Kraft

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schauspiel

KRAFT JONAS LÜSCHER

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« WO DIE KRAFT NICHT REICHT, KOMME DIE TÄUSCHUNG HINZU.

»

Pietro Metastasio, 1780

Florentine Krafft, Marie Popall


KRAFT JONAS LÜSCHER Uraufführung

PREMIERE 23. Mai 2019, Vidmar 1

DAUER DER VORSTELLUNG 1h 50 min, keine Pause


BESETZUNG regie & fassung Zino Wey bühne Davy van Gerven kostüme Veronika Schneider musik Lukas Huber video Julia Bodamer licht Rolf Lehmann dramaturgie Michael Gmaj regieassistenz & abendspielleitung Natalie Broschat bühnenbildassistenz Fiorenza Bossard bühnenbildhospitanz Alexandra Capaul kostümassistenz Anina Eberhard soufflage Gabriele Suremann inspizienz Miklós Ligeti

technischer direktor Reinhard zur Heiden leiter bühnenbetrieb Claude Ruch leiter werkstätten Andreas Wieczorek leiterin kostüm & maske Franziska

Ambühl produktionsleiterin bühnenbild Konstantina Dacheva produktionsleiterin kostüm Milena Hermes bühnenmeister David Glöckner Tontechnik Valentin Mayans, Peter Teszas videotechnik Michael Ryffel Requisite Gabriela Hess Maske Carmen Maria Fahrner, Anja Wiegmann Die Ausstattung wurde in den Werkstätten und Ateliers von Konzert Theater Bern hergestellt. co-leitung malsaal Susanna Hunziker, Lisa Minder leiter schreinerei Markus Blaser leiter schlosserei Marc Bergundthal leiter dekoration Daniel Mumenthaler leiterin maske Carmen Maria Fahrner gewandmeisterinnen Mariette Moser, Irene Odermatt, Gabriela Specogna leiter requisite Thomas Aufschläger leiter beleuchtung Bernhard Bieri leiter audio & video Bruno Benedetti leiter vidmar Marc Brügger

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mit Florentine Krafft Grazia Pergoletti Marie Popall Nico Delpy Julian Lehr Alexander Maria Schmidt

Partner Maske

Dr. Hauschka

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«TOUT EST BIEN»* * Voltaires Untertitel zum «Gedicht über die Katastrophe von Lissabon» Raubtiere können dem Menschen gefährlich werden. Warum rotten wir sie dann nicht einfach aus? Heute würden die meisten von uns antworten: Weil die Vielfalt der Natur ein Wert ist, den es zu bewahren gilt. Im 18. Jahrhundert hätte die Frage gelautet: Warum hat ein allmächtiger und gütiger Gott die für andere so gefährlichen Tiere überhaupt erschaffen? Oder wie der deutsche Gelehrte und Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz die Frage allgemein gültiger stellte: Warum gibt es Übel in der Welt? Leibniz’ Antwort ist komplexer ausgefallen als seine Frage. So postulierte er 1710 in seinem Essay als Antwort auf seine Theodizee-Frage, dass Gott aufgrund seiner Allmacht und Güte von allen möglichen Welten die beste geschaffen habe. «Das Übel ist um einer Maximierung der Harmonie als Vielfalt in der besten aller möglichen Welten unvermeidlich und letztlich zuzulassen, um menschliche Freiheit und Verantwortung zu ermöglichen.» Vereinfacht: Wir Menschen müssen also Leid in unserer Welt ertragen, um uns überhaupt frei entfalten zu können. Es war das Jahrhundert der Aufklärung, man setzte Vertrauen in die Welt, hielt die Natur für verlässlich und stellte sich den lieben Gott als ein weises, ergrautes Wesen vor. Eine Welt ohne Gott war noch nicht denkbar. Auch der englische Dichter Alexander Pope beschäftigte sich im englischen Sprachraum seinerseits mit dem grossen Thema seines Jahrhunderts. 1733 veröffentlicht er seinen Essay on Man, zu Deutsch Vom Menschen, und beendet diesen mit der Formel: «Whatever is, is right», alles was ist, ist gut.

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Dann brach am 1. November 1755, dem Allerheiligentag, ein katastrophales Erdbeben über die prächtige und wirtschaftlich bedeutende Hafenstadt Lissabon herein und begrub zahlreiche Menschen unter ihren Trümmern. Die Nachricht verbreitete sich rasend schnell, Entsetzen und Fassungslosigkeit beherrschten den Diskurs in Europa. So wurde das Erdbeben zum ersten Ereignis der Neuzeit, über das medial, auf breiter Skala, berichtet und nachgedacht wurde. Ironischerweise starben zahlreiche Menschen unter Kirchentrümmern, als sie morgens zum Gottesdienst strömten, während ausgerechnet das Rotlichtviertel Lissabons verschont geblieben war. Nun fragten die Philosophen: Wie kann ein solcher Gott gut sein, wenn in der von ihm geschaffenen Welt Katastrophen möglich sind, die so viel ungerechtes Leid hervorbringen? Vor allem Voltaire prägte für Leibniz’ Essay über die Theodizee eine Überschrift, die durchaus spöttisch gemeint war: «Tout est bien». Er verfasste kurz nach dem verheerenden Erdbeben ein Gedicht als Antwort auf Leibniz und Pope, in dem er deren Thesen komplett in Frage stellte: «Alles ist gut, sagt ihr, und alles notwendig. Was? Die Welt im Ganzen, ohne den Höllenschlund, der Lissabon verschlang, sei weniger gut gewesen? Seid ihr gewiss, dass die ewige Ordnung, die alles tut, weiss und für sich erschafft, uns auf die traurige Erde nicht hätte werfen können, ohne Vulkane uns unter den Füssen zu entzünden? Ich achte meinen Gott, doch liebe ich die Welt. Und wenn der Mensch beim Grauen wagt zu Seufzen, so ist es Hochmut nicht, ach! Es ist Empfindung.» Voltaires Gedicht war ein Protest gegen die geltende Philosophie. So kam er selbst auf die alte Frage zurück: «Wie einen Gott sich denken, der, die Güte selbst, den Kindern, die er liebt, die Gaben spendet, und doch mit vollen Händen Übel auf sie giesst?» Sie ist schlicht nicht zu beantworten, da ein Dilemma entsteht zwischen der Güte und Vollkommenheit Gottes und dem Übel als Teil der von

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ihm geschaffenen Welt. Trotzdem griff die Berliner Akademie der Wissenschaften die Formel «Alles ist gut» auf und machte sie zum Thema ihrer Preisfrage für das Jahr 1755, die einen Vergleich von Popes Diktum mit der Lehre von der besten Welt verlangte. Zu den Antwortenden gehörte u. a. Lessing, der seinen Essay, Pope, ein Metaphysiker!, beisteuerte. Nur versuchte er gar nicht erst, die Frage der Akademie zu beantworten, sondern kritisierte rhetorisch geschickt deren Fragestellung. Das Erdbeben führte dazu, dass nicht mehr nur nach Gottes Verantwortung gefragt wurde, sondern auch nach den Ursachen in der Natur oder nach der Verantwortung des Menschen und seiner Technik: Hätte der Mensch anders gebaut, wären vielleicht nicht so viele unter den Trümmern begraben worden. 2017 verlangt nun in Jonas Lüschers Roman Kraft nicht mehr eine Akademie nach der Beantwortung der Frage, sondern ein Individuum, ein amerikanischer Investor namens Tobias Erkner, der die beste Antwort mit einem Preisgeld von einer Million Dollar, finanziert aus dem eigenen Privatvermögen, belohnen möchte. Von diesem Vorhaben erfährt der in Tübingen wohnhafte Rhetorik-Professor Richard Kraft durch eine E-Mail von seinem ehemaligen Kommilitonen István Pánczél, seinerseits Professor an der Stanford University. Für Kraft, der unter finanziellen Nöten und einer unglücklichen Ehe leidet, nicht nur seine Frau und zwei Töchter zu ernähren hat, sondern auch noch den Unterhalt für seine Ex-Frau und zwei Söhne bestreitet, stellt die Chance, dieses Preisgeld zu gewinnen, den ultimativen Befreiungsschlag dar. So macht er sich auf den Weg nach San Francisco, wo ihn zahlreiche Ereignisse dazu bringen, sein Leben zu rekapitulieren – und damit auch seine Suche nach der menschlichen Freiheit. Der Roman erinnert nicht zufälligerweise in vielen Punkten an Voltaires Candide oder der Optimismus, jenes Werk, das der fran-

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zösische Philosoph und Autor 1759 tatsächlich als augenzwinkernde Antwort auf Leibnizens Theodizee-Frage verfasste. «Die da behauptet haben, alles sei gut, haben etwas sehr Albernes behauptet; es muss heissen, alles sei durchaus aufs beste bestellt», ist nur einer der zahlreichen optimistischen Grundsätze, die dem jungen Protagonisten Candide von seinem Lehrmeister Pangloss mit auf den Weg gegeben werden. Angesichts von Körperverletzung, Folter, Krieg, dem Erdbeben in Lissabon, Kannibalen und anderen Unmenschlichkeiten erwachsen diesem allerdings bald schon Zweifel an dieser so optimistischen Definition der Welt. Voltaire aber schrieb klugerweise ein selbstironisches Märchen. Die zunächst anonym erschienene Erzählung strotzt nur so von Voltaires boshaftem Humor. So entlarvt die Erzählung Utopien und jedes Paradies auf Erden als gefährliche Illusion. Lüscher bezieht sich immer wieder bewusst auf Voltaires Erzählung; Kraft selbst ist eine Art heutiger Candide, der ins Silicon Valley reist, um sich dem grenzenlosen Optimismus zu stellen. Und mit István Pánczél erhält er auch seinen persönlichen Pangloss als Mitstreiter an die Hand. Während Voltaires Klassiker mit seinen philosophischen Fragen im 18. Jahrhundert verhaftet ist, stellt sich Jonas Lüscher nicht nur der Theodizee, sondern denkt auch über das aktuelle Problem der vom deutschen Philosophen Hans Poser gestellten Technodizee-Frage nach: «Wenn der Mensch zum Leben und Überleben der Technik bedarf, dann wird nicht mehr Gott, sondern der Mensch selbst für die üblen Folgen seiner Schöpfung zur Verantwortung gezogen.» Wenn nicht mehr das Raubtier in freier Wildbahn oder ein Erdbeben die grössten Gefahren sind, sondern die Atombombe oder das Auto im Strassenverkehr, dann sitzen wir selbst auf der Anklagebank. Und bei Lüscher sitzt stellvertretend für die Menschheit, oder zumindest für die alte Welt, Richard Kraft auf dem Prüfstand.

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« I’VE BEEN LOOKING FOR FREEDOM I’VE BEEN LOOKING SO LONG I’VE BEEN LOOKING FOR FREEDOM STILL THE SEARCH GOES ON STILL IT CAN’T BE FOUND» »

DAS KOMPLETTE PROGRAMMHEFT IST FÜR CHF 3,– AM VORSTELLUNGSABEND ODER AN DER BILLETTKASSE ERHÄLTLICH.

Looking for freedom, Gary Cowtan, 1989 neu interpretiert von David Hasselhoff

Julian Lehr, Alexander Maria Schmidt, Nico Delpy, Grazia Pergoletti, Marie Popall

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