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Tanz und Mutterschaft
Johanna Kasperowitsch © Henrik Kaalund — ↑
Der Forschungsfilm Tanz und Mutterschaft lässt freischaffende Choreographinnen mit Kindern zu Themenfeldern wie Arbeitsalltag und Zukunftsvisionen zu Wort kommen
Es wurden fünf Künstlerinnen in unterschiedlichen Lebensphasen und -situationen zu ihren Erfahrungen, zu Schwierigkeiten und Wünschen in Bezug auf Elternschaft in Verbindung mit künstlerischem Schaffen befragt. Das Ergebnis gibt Einblicke in sehr persönliche Geschichten und formuliert sowohl Hürden als auch Potenziale des Mutter-Seins für den künstlerischen Prozess. Als Vertiefung dieser Studie ist die Veröffentlichung einer analogen Publikation Anfang 2022 vorgesehen, die das Thema durch fiktive Kurzgeschichten einerseits sinnlich zugänglich macht und andererseits Teile der Interviews detailliert aufarbeitet.
Johanna Kasperowitsch
Johanna Kasperowitsch ist freischaffende Performerin und Tanzwissenschaftlerin. Sie studierte zeitgenössischen Tanz an der HfMT Köln und arbeitete als Tänzerin mit zahlreichen Choreograph*innen im In- und Ausland. Seit ihrem Studium der Tanzwissenschaft an der FU Berlin entwickelt sie, zusätzlich zu ihrer Tanzpraxis, eine eigene Schreibpraxis. Aktuell liegt ihr Fokus auf kreativem Schreiben über Tanz und Choreographie. Johanna lebt überwiegend in Berlin.
GESCHICHTE, PRÄGUNG, ERFAHRUNG, ZUKUNFT, LEBENSREALITÄTEN VON CHOREOGRAPHINNEN
Eine Studie zu Tanz & Mutterschaft von Johanna Kasperowitsch
„Ich glaube, das Wichtigste ist, dass man es kommuniziert, dass man Kinder hat, egal, ob man nun die Choreographin ist, der Musiker oder die Tänzerin. Und dass man Fragen stellt (…) und man nicht alles allein rausfinden muss. Das finde ich wichtig. Es braucht auch eine Kultur der Nachsicht. Im Umkehrschluss darf aber auch bei denen, die keine Kinder haben, nicht das Gefühl aufkommen, dass Kinder immer für alles als Grund vorgeschoben werden. Die Gefahr besteht natürlich auch, dass ein Ungleichgewicht an Aufmerksamkeit in einer Gruppe entsteht. Beides sollte selbstverständlich sein. Vielleicht müssen wir in der ganzen Gesellschaft mehr daran arbeiten, dass Kinder keine Privatsache sind in dem Sinne, sondern dass sie zu unserem Leben gehören. Arbeit ist Leben und das Private ist auch Leben. Beides greift ineinander. Man muss nicht immer alles vor allen ausbreiten (…), aber ich denke schon, dass zu einem kinderfreundlichen Land gehört, dass man darüber spricht, dass man Kinder hat, wie es ihnen geht und wie es einem selbst damit geht.“ (Johanna Roggan im Interview, 2021)
Viele freischaffende Choreographinnen sind nicht nur Künstlerinnen, sondern auch Mütter. Zahlreiche Akteure und Akteurinnen der darstellenden Künste sind nicht nur Regisseur*innen, Dramaturg*innen, Tänzer*innen, Schauspieler*innen oder Musiker*innen, sondern auch Eltern. Weitgehend wird dieser wichtige Teilbereich des Lebens im professionellen Umfeld als abgetrennt vom künstlerischen Schaffen behandelt. Erst jüngere Tendenzen, zum Beispiel in Form von sich kollektiv organisierenden freischaffenden Choreographinnen und Tänzerinnen, machen auf das Thema Mutterschaft und Tanz aufmerksam. Vor allem im Zuge der Corona-Pandemie erhoben einige Künstlerinnen verstärkt ihre Stimme im Zusammenhang mit der Vereinbarkeit von Kunst und Familie. Wie können wir in Bezug auf Kinder in unseren künstlerischen Teams und Communities Solidarität, Offenheit und Nachsicht untereinander kultivieren? Wie schaffen wir es als Gesellschaft, vorgegebene und erlernte Rahmenbedingungen künstlerischer Prozesse flexibler und zugänglicher werden zu lassen? Wie können wir uns eine Reaktionsfähigkeit aneignen, die es uns ermöglicht, auf aktuelle persönliche Situationen unserer Mitmenschen Bezug zu nehmen und diese in unser Tun und Wirken mit einzubeziehen? Was bedeutet Professionalität im künstlerischen Prozess angesichts einer wachsenden Diversität seiner Beteiligten? Diese und weitere Fragen werden in vielen Konstellationen künstlerischer Zusammenarbeit aktuell reflektiert.
Mutterschaft bzw. Elternschaft sind Lebensbereiche, in denen genau diese Fragen präsent sind und tagtäglich ausgehandelt werden müssen. Entsprechendes Wissen von Müttern und Vätern ist für den künstlerischen Prozess wertvoll. Lösungsansätze müssen in großen Teilen nicht neu erfunden werden, sondern liegen in persönlichen Alltagsgeschichten und -erfahrungen aus Vergangenheit und Gegenwart. Alleinerziehende Tänzerinnen und Choreographinnen sind beispielsweise, durch besondere tägliche Herausforderungen was die Organisation ihres Alltags betrifft, Expertinnen in Bezug auf Vereinbarung von Kunst und Leben. Unter anderem ihre Erfahrungen gilt es als Potenzial zur Aushandlung eines neuen Professionalitätsbegriffes in den darstellenden Künsten zu nutzen, der den verinnerlichten Werten der ständigen Verfügbarkeit und Leistung neue und flexiblere Ansätze entgegensetzt. Es ist an der Zeit, verstärkt mit Müttern und Eltern ins Gespräch zu kommen und auf der Basis ihres Wissens neue Ideen von Zukunft und von Formen des WIR im künstlerischen Prozess entstehen zu lassen.
↓ — Mey Seifan, Probensituation mit Kind
When mixing all kinds of art forms—where do you locate the body in your work? Is it the fundament of it all or is the body the surface of projection that makes intellectual processes visible?
In my work, I’m busy with dance and writing. For me, intellectual reflection and writing is not necessarily always linked to the body. In my writing, I’m referring more to movement than to the body as a starting point. Having a background as professional dancer, I’m referring to writing and thinking as something in motion and in improvisation, something fluid, changeable, and flexible in its structure. You could say the body is linked to that indirectly, as something that is in constant motion and development, something that is an incredible source of movement. So, rather than the body, motion itself—may it be physical or intellectual—is my source of creation.
Do you think that the spheres female and male are still relevant categories that we humans need to define society?
I guess, these categories are still relevant and appropriate to some degree, but what they include and in which contexts / by whom they are used in our western societies is far too limited and narrow. I think, these categories need to be expanded, redefined, and used much more flexible The art world is still a male dominated sphere that acts in patriarchal hierarchies. What is your experience with that?
What I observe is that “male behaviour” is something that makes men and women act successfully within these patriarchal structures. Meaning performing power, guarantee output and work very hard, hide weaknesses, earning a lot of money, acting in an egoistic way, being able to make harsh decisions that could harm others. If women act this way, they can be very successful and high in these hierarchies as well. To change these patriarchal structures themselves, both men and women need to focus on other values. Answers to questions such as “What is success?”, “What is good performance?”, “How do we want to work together?”, “What is your perspective on art and life and what is mine?” must be redefined. The creative process should be thought of much more like a breathing and flexible structure that includes imperfection, solidarity, failure, unavailability, and weakness. Human characteristics that are there anyway and that can be made fruitful for creation instead of being denied. All of that is still not happening in many fields of the art world.
Is playfulness important in creation?
Absolutely!
Do you feel closer to people when making art with them?
Yes, totally. Getting to know people through the process of doing art with them is a way of getting to know them on many levels that wouldn’t be accessible as easily otherwise. Their thoughts, their habits, their creativity, their physicality become visible right away—as well as my own. Art, though, is not the only way to get very close to people. Physical touch, intensive talks or just taking time for being with each other are factors that can create emotional proximity as well.
How is your relationship with the past?
My history with other people.
The future?
My daughter.
The NOW?
My history with other people and my daughter.
People United Magazin
Gefördert vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen von NEUSTART KULTUR