Schauspiel Bern Spielzeit 2021/22
DAS ENDE VON SCHILDA
Ariane von Graffenried & Martin Bieri
Vergiss nicht, er tut nicht nur so. Er ist wirklich dumm. Das ist gefährlich.
Schauspiel Bern Spielzeit 2021/22
DAS ENDE VON SCHILDA
Eine höhere Idiotie von Ariane von Graffenried & Martin Bieri Uraufführung
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BESETZUNG Dichterin Marie Popall Schweinebauer Jonathan Loosli Wirtin Anna-Katharina Müller Hellseherin Lea Maline Hiller* Lebküchlerin Grazia Pergoletti Faxenmacher Matthias Kurmann Troll Olivier Günther* Baumeister, Cochon, Kaiser, Paketauslieferer David Berger * HKB-Schauspielstudio 2020/21
Inszenierung Annina Dullin-Witschi Bühne Konstantina Dacheva Kostüme Myriam Casanova Musik Marcel Gschwend aka Bit-Tuner Licht Hanspeter Liechti Dramaturgie Adrian Flückiger / Felicitas Zürcher Regieassistenz & Abendspielleitung Joel Mähne / Ruth Mensah Bühnenbildassistenz Junda Dietze / Charlotte Martin Kostümassistenz Martina Sluka / Shayenne Di Martino Soufflage Gabriele Suremann Inspizienz Miklos Ligeti Hospitanz Jakob Dumke, Anne-Sophie Mentha (Regie), Mia Aebersold (Bühne)
Premiere am 02. April 2022, 19:30, Vidmar 1 Dauer der Vorstellung ca. 1h 45 min, keine Pause Aufführungsrechte rua. Kooperative für Text und Regie, Berlin Diese Produktion ist eine Übernahme aus der Spielzeit 2020/21
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Technischer Direktor: Reinhard zur Heiden Leiter Bühnenbetrieb: Claude Ruch Leiter Werkstätten: Andreas Wieczorek Leiterin Kostüm & Maske: Franziska Ambühl Produktionsleiterin Bühnenbild: Konstantina Dacheva Produktionsleiterin Kostüm: Maya Däster Bühnenmeister: Jean-Claude Bögli Tontechnik: Valentin Mayans, Peter Tészás Requisite: Gabriela Hess, Barbara Salchli Maske: Anja Wiegmann
Partner Maske
Die Ausstattung wurde in den Werkstätten und Ateliers der Bühnen Bern hergestellt. Co-Leitung Malsaal: Jann Messerli, Lisa Minder Leiter Schreinerei: Markus Blaser Leiter Schlosserei: Marc Bergundthal Leiter Dekoration: Simon Pinter Leiterin Maske: Martina Jans Gewandmeisterinnen: Mariette Moser, Irene Odermatt, Sina Rieder Leitung Requisite: im Team Leiter Beleuchtung: Bernhard Bieri Leiter Audio & Video: Bruno Benedetti Leiter Vidmar: Marc Brügger
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«Ganz im Geheim und verborgen vor der Welt, lebten unsere Schildbürger in ihrem Streben nach Wissenschaft fort, und suchten immer mehr und mehr ihre Weisheit noch zu vergrössern. Ungeachtet sie es auf einen hohen Grad zu bringen gewusst haben, so waren sie dennoch gar zu bescheiden, als dass sie sich darum vor ihren übrigen Mitmenschen hervorheben und sich damit hätten brüsten wollen, als ob sie Alles verständen. Der glückliche Zufall musste es fügen, dass wir durch den erhabenen Beherrscher von Nirgendsland, der ein über die Massen hoch verständiger und gelehrter Herr war, in die Geschichte unserer Schildbürger eingeweiht wurden. Gleichwie dem ägyptischen Könige von sieben fetten und magern Kühen träumen musste, so kam es, dass es auch unserm nirgendsländischen Könige von der Weisheit der Schildbürger träumte. Alsbald liess der König aus seinem hohen Adel drei der vornehmsten Räte vor sich fordern, sie waren: der Freiherr von Lustig, ein Scherenschleifer, der Baron von Durstig, ein Hexelschneider, und der Edle von Lüderlich, ein Schlott- oder Schornsteinfeger. Diesen seinen ersten Räten gebot der König, dass sie bei Strafe des Todes und bei Verlust allerhöchster Gnade keine Mühe scheuen und von Land zu Land reisen sollen, bis sie drei andere, an Höhe und Dicke des Verstandes und der Weisheit ihnen gleichstehende gefunden hätten. Wer wird zweifeln, dass bei der Weltweisheit dieser Gesandten ihr höchster Auftrag nicht aufs Pünktlichste ausgeführt worden sei? Kaum zehn Jahre nach ihrer Aussendung gelang es ihrem vereinten, scharfsinnigen und umsichtigen Streben, in Schildburg hinter Utopia in kalekutischen Landen glücklich einzutreffen und ihren Auftrag auszuführen.» Die Schildbürger oder Das Lalen- und Narrenbuch
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ZUM STÜCK Eine Prophezeiung steht über Schilda: Dereinst wird eine Katze den ganzen Ort auslöschen. Doch vorerst fühlt sich das kleine Grüppchen von Aussteiger*innen hinter den sieben Bergen noch recht sicher; verborgen und geschützt vor den Blicken der Welt und zufrieden in seiner selbstgewählten Logik der Dummheit. Es sind ein Schweinebauer und seine Frau, die Wirtin, die in ihrem früheren Leben eine Finanzexpertin war. Dazu ihre Tochter, die Hellseherin – zuständig für ebenjene Prophezeiung; ferner die Lebküchlerin, die ihr Leben als Consultant in der Nahrungsmittel-Branche als alleinerziehende Mutter eines Kindes mit Behinderung nicht weiterführen konnte und nach Schilda zog, wo ihr Sohn zum geschätzten Faxenmacher wurde; der Troll, der auch in der Abgeschiedenheit mit der Welt verbunden bleibt und über Krisen und Katastrophen auf dem Laufenden ist; der Baumeister, der nicht mehr wirkliche Paläste konstruiert, sondern mit der Linde über Luftschlösser philosophiert. In diesem Weiler taucht die Dichterin auf: Sie hat ihre Wurzeln in Schilda, sehnt sich nach einem anderen Leben und nach einer Heimat und hofft, diese im Ort ihrer Eltern zu finden. Doch das Glück ist von kurzer Dauer und das Ende von Schilda vorgezeichnet. Zwar gibt der Kaiser den Flecken verloren, als er Schilda besucht und prüft, ob die klügsten Berater*innen nicht zurückzuholen und nützlich für ihn wären. Die Tarnung der scheinbar Dummen funktioniert – zumindest nach Aussen. Doch das Spiel ist zum Dogma geworden, Abweichungen werden nicht mehr toleriert. Die Gruppe wird zerstörerisch und straft erbarmungslos – bis sie sich selbst in den Untergang führt. Es gibt nachvollziehbare Gründe, nach Schilda zu gehen: der Komplexität unserer Welt entfliehen, den Selbstoptimierungswahn beenden, der Globalisierung entkommen, das Eigene stärken, nicht dauernd Facebook,
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Instagram & Co. checken und den Live-Ticker über die aktuellen Katastrophen und Krisen abschalten. Stattdessen kann man eigene Regeln aufstellen, Spass und Anarchie zu den zentralen Werten erheben … Diese Grundhaltung vereint die Bewohner*innen von Schilda, die sich ein kleines Paradies abseits des Lärms der Welt geschaffen haben. Doch wieviel eigene Regeln darf sich eine Gruppe erlauben? Wann wird sie zum Problem für die restliche Gesellschaft? Und wann wird es gar gefährlich, wenn sich einzelne Gruppierungen eigene Wahrheiten aufbauen und nicht mehr erreichbar sind für die Realität der Mehrheit, für Konflikt und Differenz? Kleingeist und Selbstgefälligkeit spriessen in allen Milieus, die der unerschütterlichen Überzeugung sind, recht zu haben. Wo solche Kipppunkte sind, konnte man in den vergangenen Monaten verschiedentlich beobachten: Jahrelang konnte Donald Trump «alternative Fakten» verbreiten und die Werkzeuge der Demokratie missachten, bis ein wütender, desinformierter Mob das Kapitol als Symbol der verhassten Regierung stürmte. Ebenfalls über Jahre hinweg hat eine unsichtbare Armee russischer Trolls aus dem Kreml heraus Propaganda betrieben und abstruse Logiken der Argumentation entwickelt. Und kann man wirklich entscheiden, ob man an ein Virus «glaubt», und für die eigene Freiheit Wissenschaft und Medizin ignorieren? Ab wann wird eine eigene Meinung zur Gefahr für sich und andere? Wann wird Autonomie zu Hinterwäldlertum, Uninformiertheit zu Ignoranz? Und wann kippt sie in Gewalt gegenüber Andersdenkenden? Das Ende von Schilda entstand Anfang des Jahres 2020. In den vergangenen zwei Jahren hat das Stück nichts von seiner Aktualität eingebüsst, im Gegenteil: Die Ambivalenz der «Dummheit», der selbstgewählten Ideologie einiger Wenigen, die sich aus der Gesellschaft verabschieden, hat sich überraschend vielfach und deutlich manifestiert.
Marie Popall, David Berger
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Das komplette Programmheft ist am Vorstellungsabend oder an der Billettkasse erhältlich.
Anna-Katharina Müller, Jonathan Loosli