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Am Anfang steht die Familienpolitik

Sibylle Keupen möchte Oberbürgermeisterin von Aachen werden

Sibylle Keupen kennt man in Aachen vor allem als umtriebige und gut vernetzte Leiterin der Kultur- und Bildungseinrichtung Bleiberger Fabrik. Jetzt kandidiert sie als Parteilose für die Grünen als Oberbürgermeisterkandidatin. Ein Grund für uns, ihr einen Besuch abzustatten. Katrin Lückhoff hat sie in ihrem Pop-up-Bürgerund-Bürgerinnen-Treff in der Pontstraße besucht. Die Ideen der anderen Oberbürgermeisterkandidaten werden wir online vorstellen.

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Ganz nah dran sein an den Aachenerinnen und Aachenern, das möchte Sibylle Keupen. Ganz viel zuhören und die Ideen der Schwarmintelligenz der Stadt miteinbeziehen sind wichtige Leitsätze ihres Handelns. In ihrem Bürger- und Bürgerinnen-Treff in der Pontstraße 28 steht sie daher für alle Interessierten bereit und führt Gespräche über Themen, die den Menschen am Herzen liegen. An der Wünschewand sind die Anregungen für Veränderungen in der Stadt prägnant formuliert und auf bunten Karten festgehalten.

Wir sitzen mit Sibylle Keupen auf mobilen Papphockern im Häuserschatten gegenüber ihrem Wahlbüro in der Pontstraße. Etwas ungewöhnlich für ein Interview, die Leute bummeln vorbei, aber die frische Luft weht an diesem sehr warmen Sommertag angenehm um die Nase. Vielleicht ist diese Szenerie ein Sinnbild für den neuen Wind, der Sibylle Keupen bei ihren kommunalpolitischen Vorhaben beflügelt. Schon allein die Tatsache, dass sie als Frau kandidiert und möglicherweise die erste Oberbürgermeisterin von Aachen sein wird, ist ein Novum. 16

Sibylle Keupen, seit 25 Jahren Leiterin der Kultur- und Bildungseinrichtung Bleiberger Fabrik, ist parteilos, auch wenn sie für die Grünen kandidiert. Diese haben sie als Kandidatin gewinnen können, denn sie steht hinter den Inhalten der Grünen. Dennoch ist ihr wichtig, ihre Unabhängigkeit zu betonen: „Ich stimme zu 100 Prozent mit den grünen Inhalten überein und denke, als Oberbürgermeisterin wäre es eine besondere Chance, mit einer grünen Perspektive hier in der Stadt die verschiedenen Kräfte zusammenzubringen.“ Sibylle Keupen hat ihr Programm auf verschiedenen Themenkarten zusammengefasst. Familie, Wirtschaft, Nahverkehr, Einzelhandel, Bildung, Klima, Soziales, Gleichberechtigung von Frauen. Dieses Kartensystem wird ergänzt und verfeinert mit Hilfe der Anregungen, die aus den Gesprächen mit den Bewohnerinnen und Bewohnern Aachens resultieren. So gesehen gleichen die Karten Navigationskarten durch die politischen Gefilde.

Familienpolitik im Fokus

Eine sehr bedeutsame Karte ist die der Familie. Gerade ein gutes Betreuungskonzept liegt Frau Keupen am Herzen, da mit ihm auch die Stärkung der Frauen in der Gesellschaft zusammenhängt. „Man braucht eine gesicherte, nahräumliche Betreuung, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verlässlich zu gestalten. Es ist ein Unding, dass Kitaplätze schon vor der Geburt gesucht werden müssen. Wir haben zwar in Aachen schon einen hohen Versorgungsgrad, trotzdem haben viele junge Familien das Problem, dass sie von Katrin Lückhoff erstens den Platz zu spät bekommen, dass er oftmals am anderen Ende der Stadt ist und dass die Zeiten nicht passen.“ Diese Herausforderungen und vor allem das Thema Randzeitenbetreuung hängen natürlich auch mit Fragestellungen zusammen, die die Gestaltung und Zukunft von Arbeit betreffen. „Da kann man von den nordischen Ländern sehr viel lernen, da wird kein Meeting nach 16 Uhr einberufen“, erzählt Sibylle Keupen. Auch in der verstärkten Förderung von Betriebskindergärten sieht sie die Chance, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern. In diesem Kontext würde sie als Oberbürgermeisterin gerne Firmen zusammenbringen, die dann einen gemeinsamen Kindergarten unterhalten könnten. Auch hier wird deutlich, dass Sibylle Keupen die Rolle der Oberbürgermeisterin als die der Stadtgestalterin und Stadtverbinderin begreift, welche die verschiedenen Kräfte bündelt.

Wichtig sei auch, dass Arbeitnehmer/innen ihre Arbeitszeiten flexibler gestalten und, wenn gewünscht und möglich, im Homeoffice arbeiten könnten. Corona hat gezeigt, dass das Homeoffice durch die Digitalisierung funktioniert, allerdings hat sich auch gezeigt, dass diese Arbeitssituation für Frauen oft nur viel „home“ und wenig „office“ bedeutet hat. Auch Sibylle Keupen sieht die Gefahr, dass der Trend zu mehr Homeoffice auf dem Rücken der Frauen ausgetragen wird, da viele Frauen in der Corona-Krise ihre Arbeitszeit reduziert haben, um den Spagat zwischen Job und Familie zu schaffen, während die Männer weiter Vollzeit arbeiten. Es fände also teilweise ein Rückfall in traditionelles Rollenverhalten statt, sodass man bei der Entwicklung zu mehr Homeoffice stets aufmerksam bleiben müsse. Auch andere Themen, die Familie und besonders die Rolle von Frauen in der Gesellschaft betreffend, liegen Sibylle Keupen am Herzen. So lautet die Forderung auf der ersten Karte ihres Wahlprogramms in Häppchen: Wir brauchen die Familienprämie jetzt! „Es geht dabei um die Wertschätzung der Familie und darum, Familienarbeit als Arbeit und als Beitrag zum wirtschaftlichen Wachstum anzuerkennen, ohne den die Gesellschaft nicht kann, die aber nicht entsprechend honoriert wird. Diese 300 Euro Familienbonus, die jetzt auf die Familien ausgeschüttet werden, sind nur ein kleines Trostpflaster. Das sind natürlich bundesweite Fragen. Es geht um die Anerkennung der Familienzeit in der Rente. Frauen, die ihr Leben lang in diesem Bereich Arbeit geleistet haben, dürfen im Alter nicht arm sein“, führt Sibylle Keupen aus. Ein bedingungsloses Grundeinkommen sei für sie in diesem Kontext ein Thema von Bedeutung.

Stadtplanung, Wohnformen und Mobilität: den Bürgernund Bürgerinnen ihre Stadt zurückgeben

Nicht nur eine gute Kitabetreuung ist notwendig, damit Mütter und Väter erwerbstätig sein können. Auch Altenpflege ist ein wichtiges Thema, gerade damit Frauen nicht immer in der Versorgungsrolle bleiben. Hier stellt sich die Oberbürgermeisterkandidatin auch die Etablierung von flexibleren Wohnformen vor. So zum Beispiel durch die Schaffung von Mehrgenerationenhäusern. Da habe man unter Umständen die Möglichkeit, dass sich die älteren Bewohner um die Kinder im Wohnhof kümmern oder dass die Jungen für die Älteren einkaufen. „In solchen Konzepten kann man beim bürgerschaftlichen Miteinander und Füreinander-Sorge-Tragen kleinteilig ansetzen – allerdings nicht, um staatliche Hilfe zu kompensieren und die Verantwortung allein auf private Initiativen zu verlagern“, betont sie. Das Bürgerleben generell stärker zu aktivieren und die soziale Verantwortung zu fördern, sind dennoch zwei Aspekte, die sie sich in noch stärkerem Ausmaße für Aachen wünscht. In dieses Bild passt auch Sibylle Keupens Wunsch und Vorhaben, die einzelnen Stadtteile zu stärken, indem kleine Projekte und Ideen in den Vierteln umgesetzt werden und auch kleine Geschäfte in den jeweiligen Quartieren aufleben können.

Innenstadt als bunter Treffpunkt für die Aachener Auch wenn Sibylle Keupen gerne die einzelnen Stadtteile fördern möchte, um im kleinen Rahmen Stadtentwicklungsprozesse voranzutreiben, ist ihr auch die Gestaltung der Innenstadt sehr wichtig, deren Zustand von vielen Aachenern und Aachenerinnen beklagt wird. „Ich will die Innenstadt den Bürger und Bürgerinnen zurückgeben. Die Innenstadt ist der Ort, wo alles zusammenkommt in der Stadt, und dem will ich auch einen Raum geben. Wir brauchen ein Haus für die Bürgerinnen und Bürgerinnen der Stadt, ein Haus, wo Bildung passiert, die Bibliothek ihren Ort findet, wo wir Veranstaltungen machen können, wo Vereine andocken können, wo man einen günstigen Kaffee bekommt, wo man vielleicht ein Repair-Café hat. Also ein wirkliches Bürgerzentrum in der Mitte der Stadt“, führt Sibylle Keupen aus. Ihre Vision kann man also so fassen, dass sie sich einerseits Dezentralisierung und Identifikation mit den einzelnen Stadtteilen, in denen man sich zu Hause fühlt, wünscht, aber gleichzeitig soll auch das Bewusstsein „wir sind eine Stadt“ gefördert werden, insbesondere durch solche Dinge, die man nicht unbedingt dezentral durchsetzen kann wie z. B. kulturelle Veranstaltungen oder Urban Art. „Ich bin davon überzeugt, wenn man so eine Mitte der Bürger und Bürgerinnen schafft, dann halten sich die Menschen auch in der Stadt auf und können so den Handel antreiben.“ Vernetzen und aus wenig viel machen – Keupen profitiert von langjähriger Erfahrung

Auch in Bezug auf Mobilität gilt der Ansatz, die Stadt den Bürgern und Bürgerinnen zurückzugeben: Man müsse stärker vom Fußgänger und Radfahrer aus denken und den ÖPNV attraktiv machen. „Das heißt nicht, dass man das Auto verteufeln muss, sondern dass wir schauen: Wie kriegen wir das gut gelöst? Wie kann jeder nach seinen Möglichkeiten die Stadt nutzen? Vielleicht kann man einen selbstfahrenden Bus installieren, der Menschen von einem Parkhaus am Rand der Stadt ins Zentrum bringt.“

Aachen attraktiv gestalten: Kräfte bündeln und für eine Vernetzung in der Euregio sorgen Aachen attraktiv und lebenswert gestalten, das ist die Aufgabe, die eine moderne Stadtpolitik ausmacht und der sich Sibylle Keupen verschreibt. Aber wie erreicht man dieses Ziel? „Das alles ist ein Gesamtpaket. Es fängt an bei der Kinderbetreuung, geht weiter bei einer lebendigen Innenstadt und es geht auch um eine gute Vernetzung in der Euregio. Es ist ein super Fundus, den wir haben, den wir viel zu wenig ausnutzen – auch in der Expertise, die da ist im Miteinander. Aachen ist eine Stadt, die für Innovation steht, das ist natürlich auch ein Standortfaktor.“ Trotzdem gelte es, den Blick nicht nur auf die innovative Technik zu richten, sondern auch dahin, wo Armut ist, wo die Menschen nicht den Anschluss kriegen, bei den Kindern, die ihre Bildungschancen nicht bekommen oder ihre Bildungschancen nicht wahrnehmen können. Das Wichtigste sei dabei, dass man anfängt, Ideen wirklich umzusetzen, und dass nicht nur Konzepte gemacht werden, die dann in den Schubladen landen und nicht umgesetzt werden. „Für mich ist die zentrale Aufgabe der Politik und der Verwaltung, der Nährboden von Kooperationen zu sein und Menschen zusammenzubringen, zu hören, was es hier in der Stadt gibt – und zwar überall, vom Ostviertel bis zur RWTH“, führt Sibylle Keupen aus.

Aus wenig viel machen und die unterschiedlichsten Menschen zusammenbringen – das hat sie in ihrer Zeit als Leiterin der Bleiberger Fabrik gelernt. „Das Beste aus den Menschen rausholen ist ein Thema, wofür ich brenne, und zwar angefangen bei Kindern. Das ist auch der Grund, warum ich das alles mache, nämlich für die nächste Generation. Ich habe immer für Kinder und Jugendliche gearbeitet, das hat mich immer bewegt gehalten und das ist die Zukunft. Unsere Generation muss alles in die Waagschale legen, damit eine Zukunft für die nächste Generation gesichert ist. Ich hab ein gutes Leben gehabt und konnte alles machen, was ich wollte, und das will ich für meine Kinder und Enkelkinder auch“, fasst sie ihre Beweggründe für die Kandidatur zusammen und man hört und sieht deutlich, dass ihre Worte von Herzen kommen.

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