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EDITORIAL Treffen sich ein Buckelwal, ein Inlineskate und ein platt gefahrenes Opossum auf dem Umschlag der neuen komma... wie bitte? Für alle, die sich noch kein eigenes Bild vom bunten Treiben auf dem Umschlag gemacht haben bietet sich jetzt nochmal ein zweiter Blick aufs Cover an. Wie schade, dass wir die vielen Assoziationen und Gedanken zu den abstrakten Kompositionen wohl nie erfahren werden. Jeder Mensch und auch die meisten anderen höher entwickelten Lebensformen auf diesem Planeten haben ihre eigene Interpretation der Dinge, die sie wahrnehmen, vorausgesetzt, sie verfügen über die dafür benötigten Sinnesorgane. Unsere Wahrnehmung ist der Schlüssel zur Kommunikation mit der Aussenwelt. Wie wir wahrgenommen werden oder wahrgenommen werden möchten bestimmt unser Leben – dies ist immer ein Bestandteil unseres Handelns. In dieser Ausgabe bekommen wir einen Einblick, wie unsere Gestalter die Welt und sich selbst wahrnehmen. Außerdem haben wir einige deutlich stärker behaarte Verwandte um eine differenzierte Ansicht dazu gebeten: Das Artwork auf dem Cover wurde nicht etwa von uns selbst in einem Anflug abstrakter Kreativität aufs Blatt gepinselt, sondern ist die Arbeit professioneller Künstler aus Heidelberg. Genauer gesagt aus dem Heidelberger Zoo. Wir konnten die beiden Orang Utans Ujian und Grisella für unser Projekt begeistern und präsentieren auf dem Cover den Versuch eines grafischen Ausdrucks ihrer Wahrnehmung. Etwas deutlicher erscheinen die Arbeiten auf den nächsten Seiten und zeigen die unterschiedlichen Welten unserer Kommilitonen. Michael Frahm bringt uns mit seinen Porträts aussergewöhnliche Menschen auf der Suche nach Individualität nahe. Im Gegensatz dazu, Michael Witkowskis abstrakte Mehrfachbelichtungen, die monochrom die Sinne täuschen und neue Blickwinkel schaffen. Jean-Philippe Defiebre macht sich Gedanken über den Sinn seines Handelns, der wiederum bei Fine Kohls nächtlichen Träumen nicht immer auf den ersten Blick erkennbar ist, dafür aber einige Schlüsse über die Selbstwahrnehmung zulässt. Damit das Träumen auch weiterhin möglich ist, kümmern sich Katharina Bührer und Eva Sommer um die Dunkelheit der Nacht, in der sich auch der Berliner »Gesellschaftsphotograph« Edgar Herbst nicht unwohl fühlt, den wir für ein Interview gewinnen konnten. Die Redaktion wünscht viel Vergnügen für alle Sinne. Peter von Freyhold


INHALT K O M M A N o- 7 6

MEHR ALS NUR SCHÄUME Auf eine Reise durch die wunderliche Welt der Träume entführt uns Fine Kohl in ihrem Traumbuch und öffnet dabei geheime Türen.

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N A C H S C H L A G F Ü R D I E W E R K S TAT T Mehl, Zucker, Butter, Natron, Salz, Ei, Milch und Backpapier machen noch lange kein Buch.

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when y ou don ‘ t care y ou are j ust killing e v er y thing Michael Frahm traf in 12 Ländern Menschen und porträtierte ihre individuelle Persönlichkeit.

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die welt und ich Selbstversuch eines Designers zur Selbstaufgabe.

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als ich anfing in b ildern z u denken Nicolas Thielemann macht sich zwischen Bild und Ton auf sie Suche nach seinem Deutschland.

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eine garnele geht ihren weg Über die täglichen Un- und Umwege unserer Nahrungsmittel – visuell aufgetischt von Katharina Stipp.

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a b strakte realitä t Michael Witkowski zeigt in Form einer fotografischen Synthese wie schön Abstraktes sein kann.


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k ö nigskunde Vom Student zum Hofdesigner.

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v on gan z weit o b en Mit bedachtem Strich begibt sich Florian Wolf auf eine Reise durch die Welt.

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wei S S e nächte In einer weithin erleuchteten Welt geleiten Katharina Bührer und Eva Sommer mit bedachtem Weitblick auf die Schattenseiten des Lichts und schlagen sich auf die dunkle Seite.

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das uni v ersum im kleiderschrank Kristin Lauer hat eine Webapplikation entwickelt, mit der wir das innere unseres Kleiderschranks auf wenigen Bitmetern ausbreiten können.

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die kleinen stillen dinge

Robert Häusser lädt die Fakultät für Gestaltung Mannheim zu einem persönlichen Gespräch ins Reiss-Engelhorn-Museum.

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MEMORANDUM

Erwähnenswertes, Denkwürdiges und Zukünftiges.

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COGITO ERGO SUM

Warum die Dinge anders sind als sie zu sein scheinen und was Leonardo DiCaprio mit Descartes verbindet. Mehr dazu in der Kolumne.

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caen worksho p

Prof. Berger verrät im Interview, wie französische und deutsche Designer im CaenWorkshop eine gemeinsame Sprache sprechen lernen.

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auf schwan z h ö he

Einblicke in die freizügige Gesellschaft durch das Medium seiner Kamera gewährt uns Edgar Herbst in einem ausführlichen Gespräch.

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b - seit e / olden b urg

Mit Stephan Ditgens an den Decks, blicken sechs Studenten der HS über den Tellerrand und lauschen dabei unerwarteten, neuen Klängen.

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ARCADEMi

ARCADEMI ist in kurzer Zeit zu einem digitalen Schau- und Marktplatz für internationale zeitgenössische Kunst und Gestaltung herangewachsen.


MEHR ALS NUR SCHÄUME »Zieh Dir Deinen Schlafanzug an, mach das Licht aus, den Spot an und lass das Kopftheater beginnen. Heute Nacht kannst Du fliegen, Monster zähmen und auf ihnen reiten, Du sprichst eine wilde Sprache, die Du selbst erfunden hast und jeder kann dich verstehen. Heute Nacht bist Du König, vielleicht auch nur der Gefangene, aber mit deinem fantastischen Schweizer Taschenlaser kannst Du Dich befreien. Heute Nacht kann drei Tage dauern. Oder viel zu früh enden. Heute Nacht kann alles passieren. Und so schön absurd wie heute Nacht ist es morgen früh nicht mehr!«


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Würde Fine Kohl auf Sigmund Freuds roter Couch liegen und ihm von ihren Träumen erzählen, hätte er ihr sicher eine ganze Studienreihe gewidmet. Zahnträume stehen für Veränderung, Flugträume für Erfolg – soweit die Psychoanalyse. Doch warum z.B. ein riesiger, wohl frisierter Bart das Gesicht einer jungen Frau schmückt, wird sich uns wahrscheinlich niemals über die Ratio erschließen können. Zum Glück! Denn Fines Popup-Buch mit dem vielversprechenden Titel Ich sehe was, was du nicht siehst besticht neben seinen lebhaften Illustrationen gerade durch die Absurdität der Thematik. »Ich wollte eigentlich von Anfang an ein illustriertes Buch machen und hatte schon immer ganz verrückte und lebendige Träume, die mich jedes Mal selbst wieder faszinierten, zum Lachen oder Kopfschütteln brachten, teilweise

den ganzen Tag nicht losließen«, sagt sie über die Idee zu ihrer Bachelorarbeit. Losgelassen wird auch der Leser nicht. Nachdem er vom Alter Ego der Gestalterin begrüßt worden ist, beginnt die Reise in die fantastische, witzige und manchmal auch verstörende Welt der Träume. Selbstironisch - unterhaltsam lesen sich die Texte, die Fines Kopfkino dokumentieren und die Traumvisualisierungen einleiten. Diese sind bevölkert von sympathischen Traumwesen, die Seite für Seite mit großer Detailliebe ihr Territorium erobern und den Betrachter in skurrile Landschaften wie den »Ohtsean der Dummheit«, oder das »Supergeheime Knetgeheimquartier« entführen. Ebenso passend auch das Format des Buches: mehrdimensional, vielschichtig, überraschend und sich langsam aufbauend, wie



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Träume selbst. Fine, die mit solchen Büchern aufgewachsen ist, macht dem Betrachter dabei sogar Alpträume schmackhaft. Ein Umklappen öffnet den geheimen Monsterkeller, ein Ziehen setzt die Haiflosse in Bewegung. Trotz der sehr persönlichen Note der Autorin bieten die vielen kleinen Geschichten und Illustrationen Raum für eigene Traumerlebnisse. Von Zähnen und Monstern wurde fast jeder schon mal im Schlaf verfolgt. Da kommt das Gimmick des Buches, eine Schlafmaske, gerade richtig: Warum sich nicht mal wieder auf´s Ohr hauen und an den Träumen erfreuen, in denen man nackt und ohne Hausaufgaben vor der Schulklasse steht. Der Humor von Ich sehe was, was du nicht siehst macht es gekonnt vor. Stilistisch bewegt sich das Buch im Kontrast zwischen lustigem Retro-Cartoon und morbider Gruseloptik. Die »vergilbte«, mono-

chrome Farbwahl vermittelt trotz großer Lebendigkeit der Darstellungen Ruhe und den Eindruck von »Nacht«. Fine selbst träumt häufig in schwarz-weiß, wie auch übrigens 4,4 Prozent der Bevölkerung unter dem 30. Lebensjahr. Eine ordentliche Portion Fantasie braucht es ein solches Buch zu gestalten, manchmal ein bisschen Mut, um es zu betrachten (wegen der Monster...). Und was Freud und die Wissenschaft angeht, bisher wurde die Funktion des Träumens zwar nicht entschlüsselt, dem aktuellen Kenntnisstand kann aber getrost hinzugefügt werden: Träume können als Inspiration für wunderbar gestaltete Bücher dienen. as F I N E KO H L » ICH SEHE WAS, WAS DU NICHT SIEHST« B A C H E L O R B E I P R O F. D R . T H O M A S D U T T E N H Ö F E R


N achschla g f ü r die W er k statt Die Erlösung allen Übels, die Fusion zwischen Design und Produktion, das Backbuch für einen schmackhaften Druck. Das alles und mehr vereint in einem Buch. Bereits die äußere Erscheinung möchte den Gestalter und den Produktioner dazu einladen, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen. Am besten bei einem frisch gezapften Pils und Sonnenschein im Biergarten, um Ideen und Vorbereitungsschritte des anstehenden Printpojekts auszutauschen, um sich anschließend freundschaftlich in die Arme zu fallen.

Das Druckwerk liegt dank des Einbandes griffig in der Hand. Die vordersten Seiten strahlen mir schon beim ersten Aufschlagen entgegen. Goldenes Vorsatzpapier, Ornamente, eine Spiegelfolie, die mich als Koch ins Buch integrieren will, Eichhörnchen, umgefallene Salzstreuer, Herzen, Pflaster, Sticker, Cyan, Magenta, Yellow, ein Büschel Basilikum, Backformen und die Gestaltung nimmt kein Ende. Beim bloßen Durchblättern beginnt eine Entdeckungsreise durch die Welt der Printmedien und deren Kraft, den Leser in ihren Bann zu ziehen. Doch bevor ich mich völlig im Strudel des Druckwerkes verliere, schlage ich das Buch nochmals zu und beginne von vorn. Auf den ersten Seiten finde ich wie gewohnt das Inhaltsverzeichnis. Hier bereitet das Buch mich darauf vor, dass professionelles Drucken dem Backen ziemlich nahe kommt. Die Vorbereitung,

die Arbeitsschritte, die Durchführung und die anschließende Weiterverarbeitung. Von A wie Abschmecken bis Z wie Zertifiziertes Papier. Alles ist drin. Das Buch will sich keineswegs bloß in die Riege der Nachschlagewerke einreihen. Solche gibt es auf dem Markt zur Genüge. Das Druckwerk steht sowohl dem Gestalter als auch dem Produktioner mit seinem Wissen jederzeit zur Seite und lädt auch neben der Arbeit zum Durchstöbern ein. Dabei wird das Buch mit seinen vielen Gestaltungsweisen niemals langweilig und fordert den Leser sogar dazu auf, das gesammelte Fachwissen und die vielen kleinen Details der eigenen Gestaltung spielerisch zu entdecken. Man kann sich leicht verlieren in dieser enormen Detailliebe, die Alessia Corallo in ihre Bachelorarbeit gesteckt hat. Doch


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findet man nicht nur anhand der Stichworte zurück zum Ort des Interesses, sondern auch durch das speziell angelegte visuelle Mapping: Ein Inhaltsverzeichnis, das Doppelseiten des Buches als Miniaturen zeigt, um auch Menschen mit fotografischem Gedächtnis Navigation zu sein. Das Buch ist ein rundum gelungenes Nachschlagewerk seiner eigenen Art und motiviert den Leser, sich mit der vielfältigen Welt des Prints auseinanderzusetzen. Vor allen Dingen aber will das Druckwerk inspirieren und Mut machen. Durch seine Verspieltheit, Experimentierfreude und dem Tanz aus der Reihe der Enzyklopädien zeigt es, dass Print noch lange nicht tot ist. Noch kein elektronisches Lesewerk kommt an die Printmedien heran und vermittelt bei weitem weder diese Authentizität, noch die Realität. Die Haptik, der Geruch, die Optik, ja sogar das Geräusch

beim Umblättern einer Seite aus Papier ist so vielfältig wie bei keinem anderen Medium. Und damit das auch so bleibt, will ein Printprojekt von Anfang bis Ende gut durchdacht sein. Alessia hat hierfür einen wertvollen Wegbegleiter geschaffen, der immer wieder aufs Neue die Welt des Drucks greifbar und erfahrbar macht. mk

ALESSIA CORALLO »DRUCKWERK« B A C H E L O R B E I P R O F. V E R U S C H K A G Ö T Z


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» WHEN YOU DON‘T CARE YOU ARE JUST KILLING EVERY THING«

Ich erfuhr Leben voller Isolation, mentaler Flucht und physischer Gewalt bis hin zu komatösen Zuständen. Diejenigen, die für mich die höchste Form von Authentizität erlangt haben,werden von einer Gesellschaft ausgeschlossen, die mit Individualität wirbt. Jede Facette ihrer Hülle reagierte mit ihrem Inneren und sogar lange Haare waren ein Zeichen von Freiheit, in Anbetracht eines spezifischen kulturellen Hintergrundes. Kann etwas so oberflächliches wie Kleidung so viel Tiefe ausdrücken, wie sie Persönlichkeit in sich birgt? Ich suchte in dreizehn Ländern auf zwei Kontinenten nach der Möglichkeit von Identität und Individualität, reiste jede Woche aufs neue allein an einen mir unbekannten Ort und fahndete nach jenen, welche Kleidung als expressives Mittel ihrer Person betrachten. Durch Interviews von einer bis fünf Stunden entstand eine beidseitige Intimität, ohne die weder ein Verständnis meinerseits noch die Bereitwilligkeit der Subjekte möglich gewesen wären. Darauf aufbauend inszenierte ich cinematographisch anmutende Porträts ihrer Persönlichkeit in scheinbar kompletter Isolation. Die Szenerien dienen als Mittel um meinen Eindruck der Subjekte zu vermitteln. Die Personen und ihre Kleidung sind nicht von mir produziert, sondern lediglich ihr echtes Selbst. Mein gesamtes Wissen beruht auf den Menschen, mit denen ich sprach, und den Orten, die ich sah. – Michael Frahm





MICHAEL FRAHM » THE EXERCISE OF LOOK AND FAIL TO SEE « B A C H E L O R B E I P R O F. F R A N K M . G Ö L D N E R




die welt und ich Change und Chance trennt gerade mal ein Buchstabe. Gesagt, getan! Jean-Philippe Defiebre macht sich mit seiner Masterthesis daran die Welt ein klein wenig besser zu machen...

HAND KOPF HAND & HERZ

biete Hilfe, die Krise! Weltwirtschaft, Klima und dann auch noch die private. Kurz vor seinem Abschluss als Master befindet sich Jean-Philippe Defiebre mitten in der sogenannten Quarterlife Crisis. »Was ist Sinn und Zweck meiner Arbeit? Wer profitiert, wer verliert? Wo muss ich als Designer Verantwortung übernehmen?« Fragen der Moral und Ethik gehen Jean-Philippe durch den Kopf. Und damit steht er nicht alleine. Immer mehr Menschen stellen ihren Lebensstil in Frage und wollen Verantwortung für ihr Handeln, insbesondere auch für ihren Konsum, übernehmen. Kein Wunder, dass die »grüne« Branche boomt: Fairtrade, Bio, regenerative Energien sind in aller Munde und auch das Marketing hat auf das neue Bedürfnis vieler Verbraucher reagiert. So sind bereits bedeutungsschwangere neue Akronyme wie LOHAS (Lifestyle of Health and Sustainability) oder PARKOS (partizipativer Konsument) entstanden, mit denen die immer schwerer greifbaren Konsumenten wie gewohnt in Schubladen gepackt werden sollen, um sie dann nach alter Manier weiterhin zu umwerben – diesmal nur in grün.


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So einfach ist das nicht getan. Durch Internet und soziale Netz- nachgehen und zwar unentgeltlich! So bietet er sechs Monate werke ist der moderne User bestens informiert über das Handeln lang im wahrsten Sinne des Wortes Kopf, Hand & Herz für sozider Konzerne. Der Einzelne erhält im Social Web eine mächtige ale und nachhaltige Projekte. Stimme und dadurch Respekt. Das Ende der klassischen Top- Leistung ohne Gegenleistung? Gerade in Zeiten von Dumpinglöhnen und unbezahlten Pitches ein heikles Down- Kommunikation ist besiegelt. Als Thema. Um nicht lediglich von sparwütiKonsument scheint es ganz einfach sei» G eld ist die gen Unternehmen ausgenutzt zu werden nen Beitrag zu leisten, Consumer Demobe q uemste und um klarzustellen, dass es bei seinem cracy - Politik mit dem Einkaufswagen. Projekt nicht um eine Selbstprofilierung Man muss einfach nur ein wenig tiefer in M öglichkeit , um in der Szene geht, definiert Jean-Philippe die Tasche greifen. Doch ist es damit wirklich getan oder ist dies nur eine moderne unser G ewissen den Rahmen seiner Arbeit selbst. Er sucht sich die Projekte aus und bestimmt den Form des Ablasshandels, um das eigene Gewissen zu beruhigen? Sicher, eine Geld- vorr ü bergehend Umfang seiner Leistung. spende ist schon mal ein Anfang, doch ist zum S chweigen Um schnell und ohne aufwändiges Budget einen hohen Bekanntheitsgrad zu erreisie auch bequem und einfach. zu bringen . A m chen zieht es den Designer ins Web und es Jean-Philippe befindet für seinen Teil, dass entsteht in Windeseile die Internetseite Geld nicht alles ist und dass er wirklich besten zur www.bietekopfhandundherz.de. Als Drehaktiv etwas Gutes leisten will. Als Mensch, mit seinem Wissen, seiner Erfahrung, sei- W eihnachtszeit . « und Angelpunkt der ganzen Thesis laufen an dieser Stelle Präsentation, Akquise und nen Fähigkeiten und seiner sozialen Kompetenz. Schnell wird klar, dass er seine Masterthesis der Thematik Dokumentation zusammen. Zudem richtet er als KommunikaNachhaltigkeit und sozialer Verantwortung widmen möchte, als tionsplattform einen Blog ein, der mittels autopost-Funktion in praktische Arbeit mit experimentellem Charakter. »Was kann relevante Social-Web-Services eingebunden wird und somit als ich als Einzelner aktiv bewirken?« Dieser Frage will Jean-Philippe Multiplikator fungiert.

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1 Flashintro – www.bietekopfhandundherz.de


Schon kurz nach dem Launch der Website ist die Resonanz enorm und Jean-Philippe kann sich ein stolzes Projekt-Portfolio aufbauen. Die Ergebnisse sind wirklich sehenswert! In nur sechs Monaten unterstützt der Designer gleich neun soziale und nachhaltige Projekte. Angefangen beim Screendesign für den Friedensnobelpreisträger Muhammed Yunus und dessen Grameen Creative Lab, das Social Busi-

» S ei D u selbst die V er ä nderung , die D u D ir w ü nschst f ü r diese W elt . « M ahatma G andhi

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ness und Social Responsibility in Europa vorantreiben möchte, bis hin zur Entwicklung von einem Corporate Design, Logo und UserInterface für den Avocado Store, einem Internet-Markplatz für nachhaltige Produkte. Aber auch ein Spaziergang mit pflegebedürftigen Damen am Wiesbadener Freiwilligentag und seine Tätigkeit als Foto-Dozent an der Mannheimer Abendakademie sollen erwähnt sein. Alle Achtung!

1 Avocado Store: Amazon für LOHAS 2 Screendesign für das Grameen Creative Lab

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Jean-Philippe hat in diesen sechs ereignisreichen Monaten viel über sich selbst herausgefunden und dazugelernt. Auch wenn er keine Gegenleistung fordert, kommt immer etwas zurück – neben Kontakten und Referenzen vor allem Respekt und Wertschätzung seiner Arbeit. Leider keine Selbstverständlichkeit in dieser Branche. Man begegnet ihm respektvoll und räumt ihm ungewohnt viel Freiraum ein. »Ein Freiraum, in dem man sich auf Augenhöhe begegnet, kommuniziert und arbeitet, ist mehr Wert, als eine Entlohnung für eine Arbeit ohne Relevanz und Identifikationsmöglichkeit«, findet Jean-Philippe. Er will auch in Zukunft weiterhin soziale und nachhaltige Projekte unterstützen, denn das Engagement des Einzelnen zählt. »Es geht nicht darum die Welt besser machen zu wollen, sondern eher darum, Teil der Veränderung selbst zu sein.« rs J ean - P hilippe D efiebre » biete kopf, hand und herz « master bei prof. kai beiderwellen

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3 Spaziergang mit pflegebedürftigen Damen am Freiwilligentag Wiesbaden 4 Fotoprojekt mit Jugendlichen an der Mannheimer Abendakademie


als ich an f in g in b ildern z u den k en Eine der ersten Diaschauen, an die ich mich erinnern kann, sah ich in der DDR, in einer zum Kino umgebauten Kirche. Mein Opa war in dem dazugehörigen Kurheim Kulturleiter, und durch ihn hatte ich die Möglichkeit daran teilzunehmen. Das Kurheim lag im Sperrgebiet des Ostharzes, nahe der Grenze zu Westdeutschland. In der Diaschau berichtete ein Mann von seiner Reise durch Afrika. Auf einem der Bilder, die mich so erstaunten, war ein grosser Topf mit Essen, aus dem alle dort Herumsitzenden gemeinsam aßen. Ein anderes Bild zeigte eine Ländergrenze am Ozean, der Sprecher sagte, man hätte das Grenzschild einfach aus dem Sand ziehen und ins Meer werfen können und die Grenze wäre verschwunden. Das hatte mich überaus erstaunt, weil eine Grenze für mich so etwas Erhabenes, Gewaltiges und Ewiges war. Die nächste Diaschau sah ich in Westberlin nach dem Mauerfall auf der Funkausstellung. Es war eigentlich eine Präsentation für Bose-Lautsprecher. Auf einer Kinoleinwand wurden Dias eines Feuerwerkes projiziert und der Sound dazu war absolut bombastisch. Nach dem Spektakel wurden die Bühnenvorhänge links und rechts zurückgezogen und es kamen die winzigen Bose-Lautsprecher zum Vorschein. Es hieß dazu »Sie können sich heute das leisten, was früher nur Königen vorbehalten war.« Diese Vorstellung hatte auch ein Feuer in mir entfacht. Von nun an wusste ich, dass sich gute Fotos und super Sound zu einem unvergesslichen Erlebnis verbinden können. Kurz darauf bin ich mit meinen Eltern von Berlin nach Bayern gezogen. In Bayern entdeckte ich meine Freude am Radfahren. Als ich dann immer mehr ein Problem damit bekam, homosexuell zu sein, kam ich auf die Idee, einfach eine lange Radtour durch Amerika zu planen und mir bis nach dieser Tour keine Gedanken mehr über mein Problem zu

machen. Letztendlich hatte ich doch noch mein Coming-Out geschafft und die Idee der Radtour ging erstmal verloren. Ein halbes Jahr später kam ich auf die verrückte Idee Mikrosystemtechnik zu studieren. Ich versagte aber total mit Mathe und mir ging es sehr schlecht, so kam ich wieder auf die Idee einer langen Radtour als Lösung meiner Probleme. Aus finanziellen Gründen wollte ich nun aber durch Deutschland reisen. Es ging mir erst mal nur um die ständige Abwechslung und die vielen Erlebnisse dabei. Doch um auch nach der Radtour dem schrecklichen Alltag zu entkommen, plante ich eine Diaschau über die Reise zu machen und sie in Amerika zu zeigen. Langsam fing ich an mich immer mehr für das Vorhaben zu begeistern. Ich kaufte mir eine Spiegelreflexkamera und las Bücher über Fotografie. Das Tolle daran war, ich bekam immer mehr Ideen, was ich alles mit diesem Medium umsetzen konnte. Ich fing praktisch an in Diaschauen zu denken. So fuhr ich dann zweieinhalb Monate durch Deutschland und machte dabei 2000 Dias oder 55 Filme. Die daraus entstandenen Arbeiten spielen in München, Mittelrhein, Singen, Oberstdorf, Füssen, Burghausen und Salzburg, was ich annektiert hatte. Doch als ich die Radtour beendete, fiel ich in ein großes Nichts. Ich hatte wieder mit Depressionen zu kämpfen und kümmerte mich nicht mehr um das Fertigstellen der Diaschauen. Anfang des nächsten Jahres machte ich ein Produktdesignpraktikum in München,woraus später die Arbeit »Es war fast, wie auf einer Party« entstand. Die Begeisterung für Diaschauen hatte ich nicht verloren, ich war immer noch fasziniert von der Möglichkeit, statischen Bildern durch Musik und Sprache Leben einzuhauchen. Das Magische für mich ist das, was zwischen zwei Bildern passiert. Es ist


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Am sĂźdlichen Ende der Strasse, in der ich zuerst wohnte, stand noch immer mein Kindergarten, den ich zuerst besuchte, bis ich dreieinhalb Jahre alt war. Der Kindergarten war bereits geschlossen. Und ich versuchte, durch die LĂścher des Blechvorschlags hindurch zu fotografieren. Ich war so fasziniert, dass die Einrichtung noch so original erhalten war, ja sie musste sogar noch aus der Zeit stammen, als ich dort hineinging. Immer, wenn wir Mittagsschlaf machen sollten, legte ich mich nur hin und dachte mir Geschichten aus, die seltsamerweise irgendeinen sexuellen Inhalt hatten. Doch an etwas Konkretes erinnere ich mich kaum noch. Ich bastelte in Gedanken so lange an den Geschichten, bis sie


mir gefielen. Als ich anfing in Bildern zu denken, sah ich noch ovale Bilder, die hell erleuchtet waren auf schwarzem Hintergrund. Als ich den Kindergarten wegen Umzug verlieSS, bekam ich ein groSSes Bild geschenkt, auf dem lauter Fotos waren, von Kindern aus meiner Gruppe und ich war froh endlich ein Foto zu haben, von dem Jungen, der mir besonders gut gefiel. An den Garten erinnere ich mich nur noch durch einen Traum, der dort spielte. Doch das Schmetterlingsmuster am Eingang hatte ich sofort erkannt. Sp채ter suchte ich immer wieder die zwei T체rme in Berlin, die ich sah, wenn ich mich zur Mittagsruhe hinlegte.


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der fortlaufende Ton. Ich überlegte krampfhaft, wie ich damit Geld verdienen könnte, doch eine rettende Idee, die kam mir nicht. Als Nächstes probierte ich Forstwirtschaft zu studieren, weil meine Eltern mir Druck machten, irgendwas zu unternehmen. Es gab dabei einen Wochenend Rhetorikkurs, wodurch ich wieder etwas zu mir kam, weil mir der intensive Kontakt zu ein paar Leuten ganz gut tat. Eine Aufgabe war, irgendeinen Quatsch über einen Gegenstand zu erzählen, der einem in die Hand gedrückt wurde und wir stellten fest, es fällt einem immer etwas ein, wenn man die Hürde nur niedrig genug ansetzt. In der Nacht darauf hatte ich die Arbeit »Au in der Hallertau« erstellt und sie kurz darauf einigen Kommilitonen am Diaprojektor vorgeführt. Den Text zu den Bilder sprach ich selbst. Zweimal lief´s gut, einmal ging´s schief. Im Sommer darauf machte ich in Berlin Fotos für die Diaschau »Der Tag an dem ich ging«. Ich ging nach Mannheim und begann dort mein Designstudium. Nach dem ersten Semester unternahm ich wieder eine Entdeckungsreise durch Berlin und glaubte nicht wieder nach Mannheim zurück zu kommen. Es entstanden die Fotos für die Arbeit »Auf der Suche nach meinem Deutschland«. Ich probierte dann doch ein weiteres Semester zu studieren und blieb in Mannheim hängen. Durch die vielen Kurse war ich immer irgendwie beschäftigt. Was mich wirklich faszinierte, das war Philosophie. Im Jahr 2005 machte ich die letzten Fotos für eine Diaschau »Als ich anfing in Bildern zu denken.« Erst bei der Vorbereitung meiner Diplomarbeit kam ich wieder auf das Vorhaben zurück, eine Diaschau über meine Deutschlandradtour fertig zu stellen. Ich präsentierte meinem betreuenden Professor das Konzept dafür, als letztes von drei Vorschlägen.

Prof. Berger war ganz begeistert davon, ich glaube auch, weil ich einen riesen Ordner mit Diamaterial dabei hatte. Er steckte mich an mit seiner Begeisterung, und ich sagte mir: »Er holt das Beste aus mir raus.« Nun war ich damit konfrontiert, die ganzen Filme einzuscannen, was eine endlose Aufgabe zu werden schien. Die Arbeit der Reisebeschreibungen wurde mir recht schnell etwas langweilig und ich entwickelte viel mehr Interesse an Aufnahmen, die ich später gemacht hatte und die noch mehr mit mir zu tun hatten. Das waren vor allem die Bilder meiner Reisen durch Berlin, ein für mich magisch gewordener Ort. Obwohl ich schon länger in Berlin gelebt hatte und das eigentlich nichts Außergewöhnliches war, ist dieser Ort jetzt etwas ganz anderes für mich, früher wusste ich einfach nicht, was Berlin alles zu bieten hat. Die Reisebeschreibungen drücken meine Flucht vor dem Alltag aus, den Hunger nach Abwechslung und neuen Erlebnissen. Doch die Diaschauen über Berlin treffen meinen innersten Nerv, die Sehnsucht nach einem Ort, an dem alles möglich ist, sich meine innigsten Wünsche erfüllen können, ich meine Depressionen zurücklassen kann. Und eigentlich ist dieser Wunsch gar nicht viel mehr, als Menschen wie mich zu treffen, die nicht normal sind, die kein Plan haben, außer der Suche nach Erlebnissen, die hier und jetzt ihr Glück machen wollen. Ich will fühlen nicht allein zu sein und für den Rausch zu leben. – Nicolas Thielemann

nicolas thielemann »auf der suche nach meinem deutschl and« d i p l o m b e i P r o f. j ü r g e n b e r g e r


EINE GARNELE GEHT IHREN WEG Die Fahrt der Garnele mit dem Auto vom Einkaufszentrum nach Hause ist ein Katzensprung verglichen mit der Odyssee, die sie bereits bei der Ankunft im K端hlregal hinter sich gebracht hat. Katharina Stipps Arbeit foodway handelt von genau diesen und anderen Unstimmigkeiten, die man in globalen Nahrungsketten wiederfinden kann.


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Nicht wenige Studenten deutschlandweit haben anfangs das Problem, der Familie zu erklären, was denn eigentlich dieses »Kommunikationsdesign« sein soll, das sie studieren. Es sind manchmal einige Semester Studium nötig, um ein Gefühl für sein Fach zu bekommen, um eigene Worte zu finden seinen Studiengang zu beschreiben. Der Einfachheit halber weicht man oft auf bekannte Berufe wie Grafik oder Kunst aus, um schnell aus dem Schneider zu kommen. Grafik? Kunst? So falsch ist das nicht, doch eine wichtige Komponente kommt hinzu: das Interesse vermitteln durch Design. Wie das in der Praxis aussehen kann, darf man sich gerne bei Katharina Stipps Arbeit foodway anschauen. Katharina visualisiert mit ihrem ambitionierten Projekt foodway den Weg, den unser Essen täglich geht. Sie schult nebenbei unser Gefühl für den Energieverbrauch, den etwa eine Nordseekrabbe auf dem Transportweg von Norddeutschland nach Marokko zurücklegen muss. Zahlreiche Animationen verdeutlichen Zusammenhänge zwischen Import und Export von z.B. in Deutschland produziertem Fleisch und Fleisch, das aus dem Rest Europas stammt. Welche Nahrungsmittel von wo genau in welche anderen europäischen Länder exportiert werden, oder wie viele Nahrungsmittel ein Land im globalen Vergleich herstellt, kann man sich in foodway übersichtlich, und vor allem grafisch überzeugend aufbereitet, anzeigen lassen. Auszüge aus dem Konzept: »Mit dem webbasierten Simulationsprogramm foodway soll die Nahrungskette gläsern präsentiert werden. So hat der Verbraucher die Möglichkeit, Informationen über ein Produkt vom Anbau, über die Verarbeitung bis hin zum Handel,

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Fleischproduktion in Deutschland: Man kann u.a. ablesen wieviel Prozent von jeder Fleischsorte im jeweiligen Bundesland produziert wird.

2 Verschiedene Icons werden für unter schiedliche Fleischarten verwendet:

Oben: Rind- und Kalbfleisch, sowie Gänsefleisch; Unten: Makrele, Karpfen und Garnele


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foodway-Screenshot: Im unteren Areal besteht die Möglichkeit weitere Ebenen einzublenden; außerdem werden detaillierte Statistiken angezeigt, basierend auf der Auswahl im Hauptfenster.

2 Oben: die Icons für Pistazie und Kokosnuß; Mitte: Broccoli, Aubergine und Schalotte; Unten: Wassermelone, Kiwi und Feige 3

Rechte Seite: Polen produziert 5% an europäischen Fisch- und Fleischerzeugnissen. Davon gehen die meisten Exporte an europäische Länder in der Nachbarschaft.

dem Transport und schließlich den Verkauf beim Endkunden offengelegt zu bekommen. Hierbei werden unterschiedlichste Faktoren wie beispielsweise km-Anzahl, CO2-Ausstoß, Entsorgung, Stauentwicklungen, Kühlungsprozesse, Wasserverbrauch usw. untersucht.« Die erste grobe Aufteilung geschieht nach Kontinenten: der User hat die Weltkarte vor sich und kann in einem Navigationsmenü verschiedene Informationsebenen aus- oder einblenden, etwa den Gemüseanbau, die Fischzucht oder die Fleischproduktion. Wählt man einen Kontinent aus, z.B. Europa, vergrößert sich der Kartenausschnitt bis die einzelnen Ländergrenzen erkennbar werden. Nun das Spiel von vorn: verschiedene Ebenen kann der User auch hier wieder auswählen und sich etwa das Verhältnis von Fisch- und Fleischproduktion eines jeden Landes anzeigen lassen. Wird ein Land durch Klicken ausgewählt, werden dessen Exportwege in andere Länder angezeigt. Wählt man die Deutschlandkarte aus, erhält man einen sehr guten Vorgeschmack dafür, wie foodway aussehen könnte, wenn von jedem Land derartig viele Informationen zusammengetragen würden: Die Nahrungsproduktionsstätten eines jeden Bundeslandes werden genau und im Detail aufgezeigt. Teilweise können sogar einzelne Farmgebiete ausgewählt werden, um sich prozentual aufgeschlüsselt anzeigen zu lassen wie viele Rinder, wie viele Schweine usw. hier gezüchtet werden. Abgesehen von der recht aufwendigen technischen Umsetzung dieser Arbeit, sticht eine Aufgabe ganz besonders hervor: das Sammeln der unterschiedlichsten Informationen. Katharina kämpfte sich durch sehr viele Webseiten von denen einige, in ihrer Unübersichtlichkeit, eindrucksvoll von den Anfängen des Internet zeugen. Diese Daten zu sammeln, zu ordnen und sie in eine einheitliche und attraktive Form zu pressen ist eine der lobenswertesten Errungenschaften von foodway. Das sah wohl die :output Award Jury genauso: Katharina hat es geschafft, den User zu unterhalten und zum Nachdenken anzuregen. Die Jury ließ sich davon begeistern und ernannte Katharina dieses Jahr zu einer der :output Award Preisträger. Kommunikationsdesign ist also das Schmackhaftmachen eines mitunter unattraktiven oder schwierigen bis leidigen Themas. Um einen bleibenden Eindruck beim User zu hinterlassen, bedient man sich der breiten Palette medialer Hilfsmittel. Ein schönes, von ihr selbst erstelltes Präsentationsvideo zu foodway kann man sich übrigens im komma-Kino oder auf vimeo (www.vimeo.com/14089772) anschauen. mwg


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K AT H A R I N A S T I P P » F O O D W AY« B A C H E L O R bei P rof. V E R U S C H K A G Ö T Z



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A B S T R A K T e realität Michael Witkowski richtet sein Augenmerk auf den illustrativen Aspekt der analogen Fotografie. Das Ergebnis sind experimentelle Bilder mit abstraktem Ansatz.

Fotografische Synthese. Was stellt man sich darunter vor? Es geht um Illustration und, wie schon der Begriff verrät, um Fotografie. »Photos« bedeutet Licht und Helligkeit, »graphein« unter anderem zeichnen und malen. Und da die Zeichnung die Grundlage vieler Illustrationen ist, steckt die Erklärung sogar schon im Wort Fotografie. Michael Witkowski reizte bei seiner Semesterarbeit Fotografische Synthese exakt dieser illustrative Aspekt der analogen Fotografie. Durch die Verschmelzung beider Bereiche ist es ihm gelungen, neue Bildwelten entstehen zu lassen. Durch die Mehrfachbelichtungen verschwinden bekannte Muster und werden entstellt. Stellenweise erkennt der Betrachter ihm verwandte Formen, durch den abstrahierten Kontext jedoch, wird er gezwungen die Gefühle, die von einem einzelnen Bestandteil des Bildes ausgehen, zu unterdrücken und die restlichen Elemente mit in den Kontext zu übernehmen. Die Wahl der Schwarzweiß-Fotografie und nicht etwa der Farbfotografie ist bewusst gewählt. Zum einen verschmelzen durch die Abwesenheit von Farbe die einzelnen Elemente besser ineinander und bilden so eine homogene Erscheinung. Zum anderen erinnern die Schwarzweiß-Linien stellenweise an mit dem Lineal gezogene Vektorgrafiken, die am Computer entstanden sein könnten. Aus urbanen Strukturen und Gebilden entstehen harmonisch grafische Illustrationswelten, in denen man sich verlieren kann. Michael hat um die 400 Fotos geschossen. Die Auswahl war schwer, denn jede fotografische Illustrationswelt erweckt ein anderes Gefühl. cw

M I C H A E L W I T KO W S K I »FOTOGRAFISCHE SYNTHESE« S E M E S T E R B E I P R O F. F R A N K M . G Ö L D N E R




KÖNIGSKUNDE Monarchen sind in unseren Gefilden rar gesät, will man meinen. Julian Zimmermann hat für seine Bachelorthesis einen entdeckt, der jegliche Erwartungen übertrifft.


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»Der Kunde ist König« – Eine Redensart mit weitläufiger Bekanntheit und für so manchen die größte Lüge der Dienstleistung. Heiter und inflationär wird sie jedem ins Gesicht gesagt. Längst nicht mehr nur die Maxime der großen Nobelhotels, vielmehr betrifft dieser Satz jeden. Ob Kunde oder Anbieter. Ob Fliesenleger oder Automobilhersteller. Darum verschließt so mancher die Gehörgänge schon bei der bloßen Erwähnung. Julian Zimmermann hat sich dem nicht verschlossen. Er nimmt diesen Satz beim Wort und lässt einen König Kunde sein. Julian erging es zu Beginn wohl wie den meisten Studenten, die nach dem Thema ihrer Abschlussarbeit forsten. Ansprüche, die quälende Angst, denselben nicht gerecht zu werden oder sie erst gar nicht zu finden. Eines darf vorweggenommen werden: Fündig ist er geworden. Das Thema ist fesselnd, aufsehenerregend und wohltätig; fokussiert sich jedoch nur in einer einzigen Person. Eine Person, die ihn in den nächsten Monaten nach Afrika locken sollte. Céphas Bansah, 1948 in Ghana geboren, ist stolzer Besitzer einer KFZ-Werkstatt in Ludwigshafen am Rhein. Schon das Hoftor verspricht Außergewöhnliches mit

seinem tiefschwarzen Anstrich und güldenen Symbolen. Daneben ein Wohnhaus. In seiner architektonischen Erscheinung an sich eher unauffällig, würde da nicht ein handgeschnitztes Dach auf zwei Säulen die Haustür zieren. An manchen Tagen sieht man eine veraltete Stretchlimousine samt geschweißter Beflaggung davor stehen. Die Einrichtung des Wohnhauses orientiert sich am Pfälzer Chic, immer wieder durchbrochen von afrikanischen Elementen, deren Krönung in einem hölzernen Thron mitten im Wohnzimmer gipfelt. Felle exotischer Tiere säumen den Teppich davor. Der Eindruck eines gewöhnlichen Werkstattbetreibers scheint an diesem Punkt


hinfällig. Zurecht, denn Céphas Bansah ist König von Hohoe Gbi Traditional Ghana. 300.000 Menschen zählt der Stamm der Ewe in der Region, die seine Untertanen bilden. Erweitert kümmert er sich um zwei Millionen Stammesangehörige im Staat Togo. Zwecks Ausbildung kam er als junger ungebundener Mann nach Deutschland, ließ sich in dem »Land, in dem man immer friert« nieder und gründete eine Familie. Als Preisboxer und singender Entertainer à la James Brown untermauerte er seine Vielseitigkeit und sein Temperament. Eines Tages jedoch verstarb Bansahs königlicher Großvater. Dessen Erbe konnte nicht vom einzigen Sohn, Bansahs Vater, noch von Bansahs älterem Bruder angetreten werden. Schließlich sind beide Linkshänder – ein Fakt, der für das Amt des Monarchen disqualifiziert. Somit wurde nach fünfjähriger Debatte des Ältestenrates der junge Bruder in Deutschland zum Nachfolger auserkoren – mit den größten Erwartungen. Aus Céphas Bansah wurde König Bansah. Damals wie heute regiert er sein Volk nach Feierabend mit Hilfe seiner deutschen Frau von Ludwigshafen aus. Dies bedeutet in erster Linie Gelder für Schulen und Infrastruktur zu sammeln. Hierzu vermarktet sich der Monarch selbst als exotischer Schlagerstar, der gerne auch mal bei der Autogrammstunde Küsschen auf die Wangen der Damen verteilt, zusammen mit den Wildecker Herzbuben den Klassiker »Oh Tannenbaum« zum Besten gibt (auch auf CD erhältlich) oder seine eigene Biersorte »AKOSOMBO« vertreibt. Die deutsche Wahrnehmung sortiert den König von Hohoe gern in die Kategorie der Spaßmacher und exotischen Gaukler ein. In seinem Heimatland jedoch ist er der erhabene Stammesführer, dessen Position ihm nicht die kleinste Nachlässigkeit erlaubt. Dies konnten auch Julian und seine Begleiter auf ihrer Reise nach Ghana vor Ort feststellen. Eine Reise, welche den Dualismus der Person Céphas Bansah offenlegte und Anreiz für die Entwicklung eines royalen Corporate Designs gab. Ein strukturiertes Erscheinungsbild der Marke »Bansah« war nicht vorhanden, also mussten andere Orientierungspunkte gesucht werden. Fündig wurde man in den ursprünglichen Formen und Mustern der einheimischen Webkunst und kombinierte diese mit dem Auftreten europäischer Königshäuser. Herausstechend ist die Überarbeitung des königlichen Wappens zu einem hoheitlichen Logo, welches nach wie vor die ursprüngliche Geschichte darstellt. Es zeigt, wie der Monarch einen Untertan beim Erklimmen eines Baumes voller Früchte unter-

unterstützt. Des Weiteren ist ein real existierender Voodoo - Stein abgebildet, der vor der Gefahr in Gestalt eines Krokodils schützt, sowie die Krone, die über allem prangt. Allein dieses Logo macht sichtbar wie substanzielles Design Türen für Identitäten zu öffnen weiß und diese formschön miteinander verbinden kann. Hindurchgehen muss der Kunde selbst, doch der Gestalter kann ihm den Weg weisen. Zudem beinhaltet die Arbeit von Julian zahlreiche Anwendungen auf verschiedene Medien, von der Limousinenbeflaggung über die Website bis zum royalen Bier. Der Rahmen einer Bachelorthesis ist wohl bei weitem gesprengt, insbesondere durch einen Vortrag des Studenten mit königlicher Unterstützung auf der »TYPO Berlin«, der von dem anwesenden Fachpublikum begeistert aufgesaugt wurde. Stehende Ovationen folgten auf die charmante Darbietung sowie der rasante Ausverkauf des angebotenen »AKOSOMBO« Bieres des Monarchen. Weitergehen, wie Julian meint, wird es in dem kommenden Jahr auf jeden Fall. Man darf also weiterhin gespannt sein auf die Marke König Bansah – Design, Design, Mein Königreich braucht ein Design. hs JULIAN ZIMMERMANN C O R P O R AT E D E S I G N – KÖ N I G B A N S A H B A C H E L O R B E I P R O F. K A I B E I D E R W E L L E N


Fotos: Mirka Laura Severa

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damals wie heute regiert er sein volk

–

von ludwigshafen aus.



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V on g an z weit o b en »Wenn man auf einen Baum klettert und von dort oben auf die Welt hinabblickt, sieht sie ein klein wenig anders aus als sonst. Steht man am Fenster eines sehr hohen Hauses und schaut hinunter auf die Stadt, die einem zu Füßen liegt, erkennt man sie kaum wieder. Es reicht den gewohnten Blickwinkel, den man auf die Dinge hat, ein wenig zu verschieben: dann sieht alles anders aus, obwohl sich nichts verändert hat.«


Auch wenn in dem Titel Ein Dorf Namens Welt der Begriff des Global Village mitschwingt, ist Globalisierung nicht das Thema von Florian Wolfs Bachelorarbeit. Vielmehr hat er es sich zur Aufgabe gemacht, die erste Geschichte von Dorothee Krüger zu illustrieren, die den Lauf der Dinge in unserer Welt auf das Wesentliche reduziert, und anhand eines Dorfes erklärt. In Buchhandlungen stehen Bilderbücher gewohnheitsmäßig in den Regalen der Kinderabteilung. Dieses Werk ist jedoch ausdrücklich »... für nicht mehr ganz kleine und schon große Leser.« Komplexe Zusammenhänge lassen sich meist besser erfassen, wenn man etwas Abstand zu der Sache gewinnt. Dies ist erst recht der Fall, wenn man selbst ein Teil des Ganzen ist. In Ein Dorf Namens Welt treten wir einige Schritte von der Welt zurück, in etwa so viel, bis sie uns eben so klein wie ein Dorf vorkommt. Aus dieser Perspektive zeigen uns Florian und Dorothee den Lauf der Geschichte. In klarer, leicht verständlicher Sprache wird die Entwicklung der Menschheit vom Urknall bis zur Erbauung von Städten geschildert. So präzise und klar wie Dorothees Schilderung

der Entdeckung des Feuers, des Aufkommens von Philosophie oder des Kampfes zwischen Wissenschaft und Religion sind auch Florians Illustrationen. Mit sehr viel Liebe zum Detail entstanden mit dem Rapidographen Strich um Strich Tuschezeichnungen zu unserer Entstehungsgeschichte. So lässt Florian aus unzähligen kleinen Strichen die Schwärze des Weltalls entstehen, zwischen denen das Weiß des Papiers wie tausend kleine Sterne funkelt. Auch im Kapitel über eine der wichtigsten Entdeckungen der Menschheit, die des Feuers, formen die dünnen Linien des Tuschestifts das Spiel zwischen Licht und Schatten. Dass es sich hierbei, wie schon erwähnt, nicht einfach um ein schön erklärendes Kinderbuch handelt, wird spätestens beim Lesen zwischen den Zeilen klar. Ohne aufdringlich zu sein, fordert uns die hier und da eingestreute Kritik in der Geschichte dazu auf, öfter mal innezuhalten, einen Schritt zurück zu treten und uns ein paar Dinge vor Augen zu führen. Unseren Umgang miteinander und unserer Umwelt; oder wo wir eigentlich herkommen und wo wir hin wollen. am


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F lorian W olf Âť E in D orf namens W eltÂŤ B achelor bei P rof. T homas D uttenhĂśfer


»Während zwanzig Sekunden war der blaue Himmel sichtbar, von schwarzen Wolken durchzogen, die goldene Sichel des zunehmenden Mondes, der sanfte Lichthof, der die Mondsichel umgab, die Sterne klein und stechend, sie leuchteten umso stärker, je länger man sie betrachtete, bis sich der Blick im Lichternebel der Milchstraße verlor. All das sah man nur ganz schnell. Jedes Detail, das man länger betrachtete ließ einen die Ansicht des Ganzen verlieren, denn zwanzig Sekunden sind kurz, und schon begann wieder das GNAC. GNAC war ein Teil der Werbe-Leuchtschrift SPAAK- COGNAC auf dem Dach vis-à-vis, zwanzig Sekunden an, zwanzig Sekunden aus, während es leuchtete sah man nichts anderes.« Italo Calvino in Luna e GNAC, 1963

weisse nächte


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Der Tag gewinnt, überlistet ist die ewig eintönige Rotation der Erde, erlegen sind menschliche Ängste, tief verwurzelt, das Leben scheint länger im holden Schein eines dünnen Faden glühenden Drahtes – die Nacht ist gebannt, gepriesen sei das magische Licht! Ob gefällig und hübsch oder gezielt und effektvoll, seit der Stunde seiner Geburt fängt es die Blicke, spendet klare Sicherheit und heimeliges Wohlbefinden unter den Menschen. Seinen Platz als eines der bedeutendsten Phänomene menschlicher Zivilisation dürfte es sich seitdem redlich verdient haben, scheint es doch als würde jedes Quäntchen die Welt um ein kleines Stück besser machen. Bei genauerer Betrachtung jedoch, treten an ebendiesem Punkt blinden Vertrauens, in einem toten Winkel, Makel auf. Diese im Blick, haben es sich Katharina Bührer und Eva Sommer in ihrer gemeinsamen Bachelorarbeit Das Verschwinden der Nacht nun zur Aufgabe gemacht, das komplexe Thema Licht aus seinem selbstverständlich erhabenen Kontext zu lösen, von allen Seiten zu beleuchten und zumindest ein wenig Aufmerksamkeit für das junge Umweltproblem zu erhaschen. Auf den Punkt gebracht in einem Bücherduett, einer Serie faltbarer Plakate und einem Auszeichnungskonzept für das rechte Leuchtmaß. Im Bruchteil eines Wimpernschlags der Erdgeschichte hat es der Mensch, scheinbar mühelos, vollbracht, das Firmament in voller Höhe und Breite auszuleuchten und dunkle Flecke recht konsequent auszumerzen. So führt der Begriff »Lichtverschmutzung« leicht in die Irre, ist er doch bezeichnend für mögliche Verunreinigung und Schädigung durch ebendiesen gefeierten Aufheller. Schmutz dieser besonderen Art ist in jeder Nacht und allerorts zu finden. Zumeist unerkannt, strahlt er unter anderem in Gestalt antiquierter Quecksilberdampflampen und wirbt mit schlaflosem 24Stunden-Lächeln in den Auslagen der Schaufenster. So erfordert

es geübten Kennerblick in der Fülle der Leuchtmittel, mangelnde Notwendigkeit und Übermaß an Intensität zu enttarnen. In diesem Sinne obliegt es dem ersten Buch aufzuklären, eine bewusste Wahrnehmung und Orientierung in einer weitreichenden Artenvielfalt dieser Materie zu schaffen. In weitläufigem Zusammenhang ergibt sich aus Schaden wie auch Möglichkeiten des Nutzens ein übersichtliches Gesamtbild. Fundierte Sachtexte, eindrucksvolle Zahlen und Zwiegespräche mit Experten verbildlichen und leiten verständlich tiefer in die helle Thematik aus essentiellem, wie auch nutzlosem Leuchten, Emission, Imission sowie unterschiedlichster Weißtöne. Über menschlich kleinem Schicksal verspielter Regeneration und Hormonausfall wölbt sich das astronomische Resultat in Form eines schlaflos glimmenden Neun-Klassenhimmels, fahl überstrahlten Gestirnen und einer vermissten Milchstraße. Ein vages Gefühl des Verlusts macht sich bemerkbar. Zwischen wissenschaftlich schlichtem Überblick verströmen großzügig bemessene Fotografien eine unwirklich sanfte Atmosphäre. Wiederum ist es das künstliche Licht, das kahle Brücken, karges Geäst und krabbelndes Getier in süße, pastellfarbene Töne taucht, den Bildern trügerische Schönheit verleiht und die wache Nacht direkt vor Augen führt. Die Tragik verbirgt sich im Kleinen, im Detail, im Verglühen tausender filigraner Flügelschläge, im Gesang brütender Vögel zwischen schneebedecktem Wintergeäst, im Untergang winziger Schildkröten auf der irren Suche nach dem einen blinkenden Spiegel im weiten Lichtermeer. Wo der Mensch glaubt zu sehen, erblinden zahllose andere. Unter dem rasanten Anschwellen urbaner Lichtglocken verdrehen innere Uhren, in den Massen der Irrlichter verschwinden altvertraute Wege neben blendenden Routen. Es bleibt keine Zeit für Anpassung.



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Angelangt auf der letzten Seite des ersten Teils steht die Erkenntnis. Ein alter Wert unvermutet entzaubert, ein Neuer ebenso unerwartet gewonnen. Damit die Qualität des Wertgeschätzten nicht dem Zufall anheim fällt, haben Katharina und Eva mit dem zweiten Teil ihrer Arbeit ein Zeichen gesetzt. Mit sorgfältigem Augenmerk auf die unersetzbare kulturelle Rolle künstlichen Lichts, erarbeitete Schwächen und ein ausgewogenes, natürliches Wirkungsgefüge ist der Gedanke der Initiative Nachtschutz und des dazugehörigen Gütesiegels entstanden – auf bislang unerschlossenem Gebiet. Ausgezeichnet werden ausgewählte Leuchtmittel mit geringer Streuweite und bedächtigem Einsatz von Stärke und Spektrum, während uneingeschränkte Lichtausbeute und fahrlässig ausgedehnte Blendkraft unbeachtet ins Dunkel verwiesen werden. In formeller Hinsicht hebt sich diese Würdigung sauberen Lichts durch einfache, grafische Geradlinigkeit hervor. Eine fließend getönte Punktformation, orange zu schwarz, symbolisiert die Schritte zurück in natürliche Dunkelheit. In Form des finalen großen Kreises spiegelt sich die unverfälschte Nacht wieder. Das darauf abgestimmte Konzept einer Internetpräsenz für die Initiative und die aufklärende Plakatserie knüpfen geradezu nahtlos an die durchdachte Gestaltung an und runden das Ausrufezeichen für die Öffentlichkeit formschön ab. So scheint sich an dieser Stelle letztendlich, ansprechend und ohne Zwang, nun doch noch ein Weg aufgetan zu haben, den Tag in seine naturgegebenen Schranken zu verweisen und der Nacht zurück zu altbewährter Form zu verhelfen. mw K a t h a r i n a B ü h r e r u n d E va S o m m e r » Da s V e r s c h w i n d e n d e r Na c h t « Ba c h e l o r b e i P r o f. V e r u s c h ka G ö t z


das universum im k leiderschran k Wer hat schon den Überblick, über die Stücke, die sich seit dem Abschluss der Wachstumsphase im Schrank gestapelt haben. Wer hat die Zeit, aus dem Vollen zu Schöpfen und die abwegigsten Stücke zu einem Outfit zu kombinieren? Welcher Mann hat Lust dazu?


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1 Auf der Hauptseite können die Outfits kombiniert werden. 2 Kleidungsstücke können von der Einzelübersicht per drag & drop in das Karussell gezogen werden.

Wir sind alle oberflächlich. Vielleicht existiert in einer fernen, weniger visuellen Galaxis eine Fakultät, deren Studenten ihr Herz nicht in Form von gewebten Fasern an die Oberfläche tragen, wie es der Durchschnittsdesigner tut. Wir jedenfalls sind so. Kleidung ist angewandtes Design, Außendarstellung und deswegen auch von beruflicher Relevanz. Auffallen ist jedoch nicht einfach. Trend und Antitrend werden den konträren Zielgruppen gleichsam so lange aufgetischt, bis das Individuum erkennt, dass der lieb gewonnene Trend keiner mehr ist. Es wendet sich dann von ihm ab, um sich in der nächsten Sackgasse zu verrennen. Über die Jahre sammelt sich in den Kleiderschränken allerhand modischer Schabernack. Hawaiihemden und Pollunder, Jogginghosen mit Knopfleisten und extremem Schlag, XXL Shirts und Lederleggins, Buffalos und Ballerinas. Zeit durchzuschnaufen und

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einen Schritt zurück zu machen. Kristin Lauer hat eine Webapplikation entwickelt, mit der wir altbewährte Klamotten auf wenigen Bitmetern ausbreiten können, um nach ungeahnten Kombinationen zu suchen. Organisierter Tausch und entschleunigter Liebhabermarkt ersetzen das endloses Trendgehetze. Die dreimonatige Bearbeitungszeit ihrer Bachelorthesis hat Kristin dazu genutzt den eigenen Kleiderschrank zu sortieren. Prokrastination? Im Gegenteil: Ohne nennenswerte Programmierkenntnisse entschließt sie sich meineankleide zu entwickeln. Und die funktioniert so: Der User fotografiert seine Kleidungsstücke, lädt die Bilder hoch, bestimmt die zugehörige Körperregion und weist den Klamotten Attribute wie sportlich oder elegant zu. Dann kann nach Herzenslust kombiniert werden. Drei Karusselle ermöglichen das einfache Zusammenstellen. Das Prinzip lässt sich auch in den drei verschiedenen Schriften des Logos wiederfinden. Farben und Gestaltung sind unauffällig gehalten. So wird das Augenmerk auf den Inhalt des Kleiderschrankes gerichtet. Eine Figur am Rande hilft dem Nutzer sicher durch meineankleide zu navigieren. Einzelansichten gewähren Überblick über die unterschiedlichen Bestandteile eines Outfits. Der Ausbau zum sozialen Netzwerk liegt nahe: Der User kann in seiner Ankleide einen Second-Hand Bereich anlegen, der von anderen Usern durchstöbert werden kann. Somit ermöglicht meineankleide, fremde Kleidungsstücke in die eigene Ankleide zu integrieren und bei Gefallen ein Tauschgeschäft vorzuschlagen. Die vielfältigen Möglichkeiten hören an dieser Stelle noch lange nicht auf. Hersteller


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4 3 Als Giveaways hat Kristin kleine Pimpkits zusammengestellt, die zum kreativen Umgang mit der Klamotte anregen sollen. 4 Nach dem Upload werden dem Kleidungsstück verschiedene Attribute zugewiesen. könnten ihre Stücke mit einem Chip versehen, auf dem bereits Bilder gespeichert sind, und welcher das lästige Abfotografieren überflüssig macht. Außerdem könnte man, wenn die Produzenten mitmachen, vor dem Einkauf Kleidungsstücke auf mögliche Kombinationen überprüfen. Kristins Hauptaugenmerk liegt jedoch ausdrücklich nicht auf dem Erwerb neuer Kleidungsstücke, sondern auf der Auseinandersetzung mit dem bereits verfügbaren Stoff. Man darf also gespannt sein, wie sich meineankleide entwickeln wird. Kristin strebt den Launch für Anfang 2011 an. ml

K ristin L auer » meine A nkleide « B achelor bei P rof. H artmut W öhlbier



Ständig auf Achse. 0810

Die Igepa group gehört europaweit zu den führenden Papiergroßhandelsgruppen mit einem breiten Spektrum an Papieren, Bedruckmaterialien und Drucksystemen. Logistik und Service wird bei den 35 Vertriebsunternehmen in 25 Ländern in Europa und Übersee durch effiziente Strukturen erreicht. Vor allem aber mit den dahinter agierenden Menschen, die jeden Tag die Wünsche von mehr als 50.000 Kunden erfüllen.

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die kleinen stillen dinge Robert Häusser, Wegbereiter der zeitgenössischen Fotografie, spricht exklusiv für die Fakultät für Gestaltung Mannheim über sein Werk, sein Leben und die Fotografie.

Foto: Frank M. Göldner

Ein paar Jahre Überzeugungsarbeit von Fotografie-Professor Frank Göldner waren nötig, doch am 6. Juli war es soweit; der legendäre Mannheimer Fotograf Robert Häusser lud uns zu einem persönlichen Gespräch ins Reiss-Engelhorn Museum ein, um über sein bewegtes Leben als Fotograf und die Entwicklung der Fotografie im Deutschland der Nachkriegszeit zu berichten. Es herrschte reger Andrang auf die begehrten Sitzplätze. Die Studenten und Professoren trafen auf einen bestens gelaunten Robert Häusser, dem dieser Termin sichtlich Freude bereitete. Nach einer kurzen Einführung in das Werk des Hasselblad-Preisträgers durch den Leiter und Kurator des Forum Internationale Photographie der Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim Dr. Claude W. Sui berichtete Häusser

mit viel Charme und Chuzpe über seinen Werdegang als Fotograf. Dabei geizte er nicht mit privaten Anekdoten: so erzählte Häusser lebhaft von seiner ersten Kamera, seiner ersten Ausstellung in der Auslage eines Fotoladens, der Volontärzeit als Pressefotograf und über die mühsamen Lehrjahre in einem handwerklichen Fotobetrieb in der schwäbischen Provinz. Robert Häusser schreckte auch nicht vor den düsteren Kapiteln seines Lebens zurück. Bewegend referierte er über die schweren Jahre in Deutschland zu Kriegszeiten, über Armut, familiäres Leid und seine Menschenscheu, die ihn und den ihm eigenen Stil nachhaltig prägten. So wandte sich Robert Häusser von den Menschen ab und den »kleinen stillen Dingen« zu, die er seitdem mit starken Hell-DunkelKontrasten, einem klar gegliederten Bildauf-

bau und der ihm eigenen Melancholie abbildet. Ebenso begeistern konnte Robert Häusser als wahrer Entertainer mit Berichten über seine Exkurse in die Werbefotografie und Versuche als Fotojournalist für die Bunte. Richtig mitfiebern ließ es sich bei der Anekdote über seine denkwürdige Begegnung mit dem spanischen Diktator Franco, den er irrtümlicherweise am Schlafittchen packte und die für ihn im spanischen Gefängnis endete. Schließlich wandte sich Häusser ausschließlich der Freien Fotografie zu, die er mit seinem Oeuvre wegweisend beeinflusste. Zum Schluss des Vortrags stellte sich Robert Häusser den Fragen des Publikums und man hätte ihm gerne noch stundenlang zugehört! Eine unterhaltsame und inspirierende Begegnung mit einem großen Mann – bewegend! rs


ein neues gesicht Zu Ehren der sportlichen Erfolge der Mannheimer Athleten im vergangenen Jahr klopfte die Stadt Mannheim an die Türe unserer Fakultät, mit der Bitte, der Feierlichkeit Sportlerehrung Mannheim ein neues Gesicht zu geben. Fünf Studenten haben sich dieser Aufgabe gestellt und gemeinsam in Betreuung von Prof. Veruschka Götz ein neues Logo, diverse Printprodukte, die Projektionen, Navigation und Räumlichkeiten gestaltet. Selbst die Cateringstände wurden ins Gesamtkonzept integriert und erfreuten Auge wie auch Gaumen. Die Gestalter durften zu guter Letzt nicht nur selbst an der Feierlichkeit teilnehmen, sondern haben rückblickend viel Erfahrung in Sachen Öffentlichkeitsarbeit einer Stadt sammeln und Kontakte im Bereich Veranstaltungstechnik knüpfen können. Alles in allem eine durch und durch sportliche Leistung. mk

konkurrenzlos …wäre gerne jedes Unternehmen, doch das ist selten der Fall. Um der Konkurrenz aber zumindest voraus zu sein und an der Spitze der Branche zu stehen, hat Holger Lehmann als Diplomprojekt eine neuartige Methode für strategisches B2B Mittelstandsmarketing entwickelt. SISTIMA 1.1 heißt das entstandene Produkt, welches über seine Agentur Mahagoni Design bereits erfolgreich vermarktet wird. Mittels webbasierter Echtzeit-Marktanalyse, Kommunikationsdesign und Akquise bekommen Kunden ein maßgeschneidertes Marketingkonzept. Dieses besteht aus einer Reihe von Dienstleistungen, die betriebswirtschaftliche, geografische und kommunikative Daten verknüpfen. Die Leis-

tungen umfassen das systematische Analysieren des Unternehmens und des Marktumfeldes, die Identifikation potentieller Zielkunden, eine exakt zugeschnittene Kommunikationsund Vertriebsstrategie, sowie die Planung der Akquise, inklusive anschließender Umsetzung. Für jeden Bereich steht der entsprechende Spezialist im Team zur Verfügung. Das besondere an SISTIMA 1.1 ist das All-inOne Konzept und die Ausrichtung auf Kleinund Mittelständige Unternehmen, wodurch es zurzeit auf dem Markt konkurrenzlos ist. pvf www.mahagoni.net www.sistima.de


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high potential Wie man High Potentials aus der Kreativbranche und der Medizintechnik nach Mannheim lockt, zeigten zwei Teams aus dem Kurs Werbliches Design bei Prof. Jean-Claude Hamilius beim diesjährigen AD VENTURE Contest. Mit ihren Kampagnenkonzepten zum Thema Stadtmarketing schafften sie es beim Studentenwettbewerb des Europäischen Verbands der Werbeagenturen EACA punktgleich auf den 5. Platz und erreichten damit die beste deutschsprachige Platzierung. Insgesamt waren dieses Jahr 74 europäische Hochschulen aus den Fachbereichen Gestaltung und Wirtschaftswissenschaften vertreten. Das Team von Rosanna Motz, Falk Brockmann und Yannick Wegner ermutigte mit seinem Konzept zum Claim »Free your potential« junge Talente, ihr volles Potential in Mannheim zu entfalten. Das zweite Team von Markus Köninger, Daniel Clarens und Peter von Freyhold empfing dieselbe Zielgruppe unter dem Motto »Ready for higher potential« als Stars von morgen mit rotem Teppich als Key-Visual und crossmedialer Kampagne. pvf

ruhm & ehre Martina Wagner »Der Störenfried« Red Dot Design Award 2010 Julian Zimmermann Bachelorarbeit »König Bansah« Junior Corporate Design Preis 2010 Katharina Stipp Bachelorarbeit »Foodway« :output Award 2010 komma Redaktion »komma Magazin-Serie« Nominiert für den Designpreis der Bundesrepublik Deutschland 2011 Kolja van Boekel Kurzfilmfestival »Zum Goldenen Hirsch« 2. Platz Rosanna Motz, Falk Brockmann, Yannick Wegner, sowie Markus Köninger, Daniel Clarens, Peter von Freyhold »AD VENTURE Contest 2010« Beide Teams punktgleich auf Platz 5, beste deutsche Platzierung


Eine Kolumne über unser Bewusstsein vom Kinosessel aus betrachtet.

cogito ergo sum

Nachdem mir gestern der adrett gekleidete Leinwandheld des neusten Hollywood-Kino-Krachers auf 16:9 schelmisch-augenzwinkernd und in einer großen Geste den Satz »Ein Gedanke ist wie ein Virus, resistent, hochansteckend und die kleinste Saat eines Gedanken kann wachsen« zugeflüstert hatte, schien mein Staunen kein Ende zu nehmen: Psychologie, Philosophie und neurologische Kenntnisvermittlung – und das von Leonardo DiCaprio! Wo waren die guten alten Zeiten, als von einem Cornflakes-mit-Milch-gesichtigem Schauspieler nicht mehr als das Verführen rothaariger Schönheiten auf sinkenden Schiffen abverlangt wurde? Musste ich mich ausgerechnet im Kino der Konfrontation mit den inneren Prozessen des Menschsein stellen? Mein Popcorn blieb mir irgendwo zwischen Sprachlosigkeit und Entsetzen stecken. Doch was als Konstruktion einer mysteriösen Bedeutungskulisse für eine 200 Millionen-Dollar-Produktion dienen sollte, in der unerschrockene Männer in den Träumen anderer Menschen jagten, öffnete in mir einen ganzen schwer verdaulichen Fragenkatalog: Was ist Bewusstsein? Was ist Wahrnehmung? Was Realität? Da das Fernsehen gerade keine reißerische BBC-Reportage mit originellen 3D- Animationen von aufblitzenden Gehirnwindungen oder fluoreszierenden Neuronen hergab und Aiman Abdallah seinen Kaffesatz bereits weggeschüttet hatte, blieb eine Antwort zunächst fern. Weil die Aufklärung glücklicherweise nicht ganz an mir vorübergegangen war, setze ich in meiner Not auf die Naturwissenschaften. Die furchtlosen Männer in weißen Kitteln, die tausende von sich zu unserem Fortschritt aufopfernden Affen, Ratten und Mäuse – all dies für folgende bahnbrechende Erkenntnis: Alles Denken ist Berechnung. Der Eindruck bewusster Wahrnehmung entsteht durch die Ausführung geeigneter Berechnungen im Hirn. Hm, dachte ich, das Bewusstsein, Dinge wie Kreativität und Fantasie tatsächlich nur biochemische Vorgänge in den Zellen? Wenig romantisch,

aber zu einem großen Teil messbar. Wie gerne hätte ich mich damit begnügt, bedächtig den zischenden und blitzenden Gehirnzellen bei der Produktion meiner bescheidenen kognitiven Fähigkeiten zu lauschen, doch da drohten mir schon die Philosophen aus dem imaginären Bücherregal. Leibnitz fletschte seine 52 Zähne und Descartes schüttelte das wallende Haupthaar. Nun gut. Wenn Gehirnprozesse bekannt waren – Anordnung + dynamische Materie = Bewusstsein – warum also nicht einfach funktionieren können, ohne es bewusst zu erleben? Dieses Phänomen nennt die Philosophie Qualiaproblem (und es ist leider nur ein Problem von vielen). Jeder Reiz wird nicht nur wahrgenommen, sondern auch erlebt. Wie das Gehirn »Erleben« produziert, was der Bedeutung von »Bewusstsein« unheimlich nahe kommt, konnten die Wissenschaftler bis heute leider weder messen noch begründen. Also doch noch ein bisschen Mystik in dieser schnöden, materiellen Welt – wer hätte das gedacht! Doch was ist nun dieses Bewusstsein? Für die Philosophen das Zentrum aller Erkenntnistheorie, für die Wissenschaft ein nur zu einem Bruchteil erforschtes Spektakel aus Verbindungen und Informationen, für manche Religionen die Seele und für einen Menschenaffen eine herausragende Denkleistung. Fakt ist, unsere Wahrnehmung ist beschränkt und an ihren Grenzen endet das Ding, das wir »Realität« nennen. Unser Hirn trifft sogar Entscheidungen, bevor wir etwas bewusst wahrgenommen haben – klingt komisch, ist aber so. Benjamin Libet fand heraus, dass jede Wahrnehmung mit einer halben Sekunde Verzögerung in den wurstigen Windungen unseres Denkapparates ankommt. Ein Erlebnis wird von diesem dann rückdatiert, so dass es uns als gleichzeitiges Wahrnehmen und Erleben erscheint. In dieser halben Sekunde entlädt das Gehirn ein bereits vorhandenes Entscheidungspotential. Übertrieben ausgedrückt: Vanille oder Schokolade ist also schon entschieden, bevor ich weiß ob ich überhaupt ein Eis will. Dieser gruseligen

Vorstellung, mein Gehirn lege mich rein, folgte ein noch gruseligerer Gedanke: Wenn Bewusstsein elementar auf Wahrnehmung beruhte, erschrak ich angesichts des von mir angestrebten Berufes: Ich werde über die Wahrnehmung fröhlich am Bewusstsein der Menschen herummanipulieren! Für natürliche und unnatürliche Bedürfnisse, Neurosen und Unterdrücktes werde ich die Oberfläche der Ersatzbefriedigungen schaffen und an der Wahrung des derzeitigen Kollektivbewusstseins, das ungefähr so klar ist wie das Wasser im Golf von Mexiko, teilhaben. Illusionen, falsche Hoffnungen, um es mal zu dramatisieren, würden mein Business werden.Wie schrecklich! Ich überlegte schnell, ob ich nicht doch hätte Astronautin werden sollen und entschied mich, nach einem kurzem Schockmoment, für eine etwas optimistischere Sichtweise: Wenn Gestalter die wahrnehmende Fokussierung der Leute steuern, dann liegen in einer verantwortungsvollen Fütterung ihres Bewusstseins Chancen auf Besserung. Mag sein, dass ein Gedanke einem »Virus« gleicht, aber warum nicht mal eine gesunde »Infizierung« riskieren? Was auch immer im Bereich des Wahrnehmbaren als »Realität« eingestuft wird, wenn ich es dem Leinwandhelden gleich täte, der mittlerweile ganz verantwortungsbewusst seine Gedanken von Bedrohungen in Form personifizierter Erinnerung an seine Ehefrau gereinigt, natürlich alle Nebendarsteller gerettet hatte und in die vermeindliche Wirklichkeit des Wachzustandes zurückgekehrt war, dann würde ich die Welt ein Stückchen besser machen. Danke Hollywood! Wieder was gelernt... as



Die Partnerschaft mit der École des Beaux-Arts Caen und der Fakultät Gestaltung der Hochschule Mannheim hat auch dieses Jahr wieder Früchte getragen. Bereits seit 15 Jahren existiert die deutsch- französische Kooperation, bei der die Designstudenten ins jeweilige Partnerland reisen und sich zwei Wochen lang, in kleinen Gruppen mit den ausländischen Nachbarn ihren Projekten widmen. Das Thema wird dabei vorgegeben, die Umsetzung bleibt den Gestaltern frei überlassen. Professor Jürgen Berger, nun schon seit sechs Jahren als Schirmherr des Workshops aktiv, reflektiert über Horizonterweiterung, Globalisierung und der Begegnung von Kunst und Design.

caen

Gibt es eine Geschichte zur Entstehung der Zusammenarbeit mit Caen? Es gibt eine Vorgeschichte, die ich aber nicht kenne, da ich erst seit sechs Jahren den Workshop betreue. Eine ehemalige Kollegin, Silke Braemer, hat lange Jahre vor mir den Workshop geleitet und organisiert. Ganz spontan: Was fällt Ihnen ein, wenn sie auf den Caen Workshop 2010, also den Letzten zurückblicken? Der diesjährige Workshop war der disziplinierteste. Die studentischen Arbeitsgruppen hatten sich überraschend schnell für ihr Thema und dessen mediale Umsetzung entschieden. Im Vergleich zu vorherigen Workshops war dies ein fundamentaler Unterschied. Durch ihre schnelle Entscheidung für ein Thema hatten die Studenten auch entspre­chend mehr Zeit für dessen ganze Umsetzung. Ansonsten ähneln sich alle Workshops sowohl von der Qualität der Ergebnisse her, als auch von der Zusammenarbeit zwischen Franzosen und Deutschen. Und wie kam es zu den bisherigen Themenfindungen? Mögliche Themen werden im Vorfeld diskutiert. Dazu gibt es Vorschläge der jeweiligen Betreuer aus Caen und Mannheim. Auf französischer Seite sind dies Tanja Rodgers und Christophe Bouder, die mit mir und zeitweise auch Frank Göldner die letzten Jahre den Workshop betreut haben. Das Thema des diesjährigen Workshops setzten die Franzosen, die vorherigen Themen kamen von mir. Die letzten Themen reichten von Reflexions/Spiegelungen über Tableaux

Vivants/Lebende Bilder, über Food for Thought/Gedankenfutter und über Border/ Grenze, bis hin zu dem jetzigen Thema Connections/Verbindungen. Wir versuchen immer Begriffe zu finden, die einerseits ein Meta-Thema definieren, gleichzeitig aber sehr konkret sind. Hinter »Reflexions« steckt natürlich reflektieren, das Nachdenken, aber gleichzeitig auch das konkrete Spiegelbild, etwas, das reflektiert wird. In den letzten Jahren haben wir bei der Themensuche versucht Begriffe zu finden, die Abstraktion und Konkretion miteinander verbinden. Das Thema Connections: Welche Bedeutung hat dieser Begriff im Zeitalter der Globalisierung und medialen Vernetzung für Sie selbst? Eine sehr zwiespältige Bedeutung. Wenn man den Begriff connection auf seinen technischen Aspekt, die Vernetzung reduziert, bin ich ein vehementer Widerständler. Wenn man ihn als Metapher versteht, als das Ver binden von Ideen, als »Über-Den-EigenenHorizont-Hinausschauen«, bin ich ein glühender Verfechter dieser Form von Verbindungen, von Netzen. Aber es muss und sollte beides sein. Wenn es sich auf eine Vernetzung um der Vernetzung willen reduziert, dann ist mir das definitiv zu wenig und man ist wirklich nur eine kleine Masche im großen Netz, ein kleiner gesichtsloser Baustein, bei dem keine Individualität mehr zu erkennen ist. Reduziert sich die mediale Globalisierung nur noch auf die technische Nutzung unterschiedlicher Netzwerke, dann kommt es mir vor, als ob sich unser individueller Gral, jenes Lebensumfeld mit beschränktem Horizont, ins Unermessliche aufbläst. Als Folge haben wir letztend-

lich nur Provinzialismus im Netz, eine missverstandene Globalisierung. Ich habe nichts gegen einen Begriff wie »glocal«, aber er wird zu einem echten Anachronis­ mus, wenn man Verhaltensweisen, die man aus seinem »Dorf/Gral« kennt lediglich potenziert. Was da rauskommt, können sie sich bestimmt vorstellen. Ein Dorf bleibt letztendlich ein Dorf, mit allen Implikationen, positiv wie negativ. Welche Unterschiede zwischen der deutschen und der französischen Arbeitsweise konnten Sie in der Vergangenheit beobachten, in den sechs Jahren in denen Sie den Workshop nun schon begleiten? Ich muss vorraussetzen, dass sie den Unterschied zwischen der Hochschule Mannheim und der École des Beaux Arts in Caen kennen. Caen ist eine Kunsthochschule. Wir kommen nur mit jenem Teil in Berührung, der sich unseren Lehrplänen annähert, nämlich dem Bereich Graphisches Design und Visuelle Kommunikation. Der Kunstbereich bleibt dabei außen vor. Das Verständnis als Kunststudenten bringen die Franzosen natürlich mit, ein Selbstverständnis, freie Kunst praktizieren zu können und keine Auftragsarbeiten ausführen zu müssen. Das schränkt die Zusammenarbeit im Workshop nicht ein, weil es auch den deutschen Studenten die Möglichkeit gibt, freier zu arbeiten. Ziel und Zweck des Workshops sind freie, assoziative und kreative Arbeiten. Im Unterschied zu den Franzosen gehen wir Deutsche sehr systematisch, sehr ziel- und ergebnisorientiert an die Arbeiten heran, während die Franzosen etwas länger brauchen, um in die Gänge zu kommen. Sie denken teilweise auch quer und nicht so zielgerichtet wie


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die Deutschen. Wenn man überhaupt einen Unterschied feststellen kann, spürt man bei den Franzosen die Freiheit stärker als bei den Deutschen. Die Zusammenarbeit wird dadurch sehr produktiv, weil jeder von jedem lernen kann. Der ideale Weg dürfte irgendwo in der Mitte liegen. Die Franzosen wie auch die Deutschen haben ihren eigenen Stil. Enstehen durch diese Differenz Probleme oder wirkt sie ergänzend? Eigentlich passiert beides. Meistens ging es ideal zusammen aber manchmal funktionierte es überhaupt nicht, besonders da, wo die Chemie untereinander nicht stimmte und unterschiedliche Vorstellungen, über das, was man machen wollte, einem zu langen Reflektionsprozess unterworfen waren. Die Realisierung kam dabei leider zu kurz. Die einen waren zögerlich, weil sie sich noch im theoretischen Entwicklungsprozess befanden, während die anderen in die Praxis gehen wollten. Bei diesen unterschiedlichen Interessenlagen kommt es natürlich zu Konflikten. Am Ende besteht die Gefahr eines unbefriedigenden Ergebnisses. In einem solchen Falle gibt es dennoch am Ende einen Lernerfolg: Man merkt vielleicht,

was man am eigenen Verhalten innerhalb einer Gruppe ändern muss. Was würden Sie als persönliches Highlight der bisherigen Workshops bezeichnen? Ich glaube es wäre nicht gerechtfertigt von einem alleinigen Highlight zu sprechen. Ein Highlight eines Workshops ist bestimmt das präsentable Endprodukt. Und das war bis jetzt bei jedem Workshop zu begutachten, auch wenn zehn Tage Zeit dafür relativ knapp bemessen sind. Ein anderes Highlight ist die Erfahrung, die ich gemacht habe, dass internationales Teamwork funktioniert, mit unterschiedlichen Einstellungen, mit unterschiedlichen Sprachen, mit unterschiedlichen Menschen und Ausbildungsstand. Das Ziel, eine Idee zu visualisieren, stand immer im Vodergrund. Es gab keine Arbeitsgruppe in den sechs Jahren, die am Ende des Workshops mit leeren Händen dagestanden wäre. Wenn die teilnehmenden Studenten am eigenen Leibe erfahren, dass ihre Arbeitsergebnisse, die sich aus vielen verschiedenen Einzelteilen zusammensetzen, mehr sind als nur ihre Summe, ist das für mich letztendlich auch ein Höhepunkt des deutsch-französischen-Workshops.

Was können die Studenten voneinander lernen? Neben dem oben genannten lernen die Studenten vor allem soziales Verhalten wie Toleranz und Rücksichtnahme. Kreative Fähigkeiten wird man nicht unbedingt erlernen, die setze ich bei allen StudentInnen voraus, aber unentdeckte Kreativität aufzuspüren, kann durch einen solchen Workshop gefördert werden. Einige Studenten haben mir im Nachhinein verraten: »Ich habe etwas getan, von dem ich vorher nicht wußte, es zu können.« Und das wäre, um nochmals auf ihre vorherige Frage zurückzukommen, ein weiteres Highlight. Wenn durch Teamarbeit Fähigkeiten herausgekitzelt würden, die in einem schlummern, aber noch nicht virulent sind. Wenn das passiert, sehe ich meine Rolle als »Anreger« erfüllt, als jemand, der vorhandene Kreativität und vorhandene Fähigkeiten herauszulocken versucht. Und wenn dies ein internationaler Workshop bewerkstelligen kann, dann kann er für die Teilnehmer mindestens so wichtig sein, wie ein spannender Kurs oder ein absolviertes Semester. Ich bin sehr froh, dass es den deutsch-französischen Workshop in dieser Form und in dieser Struktur gibt. as, mw


auf schwanzhöhe So die eigenwillige Perspektive des »Gesellschaftsphotographen« Edgar Herbst. Er tanzte, trank und feierte auf den Festen der scheinbar höheren Gesellschaft. Jagte spielend im eitlen Revier des anerkannten Rausches – dem öffentllichen Parkett mit fliegender Kamera. Auf der Suche nach dem wahrhaftigen Inneren, was alle Menschen gleichermaßen verbindet, das Hässliche, das Schöne, das Versteckte, das Unterdrückte, der Abgrund, die Liebe. Edgar Herbst kannte keine Gnade, am wenigsten mit sich selbst. Er tauchte ein in die Welten anderer um am Ende sich selbst am nächtsen zu sein. Einsam und allein.

Du nennst dich selbst »Gesellschaftsphotograph«. Doch was interessiert dich an der Gesellschaft und was macht für dich den Reiz aus dieselbe überhaupt abzulichten?

»Gesellschaftsphotograph« fand ich einen ganz exzellenten Ausdruck, für mich als nächtlich reisend Fotografierenden. Ich erwog zu planen, Dokumentar jener Gesellschaft zu werden, die sich in der Dunkelheit herumtrieb, die es treibt, die sich treiben lässt von der Illusionswelle der scheinbaren und geheimnisvollen Lichtlosigkeit der Nacht! Jene Wesen beobachten, die den Rausch zelebrieren, den extatischen Tanz pflegen, die sich stilisieren, erfinden, kreieren, maskieren und sich im Prozess des festlichen Rituals hingeben, ihren Sehnsüchten, Freuden, Kommunikationsbedürfnissen und ihre Schattenseite zeigen, die im hellichten Sonnenlicht kaum fühlbar, vielleicht nur erahnbar ist. Als Fotograf im Sonderzug des glänzenden Nirvanas ist man in einer imaginären Loge aus Samt, die einem die Möglichkeit des Beobachtens, des Wahrnehmens und durch die technische Fähigkeit der Kamera und des Filmes auch jene des Aufzeichnens schenkt. Aber auch den Gedanken der Reflektion: »Was mache ich eigentlich hier in diesem Tümpel der Irren?« Ich begegne dem Spiegelbild meiner Selbst, der eigenen Zuneigung zur überdimensionalen Rauschhaftigkeit und damit auch einer Wahrnehmung des eigenen Unterbewusstseins. Mit der hundertprozentigen Bereitschaft zu spielen, mitzuspielen, mitzuplantschen, zu schwimmen und zu tauchen, im tiefblau leuchtenden Pool der inszenierten Eitelkeiten und des Überschwanges einer nicht endenwollenden Genusssucht. Aber ebenso begleite ich unsere Kultur. Unsere

hiesige Festkultur. Vielleicht haben sich die Menschen in den 90er Jahren erholt vom Krieg, von Naziherrschaft, Gewaltherrschaft, Diktatur und Landteilung. Als Beobachter einer Fest-Kultur ist es mittlerweile für mich eine Ebene, ob ich in der einfachen griechischen Eckkneipe die Mannheim Masters Aftershow Party mit liebevollen, sinnlichen Studenten der Gestaltung exzessiv bis in den sommerlich blaugrauenden Morgen feiere,

I C H F Ü H LT E M I C H ALS BILDSPENDENDER I N D U S T R I E S TA U B SAUGER DER EMOTIONEN um am nächsten Morgen kriegsähnliche Verletzungen, wie Rippenprellung vom Tischtanz und -sturz, wahrzunehmen oder als geladener fotografierender Gast auf der geschmückten Yacht von Prinz Albert unterm Sternenhimmel im Mittelmeer zu cruisen und dem überdrehten Ausschweifen von Paris Hilton beizuwohnen, die, bekifft und trunken erregt, ihre zarten Schenkel und das lustvoll anmutende durchsichtige Höschen ihres Muttermundes auf dem Oberdeck schamlos präsentiert und nichts geringeres in den Nachthimmel trällert als: »Fick mich!« Hast du dich einer bestimmten Gesellschaftsgruppe oder gar -schicht verschrieben?

Ja, ich habe mich wohl der Karavane der ostentiös Veranlagten gewidmet. Einer selbst-

süchtigen und selbstherrlichen Feiermeute, die nicht wirklich eine Verbindung zur Arbeiterbewegung hat. Wohl auch deshalb, um meinen eigenen Darstellungsdrang in der Wirklichkeit zu platzieren, genährt von den Genen meiner Grossmutter Emma Herbst, die ihr Leben lang die Welt bereiste, Harmonie suchte, tanzte, flirtete, fotografierte und dem Glase Wein nicht abgeneigt war. Aber es ging oder geht wohl auch darum, den eigenen Darstellungsdrang umzusetzen und mir und meinem Dasein als Fotograf Anerkennung zu wünschen oder zu erhoffen, oder auch um selbst ein bisschen Licht abzubekommen, die Lichtgestalten fotografisch begleitend. Dieses allerdings mit der Leidenschaft des Krieg und Frieden suchenden Soldaten, bereit trunken von der Bordkante des Flakschiffes zu stürzen und sich einen Grabstein zu erhoffen, auf dem geschrieben steht: »Betrunken – gefallen fürs Vaterland – oder Mutterland!« Welche Position nimmt der Fotograf Edgar Herbst in der Gesellschaft ein?

Ich war, bin und bleibe mittanzender Zaungast. Ab und zu muss ich eine Latte vom Zaun ablösen und mich hineinschleichen, durch die selbsteröffnete Lücke. Wie die kleinen Strolche. Dann bin ich mittendrin im Gewühl des Szenarios aus Lachen, Lackschuh und seidener Schleife und kann Alarm machen oder für Unruhe sorgen, mit meiner spätpubertären Herangehensweise aus Neugier und Spiel. Mit fliegender Kamera ein individuelles Bild eben einer Gesellschaft zeichnen, die zunächst erschrocken und dann durch die Ernsthaftigkeit meines Anliegens besänftigt ist. Eigentlich sehe ich mich als


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verantwortungsvollen Hofnarrn mit all den Freiheiten seiner Gestalt. Aber wohl auch mit der Gefahr, irgendwann feierlich und unter öffentlichem Beifall enthauptet zu werden. Wo ziehst du deine Grenze zwischen Privat- und Geschäftsleben?

Es gibt einen wunderbaren Satz vom Kriegsfotografen Ropert Capa, der seine Mission mit den Worten umschrieb: »Wir gehören zu den Menschen, die nie arbeiten und nie Urlaub machen.« Das Sehen, das Fotografieren, ist eine Gabe, ein großes Geschenk mit roter Schleife, das es zu pflegen gilt. In der Zeit von 1990 bis 2002 wurde ich »zum Sehen bestellt« – von Goethe stammt der Satz: »Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt« – und reiste u.a. für Magazine wie Stern, Gala, Bunte und Max durch die Republik, um das festliche Treiben, zu welchem Anlass auch immer, für die Gesellschaftseiten der Magazine fotografisch zu dokumentieren. Ich machte Bilder von den Festen, Bällen und Gelagen eines prominent besetzten Raumes. Durch die eigenwillige Wahrnehmung, durch Interaktion und Tanz entstanden lebendige, schräge Bilder und, je nach Auftraggeber, mal mehr und mal weniger spannende Texte von Autoren ihrer eigenen Extraklasse. Ich fühlte mich als bildspendender Industriestaubsauger der Emotionen, gedruckt auf ein Papier, in dem man eigentlich gerne Fische einwickelt. Es war zu erahnen,dass die Gesundheit irgendwann schwächelt. Drei bis vier Parties die Woche – Hamburg, Berlin, München und Wuppertal oder St. Moritz, Barcelona, Wien und Hesinki – hinterlassen Spuren. Denn es hieß auch drei- bis viermal pro Woche Hingabe und der nicht zu vermeidende Vollrausch. Mit welchem Gefühl drückst du auf den Auflöser?

Da ich grundsätzlich analog fotografiere, hat der Auslöser auch dadurch noch eine Bedeutung, dass es maschinell klick macht. Der innere Spiegel der Kamera, ein Vorhang, schiebt sich mechanisch zur Seite und transformiert das erahnt Gesehene auf einen Film. Dieser Vorgang wird nach 35, 36 oder 37 Bildern abgeschlossen und bedarf eines Eingriffes, den man heute schon fremdwirkend als Filmwechsel bezeichnet. Wenn ich auf den Auslöser drücke, beginnt eine begrenzte Reise auf einem ungewissen Pfad der Näherung an ein Objekt. Ich nähere mich in der Sequenzform einem unwirklichem Gipfel eines Berges, und ohne zu wissen wann der Höhepunkt erklommen wurde, entferne ich mich wieder von diesem. Sozusagen im Abstieg, in der Talfahrt. Dabei ist der Vorgang als

funktionales Wunder zu betrachten. Das Auge sieht, die Seele fühlt, das Hirn führt den am Moment des Sichtbarwerdens onanierenden Zeigefinger. Er löst eine Illusion aus, den Nerv des Jägers, des Fallenstellers, des Schützen, des Beutefängers des Zelluloits. Das wäre jetzt aber ein Interview mit dem Zeigefinger, der nicht erhoben, sondern gebeugt sein Dasein fristet. Schwitzend, nervös, befehlsempfangend im Dienste der Gesellschaft! Wie kommst du zu diesem Gefühl? Wonach ist dieses Verlangen?

Es ist eine gewisse Gier, ob nun eine neue, oder

UNSCHÄRFE IST DIE VISUELLE SCHWESTER DER LIEBE. WENN WIR EINANDER KÜ S S E N, S E H E N WIR UNSER GEGENÜBER AUCH N I C H T S C H A R F. eine neue auf das Neue, und dabei eine angenehme und gesellschaftlich anerkannte Neugier. Im Unterbewusstsein ist es sicherlich auch das Gefühl sich etwas anzueignen, einzuverleiben und besitzen zu wollen. Bildlich etwas festhalten, und sei es das eigene Erleben, um diesem Erleben eine Bedeutung

zu geben oder zu verleihen. Vielleicht aber hat es auch etwas mit Macht zu tun. Und tatsächlich ist es eine Form von zarter Macht, etwas von jemandem zu besitzen. Das Intimste, dass es gibt, etwas fürchterlich Privates. Daraus entsteht eine Verantwortung und die Frage nach dem Umgang mit dem Abbild des sich dir anvertrauenden, sich zeigenden Menschenobjektes. Wohlbemerkt, vielleicht in einem Ausnahmezustand seiner Selbst. Aber, und hier kommt das Gefühl der Selbstreflektion ins Spiel, eine Projektion der eigenen Daseinsform, provokant und schonungslos untermalt mit der selbstgewählten Perspektive. Im letzten Jahr fotografierte ich eine sehr feine Hochzeitsgesellschaft. Leider, oder zum Glück, war ich zu später Stunde sehr betrunken. Die Kamera kreiste unkontrolliert und mit einem resttechnischen Verständnis. Dabei gelang mir das wunderbare Experiment, den tanzenden Hochzeitsgästen im gewählten Ausschnitt die Köpfe abzuschneiden. Die Braut war darüber bei späterer Sichtung sehr unglücklich, während ich im Surrealismus die Antwort fand, dass alleine die Körperhaltung der Ausschweifenden die Seele eines glücklichen Festes erkennen ließe und somit die Braut besänftigen konnte. »Freuen, spielen, genießen.« So hat ein Theoretiker der Fotografie die Werke und Herangehensweise von Man Ray umschrieben. Für mich ein Ankommen in einer sanften Anlehnung. Es ist das Experiment unseres Sehens und bedeutet vielleicht manchmal, dem Neuen eine Bedeutung zu geben. Gibt es für dich den richtigen Augenblick?

Ich glaube nicht wirklich an den richtigen Augenblick. Das hört sich schwer und disziplinär an und überzieht das Sein mit einer Zartbitterschokolade der Pünktlichkeit. Wir bewegen uns auf einer unnahbaren Reiseroute und begegnen Momenten, die sich unserer Wahrnehmung aufdrängen oder anpreisen. Dann haben wir etwas mit ihnen zu tun. Sie berühren uns und es ist die Herausforderung, die verschiedenen Momente der Begegnungen wahrzunehmen und mehr oder weniger gestalterisch festzuhalten. Der tanzen-


de Mensch, vielleicht noch ein bisschen beschwippst oder in Erregung, ob seiner oder seines Gegenübers, bewegt sich zum Glück unkontrolliert, der Welt der Sachlichkeit entfliehend, sich dem Ausdruck des Animalischen und Extatischen hinschenkend. Diese Bewegungen sind einzigartig und nicht wiederholbar. Als Fotograf bist du aufgefordert mitzutanzen, mitzufühlen, mitzugehen, Kontakt aufzunehmen und den Augenblick allerhöchtstens zu erahnen. Sich dem Augenblick zu nähern, geduldig zulassend, den Augenblick zu verpassen, um einem anderen Augenblick eine Bedeutung zu verleihen. Wieviel steckt in deinen Fotografien von dir selbst und was siehst du darin?

Ich erkenne zunächst meinen inneren PHWert im Erleben. Auch ein Grund warum ich darauf bestehe »Gesellschaftsphotograph« eben mit »ph«, unabhängig von einer nostalgischen Note, zu schreiben. Es ist das Protokoll des eigenen säure- oder laugenähnlichen Wertes des inneren Thermostat von Erregung oder Entspannung. Zunächst geht es um die Selektion des Erlebten – das ist schon eine Wundertüte. Beim Betrachten der Kontaktbögen oder der Wahrnehmung im digiatlisierenden Prozess überkommen mich Gefühle wie Euphorie, Enthusiasmus, Wiedererkennung des Erlebten, Glück, Entsetzen, Langeweile, aber auch eine große Melancholie, nicht sofort wieder in das Geschehen zurückgehen zu können. Die bildhaft gewordenen Momente sind das lebendige Protokoll meiner Fähig- und Unfertigkeiten – aus den Bausteinen der Schüchternheit, Angst, Überhelblichkeit, Genusssucht, Glück, Versagen und Eroberungen. Die Kamera ist meine unbestechliche Komplizin im Gewühl und Gefühl des eigenen Spiegelsaals des Erlebens. Das Fotografieren ist am Ende oder am Anfang nichts anderes als die subjektive Vollendung einer Wahrnehmung. Stehen deine Einzelbilder für sich selbst oder fließen diese zusammen?

Kürzlich habe ich Bilder und Gedanken von den Filmfestspielen in Cannes mit der Reise zu der Todeskultstätte der Hindus nach Varanasi in Indien gegenübergestellt. Zunächst offenbarten sich mir oberflächliche Gemeinsamkeiten, wie die Biegung des Meeres und des Flusses und beim kilometerlangen Flanieren entlang des Ganges mit seinen verschiedenen Ghats kam mir der Gedanke von der Gemeinsamkeit, Cannes als Kultstätte des scheinbaren und zelebrierten Ruhmes, Varanasi als Kultstätte des ebensolchen Todes. Der Fotograf verleiht seiner Wahrnehmung

eine eigene Bedeutung. Die kann auch wahrhaftig unbedeutend sein. Aber die fotografische Wahrnehmung, oder die Wahrnehmung überhaupt, ist wie ein wachsender Baum, der, wenn er gut gepflegt, gegossen und geschnitten wird, eines Tages ganz besondere Früchte präsentiert. Vielleicht auch verbotene rot-grün schillernde Äpfel. Woher kommt die Entscheidung, die Welt mit der Kamera festzuhalten?

Ich glaube, wir fotografieren eigentlich mit dem inneren Auge und der inneren Kamera im tiefen Grunde mit unserer liebevollen oder auch verkommenen Seele. Das nähert sich der Literatur! Ein wahrhaftiges Fest wäre es, eine Ausstellung ohne Fotos zu machen. Vielleicht in einer reizvollen Art der Typografie, ein edles weißes oder schwarzes Papier einzurahmen und Worte wie »saufen«, »ficken«, »tanzen« darauf zu formen. Der Betrachter würde seine innere Leinwand des

Fantasiekinos eröffnen und die Bilder entstünden dort. Die Kamera und das Fotopapier sind natürlich ein wunderbares Transportinstrument der eigenen Wirklichkeit. Durch technische, spielerische Raffinesse können wir manipulieren, sei es durch einen schwarzgezeichneteten Himmel im Sonnenlicht, hervorgerufen durch einen Todrotfilter oder die sich dem Spiel hinschenkender Linse mit der Möglichkeit für die zwar allgemein erwartete Fokusierung, die Unschärfe zu wählen. Als verspätete Abschiedsvorstellung meines Gesellschaftsfotografendaseins für die »Orange Press«, folgte ich einer Einladung zur Verleihung des Deutschen Fernsehpreises in Köln. Ich holte aus meinen lagernden Kisten ca. 40 Filme, die alle, ob ihres abgelaufenen Haltbarkeitsdatums, schon mehr als

unbrauchbar notiert wurden und ließ die Kamera tanzen um konsequent unscharf zu fotografieren. Es war nicht nur fantastisch, es war eine Befreiung. Es war die feierliche Verabschiedung von einer selbstgewählten Tortour, über eigentlich mir fremde und gar nicht zu beurteilende Menschen Bilder zu machen. Die Unschärfe ist der elegantere Fokus und vielleicht auch die visuelle Schwester des Rausches und der Liebe.Wenn wir küssen, sehen wir unser Gegenüber nicht scharf. Wie gehst du an das Fotografieren heran? Mit welchem Gefühl der Nähe oder Distanz lässt du dich auf ein Projekt ein?

Bei den wenigen Auftraggebern, die ich noch habe, weiß ich zumindest, sie wollen das Absurde – unvollständig, enstehend. Dennoch ist es immer wieder neuer und sich ständig verändernder Untergrund. Wüstensand eigentlich, brennend heißer Wüstensand, auf dem sich der Fotograf als Sehender und Fühlender aklimatisieren muss. Zunächst ist da die freudige Bestätigung der Anerkennung deiner Wahrnehmung. Die Vorbereitung ist auf die Funktionalität im kameratechnischen Geräteschuppen konzentriert und dann gehts ran mit Pflug den Acker des Sehens umzupflügen, dem Sichtbarem zu vertrauen, mit der Leichtigkeit in der Wahrnehmung des Tischtanzes oder der Freudentränen, kurz: Dem Tanz an der Oberkante »Universum«. Es entsteht eine Spielfreude am Exzess der Anderen, deren Teil man wird. Man wirft sich in einen Pool von unterschiedlichsten Energien und Emotionen. Natürlich knapp bekleidet, eigentlich nackt. Die Dramaturgie von Hochzeiten ist unglaublich. Ich liebe mit, ich sage mit: »Ja«, ich küsse mit, ich fühle mit, Verzückung und auch die Melancholie. Bevor ich eine Hochzeit fotografiere, möchte ich die Liebenden kennenlernen, den Thermometerstand ihrer hitzigen Romantik fühlen und die »Photographie« ein wenig auf sie abstimmen und, ganz im Gegensatz zur Reportagefotografie, auf ihre Wünsche eingehen. Leider hatte ich noch keine Anfrage, die Hochzeitsnacht in Infrarot zu fotografieren. Das wäre etwas Besonderes. Mittlerweile lehne ich Hochzeiten ab, von Menschen, die ich nicht kenne oder die mich katalogmäßig bestellen wollen. Warum soll ich das Fest des Vertrauens bezeugen, ohne bezeugen zu können, ob sie sich vertrauen. Da bin ich kompliziert geworden und dies impliziert die Einsicht, dass ich nicht wirklich an dieses Ritual der Eheschliessung glaube. 1990 habe ich eine Hochzeit fotografiert. Ich war eine Hochzeitsempfehlung für die Braut von ihrem Exfreund. Ihr gerade anvertrauter Mann übergab mir das Honorar in bar in einem


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Club im Frankfurter Bahnhofsviertel. Ich lud ihn daraufhin zum Lustwandeln mit einer Prostituierten ein. Arbeitest du dich hinein, spiegelst du dich selbst, gibt es Gefallen oder Unbehagen?

Es ist unumgänglich sich hineinzufühlen und die Möglichkeiten der fotografischen Umsetzung zumindest abzuschätzen. Auf einer Beerdigung zum Beispiel ist das Geräusch der Kamera wie ein Donnerschlag in der Stille

unkontrollierbaren Ebene. Vor einigen Jahren fotografierte ich den Sommerempfang der englischen Botschaft in Bern. An der sicherheitsbewachten Pforte gab es einen Cocktail, der einem nicht nur die Schuhe auszog, nein, der einem die Beine weggerissen hatte als wäre dir der terrierähnliche Fussballabwehrspieler Berti Vogts, wie in seinen besten Zeiten, von hinten in die Beine gegrätscht. Das Thema der Fotoserie war ein romantisch-investigatives und beinhaltete die psychologische Betrachtung der Frauen der Botschafter und

»Er kann nicht anders.« Und damit hatte er den rostigen Nagel auf güldenem Kopfe getroffen. Die Reise oder die Suche nach dem Wahrhaftigen in einer maskierten Gesellschaft fordert manchmal den dionysischen Geist zu zelebrieren und mit seiner Unterstützung, die Wirklichkeit mit schwarz-weißen Farbbeuteln zu bewerfen. Heute würde ich mich als gesellschaftstrinkenden Fotografen vorstellen – ja, ich trinke die Gesellschaft und mag sie verzehren, verpeisen mit meinen Augen, wie ein visueller Kannibale – auf der Suche nach der Liebe. Welche Grenzen gibt es, die man nicht überschreiten sollte und woher kommen diese?

der Unendlichkeit. Wir benötigen einen Zugang zur jeweiligen Gesellschaft und es sollte keine egozentrische Veranstaltung der Wahrnehmung sein. Dabei muss es innerlich »klick« machen, beim Einladenden, dir Vertrauenden, ebenso wie bei dir als Eingeladenem, den Einladenden zu vertrauen, um dann auf eine abenteuerliche Reise zu gehen. Wenn es nicht zum inneren Band des Vertrauens kommt, sehe ich über die Gesellschaft hinweg und fotografiere den Himmel über dem Fest. Ob blau oder wolkenbehangen oder anwesende Tiere, wie Hunde, die unaufhörlich bellen, schreien, wie ich gerne geschrien hätte. Besonders ist wohl die Arbeitsweise unter nicht nüchternen Umständen. Was passiert da genau und warum begibst du dich in andere Zustände?

Von Simone de Beauvoir stammtder Satz: »Alkohol ist das Mittel gegen die innere Not, deren äußerste Form die Langeweile ist.« Da ich mich in meinem Sehen nicht unbedingt den Vorstandsvorsitzendenkonferenzen der nicht ankommenden Mittelständler widme, sondern den Festlichkeiten, Feiern und dem extatischem Treiben der sonderbaren Eigenwilligen, ist es ab und zu hilfreich Alkohol oder leichtere Drogen als »billiet pour entrée« zu betrachten. Einer Kreuzfahrt erlöster und trunkener Seelen beizuwohnen, beginnend im stillen Wasser des aufbrechenden Hafens ist der Seegang vorprogrammiert. Dabei ensteht eine Kommunikation auf einer

ihrer Rolle, eben als solche Ehefrauen. Schon frühabendlich, völlig angeschossen, irrte ich durch unwirkliche Räume und Gärten und nagelte die Anlitze der Überraschten auf meine Negative. Trinkend, rauchend und nicht mehr wirklich kommunizierend. Irgendwann sackte ich trunken nieder, bis meine Augenhöhe die krampfadrigen Beine der älteren Genossinnen erreichte. Ich hatte das

I C H H ÄT T E G E R N E DEN AUFTRAG, E I N G E WA LT I G E S FEST AUF DEM PLANETEN VENUS ZU FOTOGRAFIEREN. Gefühl, die Seelen sammelten sich auf feinem englischem Teppichgrund. Die Damen öffneten sich in ihren Worten, umschrieben schreienden Schmerz. Die Hemmungen vor dem fremd Eingereisten waren abgelegt. Jetzt war ich dran. Nah dran. Vielleicht zu nah. Und während ich ihre schrumpeligen Füße fotografierte, griff die Chefin der Botschaft zum Telefonhörer und teilte dem Fotodirektor des Magazins mit, sein Fotograf liege nicht mehr tragbar betrunken auf dem Botschaftsboden darnieder. Souverän bereinigte er am nächsten Tag die Beschwerde mit den Worten:

Ich turne schon lange über der Grenze – dabei ist die Grenze nicht durch einen Stacheldraht oder eine Mauer erkenntlich, sondern sie erscheint als ein goldenes Band, das in einer wunderschönen Landschaft liegt, zart markiert und mir anziehend herüberruft: »Komm zu mir, komm geh drüber.« Beim Flanieren oder Promenieren oder gar Stolzieren an unserer Grenze wird der Abgrund sichtbar und es obliegt unserer furchtlosen Betrachtung, den Abgrund als tödliche Schlucht zu sehen, oder als den tiefen Einblick schenkenden Raum unserer Selbst zu betrachten, der eins ist mit uns. Unseres Antriebs, des Verlangens, der Sehnsucht und der schonungslosen Ängste. Dieses Bild zu betrachten fördert und fordert das Experiment des Unterbewussten und somit werden wir zu Schatzsuchern im fantasievollen Raume des Lebens. Eine Grenze trennt nicht, eine Grenze zeigt gleichsam unsere Verbindung zu dem, was dahinter sein mag. Die sichtbare oder fühlbare Grenze zum Universum, des Weltalls, verbindet uns mit dem Glauben der Unendlichkeit. Hier begegnen wir dem auch scheiterbarem Versuch einer göttlichen Wahrnehmung oder besser, der Wahrnehmung des wahrhaftig Göttlichem und es sei erlaubt Demut und Dankbarkeit in sich zu erregen. Ein Glas darauf sei zu erheben, die Gestaltung seiner Selbst zu vollziehen. Sich selbst zu kreieren und sei es noch so bedeutungsvoll bedeutungslos. Ich hätte gerne einen Anruf und einen Auftrag, ein gewaltiges Fest auf dem Planeten Venus zu fotografieren, sozusagen ein fremder außerirdischer Ball mit einer losgelassenen Etikette der Maskerade. Schon an der Pforte des Gartens werden wir liebkost und in die Arme genommen und der Tanz würde 12 Tage und 12 Nächte dauern. Auf das Honorar würde ich dann verzichten – vielleicht gäbe es einen Reisekostenzuschuss im geselligen Russenbus. Der Erdenbürger sich aufmachend, eine Grenze in Liebe zu überwinden. mk


Stephan Ditgens, MadLab-Mitarbeiter und Diplomand der HS Mannheim, (über seine Abschlussarbeit berichteten wir in komma5) hat während seines Studiums durch eine Anstellung am Nationaltheater der Stadt Mannheim Kontakte geknüpft und damit in den letzten beiden Semestern Studierenden unserer Fakultät einen Einblick in die Welt der darstellenden Künste ermöglicht.

pazz festival Fotos: Olga Werner

Kurz nach Semesterbeginn besuchten vier Studenten der HS Manheim das diesjährige PAZZ Festival (Performing Arts Festival) in Oldenburg, um sich eine Woche lang von den Glanzlichtern internationaler Performancekunst begeistern zu lassen. Aufgabe der als Stipendiaten angereisten Studierenden Daniel Clarens, Olga Werner, Iris Schilhab und Constanze Brückner war es, das Gesehene auf dem PAZZ Blog festzuhalten und die gesamte Woche filmisch in einer Dokumentation zusammenzufassen. Einzelne Aufführungen herauszustellen fällt den Stipendiaten schwer, in guter Erinnerung ist jedoch die Aufführung 1927s geblieben. Das Quartett setzt sich aus der Pianistin Lillian Henlay, dem Animationskünstler Paul Bill Barritt, der Autorin und Darstellerin Suzanne Andrade und der Kostümbildnerin Esme Appleton zusammen. Das Ergebnis ist eine innovative Form des Geschichtenerzählens, im Stil von 20er Jahre Cabaret. Oder die Aufführung der Gobsquad, ansässig

in Nottingham und Berlin, die eine eigenwillige Art der Performancekunst entwickelt hat. Vier Künstler machen sich mit je einer Kamera eine Stunde vor der Aufführung auf den Weg. Nach dem Ablaufen der Stunde empfangen die Zuschauer feierlich die Darsteller. Danach werden die Kameras ausgeschaltet und nur fünf Minuten später werden alle vier Aufzeichnungen simultan abgespielt, während die Regie immer nur eine Tonspur laufen lässt und dadurch den Aufzeichnungen Gewichtung und Linie geben. So verpflanzt die Gobsquad das Theater in die Straße und lehnt sich somit gegen die Banalität des Alltags auf. Nach jeder Vorführung nahmen die Studenten an einer Diskussionsrunde teil. Dabei trafen die Kommunikationsdesigner auf Stipendiaten aus anderen Bereichen, wie Theaterwissenschaften oder Kulturjournalismus. Neben der Chance dadurch andere Blickwinkel auf das Theater einzunehmen, bekamen sie Gelegenheit die Künstler selbst zu befragen. Constanze Brückner beschreibt diese Treffen

als eine »Erweiterung ihres Bewertungshorizonts.« Wenn man den Theatersaal gerade mit einem negativen Gefühl verlassen hat, neigt man oft dazu schlecht über das Stück zu urteilen. Wenn der Künstler dann aber nach der Performance bestätigt, dass er das Gefühl, welches beim Rezipienten entsteht, beabsichtigt hat, kann man von einer Qualität sprechen. Und größere Erkenntnis kann man von einem Besuch auf einem Festival der darstellenden Künste oder irgendeinem anderen Ort wirklich nicht erwarten. www.pazzfestival.de


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b-seite

Fotos: Christian Kleiner

In mancher Vorstellung treibt sich die Gattung Nerd vorzugsweise in frischluftarmen Kellern herum, Nikotin und das blaue Licht der LED Bildschirme dienen dabei als einzige Energiequelle. Doch diese Vorstellung ist gleichermaßen überholt, wie falsch. An den Treffen mit Namen »Flimmerkiste«, die alle zwei Wochen stattfinden, nehmen im vergangenen Semester auch Studierende der interakiven Medien teil. Ganz ohne Klischee. Stephan Ditgens bezeichnet diese Treffen nicht als Nerdtalk, sondern als den Austausch Gleichgesinnter. Jene setzen sich aus VJ’s, Bewegtbildlern und Interessierten der interaktiven Medien zusammen. Beim diesjährigen B-Seiten Festival wurden im ZeitRaumExit eine Woche lang Workshops angeboten und die Ergebnisse der Arbeiten, welche in der »Flimmerkiste« und dem MadLab entstanden sind, präsentiert. Neben der Ausstellung interaktiver Kunstprojekte wie dem MadLab-Projekt Dwister (siehe komma6) war der Höhepunkt der Festivalwoche die Tanzperformance, bei der das Projekt e-wear zum Einsatz kam. Es verändert Visualisierungen durch Bewegungen und wurde von Rene Fülöp und Falk Eben von Racknitz ebenfalls im MadLab mit Hilfe von Prof. H. Wöhlbier, entwickelt.

In Zusammenarbeit mit dem Tänzer Luches Huddelston Jr., von dessen Professionalität sie sich sehr beeindruckt zeigen, entwickelten die beiden dann die „Colors- Performance“. Der Tänzer verbirgt sich zunächst hinter einem von drei Vorhängen, das Licht zeichnet seine Silhouette auf den hellen Stoff. Von dort strebt er mit gleichmäßigen Bewegungen in den Vordergrund. Nach und nach ändert sich die Lichtstimmung. Nach einiger Zeit ist er an der von einem Quaderteppich bedeckten Wand angekommen und man wird sich bewusst, dass er mit seinem Körper die Quader bewegt. Er windet sich, kämpft gegen die von ihm generierte Welt an und verschmilzt doch, durch die Maschine ausweglos vernetzt, mit ihr. Die Tage vor der beeindruckenden Aufführung waren von großen Mühen und gleich großen Erfahrungen geprägt. Schließlich waren Rene Fülöp und Falk Eben von Racknitz an allen Vorgängen die nötig sind, um eine Performance auf die Bühne zu bringen, beteiligt. Aufbau, Lampenfieber und minutenlange Ovationen inbegriffen. ml www.jetztkultur.de/bseite



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arcademi – beneath the surface

ARCADEMI eröffnet jungen Künstlern und Designern die Tür zum digitalen Showroom. Die Internetplattform ist Zuhause für sämtliche Spielarten kontemporärer Gestaltungsformen.

2008 hatten Moritz Firchow und Ina Yamaguchi eine Idee. Sie legten den Grundstein einer vernetzten Heimat für kunst- und designschaffende Zeitgenossen, die um den Globus verteilt agieren und wirken. Dieses Zuhause nannten sie ARCADEMI, ein Name, der bewusst die bildungsinstitutionelle Nähe sucht. Seitdem gedeiht das Internetportal mit gesundem Wachstum. Die Website bietet den Mitgliedern die Möglichkeit, ihre Arbeiten und Produkte in einem entsprechenden Kontext vorzustellen. Darüber hinaus steht auch die Selbstvermarktung im Zentrum. So ist bis heute ein interessantes Angebot an außergewöhnlichen Produkten entstanden, das von T-Shirts über Schmuck bis hin zu Möbelstücken reicht. Die Idee des Internetportals ist nicht unbedingt neu, viel bemerkenswerter aber der anspruchsvolle Rahmen, den die beiden Gründer mit ARCADEMI geschaffen haben. »Von Anfang an war es uns wichtig«, erklärt Moritz Firchow im Gespräch, »eine Heimat für Gleichgesinnte zu schaffen«. Künstler, Maler, Gestalter, Fotografen oder Produktdesigner – was bei ARCADEMI zählt, ist die Seele der vorgestellten Arbeiten – das Herzblut, mit dem die Gestalter an ihren Schaffensprozess herangehen. Die gezeigten Werke sind so uni-

versal und unterschiedlich wie die Herkunft der inzwischen über 600 Mitglieder. Budapest, Tokyo, Schweden, Mosambik, Deutschland. Die Liste ist lang und längst nicht vollständig. Unter der behutsamen Aufsicht einer buntgegemischten Truppe von Spezialisten aus verschiedenen Segmenten der Kunst und Designbranche werden fortwährend neue Mitglieder erspäht, eingeladen und rekrutiert, um an der Gemeinschaft teilzuhaben. ARCADEMI sieht sich als Bindeglied zwischen dem kreativen Individuum und einem größeren Publikum – seien es Galerien, Firmen, oder eben einfach Interessierte mit Gespür und Sinn für zeitgenössische Kunst und junges Design. Ein weiteres Kernstück ist der ARCADEMI Blog. Tag für Tag werden hier liebevoll zusammengestellte Beiträge publiziert. Die Inhalte sind gut recherchiert und stets mit dem vorgestellten Künstler vorab besprochen. Das ist Ehrensache. Moritz und Ina geben sich mit dem Status quo von ARCADEMI aber noch lange nicht zufrieden. Mit unermüdlichem Eifer treiben die beiden seit kurzem ein weiteres mit dem Portal verknüpftes Projekt voran: ARCADEMI Affaires. »Hin und wieder wird es spannende Kollaborationen mit exzeptionellen Künstlern geben. Kleine Sondereditionen, Produkte für Lieb-

haber«. Den Anfang machte das Weimarer Studentenkollektiv CLIP CLAP mit einem faltbaren Postermagazin. »Es geht darum Leute und ihre Ideen zu unterstützen und dabei außergewöhnliche Produkte zu schaffen«, erklärt Moritz begeistert. Wer sich nun ARCADEMI genauer zu Gemüte führt findet dort vor allem jedoch eines: die bedächtige Förderung von ausdrucksstarker, kontemporärer Ästhetik ganz im Sinne des Gestalters. jb Moritz Firchow studierte bis 2005 an der Fakultät für Gestaltung und beendete sein Studium mit Diplom. Daraufhin folgte der Master in Szenographie an der ZhdK Zürich. Seit 2008 arbeitet er unter dem Namen Deutsche und Japaner in Mannheim mit Ina Yamaguchi zusammen. www.arcademi.com blog.arcademi.com


Installation von Magdalena Jetelová Landscape of Transformation, Kunsthalle Mannheim

impressum herausgeber

papier

wir danken

Hochschule Mannheim, Fakultät für Gestaltung

Umschlag: Evergreen Technique, kristallweiß, 270 g/m²

Moritz Nolting, unseren Professoren und Mitarbeitern,

komma Redaktion

Innenteil: Evergreen Technique, kristallweiß, 148 g/m²

Bernd Barde, Antonio Spano und Uwe Rühle von NINO

Paul-Wittsack-Straße 10

Hinterer Innenteil: Flora, sandbraun, 130 g/m²

Druck, Jürgen Rotsche und Andreas Mücke von IGEPA,

68163 Mannheim

Versandtaschen: Zanders T2000, transparent, 100 g/m²

Frank Denninghoff und Dirk Rehse von Gräfe, Birgit Scheidecker und der Kunsthalle Mannheim, Hannes von

redaktion@komma-mannheim.de Diese Papiere sind FSC zertifiziert und Exclusiv-

Döhren von HVD Fonts, Christian Schwartz von

chefredaktion

Qualitäten der IGEPAgroup.

Commercial Type, Veronika Burian von TypeTogether,

Peter von Freyhold (pvf)

info@igepagroup.com

Dennis Jakoby, Tina Schäfer, Rainer Diehl und Ann

www.igepagroup.com

Christin Schuhmacher.

redaktion

Beonderen Dank an den Zoo Heidelberg, Ujian und

Alexandra Strömich (as), Carolin Wanitzek (cw),

typografie

Grisella, Heidrun Knigge, Rose von Selasinsky, an das

Henning Schmidt (hs), Julian Bender (jb),

Brandon Grotesque, erhältlich bei HVD Fonts

Pflegerteam und Steffanie Richter.

Markus Köninger (mk), Martina Wagner (mw),

www.hvdfonts.com

Michael Löchinger (ml), Ricarda Schmitt (rs),

Austin, erhältlich bei Commercial Type

Die in komma enthaltenen Artikel spiegeln die Meinung

Alexander Münch (am), Fotos,

www.commercialtype.com

der Redaktion und nicht die der HS Mannheim wieder.

Mircea W. Gutu (mwg), Fotos

Edita, erhältlich bei TypeTogether

komma beruht auf einer Diplomarbeit von Moritz Nolting.

www.type-together.com anzeigen anzeigen@komma-mannheim.de

druck

Dennis Jakoby, Mediaberatung

NINO Druck GmbH, Neustadt/Weinstraße www.ninodruck.de

feedback & mediadaten www.komma-mannheim.de

veredelung Gräfe Druck & Veredelung GmbH, Bielefeld

erscheinungsweise & auflage halbjährlich, 2300 Stück

www.graefe-druck.de



index

fine kohl

Alessia corallo

Bachelor: Ich sehe was, was du nicht siehst diefine@gmx.de

Bachelor: Druckwerk info@alessia-corallo.com

michael frahm

nicolas thielemann

Bachelor: The exercise of look and fail to see i@michaelfrahm.com

Diplom: Auf der Suche nach meinem Deutschland nicbox@gmx.de

k at h a r i n a s t i p p

michael witkowski

Bachelor: foodway katharina.stipp@gmx.de

Semester: Fotografische Synthese make51@gmx.de


Jean-Philippe defiebre

E va s o m m e r K at h a r i n a B Ăź h r e r

Master: Biete Kopf, Hand und Herz jp@bietehandkopfundherz.de

Bachelor: Das Verschwinden der Nacht katharina_buehrer@web.de, Eva.Sommer@gmx.net

Julian zimmermann

florian wolf

Bachelor: Erscheinungsbild KĂśnig Bansah jz@julianzimmermann.com

Bachelor: Ein Dorf namens Welt flowolf@gmx.net

kristin l auer

UJIan grisella

Bachelor: Meine Ankleide kristinlauer@gmx.de

Covergestaltung www.tiergarten-heidelberg.de/ujian



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