WEHRMEDIZINISCHE MONATSSCHRIFT Oktober 2019

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SANITÄTSDIENST

63. Jahrgang – Heft 10-11 – 1. Oktober 2019

WEHRMEDIZINISCHE MONATSSCHRIFT Fachzeitschrift des Sanitätsdienstes der Bundeswehr

Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V.



Editorial

Inhaltsverzeichnis

Heft 10-11/63. Jahrgang – Oktober-November 2019 Editorial 337

Schick R

Luft- und Raumfahrtmedizin Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser, „Aerospace Medicine – Together into the Future“ lautete das Motto eines internationalen Symposiums anlässlich des 60-jährigen Jubiläums der institutionalisierten militärischen Flugmedizin in der Bundeswehr, welches im Rahmen der diesjährigen 64. Fliegerarzttagung der Bundeswehr im Juni in Fürstenfeldbruck stattfand. Unter zahlreicher Beteiligung von Fliegerärzten aus 16 Partnernationen wurden aktuelle flugmedizinische Themen mit internationaler Perspektive diskutiert. Hierbei wurde deutlich, dass das multidisziplinäre Aufgabenportfolio der Luft- und Raumfahrtmedizin heute mehr denn je eine intensive internationale Kooperation erfordert. Hinsichtlich wissenschaftlicher Fragestellungen stellt hierzu die NATO Science and Technology Organization (STO) eine hervorragende Plattform dar, wie der Beitrag von Oberfeldarzt Dr. Fleischer zum flugmedizinisch hoch relevanten Thema „Aircrew Neck Pain“ verdeutlicht. Und klare Definitionen, wie sie von Oberstarzt Dr. Erley et al. zum Themenkomplex „Human Performance“ vorgenommen werden, stellen wichtige Grundlagen für die zukünftige Arbeit dar. Für die Luft- und Raumfahrtmedizin ist zudem der Blick über den Tellerrand der militärischen Flugmedizin hinaus von großer Bedeutung. Der Akademische Jubiläumsvortrag „Eine Frage des Horizontes – von der Flugmedizin zur Weltraummedizin“ von Gastreferent Prof. mult. Dr. Dr. Ullrich hat hierzu interessante Perspektiven aufgezeigt und ist als Originalmitschnitt im E-Paper dieser Ausgabe abrufbar. Damit beschreitet auch die Wehrmedizinische Monatsschrift zukunftsorientiert neue Wege. Dem Autorenteam um Prof. Dr. Jordan vom Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin unseres Kooperationspartners, des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) bin ich für seinen Beitrag „Von der Erde zum Mond und wieder zurück“ sehr dankbar, in dem es uns die medizinischen Herausforderungen der bemannten Raumfahrt näherbringt. Bei der Gestaltung der Zukunft ist ein Blick in die Vergangenheit oftmals unverzichtbar. Zum einen würdigen wir damit in guter akademischer Tradition die häufig unter schwierigen Bedingungen erbrachten medizinischen, technischen und organisatorischen Leistungen unserer Vorgänger, zum anderen können wir aus ihren Erfahrungen lernen. Frau Oberfeldarzt Priv.-Doz. Dr. Ledderhos, Oberstleutnant Dr. Potempa und Oberstarzt Prof. Dr. Vollmuth haben hierzu eine umfassende Analyse der Flugmedizin im Ersten Weltkrieg vorgenommen. Dr. Ledderhos stellt uns in einer weiteren Übersicht auch die Meilensteine der flugmedizinischen Forschung in der Bundeswehr von 1959 bis 2019 dar. „Die Zukunft soll man nicht voraussehen wollen, sondern möglich machen.“ Mit diesem Zitat von Antoine de Saint-Exupéry möchte ich Sie zur Lektüre dieser Ausgabe und zugleich zu einer Reise durch 100 Jahre Flugmedizin einladen – die Zukunft dabei fest im Blick: „Aerospace Medicine – Together into the Future“. Ihr Generalarzt Prof. Dr. Rafael R. Schick Generalarzt der Luftwaffe

Ledderhos C

Volanti subvenimus – 60 Jahre flugmedizinische Forschung im Dienste unserer fliegenden Besatzungen

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Jordan J, Aeschbach D, Berger T, Elemenhost EM, Hellweg CE, Herrsbach R, Maschke P, Pecena Y, Rittweger J, Stern C, Tank J

Von der Erde zum Mond und wieder zurück – Herausforderungen für die Lebenswissenschaften und Beiträge aus dem DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin

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Borsch H

Together into the Future: 64. Fliegerarzttagung der Bundeswehr – Tagunsgbericht

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Fleischer H

Wenn der Nacken schmerzt: Ergebnisse einer internationalen multidisziplinäen NATOStudie zum Problemfeld „Aircrew Neck Pain“

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Erley OM, Vergin A, Haggenmiller C, Sammito S

Human Enhancement – alter Wein in neuen Schläuchen oder tatsächlich eine Herausforderung für die Wehrmedizin? Human Enhancement – old wine in new bottles or really a challenge for military medicine?

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Aus dem Sanitätsdienst Internationale Zusammenarbeit Forschung und Wissenschaft Mitteilungen der DGWMP e.V. WMM E-Paper

380 381 382 383 384

Ledderhos C, Potempa H, Vollmuth R

Die Luftfahrtmedizin im Ersten Weltkrieg Aviation Medicine during Wold War I

S1 - S16

Der Beitrag ist als Supplement in der Heftmitte beigeheftet. Diese Ausgabe erscheint zeitgleich mit der Druckversion zusätzlich als E-Paper (siehe hierzu auch Seite 384). Die E-Paper-Version kann über die Webseite www.sanitaetsdienst-bundeswehr.de oder den nebenstehende QR-Code aufgerufen werden.

Titelbild Erfolgreiche fliegerärztliche Betreuung und flugmedizinische Forschung erforden heute und in Zukunft mehr denn je internationale und multidisziplinäre Zusammenarbeit. In diesem Sinne lautete das Motto des 64. Fliegerarzttagung der Bundeswehr «Aerospace Medicine – Together into the Future», auch wenn bei der Tagung auf 60 Jahre Flugmedizin in der Bundeswehr zurückgeblickt wurde. (Bild: © Bundeswehr/Luftwaffe, Layout Stephan Ink, ZentrLurMedLw)


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VOLANTI SUBVENIMUS 60 Jahre flugmedizinische Forschung im Dienste unserer fliegenden Besatzungen Carla Ledderhosa „Flugmedizinische Forschung und Lehre sind im Zeitalter des Überschallfluges eine Aufgabe, der sich keine Industrienation entziehen kann. Nur durch das zielstrebige Zusammenwirken von Physik, Medizin und Technik lässt sich ein Optimum an Sicherheit für den Aufenthalt in der dritten Dimension erreichen.“ Erwin A. Lauschner, 1965 [8]

Einleitung und geschichtlicher Abriss Die Aufstellung des Flugmedizinischen Institutes der Luftwaffe (FlMedInstLw) im Jahre 1959 markiert den Beginn einer institutionalisierten militärischen Flugmedizin in der Bundesrepublik Deutschland, die 2019 auf 60 Jahre ihres Bestehens zurückblicken kann. Dabei erfolgte die Gründung des Instituts nicht nur unter dem Aspekt der Zentralisierung der bis dahin deutschlandweit bestehenden vier fliegerärztlichen Untersuchungsstellen. Der Weitsicht der Gründungsväter ist es zu verdanken, dass sie auch die flugmedizinische Forschung als Garant und conditio sine qua non einer auf höchster Sicherheit beruhenden Militärfliegerei betrachteten und sie daher von Beginn an zu einem integralen Bestandteil des im Aufstellungsbefehl niedergelegten Auftrages des FlMedInstLw machten. Neben der Aufgabe der Durchführung aller ärztlichen Untersuchungen auf Wehrfliegertauglichkeit sowie der flugphysiologischen Ausbildung waren darin wissenschaftliche und praktische Arbeiten sowie die Auswertung der in- und ausländischen Literatur auf dem Gebiet der theoretischen und angewandten Flugmedizin bereits fest verankert. Die Anfänge der Forschung am Flugmedizinischen Institut der Luftwaffe Der Standort des Institutes in der Nähe von München war gut gewählt. Zum einen konnten auf dem Militärflugplatz im Fliegerhorst Fürstenfeldbruck, der 1956 zur „Wiege der neuen deutschen Luftwaffe“ [9] geworden war, alle Luftfahrzeugmuster der Luftwaffe bereitgestellt werden. Die so geschaffene enge Verbindung von Flugmedizin und militärischer Fliegerei erwies sich schnell als sehr befruchtend und ließ Fürstenfeldbruck „zu einem Begriff in der a Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe, Fürstenfeldbruck

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internationalen Luftfahrtmedizin“ [9] werden. Zum anderen erwies sich die Nähe des Institutes zu den medizinischen Fakultäten der Ludwig-Maximilians-Universität, zu den auf den Gebieten der Biophysik und Biotechnik tätigen Instituten der Münchener Technischen Universität sowie zu den fünf im Großraum Münchens arbeitenden medizinischen oder biologischen Instituten der Max-Planck-Gesellschaft und nicht zuletzt die Nachbarschaft zur Luftfahrtindustrie und zu einer Erprobungsstelle der Bundeswehr, die das gesamte Gerät der Luftwaffe testet, als ein weiterer klarer Standortvorteil [9]. In diesem Umfeld konnten sich das Institut und vor allem auch die flugmedizinische Forschung optimal entwickeln. Struktur des Institutes Zur Erfüllung der zugewiesenen Aufgaben wurde das Institut anfänglich in drei Abteilungen gegliedert (siehe auch Abbildung 1): • Abteilung I war die fliegerärztliche Untersuchungsstelle, • Abteilung II führte die flugphysiologische Ausbildung durch und • die Abteilung III „Experimentelle Flugphysiologie“, das eigentliche Herzstück des FlMedInstLw“ [9], widmete sich der Forschung. Die Aufgabe der Abteilung III bestand ausschließlich in der angewandten Zweckforschung. Sie startete zunächst mit zwei Arbeitsgruppen (AG Atmungs- und Kreislaufphysiologie und AG Sinnesphysiologie), 1961 kam die Arbeitsgruppe Flugpsychologie und 1963 noch eine naturwissenschaftliche Arbeitsgruppe hinzu. Im Jahre 1964 entstanden die Abteilung IV „Ergonomie“ und die Abteilung V „Flugunfallmedizin“. Aus der bereits mit Gründung des Institutes tätigen Fachgruppe „Flugpsychologie“ wurde unter Einbeziehung der „Zentralen Fliegerpsychologischen Untersuchungsstelle“ (Teileinheit des Jagdbombergeschwaders 49) 1982 die Abteilung VI „Flugpsychologie“. Die 1960iger Jahre Nachdem die ersten Jahre vor allem Jahre des Aufbruchs, der Findung und der Strukturierung des Institutes waren, folgte jedoch bald eine Zeit intensiver Forschungsarbeiten, die ihren Niederschlag in einer ansehnlichen Reihe von Veröffentlichungen fand. Insgesamt erschie-

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Abb. 1: Aufstellungsbefehl und Organigramm (von 1969) des FlMedInstLw: Der Aufstellungsbefehl enthält u. a. eine Weisung an Stabsarzt (?) Dr. Grunhofer (*1922, †2000), den späteren Inspekteur des Sanitäts- und Gesundheitswesens der Bundeswehr (1980-1982). Anfänglich hatte das Institut 3 Abteilungen, die Abteilungen IV (grün) und V (rot) kamen 1961 bzw. 1963 hinzu.

nen allein in den 60iger Jahren rund 235 Arbeiten [3], 13 wissenschaftliche Arbeiten wurden im Rahmen der Qualifizierung zum Fliegerarzt („Fliegerarztarbeiten“) erstellt. Thematisch standen Fragen der Beurteilung der Leistungsbreite und Leistungsgrenzen des Menschen sowie der Erhaltung seiner Gesundheit und Leistungsfähigkeit insbesondere auch beim alternden Piloten im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Arbeiten. In der Klinik übliche Methoden der Früherkennung gefährdeter Patienten wurden kritisch hinterfragt, systematische Suchmethoden nach Risikofaktoren mit präklinischen Zeichen bei Gesunden ausgebaut und damit bereits damals das präventive Konzept in die Betreuung der fliegenden Klientel eingebracht. Eigene Funktionsprüfungen und Untersuchungsverfahren wurden erarbeitet, um Leistungsbreite und Regulationsweise von Herz, Kreislauf und Atmung erfassen und näher beurteilen zu können. Daneben spielten in der Forschung immer mehr auch psychologische Aspekte eine Rolle. Man hinterfragte psychologische Gesichtspunkte bei der Fliegerauslese und Flugzeugführerausbildung, analysierte Gründe fliegerischen Versagens und versuchte, das psychophysische Belastungsvermögen von Flugzeugführern, sowie psychische Stressoren und Reaktionen auf diese zu erfassen. Ebenso beschäftigte man sich mit Fragen der Identifikation und Aufklärung bei flugunfallmedizinischen Untersuchungen, bei Flugzeugkatastrophen und mit den flugmedizinischen Aspekten beim Lufttransport von Verwundeten. Ein anderer Schwerpunkt der Forschung lag auf der Be-

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deutung von Gehör und Gleichgewichtsorgan im modernen Flugbetrieb. In dieser Zeit wurden verschiedene Gehörschutzgeräte hinsichtlich Schalldämmung und Sprachverständigung bei Fluggeräuschen erprobt und Untersuchungen zur Sprachverständlichkeit im Cockpit durchgeführt. Auf dem Gebiet der Augenheilkunde standen Anforderungen an Nacht- und Farbensehen sowie die Korrektionsbrille beim fehlsichtigen Piloten auf dem Prüfstand. In der Ergonomie wurde eine Studie zum Tragen von Kälteschutzanzügen durchgeführt und bereits in das erste Jahrzehnt des Bestehens des Institutes fällt die Schaffung einer Arbeitsgruppe „Telemetrie“. Die 1970iger Jahre Die Forschung der siebziger Jahre stand ganz im Zeichen der Erfassung der Belastbarkeit des Luftfahrzeugführers (Lfz-Führers) an seinem Arbeitsplatz im Flugbetrieb. Die technischen Fortschritte in der Flugzeugtechnik hatten den Menschen mehr und mehr zum begrenzenden Faktor im Mensch-Maschine-System werden lassen und so rankte sich eine Reihe von Forschungsvorhaben um die Erfassung der Leistungsgrenzen des Menschen und die Möglichkeit, diese mit entsprechenden Hilfsmitteln zu erweitern [5]. Die auf die Lfz-Führer einströmende Datenflut, der hohe Automatisierungsgrad ihrer Tätigkeiten und die Überforderung der Sinnesorgane waren Probleme, denen sich die Piloten in den neuen fliegenden Waffensystemen stellen mussten. Deshalb waren Fragen der Zumutbarkeit und möglicher Leistungseinschränkungen

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im Flugbetrieb zu untersuchen. Um dies erfolgreich zu tun, mussten allerdings zunächst einmal eine Reihe von Voraussetzungen für diese Projekte geschaffen werden. Unter den Veröffentlichungen der damaligen Zeit befinden sich mehrere Arbeiten, die sich mit der telemetrischen Erhebung physiologischer Daten (EEG und telemetrische inflight-Ableitungen, Messung des Atemvolumens mit Heißleitersensoren, Telemetrie als Hilfsmittel der Arbeitsund Leistungsphysiologie etc.) im Fluge beschäftigten. Parallel dazu ging die Fachgruppe „Klimaphysiologie“ daran, das Klima unter den verschiedenen Umweltbedingungen am Arbeitsplatz „Cockpit“ sowie die Brauchbarkeit von Schutzanzügen, persönlicher Ausrüstung sowie Rettungs- und Überlebensgerät zu testen; in der Fachgruppe „Kreislauf und Atmung“ erfolgten Untersuchungen zur Belastungsfähigkeit dieser beiden Organsysteme beim Fliegen. Die Fachgruppe „Neuro- und Sinnesphysiologie“ widmete sich der Informationsaufnahme von kleinen, schnell bewegten, optischen Signalen und bewertete diese als Maß der allgemeinen Leistungsfähigkeit des Menschen im Fluge. In der Folge wurde die Störanfälligkeit derselben durch Faktoren wie Ermüdung, gleichzeitige akustische Informationsaufnahme und Erschöpfung untersucht. Die 1980iger und 1990iger Jahre Aus Anlass des 25jährigen Bestehens des FlMedInstLw wurde in einer nicht veröffentlichten Jubiläumsschrift [3] Rechenschaft über den Stand seiner Entwicklung abgelegt. Aus dieser Schrift stammt auch eine Übersicht der bis dahin aus dem Institut hervorgegangenen 557 Veröffentlichungen. Die Forschung konzentrierte sich mehr und mehr auf die Großgeräte, die zur Verfügung standen. So waren es nicht primär neue Forschungsthemen, sondern vielmehr ein tieferes Eindringen in die Materie selbst, das diesen Zeitabschnitt auszeichnete. Die Erfassung der Beanspruchung des Lfz-Führers wurde zunehmend zu einem Schwerpunkt der Forschungsarbeit dieser Zeit, wobei man sich dem Thema vor allem mit traditionellen Methoden (subjektive Befragungen) näherte. Allerdings gab es auch schon damals erste Ansätze, diese traditionellen Verfahren mit objektiven Messwerten zu unterlegen [7]. Die 1990iger Jahre waren vor allem geprägt durch die Vereinigung der beiden deutschen Staaten, die auch für das Institut mit Umstrukturierungen verbunden war. Die bisherige Abteilung II „Flugphysiologische Ausbildung“ wurde an das ehemalige Institut für Luftfahrtmedizin der NVA in Königsbrück verlegt. Die bisher von der ursprünglichen Abteilung in Fürstenfeldbruck genutzten Großgeräte fielen an die Forschungsabteilung, die meist in Zusammenarbeit mit Universitäten (München, Greifswald, DLR Köln etc.) eine Reihe größerer Projekte sowohl in der Unterdruck- als auch in der Klimakammer und in dem neu hinzugekommenen Flugorientierungstrainer durchführte. Inhaltlich ist vor allem eine große vergleichende

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Studie an 99 Besatzungen verschiedener Lfz-Muster der Bundeswehr (Jet, Fläche, Hub) hervorzuheben, die sich zum Ziel gesetzt hatte, psychophysische Belastung und Beanspruchung in verschiedenen Lfz-Mustern differenzierbar und objektivierbar zu machen. An ihr waren mehr als 50 Mitarbeiter des Institutes, darunter etwa 30 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, beteiligt [4]. Daneben ist eine Studie in der Unterdruckkammer in Fürstenfeldbruck zu nennen, die in Zusammenarbeit mit der Universität Greifswald durchgeführt und mit einem der nur zweimal nach Deutschland vergebenen Young Investigator Awards der Aerospace Medical Association (AsMA) ausgezeichnet wurde (siehe auch Abbildung 8). Das neue Jahrtausend In diese Zeit fielen das 50-jährige Bestehen des FlMedInstLw, die erstmalige Evaluation der Ressortforschungseinrichtungen des Bundes durch den Wissenschaftsrat, die Einrichtung eines wissenschaftlichen Beirates, die Aufstellung des Zentrums für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe sowie die Unterzeichnung des Kooperationsvertrages mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Daneben rückte der schockierende Absturz einer Germanwings-Maschine im März 2015 in den französischen Alpen die mentale Gesundheit von Piloten nicht nur in den Fokus von Öffentlichkeit und Regulierungsbehörden, sondern auch in den der Arbeit in unserem Zentrum. Leider hat die Forschung im neuen Jahrtausend nicht mehr den Umfang vergangener Zeiten erreichen können. Im Rahmen der Ministerweisung zur Neuausrichtung der Bundeswehr im Jahre 2000 und der damit verbundenen einsatzorientierten Umstrukturierung der Streitkräfte wandelten sich auch die Prioritäten im FlMedInstLw. So führte die Änderung der Struktur und Personalausstattung (STAN) im Jahre 2003 zu einer erheblichen personellen Verkleinerung der Forschungsabteilung. Die mit der Neuausrichtung der Bundeswehr ab 2010 sowie dem Erlass der Verteidigungspolitischen Richtlinien im Jahr 2011 verbundene deutliche Reduzierung des Streitkräfteumfangs führte dazu, dass es auch mit der Aufstellung des ZentrLuRMedLw nicht zu einem personellen Aufwuchs in der Forschung kam, obwohl dies der Wissenschaftsrat im Jahre 2009 empfohlen hatte. Dies verlangte von den Mitarbeitern ein ausgesprochen hohes Maß an Engagement und die Bereitschaft, sich mit Professionalität, aber auch Einfallsreichtum und Fantasie den neuen Herausforderungen zu stellen. Kennzeichnend für die flugmedizinische Forschung dieser Zeit war ein grundlegender Wandel. Labor- und großgerätegebundene Forschungsprojekte wurden durch Feldstudien und inflight-Messungen ergänzt. Dies erforderte zum einen eine Anpassung der Geräteausstattung – an die Stelle stationärer Messgeräte traten kleine, portable und handliche Messgeräte –, zum anderen aber auch eine wesentlich größere Flexibilität der Mitarbeite-

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rinnen und Mitarbeiter sowie ein deutlich gestiegenes Reiseaufkommen. Die Entwicklungsfortschritte in der Computertechnik ermöglichten nunmehr die Bearbeitung auch großer Datenmengen – ein Problem, das insbesondere den inflight-Messungen der 70iger Jahre noch ein jähes Ende bereitet hatte. Geblieben und von noch größerer Bedeutung sind die Großgeräte wie Unterdruckkammer, Humanzentrifuge, Desorientierungstrainer usw. Überdies eröffnet ein kürzlich beschafftes modernes 3 Tesla-MRT nicht nur für die Untersuchungsmethodik in der klinischen Flugmedizin, sondern auch in der Forschung neue Horizonte. Inhaltlich wurde und wird die flugmedizinische Forschung im 21. Jahrhundert bestimmt durch die Einführung neuer Luftfahrzeugmuster von bisher nicht gekannter Komplexität (Eurofighter, Tiger, NH-90 und A400M sowie schwerer Transporthubschrauber) und den damit einhergehenden Erwerb neuer Komponenten von Fliegersonderbekleidung und Rettungssystemen („Life-Support“und „Crew-Escape“-Equipment“). Nie zuvor in der Geschichte der Bundeswehr wurden so viele Lfz-Muster gleichzeitig beschafft. Bei knappen Ressourcen insbesondere im Personalbereich verlangte und verlangt dies eine Konzentration auf ausgewählte Sachgebiete. Das Forschungspotenzial musste und muss nach Maßgabe der Möglichkeiten noch weiter als bisher abteilungsübergreifend aktiviert und genutzt werden, zusätzliche personelle Ressourcen außerhalb des militärischen Bereichs (Doktoranden, Diplomanden) sind zu erschließen und die wissenschaftliche Expertise durch Vernetzung mit nationalen wie internationalen universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu erweitern. Weitere Synergieeffekte sind durch die Verknüpfung der Hauptaufgaben des Zentrums – Begutachtung, Ausbildung und Forschung – erzielbar. Der multidisziplinäre Aspekt der Flugmedizin hat in dieser Zeit mehr denn je an Bedeutung gewonnen. Dabei konnte und kann die flugmedizinische Forschung von den allgemeinen Fortschritten in den Naturwissenschaften, der Telemedizin und der Informations- und Biomedizintechnik profitieren. Wesentliche Fortschritte in der Sensortechnik, kleinere tragbare Registrier- und Speichertechnik sowie das Zeitalter der modernen Rechentechnik ermöglichen das Aufgreifen „alter“ Fragestellungen der Flugmedizin, bei denen der damalige Stand der Technik einen fundamentalen Erkenntnisfortschritt noch nicht zuließ und deren Bearbeitung heute auf einem wesentlich höheren Niveau möglich ist. Evaluation des FlMedInstLw durch den Wissenschaftsrat In seiner Stellungnahme zum Ergebnis der Evaluation der flugmedizinischen Forschung und Entwicklung in der Bundeswehr vom Juli 2009 [11] bezeichnete der Wissenschaftsrat (WR) die Forschung am FlMedInstLw als in hohem Maße anwendungsorientiert, auf den Bedarf der

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Bundeswehr zugeschnitten und als qualitativ hochwertig. Die erbrachten wissenschaftsbasierten Dienstleistungen wurden als sehr gut bis teilweise ausgezeichnet bewertet. Nach seiner Einschätzung war die Arbeit des wissenschaftlich als kompetent eingeschätzten Personals durch methodisch geschickt formulierte Untersuchungshypothesen gekennzeichnet, das Vorgehen innovativ, die Forschungsergebnisse überzeugend. Dabei wurde hervorgehoben, dass die sehr guten Forschungsleistungen umso höher einzuschätzen sind, als dass die Rahmenbedingungen hierfür eher ungünstig waren. Ebenfalls kritisch angemerkt wurde, dass die personelle Ausstattung insbesondere im Forschungsbereich zu knapp bemessen, eine strukturelle Anpassung der Personalentwicklung an die Bedingungen wissenschaftlichen Arbeitens dringend erforderlich und der Umfang der Forschungstätigkeit – gemessen am Bedarf – zu gering sei. Folglich empfahl der Wissenschaftsrat, die Rahmenbedingungen für die Forschung nachhaltig zu verbessern, ein für Forschungszwecke einzusetzendes flexibles Budget einzurichten, die Beschaffung von Forschungsgerät zu vereinfachen und zu beschleunigen, sowie die Kooperationen mit zivilen Forschungseinrichtungen weiter auszubauen. Diese Empfehlungen des WR´s waren gerade im 50. Jahr des Bestehens des Flugmedizinischen Institutes der Luftwaffe besonders wertvoll und erfreulich; bekräftigten sie doch eindrucksvoll, dass die Forschung, als Garant für die weitere Fortentwicklung der Flugmedizin, intensiviert und ausgebaut werden sollte. 2013 – Aufstellung des Zentrums für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe Mit Befehl des Kommando Luftwaffe Nr. 13/2013 wurden mit Wirksamkeitsdatum 30.09.2013 die Dienststellen Generalarzt der Luftwaffe und das FlMedInstLw aufgelöst. Zugleich wurde das Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe (ZentrLuRMedLw) zum 01.10.2013 aufgestellt. Wie bereits das 1959 gegründete FlMedInstLw ist auch das ZentrLuRMedLw als zentrale Einrichtung der Bundeswehr für Luft- und Raumfahrtmedizin und deren Grenzgebiete für das gesamte Luftfahrtpersonal aller Organisationsbereiche im Geschäftsbereich des BMVg zuständig. Die Forschung wurde grundlegend umstrukturiert. Die ehemalige Abteilung Forschung, Wissenschaft und Lehre des FlMedInstLw ging nun zusammen mit den ehemaligen Abteilungen Ergonomie, Rechts- und Flugunfallmedizin und der Abteilung Flugphysiologie in Königsbrück in der Fachabteilung I „Forschung, Wissenschaft, Erprobung, Flugphysiologisches Trainingszentrum, Flugunfalluntersuchung“ auf, während der Lehranteil der ursprünglichen Forschungsabteilung in der jetzigen Fachabteilung III ausgebracht wurde. Ein strukturell zur Fachabteilung I gehörendes, neu aufgestelltes Dezernat übernahm seitdem die Forschungskoordination, wobei

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die Zahl der ausschließlich in der praktischen Forschung tätigen Wissenschaftler wiederum geringer geworden ist. Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Luftund Raumfahrt Entsprechend der Empfehlung des WR´s, nach der die hervorragende technische Infrastruktur des FlMedInstLw künftig effizienter und insbesondere im Rahmen von Kooperationen mit universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen genutzt werden sollte, wurde im Mai 2014 auf der Internationalen Luftfahrtausstellung in Berlin von der damaligen Bundesministerin der Verteidigung, Dr. Ursula von der Leyen, und dem Vorstandsvorsitzenden des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), Prof. Dr. Johann-Dietrich Wörner, ein Kooperationsvertrag zwischen dem DLR und dem ZentrLuRMedLw abgeschlossen, um die vorhandene zivilmilitärische Kompetenz der Luft- und Raumfahrtmedizin gezielt auszubauen. Vorgesehen sind u. a. die Durchführung gemeinsamer Forschungs- und Ausbildungsvorhaben, eine ressourcensparende Nutzung von Großgeräten und der Austausch von wissenschaftlichem Personal. Mitarbeit in NATO-Arbeitsgruppen Schon 2009 lobte der WR das aktive Engagement des Instituts auf internationalen NATO-Fachkonferenzen und in NATO-Arbeitsgruppen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zentrums, wie auch zuvor des FlMedInstLw, arbeiteten und arbeiten projektbezogen immer wieder an verschiedensten Aktivitäten des „Human Factors and Medicine Panel“ (HFM) und des „Sensors and Electronics Technology Panel“ (SET) der NATO Science and Technology Organization (STO) mit und können ihre Expertise dort einbringen (Tabelle 1). Von 2015 bis 2019 war Generalarzt Prof. Dr. Schick, Generalarzt der Luftwaffe, Co-Chair bzw. Chair des STO-HFM-Panels und hatte in dieser Funktion u. a. die Verantwortung für Koordination und Management der Forschung und des Informationsaustausches auf dem Gebiet der Flugmedizin der NATO. Der Leiter der Fachabteilung II des ZentrLuRMedLw ist seit 2009 Chairman der Aeromedical Working Group des Air Standardization Board (AirSB) und damit zuständig für Fragen der flugmedizinischen Standardisierung im militärischen Flugbetrieb innerhalb der NATO. Der jetzige Leiter der Fachgruppe „Klinische Flugmedizin“ war 2015 im Rahmen des „Ramstein Aerospace Medicine Summit“ der NATO STO als „Technical Course Director“ des „HFM-256 Technical Course on Aerospace Medicine – Going to extremes“ mit der Organisation und Durchführung dieser jährlich stattfindenden größten Fachkonferenz für militärische Flugmedizin in Europa betraut. Die Arbeit im HFM-Panel und in den HFM-Arbeitsgruppen unterstützt die fachliche Netzwerkbildung und sorgt

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Tab. 1: NATO-STO-Arbeitsgruppen, in denen Wissenschaftler des ZentrLuRMedLw bzw. aus dem Fliegerärztlichen Dienst in den letzten 10 Jahren mitgewirkt haben

Arbeitsgruppe Titel HFM-138-ET HFM-274-RTG

The impact of hypobaric exposure on aviators and high-altitude special operations personnel

HFM-171-ET

Fatigue management in aircrew

HFM-172-ET HFM-312-RTG

Unexplained physiologic events in high-performance aircraft

HFM-191-RTG

Refractive surgery: New techniques and usability for military personnel

HFM-251-RTG

Occupational cardiology in military aircrew

HFM-252-RTG

Aircrew neck pain

HFM-299-RTG

Pulmonary screening and care in aviators

HFM-314-RLS

Aircrew neck pain prevention and management lecture series

SET-198 RTG

SET-249-RTG

Visible laser dazzle: Effects and protection Laser Eye Dazzle – Threat evaluation and impact on human performance

ET = Exploratory Team, RTG = Research Task Group

für einen unkomplizierten und raschen Informationsaustausch innerhalb der NATO-Nationen: Dieses begünstigt die wissenschaftliche Arbeit außerordentlich und verschafft dem ZentrLuRMedLw auch international einen guten Ruf. Forschungsschwerpunkte in diesem Jahrtausend Experimentelle flugmedizinische Forschung Die Forschungsabteilung und das spätere Dezernat „Experimentelle Flugmedizinische Forschung“ widmeten sich in diesem Jahrtausend drei wesentlichen Forschungsfeldern: • Möglichkeiten zur Früherkennung eines plötzlich auftretenden Sauerstoffmangels im Flug, • beschleunigungsphysiologische Fragestellungen, bei denen es vor allem um eine Objektivierung der Schutzwirkung verschiedener Anti-G-Anzüge ging und • inflight-Messungen in verschiedensten Luftfahrzeugen und bei unterschiedlichsten Flugmanövern zur Objektivierung der psychophysischen Belastungen des fliegenden Personals. Daneben leistete das Dezernat Hilfestellungen bei einer Reihe von Projekten mit dem Ziel wissenschaftlicher Graduierungen.

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G-Raffe – ein neuer Anti-G-Schutzanzug 2009 erhielt die Forschungsabteilung des FlMedInstLw den Auftrag, die von der Schweizer Firma iii-solutions für G-nius ausgeführte Entwicklung eines neuartigen Anti-G-Anzuges mit dem Namen „G-RAFFE“ wissenschaftlich zu begleiten. Anknüpfend an die zuvor bei den Vergleichserprobungen entwickelten Untersuchungsverfahren (s.u.) konnte dabei das Methodenspektrum unter den Bedingungen hoher G-Beschleunigungen weiter ausgebaut und der Anti-G-Schutz nun auch bei freien, durch den Probanden aktiv, selbst „geflogenen“ Zentrifugenprofilen anhand hämodynamischer Parameter objektiviert werden. Das Projekt wurde 2013 mit einer umfangreichen Potenzialabschätzung des neuen Anzugs im Vergleich zum gegenwärtig bei den Eurofighter-Piloten im Gebrauch befindlichen AEA-Anzugs abgeschlossen. Fliegen in Schwerelosigkeit Eine Herausforderung war es, dass für die Hyper-G-Bedingungen in der Humanzentrifuge entwickelte Methodenspektrum zur nichtinvasiven Erfassung von Volumenverschiebungen und Kontraktilitätsänderungen des Herzens auch unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit zu überprüfen. Dazu nahmen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Forschungsabteilung von 2008–2011 an insgesamt 4 Parabelflugkampagnen in Bordeaux und Köln teil und untersuchten in Zusammenarbeit mit dem Institut für Luftund Raumfahrtmedizin des DLR individuelle autonome und kardiovaskuläre Mechanismen bei Schwerelosigkeit. Mountain-Wave-Project Eine außergewöhnliche Gelegenheit für operationelle flugmedizinische Forschung der besonderen Art bot sich dem Team des Dezernats „Experimentelle Flugmedizinische Forschung“ mit der Teilnahme an Wellen-Höhenflügen, die im Rahmen des „Mountain Wave Projects“ (MWP) im Himalaya und den Französischen Alpen stattfanden [10]. Bei diesem multidisziplinären Projekt, an dem Wissenschaftler und Piloten des MWP sowie des Instituts für Optische Sensorsysteme Berlin-Adlershof beim DLR und des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) teilnahmen, war die Gruppe des ZentrLuRMedLw für die flugmedizinischen Aspekte dieser Expedition verantwortlich. Ziel des Teilprojektes „Höhenphysiologie“ war es festzustellen, wie robust pulsoximetrische Messungen der O2-Sättigung unter den zu erwartenden extremen Umweltbedingungen von Höhensegelflügen mit ihren in der Atmosphäre ausgeprägten Temperaturschwankungen und Turbulenzen sein würden. Zum einen interessierte dabei der Aspekt der Ausfallhäufigkeit von inflight-Messungen der O2-Sättigung an verschiedenen Messorten am Körper (Stirn, Brust- und Schienbein), um daraus Aussagen für eine optimale Positionierung eines Sauerstoffmangelsensors für inflight-Messungen abzuleiten. Zum anderen sollte den Piloten aber auch eine Rückmeldung zur Güte ihres O2-Managements bei Hö-

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henflügen, die in ein bisher für Motorsegler und Segelflugzeuge unerreichtes extremes Höhenband von 7 000 m bis ca. 9 200 m (FL 290) bis über den Mount Everest gingen, gegeben werden. Dieses Projekt hat international große Aufmerksamkeit auf sich gezogen. So konnten die Gesamtergebnisse aller beteiligten Wissenschaftler auf der Internationalen Luftfahrtausstellung 2014 in Berlin vorgestellt werden: Es ergingen u.a. Einladungen zu Vorträgen bei der Royal Aeronautical Society sowie zu Eröffnungsvorträgen auf der SAFE Europe 2015, dem Bayerischen Fliegertag 2017 und auf der 6. European Conference of Aerospace Medicine (ECAM) 2018 in Prag. Ein begleitender Film des RBB zu diesem Projekt wurde inzwischen nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland ausgestrahlt. Auch auf dem XXXIII. Kongress der Organisation Scientifique et Technique Internationale du Vol à Voile (OSTIV) im Januar 2017 in Benalla, Australien stießen die Ergebnisse dieser Expedition auf großes Interesse.

Abb. 2: Mountain Waive Project: Anbringen des Pulsoximetriesensors (Bild li. oben, © Bundeswehr/ ZentrLuRMedLw) Vorbereitungen für das MWP in der Unterdruckkammer in Königsbrück (Bild re. oben, © Bundeswehr/ZentrLuRMedLw) Forschungsplattform Stemme S10VTX mit den Piloten Jona Keimer und René Heise über dem Anapurna Massiv (Bild Mitte, © René Heise) Die Grafik (Bild unten) zeigt die Summe der Ausfallzeiten der Sensoren an den 3 Messorten (rot) als prozentualen Anteil an der Gesamtflugzeit (GFZ) (69,86 h); an der Stirn kam es am seltensten zu Ausfällen.

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Solarimpulse 2 Die große internationale Resonanz auf das MWP führte im Dezember 2014 auch zur Einladung des wissenschaftlichen Leiters, Oberstleutnant René Heise, und der Leiterin des flugmedizinischen Teilprojektes, Oberfeldarzt Priv-Doz. Dr. Carla Ledderhos, nach Payerne (Schweiz), den Heimatflughafen des allein mit Solarenergie betriebenen Motorflugzeugs „Solarimpulse 2“. Zweck des Besuchs war die Teilnahme am Mission Readiness Review vor der ersten erfolgreichen Weltumrundung eines Flugzeuges dieser Art durch die Piloten Bertrand Picard und André Borschberg, auf dem die Erfahrungen aus dem MWP aufmerksam aufgenommen wurden. DPOAE In Kooperation mit der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten des Universitätsklinikums Dresden führte das Dezernat „Experimentelle Flugmedizinische Forschung“ eine experimentelle Studie zur Evaluation des Einflusses von +Gz - Beschleunigungen und hypobarer Hypoxie auf die Funktion der äußeren Haarzellen des menschlichen Innenohres mittels Messung von Distorsionsprodukten otoakustischer Emissionen (DPOAE) durch. In der Humanzentrifuge und der Höhen-KlimaSimulationsanlage in Königsbrück sollte der Frage nachgegangen werden, inwiefern unter kontrollierten Bedingungen bei hypobarer und stagnierender Hypoxie Störungen der Innenohrfunktion auftreten. Im Ergebnis konnte gezeigt werden, dass bei akuter hypobarer Hypoxie entsprechend einer Höhe von 5000 m trotz deutlichem Sauerstoffmangel und fehlender Höhenadaptation die Innenohrfunktion durch Kompensationsmechanismen sehr lange aufrechterhalten wird. Im Gegensatz dazu beeinflusste die beschleunigungsbedingte stagnierende Hypoxie sowohl Funktionen des Mittel- als auch des Innenohrs. Es kam zu einer Verminderung der DPOAE und einer Erhöhung der Trommelfell Impedanz. Verifizierung eines vorangegangenen O2-Mangels mittels Biomarkern Ein in Zusammenarbeit mit der Fachgruppe I 4 „Flugunfalluntersuchung/ Rechtsmedizin“ und dem Institut für Rechtsmedizin der Universität Leipzig durchgeführtes Projekt zielte darauf ab, ein auf Biomarkern basierendes Testverfahren zu entwickeln, mit dem nach einer aufgetretenen Hypoxie der unmittelbar vorangegangene O2-Mangel belegt werden kann. Dies ist insofern von flugmedizinischer Relevanz, da damit eine ursächlich für einen Flugunfall bzw. -zwischenfall infrage kommende Hypoxie nachträglich verifiziert werden könnte. Tatsächlich wurden in dieser Studie Biomarker gefunden, die nach einem O2-Mangel hochreguliert werden; allerdings waren diese bei Personen mit familiärer Hypertonie andere als bei den normotensiven Vergleichspersonen. Zukünftig bedarf dieser Befund daher weiterer Untersuchungen. Erste Ergebnisse dieses Projektes konnten im

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Oktober 2018 auf dem Annual Meeting of the American College of Chest Physicians (ACCP) in San Antonio, Texas vorgestellt werden, trafen dort auf breite Resonanz und wurden mit einem Posterpreis ausgezeichnet. Kampf dem „neck pain“ Im Sommer dieses Jahres konnte eine Promotionsarbeit erfolgreich abgeschlossen werden, die sich mit der Auswirkung eines funktionellen Krafttrainings auf die muskuläre und subjektive Beanspruchung der Hals-, Nackenund Schultermuskulatur unter hohen G-Belastungen in der Humanzentrifuge beschäftigt hatte. Insgesamt ließ sich dabei nachweisen, dass ein speziell für das Umfeld von Jet-Piloten konzipiertes Trainingsprogramm das mittels Magnetresonanztomographie ermittelte Muskelvolumen vergrößert und die Beanspruchung der Muskulatur sowohl subjektiv als auch objektiv verringert hat. Insbesondere unter Bedingungen, bei denen die Probanden einen Helm trugen, wurden im Oberflächenelektromyogramm signifikante Abnahmen der muskulären Aktivität unter Beschleunigung festgestellt. Damit konnte überzeugend belegt werden, dass ein speziell für die Bedürfnisse von Luftfahrzeugführern entwickeltes Trainingsprogramm die Gesunderhaltung des fliegenden Personals unterstützen und einen wichtigen Beitrag in der komplexen Problematik zur Verringerung von Wirbelsäulen-

Abb. 3: Anti-G-Schutz für die HWS durch gezieltes Training: Der obere Teil zeigt die Versuchsperson in der Humanzentrifuge (rechts mit Helm incl. NVG), die Grafik zeigt am Beispiel des M. trapezius die deutliche Zunahme der muskulären Aktivität durch Helm und NVG bei Baseline (≈ 1Gz) und 3 Gz. (Bilder (modifiziert) aus WMM 2018; 62(1-2): 16)

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beschwerden bei Luftfahrzeugbesatzungen zu leisten vermag. Funktionelle Konsequenzen sog. „White Matter Hyperintensities“ Aktuell werden in einem multinationalen Projekt die funktionellen Konsequenzen von repetitiven Höhenexpositionen bei Innenbegleitpersonal von Höhensimulationskammern untersucht. Hintergrund dieser Fragestellung sind Befunde an U2-Piloten, bei denen ein vermehrtes Auftreten sog. White Matter Hyperintensities (WMH) beobachtet werden konnte, die mit großer Wahrscheinlichkeit den hypobaren Bedingungen, denen sie in ihrem Berufsleben wiederholt ausgesetzt waren, zuzuschreiben sind. Da Innenbegleiter von Unterdruckkammern ein ähnliches berufliches Umfeld aufweisen, ist diese Fragestellung für alle NATO-Nationen von vordringlichem Interesse. Während sich die Partnernationen vor allem mit der Erhebung der morphologischen Befunde beschäftigen, fiel dem Dezernat „Experimentelle Flugmedizinische Forschung“ des ZentrLuRMedLw die Aufgabe zu, die funktionellen Folgen repetitiver hypobarer Expositionen zu untersuchen. Da die Zahl der zu untersuchenden Innenbegleiter in den einzelnen Nationen jedoch jeweils zu gering ist, um wissenschaftlich belastbare Aussagen zu erhalten, entsenden unsere Partnernationen aus Belgien, Frankreich, den Niederlanden, Großbritannien und Skandinavien ihr Personal für diese Studie nach Fürstenfeldbruck. Human Performance Optimization und Human Performance Enhancement Betrachtet man die Flugzeugentwicklung der letzten Jahrzehnte, so wird sehr schnell deutlich, dass ihr Leistungsvermögen inzwischen das des Menschen bei weitem überschritten hat. Kaum eine andere Kennzahl als die des Auftretens der sog. P100-Welle im visuell evozierten Potenzial (VEP) ist besser geeignet, um deutlich zu machen, wie groß diese Diskrepanz inzwischen ist. Ein visuelles Signal braucht im Allgemeinen 100 ms, um seinen Weg in die Sehrinde des Gehirns zu finden; dabei ist es beim Eintreffen noch nicht mental verarbeitet. Geht man von dem bis heute bestehenden Geschwindigkeitsrekord für ein bemanntes Flugzeug, der 1967 von William Knight mit der North American X-15 aufgestellt wurde, von 7 274 km/h aus, so hat das Flugzeug in diesen 100 ms bereits eine Strecke von 200 m zurückgelegt. Diese Zahlen verdeutlichen sehr eindrucksvoll, dass ohne Ergebnisse aktiver flugmedizinischer Forschung dem weiteren technischen Fortschritt in der Fliegerei Grenzen gesetzt sind. Neben der Geschwindigkeit zusätzlich auftretende Beanspruchungen durch Informationsüberflutung, Beschleunigungen, Sauerstoffmangel, Fatigue usw. sind bei diesen Betrachtungen noch gar nicht berücksichtigt.

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Insbesondere auf dem Gebiet der menschlichen Leistungsoptimierung (Human Performance Optimization – HPO) und -steigerung (Human Performance Enhancement – HPE) sind daher in den letzten Jahren im Zentrum die Forschungsanstrengungen intensiviert worden, um die Grundlagen für geeignete präventive und die Leistungsfähigkeit optimierende Maßnahmen zu entwickeln, zu prüfen und in den fliegerischen Verbänden zu etablieren, d.h. kurzum aktiv Human Performance Optimization zu betreiben – und dieses wissenschaftlich zu begleiten. Im Rahmen der Evaluation von HPO wird im Dezernat Ergonomie/Erprobung des ZentrLuRMedLw in Manching gegenwärtig eine biomechanische Belastungsanalyse des Arbeitsplatzes von Piloten im Waffensystem Eurofighter durchgeführt. Fortschritte in der Flugunfallmedizin Im Falle eines Flugunfalls ist es Aufgabe der Rechtsmediziner des ZenrLuRMedLw, die Flugunfallopfer im Rahmen staatsanwaltlicher Ermittlungen zu untersuchen und insbesondere Fragen nach der Identität und möglichen Unfallursachen juristisch belastbar zu klären. Weil die Verletzungen oft komplex sind, möglicherweise Vorerkrankungen vorliegen und die Leichen, z.B. durch Brandeinwirkung oder Ähnliches, sekundär verändert sein können, ist neben der Obduktion daher oft eine ergänzende Diagnostik nötig. Dies ist aus den genannten Gründen nicht immer ganz einfach; dennoch konnten gerade auf diesem Gebiet in den letzten Jahren beachtliche Erfolge erzielt werden. DNA-Nachweis des Ertrinkungstodes Die neuen methodischen Entwicklungen auf dem Gebiet der DNA- und RNA-Analytik bzw. die Etablierung molekularpathologischer Diagnostik haben die rechtsmedizinische Untersuchung von Flugunfallopfern methodisch deutlich erweitert. So konnten Todesursache und vorbestehende Erkrankungen insbesondere bei Leichen mit komplexen Verletzungen und fortgeschrittenen postmortalen Veränderungen mittels spezieller Sequenzierungstechniken, wie z.B. der Pyrosequenzierung, einfacher und besser diagnostiziert werden. In Zusammenarbeit mit dem Institut für Rechtsmedizin der LMU München ist es der Fachgruppe I 4 „Flugunfalluntersuchung/ Rechtsmedizin“ gelungen, einen Real-time-PCR basierten Nachweis der DNA von Kieselalgen (Diatomeen) sowie von AeromonasSpezies (gramnegative Süßwasserbakterien) zu etablieren. Dieses Verfahren ermöglicht den Nachweis entsprechender mikrobieller DNA im Oberschenkelvenenblut oder in der Wadenmuskulatur von Ertrinkungsopfern. Damit lässt sich – unabhängig von morphologischen Organbefunden – zweifelsfrei feststellen, ob ein Unfallopfer beim Eintauchen ins Wasser noch gelebt hat. Bedeutung hat dies vor allem bei der Beantwortung der Frage, ob ein Herz-Kreislaufversagen bereits vor dem Auftreffen eines Unfallflugzeuges auf das Wasser eingetreten war.

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Postmortale Diagnostik der Hypoxie Auch können nun durch Bestimmung eines relevanten Signalweges, der bei einer verminderten Oxygenierung aktiviert wird, länger vorbestehende – gegebenenfalls auch nur intermittierend auftretende – Sauerstoffmangelsituationen am Herzmuskel unabhängig von morphologischen Kriterien diagnostiziert werden. Entsprechende Vorschädigungen am Herzen konnten bereits in Vorstudien bei bis zu 50 % der Piloten mittlerer und höherer Altersgruppen nachgewiesen werden. Zielgerichtete Aussagen lassen sich zudem über die Erfassung regulatorischer microRNAs im Herzmuskelgewebe machen. Da die entsprechenden Untersuchungen nur vergleichsweise kurze RNA-Fragmente benötigen, können sie auch an „schwierigem“ Material mit bereits fortgeschrittenen sekundären Leichenveränderungen durchgeführt werden. Schädigungsmarker Ein weiteres im ZentrLuRMed für flugmedizinische Fragestellungen weiterentwickeltes Verfahren ermöglicht es, bei Überbelastung des Körpers eintretende Zelluntergänge gewebespezifisch zu identifizieren. Dabei wird zellfreie zirkulierende DNA, die als Folge von Gewebeschädigungen in den Blutkreislauf eingespült wird, mit molekularpathologischen Methoden aufgearbeitet. Anwendung fand diese Methodik auch bei Untersuchungen in der Humanzentrifuge (HZF) des ZentrLuRMedLw in Königsbrück, bei dem es um die Frage der Auswirkung positiver Druckbeatmung auf die Lungenfunktion von Eurofighter-Piloten ging. Hier wurden Blutproben vor und nach Zentrifugenläufen entnommen und u.a. auf die Expression des für die Bildung von Surfactantprotein zuständigen Gens untersucht. Die Auswertungen dieser Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen.

Alter und DNA-Methylierung Durch die Altersabhängigkeit von DNA-Methylierungen in bestimmten Genomregionen können diese auch als Markersystem für eine Altersbestimmung herangezogen werden. Mittels Korrelation zu einem Referenzdatensatz aus Proben von Menschen bekannten Alters konnte aus einer Pyrosequenzierung auf das Alter von Unbekannten geschlossen werden. Untersuchungen an dem für Blutproben besonders geeigneten ELO-VL2-Gen bestätigten die Eignung des Verfahrens auch an Proben solider Organe wie beispielsweise der Milz von Brandopfern und Fäulnisleichen. Der Vergleich unbekannter Opfer nach einem Flugunfall, aber auch nach Massenkatastrophen wie etwa einem Tsunami, mit Bilddokumenten einer Vermisstenliste wird hierdurch deutlich erleichtert, weil es einfacher wird, das Alter des Opfers zu schätzen. Forschungsschwerpunkte des Flugphysiologischen Trainingszentrums in Königsbrück Die Themenkomplexe Sauerstoffmangel und Beschleunigungswirkungen und deren Wirkungen auf den Menschen, Phänomene von Orientierung und Desorientierung sowie die Nachtsehfähigkeit stehen im Mittelpunkt der Forschungsarbeiten des Teams in Königsbrück. Einige Arbeiten der jüngsten Zeit widmeten sich dem online-Monitoring von Vitalparametern und Biosignalen zur Gesunderhaltung unserer Soldatinnen und Soldaten, der Suche nach Möglichkeiten zur Reduktion psychischer Belastungen bei militärischen Drohnenoperateuren sowie der Aufarbeitung historischer Literatur und Quellen aus dem Zentrum. Erkennen des Sauerstoffmangels Die Erkennung und Objektivierung eines Sauerstoffmangels im Flug ist auch heute noch von ausschlaggebender Bedeutung für den Erfolg einer fliegerischen Mission,

Abb. 4: Pyrogramm mit Darstellung des sog. CpG-Methylierungsgrades in der Promotorregion des ELO-VL2-Gens. Die quantitativen Ergebnisse erlauben eine Abschätzung des biologischen Alters eines unbekannten Flugunfallopfers an Hand einer Blut- oder Gewebeprobe. Die ermittelten Prozentwerte methylierter Cytosin-Basen in den einzelnen Positionen werden hierzu mit den Werten einer Vergleichsstichprobe von Personen bekannten Alters verglichen. (Bild: © Bundeswehr/ZentrLuRMedLw)

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aber aufgrund fehlender validierter Sensorik mit Flugzulassung nach wie vor problembehaftet. Daher beschäftigen sich einige der neueren wissenschaftlichen Projekte des flugphysiologischen Trainingszentrums mit der Testung bzw. Implementierung verschiedenster Sensoren zum kontinuierlichen Monitoring der O2-Sättigung bei Innenbegleitern und Lehrgangsteilnehmern der flugphysiologischen Ausbildung in der Höhen-Klima-Simulationsanlage. Unter den Bedingungen hoher Beschleunigungen waren zuvor bereits in der Humanzentrifuge mit einem vom Institut für Luft- und Raumfahrttechnik der TU Dresden entwickelten Sensorsystem für Atemgase erfolgversprechende Untersuchungen durchgeführt worden. Die dabei verwendeten Festkörperelektrolyt-GasSensoren ermöglichten auch im Bereich hoher Beschleunigungen von 7–9 G z eine in-situ Messung von Atemgasen (O2, CO2) und Atemflow. Beeinflussung von Geruchs- und Geschmackssinn Daneben wurde eine Reihe von Projekten in Zusammenarbeit mit den Universitätskliniken für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde der Martin-Luther-Universität Halle und dem Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden sowie der Abteilung Othorhinolaryngologie des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg durchgeführt, die sich erstmals systematisch mit dem Einfluss von Umgebungsgeräuschen und -lärm, Luftdruck, Luftfeuchtigkeit und Temperatur auf den Geruchs- und Geschmackssinn befassten. Im Ergebnis konnte gezeigt werden, dass all diese Faktoren selektiv sowohl ausgewählte Qualitäten des Geruchsals auch des Geschmackssinns beeinträchtigen können. Störungen der Motorik und Arrhythmieentstehung durch Beschleunigungskräfte Bekanntermaßen können hohe Beschleunigungen sehr schnell zum limitierenden Element im Fluge werden. Aber selbst bei geringen Beschleunigungen muss man bereits mit Störungen der motorischen Funktionen des Menschen und damit mit einer Beeinträchtigung beim Führen eines Luftfahrzeugs rechnen. Dies war das Ergebnis eines Projektes, das in Kooperation mit dem Institut für Physiologie und Anatomie der Deutschen Sporthochschule Köln durchgeführt wurde. In einem weiteren Projekt wurden bei Lehrgangsteilnehmern in der flugphysiologischen Ausbildung die während der Zentrifugenfahrten abgeleiteten EKGs einer systematischen Analyse unterzogen und Daten zur Arrhythmieentstehung gesammelt, von denen man sich weitere Informationen zur klinischen Relevanz von unter Beschleunigungen auftretenden Herzrhythmusstörungen verspricht. Future High G Training Besondere Aufmerksamkeit verlangt gegenwärtig ein multinationales von der European Defense Agency (EDA) auf den Weg gebrachtes Projekt mit dem Titel

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„Future High G Training in Military Aviators“, an dem Österreich, die Niederlande, Polen, Schweden und Deutschland beteiligt sind und bei dem es um die zukünftige Gestaltung der Ausbildung von Lfz-Führern im Hochbeschleunigungsbereich geht. Dies hat insofern eine besondere Relevanz, da mit den bereits auf dem Reißbrett existierenden neuen Hochleistungsflugzeugen der 6. Generation die Schere, die sich zwischen dem Leistungsvermögen des Menschen und der jeweiligen Flugzeuggeneration auftut, so groß sein wird, dass sie ohne weitere Entwicklungsarbeit und eine enge Kooperation von Flugmedizinern mit ingenieurtechnischen und naturwissenschaftlichen Fachrichtungen sowie Human Factor- und anderen Spezialisten mit Expertise auf diesem Gebiet nicht zu schließen bzw. zu verkleinern sein wird. Schon heute muss daher über ein zukünftiges Training der Lfz-Führer nachgedacht werden. Dabei wird gar nicht so sehr die Leistungssteigerung der Zentrifugen als vielmehr die sog. „dynamic flight simulation“ im Fokus der Entwicklung stehen. Die Abbildung realistischer Flugszenarien in den Trainingsverfahren in einer sicheren, boden-basierten Umgebung (Simulation jeglicher Flugphasen mit Beschleunigung, Vibration, voll umfänglich kontrollierbaren Achsen sowie realistischen Displays und „Controls“) sowie die Nachbildung der gleichen physiologischen Stressoren, wie sie im realen Flug vorkommen, stehen dabei ebenso im Zentrum des Interesses wie die Ausschaltung der negativen Begleiteffekte (Tumbling, Coriolisphänomene) und die Optimierung und Ökonomisierung der Ausbildung luftgebundener Fähigkeiten und Techniken. Risiko Desorientierung Nach wie vor stehen in der Forschung in Königsbrück auch Phänomene der Desorientierung im Flug im Fokus, sind sie doch ein beitragender, zum Teil sogar der hauptsächliche Faktor bei vielen Flugunfällen. In einer Studie, die in Kooperation mit dem Fraunhofer Institut Wachtberg durchgeführt worden ist, wurde der Frage nachgegangen, inwieweit der vestibulo-okuläre Reflex (VOR) ein Indikator für die mögliche Anfälligkeit einer Person für eine räumliche Desorientierung sein könnte. Die Daten sprachen für eine Abhängigkeit zwischen den torsionalen Augenbewegungen und der Fähigkeit zur räumlichen Orientierung. Allerdings war es nicht möglich, eine verlässliche Voraussage zu treffen, welche der Versuchspersonen besonders empfänglich für eine mögliche räumliche Desorientierung sein würde. Nachtsehen und NVG Zum Themenkomplex Nachtsehvermögen wurde eine Studie zum Zwecke der Qualifizierung und Quantifizierung des BiV Sehens mit modernen night vision goggles durchgeführt, die sich auf die Einflüsse der Hypoxie auf die Farbdiskriminierung und insbesondere auf das Grün-Sehen konzentriert hat.

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© Bundeswehr/ZentrLuRMedLw

Abb. 5: Die Nachtsehanlage in Königsbrück ermöglicht die Simulation des Sehens bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen. Oben links sind die tatsächlichen Verhältnisse, unten rechts ist das grünliche Bild des Nachtsichtgerätes eingeblendet.

Schwerpunkte Ergonomie Auf dem Gebiet der Ergonomie beschäftigte sich das Team in Manching in den letzten Jahren intensiv mit dem Problem der „Simulator Sickness“ bei den im Ausbildungsbetrieb der Bundeswehr eingesetzten Simulatoren sowie deren ergonomischer Bewertung, erarbeiteten anthropometrische Grenzwerte für die verschiedensten Lfz-muster und bewerteten den Tragekomfort und die Bedienbarkeit verschiedener Helmsysteme und Nachtsichtgeräte, insbesondere im Waffensystem Eurofighter. Eine ausführliche Akzeptanzanalyse zum Crew Ressource Management Training in der Bundeswehr sowie vorbereitende Arbeiten zur Akzeptanzanalyse des erarbeiteten Human Performance Enhancement- Konzepts ergänzte das Spektrum der Arbeiten. Im Rahmen weiterer wehrtechnischer Aufträge wurde die Integration verschiedener Missionsfunkgeräte in die Fliegersonderausstattung untersucht und eine Arbeitsplatzanalyse für das Bedienpersonal in der Bodenkontrollstation der zukünftigen Eurodrohne durchgeführt. In Zusammenarbeit mit der Universität Mainz und Airbus Defense and Space wird aktuell an Studien zur Integration von Touch Displays in Luftfahrzeugen bzw. von sogennanten head mounted, d.h. am Kopf getragenen, Displays für Operateure gearbeitet. Forschungsthemen in der Klinischen Flugmedizin In der klinischen Flugmedizin wurden über Jahrzehnte „Big Data“ an Untersuchungsbefunden gesammelt, deren Auswertung in den letzten Jahren intensiv vorangetrieben wurde. Die Arbeiten zur Hebung dieses „Flugmedizinischen Datenschatzes“ werden in den kommenden Jahren fortgesetzt. Innere Medizin Das Dezernat Innere Medizin hat sich in enger Zusammenarbeit mit dem Deutschen Herzzentrum München über viele Jahre hindurch mit der Mehrschicht-Computer-

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tomografie und der Abklärung ihrer klinischen Wertigkeit bei Piloten der Bundeswehr mit einem intermediären Risiko für das Vorliegen einer koronaren Herzerkrankung befasst. In diesem Rahmen konnte auch eine Promotion zur Bedeutung der nichtinvasiven Koronarangiographie mittels Multidetektor-Computertomografie (MDCT) in der flugmedizinischen Diagnostik der koronaren Herzerkrankung an der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität München erfolgreich abgeschlossen werden. Ophthalmologie Bedenkt man, das 90 % aller für die Flugdurchführung relevanten Informationen den Piloten über das Auge erreichen, so wird sofort deutlich, wie wichtig die Augen als Sinnesorgane für das Fliegen sind. Dies zeigt auch das breite Spektrum an Forschungsthemen, denen sich die Opthalmologen des ZentrLuRMedLw in den vergangenen Jahren widmeten. Dabei reichte das Spektrum von Untersuchungen zur Farbdiskriminierung in modernen Glascockpits und der Auswahl entsprechend geeigneter Testverfahren über neue Techniken der refraktiven Chirurgie und deren Bewertung für fliegendes Personal der Bundeswehr bis hin zu Fragen der Eignung von Gleitsichtgläsern und Kontaktlinsen der neuesten Generation für den fliegerischen Einsatz. Daneben wurden auch Möglichkeiten des ballistischen Augenschutzes und des Schutzes gegenüber Laserattacken für Luftfahrzeugbesatzungen eruiert und in den flugmedizinischen Kontext eingeordnet. Immer wieder wurden die Tauglichkeitsrichtlinien und die daraus resultierende Vorschriftenlage auf den Prüfstand gestellt und einer kritischen Betrachtung und Wertung unterzogen sowie ophthalmologische Problemfelder und Vorteile moderner Helmet Mounted Displays und Fragen des Lufttransports augenoperierter Patienten untersucht. Im Ergebnis sind hierbei eine Reihe von Diplomarbeiten und eine Vielzahl an Fliegerarztarbeiten entstanden. Die im ZentrLuRMedLw im Verlauf der Jahre erhobenen Daten dienten im Rahmen einer Promotionsarbeit an der Universität Ulm als Grundlage zur Durchführung einer Longitudinalstudie zur Myopieentwicklung. Orthopädie Auf dem Gebiet der Orthopädie wurden systematische Analysen von Verletzungen der Wirbelsäule bei einem Rettungsausstieg mit dem Schleudersitz und bei Hubschrauberunfällen sowie zum Auftreten von Rückenschmerzen bei Hubschrauberpiloten durchgeführt. Eine gegenwärtig laufende Studie analysiert die jahreszeitlichen Veränderungen der Vitamin D-Konzentration im Blut bei gesunden Probanden. Daneben wurden im Dezernat gezielte Überlegungen zur flugmedizinischen Bewertung bestimmter Erkrankungen (Krankheiten aus dem rheumatischen Formenkreis, Osteosynthesen/Spondylodesen/Endoprothesen, Osteologie, muskulo-skeletale Erkrankungen) im Hinblick auf die militärische aber auch auf die zivile Fliegertauglichkeit angestellt.

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Die Überprüfung anthropometrischer Daten und ihrer Bedeutung für die Auswahl der Bewerber und des Luftfahrzeugs ist ein kontinuierlicher Prozess. Neben der Erhebung dieser „statischen Messwerte“ wurde eine muskuläre Leistungsdiagnostik entwickelt, die bei Bedarf auch in den Begutachtungsprozess integriert werden kann. Überdies wurden – dank der Möglichkeiten der 3 Tesla-MRT-Bildgebung – auch Fragen der (Neu-)Einordnung von Befunden an der Wirbelsäule von Bewerbern und aktiven Luftfahrzeugführern bei der flugmedizinischen Begutachtung bearbeitet. Grundlagenforschung Dem Bereich der Grundlagenforschung ist ein in Zusammenarbeit mit dem Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin des DLR und Mitarbeitern aus dem Dezernat „Bildgebende Diagnostik“ des ZentrLuRMedLw durchgeführtes Projekt zuzuordnen. Hierbei ging es darum, bei höhenadaptierten Bergsteigern den Verlauf von durch die Höhenexposition ausgelösten cerebralen Veränderungen mittels MRT-Untersuchungen des Schädels sichtbar zu machen, um sowohl pathophysiologische Mechanismen der akuten Höhenkrankheit (acute mountain sickness) bzw. des sog. high altitude cerebral edema (HACE), als auch mögliche Adaptationsmechanismen zu erforschen. Dazu wurden 10 nicht professionelle Bergsteiger für 7 Tage auf die Capanna Regina Margharita (4 554 m) in den italienischen Alpen gebracht und jeweils vor dem Aufstieg sowie innerhalb von 12 h und nochmals ca. 3½ Monate nach dem Abstieg einer magnetresonanztomographischen Messung unterzogen. Die Untersuchungssequenzen wurden dabei so gewählt, dass sowohl globale als auch fokale Volumenveränderungen, aber auch Wasserdiffusionsbewegungen und strukturelle Läsionen, wie zum Beispiel Mikroblutungen, sichtbar gemacht werden konnten. Trotz fortgeschrittener Höhenakklimatisation waren nach dem 7-tägigen Höhenaufenthalt sowohl globale (weiße und graue Substanz) als auch fokale zerebrale Volumenveränderungen (Gyri paracentralis und postcentralis, Thalamus) bei den Probanden nachweisbar. Die beobachteten Diffusionsbewegungen ließen auf ein vasogenes extrazelluläres Hirnödem als Ursache schließen, in Einzelfällen wurden auch cytotoxische intrazelluläre Ödeme gefunden. Ein größeres intrakranielles Volumen schon bei der Ausgangsmessung vor dem Höhenaufenthalt schien ein Risikofaktor für Volumenveränderungen in der Höhe zu sein. Alle cerebralen Veränderungen waren reversibel und in der Untersuchung nach 3½ Monaten nicht mehr nachweisbar. Großgeräte, ihre Entwicklung und Nutzung seit 1959 Höhensimulationskammern Bereits vor der Gründung des FlMedInstLw gab es in Fürstenfeldbruck eine Unterdruckkammer, die 1944 in den USA gebaut worden war und „Fürsty“ im Jahre 1956

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erreichte. Sie wurde am 16. Februar 1956 im Gebäude der Ausbildungsstelle der damals dort ansässigen Flugzeugführerschule „B“ eingerüstet, die später entsprechend dem Aufstellungsbefehl des Institutes mit damaligem Ausrüstungsstand und vorhandener personeller Besetzung zum Kern der Abteilung II „Flugphysiologische Ausbildung“ des Institutes wurde.

© Bundeswehr/ZentrLuRMedLw

Abb. 6: Die erste Unterdruckkammer in Fürstenfeldbruck wurde im Februar 1956 installiert. Das untere Bild zeigt die Unterdruckkammer mit dem Steuerstand der Schleuse, die auch als Dekompressionskammer benutzt wurde. Der Steuerstand, von dem aus die eigentliche große Kammer (rechts vom Steuerstand der Schleuse) „gefahren“ wurde, ist an der Stirnseite der Kammer (Bild oben rechts).

1965 – nach Vergrößerung der Abteilung II um eine Lehrgruppe, die für die Ausbildung der zukünftigen Fliegerärzte und Fliegerarztgehilfen sowie das Sanitätspersonal für den Lufttransport Kranker und Verletzter verantwortlich zeichnete – erfolgte eine Erweiterung des U-KammerGebäudes um einen Hörsaaltrakt. Die Fertigstellung erfolgte im Winter 1965/66. Von Beginn an erfolgte die Nutzung aller Großgeräte gleichermaßen für Ausbildung und Forschung. In der Ausbildung ging es dabei nicht nur allein um die barometrischen Höhenwirkungen, sondern insbesondere um die im Luftfahrzeug als Notfall auftretende Minderversorgung mit Sauerstoff und die damit verbundene individuelle O2-Mangelsymptomatik. In diesem Rahmen wurden verschiedene Notfall-Sauerstoffversorgungssysteme in einzelnen Luftfahrzeugen untersucht. Auch wurden Höhenflüge auf 42 000 ft mit Überdruckbeatmung und – mit der Aufstellung der Abteilung III – erste For-

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schungsprojekte, die sich zunächst mit Anpassungsreaktionen von Atmung und Kreislauf beschäftigten, durchgeführt. Daneben gab es in Zusammenarbeit mit der Industrie verschiedene Gerätetestungen.

Kammer in Fürstenfeldbruck durchgeführte Studie war ein Verbundforschungsvorhaben in Zusammenarbeit mit dem Institut für Physiologie der Universität Greifswald und beschäftigte sich mit kardiorespiratorischen, renalen und endokrinologischen Reaktionen normotensiver und primär hypertensiver junger Männer in hypobarer Hypoxie. Neben der Hauptkammer gab es eine zweite U-Kammer, die Parasite-Chamber. Sie diente vor allem der Ausbildung im Umgang mit Druckanzügen. Schon 1967 konnten hier mit Profilen bis 77 000 ft annähernd Weltraumbedingungen simuliert werden. Beide Kammern wurden Ende der 1990er Jahre stillgelegt und verschrottet.

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Abb. 7: Ausbildung mit simuliertem Höhenflug auf 42 000 ft mit Überdruck-Sauerstoffatmung (oben) und Forschung auf dem Gebiet der angewandten Flugphysiologie mit Ruhe-EKG nach Belastung auf Master-Treppe bei 18 000 ft (unten)

In der zweiten Hälfte der 1990iger Jahre erfolgten Untersuchungen zur Prävention der Höhenkrankheit und zu Einflüssen von Sauerstoff-Bolus- oder Pressatmung auf die Sauerstoffsättigung des Blutes unter körperlicher Belastung in einer Flughöhe bei 14 000 ft. Die letzte in der

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Abb. 9: Einzelausbildung für den Teildruckanzug C SU4/P(G) auf dem C2-Schleudersitz (F-104 Starfighter) bei Höhen bis zu 72 000 ft in der Parasite Chamber im Jahre 1967; dieses Einsatzprofil wurde später verlassen.

© Bundeswehr/ZentrLuRMedLw

Abb. 8: Die letzte in der „Fürsty“-U-Kammer durchgeführte Studie untersuchte physiologische Parameter bei längerem Aufenthalt unter Höhenbedingungen (hypobare Hypoxie) bei Probanden mit und ohne familiäre Belastung für eine essenzielle Hypertonie.

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Derzeit verfügt das ZentrLuRMedLw nur noch über die Höhen-Klima-Simulationsanlage (HKS) in Königsbrück, die 1987 im damaligen Institut für Luftfahrtmedizin der NVA in Betrieb genommen worden war und bis zum heutigen Tag sowohl für Ausbildungs- als auch für Forschungszwecke genutzt wird. Sie wurde zuletzt 2013 vollständig modernisiert und gehört heute zu den modernsten Simulationsanlagen dieser Art in Europa. Hier wurden Studien zur Problematik der Ermüdung des fliegenden Personals und zum Einfluss der hypoxischen Hypoxie auf die Funktion verschiedenster Organsysteme durchgeführt. Daneben gab es immer wieder höhenphysiologische Untersuchungen zur Prüfung, Erprobung und

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Bewertung verschiedenster Materialien, Geräte und Ausrüstungen (Notebook-Computersystem für den NATO-E3A-Verband, Funktionstest des Atemfunktionsanalysegerätes Exhalyzer D“, Erprobung des Ganzkörperschutzanzuges „LASA“ in Kombination mit dem Helmsystem „FAS“, Höhenschutz bei Libelle G Multiplus, Eignungsuntersuchung des Ausrüstungssystems „Infanterist der Zukunft“, Bewertung von Druckatmungstechniken, Fliegerhelmen, Anti-G- und Seenotanzügen etc.). Die Forschungsabteilung konnte ein bereits in Fürstenfeldbruck begonnenes Forschungsprojekt zum Einfluss einer Sauerstoff-Bolusatmung auf die Sauerstoffsättigung des Blutes in Ruhe und unter körperlicher Belastung in simulierten Höhen bis 25 000 ft erfolgreich abschließen. Die dabei erprobten Geräte sind inzwischen in die Truppe eingeführt und werden erfolgreich bei Flügen über den Hindukusch genutzt. Auch wurden Sensoren zur Erfassung der Sauerstoffsättigung im Blut zur Früherkennung eines plötzlich und unerwartet auftretenden Sauerstoffmangels erprobt sowie Parameter des oxidativen Stresses bei Belastungen von Lfz-Führern der Bundeswehr mit stark wechselnden Sauerstoffpartialdrücken während Höhensimulationen erfasst. Neuere Untersuchungen befassten sich mit der Riechfunktion im Unterdruck. Klimakammern 1976 wurde die erste Klimasimulationsanlage in Fürstenfeldbruck in Betrieb genommen. Die Anlage war schon damals in der Lage, reproduzierbar nahezu jedes auf der Erde und in der Höhe vorkommende Klima zu simulieren. Ein Blick auf die Kammerdaten verrät das große Spektrum der vorhandenen Simulationsmöglichkeiten:

• Temperatur: –70 °C bis +70 °C, • relative Feuchte: ~5 % bis ~100 %, • Regen: bis zu 1 200 l/h, • Windgeschwindigkeiten: zwischen 3,6 und 60 km/h, • infrarote (Sonnen)Strahlung: bis zu 200 W/m2 und • Unterdruck bis 10-3 bar. Darüber hinaus verfügte die Kammer über ein MedicalMonitoring-System, mit dem die Atem- und Kreislaufparameter sowie die Temperatur der Versuchspersonen erfasst werden konnten. Später wurde dieses System noch durch eine Waage ergänzt, die eine Massenänderung der Probanden während des Versuches mit einer Genauigkeit von 5 g aufzeichnen konnte. Hier wurden Untersuchungen in verschiedenen Klimaten in Ruhe, unter Belastung, mit und ohne Infraroteinstrahlung und im Wasserbad durchgeführt. Schwerpunkte der Arbeiten bildeten vor allem bekleidungsphysiologische Fragestellungen wie beispielsweise die thermophysiologische Beanspruchung von Lfz-Führern beim Tragen von neuen Schutzanzügen und die Erprobung von Kälteschutzanzügen (die bei Flügen über Wasser zu tragen waren) in heißen Klimaten. Daneben wurden aber auch Untersuchungen zur Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit und zu Problemen der Wiedererwärmung nach Unterkühlung durchgeführt. Aus dem technischen Bereich gehörten die Entwicklung von Verfahren zur Enteisung von Flugbetriebsflächen und Startbahnen sowie Studien zum Öffnungsverhalten von Atemventilen bei Fallschirmspringermasken bei Absprüngen in großen Höhen mit sehr niedrigen Temperaturen (26 000 ft Höhe und 10 min Gleitzeit bei -47 °C) und Prüfungen der Verträglichkeit von Kontaktlinsen in trockener Höhenluft zum Spektrum der bearbeiteten Fragestellungen. Aus dieser Zeit stammen auch erste © Bundeswehr/ZentrLuRMedLw

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Abb. 10: Die HKS des ZentrLuRMedLw in Königsbrück (oben Blick auf Steuerstand und in die Kammer) wurde u.a. für Untersuchungen der psychischen Leistungsfähigkeit unter hypobarer Hypoxie (A), zur Erprobung von Sauerstoffsensoren (B) und eines Sauerstoff-Bolusatmers für Hubschrauberbesatzungen (C) genutzt. Ebenso fanden Untersuchungen zum Riechvermögen im Unterdruck statt (D).

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Schutz der Fliegersonderausrüstung ermittelt und eine fundierte Voraussage zur möglichen Schutzwirkung auch bei weiteren, nicht im Test – und damit mit Belastung von Probanden verbundenen – simulierten Klimabedingungen erfolgen. Dies ermöglicht es der Bundeswehr, entsprechende konkrete Qualitätsanforderungen für Bekleidung an die Industrie zu stellen und deren Verwirklichung zu überprüfen. Zentrifugen Eine erste Konzeption zum Bau einer Humanzentrifuge (HZF) zur Beschleunigungssimulation gab es bereits im Jahr 1959, verwirklicht werden konnte sie jedoch erst im Jahr 1971, nachdem das dafür notwendige Gebäude – ein mit einer frei tragenden Kuppel versehener Rundbau von 40 m Durchmesser – errichtet worden war. Die eigentliche Inbetriebnahme der Zentrifuge nahm aufgrund immer wieder auftretender technischer Probleme nochmals einige Jahre in Anspruch.

© Bundeswehr/ZentLuRMedLw

Abb. 11: Bis Anfang der 1990er Jahre war die Klimakammer in Fürstenfeldbruck im Betrieb. Die obere Abbildung zeigt den Steuerstand und Vorbereitungsraum für die Probanden, das untere Bild einen Ergometermessplatz in der Kammer.

Grundsatzdaten zur Simulation des Arbeitsplatzes „Cockpit“ in der Klimakammer. Die HKS war bis Anfang der 1990er Jahre im Betrieb. Im Wandel der Zeit sind diese grundsätzlichen Fragestellungen erhalten geblieben, deren Komplexität hat sich allerdings enorm vergrößert. Zum Teil sehr umfangreiche und arbeitsaufwendige Studien wurden von der Abteilung Ergonomie ab Mitte der 1990er Jahre in der Klimakammer der Wehrtechnischen Dienststelle 61 in Manching fortgeführt. Dabei standen vor allem thermophysiologische Erprobungen von Fliegersonderausrüstung (Lärmschutzanzug, ABC-Schutzausrüstung für Fliegendes Personal, verschiedene Seenotanzüge, Kälteschutzanzüge, Aircrew Equipment Assembly (AEA) mit Liquid Conditioning Garment (LCG) und Libelle) auf dem Programm. Im Rahmen dieser Untersuchungen konnte eine Arbeitsgruppe um Frau Dr. Schlykowa ein einzigartiges physiologisch-physikalisches Verfahren zur Ermittlung der Überlebenszeit in kalter Umgebung entwickeln, welches im Jahre 2008 patentiert wurde. Mit diesem Verfahren kann unter Laborbedingungen der thermische

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Abb. 12: Der Inspekteur des Sanitäts- und Gesundheitswesens der Bundeswehr, Generaloberstabsarzt Prof. Dr. Ernst Rebentisch (1920-2013, Bildmitte), wird Ende 1976 in Anwesenheit des Leiters des FlMedInstLw, Generalarzt Dr. Hubertus Grunhofer (1922-2000, rechts) in Technik und Funktion der ersten Humanzentrifuge (1971 – 1980) von Rhode und Siemens eingewiesen (oberes Bild). Das untere Bild zeigt das Zentrifugengebäude in Fürstenfeldbruck.

Anfang der 1980er Jahre entstand dann aus der ursprünglichen Zentrifuge von Rhode und Siemens in enger Zusammenarbeit der Mitarbeiter der Fachgruppe Klimaund Beschleunigungsphysiologie mit verschiedenen, u. a. auch US-amerikanischen, Betreibern von Zentrifugen und der Firma Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB) ein modernes Hochleistungsgerät.

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Die Länge des Zentrifugenarms betrug 10 m. Seine Konstruktion in Gitterbauweise aus Spezialstahl und eine in Flugzeugbautechnik hergestellte Gondel trugen zur Verminderung des Gewichtes und damit zur Leistungsfähigkeit der Zentrifuge bei.

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Abb. 13: Ab der ersten Hälfte der 1980er Jahre in Fürstenfeldbruck betriebene Zentrifuge (1981 – 1990) von Messerschmidt-Bölkow-Blohm (MBB): Arm mit Gondel und Gegengewicht (oben links), Gondel mit Bedienelementen für den „Piloten“ (oben rechts), in 3 Freiheitsgraden bewegbliche Gondel (unten links) und Steuer- und Überwachungsstand (unten rechts).

Die Fachgruppe Beschleunigungsphysiologie führte mit dieser Zentrifuge Untersuchungen über die Auswirkungen verschiedener Sportprogramme auf die G-Toleranz sowie zur Tauglichkeit neuer Bekleidungsstücke bei hoher Fliehkraft durch. Daneben wurden Versuche unternommen, G-Beschleunigungen als Provokationsmethode zur Therapie der Luftkrankheit zu benutzen. Auch diente die Zentrifuge dazu, für die Abteilung I fragliche medizinische Befunde im Rahmen der Untersuchung auf Wehrfliegerverwendungsfähigkeit abzuklären. Desgleichen wurden spezielle Terrain-Following-Programme entwickelt, die als Vorstufe für die heutigen interaktiven Flugprofile betrachtet werden können. Aktuell wird Forschung auf dem Gebiet der Beschleunigungsphysiologie im Simulationszentrum des ZentrLuR-

MedLw in Königsbrück betrieben, das sowohl die HZF als auch die HKS beherbergt. Diese Anlagen waren am früheren Institut für Luftfahrtmedizin der NVA nach einer Bauzeit von vier (HZF) bzw. fünf Jahren (HKS-Anlage) in Betrieb genommen und nach der Wiedervereinigung sowie einer Erneuerung der peripheren Geräte auch weiter betrieben worden. Die bei der Erstellung im Jahr 1986 modernste Humanzentrifuge Europas konnte vom Luftfahrzeugführer sowohl passiv als auch aktiv als Flugsimulator mit einem Lastvielfachen bis zu + 12 Gz ”geflogen” werden. Bei einer Masse des drehenden Systems von insgesamt 38 t wurde sie in weniger als 3 s auf eine Umlaufgeschwindigkeit von ca. 120 km/h gebracht [1, 2]. Die Forschungsvorhaben standen vor allem im Zusammenhang mit der Einführung neuer Waffensysteme (Eurofighter) und konzentrierten sich auf die Bewertung von im Flugbetrieb zur Verfügung stehender Fliegersonderbekleidung und Ausrüstungsgegenständen. Dabei ging es vor allem um Fragen der Qualität des Anti-GSchutzes und mögliche gesundheitliche Auswirkungen von hohen Gz-Belastungen auf die Lfz-Führer. So wurden von 1994 – 2003 Tests zur Entwicklung eines Ganzkörperschutzanzuges durchgeführt. In Zusammenarbeit mit der Firma Austria Metall (seit 1987 Austria Metall System Technik - AMST) erfolgte von 1995 bis 2004 die Entwicklung des interaktiven Steuerungssystems der Zentrifuge. Von 1996-2008 begleitete die Abteilung Flugphysiologie

© AMST

©pc concepts/Reinhard © Bundeswehr/ZentrLuRMedLw

Abb. 14: Simulationszentrum des ZentrLuRMedLw in Königsbrück mit Zentrifugenhalle (A) und HKS-Gebäude (B)

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Abb. 15: Zentrifuge von Austria Metall (später AMST), wie sie von 1986 bis 2005 in Betrieb war (oben) und Versuche mit einem „Libelle“-Prototypen (Hartschale + wassergefüllter Unteranzug, Füllvolumen ca. 20 l, unteres Bild)

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Abb. 16: Humanzentrifuge in Königsbrück nach Kampfwertsteigerung im Mai 2006: Mit der neuen Technik wird das Leistungsprofil des Eurofighters vollständig abgebildet. Die Bilder in der Mitte zeigen Piloten mit der Enhancement Variante der Libelle (links) und dem AEA-Anti-G-Anzug (rechts); ganz rechts ist das Protokollblatt, mit dem bei der Vergleichsuntersuchung verschiedener Anzüge petechiale Blutungen (G-Measles) erfasst wurden, abgebildet.

Versuche des schweizerischen Herstellers von Anti-G-Schutz-Ausrüstung (Fa. pc concepts) und nachfolgend auch die Entwicklung der „Libelle“, eines alternativen Anti-G-Schutzanzuges der Firma Autoflug für den Eurofighter. Des Weiteren wurden ein Fliegerhelm mit ABC-Schutz (FAS) (Fa. Gentex), eine Atemmaske HA/ LP, eine Halsstütze zur Reduzierung der Gz-Last, ein Notfunksender für den Eurofighter und die Stabilisation moderner torischer Kontaktlinsen untersucht. Obwohl die Zentrifuge in Königsbrück nach ihrer Inbetriebnahme zu den modernsten Anlagen dieser Art in der Welt gehörte, war es nach nahezu 20 Betriebsjahren erforderlich, sie mit der Einführung der neuen agilen Flugzeugmuster der vierten Generation zu erneuern. Nach erfolgter Kampfwertsteigerung und Wiederinbetriebnahme der HZF im Mai 2006 erfüllt sie alle Leistungskennziffern des Eurofighters. Bei dem ersten Großprojekt, das mit dieser neuen Zentrifuge bearbeitet wurde, ging es darum die Frage zu beantworten, welcher der beiden zu der Zeit im Eurofighter zur Auswahl stehenden Anti-G-Schutzanzüge bei gutem Komfort den besten Schutz für den Lfz-führer bietet. Um diese Frage zu beantworten, sind zwei umfangreiche Vergleichsuntersuchungen durchgeführt worden. Zunächst wurde eine Vergleichsstudie der zwei im Waffensystem EF 2000 „Eurofighter“ eingesetzten Anti-G-Schutzsysteme AEA (BAeS) und A-AEA (Modell LP 08 - LIBELLE G-Multiplus® Fa. Autoflug) durchgeführt. Hierbei zeigte sich, dass beide Systeme Defizite aufwiesen, die zum Teil als flugsicherheitsrelevant oder flugmedizinisch als gesundheitliche Gefährdung betrachtet werden mussten. Deshalb sollten in einem vorgegebenen Zeitrahmen Maßnahmen zur Verbesserung beider Systeme getroffen werden. Nach erfolgten Enhancement-Maßnahmen wurden in der zweiten Hälfte des Jahres 2008 die dann veränderten Versionen der Anti-GSchutzausrüstungen AEA und LIBELLE erneut in der

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HZF des Flugmedizinischen Institutes der Luftwaffe in Königsbrück auf den Prüfstand gestellt. Zur Lösung der Aufgabe wurden erhebliche Anstrengungen in die Entwicklung einer geeigneten Methodik für diese Untersuchung gesteckt. Zunächst musste ein Verfahren zum hämodynamischen Monitoring bei Zentrifugenbelastungen entwickelt werden, darüber hinaus gelang es, die bei hohen Beschleunigungen auftretenden G-Measles und Druckstellen quantitativ zu erfassen und letztendlich wurde noch eine Methodik aufgebaut, die in der Lage war, statische und dynamische Lungenfunktionsdaten sowie das Ausmaß der Gz–induzierten Atelektase bei den in Betracht gezogenen Anti-G-Schutzanzügen vergleichend zu erfassen. Daneben wurden in umfangreichen Befragungen eine Reihe von subjektiven Daten zu G-Schutz, Sicherheitsgefühl, körperlicher Befindlichkeit und Komfort/Diskomfort erhoben und systematisch ausgewertet. Am Ende konnte ein Versuchsaufbau verwirklicht werden, der in dieser Form flugmedizinisches Neuland darstellt. Besonders hervorzuheben war dabei der multidisziplinäre Ansatz, der zwar erhebliche personelle Kapazitäten gebunden hat, aber in seiner Ganzheit einmalig war und völlig neue Aspekte der Beurteilung von Anti-G-Schutzanzügen hervorgebracht hat. Desorientierungstrainer Räumliche Desorientierung, ein Zustand, der nach Gillingham durch eine fehlerhafte Wahrnehmung der eigenen Position und Bewegung relativ zur Erdoberfläche gekennzeichnet ist, wird heute in 15-17 % aller Fälle als ursächlich für tödliche Flugunfälle angenommen. Die Fähigkeit zur räumlichen Orientierung sollte bei einem Lfz-Führer daher besonders gut ausgeprägt sein. Um Piloten das Problem der räumlichen Desorientierung durch Verlust des Gefühls für die Lage im Raum wie auch ein mögliches Missverhältnis zwischen tatsächlicher Lage und „fliegerischem Empfinden“ nahe zu bringen,

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wurden in der Flugmedizin schon früh Desorientierungs-Demonstratoren genutzt. Solche Geräte haben sich in der Prävention von Flugunfällen und als Trainingsgeräte für Flugzeugführer-Anwärter, die eine Anfälligkeit für Luftkrankheit zeigten, bestens bewährt. Das Institut verfügte im Laufe seiner Historie über verschiedene Desorientierungstrainer.

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Abb. 18: In den 1990er Jahren installierter FOT in der ehemaligen Zentrifugenhalle in Fürstenfeldbruck: Steuerstand mit oben links eingeblendeter Gondel, die die Aufschrift „Gyrolab“ trägt.

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Abb. 17: Desorientierungs-Demonstrator (Foto entstand wahrscheinlich um 1975): Auf dem kurzen Arm konnte eine gleichförmige Kreisbeschleunigung der geschlossenen Kapsel erfolgen, die sich ihrerseits nach links oder rechts drehte; ohne Referenz zur Außenwelt konnten im Vestibularapparat so Fehlinformationen zur Lage im Raum erzeugt werden.

Mittels eines Desorientierungsdemonstrators konnte Flugschülern und Luftfahrzeugbesatzungen sehr eindrucksvoll vorgeführt werden, dass beim Flug ohne Sichtreferenzen von den für die Lage-Orientierung im Raum verantwortlichen Sinnesorganen fehlerhafte Eindrücke vermittelt werden und dass demzufolge eine „räumliche Desorientierung“ mit all ihren Gefahren unvermeidlich ist. Das Gerät wurde vor allem dazu genutzt, Lfz-Führern zu vermitteln, sich nur auf die Instrumente und nicht auf die eigenen Sinneseindrücke zu verlassen („Only trust your instruments!“). In den 1990er Jahren trat an die Stelle des alten Desorientierungsdemonstrators ein wesentlich modernerer Flugorientierungstrainer (FOT), der als Vierachs-Gerät Bewegungen über 360 Freiheitsgrade zuließ sowie über eine Außen- und Innensteuerung verfügte. Für ihn wurden zahlreiche Ausbildungsprofile zunächst erarbeitet und dann später in verschiedenen Programmen auch geflogen, um Luftfahrzeugbesatzungen vor dem Auftreten von Desorientierungssymptomen zu schützen. Insbesondere konnte ein in Zusammenarbeit mit der Abteilung VI (Flugpsychologie) etabliertes Anti-Air-Sickness-Programm (AATP) für Flugschüler und Lfz-Führer zur Konditionierung gegen Luftkrankheit mit Erfolg praktiziert werden. Ebenso kam der FOT im Rahmen flugmedizinischer Auswahl zur Untersuchung der Orientierungsfähigkeit der Anwärter und für die Objektivierung der Ausbildung der Piloten in räumlicher Orientierung zum Einsatz.

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Daneben wurden verschiedene Forschungsprojekte bearbeitet. Im Rahmen eines Sonderforschungsvorhabens wurden Ursachen und Auswirkungen von Kinetosen näher beleuchtet. Dabei reichte das Spektrum der Untersuchungen von Bestimmungen von Stress- und intestinalen Hormonen sowie Interleukinen über EEG-Analysen bis hin zur Erfassung der simultan mit der Kinetose auftretenden Atmungs- und Kreislaufveränderungen. Ergänzt wurde die Methodik durch Kinetose-Fragebögen und Paper-Pencil-Testverfahren. In einem weiteren Forschungsvorhaben wurden, in Zusammenarbeit mit dem DLR in Köln, hormonelle Reaktionen auf Belastungen mit dem Drehstuhl, dem FOT, der Zentrifuge sowie durch Lower Body Negative Pressure vergleichend untersucht. Auf Grund seiner Komplexität konnte sich der FOT allerdings nicht als Routinegerät durchsetzen. Beide Geräte, d. h. Desorientierungsdemonstrator und FOT, wurden zu Beginn des neuen Jahrtausends ausgesondert und durch inzwischen zwei Desorientierungs-

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Abb. 19: DISO neuester Bauart in Königsbrück: Außenansicht (links oben), Blick in das Cockpit (rechts) und Simulation einer Runway (unten links)

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trainer (DISO) neuerer Bauart ersetzt, die in der Fachgruppe „Flugphysiologisches Trainingszentrum“ im Moment vor allem der Ausbildung dienen. Datenerhebung am Arbeitsplatz „Cockpit“ im Wandel der Zeit Ein Thema hat die Flugmedizin schon von jeher ganz besonders fasziniert und gerade auf diesem Gebiet lässt sich die Entwicklung des Fachgebietes der letzten 60 Jahre ganz besonders eindrucksvoll nachweisen – nämlich bei der „Datenerhebung am Arbeitsplatz Cockpit“. Die im Frühjahr 1966 am FlMedInstLw gegründete Fachgruppe Telemetrie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, physiologische Daten des Lfz-Führers im realen Flugbetrieb zu erfassen und aufzuzeichnen. Der Gruppe stand dabei zeitweise ein speziell ausgerüstetes „eigenes“ Forschungsflugzeug vom Typ Fiat G 91 zur Verfügung, aus dem die erhobenen Messwerte zur Bodenstation weitergeleitet wurden. Dort wurden sie von den Registrier- und Sichteinheiten gesammelt, aufgezeichnet und einer späteren Auswertung zugeführt. Die Aufgabe dieser Fachgruppe bestand darin, die Beanspruchung des Flugzeugführers im Flugzeug, also direkt am Arbeitsplatz, zu erfassen. Von Beginn an wurde bei der Lösung dieser Aufgabe ein multidisziplinarer Ansatz gewählt, der Psychologen, Mediziner, Ingenieure und Messtechniker zusammenführte. Allerdings gab es unter den Rahmenbedingungen der damaligen Zeit eine Reihe von Limitationen: Zunächst führten die noch sehr begrenzten Möglichkeiten der Messtechnik und der gesamten Kette der Datengewinnung über die Datenübertragung bis hin zur anschließenden Datenverarbeitung zu nahezu unüberwindbaren Schwierigkeiten. Auch waren zu Beginn nur wenige Messwertaufnehmer kommerziell verfügbar; deshalb mussten die spezielle Sensoren für EKG, Herzfrequenz, Atemfrequenz, Lidschlagfrequenz, galvanischen Hautwiderstand und viele andere mehr erst im eigenen Labor entwickelt und getestet werden, bevor sie im Flugzeug eingesetzt werden konnten. Auch führte die große Beweglichkeit des Flugzeuges und die begrenzte Reichweite der Funkübertragung zu Problemen. Die schwierigste Aufgabe jedoch war die Verarbeitung und Wichtung der großen analogen Datenmengen von Flugzeug und Besatzungen, die mit der damaligen Technik nicht zu beherrschen war und letztendlich 1976 zur Aussetzung der Arbeit dieser Fachgruppe führte. Danach gab es im Laufe der Zeit immer wieder Versuche, sich dieser Fragestellung auf traditionelle Weise auf der Verhaltensebene durch Erhebung von Leistungsmaßen sowie auf der subjektiven Ebene zu nähern. Eine Vielzahl von Untersuchungen beschäftigte sich mit der Erfassung subjektiver Indikatoren psychophysischer Beanspruchung im Cockpit mittels Fragebogentestverfahren. Auch wenn diese Ansätze zur Erfassung der Beanspruchung von Luftfahrzeugführern ohne Frage wertvolle Daten lie-

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Abb. 20: Telemetrische inflight-Messungen gaben Aufschluss über Belastungen und Belastungsgrenzen im Fluge. Der obere Teil zeigt das Blockschaltbild der in eine Fiat G-91 (Bild unten, bei Flugvorbereitungen) eingebauten Anlage und die Systematik der analogen Datenspeicherung am Institut.

ferten, waren sie jedoch entweder von geringer Sensitivität bzw. diagnostischer Güte und Aufgabenspezifität oder sie genügten den Anforderungen an eine Implementierung und Interferenzfreiheit mit der fliegerischen Aufgabe nicht, fanden keine Akzeptanz bei den Untersuchungsteilnehmern oder zeigten oft nur eine geringe Korrelation zu anderen Beanspruchungsindikatoren. Sie erwiesen sich damit insgesamt als nur bedingt geeignet. Erschwerend kam hinzu, das konsistente Theorien zur psychophysischen Beanspruchung fehlten und die Fachwelt selbst in den Begriffsbestimmungen noch nicht in allen Punkten einen Konsens erreichen konnte. Die objektive Erfassung der psychophysischen Beanspruchung von Luftfahrzeugführern direkt an ihrem Arbeitsplatz „Cockpit“ stellt auch heute noch eine besondere Herausforderung für die Flugmedizin dar. Nachdem die technologischen Grenzen der Vergangenheit in Bezug auf die Messwertaufnehmer zur Erfassung der relevanten physiologischen Parameter und die Rechentechnik im Zuge der Fortschritte in der Mikroelektronik, Messtechnik und Informatik in neuerer Zeit ausgeräumt werden konnten, bleibt allerdings die Bewertung der erhobenen psychophysischen Indikatoren mentaler Beanspruchung immer noch problembehaftet. Erfolgversprechend scheint hier ein in der Arbeitsgruppe um Dr. Bernd Johannes vom DLR entwickeltes Verfahren

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zu sein, das eine Wichtung der erhobenen physiologischen Messparameter versucht und damit sowohl eine inter- als auch intraindividuelle Vergleichbarkeit der Beanspruchung ermöglicht. Eine erste Verifizierung dieses Vorgehens in einer Studie, die Mitarbeiter der Forschungsabteilung des ZentrLuRMedLw in Zusammenarbeit mit Dr. Johannes und der Fliegerärztin in Geilenkirchen an AWACS-Piloten im Simulator- und realen Flugbetrieb durchgeführt haben, verlief erfolgreich und konnte zeigen, dass die Methodik tatsächlich geeignet ist, Beanspruchungen während belastender Flugmanöver (Start, Landung, Touch and Go, Luft- zu Luftbetankung) nachvollziehbar zu quantifizieren [6].

mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Eine Zukunft ohne „aircrew-mounted sensors“ und physiologisches inflight-Monitoring wird es nicht geben. An der entsprechenden Messtechnik wird weltweit mit Hochdruck gearbeitet. Dies ist eine der größten Herausforderungen für die Flugmedizin seit ihrer Etablierung als eigenständige Disziplin der Medizin. All diejenigen, die sich diesen Herausforderungen stellen, werden sich dabei der Faszination, die der Umgang mit modernsten Technologien und interessanten Fragestellungen in der Luft- und Raumfahrtmedizin mit sich bringt, nicht entziehen können und als Jünger des Asklepios alles dafür tun, ihrer Verantwortung zur Gewährleistung der Sicherheit im Flugbetrieb gerecht zu werden. Volanti subvenimus Literatur 1.

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Abb. 21: Mobile Aufzeichnungsgeräte (Pfeil im linken Bild) lassen auch im Cockpit ohne Beeinträchtigung des Lfz-Führers die digitale Aufzeichnung zahlreicher Stress-Parameter zu, die dann zu den jeweiligen fliegerischen Belastungen (z. B. Anflug zur Luftbetankung (oben rechts) oder Start eines AWACS (unten rechts) in Beziehung gesetzt werden können.

Ausblick Auch in Zukunft wird sich die Forschung auf dem Gebiet der Luft- und Raumfahrtmedizin der klassischen Großgeräte der Flugmedizin wie Höhensimulations-, Klimaund Überdruckkammer, multiaxialer Beschleunigungsgeräte wie Humanzentrifuge und Flugorientierungstrainer sowie physiologischer, ergonomischer, psychologischer und klinischer Standarduntersuchungstechniken bedienen können und müssen. Diese sind allerdings auf die neuen Erfordernisse der immer komplexer werdenden Ausrüstungs-, Flug- und Waffensysteme und insbesondere auf die noch höhere Agilität zukünftiger Luftfahrzeuge sowie das erweiterte Einsatzspektrum der Bundeswehr auszurichten und dem aktuellen Stand der Wissenschaft anzupassen. Untersuchungen zur Beschleunigungs- und Höhenphysiologie sowie Studien auf den Gebieten der räumlichen Desorientierung, der ergonomischen Gestaltung des Cockpits, zur Bewältigung der erhöhten physischen, psychischen und kognitiven Belastungen sowie des Informationsmanagements der zukünftigen Luftfahrzeugbesatzungen werden dabei weiter an Bedeutung gewinnen. Auch wird man zukünftig nicht mehr umhinkommen, dem wichtigsten Teil im fliegenden System, nämlich dem Piloten, auch in Bezug auf die Überwachung im Fluge noch

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Andexer A: Das Flugmedizinische Institut der Luftwaffe. Wehrmedizin und Wehrpharmazie 1999; 4: 19-30. 2. Andexer A: Das Flugmedizinische Institut der Luftwaffe. Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2000; 4: 52- 64. 3. Burchard, E: 25 Jahre Flugmedizinisches Institut der Luftwaffe. Unveröffentlichte Jubiläumsschrift 1984. 4. Daumann FJ et al.: Gutachten über die Belastungen des fliegenden Personals auf der Grundlage neuer flugmedizinischer Untersuchungen und neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse. Flugmedizinisches Institut der Luftwaffe, 1995. 5. Garbe J: Das Flugmedizinische Institut der Luftwaffe. Wehrmedizin und Wehrpharmazie 1980; 2: 76-82. 6. Johannes B, Rothe S, Gens A, Westphal S, Birkenfeld K, Mulder E, Rittweger J, Ledderhos C: Psychophysiological Assessment in Pilots Performing Challenging Simulated and Real Flight Maneuvers. Aerospace Medicine and Human Performance 2017; 88 (9): 834-840. 7. Kastner M, Harss C: Psychophysiologische Belastungen und Beanspruchungen von Heeresfliegerbesatzungen beim Nachtflug mit Bildverstärker-Brillen: Untersuchung von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen. Forschungsbericht aus der Wehrmedizin. BMVg-InSan I 1989; 1186-V-6788. 8. Lauschner EA: Flugmedizin in Deutschland. Bild der Wissenschaft 1965; 2(6): 467-473. 9. Lauschner EA: Das Flugmedizinische Institut der Luftwaffe. in: Festschrift anlässlich des 10-jährigen Bestehens des Flugmedizinischen Institutes der Luftwaffe 1959-1969, Fürstenfeldbruck März 1969: 14-30. 10. Ledderhos, C., Heise, R., Gammel C. und A. Gens: Inflight-Messungen der Sauerstoffsättigung bei Höhenflügen im Himalaya und den französischen Alpen im Rahmen des “Mountain Wave Project” (MWP). WMM 2015; 59(9-19): 286-292. 11. Wissenschaftsrat. Pressemitteilung zum Flugmedizinischen Institut der Luftwaffe. Juli 2009 <https://www.wissenschaftsrat.de/download/ archiv/hginfo_1609.pdf?__blob=publicationFile&v=2>; letzter Aufruf: 12. August 2019. Manuskriptdaten Zitierweise Ledderhos C: Volanti Subvenimus- 60 Jahre flugmedizinische Forschung im Dienst unserer fliegenden Besatzungen. WMM 2019; 62(1011): 338-357. Verfasser Oberfeldarzt Priv.-Doz. Dr. Carla Ledderhos Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe Dezernat I 3b – Experimentelle Flugmedizinische Forschung Straße der Luftwaffe 322, 82256 Fürstenfeldbruck E-Mail: carlaledderhos@bundeswehr.org

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VON DER ERDE ZUM MOND UND WIEDER ZURÜCK

Die luft- und raumfahrtmedizinische Forschungsanlage :envihab des DLR © DLR

Herausforderungen für die Lebenswissenschaften und Beiträge aus dem DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin Jens Jordana, c, Daniel Aeschbacha, Thomas Bergera, Eva-Maria Elmenhorsta, Christine E. Hellwega, Ruth Hemmersbacha, Peter Maschkeb, Ralf Möllera, Yvonne Pecenab, Jörn Rittwegera, Claudia Sterna, Jens Tanka

Einleitung In den letzten Jahrzehnten lag der Schwerpunkt der bemannten Raumfahrt auf Missionen im erdnahen Orbit. Die deutsche Raumfahrtmedizin hat sich dabei auf wissenschaftliche Entwicklungen und Anwendungen konzentriert, die Erkenntnisse für das Leben auf der Erde generieren. Zurzeit geschehen diese Missionen ausschließlich auf der Internationalen Raumstation (ISS). Insbesondere in den USA werden jetzt Pläne forciert, den Menschen zurück auf den Mond zu bringen und, anders als bei den Apollo-Missionen, dort kontinuierlich präsent zu bleiben. Ob es zum Aufbau einer Mondstation oder einer tiefer im Weltraum gelegenen Raumstation (Deep Space Gateway) kommen wird, ist noch unklar. Langfristig soll der Mond als Sprungbrett zur humanen Exploration anderer Himmelskörper, in erster Linie des Mars, dienen. Dies ist eine Herkulesaufgabe für die Menschheit, die nur in internationaler Kooperation zu bewältigen ist. Wie und ob die finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt und welche Länder sich an dieser Initiative beteiligen werden, ist noch unklar. Anders als in der Vergangenheit werden nicht nur nationale Raumfahrtagenturen, sondern auch private Unternehmen involviert sein. a

Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Köln b Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Hamburg c Lehrstuhl für Luft- und Raumfahrtmedizin, Universität zu Köln

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Für die lebenswissenschaftliche Forschung einschließlich Biologie, Medizin und Psychologie ergeben sich neue Herausforderungen und Chancen. Wie passt sich der Mensch an die Umweltbedingungen auf langen Weltraummissionen und auf anderen Himmelskörpern an? Welche Technologien sind erforderlich, um Leistungsfähigkeit und Gesundheit zu erhalten? Diese Übersichtsarbeit setzt den Fokus auf lebenswissenschaftliche Forschungsschwerpunkte, die das DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin beiträgt. Umweltbedingungen bei humaner Exploration des Weltraums Die Interaktion von Umweltfaktoren und genetischer Prädisposition bestimmen die Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Menschen. An die harschen Umweltbedingungen in der Raumfahrt ist der Mensch evolutionsbedingt nicht angepasst. Ohne Gegenmaßnahmen kommt es auch bei gesunden Menschen zu Einschränkungen von Leistungsfähigkeit und Gesundheit. Zu diesen Umwelteinflüssen zählen unter anderem reduzierte Schwerkraft, erhöhte Strahlenexposition, veränderte Atmosphärenbedingungen, veränderte Tag-Nacht-Rhythmen und Isolation. Gravitationsbedingungen und Strahlenexposition im freien Weltraum und auf dem Mond unterscheiden sich grundlegend von Bedingungen auf der Erde. Bei einem Flug zum Mond und beim Aufenthalt auf seiner Ober-

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fläche ist zu berücksichtigen, dass sich das Strahlenfeld im Vergleich zum erdnahen Orbit erheblich unterscheidet. Infolge des Wegfalls des Schutzes durch das Erdmagnetfeld sind Astronauten im freien Weltraum und auf dem Mond kontinuierlich der galaktischen kosmischen Strahlung ausgesetzt. Außerdem sind sie schlechter gegen solare Teilchenereignisse geschützt. Während auf der ISS Dosiswerte von rund 0,7 mSv/d erreicht werden [3,], beträgt die Strahlungsdosis im interplanetaren Raum etwa 2 mSv/d [52]. Für Astronauten auf der Mondoberfläche wurde die Strahlungsexposition rechnerisch mit 0,6 mSv/d abgeschätzt. Erste Strahlungsmessungen im Orbit des Mondes sind erfolgt. Daten von der Mondoberfläche werden seit Januar 2019 erhoben. Erhöhte Strahlenexposition birgt langfristige Gesundheitsrisiken wie Kanzerogenese, Kataraktogenese und degenerative Erkrankungen z. B. des Zentralnervensystems [34]. Zur Abschätzung dieser Risiken ist die Messung der Tiefendosisverteilung im Menschen erforderlich [37]. Deshalb werden wir zwei weibliche Phantome einsetzen, um die gewichteten Organdosen auf der ersten Orion-Mission der NASA zu bestimmen (Abbildung 1).

schirmung könnte eine akute Strahlenkrankheit auftreten [22]. Für Mondmissionen sind deshalb ein Warnsystem für solare Teilchenereignissen und ein geeigneter Schutzraum im Raumfahrzeug bzw. auf der Mondoberfläche erforderlich. Da galaktische kosmische Strahlung mit derzeit verfügbaren technischen Systemen nicht hinreichend abgeschirmt werden kann, sind für die weitere Exploration des Weltraums andere Ansätze erforderlich. So sollte das individuelle Risiko einer Strahlenexposition, das sich aus Strahlendosis, genetischer Prädisposition und begleitenden Umweltfaktoren ergibt, besser abgeschätzt werden. Wünschenswert wären nicht-pharmakologische und pharmakologische Gegenmaßnahmen, die Strahlenfolgen auf zellulärer Ebene eindämmen. Während im freien Weltraum schwerelose Bedingungen herrschen, beträgt die Schwerkraft auf der Mondoberfläche ein Sechstel der Erdschwerkraft. Die veränderte Schwerkraft im Weltraum und auf dem Mond wirkt einerseits direkt auf die Zellen und andererseits indirekt durch veränderte mechanische Belastung des Gesamtorganismus. Um die Wirkung reduzierter Schwerkraftbedingungen auf zellulärer Ebene zu untersuchen, haben wir ein Niedergeschwindigkeits-Zentrifugenmikroskop für den Einsatz im Weltraum konzipiert, womit erste Schwellenwerte für die zelluläre Schwerkraftwahrnehmung ermittelt werden konnten. Zusammen mit auf Höhenforschungsraketen gewonnenen Befunden wurden Schwellenwerte für die zelluläre Schwerkraftwahrnehmung gemessen, die in der Größenordnung von Mond- und Marsbeschleunigungen liegen. Untersuchungen der Schwerkraftwahrnehmung auf der Kurzarmzentrifuge am DLR zeigen ähnliche Schwellenwerte für das menschliche Gleichgewichtsorgan [18]. Insgesamt stellt sich die Frage, wie sich die deutlich reduzierte Schwerkraft langfristig auf den Körper auswirkt und welche Gegenmaßnahmen geeignet sind, die Funktion des Herz-Kreislaufs und des muskuloskelettalen Systems sowie die Koordination zu erhalten. Die mikrobielle Umwelt

Abb. 1: Erstmalig werden vom DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin, Abteilung Strahlenbiologie, zwei weibliche Phantome eingesetzt (B&C), um im Rahmen des MATROSHKA AstroRad Radiation Experiments (MARE)) die gewichteten Organdosen auf der ersten Orion-Mission der NASA (Exploration Mission 1, EM-1, A, © Lockheed Martin) zu bestimmen und eine Strahlenschutzweste der Fa. StemRad (Israel) (C) zu testen.

Eines der beiden Phantome wird eine spezielle Strahlenschutzweste tragen. Insgesamt steht die biologische Strahlenforschung bei der Bewertung der Risiken der Weltraumstrahlung weiterhin vor großen Herausforderungen [21]. Sowohl auf der Mondoberfläche als auch auf der Reise zum Mond besteht das Risiko einer akuten Ganzkörperexposition mit hochenergetischen Protonen bei solaren Teilchenereignissen. Bei unzureichender Ab-

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Das Zusammenspiel zwischen mikrobieller Umwelt und dem Menschen ist in der Raumfahrt erheblich verändert. Einerseits kommt es zu Funktionsänderungen des menschlichen Immunsystems im Weltraum [13], andererseits wirken die besonderen Umweltbedingungen in der Raumfahrt auf Mikroorganismen [44]. Neben pathogenen Organismen kann dies auch die Zusammensetzung der humanen Mikrobiota, der Gesamtheit der mikrobiellen Besiedlung im und auf dem Körper, beeinflussen [15]. Die Mikrobiota haben einen erheblichen Einfluss auf physiologische Prozesse im Körper [25]. Neben direkten Auswirkungen auf den Menschen kann die mikrobielle Flora eines Raumfahrzeugs oder eines Habitats auch Schäden an Materialen verursachen. Durch Bildung von Biofilmen können sich Mikroorganismen gegenüber Antibiotika und Desinfektionsmitteln schützen. Eigene

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Abb. 2: Biofilmbildung unter simulierter Schwerkraft (Quelle: F. Fuchs, DLR)

Untersuchungen unter realen Raumfahrtbedingungen sprechen dafür, dass die Bildung von Biofilmen bei reduzierter Schwerkraft verstärkt ist (Abbildung 2). In der bemannten Raumfahrt sind Biofilme zusätzlich problematisch, da sie mechanisch schwieriger zu beseitigen sind. Eine Methode zur Eindämmung der Ausbreitung von opportunistisch pathogenen Mikroorganismen, die sowohl für Anwendungen in der Raumfahrt als auch auf der Erde geeignet wäre, ist der Einsatz antimikrobieller Oberflächen mit und ohne Nanostrukturen [17, 51]. Herausforderungen durch Volumenverschiebungen und Anpassungen des Herz-Kreislauf-Systems In der Raumfahrt treten durch die Interaktion von Schwerelosigkeit mit anderen Umwelteinflüssen, wie zum Beispiel veränderte Atmosphärenbedingungen und kosmische Strahlung, akute und chronische Veränderungen des Herz-Kreislauf-Systems auf. Diese Veränderungen stellen insbesondere bei Exploration anderer Himmelskörper eine Herausforderung dar. Dazu zählen Reduktionen der kardiovaskulären Leistungsfähigkeit, Orthostaseintoleranz, chronische Volumenverschiebungen zum Kopf und vorzeitige Gefäßalterung. Für das Herz-Kreislauf-System sind die ersten Tage in der Schwerelosigkeit eine Herausforderung. Die Flüssigkeitsverlagerung in die obere Körperhälfte führt zu deut-

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lich sicht- und spürbaren Veränderungen in Form von Ödemen im Gesicht und Schwellungen der Schleimhäute in den Nasenneben- und Kieferhöhlen. Der zentrale Venendruck ist paradoxerweise deutlich reduziert [6]. Obwohl sich über Kreislaufreflexe und Volumenregulation innerhalb weniger Tage ein neues Gleichgewicht einstellt, bleibt eine relative Volumenverschiebung zum Oberkörper erhalten, was zu Veränderungen am Auge und Gehirn – dem sogenannten Space Associated Neuro-Ocular Syndrome (SANS) – beiträgt. Bei längerfristigen Aufenthalten in der Schwerelosigkeit nimmt der diastolische Blutdruck ab und das Herzminutenvolumen pendelt sich bei Werten zwischen denen im Liegen und Sitzen auf der Erde ein [33]. Ohne geeignete Gegenmaßnahmen kommt es aufgrund der Entlastung sowohl unter realen als auch unter simulierten Weltraumbedingungen zu einer kardialen Atrophie [35]. Um die Mechanismen besser zu verstehen und in medizinische Anwendungen auf der Erde zu übersetzen, untersuchen wir klinische Modelle für kardiale Entlastung wie Herzunterstützungssysteme [19] und für kardiale Überlastung wie Hypertonie und Adipositas [20]. Die chronischen Anpassungsvorgänge des Herz-Kreislauf-Systems im Weltraum gehen mit einer Orthostaseintoleranz nach Rückkehr auf die Erde einher, die sich innerhalb weniger Tage weitgehend normalisiert [43]. Bei Betreten eines anderen Himmelskörpers wie dem Mond könnte eine transiente Orthostaseintoleranz jedoch fatale Auswirkungen haben. Deshalb untersuchen wir die Kreislaufregulation im Stehen unter simulierten Gravitationsbedingungen von Mars und Mond bei Parabelflügen [2]. Die chronischen Wirkungen partieller Schwerkraft sind weitgehend unbekannt und erfordern die Etablierung neuer terrestrischer humaner Modelle. Die Anzahl von Menschen, die sich bislang für längere Zeit im Weltraum aufgehalten haben, ist für belastbare Aussagen hinsichtlich des kardiovaskulären Erkrankungsrisikos zu gering. Es wurden jedoch Veränderungen von kardiovaskulären Biomarkern wie eine zunehmende Gefäßsteifigkeit der Arteria carotis beschrieben [23]. In der terrestrischen Medizin gelten diese Veränderungen als Zeichen einer frühen Gefäßalterung [26]. Ob durch die Interaktion von Dekonditionierung, Stoffwechselveränderungen und Strahlenbelastung bei langen Weltraummissionen klinisch bedeutsame Veränderungen des Herz-Kreislauf-Systems auftreten können, untersuchen wir an terrestrischen Modellen und im Weltraum. Um akute und chronische Wirkungen simulierter raumfahrtrelevanter Umweltbedingungen auf das Herz-Kreislauf-System hochsensitiv zu erfassen, wenden wir innovative Bildgebungsverfahren an, die nicht in der klinischen Routine verfügbar sind. Eine besonders vielversprechende Methode ist die funktionelle Bildgebung des Hirnstamms, der für die akute Anpassung der Kreislaufregulation an die Umweltbedingungen von zentraler Bedeutung ist (Abbildung 3) [16]. Chronische Wirkungen

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GESCHICHTE DER WEHRMEDIZIN

Pfalz DR I (Jagd-Dreidecker, ca. 1917) © SanDiego Air & Space Museum, USA

Die Luftfahrtmedizin im Ersten Weltkrieg Aviation Medicine during World War I Carla Ledderhosa, Harald Potempab und Ralf Vollmuthb

Inhalt Zusammenfassung/Summary

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Schlüsselworte/Keywords

S2

Die deutschen Luftstreitkräfte im Ersten Weltkrieg

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Anfänge der Luftfahrtmedizin am Vorabend des Ersten Weltkrieges

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Luftfahrtmedizin im Ersten Weltkrieg

S7

Entwicklung der Tauglichkeitsuntersuchungen

S8

Experimentell-psychologische Tauglichkeitsprüfungen zum Flugdienst

S 10

Schwerpunkte luftfahrtmedizinischer Forschung und Entwicklung

S 11

Entwicklungen in den Ländern der kriegführenden Parteien

S 14

Schlussbemerkungen

S 15

Literatur und Quellen

S 15

a b

Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe (Leiter: Generalarzt Prof. Dr. Rafael Schick) Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (Kommandeur: Kapitän zur See Dr. Jörg Hillmann)

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Zusammenfassung

Summary

Von wenigen Vorarbeiten abgesehen, fiel die Geburtsstunde der Flugmedizin in den meisten Ländern Europas mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges zusammen. Der Krieg hat ihre Entstehung befördert und behindert zugleich. Die durch ihn bedingte rasante technische Entwicklung der Flugzeuge mit erstmals industriell aufgelegten Serien und für diese Zeit beachtlichen Produktionszahlen sowie die jähe Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit machten eine Luftfahrtmedizin, insbesondere in ihrer klinischen Ausrichtung, zu einer conditio sine qua non. In ihren Anfängen war dieser Zweig der Medizin daher zunächst vor allem militärisch geprägt. Die Luftfahrtmedizin konnte dabei auf die zuvor in der Höhenmedizin und Aeronautik erarbeiteten Grundlagen und Erfahrungen zurückgreifen, ihre klinische Orientierung bekam sie jedoch erst durch die kriegsbedingt aufgeworfenen Fragestellungen. Wesentlich für die Entwicklungen dieser Zeit war die Erkenntnis, Anwärter, aber auch Piloten, einer Auswahl und Tauglichkeitsuntersuchung zu unterziehen, um Ablöseraten und Unfallzahlen zu minimieren. In diesem Prozess kristallisierte sich das Bewusstsein für die Notwendigkeit heraus, die Untersuchungen durch speziell in der Flugmedizin ausgebildete Ärzte durchführen zu lassen. Die luftfahrtmedizinische Forschung widmete sich im Wesentlichen den Fragestellungen, die das erhöhte Leistungsvermögen der Luftfahrzeuge generierte, das heißt der Entwicklung von Sauerstoffgeräten und -masken, Fliegerbrillen, Sicherheitsgurten und Fliegerschutzbekleidung, aber auch beginnenden beschleunigungsrelevanten Problemkreisen. Dieses Spektrum wurde durch sinnesphysiologische Themen sowie solche zur Mehrfachbelastung und psychischen Überlastung ergänzt. Einen Innovationsschub hin zu konkreten ausbildungs- und berufsbezogenen Anwendungen bekam dabei auch die Psychologie. Hier erschienen wegweisende Arbeiten zur Entwicklung von Erhebungsinstrumenten für eignungsdiagnostische Auswahlverfahren, psychologische Anforderungsanalysen und zur Ermittlung der Fähigkeiten, die Piloten sowie weitere Besatzungsmitglieder für ihre Tätigkeitsausübung brauchen. Im Ergebnis des Ersten Weltkrieges entstanden in den meisten Ländern der kriegführenden Parteien Untersuchungszentren, in denen Anwärter und Piloten nach klar formulierten, wenn auch häufig empirisch generierten Richtlinien auf Flugtauglichkeit untersucht wurden, zum Teil standen diesen Einrichtungen flugmedizinische Ausschüsse beratend zur Seite. In einigen Ländern entwickelten sich daneben noch luftfahrtmedizinische Laboratorien, die sich der aufkeimenden psychophysiologischen Fragestellungen annahmen und in ihrer Arbeit häufig von Forschungsausschüssen fachliche Steuerung und Koordination erfuhren. In den USA wurde bereits 1919 eine Ausbildung von Fliegerärzten etabliert. Im Nachkriegsdeutschland entzogen der Versailler Vertrag und die allgemeinen Verhältnisse der Flugmedizin ihren Forschungs- und Arbeitsgegenstand. Sie verlor damit ihren Hauptinhalt. Dies führte zu einer Stagnation, aus der sie sich erst Ende der 20er Jahre und in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts wieder befreien konnte.

Although some preliminary work had already been carried out previously, the birth of aviation medicine coincided with the beginning of World War I in most European countries. The war promoted and at the same time hindered its development. The rapid technical progress in the area of aircraft construction caused by the war – leading to the first industrial series and remarkable production figures for this time – as well as a sudden increase in performance made aviation medicine, especially in its clinical orientation, a conditio sine qua non. Thus, it mainly focused on military needs in its early stages. Aviation medicine could initially draw on the foundations and experiences from high-altitude medicine and aeronautics; its clinical orientation was only triggered by the issues generated/raised during the war. One important factor for the developments of this time was the decision to subject candidates, and also pilots, to a selection procedure and physical fitness examination to minimize withdrawal rates and accident figures. This also led to a growing awareness of the necessity to have these examinations conducted by physicians specially trained in aviation medicine. Aeromedical research essentially dealt with the issues created by the increased aircraft performance, i.e. the development of oxygen equipment and masks, aviator goggles, safety belts and flying clothing, but started to look into acceleration-relevant issues as well. This spectrum was supplemented by sensory physiological topics and subjects of multiple load and mental overload. An innovation boost towards concrete training and vocation-related applications also occurred in the field of psychology. Groundbreaking papers were published on the development of survey tools for aptitude diagnostic selection procedures and psychological requirements analyses, for the determination of capabilities that pilots need to execute their tasks. As a result of World War I, most nations of the belligerent parties established examination centers where pilot candidates and pilots were tested for their fitness for flying in accordance with clearly formulated – although often empirically generated – examination guidelines. Sometimes, these centers were supported by aeromedical committees. In some countries, aeromedical laboratories were established which addressed the growing number of psychophysiological issues and often were steered and coordinated by aviation medical research boards. In the United States, flight surgeon training was established as early as 1919. In post-war Germany, the Treaty of Versailles and the general conditions deprived aviation medicine of its research and work object. Thus, it lost its main content. This led to its stagnation from which it could free itself only in the late 1920s and 1930s. Schlüsselworte Luftfahrtmedizin, Erster Weltkrieg, Flugdiensttauglichkeit, Tauglichkeitsrichtlinien Keywords aviation medicine, WWI, flight surgeon, fitness for flying

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„Up to the time of the world war, efforts were directed solely toward developing the mechanical efficiency of the plane. Little thought was given to the pilot. Flying was considered to be purely a case of courage; in other words if a man had the nerve to fly there was no reason why he should not fly. Bitter experience has taught us otherwise.” Louis Hopewell Bauer (1888–1964)1 [3, S. xiii]

Die deutschen Luftstreitkräfte im Ersten Weltkrieg Als Deutschlands Streitkräfte im August 1914 mobilmachten, taten sie das zu Wasser, zu Lande und zum ersten Mal auch in der Luft [37]. Zu diesem Zeitpunkt gab es Ballontruppen, zeitgenössisch Luftschiffer genannt, erst seit 30 Jahren. Es war gerade einmal 14 Jahre her, dass sich das erste Luftschiff des Grafen Zeppelin in die Lüfte erhoben hatte, und der legendäre Flug in einem Motorflugzeug durch die Brüder Wright im Dezember 1903 (ob es wirklich der erste ge1

Louis Hopewell Bauer war Leiter der School of Aviation Medicine der US Army und Autor des ersten, 1926 erschienenen Lehrbuchs für Luftfahrtmedizin, gründete 1929 die Aerospace Medical Association (AsMA) und war ihr erster Präsident sowie über 25 Jahre Herausgeber der wissenschaftlichen Zeitschrift der AsMA.

wesen ist, wird kontrovers diskutiert) lag knapp 11 Jahre zurück. Den ersten deutschen Motorflug durch Hans Grade hatte es 1908, also sechs Jahre vor dem Krieg gegeben, 1909 war der Ärmelkanal durch Louis Bleriot zum ersten Mal überflogen worden und die Erstüberfliegung des Alpenhauptkammes 1911 lag ganze drei Jahre zurück. Die Anfänge der (militärischen) Fliegertruppe selbst hatten bei den deutschen Kontingentsarmeen und der kaiserlichen Marine 1910 begonnen. Im Jahre 1912, also gerade einmal zwei Jahre vor Kriegsbeginn, war sie fest etabliert worden. Nun schickte sie sich an, den nur begrenzt erforschten Luftraum zu erobern, den eigenen Luftraum zu sichern und im gegnerischen zu operieren [36]. Insgesamt waren deutsche Luftstreitkräfte – der Name stammt erst aus dem Jahre 1916 – also relativ neu, eine ausformulierte Doktrin gab es nicht und vieles wirkte bei der Mobilmachung der 33 Feldfliegerabteilungen und zehn Festungsfliegerabteilungen mit ihren 232 Maschinen der preußischen und bayerischen Fliegertruppe improvisiert. Technische Probleme und ungenügende Logistik sorgten dafür, dass nach etwa sechs Wochen Krieg etwa 40 % der Maschinen nicht mehr startklar waren [36]. Die Feldfliegerabteilungen der Anfangszeit verfügten über je sechs unbewaffnete Doppelsitzer. Die Besatzung

Abb. 1: Otto-Doppeldecker der k.b. Fliegertruppe in Schleißheim 1913. Motor und Luftschraube hinter der Besatzung: Rittmeister Graf Wolffskeel und S.K.H. Prinz Leopold von Bayern (Quelle: Deutsches Museum Flugwerft Schleißheim).

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bestand jeweils aus einem Flugzeugführer und einem Beobachter. Sie waren mit Pistole beziehungsweise Karabiner, Fernglas, Signalpistole, Kamera und Meldeblock ausgerüstet. Die etwa 500 Mann fliegendes Personal hatten im Wesentlichen drei Hauptaufträge, die bereits im Frieden bei Manövern eingeübt worden waren: Aufklärung, Einschießen der Artillerie sowie Bombenabwurf. Hierbei galt als kriegsmäßig anzunehmende Flughöhe 800 m über Grund. Ihre Missionen führten sie mit Schwerpunkt über der Westfront, aber auch über den viel weiteren Strecken der Ostfront aus. Die Maschinen der Anfangszeit waren etwa 100 km/h schnell, die Motoren leisteten ungefähr 80 bis 100 PS und der Treibstoffvorrat reichte für etwa eineinhalb Flugstunden [36]. Die Realität des Krieges zeigte aber, dass die Flugzeuge durch Abwehrfeuer vom Boden aus verwundbar waren, weswegen die kriegsmäßige Flughöhe auf 1800 m über Grund erhöht wurde. Im heißen August 1914 führte das zu massiven Problemen bei den Motoren. Hinzu kam, dass nun für die Besatzungen in den offenen ungeheizten und ungeschützten Cockpits die Temperaturdifferenzen zwischen Start und gefechtsmäßiger Flughöhe deutlich anstiegen. Somit stellten sich neue Anforderungen an die Schutzkleidung, zeitgenössisch Fliegersonderbekleidung genannt [36]. Diese Tendenz nahm bei den Herbststürmen des Jahres 1914 sowie in den darauffolgenden Wintern sogar noch zu. Sie steigerte sich im Verlaufe des Krieges: Fliegerformationen wurden 1915 und 1917/18 in das Hochgebirge der Alpen mit seinen Turbulenzen verlegt. Sie erfüllten ihre Missionen ab 1915/16 in den blanken und die Sonne reflektierenden Felsformationen der Mittelgebirge Südosteuropas sowie ab 1916/17 in den Wüsten und Bergen Palästinas sowie Mesopotamiens [38]. Der Wechsel vom Bewegungs- zum Stellungskrieg Ende 1914 beziehungsweise Anfang 1915 hob die Bedeutung der Flugzeuge, Ballone und Luftschiffe. Nun waren es nur noch sie, denen der Blick nach drüben, sprich über die eigenen Linien hinaus, möglich war. Nur sie konnten jetzt den Gegner unmittelbar an der Front sowie im Hinterland per Kamera und Auge aufklären. Alleine sie schossen die eigene Artillerie mittels Signalpistole, später mit Morsefunk ein, das heißt sie gaben den Richtschützen der Artillerie eine direkte Rückmeldung über das Trefferbild. Zudem störten, lähmten, bekämpften und unterbanden sie die gegnerischen Aktivitäten an der Front, im Hinterland beziehungsweise in der Heimat durch Maschinengewehr und Bomben. Beiden Seiten war klar, dass der eigene Luftraum geschützt werden musste, um dies wiederum zu unterbinden. Daher wurden die Flugzeuge mit MG bewaffnet. Es entstanden die ersten Jagdflugzeuge, die nur noch ein Besatzungsmitglied hatten: den Piloten. Den Anfang machte hier die Entente, namentlich Frankreich. Deutschland zog 1915 nach, bewaffnete seine Doppelsitzer mit einem beweglichen MG, das durch den Beobachter zu bedienen war.

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Jagdflugzeuge, damals Kampfflugzeuge genannt, wurden mit einem, später mit zwei Starr-MG ausgestattet. Zwar dominierten die Jagdflieger mit ihren Abschusszahlen die zeitgenössische Propaganda und die populäre Luftfahrtgeschichtsschreibung; tatsächlich jedoch waren bei Kriegsende in Deutschland 40 % aller Flugzeuge (Jagd-)Einsitzer, 60 % waren Doppel- und Mehrsitzer [17; zu den Jagdfliegern siehe 7; 46; 42; 48]. Aus den 500 Mann fliegendem Personal des Heeres im Jahre 1914 waren vier Jahre später 5 000 Mann mit 480 Maschinen geworden. Die preußischen und bayerischen Fliegertruppen insgesamt waren auf 61 000 Mann angewachsen. Die Zahl der fliegenden Staffeln und Abteilungen hatte sich ebenfalls stark erhöht. Allerdings gab es nun keine Abteilungen mehr, die für alle Aufträge zuständig waren, sondern es erfolgte eine Spezialisierung und Ausdifferenzierung bis 1918: 65 Jagdstaffeln für den Kampf in der Luft, 27 Bomberstaffeln und andere mehrmotorige Groß- und Riesenflugzeuge für den Bombenabwurf, 145 Fliegerabteilungen und sogenannte Fliegerabteilungen (A) für die Aufklärung und für das Einschießen der Artillerie, ferner 30 Schlachtstaffeln für das Eingreifen in den Erdkampf sowie für Infanterieflüge. Hinzu kamen die entsprechenden Formationen der Marine mit fünf Marinejagdstaffeln, zwei See- und einer Landfliegerabteilung sowie diversen See- und Landfliegerstationen in Nord- und Ostsee, dem Mittelmeer und dem Schwarzen Meer. Insgesamt bestanden die Marinefliegerkräfte 1918 aus 16 Luftschiffen, 1478 See- und Landflugzeugen mit einer Gesamtstärke von 16 000 Mann [36; 32]. All diese Entwicklungen führten zu höheren Belastungen, etwa durch größere G-Kräfte bei den Jagdfliegern, und stellten erhöhte Anforderungen an die Pilotenausbildung an den Fliegerschulen der Heimat. Deren Zahl wuchs ebenso wie die der Beobachter-, Funker- und Fliegerschützenschulen für die Ausbildung der Beobachter sowie Fliegerschützen [36]. Bis zum Jahre 1918 erhöhten sich die Geschwindigkeiten der Maschinen auf über 200 km/h, die Motorenleistungen stiegen auf mehr als 200 PS und die Flughöhen steigerten sich auf über 5 000 m. Diesen Geschwindigkeiten waren Menschen bis dahin noch nie ausgesetzt gewesen. Gleiches galt für die entsprechenden Temperaturunterschiede von glühend heiß bis eiskalt innerhalb von 20 bis 30 Minuten. Hinzu kam der Sauerstoffmangel mit entsprechenden Ausfallerscheinungen bei Flughöhen über 3 000 beziehungsweise 4 000 m Höhe. Die Folge waren die Entwicklung von elektrisch beheizbaren Fliegerstiefeln sowie die Auslieferung von zunächst sehr primitiven Sauerstoffgeräten. Erst im Sommer 1918 wurden die Piloten mit Fallschirmen ausgestattet [36; siehe 26; 38]. Verschiedene Faktoren bewirkten, dass die Zahl der bei Flugunfällen getöteten Piloten beziehungsweise Besatzungsmitglieder an der Front und in der Heimat, hier be-

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Abb. 2: Jagdflugzeug Fokker D VII 1918 in Schleißheim; Inschrift auf der Rückseite des Fotos: „Aus meiner Pilotenzeit. Nach glücklicher Rückkehr aus dem Felde, aufgenommen am 10.XI.18 in Schleißheim. Rückflug von Colmar bis Schleißheim rund in 2 Stunden.“ Flugzeugführer Otto Lundershausen [?] (Quelle: Deutsches Museum Flugwerft Schleißheim).

sonders bei der Ausbildung, mit 66 % deutlich höher lag als durch Feindeinwirkung. Neben technischen Problemen bildete auch hier der „human factor“ die Hauptursache: überhastete Ausbildung, die Notwendigkeit, die Front mit neuen Besatzungsmitgliedern als Ersatz zu bestücken, „verbrauchte Nerven“, psychische Überforderung und anderes mehr [36]. Die Luftstreitkräfte wuchsen während der vier Kriegsjahre personell und materiell gewaltig an und differenzierten in ihrem Aufgabenspektrum aus. 1918 ließ sich keine Landschlacht mehr ohne Luftüberlegenheit gewinnen [17]. Anfänge der Luftfahrtmedizin am Vorabend des Ersten Weltkrieges Die Flugmedizin ist eine der jüngsten Disziplinen der Medizin. Ihre Entstehung und Entwicklung ist untrennbar mit der Luftfahrt als einer der wesentlichsten Innovationen des 20. Jahrhunderts verknüpft. Erst durch diese wurde sie aus der Taufe gehoben, diese prägte auch ihren Namen. Der Nährboden für die Entstehung und Entfaltung einer luftfahrtmedizinischen Forschung und, dem nachfolgend, auch einer klinisch geprägten Luftfahrtmedizin wurde in

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Deutschland im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert bereitet. Ein wichtiger Meilenstein dabei war die 1881 in Berlin vollzogene Gründung des „Deutschen Vereins zur Förderung der Luftschifffahrt“ (DVFL). Nachdem dieser in den 1890er Jahren durch eine großzügige Spende des deutschen Kaisers schließlich mit den für die Verwirklichung seiner Ziele notwendigen materiellen Mitteln ausgestattet war, hat er die Aeronautik, wie der Ballonsport genannt wurde, außerordentlich befördert. Mehr als 200 unter der Ägide des DVFL durchgeführte bemannte Ballonfahrten, von denen allein 40 rein wissenschaftlichen Zwecken dienten [20], verschafften Deutschland bereits im ausgehenden Jahrhundert einen reichen Erfahrungsschatz auf diesem Gebiet. Dabei wurden auch erste physiologische und medizinische Fragestellungen bearbeitet, die Gefahr von Hochfahrten erkannt und zunehmend ein Bewusstsein für die Problematik luftfahrtmedizinischer Fragestellungen geschaffen. Ging die Initiative für die ersten medizinisch-physiologischen Untersuchungen bei den Ballonfahrten zunächst vor allem von Meteorologen wie Richard Assmann (1845–1918, der ursprünglich Arzt gewesen ist), Arthur Berson (1859–1942) und Reinhard Süring (1866–1950) aus, so interessierten sich alsbald auch Mediziner dafür. In dieser Zeit formierte sich der Personenkreis, der der

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Abb. 3: Dieses Foto vom 15. September 1898 zeigt den Ballon „Excelsior“ vor einem Aufstieg auf 8320 m; an Bord waren der britische Ballonfahrer Stanley Spencer und der deutsche Meteorologe Arthur Berson (Quelle: Wikimedia Commons; aus: Richard Aßmann und Arthur Berson [Hrsg.]: Wissenschaftliche Luftfahrten, Bd. II; Braunschweig: Vieweg 1900).

Flugmedizin im deutschsprachigen Raum zu ihrer Geburt verhalf, sie wesentlich prägte und ihre Entwicklung auch im folgenden Weltkrieg maßgeblich mitbestimmte und vorantrieb. Hier sind vor allem Namen wie Richard Assmann, Adolf A. Friedländer, Nathan Zuntz, Hermann von Schrötter, Reinhold Halben, [] Crusius, Adolf Loewy (1862–1937), Siegfried Placzek (1866–1946) sowie die der Stabsärzte Ernst Koschel und Johannes Flemming zu nennen. Mit dem neuen Jahrhundert entwickelte sich die Luftfahrt rasant und gewann zunehmend an Popularität. Neben der Aeronautik kam die Fliegerei nach dem Prinzip „schwerer als Luft“ auf, auch als Aviatik bezeichnet. In deren Folge nahm die Zahl der Unfälle mit tödlichem Ausgang dramatisch zu (siehe Abbildung 5). Im Bedürfnis, diese Situation zu verändern und alle vorhandenen Kräfte zu bündeln, wurden im Jahr 1912 die verschiedenen Vereinigungen, die sich in Deutschland

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auf wissenschaftlichem und technischem Gebiet der Förderung der Luftfahrt widmeten, in der „Wissenschaftlichen Gesellschaft für Flugtechnik e.V.“ (WGF), später „Wissenschaftliche Gesellschaft für Luftfahrt“ (WGL), zusammengeführt. Auf Initiative von Heinrich Prinz von Preußen bekam sie auch einen Unterausschuss für medizinisch-psychologische Fragestellungen, dessen Obmann Adolf A. Friedländer (1870–1949) war und dem unter anderen Nathan Zuntz, Reinhold Halben, Johannes Flemming und Ernst Koschel angehörten [14]. Eine Analyse der Unfälle sowie erste Überlegungen zu deren Ursachen zeigten sehr schnell, dass ein großer Anteil auf den Faktor Mensch und vor allem auf eine ungenügende beziehungsweise fehlende medizinische Auswahl und Betreuung der Piloten zurückzuführen war. Dies war der Denkanstoß zur Formulierung gesundheitlicher Mindestanforderungen an die Tauglichkeit von Flugzeugführeranwärtern/Flugschülern und Piloten, die

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sich allerdings zunächst nur auf den Sport- und Ballonflugbereich bezogen [27; 14]. Auch zu Beginn des Ersten Weltkrieges steckte die Aviatik noch in ihren Kinderschuhen. Gleiches galt für die Luftfahrtmedizin. Naturgemäß konnte der im Entstehen begriffene neue Zweig der Medizin noch nicht auf umfangreiche oder gar verlässliche und fundierte Quellen zurückgreifen. Harry George Armstrong (1899–1983), einer der führenden Luftfahrtmediziner Amerikas und Direktor des US Aeromedical Research Laboratory mit einer beindruckenden Liste an Publikationen im Bereich der Luft- und Raumfahrtmedizin, wusste dazu Folgendes zu berichten: „Thus, when World War I began, which was 11 years after the Wright brothers‘ first flight, the world's literature devoted to the medical aspects of aviation consisted of 31 papers and one small book.“ [2, S. 7]

Abb. 4: Freiballonfahrer mit Sauerstoffmaske inclusive festverbundener Mütze mit Nackenschutz (aus: 13, S. 231).

Die Erkenntnisse, auf denen die Luftfahrtmedizin in ihren Anfängen aufbauen konnte, stammten vor allem aus dem alpinen Sport und den höhenphysiologischen Arbeiten von Nathan Zuntz, Hermann von Schrötter, Johannes Flemming, Arnold Durig, Paul Bert, Angelo Mosso u.a. und zunächst nur aus der Ära der Aeronautik [10; 11; 12; 13; 43; 44]. Durch die Kontakte der Protagonisten der Höhenmedizin zu den Ballonfahrern und ihr eigenes Engagement auf diesem Gebiet wurden sie mit ihren Erfahrungen auch zu Wegbereitern der Flugmedizin. Insbesondere die Abhandlungen von Nathan Zuntz (1847–1920) „Zur Physiologie und Hygiene der Luftfahrt“ und von dem österreichischen Arzt Hermann von Schrötter (1870–1928) „Hygiene der Aeronautik und Aviatik“ formulierten erstmals die grundlegenden Fragestellungen, mit denen sich die Luftfahrtmedizin auseinandersetzen musste und rückten sie so ins Bewusstsein der Öffentlichkeit [51; 43]. Dadurch, dass die Anfänge der Luftfahrtmedizin zeitlich mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges zusammenfielen, waren sie, jedenfalls in den kriegführenden Ländern, zunächst vor allem militärisch geprägt und die bearbeiteten Fragestellungen durch die Erfordernisse des Krieges bestimmt.

Luftfahrtmedizin im Ersten Weltkrieg

Abb. 5: Entwicklung der Zahl der Unfallopfer in der Luftfahrt von 1908 bis 1912 [nach Angaben von Adolf A. Friedländer].

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Der Krieg forcierte die Flugzeugentwicklung in außerordentlich beeindruckender Weise. Dies zeigen die erzielten Flugrekorde und die Vielzahl neu entwickelter Flugzeugmuster sehr deutlich. Ende 1913 lag der Höhenrekord für Flugzeuge noch bei 20 000 ft (= 6 096 m) und der Geschwindigkeitsrekord bei 126 Meilen/Stunde (203 km/h). Nur 5 Jahre später, 1918, war der Höhenrekord bereits auf 31 390 ft (= 9 568 m) und der Geschwindigkeitsrekord auf 162 Meilen/Stunde (260 km/h) gestie-

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Abb. 6: Das Bild aus dem Jahre 1917 zeigt einen Soldaten an einem Zwillings-Maschinengewehr und gibt einen Eindruck von der deutschen Flugabwehr im Ersten Weltkrieg (Bildnachweis: akg-images).

gen [2]. Erstmals wurden Flugzeuge in Serie und in großen Mengen produziert sowie die Cockpitinstrumentierung vereinheitlicht und damit deren Bedienbarkeit erleichtert [45]. Ersteres führte zu einer schlagartigen Erhöhung des Bedarfs an Piloten, letzteres vereinfachte das Erlernen des Fliegens und die Umschulung auf andere Luftfahrzeugmuster. Bedingt durch den technologischen Fortschritt und die andauernden Kriegshandlungen stieg, wie dargestellt, die Bedeutung der Luftwaffen; Gefechtsaufträge und Einsatzspektren der Piloten änderten sich stetig. Standen zu Beginn des Krieges vor allem die Nah- und Fernaufklärung sowie die Artilleriebeobachtung im Vordergrund, ging es bald auch um Luftnahunterstützung, Jagdeinsätze und Luftkampf (auch in der Nacht) zur Luftabwehr sowie um Bombereinsätze. Eine allseits erstarkende Luftabwehr machte Flüge unter immer extremeren klimatischen Bedingungen, in größeren Höhen und unter zunehmenden Beschleunigungen notwendig. Belastungen und Beanspruchungen der Flug-

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zeugführer und Beobachter stiegen innerhalb der vier Jahre des Krieges gravierend. Dies stellte die Luftfahrtmedizin, insbesondere da gerade eben erst selbst entstanden, vor beträchtliche Herausforderungen, auf die sie zeitnah reagieren musste. Entwicklung der Tauglichkeitsuntersuchungen Die enormen Produktionszahlen generierten einen Bedarf an Piloten, der zunächst nur schwierig zu decken war. Freiwillige wurden geworben und, solange sie nur felddienstfähig waren, zu Fliegern ausgebildet. Die medizinische Untersuchung lag in der Hand von Truppenärzten [30; 41]. Ärztliche Erfahrungen zum Einfluss des Fliegens auf die Gesundheit, aber auch Ärzte, die diese hätten machen können, standen noch nicht zur Verfügung. So mancher gesundheitliche Mangel wurde zunächst großzügig übersehen beziehungsweise gar nicht erst entdeckt:

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„Eine besondere, auf Flugdiensttauglichkeit – ein damals noch nicht festgelegter Begriff – gerichtete Untersuchung fand im allgemeinen nicht statt. So kam es, daß sich unter den Fliegern z. B. erheblich kurzsichtige und farbenblinde Offiziere fanden, und unter diesen – es klingt wie ein Hohn auf die späteren Bestimmungen – fanden sich gerade die besten Militärflieger.“ [28, S. 10] In Deutschland vollzog sich der Weg hin zu etablierten Tauglichkeitsrichtlinien als ein schrittweiser und zaghafter Prozess. Obwohl die Einsicht, dass Führer von Luftfahrzeugen jeder Art auf ihre gesundheitliche Eignung für diese Tätigkeit besonders geprüft werden sollten, bereits im „Deutschen Luftfahrerverband“, aber auch in der WGF schon vor dem Krieg gewachsen war, musste diese bei der militärischen Führung erst einmal geschaffen und entwickelt werden. Die Stabsärzte Johannes Flemming und Ernst Koschel hatten als Vertrauensärzte des „Deutschen Luftfahrerverbandes“ zusammen mit [] Crusius, Reinhold Halben, Siegfried Placzek und anderen die Frage, welche Anforderungen an die Gesundheit der Führer von Luftfahrzeugen gestellt werden müssen, bereits bearbeitet und Koschel hatte zu diesem Thema in der Hauptversammlung der WGL im Juni 1913 referiert und den Entwurf einer Untersuchungsanleitung unterbreitet [27; 28]. Ende 1914 und zu Beginn des Jahres 1915 wurden diese Vorschläge jedoch nur von wenigen Dienststellen aufgegriffen. Auch herrschte zunächst die Meinung vor, dass die Posten des Flugzeugführers oder des Beobachters „Schonungs-, sogar Erholungsposten“ sind [28]. Die vielen notwendig gewordenen Ablösungen sprachen aber bald eine andere Sprache und die Schaffung allgemeingültiger Bestimmungen über die gesundheitlichen Anforderungen wurde unumgänglich, so dass sich die Inspektion der Fliegertruppen im Oktober 1915 entschloss, „allgemeine Anhaltspunkte“ für eine Untersuchung herauszugeben [28]. Diese entsprachen jedoch tatsächlich nur absoluten Minimalforderungen: „1. Herz, Nieren und Lungen absolut gesund. 2. Augen und Ohren gut. [...]. 3. Straffe, elastische Muskulatur. 4. Gesundes Nervensystem, […]. 5. Alter im allgemeinen nicht unter 19 und nicht über 35 Jahren. Ausschlaggebend aber in erster Linie Elastizität und moralische Qualität.“ [28, S. 12] Noch immer war die Angst zu groß, durch überzogene Bestimmungen den hohen Bedarf an Fliegern nicht decken zu können. Als dann 1916 die Zahl der Ablösungen jedoch immer weiter wuchs, wurde beim Chef des Feldflugwesens (Kommandierender General der Luftstreitkräfte) eine ärztliche Abteilung gegründet, deren Leitung Ernst Koschel (1875–1961) übertragen wurde. Es war inzwischen einfach nicht mehr zu übersehen, dass die mit der zunehmenden psychischen Belastung einherge-

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henden hohen Ablösequoten veränderte Eingangsuntersuchungen erforderten. Ernst Koschels Abteilung beschäftigte sich zunächst mit der Ermittlung der gesundheitlichen Gründe der vielen Ablösungen. Die Sichtung der Krankenakten zeigte, dass diese für wissenschaftliche Auswertungen ungeeignet waren, jedoch schienen eine „nervöse Erschöpfung“ und möglicherweise auch rheumatische Erkrankungen bei Fliegern häufiger als bei den übrigen Soldaten vorzukommen: „Besonders aber ergaben die Krankenblätter und Berichte, daß in allererster Linie der Zustand des Nervensystems beachtet werden muß, und daß alle diejenigen Bewerber auszumustern sind, die nach ihrer Vorgeschichte oder dem Untersuchungsbefund voraussichtlich nicht in der Lage sein würden, außergewöhnlichen Aufregungen für möglichst lange Zeit Widerstand zu leisten.“ [28, S. 13] Ebenso ergab die Prüfung der Krankenpapiere, dass bei den Bewerbern, die erst nach Oktober 1915 in den Dienst getreten waren, selbst die bereits erlassenen minimalistischen Untersuchungsrichtlinien häufig keine Beachtung gefunden hatten. Nachdem der Mangel in den Krankenakten erkannt war, wurde verfügt, dass bei jedem aus gesundheitlichen Gründen abgelösten Flieger eine weitere Untersuchung durchzuführen war, um die genauen Ursachen dieser Ablösung festzustellen. Dafür wurden im gesamten Armeebereich Kommissionen aus verschiedenen Fachärzten zusammengestellt, außerdem war man bestrebt, diese in ihrer Zusammensetzung weitgehend unverändert zu lassen. Auf der Grundlage eines extra dafür erarbeiteten zweiteiligen Fragebogens, dessen erster Teil aus der Vorgeschichte bestand, die vom Flieger und dessen zweiter Teil vom untersuchenden Arzt auszufüllen war, entstanden sogenannte Ablösezeugnisse, auf deren Grundlage der Kommandierende General der Luftstreitkräfte auf Basis der Empfehlung seiner Sanitätsabteilung über die weitere Verwendung des Untersuchten entschied [28, S. 14]. Bis zur endgültigen „Anleitung für die ärztliche Beurteilung der Kriegsverwendungsfähigkeit zur Ausbildung als Flugzeugführer und Beobachter“ war es ein zähes Ringen zwischen der Sanitätsabteilung des Chefs des Feldflugwesens, der Ernst Koschel vorstand, dem Chef des Feldflugwesens und dem Chef des Feldsanitätswesens, Otto von Schjerning. Die Grundlage dafür bildete die durch Koschel bereits Anfang März kurz nach seiner Amtsübernahme erarbeitete Anleitung zur Untersuchung auf Flugdiensttauglichkeit, in der die jeweiligen Anforderungen in elf Punkten niedergelegt wurden [30; 28; 41]. Den Vorschlag des Chefs des Feldflugwesens, die Untersuchung auf Flugdiensttauglichkeit in einer einzigen, mit Fachärzten besetzten Untersuchungsstelle zu vereini-

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gen, hat der Chef des Feldsanitätswesens abgelehnt – die Aufnahme des Begriffes „Flugdiensttauglichkeit“ in eine Vorschrift deshalb, weil noch nicht genügend Erfahrungen gesammelt seien, die Einrichtung einer Fliegerhauptuntersuchungsstelle, da die nötige Zahl der Fachärzte fehle, die eigens zu diesem Zwecke zur Verfügung stehen müsste [28]. Letztendlich und nach langen Kompetenzstreitigkeiten wurden in Deutschland erstmals im November 1916 vom Chef des Feldsanitätswesens Untersuchungs- und Tauglichkeitsrichtlinien in Form einer Verfügung herausgegeben und verbindlich eingeführt. Diese beinhalteten ein dreistufiges Zulassungsverfahren zur Fliegerausbildung, das eine truppenärztliche Untersuchung, eine Beurteilung durch den Truppenteil des Bewerbers, bei der die Frage nach bisher aufgetretenen nervösen Erschöpfungszuständen im Mittelpunkt stand, und eine Untersuchung durch ein militärisches Fachärztekollegium umfasste [30]. Für bereits eingestellte Flugzeugführer und -beobachter, die den neuen Bestimmungen häufig nicht entsprachen, galt diese Verfügung nicht. Die im Verlauf des Krieges gemachten Erfahrungen führten dann noch zu der einen oder anderen Änderung in dieser Anleitung. In seinem 1922 im „Handbuch der Ärztlichen Erfahrungen im Weltkriege 1914/1918“ erschienenen Artikel findet sich nachfolgende Formulierung von Ernst Koschel, die den Zwiespalt beziehungsweise das Dilemma sehr trefflich beschreibt, in dem die Flugmedizin zu dieser Zeit steckte: „Der hygienische Grundsatz, keinen Mann an einen Platz zu stellen, an dem er vermeidbaren gesundheitlichen Schaden erleiden konnte, wurde mit dem militärischen Grundsatz verbunden, die besten Leute an den richtigen Platz zu setzen, und es lag in den Verhältnissen, daß bei dem Riesenverbrauch an Fliegern die gewaltigen Ersatzanforderungen nur gedeckt werden konnten, wenn militärischerseits die ärztlichen Bestrebungen, die oft viel weiter gingen, gehemmt werden mußten.“ [28, S. 33] Die Auswahl von Bewerbern und die Gestaltung von Tauglichkeitsuntersuchungen gehörten somit zu den vordringlichsten Aufgaben der Luftfahrtmedizin während des Krieges. Experimentell-psychologische Tauglichkeitsprüfungen zum Flugdienst Hierzu hat auch die Psychologie sehr wertvolle Beiträge geliefert. Sie erschloss sich in dieser Zeit ein Gebiet, auf das Mediziner ihr Augenmerk bisher nicht gelegt hatten, nämlich das der physiologischen Variationen seelischer Funktionen. Dem allgemeinen Trend der Zeit folgend, entstanden an vielen Stellen in Deutschland Schulen für Angewandte Psychologie, die sich der Entwicklung einer

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psychologischen Methodologie der Berufseignung widmeten und damit einen Beitrag zur Eignungsfeststellung in unterschiedlichsten Berufen leisteten. Aufbauend auf dem zur damaligen Zeit klassischen Reaktionsexperiment wurden Prüfverfahren entwickelt, in denen den Kandidaten berufstypische Aufgaben in einem möglichst realistischen, apparativ simulierten Umfeld dargeboten wurden, die sie schnell und genau erledigen mussten. Die erbrachten Leistungen wurden quantifiziert, entsprechende Normwerte erarbeitet und das geforderte Leistungsminimum für die Eignung festgelegt [19]. Zu den führenden Vertretern der Experimentalpsychologie, die sich als Ergänzung zur ärztlichen Fliegertauglichkeitsuntersuchung mit Methoden der psychologischen Eignungsprüfung bei Fliegern und Flieger-Beobachtern beschäftigten, gehörten Erich Stern, Wilhelm Benary, Arthur Kronfeld, Otto Selz und Max Brahn. Erich Stern (1889–1959) vom psychologischen Laboratorium der Psychiatrischen Universitätsklinik Straßburg im Elsaß erarbeitete zunächst auf der Grundlage einer psychologischen Anforderungsanalyse ein Berufsanforderungsbild für Flugzeugführer und versuchte im Rahmen experimenteller Untersuchungen festzustellen, ob der jeweilige Bewerber befähigt ist, die für seinen Beruf notwendigen Fertigkeiten zu erwerben. Dabei prüfte er zunächst sehr einfache Funktionen, entwickelt dann aber eine sehr komplexe Prüfmethodik, die schon wesentliche Elemente des Flugsimulators in sich barg [33]. Auch Arthur Kronfeld (1886–1941) verlangte bei der experimentellen Nachbildung flugähnliche Beanspruchungen und einen objektiven Maßstab bei der Befundregistrierung. Das von ihm vorgeschlagene experimentell-psychologische Prüfungsverfahren, bei dem die Prüflinge eine Hauptaufgabe zu erfüllen hatten und dabei durch Nebenaufgaben gestört wurden, ist sechs Monate lang in einer Fliegeruntersuchungskommission in der Armeeabteilung B (in Freiburg i. Breisgau) erprobt worden [33; 29; 24]. Insgesamt sind diesem Verfahren 350 Flugschüler und 30 erfahrene Flugzeugführer und Beobachter, die als Kontrollgruppe dienten, unterzogen worden. Zu einer weiteren Versuchsserie, die die Brauchbarkeit des erprobten Verfahrens überprüfen sollte, ist es nicht mehr gekommen. Wilhelm Benary (1888–1955), der selbst eine Ausbildung zum Flieger-Beobachter durchlief, befasste sich im psychologischen Laboratorium der Universität Hamburg mit der Entwicklung von Eignungsprüfungen für Flieger-Beobachter [4] und arbeitete hier eng mit Professor William Stern (1871–1938) zusammen. Auch er analysierte zunächst die Anforderungen, denen ein Flieger-Beobachter gerecht werden musste, und arbeitete in seinen Verfahren mit konkurrierenden Haupt- und Nebenaufgaben. Otto Selz (1881–1943) widmete seine Aufmerksamkeit einem Phänomen, das heute in der Flugmedizin als „human factor“ bezeichnet wird, prüfte dessen Anteil an der

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Abb. 7: Reklame für ein Sauerstoffatmungsgerät von Dräger (aus: 21, S. 192).

Genese von Flugunfällen und leitete daraus Anforderungen für die Eignungsprüfung ab [33]. Max Brahn (1873–1944) startete seine Karriere an der Leipziger Universität und ging aus einer der „Brutstätten der Angewandten Psychologie“ um Wilhelm Wundt (1832–1920) und Ernst Meumann (1862–1915) hervor, die sich bereits um 1910 ausbildungs- und berufsbezogenen Problemen der Psychologie zugewandt haben [19]. Im Ersten Weltkrieg beschäftigte er sich in dem in Großenhain/Sachsen eigens für Militärflieger eingerichteten psychologischen Laboratorium mit der Unter suchung des Gleichgewichtssinnes. Hierfür benutzte er einen Neigungsstuhl, mit dessen Hilfe er den Orientierungssinn der Prüflinge zu quantifizieren versuchte [33]. Den Hauptkritikpunkt an den psychologischen Auswahlverfahren von Seiten der Mediziner formulierte Ernst Koschel in seiner „Hygiene des Ersatzes bei den Luftstreitkräften“ so: „Wenn auch nicht verkannt werden soll, daß viele Eigenschaften, die der Flieger braucht, durch diese Untersuchungen festgestellt werden können, so ist oben schon wiederholt darauf hingewiesen worden, daß die wichtigste Störung des Ablaufes unserer geistigen Funktionen, die innere Unruhe durch das Bewußtsein der Lebensgefahr, experimentell nicht nachgebildet werden kann.“ [28, S. 32] Letztendlich wurde den psychologischen Untersuchungen in der Zeit des Ersten Weltkrieges keine ausschlaggebende Entscheidung eingeräumt, da noch nicht auf ausreichende Erfahrungen zurückgegriffen werden konnte. Es existierte allerdings die Anordnung, bei den Flie-

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gern, die eine solche Untersuchung durchlaufen haben, eine Erfolgskontrolle anzustellen. Die Beendigung des Krieges hat dies jedoch verhindert [28]. Dennoch können diese Untersuchungen als Vorläufer für die heute praktizierte psychologische Eignungstestung gelten. Schwerpunkte luftfahrtmedizinischer Forschung und Entwicklung Die Themen, denen sich die luftfahrtmedizinische Forschung zur Zeit des Ersten Weltkrieges zuwandte, waren weltweit ähnlich und durch die operationellen Erfordernisse des Krieges geprägt. Flüge unter außergewöhnlichen Bedingungen, im offenen Cockpit und in immer größeren Höhen verlangten einen effektiven Schutz der Flugzeugführer und Beobachter vor Kälte und Unterkühlung, Sauerstoffmangel und intensiver Sonneneinstrahlung. Die Entwicklung von Sauerstoffgeräten und Masken, Fliegerbekleidung, Schutzbrillen und Sicherheitsgurten hatte daher allererste Priorität. Die klinisch orientierte Luftfahrtmedizin konzentrierte sich zunächst vor allem auf die deskriptive Erfassung der Einflüsse des Fliegens auf die verschiedenen Organsysteme, wo möglich, wurde diese durch konkrete Messungen ergänzt. Daneben war die Formulierung der gesundheitlichen Anforderungen an das fliegende Personal hinsichtlich bestimmter Organsysteme auf der Basis einer Tätigkeitsanalyse eine vordringliche Aufgabe [28; 22; 30; 49]. Um dem drohenden Sauerstoffmangel in größeren Höhen wirksam begegnen zu können, wurden zunächst die bereits in der Aeronautik benutzten Höhenatmungsgeräte mit Presssauerstoff benutzt, die bei der Fliegertruppe allerdings erst einmal insbesondere wegen ihres hohen

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Abb. 8: Auf dieser Aufnahme, wohl aus dem Jahre 1917, werden Atemgeräte der Kampfflieger mit Sauerstoff gefüllt (Bildnachweis: akg-images).

Gewichtes auf Ablehnung stießen. Später wurden für Flüge über 5 000 m Tropfluftgeräte mit flüssigem Sauerstoff eingesetzt. Diese hatten den Vorteil, dass sie bei gleicher Sauerstoffmenge nur ein Sechstel wogen und bei Beschuss oder holpriger Landung nicht explodierten [9]. Zum Schutz vor der Kälte wurden elektrisch beheizbare Fliegerkombis entwickelt. Frostschutz für Füße, Hände und Gesicht war unerlässlich. Dafür wurde von der Sanitätsabteilung des Kommandierenden Generals der Luftstreitkräfte eine Anordnung zum Kälteschutz der Haut erarbeitet. Die Empfehlungen umfassten die Nutzung einer wasserfreien Fliegerfrostschutzsalbe sowie das Tragen von zwei Paar Handschuhen übereinander, dünne wollene oder seidene als Unterhandschuhe, darüber pelz- oder flauschgefütterte Oberhandschuhe aus Leder. Später gab es auch elektrisch beheizbare Handschuhe, die die Oberhandschuhe unnötig machten [9]. Zum Schutz des Gesichtes wurde das Tragen eines seidenen oder wollenen Kopfschlauches und darüber das einer als Sonderbekleidung erhältlichen seidengefütterten Gesichtsledermaske empfohlen. Darüber kam die Brille mit Stirn- und Backenschutz. Das Beschlagen der Brillengläser wurde durch Einreiben der Gläser mit „Kristallglanz“ verhindert [9].

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Die intensive Sonneneinstrahlung führte nicht nur zu massiven Verbrennungen der Haut, sondern auch zu Schädigungen der Augen, die nach adäquatem Schutz verlangten. So wurden durch Blendung bedingte, meist peripher im temporalen Gesichtsfeld gelegene, häufig nach oben offene Ringskotome, aber auch durch das Zusammenspiel von Luftzug, Kälte und Sonneneinstrahlung verursachte Entzündungen der äußeren Augen und der Bindehaut sowie Schädigungen der Cornea beobachtet. Kaum ein anderer Bereich wurde deshalb so intensiv beforscht, wie der der Fliegerschutzbrillen [16]. Man experimentierte mit verschieden gefärbten Schutzbrillen, die von vielen Fliegern allerdings als störend empfunden wurden, Gläsern mit abgestufter Lichtdurchlässigkeit, verschiedenen Lichtfiltern und mit Doppelgläsern [50; 16]. Erhebliche Aufmerksamkeit erlangte auch die sogenannte „Fliegerkrankheit“, ein schwierig zu fassender Symptomkomplex aus körperlichen und psychischen Reaktionen, die auf die Einwirkung des Aufenthalts in der dritten Dimension zurückgeführt und im Gegensatz zur Alpinistik ob der hohen Geschwindigkeit des Aufstiegs und der normalerweise fehlenden erheblichen körperlichen Anstrengung deutlich von der Bergkrankheit abgegrenzt wurde [31; 5]. Koschel hat dafür in einer Unterdruck-

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Abb. 9: Das digital kolorierte Foto (1917) zeigt einen Flieger in elektrisch beheizbarer Wintermontur (Bildnachweis: akg-images).

kammer systematische Untersuchungen zu den psychopathologischen Auswirkungen der Änderungen des atmosphärischen Drucks auf die Psyche von Fliegern durchgeführt [nach 5]. Jenseits von 6 000 m beschrieb er Bewusstseinsveränderungen charakteristischer Art, die durch eine Abnahme der Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit mit ausgesprochen paraphasischen und paragraphischen Störungen mit Perseveration charakterisiert waren und mit einer Verminderung akustischer und optischer Merkfähigkeit einhergingen. Bedeutsam war die Erkenntnis, dass sich jenseits der 6 500 m das Krankheitsgefühl verliert und sich eine Euphorie

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entwickelt, die mit einer Änderung des Urteilsvermögens und einer verminderten Kritikfähigkeit einhergeht. Ab 7 000 m beobachtete Koschel eine Steigerung der motorischen Reaktionen, die bei 8 000 m in tonische Krämpfe übergehen konnten. Karl Bonhoeffer hob hervor, dass die bei den Fliegern beobachteten nervösen Störungen weniger durch den Aufenthalt in den veränderten atmosphärischen Verhältnissen als vielmehr durch das „mit der Flugtätigkeit verbundene starke emotionale Moment“ und das „Zusammenwirken mehrfacher Kriegsschädigungen“ bedingt wären und keinen Anlass geben, von einer eigentlichen Fliegerkrankheit zu sprechen [5, S. 25].

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Die in den letzten Kriegsjahren erreichten größeren Geschwindigkeiten und Beschleunigungen der Flugzeuge führten offenbar zu den ersten beschleunigungsbedingten Flugzeugverlusten. Darauf lassen Berichte von Piloten über Bewusstseinstrübungen bei bestimmten Flugmanövern, von denen sie sich nach rund 20 Sekunden ohne auffällige Nacheffekte erholten, schließen. In Frankreich haben daher André Broca (1863–1925) und Paul Garsaux (1882–1970) bereits 1918 begonnen, in einer eigens dafür gebauten Zentrifuge an Hunden die Auswirkungen von G-Beschleunigungen systematisch zu erforschen [6]. Daneben wurden der Einfluss des Fliegens auf ausgewählte Organsysteme und deren Beziehung zur Diensttauglichkeit sowie sinnesphysiologische Fragestellungen im Hinblick auf Gleichgewichtssinn, Orientierung und Desorientierung untersucht. Auch gab es Überlegungen zum Einfluss von Ermüdung und Ernährung auf die Leistungsfähigkeit von Piloten und Beobachtern sowie Analysen des Unfallgeschehens und auftretender Verletzungsmuster [15; 18; 25; 34; 49; 52; 9]. Entwicklungen in den Ländern der kriegführenden Parteien Insgesamt verlief die Entwicklung der Luftfahrtmedizin in den Ländern der kriegführenden Parteien, zumindest inhaltlich, relativ vergleichbar. In Amerika [3], das erst sehr spät in den Krieg eintrat, gab die Army ihren ersten Entwurf von Vorschriften für eine Tauglichkeitsuntersuchung von Bewerbern im Februar 1912 heraus, im Oktober des gleichen Jahres folgten die Bestimmungen bei der Navy [1; 2]. Es war Theodore Charles Lyster (1875–1933), der in den USA sehr maßgeblich die Entwicklung der Luftfahrtmedizin während des Ersten Weltkrieges bestimmt hat. Dies betraf sowohl die Fliegerauswahl als auch die flugmedizinische Forschung und die Formierung eines medizinischen Dienstes für die fliegenden Einheiten. 1916 hat er zusammen mit William Holland Wilmer (1863–1936) und Isaac H. Jones (1881–1956) neue Standards für Untersuchungen und deren Dokumentation entwickelt, die 1917 in Kraft getreten sind und denen die mehr als 100 000 Bewerber für den fliegerischen Dienst in den verschiedenen Untersuchungszentren Amerikas unterzogen wurden; der empirischen Basis dieser Standards und der Notwendigkeit für weitere Studien und Forschungen waren sich die Verantwortlichen dabei durchaus bewusst. Folgerichtig wurden im Oktober 1917 ein Aviation Medical Research Board (Flugmedizinischer Forschungsausschuss) eingerichtet und im Januar 1918 das erste amerikanische flugmedizinische Forschungslaboratorium auf dem Hazelhurst Fliegerhorst in Mineola, Long Islands eröffnet. Im März des gleichen Jahres wurde der Begriff „flight surgeon – Fliegerarzt“ etabliert und 1919 wurde ein luftfahrtmedizinisches Training für Sanitätsoffiziere eingerichtet [2; 1].

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Auch in den anderen kriegführenden Ländern war das Interesse zunächst auf die Eignungsfeststellung gerichtet [47]. In England diente insbesondere die Erkenntnis, dass im ersten Jahr des Krieges 90 % der Verluste an Luftfahrzeugen auf menschliches Versagen und von diesen etwa 60 % auf medizinische Probleme zurückzuführen waren, als Trigger für die Einführung medizinischer Tauglichkeitsuntersuchungen, die bereits ein Jahr später schon deutliche Erfolge zeitigten. Hier zeichnete Martin William Flack (1882–1931) dafür verantwortlich [47] und entwickelte eine Testbatterie von sehr leicht durchzuführenden, simplen Tests, die die Grundlage für die medizinische Eignungsprüfung bildeten. In Frankreich wurden Standards für eine klinische Tauglichkeitsuntersuchung bereits 1912 von Pierre-Jules-Emile Beyne (1880–1968) entwickelt, die 1914 in Kraft traten [47]. Daneben entwickelten Jean Camus (1872–1924) und Henri Nepper 1915 eine Testmethodik für Flieger, die als erste in die Praxis eingeführte psychophysiologische Eignungsprüfung gilt [33]. 1918 wurde ein luftfahrtmedizinisches Laboratorium errichtet, das bereits eine Unterdruckkammer und eine Anlage besaß, in der die Wirkungen von Radialbeschleunigungen auf Flieger erforscht werden konnten [33]. Als Leiter des l'Istituto per l‘esame psicofisiologico degli aviatori (Institut für psychophysische Untersuchungen für Flieger) zeichnete Amedeo Herlitzka (1872–1949) [8] in Italien verantwortlich für die Fliegerauswahl [47]. Unterstützt wurde er dabei durch den Arzt und Priester Agostino Gemelli (1878–1959), der ein Verfahren zur psychologischen Einschätzung und Auswahl von Fliegern erarbeitet hat, in dem zunächst unter Laborbedingungen die psychomotorische Reaktionsfähigkeit, das Wahlreaktions- und Aufmerksamkeitsverhalten sowie emotionale Reaktionen untersucht und in einem zweiten Schritt bei den Kandidaten während eines Versuchsfluges die Herz- und Atemfrequenz sowie der arterielle Blutdruck gemessen und mit Normwerten verglichen wurden [33; 39]. Bei der medizinischen Untersuchung kam auch bereits ein, wenn auch einfacher Flugsimulator zum Einsatz, in dem das Wahlreaktionsverhalten getestet werden konnte [33]. In Russland wurde die Notwendigkeit einer medizinischen Untersuchung für fliegende Mitglieder des Aeroclubs durch einen Beschluss des Rates des Allrussischen Aeroclubs vom 14. Juli 1909 anerkannt. 1911 veranlasste die militärische Führung die „Beurteilung von Krankheiten und gesundheitlichen Mängeln, die mit dem Dienst in fliegenden Truppenteilen nicht vereinbar sind“ per Befehl. Die Verantwortung über die Durchführung oblag einer Flugmedizinischen Kommission. Forschungsarbeiten aus dieser Zeit beschäftigten sich mit klinischen, physiologischen und psychologischen Untersuchungen beim Fliegen in großen Höhen. Weitere Entwicklungsschritte erfolgten dann vor allem nach dem Krieg [33].

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Schlussbemerkungen Mit dem Ende des Krieges ging die wesentliche Triebkraft für einen weiteren technologischen Fortschritt in der Flugzeugindustrie zunächst verloren, auch das öffentliche Interesse an der Fliegerei nahm deutlich ab. Mangels Bedarfs kam es zum Zusammenbruch der fliegerärztlichen Untersuchungsstellen und psychophysiologischen Laboratorien, in denen zuvor die Auswahl von Militärpiloten erfolgte. Speziell in Deutschland taten der Versailler Vertrag, der zu gravierenden Einschnitten in der Luftfahrt des Landes führte, und die allgemeine Wirtschaftskrise ihr Übriges [40; 23]. Damit war die Flugmedizin bar ihres Untersuchungsobjektes und ohne Arbeitsgegenstand. Das im Krieg gesammelte Wissen wurde jedoch in dem von Schjerning 1921/22 herausgegebenen umfangreichen „Handbuch der Ärztlichen Erfahrungen im Weltkriege 1914/1918“ aufgearbeitet und so für die Nachwelt erhalten [5; 15; 16; 18; 25; 28; 34; 49; 50]. Die wichtigste Erkenntnis für die Flugmedizin aber war eine, die in dieser Form noch heute unumschränkte Gültigkeit besitzt: „Nicht daß man von einer noch so hohen vorgesetzten Dienststelle geschickt wird oder Professor oder Geheimrat ist, läßt den Flieger aus sich heraus kommen und offen erzählen, was er fühlt – viele jüngere Flieger erzählten mit Freude, wie sie die gelegentlich besuchenden Ärzte angeführt hätten –, sondern nur dann findet der Arzt, der etwas von ihnen erfahren will, volles Vertrauen, wenn er wirklich zur Zunft gehört und mitfliegt, und zwar nicht nur bei ruhigem Wetter, sondern bei jeder Gelegenheit; auch das mag als ärztliche Erfahrung des Weltkrieges künftigen Fliegerärzten gesagt sein.“ [28, S. 13–14]

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Abb. 3: Schema zum Ablauf der funktionellen Bildgebung am Hirnstamm mit „blood oxygenation level dependent“ (BOLD)-Magnetresonanztomographie: In einem ersten Schritt wird eine kontinuierliche Aufzeichnung des systolischen Blutdruckes (SBP) während wiederholter Gabe eines blutdrucksteigernden Medikaments (Phenylephrine-Hydrochlorid) für eine Regressionsanalyse in Kombination mit der MRT-Bilder-Serie BOLD (GLM, general linear model) genutzt, um für jedes Volumenelement (Voxel) einen Wert zu berechnen. Im zweiten Schritt werden dann die berechneten Parameter aller in einer Studie untersuchter Probanden in einer erneuten Regressionsanalyse zusammengefasst, um statistisch belastbare Ergebnisse zu erhalten. (Bild aus [16])

auf kardiovaskuläre Funktion und Struktur können wir mit der funktionellen kardialen Magnetresonanztomographie erfassen. Augenveränderungen – das Space Associated Neuro-ocular Syndrome Die Augengesundheit ist für fliegendes Personal von besonderer Bedeutung. Augenbefunde können aber auch pathologische Veränderungen der kleinen Blutgefäße und Erkrankungen des Zentralnervensystems – zum Beispiel erhöhten Hirndruck – anzeigen. Im Jahre 2008 wurden die ersten Fälle von Augenveränderungen bei Astronauten bei Langzeitmissionen berichtet [31]. Etwa 60 % der Astronauten zeigten ophthalmologische Veränderungen wie eine Bulbusabflachung und eine damit verbundene Hyperopisierung, verbreiterte Optikusscheide, Papillenödem, Aderhautfalten und Cotton Wool Spots. Diese Befunde, die als Space Associated Neuro-occular Syndrome (SANS) bezeichnet werden, können passager sein, aber auch über Jahre bestehen bleiben. Als Ursachen werden unter anderem die durch die Mikrogravitation hervorgerufenen Flüssigkeitsverschiebungen [49], ein veränderter Druckgradient zwischen Auge und Hirn, erhöhte Kohlendioxidwerte und eine erhöhte Kochsalzzufuhr diskutiert. Da die Ursachen noch nicht bekannt und bisher keine Gegenmaßnahmen verfügbar sind, besteht insbesondere vor dem Hintergrund geplanter Langzeitmissionen zum Mond und Mars Handlungsbedarf. Im Rahmen einer gemeinsamen Studie mit der NASA (VaPER = VIIP and Psychological :envihab Research) wurden Bedingungen auf der ISS mittels Bettruhe in konsequenter Kopftieflage und erhöhter Kohlendioxidkonzentration in der Atemluft (0,5 %) simuliert. Dabei waren avancierte Augenuntersuchungen, die wir in ähnlicher Weise bei Astronauten vor und direkt nach der Mission

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durchführen, von besonderem Interesse. So können mittels der sogenannten Ocular Optical Coherence Tomography auf 5 µm genau die Netzhaut- und Sehnervendicke vermessen und Veränderungen quantitativ dargestellt werden. Bei einem Teil der Probanden konnten tatsächlich Augenveränderungen nachgewiesen werden [30]. Dieses terrestrische humane Modell kann jetzt dafür eingesetzt werden, die Mechanismen von SANS zu charakterisieren und daraus gezielte Gegenmaßnahmen abzuleiten. Aktuell führen wir mit der ESA und der NASA an unserem Zentrum die AGBRESA (Artificial Gravity Bed Rest – European Space Agency) Studie durch. Bei dieser Studie wird die Wirksamkeit künstlicher Schwerkraft auf der DLR-Kurzarmzentrifuge als Gegenmaßnahme unter anderem für Augenveränderungen getestet. Muskel- und Knochenabbau bei verminderter Schwerkraft In der Schwerelosigkeit erfolgt ein rascher Abbau der Muskulatur in den Beinen und im Rumpfbereich. Trotz intensiven Trainings von etwa zwei Stunden pro Tag kommt es nach sechs Monaten in Schwerelosigkeit auf der ISS zu einem Verlust von ungefähr 15 % der anfänglichen Muskelmasse in der Wade [38]. Zum Vergleich beträgt der Muskelschwund altersbedingt etwa 5 % pro Lebensjahrzehnt. Die Beinmuskulatur verliert aber nicht nur an Masse, sie büßt auch erheblich an „Qualität“ ein. Dieser Befund ist durch eine verringerte Konzentration und geänderte Anordnung kontraktiler Proteine erklärbar. Insgesamt ergibt sich ein deutlicher Verlust der muskulären Leistungsfähigkeit. Darüber hinaus kommt es auch zu negativen Auswirkungen auf den Stoffwechsel, die durch eine systemische Entzündungsreaktion verstärkt werden [7].

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Auch die Knochen der Beine unterliegen im Weltraum deutlichen Abbauprozessen. In einem Zeitraum von sechs Monaten in der Schwerelosigkeit kann ein Viertel der Knochenmasse an der distalen Tibia verloren gehen [46]. Auf der Erde beträgt die Knochenabbaurate in den Wirbelkörpern postmenopausaler Frauen etwa 1 % pro Jahr, was mit einer deutlichen Erhöhung der Inzidenz von Frakturen einhergeht. Für Langzeit-Missionen wird die Unterbindung des Knochenschwundes also essenziell sein. Als wichtigste Ursache für den Muskel- und Knochenabbau in der Schwerelosigkeit werden verminderte muskuloskelettale Kräfte angesehen, die für den Erhalt des Knochens [14], aber auch für Muskulatur und Sehnen von zentraler Bedeutung sind [40]. Sekundär wird dadurch auch das Herz-Kreislauf-System entlastet, was chronisch eine kardiopulmonale Dekonditionierung bewirkt. Wird die reduzierte Schwerkraft auf dem Mond oder dem Mars ausreichen, um diese Veränderungen zu unterbinden? Studien auf der Erde, bei denen regionale Muskelkräfte in der Wade mittels eines passiven Exoskeletts auf ein Viertel reduziert wurden, haben zu einem deutlichen Muskelschwund – vergleichbar mit kompletter Bettruhe – geführt [47, 50]. Aktuell untersuchen wir, wie Gehen und Laufen bei verschiedenen Schwerkräften die Bodenreaktionskräfte, Dehnung der Achillessehne und die Sauerstoffaufnahme beeinflussen. Wir vermuten, dass diese Wachstumsreize für Muskel und Knochen auf dem Mond deutlich verringert sind, was ohne entsprechende Gegenmaßnahmen zu einer Einschränkung der Leistungsfähigkeit und Gesundheit führt. Zumindest im Tierversuch kann Strahlenbelastung die regenerative Kapazität des muskuloskeletalen Systems deutlich reduzieren [29]. Inwieweit dies auch bei weltraumrelevanten Strahlenbelastungen auftreten kann, untersuchen wir in unserem Institut.

te. Für das Training auf dem Mond könnten prinzipiell Methoden angewendet werden, die sich auf der ISS als wirksam erwiesen haben. Alternativ könnten die verfügbaren 0,16 g auf intelligente Weise für neue Übungsformen genutzt werden. So wäre bei einem Sprungtraining, das besonders wirksam den Knochen- und Muskelabbau reduziert [28], die Flugphase gegenüber der Erde verlängert. Die Bodenkontaktphase und die daraus resultierenden Kräfte dürften sich jedoch kaum von den Bedingungen auf der Erde unterscheiden [48]. Diese Fragen adressieren wir durch Kombination humanphysiologischer Untersuchungen mit avancierten Computersimulationen.

Körperliches Training als Gegenmaßnahme

Schlaf und kognitive Leistung

Körperliches Training ist für den Erhalt des Bewegungsapparates und der kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit unter reduzierten Schwerkraftbedingungen von zentraler Bedeutung. Auf der ISS besteht das Trainingsprogramm derzeit aus einer Kombination von herkömmlichem Kraftund Ausdauertraining. Auch wenn dieses Training klare Erfolge zeigt, ist es immer noch nicht komplett wirksam [41]. In Bettruhestudien haben sich auch ein Widerstands-Vibrationstraining und ein vertikales Sprungtraining als wirksame Gegenmaßnahme erwiesen [28, 39]. Die aus physiologischer Sicht wichtigen Größen im Trainingsplan sind die mechanische Leistung, Kraft und Dauer einer Übung. Für den Aufbau und Erhalt des Bewegungsapparates ist dabei insbesondere die Kraft von Bedeutung. Hohe Reaktionskräfte sind aber in der Schwerelosigkeit praktisch nicht zu erzeugen, was die unvollständige Wirksamkeit von Training erklären könn-

Seit Beginn der bemannten Raumfahrt stellt die Beeinträchtigung des Schlafs von Astronauten eine ungelöste Herausforderung dar. Gemäß einer Untersuchung an Astronauten der Space Shuttle- und ISS-Missionen betrug die tägliche Schlaflänge nur knapp sechs Stunden und nahm auch im Verlauf langer Missionen nicht zu, obwohl mehr als 50 % der Astronauten Schlafmittel verwendeten [1]. Während Lärm und beengte Platzverhältnisse bei früheren Missionen für den Schlafmangel eine große Rolle spielten, stehen derzeit und auf künftigen Missionen zum Mond andere Störfaktoren im Vordergrund. So weicht der Tag-Nacht-Zyklus auf der Mondoberfläche (Periodenlänge: 29,5 Stunden) stark vom 24-Stundenzyklus auf der Erde und der Periodenlänge der endogenen zirkadianen Rhythmik des Menschen (ca. 24,15 Stunden [10]) ab. Das zirkadiane System des Menschen kann sich daran nicht anpassen.

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Abb. 4: Periphere Quantitative Computer-Tomographie (pQCT) des distalen Unterschenkels, links gesunder Proband, rechts Patient mit Querschnittslähmung; ein Zustand wie bei Querschnittslähmung könnte für die Knochen nach drei Jahren Weltraummission ohne entsprechende Gegenmaßnahmen resultieren (aus [40]).

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Licht ist der wichtigste Zeitgeber des zirkadianen Systems, welches seinerseits den Schlaf-Wach-Rhythmus und eine Vielzahl körpereigener Rhythmen steuert. Es könnte vorteilhaft sein, für Astronauten auf dem Mond unter Verwendung von künstlichem Licht bzw. Lichtabschirmung einen 24-Stunden-Tag zu erzeugen. Licht von geeigneter Intensität und spektraler Zusammensetzung hat aber noch andere nicht-visuelle Wirkungen: es kann z. B. direkt die Ausschüttung von Hormonen, die Körpertemperatur, und die kognitive Leistungsfähigkeit beeinflussen [8]. Der gezielte Einsatz von künstlichem Licht (und von Dunkelheit) muss ein wichtiger Forschungsgegenstand sein, um Gesundheit und Leistungsfähigkeit auf einer künftigen Mission zum Mond zu maximieren. Ein weiterer Faktor, der möglicherweise den Schlaf von Raumfahrern beeinträchtigt, ist die Mikrogravitation, die z. B. zu einer Änderung der Körpertemperatur beitragen kann [42]. Chronischer Schlafmangel, wie er zwangsläufig bei einer Reise zum Mond mit dortigem Aufenthalt und Rückreise akkumuliert, wird die kognitive Leistung der Astronauten in einer Vielzahl kognitiver Domänen beeinträchtigen [45]. Dies betrifft sowohl Defizite bei der Durchführung komplexer Aufgaben (z. B. visuo-motorische Leistung bei Dockingmanövern) als auch einfachere und monotonere Tätigkeiten (z. B. Aufmerksamkeit bei Überwachungsund Routinearbeiten), so dass das Risiko für Unfälle durch menschliches Fehlverhalten steigt. So wurden bei Astronauten auf der ISS Anzeichen erhöhter Müdigkeit und vermehrten Schlafdrucks im Elektroencephalogramm (EEG) sowie langsamere Reaktionszeiten bei

einer Docking-Simulation festgestellt [36]. Verschärft wird das Risiko durch eine Fehlwahrnehmung der Müdigkeit und der eigenen Leistungsfähigkeit der von chronischem Schlafmangel betroffenen Personen, die in der Regel das eigene Leistungsvermögen überschätzen [9, 45]. Nicht jeder Mensch ist jedoch bei unzureichendem Schlaf im gleichen Maße durch Einbußen in der kognitiven Leistung eingeschränkt [12] und auch nicht alle kognitiven Domänen sind in gleicher Weise betroffen. Die Ursachen und Mechanismen, die diese inter-individuell unterschiedliche Anfälligkeit bedingen, sind bisher wenig verstanden. Wir konnten allerdings zeigen, dass das zerebrale adenosinerge System hier eine wesentliche Rolle spielt [11, 12] (Abbildung 5). Die Selektion von Astronauten anhand der individuellen Gefährdung der kognitiven Leistung unter Schlafmangel wird ein notwendiger Schritt für Langzeitmissionen in der Raumfahrt sein. Forschungsbedarf besteht hinsichtlich des mechanistischen Verständnisses zu den Ursachen dieser individuell unterschiedlichen Anfälligkeit, der Prüfung von Biomarkern zur Erkennung von Personen, die besonders durch Beeinträchtigung ihrer Kognition gefährdet sind, und in der Entwicklung individualisierter Präventionsmaßnahmen. Mensch-Maschine-Interaktionen und Wirkung von Isolation Wir beschäftigen uns seit vielen Jahren mit Persönlichkeitsmerkmalen bei der Selektion von Astronautinnen und Astronauten [32]. Dennoch ist es nicht klar, welche

Abb. 5: Anzahl an Ausfällen in der Aufmerksamkeit (Reaktionszeiten ≥ 500 ms) in einem psychomotorischen Vigilanztest während 58 Stunden Schlafentzug und nach 14 Stunden Erholungsschlaf: Anhand der Veränderung der A1 Adenosinrezeptor-Verfügbarkeit (A1AR) kann eine Gruppe mit ansteigender Zahl an Ausfällen in der Aufmerksamkeit (vulnerabel: rote unterbrochene Linie) und eine Gruppe mit stabilem Leistungsniveau (resilient: blaue, durchgezogene Linie) unter Schlafentzug identifiziert werden. Die Legende zeigt gemittelte, parametrische Rezeptorkarten für die einzelnen Gruppen und Messzeitpunkte. Höhere Rezeptorverfügbarkeit entspricht wärmeren Farben. PET, Positronen-Emissionstomographie; SD52, nach 52 Stunden Schlafentzug; R14, 2 Stunden nach 14-stündigem Erholungsschlaf; * signifikanter Gruppenunterschied in einem ungepaarten T-Test. (Abbildung modifiziert nach [11])

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psychologischen Faktoren den Menschen bei einer Mission zum Mond in seiner Leistungsfähigkeit und in seinem Wohlbefinden beeinflussen. Sowohl auf wissenschaftlicher als auch auf operativer Ebene liegt hier ein großer Erfahrungsschatz aus der bemannten Raumfahrt, insbesondere von Langzeitmissionen der ISS vor. Hervorzuhebende spezifische psychologische Charakteristika von Missionen zum Mond sind die große Entfernung von der Erde, die Isolation bzw. soziale Monotonie und die hohe Crewautonomie. Über Monate von Familie und Freunden getrennt zu sein, eingeschränkte Kommunikationswege zu vertrauten Personen sowie begrenzte Rückzugsmöglichkeiten ins Private stellen besondere Herausforderungen an die beteiligten Menschen [27]. Neben den Besonderheiten in der Mensch-Mensch-Interaktion ergeben sich auch spezifische Charakteristika in der Mensch-Maschine-Interaktion: Die Durchführung komplexer Experimente stellt oft besondere Anforderungen an die motorischen Fähigkeiten des Operateurs. Zudem sind die Experimente meist aufwändig, teuer und oft nicht einfach wiederholbar, was zusätzlichen psychischen Druck erzeugt. Um den Missionsverlauf in einer solchen für den Menschen physisch und psychisch extremen Lebensbedingung bestmöglich zu unterstützen, sind eine anforderungsorientierte Personalauswahl, eine adäquate Teamkomposition, ein darauf aufbauendes Space Flight Team Ressource Management Training und eine entsprechende psychologische Begleitung erforderlich. Hierzu zählen Maßnahmen gegen soziale Monotonie und Isolation sowie ein psychologisches Monitoring- und Unterstützungssystem, welches unter anderem den Fokus auf Arbeitsbeanspruchung sowie auf Schlaf und seine Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit hat. So können zum Beispiel Sprachanalysen Einblicke zur die individuellen Beanspruchung der Astronauten in der Raumfahrt geben [24]. Diese Themen sind weiterhin von großer Bedeutung, da psychologische Faktoren und fehlerhafte Mensch-Maschine Interaktionen in der Raumfahrt katastrophale Folgen haben können.

lösung umzuwandeln [4, 5]. Somit können Fäkalien und andere biologische Abfallstoffe zur Erzeugung neuer Nahrungsmittel nutzbar gemacht werden. Ausblick Die humane Exploration des Weltraums erfordert begleitende biologische, medizinische und psychologische Forschung. Nur so können Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Crews und Erfolg der Missionen sichergestellt werden. Wie komplex die Anpassungsvorgänge des Menschen an Weltraumbedingungen sind, wird durch eine kürzlich erschienene hochrangige Publikation illustriert, die Ergebnisse einer umfassenden Charakterisierung eines eineiigen Zwillingspaars mittels moderner Methoden vorstellt [15]. Ein Zwillingsbruder verbrachte ein Jahr auf der ISS und der andere diente als Kontrolle auf der Erde. Für die Beantwortung der anstehenden Fragen ist neben innovativen Untersuchungsmethoden unter echten Weltraumbedingungen die Entwicklung avancierter terrestrischer Modelle erforderlich. Der Forschungscampus in Köln-Porz kann hier eine in Europa führende Rolle spielen. Zurzeit befinden sich dort das DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin und das European Astronaut Center der European Space Agency. In naher Zukunft wird in direkter Nachbarschaft das Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe seine Tätigkeit aufnehmen. Diese Entwicklungen werden die humane Exploration des Weltraums unterstützen und neue Antworten auf gesellschaftspolitisch relevante Themen auf der Erde, wie alternde Gesellschaften und Ressourcenverknappung, liefern.

Literatur 1.

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Lebenserhaltungssysteme 4.

Geschlossene Lebenserhaltungssysteme, also das Schließen von Stoffkreisläufen und damit der Abbau von biologischem Abfall und die Erzeugung von frischen Nahrungsmitteln sind wichtige und entscheidende Herausforderungen, um Menschen für lange Zeit auf dem Mond am Leben zu erhalten. Der vom DLR entwickelte und gebaute Kompaktsatellit Eu:CROPIS testet erstmals für jeweils ein halbes Jahr ein biologisches Lebenserhaltungssystem unter Mond- und Marsgravitation. Dieses basiert auf dem im DLR konzipierte C.R.O.P.® Bio-Filter, der in der Lage ist, eine Vielzahl von biologischen Abfallstoffen in eine für Pflanzen verfügbare Düngemittel-

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KONGRESSBERICHT

TOGETHER INTO THE FUTURE

64. Fliegerarzttagung der Bundeswehr – Tagungsbericht Fürstenfeldbruck, 24.-27. Juni 2019 Heidi Borscha „60 Jahre institutionalisierte Flugmedizin in der Bundeswehr!“ – mehr als 250 Teilnehmende waren zur 64. Fliegerarzttagung der Bundeswehr nach Fürstenfeldbruck angereist, um dieses Jubiläum würdig zu begehen. Neben den Angehörigen des „Teams Flugmedizin“ aus den militärischen Organisationsbereichen der Bundeswehr hatten auch zahlreiche internationale Expertinnen und Experten1 auf dem Gebiet der Luft- und Raumfahrtmedizin den Weg nach Bayern gefunden, um passend zum Tagungsmotto „Aerospace Medicine – TOGETHER INTO THE FUTURE“ die Fliegerärzte der Bundeswehr an ihren Erfahrungen aus flugmedizinischer Versorgung und Forschung teilhaben zu lassen. Den zentralen Teil der 64. Fliegerarzttagung bildeten ein eineinhalbtägiges internationales Symposium und eine akademische Stunde anlässlich des Jubiläums „60 Jahre Flugmedizin in der Bundeswehr“. Mehr als 20 internationale militärische und zivile Experten aus der luft- und a

Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe, Köln

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In diesem Beitrag wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit teilweise auf eine geschlechtsbezogene Formulierung verzichtet. Gemeint sind jedoch stets alle Geschlechter.

Zur 64. Fliegerarzttagung hatten auch zahlreiche Ehemalige – wie die Oberstärzte a. D. Dr. Heiko Welsch, Prof. Dr. Hans Pongratz, Dr. Franz Grell und Dr. Wolfgang Schardt (erste Reihe von rechts) – den Weg nach „Fürsty“ gefunden.

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raumfahrtmedizinischen Forschung stellten die Ergebnisse ihrer wissenschaftlichen Arbeit vor und diskutierten diese mit den Teilnehmenden. Das Symposium war in die nationale Fliegerarzttagung der Bundeswehr eingebettet. Leider wurde die Veranstaltung durch den unmittelbar zu Tagungsbeginn bekanntgewordenen Absturz von zwei Eurofightern in Norddeutschland überschattet, bei dem ein Luftfahrzeugführer sein Leben verlor. Die Nachricht von diesem schrecklichen Ereignis löste bei den Anwesenden tiefe Betroffenheit aus. Eröffnung „Die in der Luftfahrt traditionell gelebte internationale Zusammenarbeit wird bei dieser Tagung eindrucksvoll sicht- und greifbar!“ betonte der Generalarzt der Luftwaffe, Generalarzt Prof. Dr. Rafael Schick, bei seiner Eröffnungsrede. Er wies nachdrücklich darauf hin, dass sich auch im fliegerärztlichen Bereich nur durch multinationale Zusammenarbeit die aus der veränderten Sicherheitslandschaft resultierenden neuen Aufgaben und Herausforderungen meistern lassen. Prof. Dr. Schick konnte neben den Mitgliedern seines „Teams Flugmedizin“ auch Vertreter der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, der Bayerischen Landesärztekammer, des Wissenschaftlichen Beirats sowie eine große Zahl nationaler und internationaler Gäste aus Politik, Wissenschaften und Streitkräften begrüßen, bevor er das Wort an den „Hausherrn“ des Fliegerhorstes Fürstenfeldbruck übergab. Brigadegeneral Michael Traut, Kommandeur der Offizierschule der Luftwaffe und Standortältester, gratulierte in seinem Grußwort dem Fliegerärztlichen Dienst der Bundeswehr zu seinem 60. Jubiläum und erinnerte daran, dass der Standort Fürstenfeldbruck nicht nur die Wiege der Flugmedizin der Bundeswehr, sondern auch

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KONGRESSBERICHT

die Geburtsstätte der bundesdeutschen Luftwaffe sei. Hier seien bereits im Jahr 1956 die ersten Luftfahrzeugführer der noch jungen Bundeswehr von amerikanischen Kameraden ausgebildet und der Standort 1957 von den US-Streitkräften als erster Fliegerhorst an die Bundeswehr übergeben worden. Er betonte im Weiteren die stets enge Zusammenarbeit zwischen den Verantwortungsträgern der Verbände und dem Fliegerärztlichen Dienst der Bundeswehr – für ihn ein wesentlicher Grund für die kontinuierliche Leistungserbringung der Luftwaffe und das gesundheitliche Wohlergehen ihrer Angehörigen. Aktuelles aus dem Fliegerärztlichen Dienst der Bundeswehr und der Luft – und Raumfahrtmedizin Zu Beginn seines Überblicks über die aktuellen Schwerpunkte im Fliegerärztlichen Dienst der Bundeswehr stellte Generalarzt Prof. Dr. Schick zunächst fest, dass das Team Flugmedizin auf das bisher Erreichte stolz zurückblicken könne. Er forderte alle dazu auf, bei der Lösung der anstehenden Probleme konstruktiv mitzuarbeiten und den Blick in die Zukunft zu richten. Bei der Bewältigung der mannigfaltigen Herausforderungen käme der multinationalen Kooperation in den Bereichen Forschung und Wissenschaft sowie bei Ausbildung und Einsatz eine herausragende Bedeutung zu. Beispiele seien die intensivierte Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), die umfängliche Beteiligung an Arbeitsgruppen und Panels in der NATO Science and Technology Organization (STO) sowie die Projekte der European Air Group (EAG) und des European Air Transport Command (EATC). Eingehend auf aktuelle Herausforderungen nannte er als Beispiele die Steigerung der Prüfkapazitäten im Bereich der Eignungsfeststellung und Begutachtung, den gemeinsamen Betrieb einer deutsch-französischen Lufttransportstaffel im französischen Evreux sowie die Einführung neuer Luftfahrzeugmuster wie den A330 MRTT. Er wies auf die Neuregelungen der Flugunfallbereitschaft an den Standorten der Luftwaffenverbände sowie der flugmedizinischen Ausbildung hin und stellte bereits in Realisierung bzw. Planung Befindliches vor. Seine Botschaft lautete: „Gemeinsam können und werden wir es schaffen!“ Nach Vorstellung aller neuen Mitglieder des Teams Flugmedizin richtete er im Namen aller Anwesenden eine Grußbotschaft an die sich aktuell im Einsatz befindlichen Kameradinnen und Kameraden. Standortbestimmung des Inspekteurs des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Der Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, Generaloberstabsarzt Dr. Ulrich Baumgärtner, drückte zunächst seine Betroffenheit und tiefe Anteilnahme angesichts des Flugunfalls aus. Diese ohnehin schlimme Nachricht treffe ihn ob seiner in diversen Lehrgängen und Praktika gewachsenen Verbundenheit zur Luftwaffe ganz besonders.

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In einer von klaren Worten geprägten Tour d’horizon gab Generaloberstabsarzt Dr. Baumgärtner einen Überblick über die politische Großwetterlage und zog die nach seiner Bewertung daraus resultierenden Schlussfolgerungen für den Sanitätsdienst der Bundeswehr. Als dessen Inspekteur fühle er sich auch für die sanitätsdienstlichen Anteile in den übrigen Organisationsbereichen verantwortlich, die er als untrennbare Bestandteile des sanitätsdienstlichen Gesamtsystems mit wertvoller Expertise in ihrem jeweiligem Fachgebiet ansehe. Das „Gesundheitssystem Bundeswehr“ sei auf zukunftsgewandtes Denken und kreative Ideen aus allen Bereichen angewiesen. Und er sei gerne bereit auch emotional zu streiten, um auf diesem Wege besser in der Sache zu werden. Generaloberstabsarzt Dr. Baumgärtner forderte abschließend dazu auf, die mit Akademisierung einzelner Assistenzberufe und Aufwertung der Facharzt-Dienstposten begonnene Attraktivitätssteigerung des Sanitätsdienstes der Bundeswehr konsequent weiter zu verfolgen. Er erwarte, dass sich alle aktiv in diesen Prozess einbringen, mitarbeiten, mitreden und über den Tellerrand blicken. Dies gelte auch für die internationale Zusammenarbeit, denn man könne auch international viel voneinander lernen und sich so gemeinsam auf den Weg zu einem synchronisierten, leistungsfähigen europäischen Sanitätsdienst innerhalb der NATO machen.

Der Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, Generaloberstabsarzt Dr. Baumgärtner, nahm viele Gelegenheiten zur Diskussion und zum Gedankenaustausch mit „seinen“ Fliegerärzten wahr – hier im Gespräch mit Oberstarzt Dr. Thilo Zweigner, Stellvertreter des Generalarztes der Luftwaffe (Mitte), und Oberstarzt Dr. Bernd Brix, Leitender Fliegerarzt der Luftwaffe (rechts).

Auszeichnungen und Ehrungen Der Abschluss des ersten Tages stand traditionell im Zeichen der Würdigung herausragender Leistungen im Fliegerärztlichen Dienst. Generalarzt Prof. Dr. Schick zeichnete Oberstabsfeldwebel Thomas Kandert in Anerkennung seines „langjährig geleisteten Dienstes für das Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe (ZentrLuRMedLw) sowie den Fliegerärztlichen Dienst der Bundeswehr“ mit einem Bestpreis aus.

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KONGRESSBERICHT

Verleihung der Awards 2019 durch den Generalarzt der Luftwaffe: Oberstarzt Dr. Güttler (linkes Bild) erhielt den Scientific Award, Hauptmann Ballack (rechtes Bild) den Special Achievement Award: Die Teams der Fliegerarztbereiche der Marinefliegergeschwader 3 und 5 (mittleres Bild) wurden mit dem Award Team Flugmedizin 2019 ausgezeichnet (von links nach rechts: Flottillenarzt Oliver Traue, Flottillenarzt Dr. Dietmar Anders, Flottillenarzt d. R. Alf Röpke, Hauptbootsmann Normann Rentz, Flottillenarzt Sebastian Löhberg).

Vier Sanitätsstabsoffiziere konnten das Tätigkeitsabzeichen „Fliegerarzt“ aus der Hand des Generalarztes der Luftwaffe entgegennehmen. Stufe III „Gold“: • Oberfeldarzt Dr. Thomas Meier (Ausbildungs- und Übungszentrum Luftbeweglichkeit, Celle) • Oberfeldarzt d. R. Dr. Stefan Gurske (Taktisches Luftwaffengeschwader 73 „Steinhoff“, Laage) Stufe I „Bronze“: • Oberstabsarzt Dr. Johannes Wenning (Taktisches Luftwaffengeschwader 31 „Boelcke“, Nörvenich) • Oberstabsarzt Bastian Schön (Bundesamt für des Personalmanagement der Bundeswehr, Köln) In Anerkennung und Würdigung der vorbildlichen Zusammenarbeit und des herausragenden Engagements aller Teammitglieder wurden die Angehörigen der Fliegerarztbereiche der Marinefliegergeschwader 3 und 5 in Nordholz mit dem „Award Team Flugmedizin 2019“ ausgezeichnet. Oberstarzt Dr. Norbert Güttler, Leiter des Dezernates II 3 b „Innere Medizin“ am ZentrLuRMedLw erhielt in Würdigung seiner herausragenden wissenschaftlichen Arbeiten im Rahmen der Research Task Group HFM-251 „Occupational Cardiology in Military Aircrew“ der NATO STO den „Scientific Award 2019“. Dr. Güttler ist ein national wie international gefragter kardiologischer Experte und hat durch zahlreiche Veröffentlichungen die Impact-Punkte nach der Habilitationsordnung der Universität Gießen mehr als erfüllt. Mit dem „Special Achievement Award 2019“ wurde Hauptmann Stefan Ballak für sein langjähriges herausragendes Engagement im und für das ZentrLuRMedLw und den gesamten Fliegerärztlichen Dienst der Bundeswehr geehrt. Das gesamte Team Flugmedizin gratulierte und dankte ihrer „grauen Eminenz der Fliegerarzttagung“ mit stehendem Applaus.

einem zurückhaltenden Rahmen ohne musikalische Begleitung begangen. Generalarzt Prof. Dr. Schick sprach zu Beginn den Angehörigen und Kameraden des verstorbenen Luftfahrzeugführers sein Mitgefühl aus. Der Generalarzt der Luftwaffe machte einleitend noch einmal deutlich, dass der Wesensinhalt der Flugmedizin der Dienst am fliegenden Personal sei, der im Motto des Fliegerärztlichen Dienstes „volanti subvenimus“ so treffend zum Ausdruck kommt. Fürsorge, Betreuung, Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit sowie optimale Förderung von Leistung und Einsatzbereitschaft seien die Ziele für das fliegende Personal, die die Angehörigen des Fliegerärztlichen Dienstes tagtäglich verfolgten. „Aus diesem Grunde danke ich an dieser Stelle auch meinen Frauen und Männern hier und jetzt ausdrücklich für die stets herausragende Arbeit!“, sagte er. Er sei sich sicher, dass alle Angehörigen des „Team Flugmedizin“ auch künftig motiviert und professionell ihren Auftrag erfüllen werden.

Akademische Stunde „60 Jahre Flugmedizin“ Das Jubiläum „60 Jahre Flugmedizin“ wurde aus gegebenem Anlass in Form einer Akademischen Stunde in

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Die Teilnehmenden des Internationalen Symposiums verfolgten aufmerksam auch die Vorträge der akademischen Stunde.

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Grußwort des Inspekteurs des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Generaloberstabsarzt Dr. Baumgärtner gratulierte dem Fliegerärztlichen Dienst der Bundeswehr anlässlich des 60-jährigen Jubiläums. Mit seiner Teilnahme an der akademischen Stunde wolle er ein sichtbares Zeichen dafür setzen, dass er den Fliegerärztlichen Dienst der Bundeswehr als Teil seiner Gesamtverantwortung erachte. Er habe die feste Absicht, an einem intensiven und synergistischen Zusammenwirken aller Beteiligten innerhalb des Systems Sanitätsdienst der Bundeswehr festzuhalten und dieses zu intensivieren. Für die zukünftige Entwicklung sei dieses Zusammenwirken ebenso wichtig wie die Kooperation und Nutzung von Synergieeffekten mit Experten aus dem zivilen Bereich, weshalb er sehr an einer Intensivierung der bereits bestehenden Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) interessiert sei. Am Standort Köln werde sich so ein flugmedizinisches Exzellenzzentrum mit nationaler und internationaler Reputation entwickeln. Der Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr rief abschließend dazu auf, die bestehenden Fähigkeiten weiterzuentwickeln. Er erwarte, dass die Flugmedizin in den Bereichen Mensch-Maschine-Interaktion, Robotik und Human Performance Optimization mit den technischen Entwicklungen Schritt halte, um auch in den kommenden 60 Jahren die Leistungsfähigkeit des fliegenden Personals zu erhalten und zu fördern.

die Zusammenarbeit bei der Beantwortung wissenschaftlicher Fragestellungen könne die in beiden Bereichen vorhandene Expertise bündeln, um auch künftig auf international hohem Niveau zu agieren. Er entwickelte die Vision eines gemeinsamen Forschungscampus in Köln, auf dem Forschung, angewandte Wissenschaft und Lehre auf dem Gebiet der Luft- und Raumfahrttechnologie und -medizin gemeinsam gelebt werden. In diesem Zusammenhang appellierte er an alle Beteiligten, die zivile und militärische Zusammenarbeit nachhaltig und in enger Abstimmung zu gestalten. 60 Jahre Flugmedizin in der Bundeswehr – ein Blick zurück Oberstarzt Dr. Lothar Bressem vom ZentrLuRMedLw in Fürstenfeldbruck gab einen Rückblick auf 60 Jahre Flugmedizin in der Bundeswehr. Mit zahlreichen Fotos und Bilddokumenten aus der jeweiligen Zeit gab sein Vortrag einen ebenso unterhaltsamen wie informativen Überblick über die Entwicklung des Fliegerärztlichen Dienstes von seinen Kindertagen in den späten 1950er Jahren, über den Kalten Krieg und die Wiedervereinigung Deutschlands bis hin zum heutigen „Team Flugmedizin“. Meilensteine wie die Aufstellung der Fachabteilung Flugpsychologie wurden genauso erwähnt wie die Indienststellung neuer Großgeräte zur flugphysiologischen Ausbildung und simulatorgestützten Eignungsfeststellung. Der eine oder andere Anwesende hatte bei Dr. Bressems Vortrag die Gelegenheit, seinem Alter Ego aus früheren Zeiten auf der Leinwand zu begegnen, was nicht selten zur Erheiterung des Plenums führte.

Das Internationale Symposium bot eine für viele möglicherweise einmalige Chance, flugmedizinische Fragen über nationale Grenzen hinweg zu diskutieren: Hauptmann Khalid Hashimi, ZentrLuRMedLw, im Gespräch mit Dr. Phillip Farrell, Senior Defence Scientist der Kanadischen Streitkräfte.

Grußwort aus dem DLR Als Vertreter des DLR hob Prof. Dr. Rolf Henke die schon heute enge Zusammenarbeit in Köln hervor. Köln sei ein international anerkannter Standort auf dem Gebiet der luft- und raumfahrtbezogenen Forschung mit exzellenter Kooperation, die es zu intensivieren gelte. Der gemeinsame Neubau des ZentrLuRMedLw und des DLR in Köln-Wahn sei ein Schritt in die richtige Richtung. Auch die gemeinsame Nutzung von Großgeräten wie Kurzarmzentrifuge, Klimakammer und Hochleistungs-MRT sowie

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Prof. Dr. Dr. Oliver Ulrich, Schweiz, nahm das Auditorium bei seinem Jubiläumsvortrag mit auf eine virtuelle Reise von den Anfängen der Menschheit bis an die Grenzen unseres Sonnensystems.

Eine Frage des Horizontes: Von der Flugmedizin zur Weltraummedizin Höhepunkt der akademischen Stunde war der Jubiläumsvortrag, für den Prof. Dr. Dr. Oliver Ullrich aus Zürich gewonnen werden konnte. Er begann seine virtuelle Reise vor mehr als 200 000 Jahren mit dem Beginn der Menschheit. Diese sei in ihrer gesamten Entwicklung

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KONGRESSBERICHT

und Besiedlung des Planeten Erde stets durch Mobilität geprägt gewesen. Das habe dazu geführt, dass der Mensch als hochmobiles Wesen überlebt und zur dominierenden Spezies herangewachsen sei, die nun den Planeten beherrsche. Dieser Entdeckergeist sei selten durch ein konkretes Ziel motiviert gewesen, sondern Forschung sei damals wie heute um ihrer selbst willen betrieben worden – getragen von der Bereitschaft, trotz hoher Risiken und ungewissen Ausgangs in das Unbekannte vorzustoßen. Die Flugmedizin sei von jeher auch eine Medizin der Mobilität gewesen, die nunmehr vor einer weiteren großen Herausforderung stehe – der Eroberung des Weltalls,was angesichts einer verbleibenden Lebensspanne der Erde von gut 1,5 Milliarden Jahren, wachsender Weltbevölkerung und steigenden Rohstoffbedarfs eine logische Konsequenz sei. Diese Entwicklung sei medizinisch zu begleiten, wobei man sich Herausforderungen wie Schwerelosigkeit, kosmischer Strahlung und unvorstellbar großen Distanzen stellen müsse. Bemannte Raumfahrt sei wie die Entdeckungsreisen früherer Zeiten mit Risiken verbunden. Es gelte, diese zu akzeptieren, zu minimieren und die grundsätzlich vorhandene Anpassungsfähigkeit des menschlichen Organismus optimal zu unterstützen. Mit einem langen Atem und Geduld in der Forschung – und nicht mit Fokus auf kurzfristige Erfolge oder „return on investment“ – sei das langfristige Ziel im Blick zu behalten, nämlich die schrittweise Exploration des Sonnensystems und der Weiten des Alls. Dabei käme es mehr denn je auf Teamarbeit an – auch beim Apollo-Programm hätten mehr als 400 000 Menschen gemeinsam auf ein Ziel hingearbeitet und ob der Relevanz dieses Ziels Selbstverwirklichung und eigenes Profil hintangestellt. Ein Mitschnitt des Vortrags von Prof. Dr. Dr. Ullrich steht als Stream in der E-Paper-Version dieser Ausgabe der Wehrmedizinischen Monatsschrift zur Verfügung.

Schlusswort Generalarzt Prof. Dr. Schick bedankte sich bei allen Vortragenden, den geladenen Gästen sowie den Angehörigen des Teams Flugmedizin. Er hob noch einmal hervor, dass das ihm gegenübersitzende Plenum sinnbildlich für die multidisziplinäre und vielfältige zivil-militärische Kooperation auf dem Gebiet der Luft- und Raumfahrtmedizin stehe und lud nachfolgend zum freien Gedankenaustausch ein. Wissenschaftliches Programm Mit 18 Fachvorträgen (englisch) im internationalen Symposium sowie 13 Präsentation, zwei Workshops und 2 Diskussionsveranstaltungen im nationalen Teil der Fliegerarzttagung wurde den Teilnehmenden ein breitgefächertes Programm auf hohem fachlichen Niveau geboten. Die Themen streiften nahezu alle Fachgebiete der Luft- und Raumfahrtmedizin und Flugpsychologie. Auch hier standen mit Vorträgen zu „Aircrew Neck Pain“, „Aviation Cardiology“ oder „Human Performance“ die Ergebnisse internationaler Studien und Arbeitsgruppen im Fokus. Auf Grund des Umfangs stehen Inhaltsangaben der Vorträge nur im E-Paper dieser Ausgabe der Wehrmedizinischen Monatsschrift zur Verfügung. Abschied und Ausblick Zum Ende der Tagung verabschiedete Generalarzt Prof. Dr. Schick diejenigen, die dem Team Flugmedizin aus unterschiedlichen Gründen im kommenden Jahr nicht mehr angehören – sei es, da sie in den Ruhestand treten oder sich künftig einer neuen Herausforderung im Sanitätsdienst der Bundeswehr stellen. Auch er selbst wird zum Ende des 1. Quartals 2020 aus dem aktiven Dienst ausscheiden. Einen besonderen Dank richtete er an die Organisiatoren, die unter der Leitung von Oberfeldarzt Dr. Mirjam Spengler, Hauptmann Sascha Haude und Hauptmann Stefan Ballak die 24. Fliegerarzttagung und das internationale Symposium geplant und betreut hatten. Er betonte, dass das Engagement aller Beteiligten maßgeblich zum Gelingen der Gesamtveranstaltung beigetragen habe. „Fürsty 2019“ werde insbesondere bei den internationalen Gästen in guter Erinnerung bleiben. Generalarzt Prof. Dr. Schick zeigte sich zuversichtlich, dass auch die Ausrichtung der 65. Fliegerarzttagung der Bundeswehr – geplant für den 10.-12. November 2020 in Dresden – bei diesem Team in besten Händen sei. Bilder: © Bundeswehr/Stephan Ink

„Together into the Future“ – gemeinsame Interessen in der Flugmedizin bringen Angehörige vieler Nationen zusammen – Generalarzt Prof. Dr. Schick im Gespräch mit Experten aus Litauen.

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Verfasser Oberfeldarzt Dr. Heidi-Sabrina Borsch Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe E-Mail: heidisabrinaborsch@bundeswehr.org

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LUFT- UND RAUMFAHRTMEDIZIN

WENN DER NACKEN SCHMERZT Ergebnisse einer internationalen multidisziplinären NATO-Studie zum Problemfeld „Aircrew Neck Pain“ Helmut Fleischera Zusammenfassung Hintergrund: Nackenschmerzen haben sich bei Besatzungen nahezu aller fliegenden Waffensysteme in allen Ländern zu einem ernsthaften Problem entwickelt. Die Betrachtung dieses Problem von möglichst vielen Seiten und Vorschläge präventiver/therapeutischer Lösungen waren Aufgaben der vom Human Factors and Medicine (HFM) Panel der NATO Science and Technology Organization (STO) im Jahre 2014 eingerichteten Research Task Group HFM-RTG 252, der Experten aus 12 Nationen angehörten. Methodik: Die Arbeitsgruppe sichtete die verfügbare Literatur und fasste die Ergebnisse laufender Programme der teilnehmenden Länder zusammen, die darauf abzielen, Nackenprobleme zu verhindern bzw. ihre Häufigkeit und Schwere zu minimieren. Ergebnisse und Diskussion: Dem Problem Aircrew Neck Pain kann nur im Rahmen eines komplexen, multifaktoriellen Ansatzes begegnet werden. Entsprechende Maßnahmen sollten vor allem gezielte Aufklärung und Schulung der Besatzungen und der fliegerischen Vorgesetzten sowie ein individuell zugeschnittenes verpflichtendes Trainingsprogramm umfassen. Zusätzlich werden ein schneller Zugang zu fliegerärztlicher und physiotherapeutischer Behandlung sowie Veränderungen von Helmdesign, Helmanpassung und CockpitErgonomie und die Anwendung vibrationsmindernder Technologien empfohlen. Folgerungen: Die gemachten Empfehlungen müssen durch Studien auf ihre Wirksamkeit überprüft werden. Neben Studiendesign und -durchführung ist dabei die Zusammenfassung der Ergebnisse der verschiedenen Programme in einer gemeinsamen Datenbasis erforderlich, um zu evidenzbasierten Lösungen zu kommen.

Einleitung Für die Flugmedizin steht die Gesundheit und Sicherheit der fliegenden Besatzungen im Vordergrund. Dabei spielt auch die Verbesserung der Leistungsfähigkeit in einem fordernden und risikobehafteten Umfeld eine wesentliche Rolle. Die Problematik von Nackenschmerzen bei fliegenden Besatzungen führt nicht nur zu einer häufig dauerhaften Beeinträchtigung der Gesundheit, sondern auch zu einer Verminderung der operationellen Leistungsfähigkeit und damit zur Gefährdung der erfolgreichen Auftragserfüllung. Dies gilt – entgegen allgemeinen Erwartungen – nicht nur für Besatzungen von strahlgetriebenen Kampfflugzeugen, sondern für fliegendes Personal nahezu aller © NATO STO

Schlüsselworte: Nackenschmerzen, Human Factors, NATO, Trainingsprogramm, Prävention Keywords: neck pain, human factors, NATO, training program, prevention

Abb.1: Der Final Report der RTG HFM-252 steht kurz vor der Veröffentlichung. a Taktisches

Luftwaffengeschwader 74, Neuburg an der Donau

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fliegenden Waffensysteme. Gründe hierfür sind unter anderem schwere und zumeist schlecht balancierte Helmsysteme, erheblich gestiegene g-Belastungen in modernen Hochleistungsluftfahrzeugen und starke Vibrationen v. a. im Helikopterbereich. Hinzu kommen auch die gerade im Einsatz deutlich verlängerten Flugzeiten. Das Problem Aircrew Neck Pain ist im militärischen Flugbetrieb bei allen Nationen in nahezu gleicher Ausprägung vorhanden. Das HFM-Panel der NATO-STO richtete deshalb eine Research Task Group (RTG) ein, der sich Expertinnen und Experten aus insgesamt 12 Nationen anschlossen. Die RTG hatte die Aufgabe, neben einer Auswertung der vorhandenen Literatur auch die unterschiedlichen Präventionsprogramme der einzelnen Länder zu untersuchen und – sofern möglich – Empfehlun-

gen zur Lösung des Problems bzw. für das weitere Vorgehen zu erarbeiten. Von deutscher Seite war der Autor Mitglied der RTG und konnte hier sowohl seine fliegerärztliche als auch seine fachorthopädische Expertise einbringen. Der Final Report der HFM-RTG 252 steht kurz vor der Veröffentlichung. Methodik Nach Durchführung einer Literaturrecherche wurden mögliche Ursachen von durch Flugdienst verursachten Nackenschmerzen unter medizinischen, administrativen, organisatorischen und technischen Aspekten betrachtet. Die präventiven und therapeutischen Ansätze beim Umgang mit dem Problem Nackenschmerzen bei fliegen-

Abb. 2: Empfehlungen der RTGHFM 252

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dem Personal in den teilnehmenden Ländern wurden dargestellt und einer vergleichenden Betrachtung unterzogen. Ergebnisse Die durchgeführte Literaturrecherche zeigte, dass Nackenschmerzen ein seit langem bekanntes und gutdokumentiertes Problem in vielen Bereichen – auch außerhalb der Flugmedizin – sind. Dabei wurde deutlich, dass ihre sozialmedizinische Bedeutung erheblich unterschätzt wird, sind Nackenschmerzen doch weltweit der vierthäufigste Grund für eine Erwerbsunfähigkeit [2]. Im Bereich der Flugmedizin gibt es zahlreiche Beiträge zu diesem Thema, es finden sich allerdings – insbesondere zur Prävention – nur wenige evidenzbasierte Studien. Die wesentlichen Arbeiten dazu stammen vor allem aus den Bereichen Sport- und Arbeitsmedizin [3]. Die Analyse erkannter und wahrscheinlicher Ursachenbereiche führte unter Zusammenfassung aller Teilaspekte zu den in Abbildung 2 dargestellten Empfehlungen zur Reduzierung von Nackenschmerzen bei fliegendem Personal. Diskussion Die Bandbreite der (beitragenden) Ursachen für das Auftreten sowie die der Empfehlungen für die Verminderung flugdienstbedingter Nackenschmerzen zeigt, dass eine einfache, schnelle Lösung nicht existiert, sondern dass vielmehr ein synergistischer, langfristiger Ansatz gefragt ist (Abbildung 3). Die Ergebnisse der RTG zeigen auch, dass die notwendigen Maßnahmen nicht nur das fliegen-

de Personal selbst betreffen. Es ist zusätzlich ein Umdenken bei den Kommandeuren, eine Veränderung von Organisationsstrukturen und eine Anpassung bei der Beschaffung von zukünftigen Systemen notwendig, um Erfolge zu erzielen. Eine komplette Vermeidung von Aircrew Neck Pain wird jedoch auch damit weiter eine Utopie bleiben. Eine sehr unterschiedliche Anzahl der Empfehlungen ist bereits in den einzelnen NATO-bzw. PfP-Nationen umgesetzt; es wurden auch verschiedene Konzepte entwickelt (Beispiel siehe Abbildung 4). Es gibt jedoch noch keine Nation, in der alle Empfehlungen komplett umgesetzt wurden. Hier gilt es anzusetzen und die durch die Arbeitsgruppe gewonnenen Erkenntnisse allen NATO-Partnern bzw. PfP-Partnern zugänglich zu machen. Deshalb wurde nach Abschluss des Berichts durch die NATO STO eine Vortragsreihe (HFM-RLS 314 „Aircrew Neck Pain Prevention and Management Lecture Series“) genehmigt, bei der einzelne Mitglieder der Arbeitsgruppe die erzielten Ergebnisse in den nächsten beiden Jahren in den verschiedenen Nationen (in der Regel zweimal in Europa und zweimal in USA und Kanada, ggf. noch in einer PfP-Nation) vorstellen und entsprechende Fragen dazu beantworten werden. Ausblick Für die Zukunft bedarf es unter anderem der Validierung elektromyografischer Standards, eines Updates der Richtlinien für neue Helme, einer Weiterentwicklung der Techniken zur Vibrationsminderung an Luftfahrzeugsit-

Abb. 3: Die Bandbreite von Ursachen für flugbedingte Nackenschmerzen erfordert den richtigen „Mix“ von Maßnahmen zu deren Verhinderung bzw. Minimierung.

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Abb. 4: Entwicklung von Schmerzen bei Dauerbelastungen und Eingriffsmöglichkeiten (nach einem Modell der Royal Australian Air Force)

zen und der Evaluierung der Effektivität der gemachten Empfehlungen. Hierzu sind gut geplante und durchgeführte Studien notwendig, die möglichst auch die Kernfragen des von der RTG HFM-252 vorgeschlagenen NATO Fragebogens zu diesem Thema enthalten. Nur so können sie zusammen mit den Ergebnissen in gemeinsamen Datenbanken ausgewertet werden. Ziel muss es sein, baldmöglichst evidenzbasierte Lösungen anbieten zu können. Literatur 1.

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Manuskriptdaten Zitierweise Fleischer H: Wenn der Nacken schmerzt – Ergebnisse einer internationalen multidisziplinären NATO-Studie zum Problemfeld „Aircrew Neck Pain“. WMM 2019; 63(10-11); 371-374. Verfasser Oberfeldarzt Dr. Helmut Fleischer Taktisches Luftwaffengeschwader 74 Grünauer Str. 170/1, 86633 Neuburg an der Donau E-Mail: helmut1fleischer@bundeswehr.org

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ORIGINBALARBEIT Human Enhancement – alter Wein in neuen Schläuchen oder tatsächlich eine Herausforderung für die Wehrmedizin? Human Enhancement – old wine in new bottles or really a challenge for military medicine? Oliver M. Erleya, Annika Verginb, Christian Haggenmillerc, Stefan Sammitoa Zusammenfassung

Summary

Human Enhancement (HE) bzw. Human Performance Enhancement (HPE) ist gelebte Praxis in multinationalen militärischen Einsätzen. Vornehmlich kulturell begründete Dissonanzen zwischen den unterschiedlichen NATO-Partnernationen bei den Verfahrensweisen im Umgang mit diesem Thema führen zu Verunsicherungen bei den deutschen Kontingentanteilen, den Einsatzsoldatinnen und -soldaten ebenso wie bei truppendienstlichem Führungs- und sanitätsdienstlichem Betreuungspersonal. Das Fehlen einer trennscharfen Begriffsabgrenzung zwischen (medizinisch indizierter) Therapie, Human Performance Degradation (HPD), HE, Human Performance Optimization (HPO) und HPE erschwert eine zielführende Auseinandersetzung im nationalen wie internationalen militärischen und vor allem wehrmedizinischen Kontext zusätzlich.

Human Enhancement (HE) or Human Performance Enhancement (HPE) is daily reality in multinational military operations. In particular, culturally based discrepancies among different NATO nations with respect to the procedures relating to this issue lead to uncertainty among German contingent elements, soldiers deployed, administrative command personnel and military medical personnel. The lack of a clearly distinct definition distinguishing between (medically indicated) therapy, Human Performance Degradation(HPD), HE, Human Performance Optimization (HPO) and HPE makes it rather difficult to deal with this subject expediently in a national as well as an international military and especially military medical context.

Ziel des Beitrags ist es, eine praktikable Begriffsdefinition zu erarbeiten und Möglichkeiten und Risiken von Maßnahmen des HE zu betrachten. Dazu erfolgte eine Literaturrecherche, die auch in internationalen Datenbanken nicht verfügbare militärische und zivile Publikationen einschloss. Als Ergebnis ist festzustellen, dass es dringend interdisziplinärer sanitätsdienstlicher Aktivitäten bedarf, um geeignete bzw. relevante HE-Maßnahmen zu identifizieren, wissenschaftsbasierte Beratungsleistungen für politische und militärische Entscheidungsträger zu erbringen, sowie einen medizinisch und medizinethisch fundierten Diskurs zu befördern. Schlüsselwörter: Therapie, Human Performance Degradation, Human Enhancement, Human Performance Optimization, Human Performance Enhancement, Ethik

a Zentrum

für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe, Köln Planungsamt der der Bundeswehr, Berlin c Führungsakademie der Bundeswehr, Hamburg b

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This article aims to develop a feasible definition and will take a look at the possibilities and risks of HE measures. For this reason, a literature research was conducted, including also military and civilian publications not available in international public databases. As result can be stated that there is an urgent need for interdisciplinary military medical activities to identify suitable and relevant measures, to provide sciencebased counselling to political and military decisionmakers, and to further a well-informed medical and medical ethical discourse. Keywords: therapy, human performance degradation, human enhancement, human performance optimization, human performance enhancement, ethics

Hintergrund Die Begrifflichkeiten Human Enhancement (HE) bzw. Human Performance Enhancement (HPE) stehen in der jüngsten Vergangenheit sowohl national wie international vermehrt im Fokus von Forschungsaktivitäten. So hat sich die „NATO Science and Technology Organisation“ (STO) bereits 2009 [16] mit dieser Thematik beschäftigt, national steht HE im Fokus zahlreicher Aktivitäten zur Zukunftsplanung der Bundeswehr [6, 10, 12] und hat mit

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der Schwerpunktsetzung in der Dezemberausgabe des Jahres 2018 der Wehrmedizinischen Monatsschrift Eingang in die Wehrmedizin gefunden [15]. Schon heute sind in den multinationalen Einsätzen HE-Maßnahmen geübte Praxis. So wird Modafinil® zur Förderung der Wachheit – zumindest bei einigen Partnernationen [19, 21] – bereits eingesetzt. Und aus dieser Praxis der vornehmlich medikamentösen Leistungssteigerung ergeben sich praxis- und v. a. einsatzrelevante Herausforderungen für die Wehrmedizin. Die ärztliche Kompetenz ist konfrontiert mit Nachfragen sowohl zu Wirkungen, Nebenwirkungen und Fragen einer möglichen Verordnung als auch zu ethischen Fragen wie Verbot oder Gebot solcher Maßnahmen unter dem Aspekt der Fürsorge. Auch truppendienstliche Vorgesetzte stehen vor solchen Fragen und suchen Rat beim Sanitätsdienst. Aber was ist HE genau? Ist es unter Umständen nur eine „Überschrift“, um an die immer knapperen (finanziellen) Ressourcen zur Auftragserfüllung zu gelangen, stellt es gar eine (moralisch) nur schwer zu überschreitende Linie der Leistungssteigerung dar oder ist es tatsächlich eine Chance für die Streitkräfte zu einer effektiveren Auftragserfüllung – bei zeitgleicher Herausforderung für Vorgesetzte und Sanitätsdienst hinsichtlich des richtigen Umganges und der Nutzen-Risiko-Abwägung? Der vorliegende Artikel soll zunächst eine trennscharfe Abgrenzung der unterschiedlichen in diesem Themenbereich benutzen Begrifflichkeiten ermöglichen und Sicherheit im Umgang mit der Thematik geben. Anschließend sollen die Möglichkeiten und Risiken von Maßnahmen des HE beispielhaft erläutert werden. Material und Methodik Es erfolgte zunächst eingehende Suche innerhalb des militärischen Bereiches, u. a. in NATO-Dokumenten, wie auch eine Literaturrecherche in der frei verfügbaren wissenschaftlichen Literatur. Hierzu wurde eine in PubMed durchgeführte Datenbankabfrage mit dem Suchdatum 13.02.2018 für die Schlagwörter „human“, „enhancement“ und „ethics“ mit dem Zusatz „military“ durchgeführt. Dabei konnten 20 Publikationen identifiziert werden. Die Literatur wurde für den vorliegenden Artikel ausgewertet und die wesentliche Aspekte im Sinne einer selektiven Literaturrecherche zusammengefasst. Versuch einer Begriffsbestimmung In der wissenschaftlichen Literatur existiert eine Vielzahl von unterschiedlichen Definitionen und Begrifflichkeiten, welche sich mit der Thematik „Human Performance“, „Human Enhancement“ bzw. „Human Performance Enhancement“ beschäftigen [2, 3, 4, 5, 7, 9, 13, 16, 17]. Diese sind jedoch in ihrer Betrachtungsweise zumeist unscharf. Der englische Ausdruck „enhancement“ ist mit „Erweiterung“ oder „Verbesserung“ zu übersetzen. Mit

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Bezug auf den Menschen wurde daraus der Begriff des HE geschaffen. Das Institute for Ethics and Emerging Technologies (IEET) als eine der international renommiertesten Institutionen auf diesem Gebiet versteht darunter Maßnahmen, die unter Nutzung von Nanotechnologie, Biotechnologie, Informationstechnologie und/ oder Kognitionswissenschaften versuchen, die menschliche Leistung zu verbessern [11]. HE sind nach diesem Definitionsversuch natürliche oder künstliche Maßnahmen, die mit oder ohne zeitliche Befristung bestehende Limitierungen des menschlichen Organismus ausgleichen oder überwinden [9, 11, 13]. Hierzu werden aktuell reproduktive Techniken sowie leistungssteigernde Verfahren oder Operationen gezählt. Zukünftige Themenfelder liegen im genetischen Engineering und bei neuralen Implantationen, spekulative Ansätze betrachten die Möglichkeiten des Gedankentransfers [11]. Dieser Versuch einer Definition bleibt aber in drei Aspekten unscharf. Er • bleibt unbestimmt in der Zielsetzung, • unterscheidet nicht zwischen Maßnahmen, die individuelle, physiologisch und/oder psychologisch erreichbare Grenzen respektieren oder darüber hinausgehen und • trennt nicht zwischen medizinisch indizierten und nicht-indizierten Maßnahmen. Diese Unschärfen begünstigen die Nutzung des Begriffs in sehr unterschiedlichen Konnotationen: von Hautpflegeprodukten mit sogenannten anti-aging-Effekt bis hin zu programmierter Evolution. Damit leisten sie Missverständnissen und Fehlinterpretationen Vorschub und erschweren den lösungsorientierten ethischen Diskurs. In den letzten Jahren haben sich daher weitere Begriffe etabliert. So wird teilweise der Begriff „Human Performance“ (HP) genutzt. Die Übersetzung mit „menschlicher Leistung“ greift dabei jedoch zu kurz. Im Crew Ressource Management Training der Luftfahrt beispielsweise wird „HP“ vornehmlich aus Sicht der Unfallursache betrachtet [8]. Der Ausdruck „Human Augmentation“, zu übersetzen mit „Erweiterung“ oder „Vergrößerung“, fokussiert demgegenüber weniger auf Defizite, sondern auf die Entwicklung, Verbesserung und den Ausbau bereits vorhandener menschlicher Fähigkeiten bis hin zu dem Bild eines “super-human”. Seit einigen Jahren wird auch die Bezeichnung „HPO“ [3] im Sinne der Optimierung menschlicher Leistung unter Berücksichtigung von Körper, Geist und – bei einigen Verfassern – der Seele genutzt und damit Maßnahmen bezeichnet, die menschliche Leistung bis zur jeweils individuellen biologischen Grenze verbessern wollen. Selbstverständlich wird in den diversen Veröffentlichungen, insbesondere im militärischen Umfeld, auch der Bereich der negativen Beeinflussung als Human Performance Degradation (HPD) betrachtet. Gerade die Vielzahl der „Definitionen“ und die teilweisen Überlappungen in der Zielsetzung von Maßnahmen der

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Abb. 1: Grafisches Modell zur Definitionsabgrenzung von HPD, Therapie/Rehabilitation, HPO und HPE in Relation zu defizitärer, mittlerer und maximaler individueller Leistung (modifiziert nach [4])

jeweiligen Themenbereiche machen eine allgemeine und klar strukturierte Definition der einzelnen Begrifflichkeiten notwendig. Vor dem Hintergrund einer wehrmedizinischen Betrachtung sollte eine Definition der Begrifflichkeiten den Menschen, also das „humanum“ in den Vordergrund stellen. Orientiert an der aktuellen und der physiologisch möglichen maximalen Leistungsfähigkeit eines Individuums lassen sich die Begrifflichkeiten „Therapie“, „HPD“, „HPO“ und „HPE“ trennscharf definieren [6]. Ein grafisches Modell zur Erläuterung ist in der Abbildung 1 dargestellt. Therapie bezeichnet Maßnahmen, die darauf abzielen, die Auswirkungen von Behinderungen, Krankheiten und Verletzungen zu reduzieren und optimalerweise vollständig zu negieren. Ziel ist es, eine Heilung zu ermöglichen oder zu beschleunigen, Symptome zu lindern oder zu beseitigen und körperliche oder psychische Funktionen wiederherzustellen. Rehabilitation sind in diesem Zusammenhang nach § 1 SGB IX Maßnahmen zur Wiedereingliederung einer kranken, körperlich oder geistig behinderten oder von Behinderung bedrohten Person in das berufliche und gesellschaftliche Leben [20]. Therapie und Rehabilitation zielen also auf die Wiedererlangung eines eingebüßten individuellen Leistungsvermögens respektive weitgehende Wiederermöglichung sozialer Teilhabe bei weiterhin bestehenden Defiziten ab. HPD bezeichnet belastungsassoziierte, beispielsweise durch langdauernde anstrengende Arbeiten hervorgerufene, Leistungseinbußen. Dieses trifft im militärischen Umfeld aber auch für Maßnahmen zu, welche darauf abzielen, die Leistungsfähigkeit gegnerischer Kräfte gezielt zu reduzieren [14, 16, 17]. HPO beschreibt dagegen all jene Maßnahmen, die darauf abzielen, die Leistungsfähigkeit des Individuums unter Beachtung des maximalen individuellen

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Potenzials zu entwickeln/zu erhalten, wenn sie durch diverse Stressfaktoren nachlässt bzw. droht nachzulassen. HPE fasst all jene Maßnahmen zusammen, die darauf abzielen, die Leistungsfähigkeit in einer Art und Weise zu erweitern, die über das individuell maximale Potenzial, seien es beispielhaft das physische und/oder psychische Potential, aber auch sensorische oder kognitive Fähigkeiten, hinausgeht (Stichwort: „superhuman capabilities“). Dies umfasst auch Maßnahmen, die dazu dienen, neue Eigenschaften zu erschließen (z. B. neue sensorische Fähigkeiten durch Implantate). Diese Definitionen bieten den Vorteil einer klaren Abgrenzung zwischen der primären Prävention und dem salutogenetischen Ansatz im Umgang mit Angehörigen der Bundeswehr einerseits und den Ideen der Entwicklung von „superhuman capabilities“ andererseits. Gleichzeitig werden die kontinuierlichen Weiterentwicklungen, denen HPO und HPE unterliegen, aufgenommen und die hinsichtlich ihrer Folgenabschätzungen notwendigen ethischen, soziokulturellen und juristischen Bewertungen reflektiert. Betrachtung zu möglichen Maßnahmen Viele Maßnahmen als Zusammenschau von Therapie, HPD, HPO und HPE nach oben angegebener Definition haben ihren Ausgang in dem Versuch, krankheitsbedingte Defizite der menschlichen Leistung kompensierbar zu machen, wie zum Beispiel Prothesen und Exoskelette. Gerade in hoch belastenden Tätigkeiten – und der soldatische Beruf gehört fraglos dazu – stellt sich aber auch die Frage, inwieweit solche Entwicklungen die Tätigkeit erleichtern, die Ergebnisqualität verbessern und die individuelle Beanspruchung reduzieren können. Im militärischen Kontext kommt dazu, dass der „Bessere“ fraglos

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© Eurofighter

Möglichkeiten und Risiken von Maßnahmen des HE Bereits im Jahre 2009 veranstaltete die NATO Science and Technology Organization (STO) ein Symposium zum Thema „Human Performance Enhancement for NATO Military Operations“ [16]. Die seinerzeit festgestellte und insbesondere moralisch begründete Dissonanz zwischen den NATO- Partnernationen besteht seither jedoch fort [20]. Gleichzeitig sind die Soldaten in multinationalen Einsätzen mit den von Nation zu Nation unterschiedlichen Vorgehensweisen konfrontiert.

Abb. 2: Die hohe Sitzposition des Piloten im Eurofighter ermöglicht eine gute Rundumsicht, verlangt aber Dreh- und Nickbewegungen des Kopfes - auch unter hohen g-Belastungen. Informationen werden akustisch und visuell bereitgestellt. Dem Piloten stehen ein Head-up-Display, drei Head-down-Displays, ein Warning Panel und ein Helmet Mounted Symbology System zur Verfügung. Die Performance des Gesamtsystems ist damit unmittelbar von den körperlichen (insbesondere Belastung der HWS, Seh- und Hörvermögen) und auch psychischen Leistungsfähigkeiten (Signalerkennung und –verarbeitung, Multitasking) abhängig. Aufgabe von HPO ist es u.a., hierfür spezifische Trainingsverfahren zu entwickeln.

höhere Überlebenschancen hat. Mit Blick auf Auftragserfüllung und Fürsorge finden im soldatischen Umfeld daher naturgemäß alle denkbaren Maßnahmen hohe Beachtung [2, 4, 5, 7]. Innerhalb der Bundeswehr hat das Dezernat Zukunftsanalysen des Planungsamtes eine Studie beauftragt und ausgewertet [14]. Danach werden Maßnahmen in vier große Bereiche mit einzelnen Unterbereichen untergliedert (siehe Tabelle 1). Darüber hinaus werden auch Maßnahmen betrachtet, die das Gegenteil einer wie auch immer gearteten Verbesserung gezielt bei einem möglichen Gegner erreichen sollen (sog. HPD). Tabelle 1: Gliederung möglicher Maßnahmen des Human Enhancement (nach [14])

Untergliederung von Human Enhancement Maßnahmen Biochemische Ansätze • Pharmakologische Leistungssteigerung • Ernährungsbasierte Leistungssteigerung • Genetische Leistungssteigerung (im Sinne des Gendopings) Nicht-invasive Ansätze • Transcranielle Stimulation • Exoskelette • Augmented Reality • Silent Speech Interface-Systemen Invasive Methoden Verfahren des Biomonitoring

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Beispiel: Modafinil® Am Beispiel des Modafinil® sollen exemplarisch die unterschiedlichen Sichtweisen verbündeter Streitkräfte, die entsprechenden Handlungsanweisungen für die jeweiligen Soldaten und die daraus entstehenden Risiken und Fragestellungen gezeigt werden. In den US-amerikanischen Streitkräften ist breit akzeptiert, Modafinil® zur Förderung der Wachheit zu konsumieren [16]. Der Zugang zu dem – auch in Deutschland verschreibungspflichtigen – Medikament ist klar geregelt und für den Einzelnen relativ einfach möglich. Demgegenüber ist eine Verordnung oder Abgabe dieses Stoffes an Kontingentangehörige der Bundeswehr nicht vorgesehen. Auf der einen Seite ein einfacher Zugang, auf der anderen Seite Restriktion – das führt zwangsläufig zur Verunsicherung und der Frage: Wieso haben bestimmte Personen innerhalb desselben Einsatzes – bei unter Umständen vergleichbaren Aufgaben – mit der Begründung der Sicherstellung von Auftragserfüllung und Fürsorge Zugang zu einer Maßnahme, während anderen mit der identischen Argumentation der Zugang verwehrt wird? Im günstigen Fall werden Disziplinarvorgesetzte und Sanitätspersonal mit Nachfragen konfrontiert. Im ungünstigen Fall wird dem Beispiel der Kameraden aus anderen Nationen ohne weitere Auseinandersetzung zu Wirkungen und Nebenwirkungen oder ethischen Aspekten gefolgt. So erhöht Modafinil® offensichtlich die Wachheit. Aber ist der Faktor Wachheit der tatsächlich zu betrachtende Endpunkt für eine Nutzen-Risiko-Analyse? Sind es in einer hochtechnisierten Armee nicht vielmehr kognitive oder koordinative Leistungsaspekte, die über die Auftragserfüllung und das Überleben des Einzelnen entscheiden? Solange aber diese Aspekte nicht klar definiert sind und – in Anbetracht der oft unzureichenden Kenntnisse auf Seiten potenzieller Anwender zu den Phänomenen von Schlaf und Wachheit – ist zu fragen, welchen positiven Effekt durch eine über die natürlichen Grenzen hinweg verlängerte Wachheit hat und welche Risiken dadurch evtl. akzeptiert werden müssen. Die Situation erinnert an die Doping-Situation im Sport. Im Hochleistungssport können – unter Inkaufnahme von

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teilweise unvorhersehbaren Risiken trotz ärztlicher Betreuung – Leistungssteigerungen über die individuellen biologisch determinierten Grenzen hinaus erreicht werden. Dem folgend finden sich im Breitensport Nachahmer, die sich ohne ärztliche Betreuung nicht selten weit vor dem Erreichen individueller Leistungsgrenzen und v. a. ohne umfängliche Kenntnisse über mögliche Risiken in Gefahr begeben [17]. Dabei ist es viel zu kurz gegriffen, schuldhaftes Verhalten nur bei einigen Wenigen zu suchen. BETTE weist in Bezug auf den Sport vielmehr auf die Verantwortung vieler beteiligter Konstellationsakteure hin [1]. Gerade vor dem Hintergrund, dass es eine Vielzahl von bisher nicht umgesetzten einfachen Maßnahmen gibt, die zu einer unter Umständen erheblichen Verbesserung der menschlichen Leistung bei gleichzeitiger Respektierung individueller, physiologisch und/oder psychologisch erreichbarer Grenzen führen könnten (z. B. Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit mittels hauptamtlicher Sportausbilder, individuell gesteuerte Trainingsprogramme für physische wie psychische Fitness, verstärkte Anstrengungen zur Reduzierung von Stress und Suchtverhalten, um nur einige wenige zu nennen), ist die oben dargestellte unreflektierte Eigeneinnahme von Modafinil® ohne eindeutige Regeln sehr bedenklich. Hier werden also Maßnahmen des HPE (mit den damit einhergehenden Risiken) genutzt, bevor Maßnahmen des HPO voll ausgeschöpft sind. In der Bundeswehr könnte die Situation aufgrund der übersichtlicheren strukturellen Voraussetzungen besser handhabbar sein. Dazu bedarf es aber einer beständig aktuell gehaltenen Policy und daraus abgeleiteten bedarfsgerechten Maßnahmen. Fazit Das Erreichen einer möglichst hohen psychophysischen Leistungsfähigkeit von Soldaten muss sowohl im Sinne der Leistungsfähigkeit von Streitkräften als auch im Sinne der Prävention Ziel militärischer Planung und Ausbildung sein. Befürwortern risikoreicher Vorgehensweisen aus Partnernationen kann im Rückgriff auf die oben genannte Definition und die Beispiele des Potenzials zur Optimierung bereits vorhandener Ressourcen argumentativ ebenso klar entgegengetreten werden wie eigenen Kameraden, die in Unkenntnis oder mit überhöhten Erwartungshaltungen falschen Vorbildern folgen. Dennoch ist die notwendige Risikostratifizierung (positive Wirkungen von Maßnahmen des HPE vs. Risiko und Nebenwirkungen) aufgrund des mangelnden physiologischen und psychologischen Erkenntnisstands häufig jedoch nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich. Es bedarf daher breiter, interdisziplinärer und fortdauernder wehrmedizinischer Forschungsaktivitäten, um mit Blick auf militärische Bedürfnisse geeignete von ungeeigneten

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Maßnahmen zu unterscheiden und entsprechende wissenschaftsbasierte Beratungsleistungen für politische und militärische Entscheidungsträger erbringen zu können. Kernaussagen Maßnahmen zur Leistungssteigerung sind gelebte Praxis in militärischen Einsätzen. Human Performance Optimization (HPO) bezeichnet Maßnahmen, die darauf abzielen, die Leistungsfähigkeit des Individuums unter Beachtung des individuell maximalen Potenzials zu entwickeln bzw. diese zu erhalten, wenn sie durch diverse Stressfaktoren nachlässt bzw. droht nachzulassen. Human Performance Enhancement (HPE) bezeichnet all jene Maßnahmen, die darauf abzielen, die Leistungsfähigkeit in einer Art und Weise zu erweitern, die über das individuell maximale Potenzial hinausgeht. Das Bestehen vornehmlich kulturell begründeter Dissonanzen zwischen den unterschiedlichen NATO-Partnernationen führt angesichts unterschiedlicher Handlungsweisungen in multinationalen Einsatzszenarien zu Verunsicherungen bei den deutschen Kontingentanteilen. Das Fehlen einer trennscharfen Begriffsabgrenzung zwischen Therapie, Human Performance Degradation (HPD), Human Enhancement (HE), HPO und HPE erschwert eine zielführende Auseinandersetzung im wehrmedizinischen Kontext. Es bedarf interdisziplinärer sanitätsdienstlicher Aktivitäten, geeignete bzw. relevante Maßnahmen zu identifizieren um wissenschaftsbasierte Beratungsleistungen für politische und militärische Entscheidungsträger zu erbringen, sowie einen medizinisch und medizinethisch fundierten Diskurs zu befördern. Literatur 1.

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Fraunhofer INT. Human Enhancement – Sachstandsermittlung und Auswirkungen in militärischen Auseinandersetzungen (Az 09-61-50 /M/GSP0/CA034/CA934) - Abschlussbericht. Euskirchen, April 2013.

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Friedl KE, Breivik TJ, Carter R, et al.: Soldier health habits and the metabolically optimized brain. Mil Med 2016; 181: e1499-e1507. (DOI: 10.7205/MILMED-D-15-00464)

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AUS DEM SANITÄTSDIENST

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Friedl KE: U.S. Army research on pharmacological enhancement of soldier performance: stimulants, anabolic hormones, and blood doping. J Strength Cond Res 2015; 29 (Suppl 11): S71-S76. (DOI: 10.1519/JSC.0000000000001027) Führungsakademie der Bundeswehr: Experten-Workshop Human Performance Optimization and Enhancement (HPO/HPE) vom 9. bis 13. April 2018. Gore RK, Webb TS, Hermes EDA: Fatigue and stimulant use in military fighter aircrew during combat operations. ASEM 2010; 81: 719-727. Hughes J: Citizen cyborg: why democratic societies must respond to the redesigned human of the future. Boulder, USA: Westview 2004. Inspekteur der Luftwaffe: Konzept für Human Performance Enhancement (HPE) im Fliegerischen Dienst der Bundeswehr. Inspekteur der Luftwaffe 2012 Institute for Ethics and Emerging Technologies (IEET), Boston, USA (https://ieet.org/index.php/IEET2/about) Kommando Streitkräftebasis der Bundeswehr: Vorgaben für die Zukunftsentwicklung der SKB 2017, Themenfeld 3 „Human Performance Enhancement“, Kick-Off-Meeting vom 14.12.2017. Lufthansa Flight Training GmbH: CRM Kabine Human Performance and Limitations. https://www.lufthansa-flight-training.com/crm-humanperformance-and-limitations (Letzter Zugriff: 9. September 2018) Moore P: Enhancing me: the hope and the hype of human enhancement. Chichester, UK: Wiley 2008. Passoth N: Strategische Herausforderungen für den Sanitätsdienst. WMM 2018; 62(12): S1-S8. Planungsamt der Bundeswehr, Dezernat Zukunftsanalysen: Future Topic – Human Enhancement. Planungsamt der Bundeswehr: 2013 RTO Biomedical bases of mental fatigue and military fatigue countermeasures – Activity Proposal. Neuilly-sur-Seine: RTO 2018 RTO-MP-HFM-181: Human performance enhancement for NATO military operations (science, technology and ethics) - meeting proceedings. Neuilly-sur-Seine: RTO 2009. (DOI 10.14339/RTO-MPHFM-181) Schroeder VM, Huber DM, Hartzler BM, et al.: The combination of strategic napping and Modafinil on objective and subjective assessments of fatigue. Aerosp Med Hum Perform 2017; 88 (3): 182-183. Siegmund-Schultze N: Leistungsbeeinflussende Substanzen im Breiten- und Freizeitsport: Trainieren mit allen Mitteln. Dt Ärztebl 2013; 110(29-30): A-1422 / B-1248 / C-1230

21. Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch – Aktuelle Fassung 2018 22. STO-MP-HFM-219 Neuroperformance enhancement strategies: the metabolically optimized brain – STO meeting proceedings. Neuillysur-Seine: STO 2016. (DOI 10.14339/STO-MP-HFM-219) Interessenkonflikte Erley, Haggenmiller und Sammito sind aktive Sanitätsoffiziere. Vergin ist wissenschaftliche Angestellte im Ressortbereich BMVg. Erley, Vergin, Haggenmiller und Sammito erhalten Forschungsmittel aus dem BMVg. Ein Interessenkonflikt besteht nicht. Manuskriptdaten Eingereicht: 4. Juli 2018 Nach Überarbeitung angenommen: 5. August 2019 Zitierweise Erley O, Vergin Ab, Haggenmiller C, Sammito S: Human Enhancement – alter Wein in neuen Schläuchen oder tatsächlich eine Herausforderung für die Wehrmedizin? WMM 2019; 63(10-11): 375- 380. Für die Verfasser Oberstarzt Dr. Oliver M. Erley, M.A. Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe Flughafenstraße 1, D-51147 Köln E-Mail: olivererley@bundeswehr.org Manuscript data Submitted: 4 July 2018 After revision accepted: 5 August 2019 Citation Erley O, Vergin Ab, Haggenmiller C, Sammito S: Human Enhancement – old wine in new bottles or really a challenge for military medicine? WMM 2019; 63(10-11): 375- 380. For the authors Colonel (MC) Dr. Oliver M. Erley, M.A. Air Force Centre of Aerospace Medicine Flughafenstrasse 1, D-51147 Cologne, Germany E-Mail: olivererley@bundeswehr.org

Zum 70. Geburtstag von Generaloberstabsarzt a. D. Dr. Kurt-Bernhard Nakath Zum 70. Geburtstag spreche ich Generaloberstabsarzt a. D. Dr. Kurt-Bernhard Nakath für den gesamten Sanitätsdienst der Bundeswehr meine herzlichsten Glückwünsche aus. Dr. Nakath war von September 2006 bis September 2011 Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr. Als einer meiner Vorgänger in diesem Amt hat er den Sanitätsdienst entscheidend geprägt. 2008 wurde ihm das Große Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich durch den österreichischen Botschafter in Deutschland verliehen. In der Begründung für die Auszeichnung wird deutlich, dass er frühzeitig den Weg

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für eine Zusammenarbeit europäischer militärischer Sanitätsdienste geebnet hat. Auf Wunsch des Jubilars wird auf eine ausführliche Darstellung des Werdegangs verzichtet. Ich wünsche Generaloberstabsarzt a. D. Dr. Kurt-Bernhard Nakath alles erdenklich Gute und vor allem Gesundheit für die kommenden Lebensjahre. Dr. Ulrich Baumgärtner Generaloberstabsarzt Inspekteur des Sanitätsdienstes

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INTERNATIONALE ZUSAMMENARBEIT

ICCM UND FIP – GEMEINSAM IN DIE ZUKUNFT Memorandum of Understandig zwischen ICMM und FIP stärkt Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Pharmazie Ein am 23. Mai 2019 im Rahmen des 43. ICMM World Congress on Military Medicine in Basel (Schweiz) gezeichnetes Memorandum of Understanding (MOU) zwischen dem International Committee of Military Medicine (ICMM) und der Fédération Internationale Pharmaceutique (FIP) soll den Wissens- und Erfahrungsaustausch sowie die Zusammenarbeit der beiden Organisationen in der Militär- und Katastrophenpharmazie verbessern. Es bekräftigt zugleich die ausgezeichnete Kooperation zwischen der Technical Commission for Pharmacy des ICMM sowie der Military and Emergency Pharmacy Section der FIP. ICMM und FIP1 Dem 1921 von 8 Nationen gegründeten ICMM gehören mittlerweile 119 Mitgliedsstaaten an, die sich in dieser internationalen und zwischenstaatlichen Organisation zusammengeschlossen haben, um die weltweite Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Militärmedizin zu verbessern. Neben Medizin, Pharmazie, Zahnmedizin, Veterinärmedizin und Krankenpflege gehören auch Aspekte des humanitären Völkerrechts sowie der Medizinethik zum fachlichen Spektrum des ICMM. Regelmäßige Weltund Regionalkongresse, internationale Seminare, Kurse und das quartalsweise erscheinende Journal „International Review of the Armed Forces Medical Services“, stellen den wissenschaftlichen Austausch sicher, der in verschiedenen Fachsektionen organisiert wird. Traditionsgemäß hat Deutschland dabei den Vorsitz der „Technical Commission for Pharmacy“ (TC Pharm) inne – seit nunmehr sechs Jahren in Person des Leitenden Apothekers der Bundeswehr, Oberstapotheker Arne Krappitz. Die 1912 gegründete FIP mit Sitz in Den Haag (Niederlande) vertritt weltweit über vier Millionen Apotheker(innen) sowie pharmazeutische Wissenschaftler(innen). Der „Military and Emergency Pharmacy Section“ (MEPS) der FIP gehören sowohl Apotheker(innen) aus dem militärischen Bereich als auch aus zivilen Hilfsorganisationen, wie z. B. dem Internationalen Roten Kreuz oder der Organisation Pharmaciens Sans Frontières, an. TC Pharm und MEPS eint die besondere Herausforderung, auch unter den schwierigen Bedingungen von Krieg, Naturkatastrophen und sonstigen Notsituationen eine sachgerechte Versorgung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten sicherzustellen.

1 Für

nähere Information zur FIP und zum ICMM siehe www.fip.org und www.cimm-icmm.org.

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© ICMM-CIMM.ORG

Der Generalsekretär des ICMM, Major General (ret.) Roger Van Hoof (links) und der Präsident der FIP, Dominique Jordan (rechts), unterzeichnen im Rahmen der Generalversammlung des 43. ICMM Weltkongresses für Militärmedizin in Basel das MOU. Im Hintergrund stehen der Vorsitzende der TC Pharm, Oberstapotheker Arne Krappitz (links), und der Präsident der MEPS, Commander Sylvain Grenier (rechts).

Internationale Zusammenarbeit immer wichtiger Insbesondere im Hinblick auf Versorgungslücken und Engpässe bei der Antibiotikaversorgung sowie der Abhängigkeit bei der Wirkstoffherstellung von Indien und China ist ein weltweites Expertennetzwerk aus Militärpharmazie und zivilen Organisationen wie der FIP von erheblicher Bedeutung. Seit Jahren arbeiten deshalb die TC Pharm des ICMM sowie die MEPS der FIP verstärkt zusammen. Auf Initiative von Oberstapotheker Arne Krappitz und des Präsidenten der MEPS, Commander Sylvain Grenier aus Kanada, wurden diese exzellenten Beziehungen am 23. Mai 2019 durch ein MOU gefestigt, mit dem eine solide Plattform für die Weiterentwicklung des weltweiten Informations- und Erfahrungsaustausches in diesem wichtigen Fachgebiet zur Verfügung steht. Oberstapotheker Dr. Bernd Klaubert Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr, Koblenz E-Mail: berndklaubert@bundeswehr.org

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FORSCHUNG UND WISSENSCHAFT

MILITÄRGESCHICHTE NACH 1945 Zeitzeuginnen und Zeitzeugen für ein Forschungsprojekt über die Geschichte des Umgangs mit Homosexualität in der Bundeswehr gesucht Im Auftrag des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) erforscht das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) den Umgang mit homosexuellen Soldatinnen und Soldaten in der Geschichte der Bundeswehr erstmals wissenschaftlich. Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich von den Anfängen der Bundeswehr bis zur grundsätzlichen Veränderung der Vorschriftenlage nach der Jahrtausendwende. Die Publikation der Forschungsergebnisse ist für 2020 geplant. Das Thema lässt sich naturgemäß nicht mit archivierten Quellen allein abdecken; Erinnerungen von Zeitzeugen, ob Betroffene oder Beobachter, sind ein weiterer unverzichtbarer Fundus. Dies gilt mangels schriftlicher Quellen insbesondere für den Umgang mit homosexuellen Frauen. Die im Archiv überlieferten Dokumente des BMVg scheinen das Thema völlig auszuklammern. Lediglich zwei Papiere aus den Jahren 1999 und 2000 erwähnen auch

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homosexuelle Frauen in den Streitkräften. Umso wichtiger sind persönliche Erfahrungen. Hierbei kommt dem Sanitätsdienst der Bundeswehr (der bis zur Öffnung aller Laufbahnen für Frauen der einzige Bereich war, in dem Frauen dienten) eine besondere Bedeutung zu. Datenschutz und Persönlichkeitsschutz sind wichtige Grundsätze für die Arbeit auf diesem sensiblen Feld. Die Anonymität der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen wird in vollem Umfang gewahrt, es sei denn, sie wünschen ausdrücklich eine namentliche Nennung. Potenzielle Zeitzeuginnen und Zeitzeugen werden gebeten, sich an Oberstleutnant Dr. Klaus Storkmann E-Mail: klausstorkmann@bundeswehr.org zu wenden. Oberstleutnant Dr. Klaus Storkmann ZMSBw - Abteilung Forschung

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MITTEILUNGEN DER DGWMP e. V.

Geburtstage November und Dezember 2019

Wir gratulieren zum 80. Geburtstag und älter: Dr. med. dent. Joachim Scholz Oberfeldarzt d. R. Schulstraße 2, 37627 Stadtoldendorf

02.11.1925

Dr. med. Claus Weber-Höller Generalarzt a. D. Kapellenweg 8, 53578 Windhagen

03.11.1924

Dr. med. vet. Helmut Lier 10.11.1935 Oberstveterinär a. D. Steimker Kirchweg 4, 29386 Hankensbüttel Prim. Dr. med. Michael Kurz Oberstarzt i. R. Pürstingerstraße 17, 5760 Saalfelden

11.11.1925

Jörg Maskow Oberstapotheker d. R. Mozartstraße 4, 40764 Langenfeld

12.11.1939

Prof. Dr. med. Wilfried Gusek Stabsarzt d. R. Spardorfer Straße 32, 91054 Erlangen

14.11.1928

Dr. med. Matthias Jaeger 22.11.1937 Generalstabsarzt a. D. Adendorfer Straße 34, 53340 Meckenheim Dr. med. dent. Udo Goedecke Mozartstraße 59, 49076 Osnabrück

25.11.1931

Dr. med. Ernst Müller-Troschel Admiralarzt a. D. Mehlgasse 20, 56068 Koblenz

08.12.1926

Dr. med. Anselm Lau 11.12.1934 Oberstarzt a. D. Regentenstraße 240, 41061 Mönchengladbach

Dr. med. Wolfgang Theißen Oberstabsarzt d. R. Braustraße 13, 97519 Riedbach

24.12.1937

Dr. med. dent. Udo Schneider Oberstarzt d. R. Lindenhöhe 36, 87471 Durach

26.12.1938

Dr. rer. nat. Uwe Keup 30.12.1939 Flottillenapotheker d. R. Unterer Ahlenbergweg 69, 58313 Herdecke Wir gratulieren zum 75. Geburtstag: Dr. med. Klaus-Herbert Seidenstücker Flottenarzt a. D. Hashauweg 22 B, 24963 Tarp

12.11.1944

Dr. med. Hartmut Grodau Oberstarzt d. R. Schloßstraße 145, 46535 Dinslaken

14.11.1944

Prof. Dr. med. dent. Dr. med. habil. Dietmar Kubein-Meesenburg Flottillenarzt d. R. Burgweg 1a, 37574 Einbeck

28.11.1944

Dr. med. Hans-Peter Daub Oberfeldarzt a. D. Roonstraße 54, 56626 Andernach

09.12.1944

Dr. med. dent. Ingo Steinbach Oberstarzt a. D. Simonstraße 12, 53227 Bonn

16.12.1944

Dr. med. H.-Thomas W. Schmidt Flottenarzt a. D. Pausitzer Straße 26, 04828 Altenbach

17.12.1944

Dr. med. Gunther Kreiß Stabsarzt d. R. Buchenweg 10, 71334 Waiblingen9

12.12.1939

Herbert Scheffler Kapitänleutnant a. D. Manrade 27, 24106 Kiel

15.12.1935

17.12.1938

Dr. med. Hans-Jürgen Dick Generalstabsarzt a. D. Berliner Straße 84, 76646 Bruchsal

23.11.1949

Dr. med. Ingo Heiskel Oberfeldarzt d. R. Am Sand 3, 61184 Karben

23.12.1935

Wilfried Osterkamp Hauptmann a. D. Pfarrgarten 36, 53507 Dernau

23.11.1949

Herbert Stolle Oberleutnant d. R. Neue Reihe 33, 27472 Cuxhaven Dr. med. dent. Klaus-P. Wielen Flottenarzt a. D. d. R. Buchenweg 9, 23999 Insel Poel

23.12.1935

Dr. med. Norbert Weber Oberstarzt d. R. Emslanderstraße 10, 82319 Starnberg

13.12.1949

Eberhard Knoth 19.12.1944 Oberstabsapotheker d. R. Südendstraße 38 (47), 76137 Karlsruhe Wir gratulieren zum 70. Geburtstag:

Die Veröffentlichung erfolgt ausschließlich aufgrund vorliegender Einverständniserklärung gem. der neuen EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) vom 25. Mai 2018.

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WMM E-PAPER

WMM zukünftig auch als E-Paper verfügbar Ab Januar 2020 erscheint die Wehrmedizinische Monatsschrift auch als E-Paper. Ausgabe 10-11/2019 ist als Beta-Version verfügbar. „Die Zukunft moderner Medien geht in Richtung digitale Publikationsformen. Diesem Weg wird sich auch die WMM nicht verschließen.“ – mit diesen Worten wurde in der Ausgabe 8-2019 (S. 293) eine E-Paper-Version der Wehrmedizinischen Monatsschrift (WMM) angekündigt. Im Januar 2020 ist es nun soweit: Ab Ausgabe 1-2020 wird die WMM – neben der bekannten Druckversion – regelmäßig auch als E-Paper erscheinen. Damit kann diese Fachzeitschrift des Sanitätsdienstes der Bundeswehr zukünftig auch papierlos auf allen modernen Endgeräten (PC, Tablet, Smartphone mit Betriebssystem Windows®, IOS®, Android® und meiste Linux-Versionen), die über einen aktuellen Internetbrowser verfügen und Internetzugang haben, gelesen werden. Bei der Entwicklung des „WMM E-Paper“ wurde von Beginn an Wert darauf gelegt, dass – neben der Gewährleistung der beschriebenen Plattformunabhängigkeit der Endgeräte – auch ein nur digital realisierbarer „Mehrwert“ zur Verfügung gestellt wird. Hierzu gehören u.a. • Suchfunktion (Stichworte, Autoren, Volltext), • Rollover-Popups bei Fußnoten und Literaturverweisen, die den Referenztext anzeigen, • animierte Bilder und/oder Videoclips und Bildergalerien, • Verlinkung von Literaturverweisen oder anderen Quellenangaben zum jeweiligen Abstract, Artikel usw., sofern verfügbar, und • Ergänzungen zu Beiträgen, z.B. wie Abstracts, Präsentationen, Grafiken, • Download einzelner Artikel im Layout der Druckversion.

Wehrmedizinische Monatsschrift – Impressum

WMM E-Paper 2019 – 63(10-11)

Der Aufruf des „WMM E-Paper“ erfolgt über die Webseite des Sanitätsdienstes der Bundeswehr (www.sanitaetsdienst-bundeswehr.de), die Darstellung erfolgt in einem eigenen Fenster. Beta-Version kann getestet und bewertet werden Diese Ausgabe der WMM ist als Beta-Version auch als E-Paper verfügbar. Sie finden dort den kompletten Inhalt dieses Heftes, ergänzt durch Bild-Impressionen von der 24. Fliegerarzttagung der Bundeswehr, einen Vortragsmitschnitt und einen Bericht über die Inhalte der wissenschaftlichen Vorträge des Symposiums „Aerospace Medicine – Together into the Future“. Herausgeber, Verlag und Redaktion bitten alle Leserinnen und Leser, das erste „WMM E-Paper“ ausführlich zu testen und evtl. festgestellte Fehler sowie Anregungen für Verbesserungen per E-Mail an wmm-e-paper@p-mees.de oder pizsanitaetsdienst@bundeswehr.org mitzuteilen. Wir freuen uns auf den Dialog mit Ihnen. Oberstarzt Dr. Angelika Niggemeier-Groben Leiterin Presse- und Informationszentrum des Sanitätsdienstes der Bundewehr

(ISSN 0043 - 2156)

Redaktion: Oberstarzt a. D. Dr. med. Peter Mees, Baumweg 14, 53819 Neunkirchen-Seelscheid, Telefon: +49 2247 912057, E-Mail: wmm@p-mees.de Herausgeber: Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr, Presse- und Informationszentrum des Sanitätsdienstes der Bundeswehr im Auftrag des Inspekteurs/der Inspekteurin des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, Von-Kuhl-Straße 50, 56070 Koblenz, Telefon: +49 261 896 13210, E-Mail: pizsanitaetsdienst@ bundeswehr.org Wissenschaftliche Beratung: Die Begutachtung von Original- und Übersichtsarbeiten sowie Kasuistiken im Rahmen des Peer-Review-Verfahrens erfolgt durch in dem Fachgebiet des jeweiligen Beitrags wissenschaftlich ausgewiesene Expertinnen und/oder Experten, die – dem Einzelfall entsprechend – in Abstimmung zwischen Redaktion und Herausgeber ausgewählt und beauftragt werden. Beta Verlag & Marketinggesellschaft mbH, Celsiusstraße 43, 53125 Bonn, Telefon +49 228 91937 10, Telefax +49 228 91937 23, Verlag: E-Mail: info@beta-publishing.com; Geschäftsleitung: Heike Lange; Objektleitung: Peter Geschwill; Produktionsleitung: Thorsten Menzel. Druckvorstufe: PIC Crossmedia GmbH, Langenfeld. Druck: Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr (BAIUDBw), Zentraldruckerei Köln/ Bonn. Rechtliche Hinweise: Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Herausgebers unzulässig und strafbar. Dieses gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: Autorenhinweise sind unter www.sanitaetsdienst-bundeswehr.de und www.wehrmed.de abrufbar. Die Zeitschrift steht auch als PDF-Datei unter www. sanitaetsdienst-bundeswehr.de zur Verfügung. Alle namentlich gezeichneten Beiträge – soweit sie nicht ausdrücklich mit einem * gekennzeichnet sind – geben die persönlichen Ansichten der Verfasserin, des Verfassers oder der Verfasser wieder. Sie entsprechen nicht unbedingt den Auffassungen der Redaktion oder des Herausgebers. Manuskriptsendungen an die Redaktion erbeten. Erscheinungsweise mindestens acht mal im Jahr. Die aktuellen Bezugspreise sind zu finden unter: www.beta-publishing.com/publikationen. Für Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V. ist der Bezug der Zeitschrift im Mitgliedsbeitrag enthalten. Sanitätsoffiziere der Bundeswehr, die Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V. sind, erhalten die „Wehrmedizinische Monatsschrift“ über ihre Dienststellen.

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HUMANITATI • PA TR

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Ankündigung ARCHIS 2020

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27. Jahrestagung ARCHIS Arbeitskreis chirurgisch tätiger Sanitätsoffiziere (seit 1999 AK Einsatzmedizin) in der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V.

29. - 31.01.2020 Hotel Alte Werft, Papenburg

Chirurgische Behandlungskonzepte in der Bundeswehr - aktuell und in Zukunft Ansprechpartner wissenschaftliches Programm: OTA André Gutcke E-Mail: archis2020@dgwmp.de Ansprechpartner Industrie: Heike Kempen, DGWMP, E-Mail: kempen.heike@dgwmp.de Deutsche Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V. | Neckarstraße 2a | 53175 Bonn Tel.: 0228 632420 | Fax 0228 698533 | bundesgeschaeftsstelle@dgwmp.de | www.dgwmp.de


WIR. DIENEN. DEUTSCHLAND.

IMPRESSUM Herausgeber: Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Kontakt: Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr Presse- und Informationszentrum Von-Kuhl-Straße 50 56070 Koblenz E-Mail: PIZSanitaetsdienst@Bundeswehr.org Verlag: Beta Verlag & Marketinggesellschaft mbH Celsiusstraße 43 53125 Bonn Druck: Zentraldruckerei BAIUDBw, Bonn Diese Publikation des Sanitätsdienstes der Bundeswehr wird kostenlos abgegeben und ist nicht zum Verkauf bestimmt.


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