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People United Mag 01 2021
People
Transition ins WIR
United
Ausgabe 01 2021
Léa Tirabasso — Robert Ssempijja — Elisabeth Schilling — Judith Kriebel — Nai Ni ChenMihara Keisuke — Johannes Steidle — Alexander Ourth — Julia Danila — Sonja Lau — Lliane LootsYaseen Manuel — Thobile Maphanga — Mamello Makhetha — Diana Gaya — Femi AdebajoRidwan Rasheed — Nora Amin — Johanna Kasperowitsch — Yuri Fortini — Gian Marco FunariJill Crovisier — Emanuela Iacopini — Felden Krisis — Lena Noske — Hannah Ma — Sebastian PurfürstChristin Reinartz — Valentina Zappa — Maher Abdul Moaty — Sergio Mel — Ritsuko Matsuoka
Performing Arts (on) Paper
Editorial
Yogi Berra
In den letzten zwei Jahren haben mein Team und ich Tode betrauert, Kinder geboren, uns verliebt, uns verirrt. Wir sind um die Welt gereist und im Lockdown eingefroren. Wir haben uns verloren und wiedergefunden, sind individuell und kollektiv verbrannt und wieder aufgestanden. Wo wird unsere Reise hingehen? Into the unknown.
Die brillante Vordenkerin Rosi Braidotti schreibt: “Unless one is at ease with multi-dimensional complexity, one cannot feel at home in the twenty-first century” (Posthuman Knowledge, Braidotti: 2019).
Mit dem Aufruf zu einer Transition ins WIR machen wir auf die Notwendigkeit des Überwindens unserer dualistischen und kategorisierenden Geisteshaltung aufmerksam. Nicht ICH bin. Wir sind. Eine Schöpfung, eine Welt, ein Schwarm. Koexistierend mit vielen anderen Entitäten. Vereint in allem was ist.
Mit vielfältigen Beiträgen und Bestandsaufnahmen von Künstler:innen aus aller Welt möchten wir verdeutlichen, wie sehr die Kunst uns ins Handeln bringt. Die Künste ermöglichen, uns zu äußern und unserer kreativen Natur Rechnung zu tragen. Diese Natur wiederum ist oftmals absurd und grotesk, aber auch verspielt und befreiend. Ebenso beschreibt auch die Choreografin Léa Tirabasso ihr Stück The Ephemeral Life of an Octopus.
Wie können wir sein? Was wollen wir sein? Was dürfen wir sein? Den Versuch einer Antwort wagt die nigerianische Future of Dance Company mit dem Tanzfilm YING YANG und gibt einen Einblick in ein Kunstschaffen weitab unserer westlichen, eurozentrisch geprägten Kulturlandschaft.
Buchstäblich aufwachen lässt uns die Choreografin Nai-Ni Chen – aus New York mit ihrem Beitrag AWAKENING. Ihre Choreografien beruhen auf den tiefen östlichen Weisheiten des Seins und erinnern uns an die Geheimnisse unserer Existenz.
In einer ebenfalls existenzielle Fragen betreffenden Arbeit nähert sich die Regisseurin Judith Kriebel mit DIE (ÜBER)STERBLI- CHEN. Eine letzte Reise – einem Bürger:innentheater – dem Tod an.
Nach Identität, Heimat und Verbindung suchen Kesuke Mihara und Johannes Steidle in Suminoka – Coal Flower und Robert Ssempijja in Alienation. Sie fragen sich, wo sie herkommen, wer sie sind – und lassen uns eintauchen in ihre ureigenen Welten.
Auch Yaseen Manuel fragt in seinen Arbeiten Al- Kitab und UN- HINGED für die FLATFOOT DANCE COMPANY nach Identität. In Al-Kitab versucht er die Balance zwischen Religion und einer Tänzerexistenz auszuloten. UNHINGED analysiert individuelle Zustände von Schizophrenie im heutigen Südafrika und fragt, ob es überhaupt so etwas wie eine „psychische Norm“ geben kann.
Diese Norm wird auch in Machozi ya Jana (Yesterday’s Tears) von Diana Gaya aus Kenia hinterfragt. Das von Träumen, Albträumen und Erinnerungen inspirierte Stück zeigt auf, wie schwer es sein kann, Vergangenes loszulassen und voranzuschreiten in eine ungewisse Zukunft.
Mit der deutschen Vergangenheit setzt sich der Trierer Regisseur Alexander Ourth auseinander. Die multimediale Performance Sternenköpfe Schlammfüße verhandelt fragmentarisch 1.700 Jahre dokumentiertes jüdisches Leben in Deutschland.
Auf ihrem Weg in die Zukunft vertanzt Mamello Makhetha aus Südafrika mit Ore Phelele auf beeindruckende Weise eine Geschichte von sexuellem Missbrauch und Trauma. Damit geht sie mutig weit über das hinaus, was im Rahmen von #metoo verhandelt wird.
Auch Dancing with Pain von Nora Amin ist eine performative Verarbeitung von Trauma. Sie nimmt uns mit auf eine Reise der Heilung und Auseinandersetzung mit dem Muttersein, dem Tochtersein und dem Tod.
Noch mehr vom Muttersein erzählt Johanna Kasperowitsch in ihrem Tanz-Forschungsfilm Tanz und Mutterschaft. Der interviewbasierte Film zeigt die Problemfelder unserer patriarchalen Denk- und Gesellschaftsstruktur auf.
Wie organisch und heil Transition sein kann, verdeutlichen Yuri Fortini mit der Fotostrecke ONÌRICO und Jill Crovisier mit ihrem Tanzfilm NILYNDA. Es ist die Zartheit, Verletzlichkeit und Unbeschwertheit, die der Nicht-Binarität innewohnt, die wir uns oftmals auf dem Weg in ein WIR noch versagen.
Dieser Weg kann möglicherweise über den Vorgang des Zauderns beschritten werden. Julia Danila und Sonja Lau ergründen den Zaudernden (Gesellschafts-) Körper in einer pandemischen Revision.
Der abwesende Körper wird Kunstgriff in der weltweiten Initiative Invisible Dances von Elisabeth Schilling. Invisible Dances macht auf die abwesenden Tänzer:innenkörper während der Pandemie aufmerksam und erhebt Städte und Landschaften zu deren stillen Bühnen.
Lena Noske interpretiert mit einem Gedicht das Tanzstück ONDA – Into the Unknown. Mit ONDA – ein Gedicht bringt sie die Performance wieder dahin, wo sie einst auch ihren Ursprung hatte – im geschriebenen und gesprochenen Wort. So bleibt, falls auch wir erneut nicht mehr tanzen, immerhin ein Gedicht als Spur unserer Arbeit.
Mit den Spuren, die übrig bleiben, wenn wir Orte verlassen, beschäftigt sich auch Thobile Maphanga in dem Tanzfilm Sihamba Sizibala.
Wer können wir sein? Wollen wir sein? Dürfen wir sein? Der Instagram-Account @somatic_based_content_only entspringt dem anonymen Künstlerkollektiv Felden Krisis und schafft es, kulturpolitische und -philosophische Fragen mit einem post-humanistischen, somatisch analytischen Körperbezug technofeministisch brillant zu verhandeln.
Mehr dazu auch im Beitrag ONDA – Into the Unknown. Mit der Initiative ONDA setzen sich mein Team „The People United“, der multimediale Künstler Sebastian M. Purfürst und ich uns mit der Beziehung von Mensch, Natur und Politik auseinander. Denn auch wir haben erkannt: „Yes, we are in this together: between the algorithmic devil and the acidified deep blue sea. …we need to learn to address these contradictions not only intellectually, but also affectively and to do so in an affirmative manner. This conviction rests on the following ethical rule: it is important to be worthy of our times, the better to act upon them, in both a critical and creative manner. It follows that we should approach our historical contradictions not as some sustainable burden, but rather as the building blocks of a sustainable present and an affirmative and hopeful future, even if this approach requires some drastic changes to our familiar mind-sets and established values.“ (Posthuman Knowledge, Braidotti: 2019).
Hannah Ma Herausgeberin
Auch die Choreografin Emanuela Iacopini arbeitet auf der Basis von somatischen Grundsätzen. In der Produktion Blast wird der Körper zu einem Moment in Raum und Zeit, in dem sich universale Dynamiken des Seins verbinden.
Unser Aufruf ins WIR ist ein Aufruf für eine kritische Hinterfragung von nicht-diversen Denkstrukturen in unser aller Bewusstsein. Es ist ein feministischer Appell an die Liebe und der Ruf nach Intimität – vor allem mit uns selbst. Liebe und Intimität sind politisch! Dieser Wahrheit dürfen wir uns nicht entziehen. Wir sind aufgerufen in ihrem Sinne zu handeln.
Welcome to People UnitedPerforming Arts (on) Paper
We are delighted to haveyou here!
Please come in as you are.
Gefördert vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen von NEUSTART KULTUR
MIT UNTERSTÜTZUNG VON:
PARTNER:INNEN:
PRODUKTION
hannahmadance | TUFA Tanz e. V. Wechselstrasse 4-6 | D-54290 Trier
AUSFÜHRENDE PRODUZENTINHannah Ma | The People United asbl
VERLAG
Conpep Verlag Ltd. Unterm Herrenberg 3 | D-54441 Wawern | www.kiteboarding.eu
HERAUSGEBERIN Hannah Ma
CHEFREDAKTEUR Dirk Seifert
MITARBEIT REDAKTION Lena Noske
LEKTORAT Julia James | TEXTlation
GRAFIK UND PRODUKTION Annick Kieffer, Claire Ramos | studiopolenta.com
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