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AMTSGERICHT/TIMS THESEN
Das Amtsgericht
FOTO: ©STAUKE-FOTOLIA.COM
Aus dem Amtsgericht Rechtsfrieden
Was ist eigentlich auf deutschen Baustellen los? Die vorsitzende Richterin möchte einen der drei geladenen Zeugen lieber nicht befragen müssen, denn das könnte für ihn möglicherweise strafrechtliche Konsequenzen haben. Aber der Reihe nach.
Jens G. (Name geändert) muss vor Gericht erscheinen, weil ihm vorgeworfen wird, jemandem 2019 auf einer Baustelle ein Multifunktionswerkzeug für 900 Euro angeboten zu haben, das er, als das Angebot angenommen und das Geld übergeben worden war, nicht geliefert hat. Das Geld hat er trotzdem behalten. Der Angeklagte legt über seinen Anwalt gleich zu Beginn ein Geständnis ab und dieser fragt, ob es eine Möglichkeit gibt, das Verfahren einzustellen. Worauf begründet er diesen Vorschlag? Er stellt klar, dass sein Mandant nicht von vorneherein vorgehabt habe, sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Die Person, von der er das Werkzeug bekommen sollte, hatte es nur schon an jemand anderen weiterverkauft. (Als Zuhörer macht man sich derweil still und leise so seine Gedanken: „Wo mag das Werkzeug wohl herstammen?“) Da er in einer finanziell schwierigen Situation war, hat er das Geld aber nicht zurückgegeben. Er ist bereit, das Geld dem Geschädigten zu erstatten und darü-
ber hinaus 500 Euro zum Beispiel an eine gemeinnützige Einrichtung zu zahlen. Zudem sei er nicht vorbestraft. Die Richterin stellt fest, dass es sich bei dem Geständnis um eines von erheblichem Wert handelt, da die Tat schon lange zurückliegt und nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Zeugen ihn überhaupt eindeutig wiedererkennen würden. Er hätte also auch versuchen können, die Tat einfach zu leugnen. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft klärt kurz bei ihrer Behörde, ob sie bei dem Angebot mitgehen darf. Sie darf. Und schon einigt man sich, dem Vorschlag der Verteidigung zu folgen. Eine Möglichkeit zur Ra„Wo mag das Werkzeug wohl herstammen?“ tenzahlung wird eingeräumt. Die Geldbuße soll an die Staatskasse gehen, da die Kosten des Verfahrens, wenn es eingestellt wird, vom Staat getragen werden. Erfolgen die Zahlungen wie geplant, wird das Verfahren endgültig eingestellt und Herr G. erhält keine Eintragung in seinem Strafregister. Die Zeugen dürfen ungehört nach Hause gehen und müssen sich keinen unangenehmen Fragen stellen wie: „Was glauben Sie, was das für ein ‚günstiges‘ Werkzeug war, das Ihnen da angeboten wurde?“ Als Zuhörer ist man zufrieden, dass das Verfahren einen friedlichen Ausgang genommen hat, hätte aber gerne noch etwas mehr über mögliche Zustände auf den Baustellen in Hamburg erfahren. AD
THEMA: Was macht das mit uns?
Tim Holzhäuser schreibt hier seine monatliche Glosse
Diese Glosse widme ich einer Blume mit Blättern, die bei Berührung zusammenklappen: der Mimose. Nicht nur mir fällt auf, dass sich unsere Gesellschaft zu einem Mimosenzüchter- verein transformiert.
Dazu einige Stichworte. Zunächst Mobbing: Natürlich gibt es die zerstörerische Kampagne gegen einzelne Personen, die Psyche und Gesundheit ruinieren kann.
Es soll aber auch vorkommen, dass sich Leute einfach nicht mögen, sich ärgern, sabotieren, übereinander lästern – ohne dass einer der beiden das Bedürfnis fühlt, von der Brücke zu springen.
Wo nun die Grenze verläuft zwischen Mobbing und einer Alltagsstreiterei ist unklar. Sicherheitshalber wird daher in vielen Organisationen und Firmen alles als Mobbing gesehen und entsprechend geahndet. Wer also der anderen permanent die Lieblingskaffeetasse aus dem Schrank mopst, lebt riskant.
Ähnliches sehen wir im Netz: „hate speech“. Das Phänomen ist real. Menschen begehen verbal Straftaten in jeder Sekunde. Aber nach meiner Beobachtung schwappt der Vorwurf „hate speech“ auch in andere Bereiche. Jugendliche bezeichnen den als „hater“, der die Lieblingsband schlecht macht ...
An dieser Stelle sollte man sich vergegenwärtigen, dass das Wort „Hass“ am Ende einer langen Liste von Antipathien steht und das Maximum darstellt. Wem dieses Wort an den Kopf geworfen wird, nur weil er „Steel Panther“ blöd findet oder das Kleid einer Moderatorin lächerlich, der spürt instinktiv, dass der Vorwurf Stuss ist.
Passend hierzu wird die Opferperspektive Mode. Man bemerkt das, wenn Journalisten auch noch die priviligiertesten Zeitgenossen fragen (etwa nach ein bisschen Gegenwind): „Was macht das mit Ihnen?“
Ich warte auf den Tag, an dem jemand sagt: „Nichts. War nervig, aber gemacht hat’s mit mir nichts.“
Aber da kann ich lange warten. Neben berechtigten Klagen gibt es auch immer wieder Leute, die nach dieser Einladung in ein Gejammere ausbrechen, auf das jede Mimose stolz wäre.
Auch im Bereich der korrekten Sprache beobachten wir eine Hypersensibilität, die schon zusammenzuckt, wenn nur jemand in die Nähe einer Grenze kommt. Auch ohne böse Absicht. Als zum Beispiel auf einer Party eine Freundin (Afrikanerin) sich selbst als „farbig“ bezeichnete, weil sie mit der aktuell politisch korrekten Sprach- regelung nicht mehr mitkam, zeigten die anwesenden Leute Anzeichen körperlichen Schmerzes ...
Souveränes Drüberhinweggehen hätt’s auch getan.
Nun zur These: Ich glaube, dass die derzeitige Hypersensibilität de facto ein Machtmittel ist. Es wird dazu benutzt, Konflikte zu unter- laufen oder von ihnen zu profitieren. Einfaches Beispiel: Sie kritisieren die berufliche Entscheidung eines Kollegen, woraufhin der theatralisch erbleicht und sich „angegriffen“ fühlt. Damit ist der Konflikt von überprüfbaren Fakten auf die emotionale Ebene geführt worden. Mobbing, Sie sind der Täter, herzlichen Glückwunsch.
Fazit: Es wäre schön, wenn wir uns alle besser benehmen würden. Dazu gehört aber auch zu unterscheiden, ob jemand wirklich hasst, mobbt, diskriminiert – oder einfach nervt.