4 minute read
Zwei Seiten einer Katastrophe
In Bosnien-Herzegowina: Flüchtlinge leben im Dreck – die Bevölkerung in bitterer Armut. Junge „ üchten“ wegen Korruption und Arbeitslosigkeit
Es war das Jahr 2004, als der damalige Landeshauptmann Frau Waltraud Klasnic – auf die männliche Anredeform legte sie wert – Jörg Hofreiter bat, doch die Funktion eines Honorarkonsuls für BosnienHerzegowina zu übernehmen. Zur Klarstellung vorweg: Die Funktion eines Honorarkonsuls ist ein Titel ohne Mittel, also ohne Cash.
Advertisement
Der Jurist hatte mit der Diplomatie nichts am Hut. Er begann sein Berufsleben in der Grazer Polizei, war Strafamtsleiter, später Kripo-Chef, Polizei-Direktor am Hotspot Flughafen Schwechat und diente sich dann als Bezirkshauptmann von Bruck an der Mur in die Pension. Warum das wesentlich ist: Für ihn stand stets der Schutz der Braven vor den weniger Braven im Vordergrund.
Und nach dieser Erklärung springen wir gedanklich nach Bihac – ins Flüchtlingslager an der bosnischkroatischen Grenze, wo Tausende im Dreck leben. Ohne Wasserversorgung, Elektrizität und sanitäre Einrichtungen. Nur knapp vier Stunden Autofahrt vor unserer Haustür. Die zigmillionen Hilfsgelder in der EU versickern dort in Schlamm und Korruption, ohne dass sich was zum Besseren wendet für die großteils jungen, männlichen Flüchtlinge – allesamt Moslems, die in einer Sackgasse stecken. Die rettende EU-Außengrenze haben sie vor Augen, aber sie dürfen nicht in das gelobte EU-Europa und wollen auch nicht zurück in ihre Heimatländer Pakistan, Afghanistan, Afrika.
„Den Flüchtlingen geht’s schlecht. Keine Frage“, so Jörg Hofreiter. Ihr Schicksal wird in vielen TV-Reportagen und Medienberichten geschildert. Aber: Die Bevölkerung lebe selbst zu einem großen Teil in bitterer Armut. „Und wer hilft ihr? Die Bevölkerung leidet schon seit mehr als drei Jahren an einer bisher ungelösten Flüchtlingsproblematik von tausenden Personen aus Syrien, Afghanistan und Pakistan, die, ohne die rechtlichen Voraussetzungen zu haben, um jeden Preis nach Westeuropa wollen. Sie haben aber keine Chance – weder als Asylanten noch als Zuwanderer - nach Westeuropa zu kommen, aber auch nicht von hier in ihre Heimatländer zurück geschoben zu werden.“
Die Bevölkerung im Una-Sana-Kanton, einem von zehn in Bosnien-Herzegowina, ist von dieser Problematik wirtschaftlich und auch privat stark betroffen. Jörg Hofreiter: „Die Flüchtlingsauffanglager gehören aufgelöst und die Flüchtlinge in ihre Heimatländer zurück gebracht.“ Doch das klingt wie ein Wunsch ans Christkind. Bosnien-Herzegowina sei als Staat zu schwach, könne der Situation nicht Herr werden. Die Lösung könne nur von außen kommen, sprich von der EU.
Honorarkonsul Jörg Hofreiter ist damit zum „Bürgerhelfer“ geworden. Er bekniet die Länder und den Bund in Österreich und versucht, zu helfen. Auch wenn er weiß, dass das nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist. So gelang es ihm jüngst, tausende Testkits vom Land Steiermark für Bosnien zu bekommen. Die Bundeshauptstadt Wien spendete dem kantonalen Spital in Bihac mehrere tausend Testkits und stellte zur Einrichtung einer Schulklasse in einer kleinen Gemeinde bei Bihac sechs Computer (!) zur Verfügung. Für den Transport nach Bosnien sorgte Honorarkonsul Jörg Hofreiter auf eigene Kosten in seinem uralten Mercedes.
Vor Ort hilft in Bosnien die steirische Caritas – nicht nur den e chteten, sondern auch der Bevölkerung. Anna Steiner arbeitet seit sechs Jahren für die Auslandshilfe der Caritas Steiermark, war im Februar in Bosnien und schildert in der Zeitschrift „Megaphon“ ihre Eindrücke:
Auch 25 Jahre nach Kriegsende herrscht in Bosnien-Herzegowina Chaos. Ein Fünftel der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze; Korruption und Vetternwirtschaft befördern das Misstrauen der Bevölkerung in die Regierung.
Der Staat unterstützt die Bürger nicht – im Gegenteil: Wer seinen Verwandten aus dem Ausland Geld überweist, hat zehn Prozent der Summe an den Fiskus abzuführen. Dass es mit der Republika Srpska und der Föderation zwei politische Entitäten gibt und die drei Volksgruppen von Seiten der Regierungen immer wieder gegeneinander aufgewiegelt werden, verschlimmert die Situation vor allem für die Jugend im Land.
„Heute ist die Frustration unter der Bevölkerung größer als nach dem Krieg“, weiß Miljenko Anicic, Direktor der Caritas Banja Luka. „Die Menschen haben nicht viel, aber das ist vielleicht nicht das Schlimmste. Wenn man die ganze Entwicklung nach dem Krieg anschaut, sieht man kein Licht am Ende des Tunnels. Bis vor kurzem hatten wir eine Arbeitslosenrate von über 40 Prozent. Heute ist sie kleiner – aber nicht etwa, weil es mehr Arbeit gibt, sondern weil die Menschen ausgewandert sind.“
Das 13. Jahr in Folge schrumpft die Gesamtbevölkerung von Bosnien und Herzegowina und macht heute kaum mehr als drei Millionen Menschen aus. Dazu kommt eine der niedrigsten Geburtenraten weltweit. Um diese niedrige Fertilitätsrate zu kompensieren, würde das Land dringend nachhaltige Immigration benötigen, doch das Gegenteil ist der Fall. Wer jung ist und eine Familie gründen möchte, verlässt das Land in Richtung Westen – egal, ob in Bosnien-Herzegowina geboren oder dorthin ge chtet
Für die lokale Bevölkerung hat die Caritas Tagesstätten für die Kinder eingerichtet, für Jugendliche, die mit der Schule fertig sind und keine Arbeit haben und für alte Demenzkranke und deren P egeangehörige
Foto: DRK brahim alla ckfbih Caritas hilft Bevölkerung und Flüchtlingen in Bosnien-Herzegowina
Honorarkonsul Jörg Hofreiter versucht der Bevölkerung zu helfen. Anita Steiner: Die Caritas tut das auch. Bild unten: Junge Flüchtlinge in einem illegalen Camp nahe der Grenze. Sie warten auf ihre Chance und versuchen es immer wieder.