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Fotos: Kristjan Sulõnd

estland

Warm, aber sexy Das Label »Naiiv« kombiniert Blickfang und Kälteschutz.

In Estland feiern Volkskunsttraditionen bunte Auferstehung. Die kleine baltische Nation setzt nicht nur im IT-Bereich, sondern auch im Textildesign innovative Trends. Muster-Beispiele aus Tallinn. TExt: kai-uwe scholz

Bunte Mischung

Foto: Indrek Aija

Die frühere H&MDesignerin Liina Viira hat die Strick-Kollektion »Naaiv« entwickelt.

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ind es Runen? Sind es Zeichen? Enthalten sie eine Botschaft, all diese zackigen Sterne und Pfeile, Karos und Kreuze …? Wer in Estland genau hinschaut, entdeckt eine geheimnisvolle Zeichensprache. Geometrisch wirkende Symbole – eingeprägt in Schmuck, eingeritzt in Glas, eingewebt in Tücher und Tischdecken, Handschuhe, Strümpfe, Jacken und Röcke. Die schlichten Figurationen sehen uralt aus. Aber in stilisierter Form sind sie etwa auch an den Fenstern und Türen, Wänden und Decken des Restaurants »Kaerajaan« am Rathausmarkt in Estlands Hauptstadt Tallinn zu entdecken, in dem moderne estnische Küche serviert wird (www.kaerajaan.ee). Dort wirken sie ziemlich trendy … Die Esten sind die wirtschaftlichen Vorreiter unter den drei baltischen Völkern und haben vor allem in Sachen Informationstechnologie die Nase vorn. Das kleine Land mit gut 1,3 Millionen Einwohnern kokettiert mit dem Spitznamen E-Nation oder nennt sich gleich E-Estonia, weil hier vom E-Shopping bis zum E-Government fast alles per Mausklick machbar ist. Nicht von ungefähr wurde Skype maßgeblich von estnischen Programmierern entwickelt. Doch rücksichtslose Vorwärtsgewandtheit scheint nicht Sache der Esten zu sein, die ihre Unabhängigkeit von der Sowjetunion zusammen mit den Litauern und Letten nicht erzwangen, sondern buchstäblich ersangen. Nirgendwo zeigt sich die Besinnung auf das Eigene so deutlich wie an den riesigen Sängerfesten, an denen – gefühlt – das ganze Volk in seinem traditionellen

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Strick-Code Liina Viira greift auf uralte Muster zurück.

Liedgut schwelgt. Nicht nur in der berühmten Menschenkette, mit der im August 1989 zwei Millionen Menschen Hand in Hand die Via Baltica über 600 Kilometer vom litauischen Vilnius über das lettische Riga bis zum estnischen Tallinn singend säumten, brachten die Esten ihren Wunsch nach Freiheit und Aufbruch mit uralten Liedern zum Ausdruck. Sie hatten Erfolg. Auch im Design scheint das kreative Anknüpfen an Überliefertes ein Erfolgsrezept zu sein. Denn es gibt sie noch, die guten Dinge – gerade in Estland. So fertigt etwa die Textilgestalterin Riina Tomberg Kleidungsstücke, die in all ihren vielfältigen Mustern eine einzigartige Schlichtheit ausstrahlen. Kein Wunder,


Zu den originellen Weiterentwicklungen gehört Estland über, beschäftigte sich intensiv mit Sprache, die Kollektion von Liina Viira, die folkloristische Kultur und der althergebrachten estnischen StrickElemente mit psychedelisch anmutenden Farb- und kunst, nahm bereits 2006 erfolgreich am Tallinner Formexperimenten in poppig-schrille Mode verwan- Modewettbewerb »SuperNoova« teil, stellte 2009 delt. »Was für irre Motive, dachte ich angesichts der ihre erste Kollektion vor und eröffnete 2010 ihr eigealten Strickmuster«, erzählt die Textildesignerin. »Je- nes Geschäft in der Tallinner Pikk-Straße. Auch der estnische Landstrich, jedes Dorf hat andere Farben wenn Liina Viiras Label und Laden »Naiiv« heißen – und Strukturen. Daraus muss ich etwas machen!« – schnell muss sie gesehen haben, dass in den uralten Das ist ihr gelungen. Ornamenten ungeheures ästhetisches Potenzial steckt Liina Viira brachte in doppelter Hinsicht eine (www.naiiv.eu). Kein Gedanke an eine Rückkehr nach besondere Perspektive mit. Zum einen Schweden: Tallinn rege die Kreativiwar sie als Kind estnischer Eltern in tät an, sagt die heute 33-Jährige. Tallinn regt die In ihrer »Naiiv«-Kollektion steSchweden aufgewachsen, wohin ihre Kreativität an. Familie 1944 vor den heranrückenden chen junge Modefarben wie Pink sowjetischen Truppen geflüchtet war. oder Knallgrün hervor. Angesichts Als sie 1986, noch zu Sowjetzeiten, als Kind das erste der Witterung hier oben im Baltikum dürfe Mode Mal die Heimat ihrer Familie besuchte, fand sie die nicht nur Kunst sein, sondern müsse vor allem prakpolitische Lage unheimlich und das karge Angebot in tischen Zwecken dienen, sagt Liina Viira. Und mit den Geschäften bedrückend. Nach Wiedererlangung ihrer Kollektion sei man von Kopf bis Fuß auch auf der Unabhängigkeit hatte sich die Atmosphäre kom- den baltischen Frost eingestellt. Das stimmt: Wollene plett gewandelt. Nun konnte die Exil-Estin das Ver- Kapuzen halten die Köpfe, Stulpen die Hände und traute im scheinbar Fremden wahrnehmen. Dazu sogenannte Bärenhosen – auf Estnisch »Karubuxid« kam ein professioneller Blick. Denn zum anderen genannt – die Beine warm. Seit Kurzem gibt es auch hatte Liina Viira in Stockholm Textildesign studiert eine Männerkollektion, und gerade hat Liina Viira und sich dann beim schwedischen Modekonzern einen Schlafsack entworfen. Zu seinem OrnamentH&M hochgearbeitet – von einer Tätigkeit im Ver- schmuck gehören Zeichen und Symbole, die den darkauf zu Beginn bis zur Konzeptentwicklung am in Schlafenden durch ihren Abwehrzauber beschütSchluss. 2005 siedelte sie kurzentschlossen nach zen sollen.

Hingucker

Bodendecker Järgs Teppich »COWBERRY« mit eingewebten Filzbällchen sorgt für besondere Gehgefühle.

Fotos: Juta Kübarsepp

Textildesignerin Monika Järg bestickt sogar Fußbodenbretter.

orientiert sich die Strickkünstlerin doch an der über Jahrhunderte tradierten Ornamentik der baltischen Küstenbewohner, der sie sogar eine systematische Untersuchung in Buchform (über Troyer, Wämser und Westen – kurz über »Knitted Jackets« auf den estnischen Inseln) gewidmet hat. Der »Kaheksakand«, der achteckige Stern, ist so ein Symbol, das auf Mützen und Gürteln, Jacken und Kleidern getragen wurde, weil man sich dadurch Schutz und Hilfe versprach. Auf den Inseln ist solches Brauchtum vielerorts noch lebendig. Konsequenterweise ist Riina Tomberg in den 90er-Jahren von der Hauptstadt auf die Insel Saarema übergesiedelt, um näher an den ursprünglichen Traditionen dran zu sein. In Tallinn ist ihre Kollektion in den estnischen Volkskunstgeschäften – Eesti Käsitöö – präsent (www.folkart.ee). Welch eine Wohltat, zwischen all den fliegenden Souvenirhändlern, die den Touristen russische Matroschka-Puppen und Billig-Pullover made in Sonstwo als estnisches Kulturgut zu verkaufen versuchen, auf Tombergs Kollektion zu stoßen. Ihr windmühlenflügelartiges Signet könnte selbst eines der uralten VolkskunstOrnamente sein.

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Schallschlucker Järgs Wandpaneel »Moon« wirkt dekorativ und schalldämpfend zugleich.

Stoffscheren, Nagelscheren, Nähscheren,

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Foto: Tanja Muravskaja

MUSTERBEISPIELE

Ist die für mich?

Pullover im traditionellen estnischen Stil von Riina Tomberg.

Hauptgewinn

Zeichensprache Hocker-Kollektion »Kirikergo« von Kerttu Laane.

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LEuchtstoff

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Lumineszente Textilien von Mare Kelpman.

Ja! Wenn du eins unserer Nähprojekte nacharbeitest und das Ergebnis in der Rubrik: »Anleitungen«, Kategorie: »Magazin Gewinnspiel«, auf www.handmadekultur.de hochlädst. Zehn der besten und / oder meist geteilten Einreichungen kommen in den Lostopf.*

Foto: Estonian Design House

Es ist ein vielfältiger Formenschatz, der der estnischen Textildesignern als Quelle von Anregungen dient. Auch die Gestalterin Kerttu Laane arbeitet mit der Neuadaption solcher ästhetischen Strukturen. Sie lässt zum Beispiel alte Gürtelmuster in die Sitzflächen ihrer Stühle und Hocker flechten. »Kirikergo« nennt sie ihre Kollektion, die in Südestland gefertigt wird (www.otspuu.ee): »Kiri« heißt in Estnisch Muster und »Kergo« kleiner Hocker. Ihre Arbeiten sind im Tallinner Designzentrum »Eesti Disaini Maja« ausgestellt (www.estoniandesignhouse.ee). »Gerade haben wir einen Design-Wettbewerb zum Thema Tradition ausgerufen«, sagt Ilona Gurjanova, Leiterin des Zentrums und zugleich Vorsitzende des Estnischen Designerverbandes: »Anhand der Einreichungen wollen wir das gestalterische Potenzial unserer überlieferten Ästhetik auszuloten versuchen«. Doch Vorsicht: All solche historischen Formen, Muster und Ornamente seien Bedeutungsträger, die zum Verwendungszweck passen müssten, sagt Monika Järg. Die Weberei-Spezialistin kritisiert, dass das Pattern-Programm inzwischen wahllos selbst auf T-Shirts und Taschentuchpackungen gedruckt wird. Järg selbst schafft eigene Muster-Beispiele und kreiert aus dem regionaltypischen Materialfundus – Holz, Wolle, Filz – neuartige Produkte wie ihre »Floor Embroidery« – »Fußboden-Stickerei«, bei der Bodenbretter oder auch Teppiche mit ungewohnten und ungewöhnlichen Strukturen versehen werden (www. tekstiilruumis.ee). Ihr Produkt »Cowberry« – ein flauschiger Webteppich mit eingearbeiteten Filzbällen – verschafft ganz besondere Gehgefühle. »Auch ich glaube an das Potenzial Estlands«, sagt die 38-Jährige, setzt aber weniger auf ästhetische Wiederbelebung als auf technologische Weiterentwicklung. So hat sie mit ihren Wandpaneelen »Moon« Gestaltungslösungen für Schallschutzprobleme in Büros entwickelt und mit ihrem Mischgewebe »Fly« aus Leinen und Wolle sogar eine Webart optimiert.

Gewinnspiel

Wie avanciert die Esten Tradition und Hightech zuweilen miteinander verbinden, zeigen schließlich die Textilien von Mare Kelpman. Von ihr stammen Stoffe, die sie mit Fertigungstechnologien des 21. Jahrhunderts veredelt und in die sie etwa Strukturen aus dem bekannten historischen Fundus in lumineszenten Neonfarben einweben lässt (www.marekelpman.eu). Zur Produktpalette von »Kelpman textil« gehören neben Bekleidung, Schmuck, Gardinen und Raumteilern mit diesen Features sogar selbstleuchtende Kissen. Schaltet man die Nachttischlampe aus, glühen die Muster in der Dunkelheit noch lange nach. Ein leuchtendes Beispiel für estnische Innovationskraft. 

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68! Seite *Teilnahmebedingungen: Aus allen Einreichungen, die zwischen dem 7.11.2013 und dem 30.01.2014 auf www.handmadekultur.de, Rubrik: »Anleitungen«, Kategorie: »Magazin Gewinnspiel« hochgeladen werden, werden zehn Einreichungen der hier gezeigten Projekte von der HANDMADE Kultur Redaktion ausgewählt. Dabei geht die Jury nach folgenden Gesichtspunkten vor: Fünf Einreichungen werden aufgrund ihrer kreativen Umsetzung ausgewählt und fünf aufgrund der sogenannten » Shares« , die das jeweilige Posting mit Abschluss der Aktion erzielt hat (Facebook, Twitter, Kommentare, HANDMADE Kultur Herzen, Pinterest). An dem Wettbewerb können alle HANDMADE Kultur Leserinnen aus allen Ländern teilnehmen.

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