Informationsbrief Juni 2013

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Aus dem Inhalt

Neues aus Kirche und Welt Aus Lehre und Verkündigung »Einer ist euer Lehrer: Christus« Worum es wirklich geht Das Gottesreich und die Weltreiche Kritische Beobachtungen eines ehemaligen Religionslehrers 150. Todestag von Aloys Henhöfer Die prägnantesten »Ich bin«-Worte Jesu Christi Buchempfehlung: Karl Müller: Messias Israels für alle Völker

ISSN 1618-8306

Juni 2013 Nr.  278

Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium«


kurz+bündig Personen Roland Werner wurde Vorsitzender von »ProChrist«

Am 1. April hat der Gene­ ralsekretär des CVJM-Gesamtverbandes, Ro­ land Werner (Marburg/Kassel), den langjährigen Vorsitzenden von »ProChrist«, Raimund Utsch (Marl), als (ehrenamtli­ chen) Vorsitzenden abgelöst. Werner ist damit Mitglied des Geschäftsführenden Vorstan­ des von »ProChrist«, der sich aus dem Vorsitzenden, seinen beiden Stellvertretern, Margare­ te Hühnerbein (Haiger) sowie Klaus Güttler (Wuppertal) und dem Geschäftsführer Michael Klitzke zusammensetzt. Ge­ meinsam verantworten sie die geistliche und strategische Lei­ tung von »ProChrist«. Zudem leitet Werner, der der charisma­ tischen Bewegung nahesteht, ein Evangelisten-Team, das die künftigen »ProChrist«-Veran­ staltungen in der Nachfolge des bisherigen Leiters und ehema­ ligen CVJM-Generalsekretärs Ulrich Parzany gestalten wird.

Bibel Jahreslosungen für die nächsten Jahre

Auf der Jahrestagung der Ökumenischen Arbeitsgemein­ schaft für Bibellesen (ÖAB) in Berlin wurden die Jahreslosung und die Monatssprüche für 2016 ausgewählt. Für 2016 ist

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die Jahreslosung aus Jesaja 66,13: »Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.« Für 2014 lau­ tet sie: »Gott nahe zu sein ist mein Glück« (Psalm 73,28) und für 2015: »Nehmt einan­ der an, wie Christus euch angenommen hat« (Römer 15,7). 25 Jahre Bibelgalerie Meersburg

Die Bibelgalerie Meersburg am Bodensee feiert 2013 ihr 25-jähiges Jubiläum. Am 30. Juni 1988 wurde die Bibel­ galerie als Projekt der Evan­ gelischen Kirchengemeinde Meersburg im ehemaligen Dominikanerinnenkloster der Stadt eröffnet. Ihr Motto lautete: »Die Bibel entdecken, erleben und gestalten«.

Kirche in Deutschland

Württemberg: 60 Jahre Zeltkirche

Jede zehnte Kirche wird verschwinden

Jedes zehnte Kirchenge­ bäude in Deutschland wird, so war auf einer Fachtagung der evangelischen und katho­ lischen Kirche in Saarbrücken zu hören, abgerissen oder umgewidmet werden. Bislang wurden bereits drei Prozent aller Kirchen geschlossen. »Theo-Kreis« aus Kirche ausgesperrt

Wegen seiner Ablehnung praktizier­ ter Homosexualität und der Öffnung von Pfarrhäusern für gleichgeschlechtliche Part­ nerschaften darf der »TheoKreis« bibeltreuer Theolo­ giestudenten in Leipzig nicht länger Gottesdienst in der dortigen Peterskirche feiern. Er muss jetzt in die Kapelle des Missionshauses Leipzig ausweichen. Solch erschre­ ckend intolerante Haltung zeigt eine neue Qualität des Umgangs mit Christen, die sich an der Bibel orientieren. Württembergische Kirche streicht sechs Prozent der Pfarrstellen

Im April 2013 konnte die württembergische Zeltkir­ che, die seit 1953 mehrtägige evangelistische Veranstaltun­ gen durchführt, auf 60 Jahre Bestehen zurückblicken. Erster Zeltpfarrer war Joachim Braun, der zunächst auch noch Studentenpfarrer in Tübingen war und erst vor wenigen Jah­ ren im Alter von 100 Jahren verstarb.

Weniger Mitglieder, weniger Steuereinnahmen: Darauf hat die Evangelische Landeskirche in Württem­ berg reagiert und auf ihrer Frühjahrstagung beschlossen, 110 Pfarrstellen bis 2018 abzubauen; das sind sechs Prozent. 87 Prozent der Reduzierung entfallen auf die Gemeindepfarrstellen. Insge­ samt wären dann 2018 noch 1391,75 Stellen besetzt.

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Kirche weltweit

Christenverfolgung

Pfingstler und Charismatiker wachsen rasant

Vermehrt Christenverfolgung in China

Hatten die Pfingstler 1900 noch weniger als eine Million Anhänger (0,2 Prozent der Christen), so waren es 1970 bereits 63 Millionen (5,1 Pro­ zent) und zurzeit rund 628 Millionen (26,7 Prozent). Bis 2025 dürften es 828 Millionen werden (30,6 Prozent). Ihr jährliches Wachstum ist etwa doppelt so hoch (2,5 Prozent) als das der gesamten Christen­ heit. Für nichtcharismatische Christen dürfte dies eine nicht zu unterschätzende Herausfor­ derung sein.

Katholische Kirche Rücktritt Benedikts XVI. nicht aus Altersgründen

Wie die rö­ mische Zeitung »La Repubblik­ ca« berichtete, ohne allerdings Quellen zu nennen, ist Papst Benedikt XVI. nicht aufgrund seines Alters zurückgetreten, sondern wegen der »VatileaksAffäre«. In dem Geheimbe­ richt geht es um Erpressung, homosexuelle Beziehungen und Machtgier. Dem Papst sei das ganze Ausmaß vor Augen geführt worden. Hohe Prä­ laten seien von außen durch Laien beeinflusst worden, denen sie durch Beziehungen »weltlicher Natur« verbunden gewesen seien.

In der Volksrepublik China hat sich die Verfolgung von Christen verstärkt. Dem Hilfs­ werk China Aid zufolge ist die Verfolgung gegenüber 2011 um fast 42 Prozent gestiegen. Im Visier kommunistischer Be­ hörden sind die staatlich nicht registrierten Hauskirchen. Die Maßnahmen reichen vom Verbot der Versammlungen über den erzwungenen Eintritt in die staatlich kontrollierte »Drei-Selbst-Bewegung« bis zum Einsperren von Gemein­ deleitern in Arbeitslagern. Doch trotz der Unterdrückung breitet sich der christliche Glaube weiter aus. Von den 1,3 Milliarden Einwohnern Chinas

kurz+bündig

Personen +++ Kirchen +++ Glauben +++ »Modernes Leben«

Wir gratulieren Islamkenner Eberhard Troeger wurde 75

Der evangelische Theologe Eberhard Troeger konnte am 22. März seinen 75. Geburtstag begehen. Er gilt als einer der führenden Islamkenner und war von 1975 bis 1998 der Leiter der Evangeli­ umsgemeinschaft Mittlerer Osten (EMO). Davor war er neun Jahre in Missionsdiens­ ten in Ägypten. Bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand engagierte er sich bei der EMO im Reise-, Vortrags- und Lehrdienst. Troeger hält es für eine Pflicht der Kirchen, Muslimen den christlichen Glauben zu bezeugen. Er hat mehrere Bücher zum Islam verfasst und auch den Lesern des Informationsbriefes ist Eberhard Troeger als Autor be­ kannt. Für sein Buch »Kreuz und Halbmond: Was Christen vom Islam wissen sollten« erhielt er 1997 den George-W.Peters-Preis des Arbeitskreises für evangelikale Missiologie.


kurz+bündig sind zuverlässigen Angaben zufolge über 100 Millionen Christen.

Ökumene Papst Franziskus soll ­Evangelikalen nahestehen

Der aus Argentinien stammende US-Evangelist Luis Palau vertrat die Ansicht, Katholiken und Evangelikale werden sich in der Amtszeit des neuen Papstes Franziskus weiter annähern – vor allem in Lateinamerika. Bergoglio habe auch als Kardinal nicht die Konfrontation mit den Evan­ gelikalen gesucht, obwohl sich Millionen Katholiken evange­ likalen Kirchen angeschlossen hätten. »Bibelgläubigen Chris­ ten begegnet er mit großem Respekt.« Der Finanzreferent der Diözese Bergoglios sei so­ gar ein Evangelikaler gewesen.

Ökumene der Religionen Ellen Ueberschär: Mehr Dialog mit Muslimen

Die Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages und unlängst Kandidatin für das Präsesamt der rheinischen Kirche, Ellen Ueberschär, hat sich für einen verstärkten Dialog mit dem Islam ausgesprochen. Sie plädierte dafür, mehr Begeg­ nungen zwischen Christen und Muslimen in den Moscheen zu ermöglichen. Aufgrund ihrer Initiative kam es beim Kirchen­ tag in Hamburg zu Koope­ rationen mit verschiedenen Moscheen. 4

Islam Türkei: Hagia Sophia soll wieder Moschee werden

Islamprofessuren. Wird bei diesen nicht mit derselben spitzen Feder kalkuliert?

Während bei uns Kirchen entwidmet und in säkula­ re Gebäude umgewandelt werden, gibt es in der Türkei offensichtlich eine gegenläufi­ ge Tendenz. Die Islamisierung der Türkei durch symbolische Eingriffe hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Im türkischen Parlament wird über einen Vorschlag, der von verschiedenen moslemischen Organisationen gemacht wurde, debattiert, mit dem die Hagia Sophia in Istanbul in eine Moschee umgewandelt werden soll. Die größte und prächtigste Basilika des Ostens war 916 Jahre lang als Kirche genutzt worden, ehe sie 1453 nach der Eroberung Kons­ tantinopels durch die Türken in eine Moschee umgewan­ delt worden war. Der typisch christliche Baustil der Kirche ist noch heute unverändert sichtbar. Seit 1935 ist sie weder Kirche noch Moschee, sondern ein Museum, das weltweit eines der meistbesuchten ist.

Sind Islamprofessuren wichtiger als theologische Fakultät?

Die einstige berühmte evangelisch-theologische Fakultät in Erlangen (»Erlan­ ger Theologie«) ist inzwi­ schen nur noch ein Anhängsel (Fachbereich) an der philoso­ phischen Fakultät. Rückläufige Theologiestudentenzahlen und Geld sollen eine Rolle bei dieser Entscheidung gespielt haben. Aber jetzt gibt es vier

Gesellschaft Wird das einstige »Musterländle« zum Musterland von Schwulen und Co.?

Einen wichtigen Punkt stellt im grün-roten Koalitionsver­ trag von Baden-Württemberg die Gleichstellung von gleich­ geschlechtlichen Partner­ schaften sowie Werbung für Toleranz von Schwulen und Lesben dar. Lesben, Schwu­ le, Bi-, Inter-, Transsexuelle und Transgender nehmen im Vertrag einen wichtigen Stellenwert ein. »Durch die Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern werden wir Baden-Württemberg künftig ein neues, tolerantes Gesicht geben und als Landesregie­ rung respektvoll und weltoffen handeln.« Wünschenswert sei auch auf Bundesebene die Ein­ fügung des Merkmals »sexuelle Identität« im Artikel 3 des Grundgesetzes.

Belgien: immer mehr aktive Sterbehilfe

In Belgien, wo aktive Ster­ behilfe seit zehn Jahren erlaubt ist, kommt sie immer mehr zur Anwendung. Belgischen Medienberichten zufolge gab es 2012 mit 1432 Fällen einen Höchststand. Im Vergleich zum Vorjahr sei dies ein Zuwachs von fast 25 Prozent. 1055 der Betroffenen (74 Prozent) litten an Krebs.

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Aus Lehre und Verkündigung

mm Sie [die Kirche] verkündigt den Heillosen den Retter. Sie droht den Sündern nicht, sondern bietet ihnen Vergebung im Namen des Retters. Deshalb sucht sie sich nicht mit einer repräsentativen Elite zu schmücken, die ihren Rang vor dem Forum der Welt zu legitimieren vermöchte, nein: Als Kirche unter dem Kreuz sieht sie sich eher bestätigt dadurch, dass »nicht viel Weise nach dem Fleisch, nicht viel Gewaltige, nicht viel Edle berufen sind«, dass Gott vielmehr das, »was töricht ist vor der Welt, erwählt hat, dass er die Weisen zu Schanden mache« und dass er die gängigen und anerkannten Wertetafeln umstürzt (1.Korinther 1,26ff.). Was damit über das Wesen und die Kennzeichen der Kirche gesagt ist, umschreibt freilich ihren Soll-Gehalt und (weiß Gott!) nicht den Ist-Gehalt der empirischen Kirche. Für diese ist das Kreuz des Verachtens eher Gericht, das ihre Versäumnisse, ihr Schielen nach Macht und Einfluss, ihre opportunistische Koketterie mit der Elite, der »Weisen«, »Starken« und »Edlen« ins Bewusstsein und zur Buße ruft. Auch Herrschaftstendenzen, hierarchische Privilegien in ihrem eigenen Rahmen werden so ins Gericht gefordert: In ihr dürfte es die Frage, »wer der Größte« sei, nicht geben. Es gehört zwar zum Wesen der Welt, dass »Fürsten herrschen und die Mächtigen Gewalt haben […] so aber soll es unter euch nicht sein. Sondern welcher will groß werden unter euch, der soll euer Diener sein«, so wie des Menschen Sohn es vorgelebt hat (Markus 10,35-45; vgl. Matthäus 18,1ff.; Markus 9,33ff.). Helmut Thielicke (aus: Der Evangelische Glaube, Band 3, m S. 290f.) Informationsbrief 278

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mm Wer die Bibel aufmerksam liest, wird bald merken: Sie ist nicht ein Ergebnis schriftstellerischer Tüchtigkeit. Ihre Entstehung geht darauf zurück, dass Gott sich einzelnen auserwählten Werkzeugen in überwältigendem Anruf kundgetan hat. Hier berichten nicht Menschen darüber, was sie sich für Gedanken über Gott und Welt, über Zeit und Ewigkeit, über Leben und Tod gemacht haben, hier reden Propheten und Apostel, weil ein heiliger Zwang auf ihnen liegt, dem sie sich nicht entziehen konnten. Die Bibel ist voll von göttlicher Herrlichkeit. Sie bezeugt uns Gott als den Herrn der Schöpfung, als Lenker der Geschichte, als Richter und Erbarmer, der das Verlorene liebt und sucht. Adolf Köberle (aus: Als Christ denken, S. 14)

mm Ja, die Welt ist dunkel […] Nur ja die Ohren nicht hängen lassen! Nie! Denn es wird regiert, nicht nur in Moskau oder Washington oder in Peking, sondern es wird regiert, und zwar hier auf Erden, aber ganz von oben, vom Himmel her! Gott sitzt im Regimente! Darum fürchte ich mich nicht. Bleiben wir doch zuversichtlich auch in den dunkelsten Augenblicken! Lassen wir die Hoffnung nicht sinken, die Hoffnung für alle Menschen, für die ganze Völkerwelt! Gott lässt uns nicht fallen, keinen Einzigen von uns und uns alle miteinander nicht! Es wird regiert! m

Karl Barth am Vorabend seines Todes 1968 in seinem m letzten Telefongespräch mit seinem langjährigen Freund und Basler Kollegen Eduard Thurneysen.

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»Einer ist euer Lehrer: Christus« (Matthäus 23,10) Kirchenleitung durch das Wort Gottes in Gesetz und Evangelium Reinhard Slenczka

Kirche entsteht und besteht allein durch den Heiligen Geist Pfingsten ist der Geburtstag der Kirche. Was damals geschehen ist und in Apostelgeschich­ te 2 berichtet wird, bestimmt bis heute Wesen und Wirklichkeit der Kirche: Der Heilige Geist macht sich in Naturerscheinungen bemerkbar: »Ein Brausen vom Himmel wie von einem ge­ waltigen Sturm … Und es erschienen ihnen Zungen zerteilt, wie von Feuer …« Was es mit diesen Naturerscheinungen auf sich hat, wird je­ doch erst verständlich, indem die Apostel anfan­ gen zu predigen »in anderen Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen«. Die Apostel bekommen durch den Geist den Mut und die Fähigkeit, die Botschaft von Jesus Christus zu verkündigen. Derselbe Geist bewirkt auch, dass diese Botschaft in allen Sprachen verstanden wird. Doch das hat eine zweifache Wirkung: Die einen »hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll von süßem Wein«. Anderen »ging’s durchs Herz, und sie sprachen zu Petrus und den anderen Aposteln: Ihr Männer, liebe Brü­ der, was sollen wir tun?« Verkündigung bewirkt also nicht nur Zustimmung und Begeisterung, sondern zugleich Widerspruch, Spott und Ver­ folgung. Die apostolische Weisung lautet: »Tut Buße und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden, so werdet ihr empfangen die Gabe des Heiligen Geistes …« Das ist die frohe Botschaft, die der Kirche von ihrem Herrn aufgetragen ist. Kirche entsteht also und ist da, wo dieses geschieht: Verkündigung des Wortes Gottes

Reinhard Slenczka Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30

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– »und lehret sie halten alles, was ich euch be­ fohlen habe« – und Taufe »auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geis­ tes«. Daran ist Kirche erkennbar, aber auch un­ terscheidbar von vielem, was unter dem Namen von Kirche (Offenbarung 3,1) geschieht, gere­ det und beschlossen wird, was jedoch nichts mit ihrem geistlichen Wesen und dem Auftrag des Herrn (Matthäus 28,16–20) zu tun hat. Gottes Wort weist uns allerdings auch darauf hin, dass in der Endzeit falsche Propheten, Irr­ lehrer und Widersacher gerade dort auftreten, wo Christus ist und verkündigt wird, daher ist das der Antichrist, der gegen Christus und an seiner Stelle auftritt (Matthäus 10,16–33pp.). Dazu gehört die erschreckende Warnung vor dem »Geheimnis der Bosheit« (in der Ursprache: der Gesetzlosigkeit – anomia): »Der Böse aber wird in der Macht des Satans auftreten mit gro­ ßer Kraft und lügenhaften Zeichen und Wun­ dern und mit jeglicher Verführung zur Unge­ rechtigkeit bei denen, die verloren werden, weil sie die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen haben, dass sie gerettet würden. Darum sendet ihnen Gott die Macht der Verführung, so dass sie der Lüge glauben, damit gerichtet werden alle, die der Wahrheit nicht glaubten, sondern Lust hatten an der Ungerechtigkeit« (2.Thessa­ lonicher 2,1–17). Das geschieht auch in unserer Zeit. Unser Herr spricht in seinen Gleichnissen vom Reich Gottes niemals von Erfolgen, son­ dern von Früchten, die gut oder schlecht sein können. Ebenso zeigt die ganze von Pfingsten ausgehende Apostelgeschichte, wie die Kirche sich nicht durch an Zahl und Zulauf messbare Erfolge ausbreitet, sondern durch Verfolgung (Matthäus 10,16–42pp.). Andernfalls säßen die Apostel noch bis heute in Büros und Ins­ tituten, um sich hermeneutische Theorien und kommunikative Methoden auszudenken. Nein: Die Kirche ist ein Wunder, und das nicht durch uns, sondern viel eher trotz uns. Doch der Geist muss Ohren und Augen öffnen, um zu erken­ nen, was er tut und wo er am Werk ist (1.Korin­ ther 12,1–3). Juni 2013

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Wollten wir die Kirche nur in der äußeren Mietling aufgedeckt: Es gibt da eine tiefe Ver­ Verwaltung sehen, für die wir durchaus dankbar bindung zwischen den Schafen, die Eigentum sein können, dann hätten wir lediglich eine ge­ des guten Hirten sind. Die Schafe verfügen über sellschaftspolitische Organisation, die sich eben eine eigenartige Fähigkeit: »… die Schafe fol­ der Gesellschaft anpasst in der Erwartung, sie gen ihm nach; denn sie kennen seine Stimme … zu interessieren und in ihren Bedürfnissen und Einem Fremden aber folgen sie nicht, sondern Forderungen zu befriedigen, vielleicht auch, um fliehen vor ihm; denn sie kennen die Stimme des das Kirchensteueraufkommen zu sichern. Mit Fremden nicht« (Johannes 10,4f.). Offenbar Reklame würde eine solche Kirche Mitglieder liegt der Unterschied nicht in den Worten, son­ werben; mit Zwangsmaßnahmen würde sie sol­ dern in der Stimme. Eigentum des guten Hir­ ten sind wir durch die che ausschließen, die Taufe, die im Glauben sich ihren Beschlüssen angenommen und im widersetzen. Gehorsam zu Christus Kirchenleitung im und seinem Wort ge­ geistlichen ­Verständnis lebt wird. ist daher auf allen Ebe­ Dazu kommt ein nen, beginnend mit weiterer Unterschied: der gottesdienstlichen Der gute Hirte gibt Gemeinde, wo die Saat sein Leben für die ausgestreut wird, bis Schafe; der Mietling zu Konsistorien und hingegen lebt von Synoden nicht eine den Schafen, und in Sache von Mehrhei­ der Stunde der Gefahr ten und herrschenden flieht er. Was das alles Parteien, sondern eine Sache des Heiligen Der gute Hirte gibt sein Leben für die Schafe; der bedeuten kann, wollen wir hier nicht weiter Geistes, der allein an Mietling hingegen lebt von den Schafen, und in entfalten. Es genügt, Wort und Sakrament der Stunde der Gefahr flieht er. erkennbar ist. Das sind Der gute Hirte, Mosaik aus dem Mausoleum der an die Warnung des Herrn vor den Wölfen die Mittel, durch die Galla Placidia in Ravenna. im Schafspelz zu erin­ Gott den »Heiligen Geist gibt, welcher den Glauben wo und wann nern (Matthäus 7,15–20) und, damit verbun­ er will, in denen, so das Evangelium hören, wir­ den, die Drohung für solche Christusverehrer, ket« (Confessio Augustana V). Wo das nicht ge­ die zwar großartig auftreten, die jedoch nicht »den Willen tun meines Vaters im Himmel« schieht, gibt es eben auch keine Kirche. (Matthäus 7,21–23), also nicht im Gehorsam nach seinem Wort leben. Die Stimme des guten Hirten Wenn wir hier von einem geistlichen Vorgang Für viele und gerade ernste Christen er­ sprechen, dann ist das etwas völlig anderes als scheint heute vieles was mit Kirche zusammen­ die Richtungsstreitigkeiten, die sich unter uns hängt, belastet von negativen Erfahrungen, die abspielen und bei denen es letztlich immer um laute Empörung, viel öfter aber wohl stille Ver­ Mehrheit oder Minderheit, um Sieg und Nie­ zweiflung auslösen. derlage in kirchlichen Gremien geht. Vielmehr Das beginnt meistens mit der einfachen Über­ wird uns hier das Wesen der Kirche aufgedeckt, legung, wo, bei wem oder ob man überhaupt das darin besteht, dass die vor Erschaffung der einen Gottesdienst besuchen kann. Vielfach ist Welt von Gott erwählte Schar (Epheser 1,4) an die Stelle der Ortsgemeinde eine Wander­ durch diese Weltzeit zum verheißenen Reich gemeinde getreten. Es bilden sich Personalge­ Gottes geführt wird, wie uns das besonders im meinden um einzelne Prediger. Zustimmung Brief an die Hebräer gezeigt wird. Aus der Welt und Ablehnung mögen sehr verschiedene, herausrufen, das ist die genaue Bedeutung des berechtigte, aber auch unberechtigte Gründe Wortes Kirche, »ekklesia«. haben. An manchen Orten bilden sich auch Freilich, das Endziel sehen wir nicht, eben­ Hauskreise, die keineswegs immer von Pfarrern so wenig wie wir unseren Herrn Jesus Christus geleitet werden. nach seiner Himmelfahrt sehen. Doch wir hö­ Was geschieht hier eigentlich? Der geistliche ren seine Stimme in seinem Wort, und durch die Vorgang wird uns vom Herrn in Johannes 10 Sakramente werden wir leiblich, also nicht nur mit dem Gleichnis vom guten Hirten und dem in Gedanken, mit ihm verbunden. Informationsbrief 278

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Man darf aber wohl darauf hinweisen, dass es hier letztlich immer um Gewissensfragen geht, die das Tun und Handeln betreffen. Was in die­ Unsere Vorstellung vom Wort Gottes ist weit­ sem Bereich aufbricht, ist in den meisten Fällen hin festgelegt auf die Heilige Schrift als ein ge­ ein Widerspruch gegen eine christlich geprägte bundenes Buch mit verschiedenen Texten aus Sitten- und Rechtsordnung, die allein deshalb als sehr verschiedenen Zeiten und Kulturen wie veraltet und überholt angesehen wird, weil sich auch in verschiedenen Sprachen. Die wichtigste die Verhältnisse und das Verhalten von Men­ Aufgabe wird dann darin gesehen, wie der In­ schen geändert haben sollen. Ob das gut oder halt des Wortes Gottes aus den verschiedenen schlecht, wahr oder falsch ist, wird dann gar nicht Sprachen, Zeiten und Kul­ mehr bedacht, wenn man turen dem heutigen Men­ mm Gottes Wort ist sehr weitnach dem Schema »rückschen verständlich gemacht gehend die Grundlage von ständig« – »fortschrittlich« werden kann. Manches urteilt. Auf dem Gebiet erscheint dann nicht nur Sitte und Recht. Daher ist das menschlichen Verhaltens unverständlich, sondern eigentliche Problem keinesder Mehrheit oder auch der auch überholt zu sein; es wegs, wie wir das Wort Gottes Lautstärke zu folgen, wür­ muss also den Forderun­ de voraussetzen, dass die gen der heutigen Zeit und verstehen und verständlich menschliche Gesellschaft dem Menschen von heute machen, sondern ob und wie sich tatsächlich aufsteigend nicht nur erschlossen, son­ zu immer größerer Voll­ wir damit umgehen. Das ist dern angepasst werden. kommenheit entwickelt, Dabei wird freilich leicht zuerst die Entscheidung, ob wir was leider nicht zu erken­ übersehen, wie Gottes Wort es lesen, hören und lernen oder nen ist. Sicher aber treffen in der Heiligen Schrift in al­ wir durch das Wort Gottes ler Welt, in vielen Sprachen nicht: Ob wir es in unser Herz auf die alte und offenbar und Völkern durch die Ge­ und Gewissen aufnehmen, oder bleibende menschheitliche schichte hindurch bereits ob wir es umdeuten, verändern Frage: »Ja, sollte Gott gesagt gegenwärtig ist. Es wird in haben …?« allen christlichen Kirchen und auflösen. Dabei geht es Das trifft unser Gewis­ verkündigt, es hat viele Kul­ nicht um Verstehen, sondern sen oder, in der biblischen turen geprägt und oft dabei um gehorsames Vertrauen oder Sprache gleichbedeutend, geholfen, eine einheitliche auf unser Herz, das wir alle Literatursprache zu entwi­ eigenwilligen Ungehorsam. haben. Das ist nun schon ckeln. Es ist sehr weitge­ ein eigenartiger Vorgang in hend die Grundlage von Sitte und Recht. Daher jedem von uns. Es funktioniert, ganz gleich, ob ist das eigentliche Problem keineswegs, wie wir wir das wollen oder nicht. Dabei ist es keines­ das Wort Gottes verstehen und verständlich ma­ wegs die theoretische Frage: »Was soll ich tun?« chen, sondern ob und wie wir damit umgehen. Vielmehr regt sich das Gewissen unter der Frage: Das ist zuerst die Entscheidung, ob wir es lesen, »Was habe ich getan?« Das beginnt menschheit­ hören und lernen oder nicht: Ob wir es in unser lich beim Sündenfall; nachdem das Gebot Got­ Herz und Gewissen aufnehmen, oder ob wir es tes übertreten ist, wird die Unterscheidung von umdeuten, verändern und auflösen. Dabei geht Gut und Böse aufgedeckt (1.Mose 3). Die Dis­ es nicht um Verstehen, sondern um gehorsames kussion zwischen dem Weib und der Schlange Vertrauen oder eigenwilligen Ungehorsam. über Inhalt und Bedeutung des Gebotes Gottes Wir wissen und erfahren aber auch, wie gerade mag man ruhig mit unseren Diskussionen über durch das Wort Gottes nicht nur in der Kirche, Textüberlieferung und ethische Anwendung der sondern auch in der Gesellschaft manche und oft Heiligen Schrift in Beziehung setzen. scharfe Konflikte aufbrechen und zwar gerade Was sich jedoch im Gewissen vollzieht, ist auf gesellschaftspolitischem Gebiet. Im Vorder­ Anklage und Verteidigung, wie das der Apostel grund stehen dann vor allem Themen aus dem zeigt (Römer 2,11–16). Dieser Vorgang ist Ju­ menschlichen Zusammenleben in Ehe und Fami­ den, Heiden und Christen gemeinsam, wie wir lie. Dabei wird in protestantischen Kirchen wie­ alle von Gott zu seinem Bild und Gleichnis ge­ der einmal blindlings aufgenommen, was in der schaffen sind. Am Gewissen zeigt sich auch, wie Gesellschaft als herrschende Meinung vertreten, sowohl das Gesetz Gottes wie auch das Endge­ sicher auch als Zwang und durch falsche Gesetze richt über Lebende und Tote allen Menschen in gefordert wird. gleicher Weise gilt und sie betrifft.

Das verkündigte Wort Gottes und das Gewissen des Menschen

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Doch das Gewissen ist keineswegs nur eine innerliche und verborgene Sache, obwohl je­ der weiß, wie hart und schmerzlich ein Gewis­ sen seine Wirkung, oft genug gegen unseren Wunsch und Willen, ausübt. Vielmehr manifestieren sich diese Gewis­ sensvorgänge durchaus auch im menschlichen Zusammenleben, wo die Konflikte im Handeln und Verhalten in oft unerträglicher Schärfe auf­ brechen, wenn Menschen in den Tiefen ihres Herzens, ihres Gewissens und ihres Bewusstseins getroffen werden. Man reagiert dann spontan und oft aggressiv. Wer das kennt und erfährt, wird solchen Angriffspunkten in persönlicher Begegnung wie auch in der öffentlichen Mei­ nung tunlichst ausweichen. Dass gerade auch solche, die in öffentlicher und kirchenleitender Verantwortung stehen, hier ausweichen, ist ver­ ständlich. Doch für einen Christen geht es hier um Bekennen und Verleugnen in der Nachfolge des Herrn und im Gehorsam gegen sein Wort (Markus 8,34–38), und das ist heilsentschei­ dend und befreiend.

Die Wirkung des Wortes Gottes in Gesetz und Evangelium, in Gericht und Gnade Das Wort Gottes im rechten Verständnis, wie dies uns durch Gott in seinem Wort selbst erschlossen wird, ist nicht nur ein Text vergan­ gener Zeiten. Vielmehr wird uns durch dieses Wort gezeigt, dass es unvergänglich und unver­ änderlich ist (Jesaja 40,6–8; Matthäus 5,12–20; 2.Petrus 1,19–21 u. ö.). Und vor allem geht es dabei nicht um äuße­ res Verstehen und Zustimmung, sondern um Gericht und Gnade, um Verstehen, aber eben­ so auch um Verstockung, wie das immer wieder und unüberhörbar in Gottes Wort betont wird (2.Korinther 2,15f.; 4,3f.; Römer 9–11; Jesaja 6; 29,9ff.; 63,17; Markus 4,10–12 (3–20) pp.; Johannes 12,37–41; 2.Thessalonicher 2,9–12; Psalm 81,13; Johannes 12,37–42; Hebräer 4,12f.; Jakobus 4,11f.; 1.Korinther 1,18ff.; Apostelgeschichte 17,30f.; 28,23–28 u. a.). Das Wort Gottes richtet und rettet. Diese zweifache Wirkung liegt nicht in unse­ rer Verfügung; sie kann auch nicht durch Mehr­ heitsbeschlüsse aufgehoben werden. Sie liegt allein in der Hand Gottes: »Denn das Wort Got­ tes ist lebendig und kräftig und schärfer als je­ des zweischneidige Schwert, und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sin­ ne des Herzens. Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufge­ Informationsbrief 278

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deckt vor den Augen Gottes, dem wir Rechen­ schaft geben müssen« (Hebräer 4,12f.). Wenn wir freilich das Wort Gottes der Hei­ ligen Schrift nur von außen betrachten mit der Überlegung, wie wir es für den heutigen Men­ schen verständlich machen, seiner Zeit, seinen Wünschen und Vorstellungen anpassen können, dann wird diese Wirkung – vielleicht sogar in be­ wusster Absicht, Sorge und Angst – ausgeschal­ tet. Man bietet dann Erklärungen und fasst Be­ schlüsse, dass dieses und jenes heute nicht mehr gilt, dass man es anders deuten muss, dass es keine Sünde mehr sei, obwohl das eindeutig ge­ schrieben steht. Das Prinzip der Vieldeutigkeit soll dann die richtende und rettende Eindeutig­ keit des Wortes Gottes aufheben, weil sich doch alle auf die Schrift berufen. Tatsächlich aber stellt man sich als Richter über die Schrift (Jako­ bus 4,11). Der Sünder wird nicht zur Umkehr gerufen, sondern ins zeitliche und ewige Ver­ derben geschickt (Hesekiel 3,16–21; 33,7–11). Woher aber will man wissen, dass Gott seinen Willen geändert hat, dass er seine Gesetze und Ordnungen, die doch auch dem Schutz und der Erhaltung des Lebens in der gefallenen Welt dienen, geändert hat? Wer übernimmt die Ver­ antwortung für das tiefe Leid, das als absehbare Strafe aus der Übertretung von Gottes Geboten und Ordnungen entsteht, das unübersehbar vor unseren Augen ist, auch wenn die Folgen der Gesellschaftslügen und deren Opfer peinlichst verschwiegen oder als Rückständigkeit erklärt werden? Wen kümmern die Gewissen, die durch das geschriebene Wort Gottes unzweifelhaft beun­ ruhigt und geängstigt werden? Wer ist verant­ wortlich dafür, wenn die Gewissen, zumal bei der Erziehung von Kindern, durch schlechtes Vorbild und falsche Unterweisung verführt und abgestumpft werden? Die Warnung aus Gottes geschriebenem Wort verstummt nicht: »Sie wis­ sen, dass, die solches tun, nach Gottes Recht den Tod verdienen; aber sie tun es nicht allein, sondern haben auch Gefallen an denen, die es tun« (Römer 1,32). Wahre Kirchenleitung dient der rechten Ver­ waltung der Gnadenmittel, durch die der Geist wirkt. Rechte christliche Verkündigung, Unter­ weisung und Seelsorge besteht eben nicht da­ rin, dass man menschliches Wohlbefinden durch Befriedigung aller möglichen Bedürfnisse und Forderungen herzustellen versucht, sondern dass der Mensch mit seinem Gewissen für sein Leben und Sterben dem richtenden und retten­ den Wort Gottes begegnet und in die offenen Arme seines Heilands, der auf ihn wartet (Lukas W 15,18–22) zurückgeführt wird. 9


Worum es wirklich geht Luthers Schmalkaldische Artikel Karl-Hermann Kandler

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apst Paul III. hatte 1537 endlich ein allge­ meines Konzil nach Mantua ausgeschrieben. Das ließ den Wunsch des sächsischen Kurfürsten Johann Friedrich noch dringlicher erscheinen, aus Luthers Feder selbst ein Lehrbekenntnis zu erhalten, das auch als sein theologisches Testa­ ment erscheinen sollte, war doch zu dieser Zeit Luther schwer krank. Vor allem sollte es klar sagen, was dem Reformator als unverzichtbar galt. Auch Luthers Freunde Melanchthon, Bu­ genhagen und Cruciger wurden um ihre Stel­ lungnahme gebeten. Im Januar 1537 übergab Luther das Dokument, das von den Genannten, aber auch von Spalatin, Jonas, von Amsdorf und Agricola gebilligt wurde. Der todkranke Lu­ ther konnte auf der nach Schmalkalden für den Februar 1537 einberufenen Versammlung des Schmalkaldischen Bundes selbst nicht sprechen. Doch Melanchthon hatte Bedenken, ob mit den Artikeln nicht wieder die Lehrstreitigkeiten ausbrechen könnten, nachdem man sich erst wenige Monate vorher mit den oberdeutschen Reformatoren um Bucer über das Abendmahl in der Wittenberger Konkordie so einigermaßen verständigt hatte. Landgraf Philipp von Hessen teilte die Bedenken, vor allem schien beiden Luthers Urteil über das Papsttum als zu scharf. Während Melanchthons deshalb verfasste Erklä­ rung »Traktat über Vollmacht und Primat des Papsttums« dann von der Bundesversammlung förmlich angenommen wurde, wurden Luthers Artikel nicht förmlich angenommen, jedoch von den Theologen – außer den oberdeutschen – unterschrieben. Luther gab die Artikel dann mit neuem Vorwort und in verschärfter Form

Karl-Hermann Kandler Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30

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als Privatschrift heraus. Der Kurfürst ließ sie in die Ordinationsverpflichtung in Kursachsen auf­ nehmen. Andere Gebiete schlossen sich dem an. 1580 wurden sie in die Sammlung der lutheri­ schen Bekenntnisschriften, in das Konkordien­ buch, aufgenommen. An sich war Johann Friedrich von Anfang da­ von überzeugt, die Ladung zum Konzil nicht annehmen zu sollen, würde doch damit im Grunde das Papsttum als Oberhaupt der Kir­ che anerkannt; dazu kam seine Befürchtung, das Konzil würde als papsthöriges Ketzergericht die Reformation verurteilen. Es war eben nicht das allgemeine, christliche und freie Konzil, das die Reformatoren immer gefordert hatten – und das in Deutschland hätte stattfinden sollen. Die Theologen wiederum waren davon überzeugt, man müsse auch auf einer solchen Versammlung Rechenschaft vom wahren Glauben abgeben. Unabhängig davon sind die Artikel ein Ver­ mächtnis Luthers an die Kirche, von ihm ver­ fasst in dem Bewusstsein, bald vor Gottes Richterthron seinen Glauben verantworten zu müssen. So schrieb er in seinem ursprünglichen Vorwort, ihm ginge es darum, dass diejenigen, so nach mir leben und bleiben werden, mein Zeugnis und Bekenntnis vorzeigen können. Er wendet sich gegen die, »die die armen Leute unter meinem Namen verführen«. Er hatte An­ lass, Missdeutungen seiner Lehre zu beklagen. Luther würde gern »ein recht Concilium sehen, damit doch viel Sachen und Leuten geholfen würde«. Doch: »Nicht dass wir’s bedürfen; denn unser Kirchen sind nur durch Gottes Gna­ den mit dem reinen Wort und rechtem Brauch der Sakrament, der Erkenntnis allerlei Ständen [Berufen] und rechten Werken also erleuchtet und beschickt, dass wir unserhalben nach kei­ nem Concilio fragen und in solchen Stücken vom Concilio nichts Bessers zu hoffen noch zu gewarten wissen.« Aber sonst sehe es in der Kirche sehr traurig aus, »dass einem das Herz möchte brechen«. Er schließt das Vorwort mit dem Seufzer und Gebet: »Ach, lieber Herr Jesus Christus, halt du selber Concilium und erlöse die Deinen durch deine herrliche Zukunft. Es ist mit dem Papst und den Seinen verloren. Sie Juni 2013

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Die Schmalkaldischen Artikel haben sicher ihr Zentrum in der Lehre von der Rechtfertigung. Sie ist ja der Artikel, mit dem alles steht und fällt. Luther gibt in den Schmalkaldischen Artikeln einen abschließenden Ausdruck seines Glaubens.

wollen dein nicht, so hilf du uns Armen und Elenden ...« Wichtig ist, dass Luther die Artikel in drei Abschnitte teilt. Der erste handelt von der gött­ lichen Majestät, also von der Dreieinigkeit Got­ tes und von den zwei Naturen Jesu Christi, der wahrer Gott und wahrer Mensch sei, vom Hei­ ligen Geist empfangen und von der Jungfrau Maria geboren. Er ist davon überzeugt: »Diese Artikel sind in keinem Zank noch Streit, weil wir zu beiden Teilen dieselbigen bekennen«, sie sind also unstrittig. Damit steht Luther ganz auf dem Boden der altkirchlichen Lehrentscheidungen. Ganz im Gegensatz dazu aber steht der Glau­ be vom Amt und Werk Christi unsere Erlösung betreffend. »Von diesem Artikel kann man nichts weichen oder nachgeben, es falle Himmel und Erden oder was nicht bleiben will, denn es ›ist kein anderer Name, dadurch wir können selig werden‹.« Es geht also um die Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnaden um Christus wil­ len. Auf diesem Artikel steht für Luther alles. Dazu kommt die entschiedene Ablehnung der Lehre vom Messopfer in der Kirche des Paps­ tes. Luther nennt sie den »größten und schreck­ lichsten Gräuel«. Denn diese Lehre macht das Abendmahl zu einem Menschenwerk, damit einer sich selber und andern mit sich die Ver­ söhnung mit Gott verschaffen, Vergebung der Sünden und Gnade erwerben und verdienen will. Deshalb muss man sie verwerfen: Nicht wir können uns unsere Erlösung verschaffen, son­ dern allein das Lamm Gottes, das unsere Sünde trägt. Zu diesen Artikeln, über die man nicht verhandeln könne, zählt Luther auch die Leh­ ren vom Ablass, vom Heiligenanrufen und die Informationsbrief 278

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Lehre vom Papsttum. Er ist davon überzeugt, dass auf einem Konzil zwar die Lehre von der Messe der entscheidende Punkt sei, doch »wo die Messe fällt, so liegt auch das Papsttum [am Boden]«. Darum ist er überzeugt: »Also bleiben wir ewiglich geschieden und widereinander.« Ein dritter Teil handelt von Aussagen, über die sich mit verständigen und gewissenhaften Leuten verhandeln lässt. Dazu zählt Luther die Lehren von der Sünde, vom Gesetz, von der Buße, vom Evangelium, von der Taufe (und Kindertaufe), vom Abendmahl, von der Beich­ te und von der Schlüsselgewalt (Sündenverge­ bung), von der Ordination, von der Priesterehe, von der Kirche, von den Klostergelübden und von Menschensatzungen. Doch was Luther hier schreibt, ist alles andere als ein Kompromissvor­ schlag. Die Schmalkaldischen Artikel haben sicher ihr Zentrum in der Lehre von der Rechtfertigung. Sie ist ja der Artikel, mit dem alles steht und fällt. Luther gibt in den Schmalkaldischen Artikeln ei­ nen abschließenden Ausdruck seines Glaubens. Da er deutlich und klar schreibt, sind die Schmal­ kaldischen Artikel im ökumenischen Gespräch häufig als hinderlich angesehen worden. Aber gerade in ihrer Deutlichkeit sind sie ein unver­ zichtbarer Ausdruck des Glaubens unserer luthe­ rischen Kirche und mit Recht in die Sammlung der lutherischen Bekenntnisschriften aufgenom­ men worden. Gerade angesichts der laufenden Vorbereitungen auf das Reformationsjubiläum 2017 wird deutlich, worum es in der Reformati­ on der Kirche Jesu Christi ging und immer gehen muss. Es geht nicht um die Person Luthers, son­ W dern um die Sache, die er bekennt. 11


Das Gottesreich und die Weltreiche Rainer Mayer »Drittes Reich« und »Tausendjähriges Reich« Wenn man heutzutage eine Umfrage über Gedankenverbindungen durchführen würde, die sich beim Wort »Reich« einstellen, würden in Deutschland gewiss die meisten Menschen auf das »Dritte Reich« verweisen. So gesehen wäre das Reich etwas Negatives. Denn die na­ tionalsozialistische Ideologie hat den Reichsge­ danken beschädigt. Andererseits sprechen wir in Deutschland ganz unbefangen von Frankreich oder Österreich als Nationalbezeichnungen. Das mittelalterliche »Heilige römische Reich« mit dem späteren Zusatz »Deutscher Nation« war darüber hinaus mit hohen Gefühlswerten und Idealen, die Realität immer wieder über­ steigenden und verklärenden Vorstellungen verknüpft. Zwischenhineingekommen war das deutsche Kaiserreich mit der nationalen Eini­ gung Deutschlands ab 1871, das nur bis 1918 bestand. Doch noch in der DDR gab es eine »Deutsche Reichsbahn«. Mit dem Begriff »Drittes Reich« wollten die Nationalsozialisten an das nationale Element des Kaiserreichs und insbesondere an das posi­ tive Verständnis des mittelalterlichen »Heiligen römischen Reiches Deutscher Nation« anknüp­ fen. Mit der weiteren Benennung als »Tausend­ jähriges Reich« wollten sie letzteres sogar über­ bieten. Der Begriff »Tausendjähriges Reich« geht auf die Bibel zurück. Er ist aus der Offenbarung des Johannes abgeleitet. Dort heißt es: »Und ich sah die Seelen derer, die enthauptet sind um des Zeugnisses von Jesus und um des Wortes Gottes willen ...; diese wurden lebendig und re­ gierten mit Christus tausend Jahre« (Offenba­ rung 20,4). Die Frage, wann, wo und wie dieses

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tausendjährige Friedensreich Wirklichkeit wer­ de, durchzieht die Kirchengeschichte. Diejeni­ gen, die es schwärmerisch herbeizwingen und verwirklichen wollen, werden als »Chiliasten« (griechisch: chi.lioi, d. h. tausend) bezeichnet. Die nationalsozialistische Rede vom »Tau­ sendjährigen Reich« und »Dritten Reich« knüpft neben dem Bezug auf die deutsche Geschichte trotz der nationalsozialistischen Feindschaft ge­ gen bibelorientiertes Christentum paradoxer­ weise auch an mittelalterliche chiliastische Ideen an. So wollte der Abt Joachim von Fiore (ca. 1130–1202) drei Zeitalter unterscheiden – und zwar im Sinne beständigen Fortschritts und wachsender Weltvervollkommnung: ein Zeital­ ter des Vaters, eins des Sohnes und eins des Hei­ ligen Geistes. Um den Weg des Fortschritts zu beschreiben, benutzte er viele Vergleiche und Bilder: Das erste Zeitalter ist das des Gesetzes, das zweite das der Gnade und das dritte, das Jo­ achim nach seinen Berechnungen für das Jahr 1260 erwartete, bringt die Fülle der Erkenntnis. Das erste besteht in der Knechtschaft, das zwei­ te in der Sohnschaft, das dritte in der Freiheit; das erste in der Furcht, das zweite im Glauben, das dritte in der Liebe. Im Bild gesprochen: Das erste bringt Primeln, das zweite Rosen, das dritte Lilien; das erste bringt Wasser, das zweite Wein, das dritte Öl. Mit vielen weiteren Verglei­ chen und Bildern malte Joachim den erwarteten Fortschritt aus. Nach der großen Wende zum dritten Zeitalter wird endgültiger Friede auf Erden einkehren und das Tausendjährige Reich der Heiligen beginnen. Das deutsche Wort »Reich« stammt sprach­ geschichtlich auf dem Weg über das Germa­ nische (gotisch: reiks, d. h. Herrschaft, Ober­ haupt) wahrscheinlich aus dem Keltischen (rīge, d. h. Königreich). Es dient im Deutschen als Übersetzung für das lateinische Wort »imperi­ um«. Denn die Römer nannten ihr Weltreich »imperium romanum«, zu Deutsch: römisches Reich. In seiner größten Ausdehnung umfasste es weite Teile West- und Mitteleuropas; im Nor­ den schloss es fast ganz England ein und reichte dort bis nahe an die heutige Grenze zu Schott­ land (Hadrianswall). Nachdem das Christentum unter Kaiser Kon­ stantin 313 anerkannter Kult wurde und unter Kaiser Theodosius 380 zur alleinberechtigten Juni 2013

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Religion im Römischen Reich aufstieg, konnte Begriff lautet »basileia tou theou« und kann mit sich die biblische Reichserwartung noch enger »Reich Gottes« oder »Königsherrschaft Gottes« als bis dahin mit irdischen Vorstellungen verbin­ übersetzt werden. Bei der Übersetzung »Reich den (z. B. bei Augustinus, der in seiner Schrift Gottes« liegt der Akzent auf dem Herrschafts­ »De civitate Dei«, verfasst 413–426, das Reich bereich, bei der Übersetzung »Königsherrschaft Gottes durch die Kirche repräsentiert sieht). Gottes« liegt der Akzent auf der Durchsetzung der Herrschaft Gottes, ohne einen Ist das Tausendjährige Reich das Bereich zu nennen. »Königsherr­ Reich der Kirche? schaft Gottes« ist die angemesse­ Das Papsttum hat bewusst an nere Übersetzung, denn es geht den römischen Reichsgedanken ja nicht um einen abgegrenzten angeknüpft und damit Herr­ Bezirk, nicht um ein Gebiet, son­ schaftsansprüche verbunden. Die dern um die Person des Herr­ abendländischen Könige hinge­ schers und die Art seiner Herr­ gen hatten sich nach germani­ schaft. Doch die Übersetzung schem Brauch immer zugleich als »Reich Gottes« ist allgemein ver­ Leiter und Hüter des Kultes ver­ breitet. Von ihr her liegt der Ver­ standen. Die Königssalbung gab gleich mit den Weltreichen näher, ihnen eine sakrale Weihe. Als Karl die ja als wesentliches Merkmal der Große das Fränkische Reich einen Bereich, ein Territorium, zum Universalstaat des Abend­ umfassen. landes erweiterte, den er christ­ Mit der Reichs-Verkündigung lich prägen wollte und in dem er traf Jesus mitten ins Herz seiner die oberste Leitung der Kirche jüdischen Zeitgenossen, denn es ausübte, ließ er sich im Jahr 800 war eine Zeit voller Erwartun­ von Papst Leo III. in Rom zum Der Abt Joachim von gen. Irgendetwas musste gesche­ Kaiser (»Caesar«) krönen. Keines­ ­Fiore (ca. 1130–1202) hen, und zwar bald, denn die wegs wollte er damit ausdrücken, wollte drei Zeitalter er habe sein Reich aus der Hand unterscheiden – und zwar Zustände wurden inzwischen von vielen als unerträglich empfun­ des Papstes empfangen. Karl ver­ im Sinne beständigen den. Das Imperium Romanum stand sich vielmehr als Hüter der Fortschritts und wachunterdrückte das Volk Gottes. Kirche und Schutzherr des Chris­ sender WeltvervollkommDer zynische Statthalter Pilatus tentums. Das wusste auch Leo III. nung: ein Zeitalter des verletzte die frommen Juden, in­ Doch später interpretierten die Vaters, eins des Sohnes dem er gleich nach seinem Amts­ Päpste die Übertragung der Kai­ und eins des Heiligen antritt im Jahr 26 in Jerusalem serwürde an die mittelalterlichen Geistes. römische Abzeichen mit dem Könige als »translatio imperii«, als Übertragung der Reichsgewalt, deren Schlüssel Bild des Kaisers mitführte; er ließ Weiheschilder beim Papst liegt. Aber Jesus hatte Petrus und mit dem Namen des Kaisers Tiberius aufstellen, den anderen Jüngern nicht die Schlüssel zum vergoss im heiligen Tempel das Blut von Galilä­ Weltreich, sondern zum Himmelreich überge­ ern (Lukas 13,1–5) und benutzte Geld aus dem ben (Matthäus 16,19; vgl. Johannes 20,23)! So Tempelschatz zur Finanzierung einer Wasserlei­ kam es zu dem das Mittelalter prägenden Kampf tung. Das alles waren Herausforderungen der zwischen Papst und Kaiser, dem »Gottesreich« Frommen und gezielte Lästerungen des Gottes und dem »Weltreich«, der insbesondere die Israels. Hinzu kamen die nicht geringen Geld­ deutsche Geschichte prägte. Die biblische Bot­ zahlungen an Rom (vgl. »Zöllner«), rechtliche schaft vom Reich Gottes wurde auf diese Weise Übergriffe und Ahndung jeden Widerstandes mit der grausamen Todesstrafe der Kreuzigung. entstellt. Im jüdischen Volk lebte hingegen die Mes­ siashoffnung mit der Erwartung eines ewigen Das Reich Gottes in der Bibel Friedensreiches Gottes. Die alttestamentlichen Die kürzeste Zusammenfassung der Predigt Überlieferungen beginnen mit der Weissagung und Botschaft Jesu findet sich im Markusevan­ des Propheten Nathan an David, dass sein Kö­ gelium. Jesus verkündet: »Der Zeitpunkt ist er­ nigshaus ewigen Bestand haben wird (2.Samuel füllt, und das Reich Gottes ist nahe herbeige­ 7), erstrecken sich über die Königspsalmen wie kommen, tut Buße [kehrt um] und glaubt an Psalm 2, die einen Herrscher auf dem Thron Da­ das Evangelium [an die frohe Botschaft]« (Mar­ vids erwarten, der über alle Könige der Erde re­ kus 1,15). Der neutestamentlich-griechische giert, bis dahin, dass Gott der Herr selbst König Informationsbrief 278

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ist (vgl. u. a.: Psalm 10,16; 24,7f.; 29,10; 93,1; 95,3; 96,10; 97,1; 98,6; 99,1; 145,1; 146,10). Die prophetische Schau führt diese Linie weiter (Jesaja 24,23; 33,17.22; 41,21; 43,15; Jeremia 10,7.10; 46,18; 48,15; 51,57; Micha 4,7). In der Apokalyptik (»Enthüllung«), einer Geistes­ strömung ab dem 2. Jahrhundert vor Christus, hervorgegangen aus dem Erbe der Propheten, werden in vielen Bildern und Gleichnissen die Geschehnisse der Endzeit beschrieben. Dazu gehört Nebukadnezars Traum von den vier Weltreichen und Daniels Deutung (Daniel 2). Für die Zeit nach dem Untergang des dritten dieser Reiche verkündet Daniel: »Und in den Tagen jener Könige wird der Gott des Himmels ein Reich erstehen lassen, das ewig unzerstör­ bar bleibt ... Alle diese [vorhergehenden] Rei­ che wird es zermalmen und vernichten, selbst aber in alle Ewigkeit bestehen« (Daniel 2,44). Das dritte Reich nach dem Babylonischen Reich und dem Alexanderreich konnte auf das Imperi­ um Romanum gedeutet werden. Somit war für viele fromme Juden das Reich Gottes unmittel­ bar nahe. In den Weissagungen Daniels heißt es weiter: »Ich schaute in den Nachtgesichten, und siehe, mit den Wolken des Himmels kam einer, der einem Menschensohn glich ... Ihm wur­ de Macht verliehen und Ehre und Reich, dass die Völker aller Nationen und Sprachen ihm dienten. Seine Macht ist eine ewige Macht, die niemals vergeht, und nimmer wird sein Reich zerstört« (Daniel 7,13f.). »Menschensohn« war der Titel, den Jesus besonders häufig als Selbst­ bezeichnung benutzte. In der Apokalyptik wurden zugleich die »Wehen« beschrieben, die mit dem Ende der Weltreiche beim Übergang zum ewigen Reich, dem »neuen Äon« (»Weltzeitalter«) verbunden sind. Dabei gab es Anknüpfungen an die Bot­ schaft vom »Tag des Herrn« in den Schriften der alttestamentlichen Propheten. Sie reicht von der Warnung der abtrünnigen Israeliten durch Amos mit den Worten »Wehe euch, die ihr den Tag des Herrn herbeisehnt ...« (Amos 5,18) bis hin zur Verheißung einer geistlichen Erneu­ erung – freilich durch das Gericht hindurch – bei Maleachi. Es sind die Schlussverse in unserer Anordnung der Bücher des Alten Testaments: »Siehe, ich sende euch den Propheten Elia, ehe der große und furchtbare Tag des Herrn kommt. Und er wird das Herz der Väter den Söhnen und das Herz der Söhne den Vätern wieder zuwenden, dass ich nicht komme und das Land mit dem Banne schlage« (Maleachi 4,5f.; Lutherbibel: Maleachi 3,23f.). Hier knüpft die Botschaft Johannes des Täu­ fers an. Johannes kündigte wie Jesus das nahe 14

Gottesreich an: »Tut Buße, das Reich der Him­ mel ist genaht!« (Matthäus 3,2) Im Matthäus­ evangelium heißt es stets »Reich der Himmel« statt »Reich Gottes«, weil der Evangelist Mat­ thäus den heiligen Gottesnamen meiden will. Der Akzent liegt aber bei Johannes ganz auf der Gerichtspredigt: »Die Axt ist den Bäumen schon an die Wurzel gelegt ...« (Matthäus 3,10), wäh­ rend Jesus die frohe Botschaft, das Evangelium ausruft. Mit dem deutschen Wort »Buße tun« ver­ binden wir negative Gefühle. Bei Jesus jedoch hat das Wort den Klang einer Wandlung zu neuer Freude. Buße ist nötig. Doch sie bedeu­ tet nichts anderes, als dass die Menschen sich nun durch Jesus selbst Vergebung der Sünden schenken lassen können. Das ist etwas völlig an­ deres als moralische Zerknirschung, die in Sack und Asche durch Anstrengung Anteil am ewi­ gen Reich erwerben will. Darum ist Jesu Buß­ predigt im Unterschied zu jener Johannes des Täufers uneingeschränkt frohe Botschaft: Jetzt ist der Zeitpunkt, an welchem das Reich Gottes hereinbricht und alle Sehnsüchte erfüllt und so­ gar übersteigt, ganz nahe. Jesu Botschaft vom Reich zeigt weitere Merkmale: Während die jüdischen Zeloten (»Eiferer«) die Römer mit Gewalt aus dem Lande vertreiben wollten, lehnte Jesus jede Ge­ walt ab (vgl. Matthäus 26,52). Dass das ewige Reich kommt, ist ausschließlich göttliche Gabe. Menschen können es nicht herbeiführen, erst recht nicht erzwingen. In den Reich-GottesGleichnissen, etwa im Gleichnis von der selbst­ wachsenden Saat, sagt Jesus es bildlich: Das Reich wächst wie die Saat »von selbst«, »auto­ matisch« (griechisch: automa.tæ; Markus 4,28). Jesus warnte ausdrücklich vor jedem Zelotismus (Matthäus 11,12; 26,52; Johannes 18,11). Er weinte über Jerusalem, weil die Stadt nicht er­ kannt hatte, was zu ihrem Frieden dient. Aber die Stadt hat Jesus und seine Botschaft abge­ lehnt. Die Folge des fortdauernden jüdischen Kampfes gegen Rom war der Untergang und die völlige Zerstörung Jerusalems mitsamt dem Tempel im Jahr 70. Jesus hatte die Katastrophe vorausgesehen und gewarnt (Lukas 19,41–44). Die Apokalyptiker hingegen huldigten nicht dem gewaltsamen Widerstand, sondern dem an­ deren Extrem: Sie kannten nur das Gebot »War­ ten«. Doch Jesus verkündigte es anders: Das Reich befindet sich schon im Anbruch, die Saat wächst bereits. Jesus lehrte zwar seine Jünger zu bitten: »Dein Reich komme« (Matthäus 6,10; Lukas 11,2). Mit seinem eigenen Kommen ist das Reich aber schon in Bewegung geraten. »Als er von den Pharisäern gefragt wurde, wann das Juni 2013

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Reich Gottes komme [zeitlich], antwortete er ihnen und sprach: Das Reich kommt nicht so, dass man es beobachten könnte. Man wird auch nicht sagen: Siehe, hier! Oder dort [räumlich]! Denn siehe, das Reich Gottes ist in eurer Mitte« (Lukas 17,20f.). Das Reich ist also untrennbar mit Jesu Per­ son verbunden. Im Unterschied zu irdischen Reichen handelt es sich bei seinem Reich aller­ dings nicht um ein Territorium; und im Un­ terschied zu spiritualistischen Vorstellungen ist sein Reich nicht bloß eine weltlose geistige Idee. Es erschöpft sich auch nicht in einer sittlichen Gemeinschaft, wie der Philosoph Immanuel Kant (1724–1804) meinte. Vielmehr handelt es sich um eine konkrete geschichtliche Wirk­ lichkeit, die zwar »noch nicht« vollendet ist, aber »schon jetzt« mit Jesu irdischem Wirken und vollends mit seiner Auferstehung begonnen hat. In diesem Sinne bezeugte Jesus vor Pila­ tus, er sei ein König. Und zugleich bekräftig­ te er: »Mein Reich ist nicht von dieser Welt« (Johannes 18,33–37). Also ist das Reich zwar noch unsichtbar, aber schon »mitten unter uns« gegenwärtig. Dieses Reich ist vom Wirken des Heiligen Geistes in Wort und Sakrament durch­ drungen, wie es Martin Luther in seiner ZweiRegimenten-Lehre beschrieb: Gott regiert, so lange er die Welt bestehen lässt, auf zweierlei Weise, bildlich gesprochen, mit seiner rechten und linken Hand. Zur »rechten Hand«, dem Reich Christi, gehören Wort und Sakrament in der Kirche, zur »linken Hand«, dem Weltreich, gehört das Gesetz der staatlichen Ordnungs­ macht. So lange die Welt besteht, ist das Reich Gottes nur in Form des Reiches Jesu Christi zu­ gänglich. Dann aber, »bei seiner Wiederkunft«, wird Jesus Christus »das Reich Gott, dem Va­ ter, übergeben ..., damit Gott sei alles in allem« (1.Korinther 15,23f. und 28).

Künsten ... Und jener Mensch spricht zu dem Gelehrten: Sag mir doch gefälligst, wo liegt das Land der Gerechten, und wie kann man dahin gelangen? Da schlägt der Gelehrte gleich seine Bücher auf und breitet seine Pläne aus ... und guckt – und guckt, aber das Land der Gerechten findet er nirgends ... Der Mensch will ihm nicht glauben ... Es muss drauf sein, sagt er ... Such nur genauer! … Mein Gelehrter fühlt sich be­ leidigt. Meine Pläne, sagt er, sind ganz richtig, und ein Land der Gerechten gibt’s überhaupt nirgends. Na, da wurde der andere ganz wütend ... Und zu dem Gelehrten sagt er: Du nichts­ nutziger Kerl! Ein Schuft bist du und kein Ge­ lehrter! Und gab ihm eins übern Schädel, und noch eins ... Und dann ging er nach Hause – und hängte sich auf ...« Es geht ein Weinen durch die Weltgeschich­ te, ein Weinen, das in Wut und Gewalt umschla­ gen kann. Es ist Verzweiflung über die Unvoll­ kommenheit und Ungerechtigkeit der Welt. Allen Gewaltsystemen liegt diese Verzweiflung zugrunde. Richtig hat der Philosoph Friedrich Schlegel (1772–1829) formuliert: »Der revo­ lutionäre Wunsch, das Reich Gottes zu realisie­ ren, ist der elastische Punkt aller progressiven Bildung und der Anfang der modernen Ge­ schichte« (in: Athenäumsfragmente). Seit der Aufklärungszeit hat sich ein Fortschrittsglaube entwickelt, der durch Wissenschaft und Technik das ewige Friedensreich innerweltlich herstellen will. An diesem Punkt entstanden und entste­ hen die neuzeitlichen Ideologien. Das »Kom­ munistische Manifest« liest sich, aufmerksam betrachtet, wie eine endzeitliche Vision. Auf das »Tausendjährige Reich« der Nationalsozialisten haben wir schon hingewiesen. Dieser Positionswechsel, nichts mehr von Gott, aber alles vom menschengemachten Fort­ schritt zu erwarten, hat in unserer Zeit zu der

Utopien, Mission und christliche Hoffnung

Der Pilger Luka erzählt in ­Gorkis Drama »Nachtasyl«:»Ich kannte einen Menschen, der glaubte an das Land der Gerechten. Es muss auf der Welt ein Land der Gerechten geben ... in dem Lande wohnen sozusagen Menschen von besonderer Art ... gute Menschen, die einander achten, die sich gegenseitig helfen, wo sie können ... alles ist bei ihnen gut und schön!

Der Pilger Luka erzählt in Gorkis Drama »Nachtasyl«:»Ich kannte einen Menschen, der glaubte an das Land der Gerechten. Es muss auf der Welt ein Land der Gerechten geben ... in dem Lande wohnen sozusagen Menschen von besonderer Art ... gute Menschen, die einan­ der achten, die sich gegenseitig helfen, wo sie können ... alles ist bei ihnen gut und schön! ... Seine einzige Freude war es – dieses Land der Gerechten ... Nun wurde nach eben jenem Ort – die Sache ist nämlich in Sibirien passiert – ein Verbannter gebracht, ein gelehrter Mensch ... mit Büchern und mit Plänen und mit allerhand Informationsbrief 278

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Überzeugung geführt, dass alles allein vom sind inzwischen teilweise sogar von »evangelika­ Menschen abhängt: Glück und Unglück, Ret­ len« Kreisen übernommen worden. Die »Trans­ tung und Verderben. Das verändert die gesam­ formationstheologie« betont in der Mission te Weltsicht. Auch die Theologie blieb davon einseitig die soziale Verantwortung und Gesell­ nicht unberührt. So stellte der Neutestamentler schaftsveränderung, technische und wirtschaftli­ Herbert Braun die These auf, dass wir Heuti­ che Projekte. Das geschieht zu Lasten der bibli­ gen die reformatorische Rechtfertigungslehre schen Botschaft von der Sündenvergebung und nicht mehr verstehen können. Denn der »mo­ der Erwartung des kommenden Gottesreiches. derne Mensch« frage nicht Pfarrer und Missionare wer­ mehr nach dem »gnädigen mm Biblisch führt nichts an der den zu »Sozialingenieuren«. Gott« (Gott komme in sei­ Erkenntnis vorbei, dass das Biblisch führt nichts ner Wirklichkeit ja gar nicht an der Erkenntnis vorbei, mehr vor) meinte er, son­ Reich Gottes ohne menschdass das Reich Gottes ohne dern nach dem »gnädigen liches Zutun »von selbst« menschliches Zutun »von Nächsten«. »Alles hängt kommt. Martin Luther drückt selbst« kommt. Martin Lu­ von uns ab«, formulierte der ther drückt es im Kleinen Journalist Franz Alt in sei­ es im Kleinen Katechismus Katechismus in der Erklä­ nem Buch »Frieden ist mög­ in der Erklärung zur zweirung zur zweiten Bitte des lich« (S. 113). Vaterunsers so aus: »Gottes ten Bitte des Vaterunsers so Aber ist der Nächste wirk­ Reich kommt wohl ohne lich gütig zu uns, ist die Ge­ aus: »Gottes Reich kommt unser Gebet von sich selbst; sellschaft wirklich gnädig? wohl ohne unser Gebet von aber wir bitten in diesem Schon David wusste, als Gebet, dass es auch zu uns er zwischen Pest und Ein­ sich selbst; aber wir bitten in komme.« Gott der Herr fall der Feinde ins Land zu diesem Gebet, dass es auch zu schenkt immer Gaben, bevor wählen hatte, dass es besser uns komme.« er Aufgaben stellt. Die Alter­ ist, in die Hand Gottes zu native, entweder alles selbst fallen als in die Hand von Menschen (2.Samuel zu machen ohne Gott, oder aber die Hände 24,14). Darum hat das Weinen, das die Welt­ nur in den Schoß zu legen und auf himmlisches geschichte durchzieht, haben Ungerechtigkeit, Eingreifen zu warten, ist falsch. Welchen Weg Kampf, Gewalt, Krieg und Unterdrückung sollen Christen gehen? keineswegs aufgehört, seit die Menschheit die Nun, Christen können das Reich Gottes zwar ganze Welt in ihre autonome Selbstverfügung nicht herbeiholen, aber sie können ihm den nahm. Im Gegenteil: Die Probleme sind größer Weg bereiten, wie es Johannes der Täufer ver­ geworden, die Gefahren sind gewachsen. Im kündete: »Bereitet dem Herrn den Weg; in der atomaren Inferno könnte sich die Menschheit Steppe macht eine gerade Straße unserem Gott selbst vernichten. Es bleibt nur eine Hoffnung, ..., dass die Herrlichkeit des Herrn sich offen­ die Hoffnung auf das Bewahren und Eingreifen bare ...« (Jesaja 40,3.5; vgl. Lukas 3,4–6). Im Gottes, die Hoffnung auf sein Reich. Blick auf das Künftige kann man zwischen »Fu­ Dagegen steht nun freilich der marxistische turum« und »Adventus« unterscheiden. »Fu­ Vorwurf, der christliche Glaube habe wie alle tur« ist die nach vorne gerichtete innerweltliche Religionen angesichts der Leiden und des Un­ Zeitlinie. Auf dieser Schiene ist das Reich Gottes rechts in der Welt nur die Funktion der Ver­ nicht erreichbar. »Adventus« ist die Wirklich­ tröstung auf ein Jenseits, der Glaube sei Opium keit, die sozusagen von vorne, vom Reich Got­ des Volkes. Dieser Vorwurf löste einen Schock tes her, schon jetzt in unsere Weltwirklichkeit in Theologie und Kirche aus, so dass christliche einbricht und einen Vorgeschmack der Vollen­ Theologen bis hin zu vielen Pfarrern auf der dung mit sich bringt. Darum hat Jesus gelehrt, Kanzel meinen, sie müssten unablässig die poli­ um das Reich zu bitten und darauf zu warten tische Bedeutung ihrer Verkündigung beweisen. und gleichzeitig die »Zeichen der Zeit« genau Der Schritt bis hin zu der Parole »alles hängt zu beobachten (Lukas 12,56; vgl. Matthäus von uns ab« ist dann nicht mehr weit. Theolo­ 24,32ff. pp.). gen werden zu Gesetzespredigern und Ideolo­ Die menschlich selbst gemachten »ewigen gen. Die Ideologie, dass alle Zukunft allein von Reiche« der Ideologien haben noch immer uns Menschen abhängt, ist heutzutage bis weit mehr Ähnlichkeit mit einer Hölle gehabt als in die Kirchen und sogar in das Missionsver­ mit einem Friedensreich. Deshalb ist auch heute ständnis eingedrungen. Problematische theolo­ gegenüber globalisierenden Einheitsbestrebun­ gische Positionen des Genfer Weltkirchenrates gen größte Vorsicht geboten. Auch sie können 16

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schnell in Ideologien umschlagen. Die biblische Botschaft vom Reich Gottes gibt uns dem ge­ genüber eine große Perspektive von Jesus Chris­ tus her und schenkt den Mut und die Freiheit zum verantwortlichen Handeln. Sie bewahrt bei Misserfolgen vor Resignation. Sie ermöglicht, zukunftsorientiert und zugleich wirklichkeits­ gemäß zu handeln, die besseren Möglichkeiten zu erkennen und doch die kleinen und kleinsten Aufgaben nicht zu übersehen in Glaube, Hoff­ nung und Liebe (vgl. Lukas 16,10). Denn die bessere Gestaltung der Welt oder auch nur das Bemühen, die ärgsten Einbrüche zu verhindern, hat keine Bürgschaft auf Erfolg, bevor Gott selbst sein Reich vollendet. Dieser Trost wäre wohl auch dem armen Menschen in Sibirien aus Gorkis Drama »Nacht­ asyl« zu sagen. Dazu müsste freilich nicht die politische, sondern die biblische »Landkarte« aufgeschlagen werden. Der Blick auf die Länder

dieser Welt wird uns nie das Land der Gerech­ ten finden lassen. Die aber, die Jesus Christus gerecht macht, denen leuchtet es auf: Nicht un­ ser, sondern sein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit. Aktives Warten war demnach schon immer die allein angemessene Haltung gegenüber dem kommenden Reich. Aktivität heißt: Wir sind in die volle Verantwortung ge­ stellt – und zwar vor Gott und den Menschen. Warten aber bedeutet: Es hängt nicht alles von uns, d. h. vom Menschen ab, denn sonst müss­ ten wir wegen des durchgängigen menschlichen Versagens resignieren. Außerdem ist nicht nur das Seelenheil des Einzelnen, sondern die Er­ neuerung der ganzen Welt, ja des Kosmos, das Ziel Gottes, unseres Herrn. Die Weltreiche vergehen, doch Gottes Reich kommt. Wir hoffen auf sein Reich. Diese Hoff­ nung aber »lässt nicht zuschanden werden« (Römer 5,5). W

Kritische Beobachtungen eines ehemaligen Religionslehrers Die Behandlung des Islam im evangelischen Religionsunterricht des Gymnasiums in Bayern Hanns Leiner 1. Fast dreißig Jahre lang habe ich als Religi­ immerhin nicht nur durch den Religionsunter­ onslehrer an einem bayerischen Gymnasium Religion unterrichtet. Damals wurde der Islam in der 9. Klasse behandelt. Als Grundlage stand uns für den Unterricht das Lehrbuch »Baustei­ ne für den evangelischen Religionsunterricht am Gymnasium, 9. Klasse« zur Verfügung. Diese Jahrgangsstufe hielt und halte ich für sehr geeignet für das Thema: Denn die dann etwa 15-jährigen Jungen und Mädchen waren

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richt über die Grundzüge des eigenen Glau­ bens informiert, sondern auch (meistens) kon­ firmiert. Man durfte deshalb davon ausgehen, dass sie über den eigenen, christlichen Glauben einigermaßen Bescheid wussten. Damit besaßen sie einen religiösen Standpunkt, von dem aus es ihnen möglich war, die nachchristliche Religi­ on des Islam einzuordnen und zu beurteilen. In dem Lehrbuch wurde der Islam im Rahmen eines größeren Themenabschnitts über die Re­ ligionen ausführlich in einem langen Kapitel (etwa 50 Seiten) dargestellt: Geschichtlich von Mohammed und seinem Leben, besonders sei­ ner Berufung ausgehend, theologisch über den Koran und die wichtigsten Lehren dieser Religi­ on referierend, praktisch die gelebte Frömmig­ keit und die ganze islamische Lebensordnung darstellend, ausgehend von den fünf Säulen des Islam, gesellschaftlich über den politischen Is­ lam und schließlich unsere heutige Situation be­ 17


richtend (Moslems in Deutschland), bis hin zur Begegnung von Christentum und Islam als Re­ ligionen überhaupt, das Ganze sachlich, über­ sichtlich, verständlich dargeboten und wenn nötig auch durchaus kritisch. Damit konnte ich im Unterricht sehr gut arbeiten.

Denn in der Durchführung fehlt praktisch eine Behandlung des islamischen Glaubens. Weder wird das islamische Gottesverständnis mit seinem Ernst erfasst (Wer ist eigentlich Al­ lah?), noch das Thema Gericht, Paradies, Höl­ le erwähnt. Die Schüler erfahren nicht, was es heißt, dass der Islam eine 2. Heute hat sich vieles ver­ mm Die Schüler erfahren Gesetzesreligion ist, bei der ändert. Da ich schon eine nicht, was es heißt, dass der der Mensch selbst dafür ver­ Reihe von Jahren im Ruhe­ antwortlich ist, durch seinen stand lebe, bin ich für meinen Islam eine GesetzesreligiGehorsam sich den Zugang Überblick auf den geltenden zum Paradies zu verschaffen, on ist, bei der der Mensch Lehrplan und seine Interpre­ durch seinen Ungehor­ selbst dafür verantwortlich bzw. tation, das neue Lehrbuch sam die Verdammnis zu wäh­ ist, durch seinen Gehorsam len. Unerwähnt bleibt damit und die Informationen von Kollegen und Kolleginnen die ungeheure Last, die damit sich den Zugang zum Paund ihre Kommentare ange­ einem jeden Einzelnen aufer­ radies zu verschaffen, bzw. legt wird. wiesen. Darauf beziehe ich durch seinen Ungehorsam mich in meiner Darstellung. Auch das ganz andere Leider findet das ältere Menschenbild kommt nicht die Verdammnis zu wählen. Lehrbuch inzwischen keine vor, in dem es keine Gott­ Verwendung mehr. Ein neuer ebenbildlichkeit gibt und der Lehrplan beschreibt die Ziele anders, ein neues Mensch einerseits unterschätzt wird, weil seine Buch setzt andere Akzente und eine andere Beziehung zu Allah nur die von Knechten zu Jahrgangsstufe erschwert die Behandlung des ihrem Herrn ist, nicht dagegen die von Kindern Themas, um nicht zu sagen: macht sie eigent­ zu ihrem Vater; andererseits wird der Mensch lich unmöglich. zugleich überschätzt, weil der Islam nichts von Denn das Thema Islam wurde in die 7. Klas­ der Erbsünde wissen will und von dem Ange­ se vorverlegt. Begründet wird das hauptsächlich wiesensein des Menschen auf Erlösung. Deshalb mit der Verkürzung des Gymnasiums (G8) und muss man leider sagen, vermittelt diese Behand­ mit einer Anpassung an den römisch-katholi­ lung des Islam nicht die »Grundzüge des islami­ schen Religionsunterricht: Dort wurde der Is­ schen Glaubens«. lam schon früher in dieser Klasse besprochen. Stattdessen werden die »Alltagserfahrungen Die evangelische Angleichung soll Kooperation mit Menschen islamischer Glaubenszugehörig­ und gemeinsame Aktivitäten im christlichen keit« in den Vordergrund gestellt. Der Blick Unterricht ermöglichen. Tatsächlich muss man wird also nicht auf die islamische Religion ge­ in dieser Vorverlegung des Themas eine Verfrü­ richtet, sondern auf die muslimischen Mitmen­ hung sehen, die eine sinnvolle Beschäftigung schen, die man besser verstehen lernen soll. Au­ mit dieser Religion fast unmöglich macht. Die ßerdem wird in einer gewissen Schönfärberei die Schüler und Schülerinnen sind noch zu jung, zu »Schönheit … islamischer Zeugnisse« hervorge­ wenig mit dem eigenen Glauben vertraut und hoben und der Islam als »hochstehende Kultur­ auch nicht in der Lage, die einschneidenden religion« gepriesen. Konsequenterweise werden Veränderungen des Glaubens in der nachchrist­ alle negativen Seiten und Erfahrungen mit dem lichen Religion Islam zu verstehen und sich da­ Islam im Laufe der Geschichte ausgeblendet. mit auseinanderzusetzen. Das ist kein Zufall, sondern entspricht ganz Es tritt deshalb auch alles eigentlich Religi­ dem beabsichtigten apologetischen Zug und öse und Theologische im neuen Lehrplan in Ansatz des Lehrplans. Er geht nämlich aus von den Hintergrund. Zwar heißt es, man solle »die dem einseitig negativen Bild des Islam bei uns Grundzüge des islamischen Glaubens und Le­ und will dies korrigieren: »Spätestens seit dem bens erfassen«; gut, wenn man hinzufügt: »ver­ 11.9.2001 wird der ›Islam‹ in unseren Medien mitteln/lehren und erfassen«, denn das muss zu der feindlichen Macht stilisiert.« Darin sieht den Schülern erst einmal mitgeteilt werden. man gefährliche Vorurteile, die die Fremden­ Wenn es dann weiter heißt, man wolle errei­ angst bei uns verstärken könnten, die in unserer chen, dass die Schüler »Fremdes achten« und Gesellschaft ohnedies vorhanden ist. »Einem »Eigenes besser begreifen«, möchte man gerne solchen Denken gilt es im Unterricht … entge­ wissen, wie die Spannung zwischen beidem ge­ genzuwirken«, heißt es hier mit großem Nach­ löst werden soll. druck. 18

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Die Frage, in wieweit dieses negative Bild aufgrund von Tatsachen entstanden und darum vom Islam selbst verschuldet ist und daher nicht nur ein »Feindbild« genannt werden kann, wird überhaupt nicht gestellt. Der Islam wird fast durchgehend »weichgespült« und »-gezeich­ net«. Zur Begründung dieser Entschärfung wird eine beliebte Argumentationsweise bemüht, nämlich der Hinweis auf die Unterschiedlichkei­ ten im Islam: »Muslim ist nicht gleich Muslim«, so als ob es keinen gemeinsamen Grundzug des Islam gäbe. Damit wird die Frage, ob die ge­ fährlichen Begleiterscheinungen des Islam mit dieser Religion selbst etwas zu tun haben, gar nicht erst zugelassen. Und wenn diese negativen Züge gar nicht mehr zu leugnen sind, werden sie nicht der Religion selbst, sondern geschichtlichen oder sozialen Problemen angelastet und darauf ab­ geschoben. Sogar bei einem Thema, das sich nun wirklich nicht mehr schönreden lässt näm­ lich das der »Unterdrückung und Benachtei­ ligung muslimischer Frauen«, wird gegen die offensichtlichen Tatsachen behauptet, dass diese »Ungleichbehandlung … meist weder in der Gesetzeslage, noch im Koran ihre Le­ gitimation« besitze (vgl. dagegen Sure 2,228; 4,3,34,38,129!). Weitere strittige Themen wie die Scharia mit ihren grausamen Körperstrafen, Bestrafung des Abfalls vom Islam, Vermengung von Religion und Politik und ihren Gefahren (Fanatismus und Totalitarismus) werden von vornherein aus­ geblendet und nicht behandelt. Wenn der Lehrplan auf die theologische Aus­ einandersetzung überhaupt eingeht, so wieder nur auf Randfragen: Die zentrale Frage des Gottesverständnisses (ist es dasselbe in Islam und Christentum?) kommt nicht vor, bei Jesus Christus wird die Frage seiner Gottessohnschaft und deren Bestreitung im Islam nicht behan­ delt, seine Botschaft auf ethische Fragen ver­ kürzt, seine Predigt von »seinem himmlischen Vater« und der Sünderliebe Gottes übergangen, das heißt, das eigentliche Evangelium fehlt hier! Das Schlimmste: Der Streit zwischen Islam und christlichem Glauben um Jesu Kreuzigung wird ausgesprochen falsch wiedergegeben, wenn es heißt: »Für sie [die Muslime] ist dieser [Jesus] am Kreuz gescheitert, weshalb seine Mission dann Jahrhunderte später [nur hier findet sich der Hinweis auf die nachchristliche Rolle des Islam!] durch Mohammed vollendet werden musste.« Nach Sure 4,156f. ist Jesus dagegen nicht am Kreuz gestorben, sondern ein anderer aufgrund einer Verwechslung. Ein solch fun­ damentaler, sachlicher Fehler dürfte in einem Informationsbrief 278

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Lehrplan nicht vorkommen! Er zeigt aber, wie oberflächlich hier gearbeitet wurde. Dass der Islam – und zwar in zentralen Aus­ sagen des Koran – scharf gegen den christlichen Glauben polemisiert und besonders den Glau­ ben an die endgültige Offenbarung Gottes in Jesus Christus vehement bestreitet, bleibt eben­ falls unerwähnt. Das Wort »theologische Ausei­ nandersetzung« kommt nur ganz am Rande vor. Es wird sogar von einer sachlichen Gegenüber­ stellung gewarnt: »Natürlich sollte man sich im Unterricht vor platten Gegenüberstellungen hü­ ten.« Warum werden solche Unterscheidungen gleich als »platt« abgewertet, warum sieht man nicht die Notwendigkeit, den ausgesprochen antichristlichen Aussagen des Islam zu wider­ sprechen und sie vom Gesamtzusammenhang des christlichen Glaubens her zu widerlegen? Im Gegensatz dazu wird von den Schülern ausdrücklich Respekt gegenüber dem Islam ein­ gefordert. Ist es jedoch überhaupt möglich und sinnvoll, von Christen für den Islam Verständ­ nis und Respekt zu verlangen? Hier scheint mir das heute weit verbreitete falsche Toleranzver­ ständnis durchzuschlagen. Dazu ist klärend und differenzierend zu sagen, dass man Toleranz gegenüber Menschen und Toleranz in Fragen des Glaubens unterscheiden muss: Die eine ist sicher von uns gefordert, die andere unmög­ lich! Wir sind zwar den Muslimen in unserem Land menschliche Zuwendung schuldig (und gewähren sie ihnen ja auch in vieler Hinsicht großzügig, besonders in der Gewährung von uneingeschränkter Religionsfreiheit, obwohl sie gleiches in ihrem Land nicht tun), aber wir kön­ nen und dürfen die tiefgreifenden Gegensätze zwischen ihrer Religion und unserem Glauben nicht übersehen und die Lehren des Islam in keiner Weise anerkennen oder »respektieren«. Diesen gegenüber gibt es keine Toleranz. Wir müssen sie – auch im Religionsunterricht als das bezeichnen, was sie für uns sind: Feindschaft ge­ gen das Kreuz Christi, Widerspruch gegen sein Evangelium und wegen der Unterordnung Jesu unter Mohammed Schmähung seiner Ehre. Solche theologische Kritik kommt in diesem Lehrplan nur ganz abgeblasst, verklausuliert und unterkühlt zum Ausdruck: »So wäre es ver­ fehlt, die nun einmal mit dem Islam verbunde­ nen Probleme zu ignorieren oder sie einseitig mit kulturellen Unterschieden zu begründen.« Man will zwar »die Schüler/innen zur Sprach­ fähigkeit in Glaubensdingen hinführen ...«, aber wie soll das auf diese Weise geschehen, wenn weder der eigene Glaube, noch der andere, in vielem gegensätzliche muslimische Glaube nicht klar dargestellt werden? Dann kann sich auch 19


das nicht einstellen, was man an sich richtig Doch die durch die schöne Form erweck­ sieht und von der Behandlung des Islam im Un­ ten Erwartungen werden durch die inhaltliche terricht erwartet: »In der Auseinandersetzung Durchführung nicht eingelöst: Von der Religi­ mit dem Islam [so nur hier!] lassen sich nicht on erfährt man tatsächlich nicht viel, über Allah nur dessen Charakteristika, sondern auch die nicht mehr als seine Einzigkeit; der Abdruck sei­ wesentlichen Merkmale des Christentums bes­ ner »99 schönen Namen« trägt nicht viel zum ser erkennen.« Worin diese bestehen, worin sie Verständnis bei, da die teilweise widersprüchli­ sich vom Islam unterscheiden, wird leider auch chen Namen ohne Erklärung eher verwirrend nicht im Ansatz im Lehrplan wirken. Über den weiteren thematisiert! Darum wird das mm »Deshalb sollte der Inhalt der islamischen Religion auch nicht im Unterricht vor­ Unterricht den Schülerin- (Menschenbild, Paradies, Höl­ kommen und deshalb wird er le, Engel, Teufel usw.) erfährt auch das nicht leisten können, nen und Schülern Hilfen man leider nichts. Lediglich was an sich zutreffend von ihm für das religiöse Gespräch über den Koran und seine He­ erwartet wird: »Deshalb sollte rabsendung wird berichtet; ein mit dem Islam an die der Unterricht den Schülerin­ Vergleich mit der Bibel wird je­ nen und Schülern Hilfen für Hand geben.« doch nicht durchgeführt, aber das religiöse Gespräch mit dem von den Schülern gefordert. Ist Islam an die Hand geben ... Im Zusammen­ das nicht eine Überforderung? hang mit der Begegnung mit dem Islam sollte Dann geht es sofort zur Ethik: Ausführ­ die Fähigkeit zu konstruktiver Kritik und deren lich werden die so genannten fünf Säulen, die angemessene Äußerung eingeübt und gefördert Hauptpflichten für die Muslime, vorgeführt werden.« Das leistet dieser Unterricht aber lei­ (ohne die erste!): Ritualgebet, Wallfahrt, Almo­ der nicht, dafür sind allerdings die Jugendlichen sen/Armensteuer und Fasten. Hier hätte sich in der 7. Klasse auch noch viel zu jung. eine Gegenüberstellung zu diesen Themen im Der einzige Punkt, an dem die Berichter­ Christentum angeboten, diese unterbleibt leider. statterin (V. Utzschneider) mit vollem Recht Ein Überblick über das Leben Mohammeds hellhörig und wirklich kritisch wird, sind ihre kommt sehr schnell zu seiner Übersiedelung Erfahrungen mit der »Rap- und Popmusik der nach Medina, der so genannte Hidschra; hier islamisch-arabischen Musikszene« mit ihren wird richtig Mohammeds Doppelrolle als Pro­ hasserfüllten, gewalttätigen, antiwestlichen und phet und weltlicher Machthaber erwähnt, aber antisemitischen Texten. Vielleicht hätte man von sein Verhalten gegenüber Juden (Vernichtung hier aus weiterfragen sollen, woher das kommt jüdischer Stämme) verharmlost. Lediglich bei und wie sich das einfügt in das Verhältnis von der weiteren Ausbreitung des Islam ist wahr­ Islam und Christentum in der Geschichte: Dass heitsgemäß von »kritischen Auseinandersetzun­ nämlich der Islam schon seit jeher »antisemi­ gen und Eroberungen« die Rede. Das bleibt tisch, antichristlich und gewalttätig« war und leider sehr allgemein und unanschaulich. Dass gegen das Abendland aggressiv vorgegangen es sich dabei um das Eindringen des Islam in die ist (vgl. Bat Ye'or: Der Niedergang des orien­ christlichen Länder des Vorderen Orients und talischen Christentums durch den Islam), lässt Nordafrikas, und sogar Europas handelte, die sich bei unvoreingenommenem Hinsehen nicht im Laufe der Zeit fast alle vollständig islamisiert leugnen. wurden, hebt das Buch jedoch nicht hervor. Bei einem Bild wird erwähnt, dass es sich um eine 3. Überblick über das Lehrbuch der 7. Klasse: Moschee handelt, die in eine Kirche umgewan­ Ortswechsel – Grenzgänge, Kapitel 5: Begeg­ delt wurde. Dass aber vorher, beim Vormarsch nung mit dem Islam des Islam viele Kirchen zu Moscheen wurden (z. Zunächst sieht das Lehrbuch sehr einladend B. Hagia Sophia!), verschweigt man den Schü­ und vielversprechend aus mit einer Reihe von lern. Als einseitig pro Islam und negativ für das großen, schönen Fotografien über islamische christliche Europa empfinde ich es, dass wohl Bauten, Menschen und interessanten Erschlie­ vom europäischen Kolonialismus berichtet wird, ßungsfragen und Denkanstößen, wie z. B.: nicht dagegen von der weltweiten Bedrängnis »Zwei Religionen – hat (k)eine Recht? – Darf der Christen in islamischen Ländern. Hierzu man eine fremde Religion beurteilen? – Allah einfach zu schreiben: »Den Christen und Juden und Gott – derselbe? – Ist das Kopftuch wich­ in so eroberten Gebieten begegneten Muslime tig? – Wäre die Welt ohne Religion friedlicher? mit wechselnder Toleranz«, verschleiert den – usw.« Ernst der Situation. 20

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Leider wird auch nirgends die Lage der Christen in mehrheitlich muslimischen Ländern heute angesprochen. Ihnen wird keine (echte) Religionsfreiheit gewährt. Ihre immer schon bedrängte Lage hat sich in letzter Zeit sogar noch verschlimmert, schwankt zwischen einge­ schränkter Duldung, zusätzlicher Besteuerung, Unterwerfung als Bürger zweiter Klasse (so ge­ nannte Dhimmis), Verspottung, Demütigung, Anfeindung, Unterdrückung, Verfolgung, Be­ strafung (wegen Lästerung des Propheten oder des Islam) und immer wieder auch Tötung (z. B. wegen Abfall vom Islam). Während heute so­ gar in den weltlichen Medien und von Seiten von Politikern immer mehr und immer deut­ licher davon gesprochen und dies beklagt und sogar angeprangert wird, übergehen der Lehr­ plan und das Buch diese Leiden von Christen in islamischen Ländern mit einem beredten Schweigen. Selbst wenn das Motiv dafür darin bestehen sollte, die ohnehin schon bestehenden Aversionen gegenüber dem Islam nicht noch zu verstärken, so sehe ich darin einen großen Feh­ ler und einen Skandal: Das ist unehrlich, weil man vor bedauerlichen Tatsachen die Augen verschließt, es ist unchristlich, weil es die leiden­ den Mitchristen verrät und ihnen die Solidarität verweigert und es ist feige, weil es aus einem vo­ rauseilenden Gehorsam gegenüber islamischer Aggression geschieht. Es sei deswegen an zwei neue Veröffentlichungen über dies Thema erin­ nert, die hierher gehören: R. Breuer: Im Namen Allahs? – Christenverfolgung im Islam, 2012; V. Kauder (Hg.): Die verfolgten Christen und der Einsatz für die Religionsfreiheit, 2012. Was zum so genannten »Zaungespräch« zwi­ schen Muslimen und Christen im Lehrbuch gesagt wird, krankt daran, dass man die Frage gar nicht stellt, ob der Islam zu einem echten Gespräch mit dem Christentum auf Augenhöhe bereit ist: Da er sich als die endgültige, einzig wahre und die angeblichen Fehler von Juden und Christen korrigierende Religion betrachtet, scheint mir diese Bereitschaft nicht gegeben zu sein. Der Islam sieht sich in der überlegenen Po­ sition, widerspricht zentralen christlichen Aus­ sagen und ist darum gerade nicht bereit, das zu gewähren, was der Lehrplan als Voraussetzung für ein echtes Gespräch fordert, uns »gleichzei­ tig Anspruch auf Wahrheit« zuzugestehen. Als nachchristliche Religion ist der Islam vom An­ satz her eine antichristliche Religion, stuft Je­ sus zu einem Vorläufer-Propheten vor und un­ ter Mohammed herab und versteht überhaupt nicht, dass das christliche »Evangelium« (als Frohbotschaft von der Rettung der Verlorenen Informationsbrief 278

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durch Gott) etwas ganz anderes ist als seine ge­ setzliche Drohbotschaft. Man sollte es übrigens nicht den Schülern überlassen, die Unterschiede zwischen Christen­ tum und Islam selbst in eigene Worte zu fassen, sondern diese wichtige Aufgabe im Lehrbuch leisten und den Schülern vorgeben und mitge­ ben. Völlig deplatziert erscheint es mir, wenn es hier als Auftrag an die Schüler heißt, diese sollen an Hand des Koranzitats: »Sagt nicht von Gott, dass er in einem drei sei« miteinander »philoso­ phieren«, was man darauf Muslimen und Juden antworten könnte. Was schließlich von einem muslimischen Vater seiner Tochter zum Thema Dschihad gesagt wird, gibt die wahre Position des Islam nicht wieder, sondern färbt sie in einer fast schon christlichen Aussagen angenäherten Weise schön. So kann man doch die geschichtli­ chen Tatsachen nicht verdrehen! Hier geschieht nicht Information, sondern Desinformation. Deswegen findet meine bisherige Kritik an dem ganzen Konzept seine volle Bestätigung auch angesichts der Art der Durchführung im jetzi­ gen Lehrbuch im Einzelnen.

4. Fazit: Die Unterrichtseinheit über den Islam enttäuscht in jeder Hinsicht: – Sie ist altersmäßig in der 7. Klasse deplatziert, weil verfrüht. – Sie ist theologisch unvollständig, fragmenta­ risch, weil sie wichtige Themen auslässt. – Sie ist geschichtlich einseitig zugunsten des Islam, unvollständig und verschweigt unange­ nehme Tatsachen. – Sie ist ethisch oberflächlich, weil sie nur ein­ zelne Pflichten darstellt, jedoch die wichtige Frage der ethischen Motivation auslässt: Ge­ horsam aus Angst vor Strafe und aus Verlan­ gen nach Belohnung (Werkgerechtigkeit und Lohnmoral). – Sie ist für den wirklichen Dialog zwischen den beiden Religionen ungeeignet, weil sie den Schülern keine theologische Hilfestellung an die Hand gibt, ihnen nicht vermittelt, worin der Sinn der Offenbarung Gottes in Christus besteht und warum darin die »Freiheit – und Freude – eines Christenmenschen« gründet. Damit verfehlt diese Unterrichtseinheit die ihr gestellten Aufgaben völlig und ist im vollen Sinn W des Wortes ungenügend. Quellen: 1. Das neue G8 /Lehrpläne: Jahrgangsstufe 7, hier: Ev 7.3 Islam, S. 4f. 2. Lehrbuch für Evang. Religionsunterricht, 7. Klasse: Ortswechsel – Grenzgänge, Kapitel 5: S. 83–105 3. V. Utzschneider: »Islam im Lehrplan des G8« (Arbeitshilfe, Folge 2005, Nr.354, S.31ff.)

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Baden hat einen –– späten –– „Luther“ Vor gut 150 Jahren verstarb Aloys Henhöfer (1789--1862) Walter Rominger

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iner außerordentlichen Persönlichkeit, mehr: eines brennenden Christuszeugen, ja eines fast verspäteten Reformators, geradezu eines »Kirchenvaters« – zumindest für sie, aber wahr­ scheinlich nicht nur – konnte die badische Lan­ deskirche am Ende des vergangenen Jahres ge­ denken; freilich: mit Erinnerung und Gedenken ist es nicht getan, wiewohl darin Anfang und Chance zur Erneuerung liegen können. Den­ noch, trotz der immensen Bedeutung, die diese für Jesus vibrierende Persönlichkeit der Chris­ tenheit hatte, obwohl Gemeindehäuser und Schulen und zumindest ein Tagungsheim sei­ nen Namen tragen (in Neusatz bei Bad Herren­ alb im Nordschwarzwald) besteht berechtigter Anlass zur Sorge, dass er in seiner eigenen evan­ gelischen Kirche Badens in Vergessenheit gera­ ten ist, von einigen Ausnahmen abgesehen und auch sein Ende vergangenen Jahres sich zum 150. Mal jährender Todestag werden, so steht zu befürchten, daran nichts ändern. Von dem die Rede ist, das ist der badische Pfarrer, Erwe­ ckungsprediger, der Mann Innerer und Äußerer Mission Aloys Henhöfer, der am 5. Dezember 1862 verstarb. Evangelische Badener, aber nicht nur diese, müssten seiner dankbar gedenken und

Walter Rominger Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30

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sich vom ihm geradezu inspirieren lassen. Doch die wenigsten werden es tun. Vergesslichkeit und Undank gehören zum Wesen der Welt und sind deren Lohn. Die evangelische Kirche (über Baden hinaus) ist ihm zu Dank verpflichtet, und wird diesen letztlich doch unterlassen, da dieser Dank geradezu den Ruf zur Umkehr enthielte; denn keine Erweckung hat je anders begonnen. Doch diese Klarheit wird in einer Kirche, die sich ganz wesentlich tatsächlicher und auch nur vermeintlicher gesellschaftlicher Belange ver­ pflichtet weiß, nicht gesucht und deshalb aus­ bleiben. Die römisch-katholische Kirche, deren Priester Aloys Henhöfer in jungen Jahren war, mag ihn freilich anders beurteilen – manche ih­ rer Glieder möglicherweise gar als Apostaten, andere mögen ihm mehr Verständnis entgegen­ bringen. Hierin, einstmals römisch-katholischer Priester gewesen zu sein, besteht eine Parallele zu Luther, die jedoch insofern noch weitrei­ chender ist als beide nicht freiwillig die Kirche ihrer Ursprünge verließen, keine Anstalten dazu machten, nicht dazu aufriefen, diese zu verlassen und nicht die Ansicht vertraten, Heil zu erlan­ gen sei in dieser Kirche nicht möglich, wiewohl beide darum wussten, welch großen Irrtümern die römisch-katholische Kirche anheimgefallen war; nein, es war ihre angestammte Kirche, die ihnen den Stuhl vor die Tür setzte, bei Luther, indem die römische Kirche vereinigt mit weltli­ cher Macht und Obrigkeit ihn durch die Bann­ bulle in Acht und Bann steckte, womit er seit dem Reichstag zu Worms (1521) als vogelfrei galt, bei Henhöfer dadurch, dass er kurz vor Ostern 1822 von seiner damaligen Pfarrstelle Mühlheim (bei Pforzheim) suspendiert und gar im Pfarrseminar Bruchsal in Arrest genommen Juni 2013

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wurde. Doch damals war Henhöfer ja immerhin bereits fast 33 Jahre alt, die nicht einfach über­ sprungen werden können, sondern genauso be­ dacht werden wollen als Jahre des Reifens – des Reifens von Charakter, Glaube und Erkenntnis, wie die darauf folgenden gut 40 Jahre, die zwar nicht nur, aber auch, als Jahre der Ernte angese­ hen werden können. Denn diese geistliche Ern­ te war groß, soweit man dies zu beurteilen und einzuschätzen vermag; sie war sogar, wenn man auf Sichtbares schaut, erfolgreich, um diesen für geistliche Vorgänge und Dinge unangemes­ senen Ausdruck einmal zu benutzen, der aber selbst in den Kirchen, die es eigentlich besser wissen müssten, zumindest der Sache nach be­ müht wird.

Frühe Jahre Am 11. Juli 1789, das war vier Tage vor Be­ ginn der Französischen Revolution, erblickte Aloys Henhöfer (oder auch Aloysius, so Erich Beyreuther in RGG³, Band 3, Spalte 220) das Licht der Welt in Völkersbach bei Ettlingen. Seine Eltern waren einfache Bauersleute. Doch der damalige römisch-katholische Ortsgeistliche erkannte, dass Aloys durchaus zur Laufbahn des Priesters tauge, womit er ein inniges Anliegen dessen Mutter unterstützte. So kam Aloys denn auch nach seiner Firmung aufs Gymnasium nach Rastatt, an welchem er 1811 sein Abitur ablegte. Dem schloss sich von November 1811 bis September 1814 das Studium katholischer Theologie in Freiburg an. Einige Monate auf

dem Priesterseminar in Meersburg am Boden­ see folgten, bevor Henhöfer 1815 im Dom zu Konstanz zum Priester geweiht wurde. Nicht der Weg in eine katholische Kirchengemeinde tat sich für Henhöfer auf – zunächst jedenfalls nicht –, wiewohl dies der übliche Werdegang gewesen wäre. Doch es war Freiherr Julius von Gemmingen auf Schloss Steinegg bei Pforz­ heim, der dem eben geweihten Henhöfer bei sich die Stelle eines Hauslehrers ab Juli 1815 verschaffte. Daraus entwickelte sich eine tiefe, langjährige Freundschaft, die sich in für Hen­ höfer schwerer Zeit bewährte und nicht ohne deutliche Folgen bleib. Es war denn auch Julius von Gemmingen, der seinem Hauslehrer Hen­ höfer nach knapp dreijähriger Erziehertätigkeit ab März 1818 eine Stelle als Pfarrer in Mühlhau­ sen an der Würm zu verschaffen wusste, einem 500 Seelendörfchen, das nicht weit entfernt von Schloss Steinegg gelegen ist. Aller Anfang ist schwer, sagt man. Und Hen­ höfer traf denn auch, mit bedingt, jedenfalls verstärkt, durch das so genannte »Hunger­ jahr« 1817, das europaweit ausgebrochen war, schwierige Zustände an: nicht allein Holzdieb­ stahl und Wilderei, sondern genauso schreiende Armut in so mancher Familie, was wiederum nicht selten zu deren Zerrüttung führte. Den jungen Priester ließ solches nicht ungerührt. Er hegte die Hoffnung, die Moral anheben zu kön­ nen und dadurch lindernd einzugreifen. Doch mehr als gut gemeintes emphatisches Empfin­ den sollte etwas anderes wirken, die persönliche große »(Lebens)Wende« Henhöfers.

Freiherr Julius von Gemmingen auf Schloss Steinegg bei Pforzheim verschaffte Henhöfer bei sich die Stelle eines Hauslehrers ab Juli 1815. Daraus entwickelte sich eine tiefe, langjährige Freundschaft, die sich in für Henhöfer schwerer Zeit bewährte und nicht ohne deutliche Folgen blieb. Es war denn auch Julius von Gemmingen, der seinem Hauslehrer Henhöfer nach knapp dreijähriger Erziehertätigkeit eine Stelle als Pfarrer in Mühlhausen an der Würm zu verschaffen wusste. Informationsbrief 278

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Die große »(Lebens)Wende« Diese große »(Lebens)Wende« trat bei Hen­ höfer nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel ein. Es dauerte eine geraume Zeit. Gut Ding will Weile haben. Es verstrich reichlich Zeit, nahm manche Stunde intensiven Suchens nach der theologischen Wahrheit in Anspruch, benö­ tigte so manche Kontakte und Impulse, bis in Henhöfer das »Christus für und in uns« erweckt wurde und blieb. Am Anfang dessen steht die Verbindung zu seinem Nachfolger als Erzieher auf Schloss Steinegg: Johann Baptist Fink (1793–1850, ab Herbst 1818 Erzieher), den Henhöfer be­ reits aus der Zeit seines Studiums in Freiburg kannte. »Fink hat mich auf mein Herz und die Bibel aufmerksam gemacht« bekannte Henhö­ fer später. Das kam so: Fink war Schüler des (katholischen) Regensburger Bischofs Michael Sailer (1751–1832) der der »Allgäuer Erwe­ ckung« zuzurechnen ist. Zudem las Henhöfer Schriften des Allgäuer Pfarrers Martin Boos (1762–1825), der ebenfalls der »Allgäuer Er­ weckung« angehörte. Offensichtlich, wenn meines Wissens auch selten, gab es also auch in der römisch-katholischen Kirche Erweckun­ gen. Mühlhausen an der Würm lag dicht an der Grenze zum damaligen Königreich Württem­ berg, was die Bekanntschaft Henhöfers mit dem württembergischen Pietismus jedenfalls erleich­ terte. Henhöfer besuchte die Brüdergemeine Korntal; die Bekanntschaft mit Erweckungsbe­ wegungen können für die theologisch-geistli­ che Entwicklung Henhöfers hoch veranschlagt werden, ebenso wie die Schrift Martin Boos’ »Christus in uns«. Henhöfer predigte denn ab da auch anderes, nicht mehr fast nur Moral, ja nicht einmal nur Buße, sondern »mit ebenso viel Eifer das Wort von der Versöhnung und der freien Gnade Gottes in Christus«. Er selbst hat denn auch die Veränderung seiner Predigtweise als Weg von der »Moralpredigt« über die »Ge­ setzespredigt« hin zur »Gnadenpredigt« charak­ terisiert. Dadurch kam es zu einer Erweckung unter den katholischen Bauern. Indes, die sich seit 1820 entfachende Erweckung stieß nicht überall auf positives Echo. In der Pfarrerschaft gab es Zustimmung und Ablehnung. Im für da­ malige Verhältnisse recht entfernten Stuttgart gab es gar die Ansicht, Baden habe hiermit sei­ nen Reformator erhalten. Und wenn Henhöfer zu der Zeit, als diese Meinung aufkam, noch keine einzige Schrift Luthers gelesen hatte, so kann er dennoch Luther ähnliche Erfahrungen gemacht und Erkenntnisse gewonnen haben. Gottesdienstbesucher kamen aus umliegenden 24

Dörfern, auch aus dem nahe liegenden Würt­ temberg. All das wurde von so manchem nicht gern gesehen. Und so kam es, dass in der Zeit vor Ostern 1822 Henhöfer nicht allein von seiner Pfarrstelle abberufen, sondern sogar im Priesterseminar in Bruchsal arrestiert wurde. Der gesundheitlich mitgenommene Priester Aloys Henhöfer verfasste Ende Juli 1822 ei­ nen Brief an die Kirchenbehörde, der zum In­ halt hatte, bei welchen Lehrinhalten er nicht mehr länger mit der herrschenden Kirchenlehre übereinstimme. Mit Zustimmung des protes­ tantischen badischen Großherzogs, der an sich durchaus auf Seiten Henhöfers stand, wurde Henhöfer aus der Kirche ausgeschlossen. Er ver­ ließ also nicht von sich aus die Kirche, bei der er Irrtümer feststellte, sondern, wie dies auch bei Luther war, stieß die angestammte Kirche ihn aus (er wurde exkommuniziert), weil sie theo­ logische Kritik nicht zu ertragen vermochte. In­ sofern war Henhöfer denn doch so etwas wie ein »badischer Luther«. Und das auch, weil im 500 Seelen Dörfchen Mühlhausen sich im Klei­ nen das ereignete, was während der Reforma­ tion 300 Jahre früher im Großen geschah und seitdem zumindest auf deutschem Boden wohl kaum mehr. Denn mehr als ein Drittel der Dorf­ bewohner, auch die Familie derer von Gemmin­ gen, traten mit Henhöfer in die evangelische Kirche über. Für Henhöfer, aber bestimmt nicht allein für ihn, war dieser Übertritt nicht etwa ei­ nem Vereinswechsel vergleichbar, sondern von ganz anderem Gewicht, kommentierte er die­ sen doch mit: »Kirchen wechseln heißt für mich nicht Kappen tauschen.«

Der Erweckungsprediger, fruchtbare theologische Schriftsteller sowie Vertreter eines milden Luthertums Nun war Henhöfer also Glied der evangeli­ schen Kirche von Baden und sollte in dieser zu einem wahrlich treuen Hirten der Gemeinde werden, ja geradewegs zu einem ganz wesent­ lichen Exponenten landeskirchlichen Protestan­ tismus’ in Baden. Im September 1822 ließ Hen­ höfer sein »Christliches Glaubensbekenntnis des Pfarrers Henhöfer von Mühlhausen« hinausge­ hen, wovon innerhalb eines Jahres sich mehr als 12 000 verkauften. Doch Henhöfer als evange­ lischen Pfarrer in Mühlhausen zu installieren wollte nicht gelingen; nicht einmal der Einfluss des evangelischen Großherzogs von Baden ver­ mochte dies zu bewerkstelligen. So wurde denn Henhöfer nach bestandener Prüfung und kurz bemessenem Vikariat im Juli 1823, also ein gu­ tes Jahr nach seiner Suspendierung von der ka­ Juni 2013

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tholischen Pfarrstelle Mühlhausen und seinem einschlugen, in dieser und anderer Weise vom sich anschließenden Wechsel zur evangelischen Herrn das Kreuz auferlegt bekamen. Das konn­ Landeskirche in Baden, Pfarrer in Graben bei te für sie zum Pfahl im Fleisch werden. Karlsruhe. Henhöfer blieb nicht allein. Amtsbrüder ge­ Doch Henhöfers Anfang gestaltete sich sellten sich zu ihm. In so genannten »Textkrän­ schwer. Die römische Kirche hatte ihm den zen«, die der geistlich-theologischen Unterre­ Stuhl vor die Tür gesetzt und in der evangeli­ dung und Vertiefung als auch der brüderlichen schen begegneten ihm Gemeinschaft dienten, auch nicht gerade Wohl­ wurde also so etwas wie wollen oder gar herzli­ das bereits in der Refor­ ches Willkommen. Dazu mation angeregte »Col­ kam, dass er nun räumlich loquium Fratrum« aus­ beträchtlich von denen geübt, die brüderliche zu Gemmingen, der ihm Ermahnung, was gewis­ so freundschaftlich und sermaßen Seelsorge an brüderlich verbundenen Seelsorgern war. Henhö­ Adelsfamilie, entfernt war; fer gewann Amtsbrüder weiterhin wirkten sich und wurde zum Führer der Tod seines Vaters der badischen Erwe­ und seine gewisse An­ ckung. Aber sie flogen fälligkeit für Schwermut ihm nicht einfach nur so dahingehend aus, dass er zu. So mancher begegne­ in eine mehrere Monate te ihm reserviert, etliche dauernde Krise fiel, even­ gar feindlich. Ein Amts­ tuell vergleichbar mit bruder soll gesagt haben: Luthers heftigen Anfech­ »Eher soll mir eine Ader tungen. Henhöfer selbst im Gehirn springen, ehe hat dies als »Finsternis« ich der Lehre meines Kol­ bezeichnet. Aber wie ist legen Beifall gebe.« Doch es doch zumeist: Der gerade dieser Amtsbruder Herr der Kirche benutzt wurde für Henhöfer zum zum Bau seiner Gemein­ Henhöfer wurde im Mai 1827 ­Pfarrer Unterstützer, auch im de so häufig gerade nicht in Spöck in der Rheinebene bei Karlsruhe, so­genannten »Katechis­ die Starken, nicht die, die wozu noch das Filial Staffort gehörte. musstreit« 1830. Selbst zu imponieren vermögen Auf dieser Stelle sollte Henhöfer bis zu unter seinen Vikaren – und Erfolgsverwöhnten, s­einem Tode verbleiben. und er hatte deren mehr sondern Schwache und als 20 – hatte er nicht nur Gezeichnete. Und so brachte gerade der ange­ solche, die sich tief von ihm prägen ließen und fochtene Henhöfer so manchem seiner Hörer ebenso die badische Erweckung vertraten; aber geistliche Orientierung und Stärkung. Allein, er hatte solche, die dann, zu Pfarrern herange­ seine Wirkungszeit in Graben ging denn bereits reift, in ihren Gemeinden die Anliegen der zahl­ nach knapp vier Jahren zu Ende, und Henhö­ reichen Missionswerke, sowohl der Inneren wie fer wurde im Mai 1827 Pfarrer in Spöck in der auch der Äußeren Mission mit Nachdruck und Rheinebene bei Karlsruhe, wozu noch das Filial Nachhaltigkeit vertraten. Staffort gehörte. Auf dieser Stelle sollte Hen­ Noch gab es die badische Unionskirche erst höfer bis zu seinem Tode verbleiben, 35 Jahre. seit kurzer Zeit; 1821 war sie gegründet wor­ In dieser Zeit wirkte Henhöfer als großer Erwe­ den. Deshalb wurde ein neuer (Unions)Kate­ ckungsprediger nicht nur beträchtlich über sei­ chismus nötig. Doch Amtsbrüder Henhöfers ne Kirchengemeinde hinaus, sondern genauso brachten 1830, als das 300-jährige Jubiläum über Baden. des Augsburgischen Bekenntnisses anstand, ihr Die Ehe, die er im Jahre 1828 mit Luise Missfallen am badischen Unionskatechismus Daler aus Durlach geschlossen hatte, blieb kin­ zum Ausdruck. Unbefriedigend erschien ihnen derlos und gestaltete sich allem Anschein nach dieser im Bezug aufs Heil, den Heiland und den in all den Ehejahren als nicht leicht. Doch bei Heilsweg, also in soteriologischer Hinsicht, wes­ Gottesmännern ist es doch des Öfteren schon halb sie mit einem Ersuchen an die Kirchenlei­ so gewesen, dass sie in der Ehe und durch diese tung herantraten und darum baten, diese solle bzw. auch Familie und den Weg, den die Kinder »in Betracht der dargelegten Gründe und nach Informationsbrief 278

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dem Prinzip der echten evangelischen Freiheit, das Gewissen unbeschwert lassen und uns sowie die ganze evangelisch-protestantische Kirche des Großherzogtums mit Einführung eines so unbiblischen und unchristlichen Katechismus gnädigst verschonen«. Auch wenn Henhöfer und dessen Anhängern im Katechismusstreit durchgreifender Erfolg versagt blieb, so diente dieser dennoch der badi­ schen Erweckung, die sich nun vermehrt durch­ setzen konnte. Von der langen Zeit, die Henhö­ fer segensreich als Pfarrer – vor allem in Spöck – wirken dürfte, ging auch die gute Wirkung aus, dass sich Kreise von Erweckten bildeten. Daneben vermochte Henhöfer auch mit zahlreichen Schriften, die viel nachgefragt und gelesen wurden, erwecklich zu wirken. Sein »Christliches Glaubensbekenntnis des Pfarrers Henhöfer von Mühlhausen« vom September 1822 wurde samt dessen segensreicher Wirkung bereits erwähnt. Der Erweckungsprediger ließ dieser weitere folgen, die ebenfalls einen ge­ segneten Dienst hinsichtlich Lehrvermittlung als auch Glaubensstärkung taten. Denn sie wa­ ren nichts anderes als Hinweise auf den Weg zum Heil. 1831 erschien »Der neue Landes­ katechismus«, bereits im darauf folgenden Jahr »Die biblische Lehre vom Heilswege und von der Kirche« (1832) und anlässlich der »Hei­ lig-Rock-Christi«-Ausstellung zu Trier, wohin mehr als eine halbe Million wallfahrteten »Die wahre katholische Kirche und ihr Oberhaupt. Ein Zeugnis für Priester und Volk«; in den letz­ ten Jahren wurde von offizieller evangelischer Seite aus der »Heilige-Rock von Trier« eher po­ sitiv eingestuft. 1850 folgte »Baden und seine Revolution« und im Jahre vor seinem Tode – fast klingt es wie das Vermächtnis des badischen Erweckungspredigers – »Der Kampf des Un­ glaubens« (1861). Literarisch war Henhöfer ein ganz entschiedener Gegner des (theologischen) Liberalismus seiner Zeit. Der Erwähnung bedarf nicht weniger, wie Henhöfer diakonisch ausgestrahlt hat. Die beiden großen Diakonissenmutterhäuser Karlsruhe(-Rüppur) und Nonnenweier bei Of­ fenburg entstanden mit durch ihn. Er regte den Bau von Kinderschulen an, welche zumeist auch als Gemeinschaftshäuser dienten. Sein »liebstes Kind« wurde jedoch anscheinend das Waisen­ haus in der Hardt (»Hardthaus« bei Karlsruhe). 1856 verlieh die evangelisch-theologische Fa­ kultät der Universität Heidelberg Aloys Hen­ höfer die Ehrendoktorwürde. Die Fakultät würdigte ihn als »Bekenner und untadeligen Verkündiger des reinen Evangeliums und als den ehrwürdigen Beginner der zu dieser unse­ 26

rer Zeit in der Kirche unseres Landes nunmehr fröhlich erblühenden Frömmigkeit«. Mitunter, wenn auch wohl nicht gerade häufig, hat es das gegeben, dass auch »einfache« Pfarrer aus dem Pietismus (wie auch Konfessionalismus) akademische Ehren zu Teil wurden. Im letz­ ten Drittel des vergangenen Jahrhunderts hat die evangelisch-theologische Fakultät der Uni­ versität Tübingen den langjährigen Pfarrer der Brüdergemeine Korntal, Fritz Grünzweig, mit der theologischen Ehrendoktorwürde ausge­ zeichnet; die Staatsunabhängige Theologische Akademie (STA) in Basel verlieh die Ehrendok­ torwürde dem langjährigen (evangelisch-luthe­ rischen) Bischof Österreichs, Oskar Sakrausky. Obwohl Henhöfer selbst in seinem letzten Lebensabschnitt unter anderem im Hinblick auf die Kirche und deren Entwicklung Anfechtun­ gen zu erdulden hatte, starb er, getröstet und gestärkt von dem Evangelium, das er gepredigt und auch mit seiner ganzen Existenz bezeugt hatte. Sein vom Heiligen Geist gewirkter Glau­ be gründete sich allein auf die Gnade Gottes in Jesus Christus. Besonnene Taten der Liebe brachte dieser Glaube hervor. In der Auseinan­ dersetzung um den »unbiblischen und unchrist­ lichen« Unionskatechismus reifte Henhöfer zum führenden Vertreter eines milden lutheri­ schen Konfessionalismus in Baden heran. Der badische »Nachkriegsbischof« Julius Bender hat einen ähnlich milden lutherischen Konfessiona­ lismus vertreten, der jedoch bereits bei seinem Nachfolger Wolfgang Heidland zunehmend li­ beralisiert wurde und unter dessen Nachfolgern Klaus Engelhardt und Ulrich Fischer gänzlich vom (theologischen) Liberalismus aufgelöst wurde. In Baden hat sich demnach auf die Län­ ge der Zeit der (theologische) Liberalismus be­ hauptet, also das, was Henhöfer so entschieden ablehnte und bekämpfte. Doch an Henhöfer (wie bereits auch an Luther) ist zu lernen, trotz aller Irrungen und Wirrungen, und wenn es zum Davonlaufen ist, die angestammte Kirche nicht aus eigenen Stücken und damit freiwillig zu verlassen, sondern in dieser zu verharren, bis die falsche Kirche einem den Stuhl vor die Tür setzt. W

Anm.: Außer den gängigen, mir zur Verfügung stehenden theologi­ schen Lexika Ev. Gem.lex., ELThG und RGG³ habe ich entscheidende Anregungen, Impulse und Informationen dem instruktiven Aufsatz von Eckhard Hagedorn: »Der ›badische Luther‹ zeigt den biblischen Weg zur Ewigkeit. Der Erweckungsprediger Aloys Henhöfer starb vor 150 Jahren« in »hoffen + handeln« 11-2012, S. 6–8, entnommen.

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Die prägnantesten »Ich bin«–Worte Jesu Christi G e r h a r d N a u j o k at

Der erste Teil dieses Beitrags wurde in Heft 277 – April 2013 veröffentlicht.

Zwischenruf Sachlich-religiöse Informationen und christ­ lich-biblischer Unterricht sind in unserer Zeit selten geworden, theologisches Mitdenken sogar rückläufig. Zum Erkennen, was Gottes­ gegenwart und wirklicher Glaube bedeuten, werden daher elementare Gottesbilder und ent­ sprechende Symbole immer wichtiger. Das un­ terstreichen die digitalen Massenbilder (Fern­ sehen), die eindrücklicher geworden sind als es der Lernprozess über das Lesen (Literatur) noch sein kann. Die Bibel redet ebenfalls oft in Bildern, ohne die wir wohl das Wesen Gottes noch viel weniger verstehen würden. Symbole von Gott, auch Christussymbole, sind aber kei­ ne Festschreibung einer Erkenntnisform, keine Schablone, sondern der gebrochene Blick auf die Unverfügbarkeit und kaum Beschreibbaren des Ewigen. Ein biblisches Symbol zeigt nicht auf sich selbst, obwohl es den Wortlaut haben kann »Ich bin«, sondern weist dem Suchenden den Weg des Glaubens. Schon Martin Luther hat­ te die Wirkung des Bildes erkannt: »Wir leben mit fünf Sinnen und müssen alles neben Wor­ ten in Zeichen fassen, weil wir nichts ohne Bild denken und verstehen können.« Dieses Zitat unterstreicht, dass wir von jeher nur in mensch­ lichen Vorstellungen von Gott reden können. Die Bildsprache der Bibel ist eine nicht immer offenkundige Botschaft, ist auslegbar, regt zur

Gerhard Naujokat Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30 Informationsbrief 278

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Weiterbeschäftigung an, zieht ins Gespräch. Die gewählte Sprachform ist bei Jesus jedoch nicht nur eine Schale um einen geistlichen Kern, nicht eine bloße Umkleidung, sondern gehört zum Wesen der Botschaft, zum Heilsangebot, für das der Sohn Gottes gekommen ist. Jesu Botschaft in den »Ich bin«-Worten re­ sultiert nicht aus einem ichhaften Überschwang, nicht aus einer persönlichen Egozentrik heraus, sondern Jesus handelt im Auftrag Gottes. »Ich bin von oben her«, sagt er in Kapitel 8,23. Das ist schon ein provozierender An­ spruch, aber Jesus hat ihn zuvor erläutert in 6,38: »Denn ich bin vom Himmel gekommen, nicht, dass ich meinen Willen tue, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat. Das ist aber der Wille des Vaters, der mich gesandt hat.« Darum tritt Jesus voller Demut, aber auch in ganzer Vollmacht auf und weiß um seinen Auf­ trag. Er übersieht dabei nicht, dass seine Zeit begrenzt ist: »Ich bin noch eine kleine Weile bei euch« (13,33) und macht damit deutlich, wie bedroht und wie riskant sein Leben ist, er aber dennoch die Brücke zum Leben und zum Vater darstellt: »Ich bin vom Vater ausgegan­ gen und gekommen … Nun verlasse ich die Welt und gehe zum Vater« (16,28). Der Kreis schließt sich, das Bild rundet sich. Herkunft und Zukunft, Abkunft und Ankunft werden eins und schließen die Lücke zwischen Himmel und Erde, zwischen dem jetzigen und dem ewi­ gen Leben. Seinen Jüngern sagt Jesus: »Ich bin nicht mehr in der Welt, ich komme zu dir, Hei­ liger Vater« (17,11). Hier spricht Jesus in einer Gebetsform, die dem »Vaterunser« nahesteht. Sie beinhaltet in den folgenden Versen die Bitte an Gott: »Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, dass sie meine Herrlichkeit sehen« (Vers 24). Dieses »hohepriesterliche Gebet« gehört zu den ein­ zigartigen, ja, innigsten und bewegendsten Tex­ ten des Neuen Testamentes. Es folgt die Festnahme und die Gerichtsver­ handlung vor Pilatus. Die Nähe und das Einssein mit dem Vater gibt Jesus dort die Souveränität und die Vollmacht zu einem weiteren, starken, symbolhaften »Ich-bin«-Wort. Auf die Frage 27


des Pilatus antwortet Jesus: »Du sagst es: Ich bin ein König« (Vers 37). Das ist ein ungebro­ chenes und ungebeugtes Bekenntnis bei seinem letzten irdischen Auftreten vor seinem Abschied aus dieser Welt. Dieses königliche, majestätische »Ich bin« unmittelbar vor der Bedrohung durch den Tod hat eine besondere Aussagekraft. »Der Juden König«, schrieb Pilatus an das Kreuz. Je­ sus selbst will seine Botschaft nicht auf die Juden beschränken, sondern ist für alle Völker und alle Menschen in die Welt gekommen. »Ich bin ein König« aller Welt, aller Zeit, nach aller Zeit. Der Auftrag Jesu präzisiert sich am Ende seines Lebens in dieser Königsaussage, verklärt, erhöht, gekrönt.

Träumen dringt der Wunsch nach einer neuen Welt. Alles Augenblickliche, die Last und das Leid, auch die Freude und der Sonnenschein, sind Durchgangsstadien. Wir sind eingeordnet in die Vorläufigkeit und Begrenztheit des Da­ seins. Das Sterben ist die nicht abwendbare Schluss­ phase des Lebens. Geborenwerden und Sterben sind die Erst- und Endpunkte unserer Existenz. Mag die Stunde, mögen Ort, Zeit und Umstände ungewiss sein – dies ist gewiss: Das Le­ ben endet. Den Tod kann man nicht wegschalten. Er ist nicht aufhebbar. Dennoch hofft der Mensch auf Fortsetzung und Ewigkeit. Hier liegt wohl der Sinn des Goethe-Verses: »So lang du dies nicht hast, dieses Stirb und Werde, bist du nur »Ich bin die ein trüber Gast auf der dunklen ­Auferstehung« Erde.« Johannes 11,25 Es ist das große Thema vom Schon fast jedes »Ich bin«Werden und Vergehen, das wie Wort Jesu trug den Neben­ eine Schicksalssymphonie unser aspekt des »ewigen Lebens« in Leben durchtönt und durch­ sich. Jetzt wird die Lebensga­ zieht. Der Schöpfer wollte die­ rantie noch stärker, geht in das ses Gesetz von Stirb und Werde. Jenseits hinein. Die materiellen Die materiellen Symbole (Brot, Denn er hat eine neue Existenz Symbole (Brot, Wasser, Tür) Wasser, Tür) reichen nicht für uns bereit: Die Auferste­ reichen nicht mehr, die Boden­ mehr, die Bodenhaftung wird hung von den Toten. Das Tor haftung wird quasi nun verlas­ quasi nun verlassen, das Grab des Todes wird aufgebrochen. sen, das Grab in der Erde war in der Erde war das letzte Die Botschaft der Auferstehung das letzte bodennahe Symbol. bodennahe Symbol. Jesus Chris- hat etwas unendlich Großes und Jesus Christus spricht es jetzt tus spricht es jetzt unüberhörÜberwältigendes, sie ist einzig. unüberhörbar aus: »Ich bin die bar aus: »Ich bin die Aufer»Ich bin die Auferstehung« – Auferstehung« und »Wer an stehung« und »Wer an mich mit diesem Wort Jesu steht oder mich glaubt, der wird leben«. glaubt, der wird leben«. fällt die Kirche Jesu Christi. Die Wahrscheinlich braucht der Gemeinde könnte ohne den Mensch – auch der Glaubende – diesen direkten Glauben an die Auferstehung ihres Herrn nicht Zuruf, da ihn ständige Zweifel begleiten und existieren und hätte die Jahrtausende nicht die Sehnsucht nach Ewigkeit in ihm wohnt. überlebt. Christus lebt! Jetzt und heute! Chris­ Alles Geschöpfliche unterliegt der Vergäng­ ten freuen sich und feiern: »Er ist auferstanden, lichkeit. Wir leben auf Abruf, ein Dasein auf er ist wahrhaftig auferstanden!« Die Erkennt­ Raten. Denn Leben ist auf dieser Erde nicht nis dieser Tatsache macht uns fähig, die Wahr­ denkbar ohne das millionenfache und ständige heit über den Tod auszuhalten. Er ist nicht das Sterben. Die Tatsache des Todes macht sich als Ende, ewiges Leben ist kein Wahn, Gott hat ein dramatische Begrenzung bemerkbar und ist das Ziel: »Ich lebe und ihr sollt auch leben«, spricht sichtbarste Zeichen der Vorläufigkeit. Die da­ Jesus. Durch alle Nebel, alle Angst und Unsi­ hineilende Zeit ist nicht aufzuhalten und führt cherheit weiß sich der Glaubende geborgen und an die letzte Grenze. Alle Tränen die geweint, getragen zum ewigen Ziel. alle Schmerzen die erduldet, alle Ideologien Die Auferstehung ist nicht Legende, sondern die je entwickelt wurden, sind Zeichen und Wahrheit und Wirklichkeit, die über menschli­ Symbole für das Verlangen und Begehren des ches Denken und Verstehen hinausgehen. Ech­ Menschen nach Erlösung und Leben. Aus dem ter biblischer Glaube entsteht und nährt sich an Welken der Pflanze, dem Todesschrei des Tie­ der Auferstehungswirklichkeit. Der Glaube wäre res, aus allem Kämpfen, Forschen, Zweifeln und sinnlos und alle Predigt vergeblich, wäre Chris­ 28

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tus nicht auferstanden. Hier geht es um ein heilsgeschichtliches Ereignis und Geheimnis. Es gibt Dinge, die auch Geheimnisse bleiben und die wir mit menschlichen Erkenntnissen und Methoden nicht lösen können. Christen sind Menschen, die darum wissen, dass an Gottes Geheimnissen Wissenschaften und Weisheiten zerschellen. Der Auferstehungsglaube ist wie eine Bewe­ gung, etwas Urlebendiges, immer neu geformt und neu erlebt. Jedoch ist nicht der Glaube die Hauptsache, sondern Jesus Christus. Wir beten nicht die Auferstehung an, sondern wir beugen uns vor dem Auferstandenen.

»Ich bin der Herr, dein Heiland« Jesaja 49,26 Dies ist wohl das direkteste und persönlichste »Ich-bin«-Wort der Heiligen Schrift. Unmiss­ verständlich spricht Gott aus, dass er der Herr ist. Gott verwendet hier für sich selbst den »Ichbin-Anspruch« und den »Heilandsbegriff« und wird ihn später seinem Sohn übertragen. Er lässt keinen Zweifel daran: »Ich bin der Herr«, sagt Gott ohne Wenn und Aber. Ich bin Gott und kein anderer. Und das gilt! Das hat unein­ geschränkte und bleibende Gültigkeit für alle Menschen und alle Völker. Gott ist der Schöpfer der Erde, der Regent dieser Welt, der Eckwert allen Lebens, ohne ihn geht nichts. Er sucht Menschen, die ihm vertrauen und die den Weg des Heils mit ihm gehen. Inneres Vertrauen und seelische Hingabe gehören zur Nachfolge. Das wird möglich werden durch Je­ sus Christus. Durch den Sohn Gottes wird Gott erfahrbar. Die Bezeichnung »Herr« umschreibt die Größe und Einmaligkeit Gottes, er ist der Lenker des Daseins, Anfang und Ende aller Ge­ danken und Taten, der Ewige, der für alle Zei­ ten »Alles in Allem« ist. Der Begriff »Herr« umschließt Macht und Fürsorge in einem, ist Liebe, Güte und Auto­ rität. Gott will so genannt, bekannt und ge­ liebt werden. Er ist kein Krümelchen, das der Menschengeist erfand, kein bedeutungsloses Partikelchen im Rahmen von Religionen, nicht neutrales Schicksal, sondern eine persönlich­ keitsbewusste Universalkraft, die sich ohne An­ maßung »Herr« nennt, aber auch »Vater«. Die Väterlichkeit Gottes ist für den Men­ schen so etwas wie ein Mantel der Geborgen­ heit, in den man hineinflüchten kann, der den Menschen umhüllt und ihm Schutz gewährt. In diese Geborgenheit können sich Verzagtheit und Einsamkeit, Tränen und Lachen hinein­ flüchten, das Leben und das Sterben. Der Ab­ Informationsbrief 278

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solutheitsanspruch Gottes ist unantastbar. Sei­ ne Feinde können ihn nicht stürzen und seine Freunde brauchen ihn nicht stützen. Gott ist, der er ist und neben ihm ist niemand. Über diesen Anspruch und diese Ausschließ­ lichkeit ist nicht zu diskutieren. Gott sagt es selbst: »Ist auch ein Gott außer mir? Außer mir ist kein Gott« (Jesaja 44,6–8). Nur er ist der »Erlöser«, der Heiland. Der Ausdruck »Heiland« ist eine exklusive Sonderbezeichnung, die mehrfach in der Bibel vorkommt. Das Neue Testament steigert die personelle Bezogenheit auf Jesus Christus hin. Schon bei der Geburt wird den Hirten durch einen Engel dokumentiert: »Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr« (Lukas 2,11). Christus wird zum Hei­ land aller Menschen, ja, der ganzen Welt, wie es Textstellen aufzeigen in Johannes 4,42 und 1.Johannes 4,14, besonders aber Haupt und Heiland der Gemeinde nach Epheser 5,23. Christus begründet die Gemeinde durch sein Leben und seinen Tod; er fundiert sie durch sei­ ne Auferstehung. Nun ist er Herr und Heiland von Ewigkeit zu Ewigkeit. Auffallend und bewegend ist die Zuspitzung des Begriffes auf den einzelnen Menschen: nicht der oder ein Heiland, sondern unser und dein! Es geht hier nicht um eine neutrale Angelegen­ heit, um ein unpersönliches Prinzip, sondern um das persönliche Heil: »Ich bin dein Heiland und dein Erlöser.« Noch direkter geht es nicht. Der Einzelne ist gemeint und betroffen. Hier steht man sozusagen direkt vor ihm: Mein Hei­ land! Diese Direktheit, diese Hautnähe Gottes will erkannt sein und angenommen werden. Gott will das so ganz persönlich. Und der Gläubige öffnet sich dafür. In vielen Liedern, die die Ge­ meinde singt, erfolgt die Bitte und die Bereit­ schaft: »Komm, oh mein Heiland Jesus Christ, mein’s Herzens Tür dir offen ist.« Und Paul Gerhardt preist in einem Auferstehungslied: »Mein Heiland ist mein Schild, der alles Toben stillt.« Gott verausgabt sich schier als Heiland des einzelnen Menschen, den er durch den Tod und die Auferstehung seines Sohnes errettet und ewig versöhnt. Eine Tatsache ist damit jedem gegeben: »Er ist mein Heiland.« Gott möchte das und gibt sich dafür hin. Es gilt denen, die durch Buße, Reue und Vergebung hindurchgin­ gen. Nun wissen sie um das Heil. Sie wissen um die Treue Gottes. Gott hält sein Wort. »Barm­ herzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte« (Psalm 103,8). W Danke mein Heiland! 29


Buchrezension Karl Müller: Messias Israels für alle Völker Das Matthäusevangelium ausgelegt für die Gemeinde Schon mehrere Bücher der Heiligen Schrift hat der inzwischen längst emeritierte hessischnassauische Pfarrer Karl Müller gänzlich in Pre­ digten ausgelegt (vgl. die Besprechung zu seiner Auslegung des Lukasevangeliums in Predigten im Informationsbrief Nr. 272, Juni 2012, S. 26). 55 Predigten widmet er den ersten zwölf Kapiteln des Matthäusevangeliums (im Band 2 zu den Kapiteln 13–28 sind 60 Predigten abge­ druckt). Für all die Predigten des ersten Bandes gilt, sie sind keine Gefälligkeitsreden und scho­ nen den Hörer/Leser keineswegs. Das Gesetz kommt durchaus zur Geltung. Es zieht sich ge­ rade wie ein roter Faden durch sämtliche Pre­ digten die tiefe Einsicht, wenn das gepredigte Gesetz zur Wirkung kommt, erst dann entfal­ tet das Evangelium seine Heilsfunktion. Denn schließlich geht es dem Prediger Müller um nicht weniger als darum, dass Menschen zum Glauben finden und wenn sie im Glauben ste­ hen, darin verharren und in der Nachfolge le­ ben. Freilich, ethische Bereiche werden nicht

ausgespart, wird doch gerade darin der Glaube im Leben konkret. Der Prediger scheut sich nicht, auch unangenehme soziale Dimensionen der biblischen Botschaft anzusprechen. Die Pre­ digten sind jeweils gut ausgearbeitet; viel Litera­ tur (Kommentare, Predigtmeditationen) wurde von Karl Müller herangezogen. In heutiger Zeit, die von einem Predigtnotstand gekennzeichnet ist, gewinnen diese Auslegungen immer mehr an Bedeutung, da man ja so manches Mal kaum mehr weiß, wohin man zum Gottesdienst noch gehen kann. Da ist so manches Mal eine gute Lesepredigt vorzuziehen. Band 1, Kapitel 1–12, Alzey 2011 Verlag der Rheinischen Druckereiwerkstätte 368 Seiten, 9,– Euro ISBN 978-3-86232-013-4 Die empfehlenswerten Auslegungen des Matthäus­evangeliums sind beim Autor zu beziehen: Pfarrer Karl Müller Platz de Plombieres 4 35708 Haiger-Sechshalden Telefon (02771) 42255 E-Mail: Karl-Esther@web.de

Traktate n Die Bekenntnisbewegung »Kein anderes ­Evangelium« – Entstehung, Aufgaben und Ziele n Heilsgewissheit n Vom rechten Beten n Homosexualität – Herausforderungen für Christen n Gemeinsames Abendmahl

n Die Gemeinde Jesu Christi und die Kirche n Etikettenschwindel »Einheitsübersetzung« n Gemeinsame Feier des Reformationsjubiläums 2017? n Christentum und Islam in Geschichte und Gegenwart n Der Islam im Licht des christlichen Glaubens

Mitarbeiter an diesem Heft: Professor Dr. Karl-Hermann Kandler Enge Gasse 26 09599 Freiberg Telefon (03731) 23545 Fax (03731) 218150 Studiendirektor Pfarrer Hanns Leiner Mittenwalder Straße 34 86163 Augsburg Telefon (0821) 63731 E-Mail: Hanns.Leiner@arcor.de

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Professor Dr. Dr. Rainer Mayer Malachitweg 3 70619 Stuttgart Telefon (0711) 442260 Fax (0711) 413098 E-Mail: dr.r.mayer@web.de Pfarrer Gerhard Naujokat An den Rehwiesen 8 34128 Kassel Telefon (0561) 64003 Fax (0561) 6025162

Walter Rominger Mehlbaumstraße 148 72458 Albstadt Telefon und Fax (07431) 74485 E-Mail: w.rominger@t-online.de Professor Dr. Reinhard Slenczka D. D. Spardorfer Straße 47 91054 Erlangen Telefon und Fax (09131) 24139 E-Mail: Grslenczka@aol.com

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Geschäftsführender Ausschuss Vorsitzender der Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« e. V. Pfarrer Hansfrieder Hellenschmidt Rötlenstraße 26 70794 Filderstadt Telefon (07158) 6 95 69 Fax (0 71 58) 9 15 74 95 E-Mail: hans.hellenschmidt@gmx.de Stellvertretender Vorsitzender Hans Lauffer Osterstraße 25 70794 Filderstadt Telefon (0 71 58) 48 31 Fax (0 71 58) 94 78 73 E-Mail: hans.lauffer@t-online.de

Weitere Mitglieder des Geschäftsführenden Ausschusses Pfarrer Johannes Frey Ofener Straße 3 28816 Stuhr Telefon (04 21) 5 22 89 10 E-Mail: johannes.frey@nord-com.net Gottfried Meskemper Voltastraße 26 28357 Bremen Telefon (04 21) 25 60 40 Fax (04 21) 2 05 34 56 E-Mail: Gottfried.meskemper@t-online.de

Schriftführer Walter Rominger Mehlbaumstraße 148 72458 Albstadt Telefon und Fax (0 74 31) 7 44 85 E-Mail: w.rominger@t-online.de

Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« e. V. Geschäftsstelle: Walter Rominger Mehlbaumstraße 148 72458 Albstadt Telefon und Fax (07431) 74485 E-Mail: w.rominger@t-online.de www.keinanderesevangelium.de

Impressum: Herausgeber und Verlag: Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« e. V. – zweimonatlich, kostenlos – Redaktion: Pfarrer Hansfrieder Hellenschmidt Satz und Layout: Grafisches Atelier Arnold, Dettingen an der Erms Druck: BasseDruck, Hagen ISSN 1618-8306

Kassenwart Gabriele Reimer Beurhausstraße 31 44137 Dortmund Telefon (0231) 5 84 46 96 Handy (0177) 2 99 77 76 Fax (0231) 5 89 36 37 E-Mail: Gabriele.Reimer@gmx.de

Mit Fragen bezüglich der Spendenbescheinigungen wenden Sie sich bitte an unseren ­Kassenwart Gabriele Reimer. Sie erreichen sie telefonisch unter (02 31) 5 84 46 96 am besten samstags. Ansonsten sprechen Sie bitte auf den Anrufbeantworter der angege­benen Rufnummer. Bankkonten Volksbank Filder e. G., (BLZ 611 616 96) Konto-Nr. 65 500 016 IBAN DE34 6116 1696 0065 5000 16 BIC (SWIFT)-Code: GENO DE S1 NHB Postgirokonto Schweiz: Postgiroamt Bern Nr. 30-195 56-2 IBAN CH21 0900 0000 3001 9556 2 BIC POFICHBEXXX

Fotos/Abb. auf Seite:   2: Daniel Rempe; Amt für missionarische Dienste; Uni Leipzig   3: Fabio Pozzebom, ABr;   5: Bundesarchiv (l.o.)   7: Wikimedia commons public domain, Zenodot Verlagsgesellschaft mbH   8: Wikimedia commons public domain, Uni Heidelberg 13: Wikimedia commons public domain 15: Wikimedia commons public domain 22: Wikimedia commons public domain 23: Wikimedia commons public domain 25: de.academic.ru restliche privat.

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Die Heilige Schrift ist die Königin – sie muss herrschen, und alle müssen ihr gehorchen und untergeben sein. Martin Luther


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