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PAKETZUSTELLUNG
„Wir kommen nicht mehr hinterher!“
Die Corona-Beschränkungen haben der Branche der Paket-, Express- und Kurierzustellung einen beispiellosen Boom beschert. Die Mengen und Erlöse steigen. Was bedeutet das für Kunden und Umwelt?
Ein Bericht von Tim Holzhäuser
Corona-Boom beim Lieferservice
An einer Wohnstraße in Eimsbüttel. Ein Rentner steht vor dem DHL-Lieferwagen und fragt den schwitzenden Zusteller: „Na, geht’s gut.“ – „Eigentlich nicht“, ist die Antwort. „Die Pakete werden immer nur auf die bekannten Riesen wie Amazon oder Zalando. Eine Vielzahl kleiner Unternehmen bis runter zur lokalen Boutique ist mittlerweile als Online-Händler tätig und wird entsprechend erfasst. Zwischenfazit: Aus dem „Ab-und-zu-wasbestellen“ ist eine Dienstleistung geworden, Ort, aber Pakete seien kein Problem mehr. Ein außerordentliches Problem (der BIEK nennt es „Herausforderung“) entsteht derzeit in der Logistik, speziell in den großen und gleichzeitig engen Großstädten. Mit den Paketmengen wachsen auch die Fahrzeugflotten der Anbieter. Gefühlt trägt in mehr. Wir kommen überhaupt nicht mehr hinterher!“
Der Rentner könnte das als übliches Klagen des deutschen Werktätigen abtun, aber der Zusteller hat Recht. Die Paketmenge ist in den Corona-Jahren drastisch gestiegen. Laut einer Studie des Bundesverbands Paket & Express Logistik (BIEK) wuchs die Menge der Kurier-, Express- und Paketsendungen, Fachbegriff KEP, allein 2020 um 10,9 Prozent. „Das entspricht 4,05 Mrd. Sendungen und erreicht eine neue Höchstmarke“, heißt es in der Studie. „Erstmals seit 20 Jahren ist das Sendungswachstum im Jahr 2020 zweistellig. Im Schnitt werden pro Tag mehr als 13 Millionen Sendungen an mehr als 8 Millionen Kundinnen und Kunden geliefert.“
In ein oder zwei Jahren dürfte sich das Paketaufkommen seit 2010 verdoppelt haben (siehe Grafik S. 24). Für 2025 rechnet der Bundesverband mit 5,68 Milliarden Sendungen.
Diese Einschätzung bestätigen Prognosen des Online-Handels. Der soll laut Marktforschung 2021 um 13 Prozent zulegen. Danach wird eine jährliche Steigerung von über 11 Prozent erwartet – das entspräche einer Verdopplung alle 6,5 Jahre.
Auch der Umsatz des Onlinehandels kennt nur eine Richtung. Er stieg von rund 14 Milliarden im Jahr 2010 auf nunmehr über 23,5 Milliarden. Hierbei ist zu bemerken: Die Zahlen beziehen sich keineswegs ohne die das moderne Leben nicht mehr auskommt. Das wird immer dann deutlich, wenn etwas nicht funktioniert. Eindrucksvoll belegen lässt sich dies mit der Anzahl der Beschwerden, die jährlich bei der Bundesnetzagentur eingehen. 2014 waren es 1.950, 2020 rund 19.000. Also eine Verzehnfachung. Auch im Lokalen kann Verzweiflung herrschen. Als die Blankeneser Postbankfiliale vor Kurzem geschlossen wurde, fiel damit auch die einzige DHL-Paketstelle in dem Stadtteil weg. Wer zu Hause nicht angetroffen wurde, musste sein Paket etwa in Nienstedten abholen. Ein aberwitziger Zustand, der 1952 noch einigermaßen akzeptabel gewesenwäre, nicht aber inmitten einer Pandemie mit geschlossenen Läden 2020/21. Heute gibt es in Blankenese wieder zwei DHL-Paketshops. Die Aufregung legt sich, das bestätigt auch Oliver Diezmann, Vorsitzender der Blankenese Interessen-Gemeinschaft. Zwar fehlten speziell der älteren Kundschaft Beratungsdienstleistungen vor manchen Wohnvierteln jeder dritte Wagen das Logo eines Paketdienstleisters. Speziell in Hamburg mit seinen notorischen Schadstoffproblemen führt das jedoch zu Akzeptanzproblemen. Das scheinen auch DHL und Co. verstanden zu haben und rüsten derzeit massiv auf alternative Antriebe um. Die sprudelnden Erlöse machen es möglich: 30 Elektrofahrzeuge wurden 2016 angeschafft und weitere kommen seither in unregelmäßigen Abständen hinzu. Neben den 7,5-Tonnern kurven mittZwischenfazit: Aus dem „Ab-und-zu-was-bestellen“ ist lerweile auch E-Scooter und Lastenfahrräder im Dienst der Zustellfirmen auf deutschen Straßen herum. Bis 2025 soll die eine Dienstleistung geworden, gesamte DHL-Flotte in Hamburg emissionsohne die das moderne Leben nicht mehr auskommt. frei sein. Neben den großen – DHL, Hermes und DPD – gibt es mittlerweile eine stetig wachsende Anzahl kleinerer Konkurrenten: Dienste wie Amazon fresh, Rewe online, Food.de oder Frischepost haben den größten freien Markt im Online-Business angepeilt: Lebensmittel. Traditionell hatte es dieser Bereich in Deutschland schwer. Deutsche Konsumenten bestellten zwar mit Freuden Schuhe, aber keinen Salat, kein Schnitzel. Dies hat sich durch die Corona-Krise grundlegend gewandelt. Genaue Zahlen stehen noch aus, aber bereits im Januar 2021 berichtete der E-Commerce-Bundesverband BEVH Folgendes: In den letzten drei Monaten des Jahres 2020 bestellten die Deutschen fast doppelt so viele Lebensmittel online wie ein
Ein Paketshop in Blankenese soll die geschlossene Postbankfiliale ersetzen
Sendungsvolumen im deutschen KEP-Markt
(2010 bis 2020, in Mio. Sendungen)
4.500
4.000
3.500
3.000
2.500
2.000
2.330 2.470 2.560 2.660 2.780 2.950 3.160 3.350
2020: +10,9 %
3.520 3.650 4.050
2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020
Quelle: Bundesverband Paket & Express Logistik
Jahr zuvor. Zeitweise überstieg die Nachfrage die Kapazität des Handels. Es ist noch offen, ob diese Entwicklung auch nach Abklingen der Pandemie anhält. Platzhirsch Rewe zeigt sich zuversichtlich. Möglicherweise haben sich Kunden an die Haustürlie-
ferung gewöhnt. Branchenkenner weisen jedoch drauf hin, dass sich die Lieferung für den Handel nur bei hochpreisigen Produkten lohnt, nicht bei Discounterwaren. Der letzte Kilometer ist letztlich doch zu teuer. Die Bemühungen von Rewe online sind daher eher als Kampf um Marktanteile zu werten. Man weiß noch nicht genau, wie dieser Markt künftig aussieht, will aber auf jeden Fall dabei sein.
Der Lieferverkehr in deutschen Städten wird also weiterhin zunehmen. Nicht ausgeschlossen ist jedoch, dass ein weiterer Pandemie-Effekt zumindest einen Teil hiervon abpuffert: So mancher Pendler arbeitet mittlerweile von zu Hause und hat dies auch zukünftig vor.
Letztlich gibt es noch einen positiven Nebeneffekt des boomenden Zustellgeschäfts, der häufig unerwähnt bleibt: Beschäftigung. Der Zustellerjob galt jahrelang als Endstation des Arbeitsmarkts. Heute kann er ein effizienter Einstieg in eben diesen Markt sein, gerade für Einwanderer, deren Fachabschlüsse noch nicht anerkannt oder vorhanden sind. Personalknappheit diktiert die Bedingungen und die lassen sich, z. B. bei DHL, mittlerweile sehen: Stundenlohn von knapp 14 Euro, Sozialversicherung, Feiertagszuschlag, Urlaubsanspruch, Weihnachtsgeld und eine bombensichere Stellung, für die ein Aspirant nicht mehr benötigt als einen Führerschein. Selbst mangelnde Deutschkenntnisse sind kein Hinderungsgrund mehr und so kommt es gerade in den innerstädtischen Quartieren häufiger zu Englisch-Dialogen mit DHL-Zustellern. Hauptsache, das Paket kommt zum Kunden! Insgesamt beschäftigt die Branche mittlerweile 423.500 Menschen und der Bedarf ist keineswegs gedeckt.
Man mag nun einwenden, dass hier ein neuer Niedriglohnsektor entsteht, der gesellschaftlich nicht erwünscht sein kann. Tatsächlich aber signalisieren die Deutschen in Umfragen immer wieder, dass sie nicht bereit sind, für Paketdienstleistungen mehr zu zahlen. Angesichts des Personalmangels bei den Logistikern könnte diese jedoch in Zukunft unausweichlich sein.
Branchenkenner weisen darauf hin, dass sich die Lieferung nur bei hochpreisigen Produkten lohnt, nicht bei Discounterware.
Auch Hermes sucht Personal. Die Zusteller sind überlastet.
Autor: tim.holzhaeuser@kloenschnack.de
ZUR SACHE: Zusatzleistungen beim Versand
„Das“ Paket gibt es nicht mehr. Immer mehr Versender bieten Kunden Zusatzleistungen an, z. B. die garantierte Lieferung am nächsten Werk- oder Feiertag. Auch die Versicherungssummen zwischen Paketlösungen sind unterschiedlich. Branchenbeobachter vermuten, dass sich der Margendruck vor allem hier niederschlägt. Anstatt flächendeckend das Porto zu erhöhen, setzen DHL & Co. auf diese „Extrawürste“. Auch die sogenannte „letzte Meile“ könnte zukünftig ein Zusatzleistung werden.