Programmheft-Vorschau «Hunger. Ein Feldversuch»

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von Gernot Grünewald und Ensemble Uraufführung


HUNGER. EIN FELDVERSUCH

Premiere Fr

14.10.2022 19:30

Vidmar 1 Uraufführung

Mit David Berger Jeanne Devos Luca Hass* Stéphane Maeder Isabelle Menke Stefano Wenk * HKB-Schauspielstudio

Regie Gernot Grünewald Bühne Michael Köpke Kostüme Anika Marquardt Musik Daniel Sapir Video Thomas Taube Licht Patricia Zwahlen Dramaturgie Michael Isenberg Elisa Elwert Regieassistenz Loreta Gashi Désirée Wenger Bühnenbildassistenz Dorothea Blank Christos Samaras Kostümassistenz Shayenne Di Martino Inspizienz Denis Puzanov

Dauer der Vorstellung ca. 2 h, ohne Pause

Merci Stadtgrün Bern

Technischer Direktor Reinhard zur Heiden Leiter Bühnenbetrieb Claude Ruch Leiter Werkstätten Andreas Wieczorek Leiterin Kostüm & Maske Franziska Ambühl Produktionsleiterin Bühnenbild Konstantina Dacheva Produktionsleiterin Kostüm Maya Däster Bühnentechnik Jean-Claude Bögli Tontechnik Nicola Jannuzzo, Peter Tészás Videotechnik Michael Ryffel Requisite Karin Heinrich, Barbara Salchli Maske Anja Wiegmann Die Ausstattung wurde in den Werkstätten und Ateliers der Bühnen Bern hergestellt. Co-Leitung Malsaal Jann Messerli, Lisa Minder Leiter Schreinerei Markus Blaser Leiter Schlosserei Marc Bergundthal Leiter Dekoration Oliver Schmid Leiterin Maske Martina Jans Gewandmeisterinnen Mariette Moser, Irene Odermatt, Sina Rieder Leitung Requisite im Team Leiter Beleuchtung Bernhard Bieri Leiter Audio & Video Bruno Benedetti Leiter Vidmar Marc Brügger


Zeit der Krisen von Michael Isenberg

Im April 2012 startete das Welternährungsprogramm eine Kampagne mit dem optimistischen Slogan: «Hunger – das grösste lösbare Problem der Welt». Zehn Jahre später scheinen wir, trotz zahlreicher wissenschaftlicher Fortschritte, von einer Lösung noch immer weit entfernt. Die weltweite Corona-Pandemie, die unmittelbaren Folgen der menschengemachten Klimakrise und bewaffnete Konflikte in Afghanistan, Äthiopien oder der Ukraine haben die Situation zusätzlich verschärft. «Wir müssen ehrlich zu uns selbst sein und ein Stück weit anerkennen, dass wir jetzt in einer Zeit der Krisen leben», erklärt die Psychologin Mareike Schulze. Aber wieso sich auch noch im Theater mit dieser «Zeit der Krisen» auseinandersetzen? Prasseln die Katastrophenmeldungen nicht schon in unserem Alltag viel zu heftig auf uns ein? Kann das Theater überhaupt ein so komplexes Phänomen wie den Welthunger emotional und rational zugänglich machen, ohne zu vereinfachen? Und ist das alles nicht schrecklich deprimierend? «Das Ernährungsproblem ist für uns kein deprimierendes Thema, das zu vermeiden ist, sondern eher das nützlichste Werkzeug, um aus unserer komplizierten Welt einen Sinn herauszuholen.» Das schreiben bereits 1977 die beiden Aktivist*innen Frances Moore Lappé und Joseph Collins in ihrem Buch Vom Mythos des Hungers. Für sie war der grösste Mythos, ja, das einzige Hindernis für die Lösung des Hungers in der Welt das Gefühl der eigenen Machtlosigkeit. Hunger von Gernot Grünewald und Ensemble ist im wahrsten Sinne des Wortes ein «Feldversuch»: Die Inszenierung ist entstanden auf der Basis vielzähliger Interviews mit verschiedenen Akteur*innen und Expert*innen. Die verschiedenen Standpunkte widersprechen sich durchaus und eröffnen damit eine vielstimmige Diskussion. Es ist der Versuch, sich weder von der Komplexität und den teils schrecklichen Folgen des Hungers noch von den eigenen Gefühlen der Hilflosigkeit davon abbringen zu lassen, sich in das Thema hineinzubegeben. Mit allen Mitteln, die das Theater zu bieten hat – und teilweise fast über dessen Grenzen hinaus. Es ist ein Versuch, gemeinsam die eigene Machtlosigkeit ein Stück weit zu überwinden. Die Suche danach, «wie es gelingen kann, hinzusehen, sich von unangenehmen Gefühlen nicht überfluten zu lassen und zu einem passenden konstruktiven und wirksamen Handeln zu finden» (Mareike Schulze).


Gemeinsam Denken Soziologin Tina Goethe und Regisseur Gernot Grünewald über das Potential, Aktivismus und Theater zusammenzudenken. Das Gespräch führte Elisa Elwert.

Der komplette Programmflyer ist am Vorstellungsabend oder an der Billettkasse erhältlich.

Elisa Elwert: Gernot, was bringt dich zu deiner Herangehensweise, Theater zu machen? Gernot Grünewald: Meine Hoffnung ist, dass man im Theater politische Thema

vielschichtiger rezipieren kann, als wenn man einen Artikel liest oder eine Reportage im Fernsehen sieht. Und dadurch anders sensibilisiert wird. Wenn man zusammen mit Menschen in einem Raum ist, kann gemeinsames Denken stattfinden. Deswegen mache ich Theater. Warum ich mich darüber hinaus oder stattdessen nicht direkter politisch engagiere, beschäftigt mich sehr. Müsste ich nicht eigentlich das machen, was du machst, Tina?

EE: Tina, du hast Aktivismus zu deinem Beruf gemacht. Wie bist du dazu gekommen? Tina Goethe: Für mich war früh klar, dass ich mich politisch engagieren möchte.

Für mich war die Flüchtlingsthematik in den 90er-Jahren ungeheuer wichtig. Oder antifaschistische, antirassistische Arbeit. Ich bin dann in der Entwicklungszusammenarbeit gelandet und habe erst in meinem Beruf gemerkt, wie relevant das Thema Hunger ist. Ich habe lange gebraucht, um es zu erfassen. Für ein wirkliches Verständnis reicht es nicht zu sagen: «Wir haben es gut, die anderen haben es schlecht, gib ihnen Geld!» Fakt ist: Wir hier kennen keinen Hunger. Unsere Generation, in dieser Weltregion, in der wir leben. Was die Brutalität des Hungers mit Menschen macht, ist unglaublich schwer zu verstehen. Ich könnte nach 20 Jahren Arbeit zum Thema nicht sagen, dass ich es komplett verstanden hätte. Dabei könnten alle auf der Welt genug zu essen haben. Aber es gibt handfeste Interessen, die bedingen, dass wir nach wie vor da sind, wo wir sind. Zum Beispiel wird ein Grossteil der Lebensmittel, die wir produzieren, als Futtermittel oder für Agrartreibstoffe verwendet. Damit wird schlicht mehr Geld verdient. Für mich ist klar, dass wir unbedingt Strukturen verändern müssen. Lebensmittel verteilen und Entwicklungshilfe leisten reicht nicht aus. Es braucht das politische Handeln.


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