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Retterin in Not

Foto: zVg

Er wird an einem Heiligen Abend Mitte der 1940er-Jahre geboren. Doch die Botschaft des Jesu-Kindes hat KAGes-Vorstandschef Karlheinz Tscheliessnigg offensichtlich nie erreicht. Zumindest im Fall des 15-jährigen Georg P., der gegen eine lebensbedrohende Krankheit kämpft und eine lebensrettende Spritze braucht.

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Georg wird seit zwei Jahren von der Grazer Anwältin Karin Prutsch vertreten. Er leidet an spinaler Muskelatrophie (SMA), Muskelschwund, der meist tödlich verläuft. Georg braucht eine teure Spritzentherapie, damit er überlebt. Private Spender haben das bisher ermöglicht. Seine Mutter Claudia Polic freut sich, dass die Therapie mit Spinraza wirkt: „Er legte dank des Medikaments an Gewicht zu, kann wieder greifen und feste Nahrung schlucken, muss nicht mehr beatmet werden.“ KAGes-Vorstandschef Karlheinz Tscheliessnigg lehnt die Behandlung ab. Laut Studien soll das Medikament nur bei kleinen Kindern wirksam sein. Die Behandlung muss lebenslang erfolgen. „Georg hat eindeutig von den Spinraza-Gaben profi tiert“, bewertet ein medizini-

scher Gutachter. Die Ärztinnen, die Georg am LKH Univ.-Klinikum in Graz – sie sind Spezialisten – schwören auf die Wirksamkeit der Spritze. Deren Anträge auf Genehmigung weist Karlheinz Tscheliessnigg als KAGes-Vorstandschef schroff zurück und ab. Das ist die Situation seit 2017. Die Familie ist verzweifelt. „Georg fragt sich, warum er nicht

weiterleben dürfe.“

KAGes-Nein zur Spritze

Vor wenigen Wochen fand eine neuerliche Verhandlungsrunde vor dem Zivilgericht in Graz statt. Karin Prutsch will die Steirischen Krankenanstalten Gesellschaft (KAGes) dazu bringen, die Therapiekosten zu übernehmen. Ergebnis gab es leider keines, es wurde wieder einmal vertagt. Doch Georg ist nicht allein. Er bekam Unterstützung von weiteren SMA-Betroffenen – in Form einer Mahnwache vor dem Gerichtsgebäude. Der medizinische Gutachter: Die Fortsetzung der Therapie sei zielführend und die nächste Spritze sei bald nötig. Ein rascher Gerichtsentscheid sei dringend erforderlich, betont der Gutachter. Würde die KAGes dazu verpfl ichtet, die Kosten zu tragen, wäre das

Grazer Anwältin Karin Prutsch, 47, vertritt „Medizin-Opfer“. Als deren letzte Hoffnung.

wegweisend für andere Spitäler. Wer ist dieser Karlheinz Tscheliessnigg? Er ist/war Herzchirurg und war Initiator für den mittlerweile eröffneten Neubau der Chirurgie in Graz. Tscheliessnigg und seine Mitstreiter gingen an die Öffentlichkeit und zeigten schwerste technische und bauliche Mängel der alten Chirurgie auf. Er ging als Klinikvorstand der Herzchirurgie in Pension, die steirische Landesregierung – genauer formuliert, der von ihr dominierte KAGes-Aufsichtsrat – „belohnte“ Tscheliessnigg mit dem hoch dotierten Posten des KAGesVorstandsvorsitzenden. Polemische Anmerkung: Mit nicht einmal vier Monatsgehältern ließe sich EINE lebensrettende Injektion fi nanzieren.

Karlheinz Tscheliessnigg kam vor knapp zwei Jahren gewaltig unter Beschuss: Als die Medien

Foto: Werner Stieber von gravierenden Fehlern mit tödlichem Ausgang bei Herztransplan-KAGes-Chef Karlheinz Tscheliessnigg tationen am Grazer Univ.Klinikum berichteten. Er aber war nicht bereit, Mängel einzugestehen, alles sei „Stand der Technik“. Er wies jede Verantwortung von sich. Es kam dennoch am Klinikum zum Stopp für Transplantationen.

Überlebenskampf

Zurück zum 15-jährigen Georg und seinem Überlebenskampf. Als Zeuge gibt Karlheinz Tscheliessnigg in der Verhandlung folgendes zu Protokoll: „Die beiden behandelnden Ärztinnen – eine Universitätsprofessorin und Oberärztin – waren nach wie vor der Meinung, dass die medizinische Indikation vorliegen würde. Beide sind Fachärzte für Neurologie. Der Finanzvorstand und ich haben dann in der Verhandlung aber aufgrund der mangelnden Evidenz der Therapie für die Altersgruppe des Klägers, also von Georg, die Behandlung nicht bewilligt.“

Tscheliessnigg: „Wir haben vor unserer Entscheidung keine Untersuchung des Patienten durchgeführt. Wir sind beide keine Fachärzte für Neurologie und schon gar nicht für Kinderneurologie.“ Und es kommt noch ärger: „Der Grund für die Ablehnung des Antrages des Klägers waren keine wirtschaftlichen Motive, sondern allein unsere Überzeugung, dass die Behandlung beim Kläger nicht medizinisch indiziert ist. Die Eltern des Klägers haben sogar angeboten, die Behandlung durch Spendengelder zu fi nanzieren. Wir haben das aber trotzdem abgelehnt, weil wir eben von der mangelnden medizinischen Indikation ausgegangen sind.“

In den Krankenhäusern der KAGes werden, so der KAGes-Chef, sieben Kinder mit Spinraza behandelt, die den Kriterien hinsichtlich der Evidenz der Therapie entsprechen. Von den Patienten, die derzeit bei der KAGes behandelt werden, sei keiner bei Therapiebeginn älter als sechs Jahre alt gewesen, so Tscheliessnigg. Der KAGes-Vorstandschef bezieht sich in seiner Verantwortung vor Gericht immer auf das „Innovationsboard“, ein Beirat in der KAGes. Er muss aber eingestehen, dass dieser kein Stimmrecht hat, sondern nur er selbst die Entscheidung getroffen hat.

Vereidigt

Rechtsanwältin Karin Prutsch zeigt sich in der Verhandlung über eine Aussage von Tscheliessnigg erschüttert, die er in einem Gespräch mit den Eltern von Georg gemacht hat: „Ich muss das Geld einem anderen wegnehmen, damit ich die Therapie von Ihrem Sohn zahlen könnte. Es fehlt dann bei einem anderen, der vielleicht eine größere Chance hätte als Ihr Sohn. (Anmerkung: zu überleben) Das kann ich nicht tun. Ich müsste dann auch andere in der Steiermark behandeln. Sie bekommen von mir keinen Behandlungsvertrag.“ Karin Prutsch erwirkt eine Vereidigung des 74-jährigen KAGes-Chefs: „Ich schwöre, dass ich die Wahrheit …“

In seiner Zeugenaussage versucht der pensionierte Primar, seine Aussagen zu relativieren. Diese seien tatsächlich so gefallen, aber eben stark verkürzt wiedergegeben. Anwältin Karin Prutsch hat nun bei Gericht den Antrag auf einstweilige Verfügung „für die Durchführung einer medizinischen Behandlung“ gestellt. Die Entscheidung des Gerichts soll noch im Jänner erfolgen. Folgt der Richter dem Antrag, so muss dann die KAGes die Therapie bezahlen. „Das wäre ein historisches Urteil“, hofft die Anwältin.

Foto: zVg

Seit 2015 eigene Kanzlei „Prutsch & Partner“ in Graz am Joanneumring.

Karin Prutsch wächst in Gnas in der Oststeiermark in einfachsten Verhältnissen auf. Ihre Mutter ist Friseurin. „Wenn du was erreichen willst, musst du hart arbeiten“, gibt sie ihrer Tochter auf den weiteren Lebensweg mit. Sie beginnt in Graz mit dem Jus-Studium und muss gleichzeitig mit einer schweren Gesundheitskrise fertigwerden: 17 Wurzelresektionen, Kieferoperation, Knochentransplantation und die bange Frage, ob ihr Gesicht so „erhalten“ bleibt. Sie braucht teure Implantate, die Eltern haben nicht das Geld dafür. Es gibt keine Rechtsschutzversicherung für sie. Und so vertiefte sich die Jus-Studentin in die Literatur der Rechtsprechung. In einem langwierigen Verfahren erkämpfte sie sich dann 130.000 Schilling bei der Schlichtungsstelle. „Damit konnte ich mir selbst helfen. Man zerbricht daran oder wird stärker“, sagt sie, „und seit damals und auch gut macht, dann zeigt man auf, will ich auch anderen helfen.“ Karin was passiert und dann fi nden auch die Prutsch schloss ihr Jus-Studium ab und dissertierte fächerübergreifend auch in Medizinrecht. Kleinen einen Weg zu mir. Ich mache heute fast ausschließlich Medizinrecht. Es ist ein Unterschied, ob einmal ein Foto: Klipp In ihrer Ausbildungszeit zur Rechtsanwäl- Fehler passiert in der Behandlung, der tin beschäftigte sie sich mit so genannten erklärbar ist – dafür gibt es auch eine „Pro-Bono-Akten“. „Das sind Akten, wo die Haftpfl ichtversicherung, die dann dafür Klienten kein Geld für einen Rechtsanwalt einsteht. Leider gibt es in Österreich haben und“, so Prutsch, „die Kanzlei nur keine Fehlerkultur.“ Bis jetzt sind Prutsch „Man gewinnt vor Gericht und verliert“, „Hab‘ mein eigenes Schicksal stellt sie lakonisch fest. Aber es gibt Klienten, für die sie dennoch – selbst wenn als Berufung gesehen“ man bei Gericht verliert – viel erreichen kann. „Das, was mich motiviert, antreibt, selbst in fast aussichtslosen Situationen, was verdient, wenn ich gewinne.“ Und nur wenige Fälle bekannt, wo Ärzte ist die fi nanzielle Absicherung für meine das gelang ihr in vielen Fällen. „Ich habe Fehler zugeben. „Die meisten Fälle, die Klienten. Wenn ich Menschen sehe, die Leute vertreten, die sonst nicht gehört in Krankenanstalten passie- im Rollstuhl sitzen, unverwerden und keine Stimme haben.“ Sie ren, sind Systemfehler.“ Und „Ich muss das Geld schuldet durch Behandhaben in Karin Prutsch oft ihre letzte Hoff- daher vertrete sie auch keine einem anderen lungsfehler oder andere, die nung für „Gerechtigkeit“ ihres Anliegens Spitäler vor Gericht. wegnehmen ... der Lähmungen haben – dann gesehen. „Da ging es um Behandlungsfehler von Ärzten, Fehler in der Organisation des Spitals, und, und. Die Auswahl Eines wird sie nie sagen: „Das gewinnen wir sicher.“ Prutsch: Es gäbe einfach Fälle, wo man vielleicht eine größere Chance hätte als Ihr Sohn.“ (Anm.: zu überleben) bekommen diese Menschen zumindest die Therapien ersetzt. Man ermöglicht habe ich nach dem Bauchgefühl getroffen bei Gericht nicht gewinnen Tscheliessnigg zu den ihnen im wahrsten Sinne des und tue das heute noch“, so Karin Prutsch. kann, aber es gäbe die Eltern Wortes zu überleben. Oder Da sie zur Unterstützung auch an große Möglichkeit von Schlichtungs- es gibt für sie Hilfsgeräte, Medien herangetreten ist, suchen immer verfahren, eine Patientenentschädigungs- wenn die Leute arm sind, dann nützt mehr Menschen auch bei ihr Rat, die Kommission, wo Klienten dennoch Geld jeder Hunderter.“ sonst keine Stimme haben. dafür bekommen, auch wenn das, was in Was „schicksalhaft“ wirklich bedeutet – „Ich habe mein eigenes Schicksal für der Behandlung passiert ist, vor Gericht das hat sie selbst vor einem Jahr erfahren. mich als Berufung gesehen, dass ich da als „schicksalhaft“ angesehen wurde. „Für Da verstarb Karin Prutschs Mann an einer weitermachen soll. Wenn man es richtig mich ein Unwort.“ Krebserkrankung.

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