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Interview mit Dr. Iryna Tybinka, Generalkonsulin der Ukraine

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MEIN ARBEITSPLATZ

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… Dr. Iryna Tybinka, Generalkonsulin der Ukraine in Hamburg „Dann betete ich“

Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Welt verändert. Die Diplomatin Dr. Iryna Tybinka erzählt im Interview von den ersten Momenten im Konsulat nach dem Angriff und was sich seither verändert hat.

Frau Tybinka, können Sie die ersten Stunden nach dem russischen Angriff auf die Ukraine beschreiben? Was ist in Ihnen vorgegangen und was passierte im Konsulat?

Die Geschehnisse dieser Nacht sind unmöglich zu vergessen. Nach der Mitteilung über die russische Invasion vergingen einige Sekunden, in denen man seine Gedanken sammeln musste und zu handeln begann. Es spielte sich eine vollständige körperliche und psychologische Mobilisierung ab, wenn man so will. Ich rief meine Kollegen an mit der Bitte, sich zu versammeln. Ich telefonierte mit meiner Familie und überzeugte mich davon, dass mit ihnen alles in Ordnung ist, und habe sie gebeten, wann immer möglich in Kontakt zu bleiben. Dann betete ich.

Um fünf Uhr morgens waren bereits alle Mitarbeiter im Generalkonsulat versammelt. Jeden zog es in die Ukraine, doch wir verstanden sehr gut, dass unser Platz hier ist, im Norden Deutschlands, denn vor uns lag viel Arbeit und diese sollte gerade erst beginnen. Wir erhielten Anrufe von Aktivisten der Ukrainischen Gemeinde mit Fragen, was man tun sollte, wie man helfen kann.

Nach einigen Stunden waren die Treppen des Generalkonsulats bereits mit Blumen, Kerzen und Zeichnungen bedeckt. Ich verstand, dass die Menschen uns auf diese Art unterstützen wollten, ihre Anteilnahme ausdrücken. Ich war dankbar, aber zugleich machte sich tief in meiner Seele auch Unbehaglichkeit breit – ich konnte das Gefühl nicht loswerden, dass man die Ukraine bereits begräbt.

„Ohne Sieg über Russland wird weder mein Land noch Europa im Allgemeinen eine gute Zukunft haben.“ Kurz nach dem Angriff waren die Webseiten der ukrainischen Konsulate und der Botschaften für Tage nicht erreichbar. Wie kam es dazu und was hatte das für Folgen?

Die Antwort hierauf ist sehr einfach – gewaltige feindliche Hackerangriffe. Wir haben es schließlich mit einem hybriden Krieg von Seiten Russlands zu tun. Mit diesem haben wir es schon lange zu tun, bereits vor dem 24. Februar. Diese hybriden Auswirkungen haben immer wieder auch Deutschland getroffen. Damals, am 24. Februar, traf das Außenministerium der Ukraine aufgrund dieser Angriffe die Entscheidung, die Server abzuschalten. Weder unsere Internetseite noch unsere konsularischen Arbeitsprogramme und offiziellen Arbeits-E-Mails funktionierten. Wir haben uns schnell orientiert, private E-Mail-Adressen erstellt oder bestehende genutzt, aktivierten unsere Seiten in den sozialen Medien wie Facebook. Bürger, Kollegen im Inland, in anderen ausländischen Institutionen, in den Behörden aller vier Bundesländer, für die unser Generalkonsulat zuständig ist, wurden maximal über die neuen Kommunikationswege informiert.

Als die Kommunikation wieder lief, was erreichten Sie dafür Nachrichten?

Um ehrlich zu sein, war die Kommunikation nie völlig unmöglich. Sie verschob sich lediglich auf andere Kanäle. Eine große emotionale Herausforderung waren die Momente, in denen der Kontakt zu Familienangehörigen oder Freunden abriss, in der Unkenntnis, was mit ihnen dort geschieht – ein Gefühl der völligen Machtlosigkeit.

Einer meiner Mitarbeiter konnte seine Tochter und Patentochter, welche sich in einem Vorort von Kyjiw aufhielten, tagelang nicht erreichen. Dennoch setzte er seine Arbeit fort, auch wenn er wusste, welch grausame Gefechte die russische Armee in diesen Gebieten führte. Glücklicherweise überlebten die Mädchen und konnten sich später melden. Aber diese Emotionen verschwanden dennoch nicht.

Inwiefern hat der Krieg Ihre Arbeit verändert? Mit welchen Fragen und Anliegen kommen die Menschen nun zu Ihnen?

Die Veränderungen betrafen jeden Teil der Arbeit des Generalkonsulats. Aufgrund des rapiden Anstiegs der Zahl der Schutzsuchenden aus „Ich konnteder Ukraine stieg auch die Zahl der Anliegen an unsere Einrichtung. Die Tatsache, dass eine große Anzahl von ukrainischen Staatsbürgern das das Gefühl nicht loswerden, dass man die Ukraine bereits begräbt.“ Land ohne Reisepässe oder anderen Dokumente verließen, führte zu einer Reihe von konsularischen Maßnahmen, die in Friedenszeiten unnötig waren. Sogar eine scheinbar elementare Sache – die korrekte Transliteration von Vor- und Familiennamen aus dem Kyrillischen ins Lateinische – zwang uns dazu, eine neue Richtung der konsularischen Arbeit zu eröffnen und entsprechende Bescheinigungen auszustellen. Tausende Bescheinigungen.

Eine der Prioritäten in der Arbeit des Generalkonsulats war und bleibt es, die ununterbrochene humanitäre Hilfe für die Ukraine, ihrer Kommunen, Rettungs- und medizinischen Kräfte und Binnenvertriebene zu gewährleisten, welche sich in unserem Land auf neun Millionen Menschen belaufen.

Hamburgs Erster Bürgermeister hat Ihnen im Februar umgehend Solidarität und Hilfe versprochen. Wurde das Versprechen eingelöst?

Das Versprechen wurde gehalten, die Umsetzung jedoch noch nicht beendet. Deshalb, weil die Solidarität und Unterstützung sowohl während des gesamten Kriegs, als auch während des Wiederaufbaus der Ukraine benötigt wird. Der Pakt für Solidarität und Zukunft, welcher Ende April zwischen Hamburg

Iryna Tybinka ist das diplomatische Bindeglied zwischen vier norddeutschen Bundesländern und der Ukraine. Was wird unternommen, um die Lage zu bewältigen?

Wenn man von Hamburg spricht, so weiß ich, dass die Stadt unentwegt nach neuen Unterbringungsmöglichkeiten sucht. Dazu können die Vertreter des Krisenstabes besser informieren. Ich bin allerdings sicher, dass sie ständig darauf bedacht sind, dieses Problem zu lösen.

und Kyjiw unterschrieben wurde, beinhaltet genau dies – die Unterstützung während dieser herausfordernden Zeiten sowie dem Wiederaufbau. Nun gilt es, diese (Partnerschaft) ständig mit praktischen Inhalten zu füllen. Zum heutigen Tag (18.08., Anm. d. Red.) sind in Hamburg ungefähr 30.000 Schutzsuchende registriert. Dies bringt eine Fülle von Fragen mit sich, auf welche die Stadt bereits Antworten gefunden hat oder noch sucht. Aber die Stadt Ham„Einer der ersten burg ist nicht nur ihre Orte, die ich mei- Regierung oder einzelnem Gefühl nach im Frieden besuchen sollte, sind die Gräber unserer Soldaten.“ ne Behörden. Es sind auch ihre Einwohner. Ihr Engagement und ihre Unterstützung erstaunen mich immer wieder.

Die Behörden sprechen davon, dass die Kapazitäten der Stadt am Limit sind. Es fehle bald an Unterbringungsmöglichkeiten für Geflüchtete. Wie nehmen Sie die Situation wahr?

Es gibt viele Herausforderungen. Aber ihre Quelle ist eine – Russland mit seinem Imperialismus und seiner Aggression. Wird die Quelle dieser Krisen überwunden, so werden auch die Krisen selbst abklingen. Ich möchte wirklich glauben, dass der Strom der Schutzsuchenden aufhört, bevor die Unterbringungskapazitäten verschwinden. Auch wenn das wahrscheinlich etwas naiv ist.

Es stellen sich viele Probleme: Traumata, die Betreuung und Beschulung von Kindern, die deutsche Bürokratie und einiges mehr. Wie kommen Ihre Landsleute damit zurecht?

Für viele wurde Deutschland zu ihrer neuen Welt, teilweise besser, teilweise schlechter als sie es gewohnt waren. Der Anpassungsund Integrationsprozess ist nun im Gange.

Es gibt Probleme bei der Wohnungssuche, bei Plätzen für Kinder in Kindergärten oder Schulen, in ganz Deutschland. Besonders viele Vorbehalte habe ich gegenüber Integrationsklassen gehört, in denen Kinder sich nicht einbringen können oder ihr bereits vorhandenes Wissen nicht unterstützt werden kann oder von Seiten der Schüler anderer Nationalitäten Aggressionen empfunden werden. Gleichzeitig gibt es viele positive Bewertungen über die Fürsorge, die Kinder empfinden, über die Arbeit, die die Lehrer mit ihnen leisten. Verschiedene Städte, verschiedene Schulen, verschiedene Wahrnehmung oder Einstellung. Nichts ist perfekt. Alles braucht Zeit und Geduld.

Natürlich ist es für Menschen, die dem Krieg nur knapp entkommen sind, teilweise mit nur einem Koffer und manchmal sogar ohne, schwierig, den Forderungen der deutschen Beamten nachzukommen, separate Dokumente, Urkunden, Bescheinigungen vorzulegen. Aber auch hier gibt es Mitarbeiter, die damit verständnisvoll umgehen. Generell sind der Faktor Mensch und Empathie bei jeder Arbeit und Kommunikation entscheidend. Mit den Ukrainerinnen und Ukrainern ist es da nicht anders.

Kommt jetzt der Moment, in dem Ihr Land seinen Platz in Europa und auch in den deutschen Köpfen erst so recht findet?

Es ist schade, dass dieser grausame und blutige Krieg nötig war, damit der Westen endlich die wahre Ukraine, ihre Liebe zur Freiheit und ihre reiche Kultur, ihre Werte für die weltweiten Demokratien und die allgemeine Sicherheit erkennt. Auf die jetzige Art und Weise wollten die Ukrainer allerdings nicht populär werden.

Die Tatsache, dass die Ukraine bis vor Kurzem einem breiten deutschen Publikum wenig bekannt war, zeugt von einer großen Informationslücke. Daher ist es äußerst wichtig, dass die Lektion gelernt wird. Von allen. Denn selbst die bitteren Lehren des Zweiten Weltkriegs erwiesen sich als verlernt und verzerrt.

Frau Tybinka, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Fragen: michael.wendland@kloenschnack.de Infos: www.hamburg.mfa.gov.ua

ZUR PERSON: Dr. Iryna Tybinka

wurde 1977 in Lwiw geboren. Sie promovierte 2017 im Fach Wirtschaftswissenschaften. Von 2017 bis 2020 war Tybinka Gesandte-Botschaftsrätin in Berlin. Seit dem 30. September 2020 ist sie Generalkonsulin der Ukraine in Hamburg.

Schon lange vor dem Angriff auf ihr Land bat die Diplomatin um Hilfe gegen die russischen Aggressionen und um präventive Sanktionen.

Das Konsulat ist für Anliegen in Hamburg, Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein zuständig.

Lesen Sie das ungekürzte Interview hier: www.bit.ly/tybinka0922

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