Chillout schreibwerkstatt2014

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C H I L L- O U T-S C H R E I BWO R K S H O P 2014


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Die Geschichten in Dir Welche Geschichten stecken in mir, und wie bringe ich sie aufs Papier? Wie kann ich meine Texte gut vortragen, und was hat das mit Theater zu tun? In der Schreib- und Theaterwerkstatt des gemeinnützigen Chill-Out e. V. konnten Jugendliche diese und weitere Fragen beantworten – und beim Medienpartner KingKalli ihre Kurzgeschichte veröffentlichen.

Was könnte Jugendliche zwischen 13 und 16 Jahren dazu bewegen, in den Sommerferien morgens um neun Uhr an einem Ort außerhalb ihres Schlafzimmers aufzutauchen? Ganz klar: gemeinsames Geschichtenschreiben und Theaterspielen. So trafen sich acht Jugendliche an vier Tagen im Juli zur zweiten Schreib- und Theaterwerkstatt im Chill-Out-Doppeldeckerbus. Warum gerade hier? „Zum Kreativwerden gehört die passende Atmosphäre, und die bietet ein kultiger Cabrio-Doppeldeckerbus auf jeden Fall“, findet Theaterpädagogin Jutta Steinbusch, eine der Kursleiterinnen. Ein weiterer Vorteil der fahrenden Werkstatt liegt auf der Hand: Die Teilnehmer können verschiedene Orte ansteuern und sich unterschiedlich inspirieren lassen. Tag 1 führte die Jugendlichen in ein Shoppingcenter mitten in Alsdorf, wo sie Menschen und Szenen beobachteten und das Ganze im Anschluss zu kleinen Texten verarbeiteten. „Das Einkaufszentrum war eher eine Notlösung, da uns ein fieser, kalter Dauerregen alle Außenaktivitäten vermasselt hat. Aber die Jugendlichen wurden dort fündig und fanden es klasse“, sagt Kursleiterin Stefanie Erkeling. Nachdem sie ihre Texte geschrieben hatten, lasen sich die Jugendlichen ihre Werke vor, diskutierten und kritisierten sie.

„Das gegenseitige Feedback ist sehr wichtig, um zu erfahren, wie der Text bei anderen wirkt. Die Jugendlichen haben sich darauf eingelassen und sind sehr konstruktiv und respektvoll miteinander und mit ihren Texten umgegangen“, so Kursleiterin Daniela Voßenkaul, die gemeinsam mit Stefanie Erkeling den Schreibpart der Werkstatt betreute. Bei angenehmerem Wetter zog es die Gruppe am Folgetag raus in die Natur. Im Aachener Wald stellten sich die Teilnehmer einer besonderen Herausforderung: die Elemente aus ihren szenischen Texten in frei improvisierten Ministücken auf die „Bühne“ zu bringen und dabei einzelne Teile zu variieren. „Für die meisten Jugendlichen bedeutet Theater, fertige Dialoge in verteilten Rollen nach Vorgabe eines Regisseurs zu spielen. Improvisieren ist vielen fremd, doch gerade solche Übungen schulen darin, präzise zu beobachten, was ja auch fürs Schreiben ganz wichtig ist“, erklärt Jutta Steinbusch. Nach den kreativen Fingerübungen zum Schreiben und Theaterspielen widmeten sich die Teilnehmer an den letzten beiden Tagen ihrer Aufgabe, eine Kurzgeschichte zu konzipieren und zu schreiben. „Wichtig war uns, dass die Jugendlichen ihre Geschichte nicht nur beginnen, sondern sie auch beenden, damit sie alle Phasen des Ge-

schichtenschreibens erleben“, sagt Stefanie Erkeling. Als Ausgangspunkt gaben die Kursleiterinnen in diesem Jahr ein Thema vor: Grenzen. Passend dazu fuhr die Gruppe zum Dreiländereck, machte einen Wettlauf durch das Labyrinth und streifte zwischen euregionalem Frittenbudengewusel und der Ruhe des angrenzenden Waldes umher. „Wir fanden, dies sei der perfekte Ort für das Thema. Und tatsächlich bestätigten uns die Teilnehmer, dass sie der Ort sehr inspiriert habe“, sagt Daniela Voßenkaul. Die Jugendlichen entwickelten aus vagen Ideen Geschichten, schrieben ihre Texte auf altmodisches Papier oder tippten sie in ihre Mobiltelefone, immer begleitet von kleinen theaterpädagogischen Unterbrechungen. Zu guter Letzt gab Jutta Steinbusch den jungen Autorinnen und Autoren Tipps und Anregungen, wie sie mit pointiertem szenischem Lesen das Publikum fesseln und ihren Texten noch mehr Wirkung verleihen können. Der Kurs wurde vom Land NRW finanziert und war daher samt Verpflegung für die Teilnehmer kostenlos. Und, wie auch im vergangenen Jahr, war KingKalli der Medienpartner der Werkstatt: Die Teilnehmer hatten die Möglichkeit, KingKalliHerausgeberin Birgit Franchy ihre im Workshop verfassten Geschichten zu schicken.

Impressum Ergänzung zu KingKalli 67 Verlag um die Ecke | Inh. Birgit Franchy Kasinostraße 73 | 52066 Aachen 0241 5153844 | info@kingkalli.de www.kingkalli.de Redaktion: Birgit Franchy (v. i. S. d. P.), Foto Cover: Ron Chapple studios/Hemera/thinkstockphoto


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KingKalli EXTRA

Foto: Ryan McVay/Photodisc/thinkstockphoto

Kristoph stirbt. Von Leon

Es ist ein Blitzeinschlag, der ihm gerade das Leben nimmt. Er kam völlig unerwartet, gerade als Kristoph zum Supermarkt ging, um sich noch kurz die fehlende Milch für den Kuchen zu holen. Seinen Geburtstagskuchen. Naja, eigentlich ging er nicht direkt zum Laden. Ein netter junger Mann hielt ihn an und bat ihn um etwas. Eigentlich wollte Kristoph ablehnen, aber als der Räuber seine Waffe aus dem Mantel zog, sah Kristoph sich gezwungen, ihm doch die

Brieftasche auszuhändigen. Samt Handy, Armbanduhr etc. Wo wir bei der Armbanduhr sind, die Garantie von Kristophs sehr wertvoller vergoldeter Armbanduhr war zufälligerweise genau in dem Moment abgelaufen, in dem die Uhr von einem hüpfenden Stein beschädigt wurde. Dass der Stein hüpfte, lag an einem Erdbeben, das die Umgebung um genau 8.30 Uhr erfasste, was man an der kaputten Armbanduhr des Räubers sehen konnte. Das Erdbeben löste übrigens einen Vulkanausbruch aus.

Die daraus entstandene Aschewolke zog bis zu anderen Kontinenten, zum Beispiel Europa, wohin sein todkranker Großvater zur Erholung geschickt worden war, welcher gerade sein Testament abänderte, in welchem er Kristoph zugunsten des Verbundes für die Errichtung fortschrittlicher Sicherheitsmaßnahmen bei Naturkatastrophen enterbte. Kristophs letzte Gedanken waren: So fühlt es sich also an zu sterben ... was wohl danach kommt ... vielleicht ...


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Foto: MidoSemsem/iStock/thinkstockphoto

cold. Von Paula Zuiderduin Das Wasser war kalt. Als ich den Luftbläschen, die aus meinem Mund an die Oberfläche stiegen, nachsah, sah ich die Eisschollen, die über meinem Kopf trieben. Das Wasser sog sich in meine Jeans und zog mich nach unten, weg von dem rettenden Loch in der Eisdecke, durch das ich gebrochen war. Panik packte mich. Die Luft wurde knapp, und die Kälte brannte bis tief in meine Knochen. Es tat weh, es tat höllisch weh. Es fühlte sich an, als würde ich verbrennen, in einem eisigen Feuer. Ich wollte schreien, doch ein letztes bisschen Vernunft ermahnte mich, nicht den Mund zu öffnen, um keine kostbare Luft entweichen zu lassen. Ich musste hier raus! Ich strampelte mit den Beinen und versuchte, an die Oberfläche zu gelangen. Doch alles, was passierte, war, dass ich immer weiter wegtrieb von dem Loch im Eis.

Die Kälte hatte mich inzwischen fest im Griff und lähmte jede meiner Bewegungen. Mein Herz kämpfte gegen die Kälte und schlug immer heftiger gegen meine Rippen. Es würde verlieren. Nach einer gefühlten Ewigkeit verstummte es fast ganz, um dann wieder leise und unregelmäßig weiterzuschlagen. Ich sank immer tiefer und wehrte mich nicht mehr. Ich war schwach und das eisige Wasser umschloss mich, fast als wollte es mich umarmen. Es war so still. Das Einzige, das man hören konnte, war das Stolpern meines Herzens. Ich schloss die Augen. Eine letzte Luftblase entstieg meinem Mund, mein Herz holperte noch ein paar Mal, dann war Stille. Ich fiel in ein bodenloses Nichts. Es war okay. Mir war warm und die Stille trug mich fort von dem Schmerz und der Angst. Es war vorbei ...


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KingKalli EXTRA

Grenzen Von Feline Coenjarts Sie spürte seinen Blick auf sich ruhen. Verkrampft versuchte sie, woandershin zu schauen. Leise zählte sie bis drei und drehte sich dann zu ihm um. Sie versuchte, ihn böse anzuschauen wie die letzten zehn Male auch. Doch erneut fingen ihre Mundwinkel an zu zucken, als sich ihre Blicke trafen. Er schmunzelte. In seinen braunen Augen erschien ein Leuchten. Verzweifelt versuchte sie, ihr Gesicht wieder zu kontrollieren, doch das Lächeln hatte sich schon auf ihre Lippen gestohlen. Da verzogen sich seine vollen Lippen zu einem breiten Grinsen, und kleine Grübchen bildeten sich um seinen Mund herum. Während er sich langsam durch seine braunen, fast schwarzen Haare strich, zwinkerte er ihr zu. Das Blut schoss ihr in die Wangen, und sie drehte sich schnell um. Sie hasste es, beobachtet zu werden, begutachtet. Bei seinem Blick fühlte sie sich nackt und hilflos. Sie zwang sich, ein- und auszuatmen. Auf einmal wünschte sie sich einfach nur weg. Weg von diesem komischen Jugendtreff, zu dem ihre Eltern sie gezwungen hatten. Weg von diesem Jungen, der sie offen anstarrte und sie verwirrte. Noch bevor er aufgestanden war, wusste sie, was er tun würde. Nervös ging sie in die entgegengesetzte Richtung, auf die Mädchentoiletten zu. „Hey, lauf nicht weg!“ Er fasste sie an der Schulter an, um sie zu sich herum zu ziehen. Automatisch wich sie seiner Berührung aus und ging einen Schritt zurück. Ihm schien aufgefallen zu sein, wie unangenehm ihr seine Berührung gewesen war. „Oh, sorry, ich wollte dich nicht verschrecken.“ Sie schaute ihn weiterhin nur an und sagte nichts. Von Nahem sah sie viele kleine Sommersprossen

auf seiner Nase und unter seinen Augen. An seiner linken Halsseite verlief eine zehn Zentimeter lange Narbe, von seinem Ohr bis zur Halsschlagader. „Ich heiße Sebastian", versuchte er die Stille zu unterbrechen. Doch sie ging nicht drauf ein. Seine Nase war leicht gebogen, als wäre sie einmal gebrochen gewesen. „Und du?“ Seine dunkle Stimme gefiel ihr, sie war warm und angenehm. Bevor sie wusste, was sie tat, machte sie einen Schritt vor und berührte vorsichtig seine Narbe. Als hätte sie sich verbrannt, zog sie blitzschnell ihre Hand wieder weg. Sebastian lächelte. Sie atmete zweimal tief ein und aus, und dann hatte sie ihre Kontrolle zurückgewonnen. Sie schaute ihm fest in die Augen und sagte gepresst: „Lass mich in Ruhe!“ Noch bevor er etwas sagen konnte, drehte sie sich um, riss die Tür zur Mädchentoilette auf und verschwand hinter ihr. Mit dem Rücken zur Türe sank sie zu Boden. Sie zog ihre Knie ganz nah an ihren Körper und bewegte sich nicht mehr. Während sie so dasaß, baute sie langsam ihre innere Mauer wieder auf, Stein für Stein. Nach vier Minuten, die ihr wie Stunden vorkamen, erhob sie sich wieder. Als sie in den Spiegel schaute, sah sie ein Mädchen, das alles unter Kontrolle zu haben schien. Was für eine Lüge. Gekonnt band sie ihre blonden Locken zu einem straffen Pferdeschwanz. Sie stellte sich gerade hin, atmete noch einmal tief ein, dann trat sie hinaus auf den Gang. Sebastian lehnte lässig an der Wand. Sie verspürte kurz Freude darüber, dass er auf sie gewartet hatte. Doch noch schneller, als das Gefühl aufgekommen war, verdrängte sie es wieder. Ihre Miene

war ernst. „Komm schon, verrate mir wenigstens deinen Namen“, sagte er. Sie ging an ihm vorbei, ohne ihn anzuschauen. „Hey, warte doch auf mich!“ Sie beschleunigte ihre Schritte. Wie gerne hätte sie sich umgedreht und ihm ihren Namen gesagt, vielleicht hätte sie ihm sogar ihre Nummer gegeben. Jedoch ging es nicht. Sie konnte nicht. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten. Sie spürte, wie sich ihre Fingernägel in ihre Haut bohrten. Auf seltsame Weise beruhigte sie der Schmerz. Sie hörte, wie er ihr folgte. Seine Schritte waren direkt hinter ihr. „So leicht kommst du mir nicht davon!“ Da war es wieder, das Lächeln, das sie einfach nicht verhindern konnte. Sie war froh, dass er es nicht sehen konnte. Im Stillen verfluchte sie sich selbst. Beherrsch dich! Kontrolle! Darum geht es doch immer! Wer die Kontrolle verliert, wird verletzbar und kann einpacken, wisperte eine kalte Stimme in ihr. Er ging nun so nah hinter ihr, dass sie seine Körperwärme spüren konnte. Sie blieb plötzlich stehen. Sebastian sah sie überrascht an und konnte sich gerade noch fangen, bevor er gegen sie stieß. Sein Anblick fesselte sie. Sie öffnete den Mund, als wollte sie etwas sagen, doch da dachte sie an die Stimme. Verletzbar. Nein, das wollte sie nicht sein, niemals! Sie schaute weg und ging dann weiter. „Hey, dir ist hoffentlich klar, dass ich es morgen wieder versuchen werde, oder? Und übermorgen und überübermorgen.“ „Und dir ist hoffentlich klar, dass du deine Zeit verschwenden wirst.“ Sebastian blieb stehen. „Ich geb nicht so leicht auf.“ Sie ging wortlos. Er folgte ihr nicht. Im Gegensatz zu ihrem Lächeln. Es blieb den ganzen Tag, egal, was die Stimme ihr sagte.

Foto: BrianBrownImages/iStock/thinkstockphoto


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Die andere Dimension Von Nico Kümmel

Prolog Grenzen. Es gibt so viele verschiedene Arten von Grenzen: Mauern, Landesgrenzen, Luftgrenzen – und die Dimensionsgrenze.

Kapitel 1 „Jaklin!“ Nichts. „Jaklin, wir verpassen unseren Flug!“, schrie ich. Ich, Leonard Wielser, und meine Mitbewohnerin Jaklin fliegen zum ersten Mal zusammen in den Urlaub. „Jaja, Leo, ich komme, packe nur schnell die Koffer.“ „Aber das tust du schon seit einer Stunde.“ Jaklin wurde wütend. „Sei doch mal entspannt, unser Flug geht erst in … einer Stunde los!“ Sie schmiss die Koffer in den Kofferraum, knallte die Tür zu und rief: „Na los, fahr!“ Eine Stunde, um von der Kölner Innenstadt zum Flughafen zu fahren, die Kontrollen zu passieren, die Personalien überprüfen zu lassen und ins Flugzeug zu steigen. Das war unmöglich. Vielleicht, wenn wir einen Ferrari hätten. Aber so etwas hatten wir nicht, wir mussten mit dem alten VW-Bus fahren. Als wir ankamen, verriet mir meine Uhr: noch 30 Minuten. Schnell einchecken. Dann rannten wir zur Sicherheitskontrolle. Dort angekommen, musste ich mich abtasten lassen, nur wegen meinem Gürtel, den ich vergessen hatte auszuziehen. Noch eine Minute. Und wir mussten noch den richtigen Abflugschalter finden.

Kapitel 2

Meine Uhr piepste. Die Zeit war um. Am Flugschalter fragten wir, wo der Airbus A440 nach Australien sei. „Sie sind fünf Minuten zu spät gekommen, die Maschine ist bereits gestartet“, sagte die Dame am Schalter freundlich. „Mist!“, schrie Jaklin, sie regte sich nämlich sehr schnell auf. Da kam ein Herr im schwarzen Anzug und fragte: „Sie haben ihren Flug verpasst?“ Ich antwortete: „Ja.“ Jaklin kam näher, der Herr sagte: „Ich biete Ihnen den Flug an, den sie verpasst haben.“ „Und wie?“, fragte ich. „Wir von save your flight bieten Ihnen an, Ihren verpassten Flug mit einer Privatmaschine zu fliegen. Wo soll es den hingehen?“ „Australien“, fiel Jaklin mir ins Wort. „Gut, wir starten in zehn Minuten. Hangar 11.“ „Alles klar!“, rief meine Freundin. Mir kam das komisch vor, aber ich ließ mich drauf ein. Das Flugzeug hatte schon bessere Tage gesehen, aber Hauptsache, es fliegt uns nach Australien, dachte ich. Der Pilot erwartete uns bereits. Mit einem unheimlichen Lächeln sagte er: „Angenehmen Flug wünsche ich Ihnen.“ Im Flugzeug meinte Jaklin: „So ein Glück, Leo, jetzt kommen wir doch noch nach

Foto: Ingram Publishing/thinkstockphoto

Australien.“ Ich nickte stumm. Die ganze Sache war komisch. Ich schaute im Internet nach, ob es eine ,save your flight‘-Fluggesellschaft gab: Fehlanzeige.

Kapitel 3

Jaklin war eingeschlafen, aber ich blieb wach. Ich schaute aus dem Fenster, als mir etwas auffiel: Wir flogen über den Atlantischen Ozean und nicht über den Indischen. Woran ich das erkannt habe? Es gab ganz viele kleine Inseln, die es im Indischen Ozean nicht gibt. Irgendwann übermannte aber auch mich die Müdigkeit, und ich schlief ein. Doch ich kam nicht wirklich zur Ruhe, und schon bald weckten mich ein heftiges Rütteln und das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Ich sah aus dem Fenster. Und blickte direkt auf den brennenden Motor. Ich sprang auf und rannte zum Cockpit, wobei ich versehentlich Jaklin wegstieß, die mir etwas nachrief, das ich aber nicht verstand. Ich riss die Cockpittür auf: Der Pilot war nicht da. Und das Flugzeug stürzte ab. Das Rütteln wurde immer heftiger. Unser Gepäck flog kreuz und quer in der Kabine umher. Einer unserer schweren Koffer rammte die Tür und stieß sie auf. Ein unfassbarer Luftsog wollte mich aus dem Flugzeug zerren. Ich klammerte mich mit Händen und Füßen an den Türrahmen. Jaklin sprang aus ihrem Sitz auf. Der Sog riss sie im Bruchteil einer Sekunde in die Luft und aus dem Flugzeug heraus. „Neeeeein, Jaklin!“, schrie ich ihr hinterher. Das Flugzeug stürzte über einer Insel ab. Als mich das Wasser erfasste, zog es mich wie eine packende Hand hinunter in die Tiefe. Mit letzter Kraft kämpfte ich mich an die Oberfläche und hinüber zur Insel. Am Strand kam ich mühsam wieder zu Atem. Dann trocknete ich meine Klamotten und dachte über diesen seltsamen Flug nach. Es begann dunkel zu werden, und ich suchte mir Holz, um ein Feuer zu machen. Während der Mond über dem Ozean aufstieg, brachten mich der leise Wind und das knisternde Feuer zum Einschlafen.

Kapitel 4 Nachdem ich am Morgen aufgewacht war, ging ich in den Urwald der Insel. Das Gras unter meinen Füßen raschelte, und Millionen kleiner Tierchen liefen am Wegrand entlang. Nach gefühlten drei Stunden bemerkte ich eine riesige Steinformation, die mich immer tiefer ins Herz der Insel führte. Ich dachte die ganze Zeit an Jaklin. Wie sie mich angestarrt hatte, als sie aus dem Flugzeug gesogen wurde, dieser Blick des Entsetzens. Furchtbar. Ich bemerkte gar nicht, wie ich weiterlief, aber als ich irgendwann stehen blieb und mich umsah,

erkannte ich, dass die Steine eine Art Eingang umrahmten. Ich blickte hindurch und sah eine ziemlich große Tropfsteinhöhle mit einem merkwürdig blau leuchtenden Licht. Langsam betrat ich die Höhle. Meine Schritte schallten von den Wänden zu mir zurück. Am Ende der Höhle sah ich eine graue Wand, die einige Kratzer aufwies. Die können niemals von einem Tier stammen, dachte ich. Etwas war seltsam. Ich wollte die Kratzer berühren, doch meine Hand ging durch die Wand. Ich probierte es mit dem linken Fuß, dann mit dem rechten und schließlich sprang ich einfach in die Wand hinein. Dass ich als erster Mensch die Dimensionsgrenze entdeckt hatte, war mir zu dem Zeitpunkt nicht klar.

Kapitel 5 Ich blickte in eine kalte graue Wüste zu meiner rechten Seite, und zu meiner linken Seite wuchs eine Stadt aus dem Nichts. Sie war irgendwie seltsam aufgebaut, wie wenn man aus Schulsachen ein Gebäude baut. Ich ging langsam in Richtung Stadt. In einem der Häuser erblickte ich zwei glühende rote Augenpaare, die mich durch ein Fenster anstarrten. Rasch putzte ich meine Brille, doch als ich wieder hinsah, waren sie weg. Ich drehte mich um, da packte mich etwas von hinten und brachte mich zu Boden. Ich erkannte den Angreifer nicht, denn ich war zu beschäftigt damit, mich aus seinen Griffen zu lösen. Als ich mich befreien konnte, rannte ich Hals über Kopf weg, ohne mich nach dem Übeltäter umzuschauen. Vor mir tauchte plötzlich der Pilot im schwarzen Anzug auf. „Bitte, helfen Sie mir!“, schrie ich. Doch der Pilot sagte nichts, er lächelte nur boshaft und nahm seine Gesichtsmaske ab. Es war Jaklin. „Aber du bist tot!“, schrie ich. „Du und der Pilot, ihr …“ Drohend kam sie näher.

Kapitel 6 Mein Adrenalin ließ mich so schnell aufwachen, dass es beinahe weh tat. Ich war zu Hause und hatte noch meinen verschwitzten Schlafanzug an. Alles war normal, es war der 28. September, 7:35 Uhr. Es war der Tag, an dem ich und meine Mitbewohnerin Jaklin zum ersten Mal zusammen in den Urlaub fliegen und unsere Maschine hebt um 9:00 Uhr ab … „JAKLIN!“

Epilog Grenzen. Es gibt so viele verschiedene Arten von Grenzen: Mauern. Landesgrenzen, Luftgrenzen, Dimensionsgrenzen – und die Traumgrenze, durch die ich nicht nur diese Nacht trat.


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