4 minute read

URLAUBSBILDER

Next Article
MEIN ARBEITSPLATZ

MEIN ARBEITSPLATZ

1 Wittenbergen? Schweinesand? Nicht ganz ...

Urlaubsbilder Idyllen mit Filter

Spätestens seit dem Siegeszug von Social-Media-Plattformen wie Instagram ist jeder schöne Winkel unseres Planeten wohlbekannt. Einsame Strände, verwunschene Wälder und urige Gassen flimmern als endlose Bilderreihen. Die Realität wird aufgehübscht, bis man sich fragen muss: Ist das überhaupt noch echt? Zeigen die Bilder wirklich das, was wir darin zu erkennen glauben. Ein Ratespiel.

Von Tim Holzhäuser

Die Nachricht ging weltweit durch die Medien. Dabei war da nur ein unbekanntes Urlauberpaar aus Polen, das die Klippen am Cabo da Roca (dem westlichsten Punkt Europas) imposant fand und ein Foto schießen wollte. Genauer gesagt ein Selfie. Mit dem Abgrund im Rücken ...

Urlaubsbilder sind zum Glück nicht immer eine Sache auf Leben und Tod, aber sie sind wichtig. Wer schöne Augenblicke erlebt, der hat das Bedürfnis, sie ins Unendliche zu dehnen, sie mit nach Hause zu nehmen, den Nachbarn zu zeigen, den Freunden und per Social Media der ganzen Welt. Die Technik macht’s möglich. Sie ist interessant und macht Spaß, hat aber auch einen Wettbewerb in Gang gesetzt. Das Gewöhnliche haben wir alle tausendfach gesehen, das Außergewöhnliche hundertfach. Man braucht schon eine richtige Sensation um hervorzustechen. Die gute Nachricht: Sensationen, sind einfacher zu knipsen als je zuvor.

Wer sich Urlaubsbilder ansieht, der bemerkt: Die Leute sind scharf auf Wasser. Ozean, Meer, Lagune, Alpensee – all das soll mit aufs Foto, gerne auch die Unterwasserwelt. Was vor wenigen Jahren noch eine teure wasserdichte Kamera erforderte, ist heute kinderleicht: Erhältlich sind Unterwasserhüllen für alle gängigen Smartphones. Man steckt das Gerät rein, schließt die Hülle und springt ins Wasser. Das Smartphone lässt sich durch die Hülle bedienen und macht so mehr oder weniger spektakuläre Aufnahmen.

So entsteht das ultimative Surf-Poserfoto,

„Ozean, Meer, Lagune, Alpensee – all das soll mit aufs Foto, gerne auch die Unterwasserwelt.“

2 Kleiner und großer Wal im Reykjavik Maritime Museum in Island?

das auch bei Hamburgs Bürokaufleuten beliebt ist. Das Board trägt neben dem Surfer das entsprechend wasserdicht gemachte Smartphone in einer Halterung an der Spitze oder gleich eine GoPro (kleine Kamera). Dann geht’s in die Wellen. Hinterher suchen sich die Urlauber ein besonders gewagtes Motiv aus und schmücken damit ihre Social-Media-Seiten.

Surfschulen haben diesen Trend erkannt. Viele stellen eigens Fotografen ein, die Kurse begleiten und für entsprechende Aufnahmen sorgen. Die Optik wird genauso ernst genommen wie die Welle.

Die auf zahlreichen Social-Media-Plattformen gebräuchlichen Filter haben das Fotografieren noch einfacher gemacht. „Qualität entsteht mit der Bearbeitung“ – Ein Satz, den Fotografen hassen, der aber mittlerweile seine Berechtigung hat. Wer sich auf dem Bild nicht braun genug findet, hilft mit Filter „Mayfair“ nach. Wer den Sonnenuntergang im Kitsch so richtig schön absaufen lassen will, nimmt „Lo-Fi“. „X-Pro 2“ haut eine melodramatische Vignette um den Teller Vongole, „Juno“ zieht jede einzelne Klippenkante nach. Nutzer, die das oft genug machen, werden bemerken, dass die Realität miserable Kontraste und eine armselige Farbsättigung hat ... Wer derartiges Fotografieren nun furchtbar oberflächlich findet, wer ehrlicheren Tourismusepochen hinterhertrauert, dem sei gesagt: Gemogelt wurde schon immer. Alte Postkarten und Urlaubsalben zeigen es: Da wurde koloriert, mit Gazé verwischt, weg-

„Qualität entsteht mit der Bearbeitung“ – Ein Satz den Fotografen hassen ...

4 Große Schildkröten in einem Amazonas- Nebenarm in Brasilien?

geschnibbelt und vor allem gestellt. Je knapper die schönen Tage, desto größer der Drang, sie in perfektem Licht darzustellen – das war damals genauso wie heute.

Eine kleine Renaissance feiert übrigens das analoge Fotografieren. Immer mehr Menschen schätzen gerade das Umständliche. Ähnlich wie bei einer Schreibmaschine muss vorher nachgedacht werden. Man kann nicht einfach 100 Fotos machen und hoffen „das was dabei ist“. Man kann nichts kostenfrei löschen. Und während des Fotografierens hat der Urlauber nicht diese perfekte Kontrolle, die moderne Kameras und Smartphones liefern. Nicht jedes Bild wird technisch optimal, was seinen Reiz hat. Der Weg zu einem wirklich guten Urlaubsfoto könnte also der Mut zum Unperfekten sein, der Mut zum Risiko.

Aber bitte nicht direkt an der Steilküste!

5 Gemütliche Kopfsteinpflasterstraße im Sommer bei Oslo?

Autor: tim.holzhaeuser@kloenschnack.de

AUFLÖSUNG: Welcher Ort wird gezeigt?

1. Carrapateira an der Westküste der Algarve. Der Strand ist nur nach einer kleinen Wanderung durch wüstenartige Dünen zugänglich und dementsprechend leer. 2. Zoologisches Museum Hamburg. Das recht neue Museum gehört zur Universität Hamburg und zeigt ausgewählte Exemplare einer Sammlung mit zehn Millionen Exponaten. Der Eintritt ist kostenlos. 3. Ein Baggersee bei Neuss. 4. Wallanlagen in Hamburg. Die Schildkröten leben hier seit Jahren und überstehen problemlos auch harte Winter. Niemand weiß, woher sie kommen. 5. Eine Wohnstraße am Kleinen Schäferkamp in Hamburg. Das Pflaster ist Jahrhunderte alt und hat bisher noch nicht die Aufmerksamkeit der Behörden erregt.

This article is from: