Finanzierungsströme im Finanzausgleich, 2017 Abbildung 5: Schema des Governance-Systems Abbildung 6: Vertikale Koordinierungsinstrumente in OECD-Staaten Abbildung 7: Schritte bei Kontraktlösungen Abbildung 8: Steuerungsfaktoren für Performance im öffentlichen Sektor Abbildung 9: Umsetzbarkeit von Föderalismusreformen – veränderte Steuerungsbereiche Abbildung 10: Priorität von Föderalismusreformen – veränderte Steuerungsbereiche Abbildung 11: Umsetzbarkeit von Reform-(oder Entwicklungs)potenzialen des Finanzausgleichs(systems) Abbildung 12: Priorität von Reform-(oder Entwicklungs)potenzialen des Finanzausgleichs(systems) Abbildung 13: Priorität von Governance-Ansätzen Abbildung 14: Umsetzbarkeit von Governance-Ansätzen Abbildung 15: Umsetzbarkeit von Föderalismusreformen – veränderte Steuerungsbereiche Abbildung 16: Umsetzbarkeit von Reform-(oder Entwicklungs)potenzialen des Finanzausgleichs(systems) Abbildung 17: Umsetzbarkeit von Governance-Ansätzen

2

6 12 15 17 32 41 42 44 58 59 67 67 70 71 80 81 82

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Teilbereiche und Ansatzpunkte der Governance bei Finanzausgleichsreformen 5 Tabelle 2: Ausgewählte gebietskörperschaftsübergreifende Ziele und Maßnahmen im Bereich der Pflichtschulen 19 Tabelle 3: Lückenanalyse im Multi-Level-Governance-Ansatz der OECD 40 Tabelle 4: Eckpunkte einer governance-orientierten Finanzausgleichsreform 47 Tabelle 5: Eckpunkte einer governance-orientierten Finanzausgleichsreform 78 Tabelle 6: Teilbereiche der Finanzausgleichsreform und ihre Akzeptanz in der Praxis 89

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ANHANG

3

Literaturverzeichnis

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ANHANG

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ANHANG

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ANHANG

4

Interviewleitfaden und Unterstützungsbogen

4.1

Interviewleitfaden

Thema 1 – Weiterentwicklung Föderalismus und Finanzausgleich Unserer Einschätzung nach ist eine Finanzausgleichsreform ohne eine Föderalismusreform nicht möglich. Wir gehen dabei von notwendigen Grundsatzentscheidungen im Föderalismusmodell aus, welche auch einer Neuausrichtung des Finanzausgleichs zugrunde liegen müssen. 1) Ist eine grundsätzliche Finanzausgleichsreform ohne Föderalismusreform möglich? 2) Geht man von der heutigen Aufgabenverteilung und Finanzierung aus: Ist künftig mit mehr oder mit weniger Lasten, Ungleichgewichten auf den dezentralen Ebenen zu rechnen? 3) Sollte die – häufig konstatierte – Blockade im föderalen Gefüge durch Veränderungen in Kompetenzen, durch Verantwortung für Erfüllung von Teilaufgaben gelöst werden? Wären mehr Partnerschaft und Vertrauen hilfreich? Welche Konsequenzen für das demokratische System würden Sie erwarten? 4) Wie berücksichtigt man gegenseitige Abhängigkeiten? – Am besten gar nicht oder durch Kompromisse oder über Konsens? 5) Der Finanzausgleich wird zumeist nur als alleinige Mittelverteilung im föderalen Staat verstanden. Ohne Berücksichtigung der Aufgabensteuerung führt dies lediglich zu Verteilungsproblemen. a. Braucht es eine stärkere Verschränkung von Aufgabensteuerung und Mittelverteilung? b. Folgt Geld den Aufgaben oder begrenzen die Mittel Umfang und Qualität der Aufgaben? 6) Soll die Abgabenautonomie zur Sicherung autonomer Aufgabenerfüllung und von Effizienz auf jeder Ebene gestärkt werden? 7) In welche Richtung sollte sich der Föderalismus entwickeln? a. Zentralität oder Dezentralität b. Vollzugs- oder kooperativer Föderalismus? c. Sichern von Autonomiebereichen aller Ebenen d. Stärkeres Berücksichtigen von Gemeinschaftsaufgaben e. Abwägen (trade off) zwischen Autonomie/Demokratiequalität und Ökonomie/Effizienz f.

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Bessere Balance zwischen Regierung und Parlament


ANHANG

Thema 2 – Finanzausgleichsreform Die Reformbemühungen zum Finanzausgleich haben eine lange Geschichte. Mit dem FAG 2008 wurde eine Evaluierung des Finanzausgleichs vorgesehen, deren Ergebnisse auch in die Verhandlungen zum FAG 2017 einflossen. Grundlegende Reformen sind jedoch nicht gelungen. 1) Braucht es eine Reform des Finanzausgleichs? Sollte der Finanzausgleich in seiner Gesamtheit reformiert werden oder nur einzelne Elemente innerhalb des bestehenden Systems? 2) Wenn Sie an die Verhandlungen zum FAG 2017 zurückdenken: a. Welche Stärken und Schwächen hat der Verhandlungsprozess? b. Wie schätzen Sie das Verhandlungsdesign ein? (Projektmanagement, Interessenausgleich, Zielbestimmung, Aufbereiten der empirischen Fakten)? 3) Wie schätzen Sie den strategischen Reformprozess zum Finanzausgleich ein – insbesondere seit 2008? Können Sie einen durchgehenden und gesteuerten Reformprozess erkennen? Welche Stärken und Schwächen zeigen sich im aktuellen Reformprozess? 4) Woran scheiterten bisherige Reformen?

Thema 3 – Eignung von Governance-Ansätzen Wir gehen davon aus, dass Zielkonflikte und Konflikte bei der Mittelverteilung durch Public Governance leichter gelöst werden können. Darunter verstehen wir ein Steuerungssystem (Werte, Ziele; Mechanismen; Instrumente), welches sowohl die Akteure und die Interaktion derselben als auch konkrete Instrumente wie Regeln und Strukturen umfasst. 1) Braucht es weitere Konkretisierungen zum Governance-Ansatz oder ist dieser Begriff ausreichend bestimmt? Sind praxisorientierte Ansätze – wie die Mehr-Ebenen-Steuerung – bekannt und nützlich? 2) Können Sie einem konsensorientierten Ansatz von Gleichberechtigung der drei Ebenen zustimmen – Stichwort Netzwerk statt Hierarchie? 3) Wie stehen Sie zur Wirkungsorientierung als neuem Steuerungsfokus? 4) Ist die Weiterentwicklung der folgenden Regelungen für den weiteren Prozess von Föderalismus- und Finanzausgleichsreformen hilfreich (insbesondere auch unter Bezugnahme auf bestehende haushaltsrechtliche Regelungen)? Welche wären besonders dringlich? a. Ziele und Strategien (strategischer Grundkonsens zur Grundausrichtung) b. Grundlagen zur Entscheidungsfindung (wie gemeinsam anerkannte empirische Fakten und deren Einschätzung) c. Schaffen eines gemeinsamen Problemverständnisses d. gebietskörperschaftsübergreifende Zielsteuerung e. Festlegen von Grundsätzen bezüglich Einsatz von aufgabenkritischen Instrumenten (Benchmarking, Spending Reviews)

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ANHANG

f.

Regeln für Koordination (z.B. gegenseitiges Berücksichtigungsgebot bei der Normensetzung durch Bund, Länder, Gemeinden; Gleichstellung, Minderheitenschutz)

g. Verbesserungen im Verhandlungsdesign und Projektmanagement (v.a. Interessenausgleich) h. differenzierte Vertragslösungen nach Aufgaben oder Regionen i.

Schaffen von Innovationsräumen

j.

Einrichten von Institutionen der Mehr-Ebenen-Steuerung zur besseren laufenden Abstimmung

k. vertrauensbildende Maßnahmen 5) Wie kann insbesondere der Zielentwicklungsprozess und Interessenausgleich bei Finanzausgleichsagenden verbessert werden? 6) Eine abschließende Frage: Wird eine grundlegende Finanzausgleichsreform in den nächsten 20 Jahren gelingen? Ja oder nein – und warum (nicht)?

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ANHANG

4.2

Unterstützungsbogen

In welche Richtung sollte sich der Föderalismus entwickeln? Ausprägung

Nicht sinnvoll

Sinnvoll, nicht umsetzbar

Eher gleichberechtigter Kooperationsteilautonomer Gebietskörperschaften

Aspekt hoher Priorität

Vollzugsföderalismus

Mehr Dezentralität

Sinnvoll und umsetzbar

Zentralität

Sichern von Autonomiebereichen aller Ebenen Stärkeres Regeln von Teil-Verantwortlichkeiten bei Gemeinschaftsaufgaben bessere Balance zwischen Autonomie/Demokratiequalität und Ökonomie/Effizienz bessere Balance zwischen Regierung und Parlament

Nicht sinnvoll

Sinnvoll, nicht umsetzbar

Sinnvoll und umsetzbar

Aspekt mit hoher Priorität

In welche Richtung sollte sich der Finanzausgleich entwickeln?

Verknüpfung Aufgaben und Mittel Schaffen ausgewogener Ziele unter Berücksichtigung mehrere Zieldimensionen (z.B. Wirtschaftspolitik, Demokratiequalität, Effizienz) Bessere Abstimmung der Instrumente (eigene Steuern, Steuerverbund, Transfers) Wirkungsorientierung

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ANHANG

Ziele und Strategien (gemeinsamer strategischer Konsens) davon Vertr. aus Politik Grundlagen zur Entscheidungsfindung (z.B. gemeinsam anerkannte empirische Fakten und deren Einschätzung, gemeinsames Problemverständnis) Steuerung über Abbau von Hierarchie und Stärken von netzwerkartigen Beziehungen zw. Gebietskörperschaften gebietskörperschaftsübergreifende Zielsteuerung Festlegen von Grundsätzen bezüglich Einsatz von aufgabenkritischen Instrumenten (Benchmarking, Spending Reviews) Regeln für Koordination (z.B. gegenseitiges Berücksichtigungsgebot bei der Normensetzung durch Bund, Länder, inkl. Gemeinden; Gleichstellung, Minderheitenschutz) Verbesserungen im Verhandlungsdesign und Projektmanagement (v.a. Streben n. Interessenausgleich, Zusammensetzung der VerhandlungspartnerInnen) differenzierte Vertragslösungen nach Aufgaben oder Regionen Schaffen von Innovationsräumen Einrichten von Institutionen der Mehr-Ebenen-Steuerung (für Konsultationen, für Gleichstand bei Informationsversorgung, zur besseren laufenden Abstimmung vertrauensbildende Maßnahmen

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Nicht sinnvoll

Sinnvoll, nicht / schwer umsetzbar

Sinnvoll und umsetzbar

Regelung mit hoher Priorität

Mit welchen Regelungen kann die Föderalismus- und Finanzausgleichsreform unterstützt werden?



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