Programmheft-Vorschau: Ein Sommernachtstraum

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Schauspiel Bern Spielzeit 2021/22

EIN SOMMERNACHTSTRAUM von William Shakespeare erweitert von Kim de l’Horizon


Eine Erweckung zur Liebe kann nur stattfinden, wenn wir uns von den Vorstellungen von Macht und Dominanz lossagen. bell hooks

Partner Maske


Schauspiel Bern Spielzeit 2021/22

EIN SOMMERNACHTSTRAUM von William Shakespeare erweitert von Kim de l’Horizon


David Berger, Jan Maak 4


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BESETZUNG Theseus / Puck Regie Claudius Körber Sabine Auf der Heyde Hippolyta / Titania Bühne Lucia Kotikova Magdalena Gut Egeus / Oberon Kostüm Isabelle Menke Esther Bialas, Magdalena Gut Lysander Musik Vanessa Bärtsch /  Jacob Suske Mariananda Schempp Licht Demetrius Rolf Lehmann Linus Schütz Dramaturgie Helena Julia Fahle Kilian Land Regieassistenz Hermia Désirée Wenger, Joël Mähne Genet Zegay Bühnenbildassistenz Squenz Charlotte Martin Jonathan Loosli / Jan Maak Kostümassistenz Zettel Dominique Steinegger David Berger Musikalische Assistenz Moritz Achermann Soufflage Sabine Bremer / Joel Franz Inspizienz Miklos Ligeti Regiehospitanz Lia Grossenbacher, Leonie Stalder Kostümhospitanz Giuliana Gjorgjevski Premiere am 13. Januar 2022, 19:30, Vidmar 1 Dauer der Vorstellung ca. 2 h 20 min, eine Pause Technischer Direktor: Reinhard zur Heiden Leiter Bühnenbetrieb: Claude Ruch Leiter Werkstätten: Andreas Wieczorek Leiterin Kostüm & Maske: Franziska Ambühl Produktionsleiterin Bühnenbild: Konstantina Dacheva Produktionsleiterin Kostüm: Maya Däster Bühnenmeister: Jean-Claude Bögli Tontechnik: Valentin Mayans, Peter Tészás Requisite: Gabriela Hess, Barbara Salchli Maske: Anja Wiegmann Die Ausstattung wurde in den Werkstätten und Ateliers der Bühnen Bern hergestellt. Co-Leitung Malsaal: Jann Messerli, Lisa Minder Leiter Schreinerei: Markus Blaser Leiter Schlosserei: Marc ­B ergundthal Leiter Dekoration: Simon Pinter Leiterin Maske: Martina Jans Gewandmeisterinnen: Mariette Moser, Irene Odermatt, Sina Rieder Leitung Requisite: im Team Leiter Beleuchtung: Bernhard Bieri Leiter Audio & Video: Bruno Benedetti Leiter Vidmar: Marc Brügger


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Mariananda Schempp, Genet Zegay


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TOD DER NATUR. TOD DEN FRAUEN ODER DIE LUST AUF FLEISCH von Julia Fahle

Eine laue Nacht; eine junge Frau, die mit ihrer grossen Liebe in den von Naturgeistern beherrschten Wald flüchtet, um einer Zwangsheirat zu entkommen; ein Racheplan aus Angst vor dem eigenen Versagen; eine Blume mit berauschender Wirkung: ein Sommernachtstraum. Doch dieser Shakespear’sche «Sommernachtstraum» entpuppt sich beim genaueren Hinsehen als ein wahrer Albtraum. Der Fürst Theseus ist gerade in Athen angekommen und verkündet seine Hochzeit mit Hippolyta, einer Amazone, deren Herz er «gewann, als er ihr Wunden schlug». Gezähmt werden muss auch Hermia, die sich dem Willen ihres Vaters, Demetrius zu ihrem Mann zu nehmen, nicht beugen will, denn ihre Liebe gilt Lysander. Auch Helena glaubt ihre wahre Liebe gefunden zu haben, und zwar in eben jenem Demetrius, der im Begriff ist, ihre Freundin Hermia zu heiraten, und macht ihr gesamtes Selbstbild von der Bestätigung dieses einen Mannes abhängig. Doch Athen steht nicht für Liebe, sondern für Macht und Dominanz. Lysander, der die Liebe Hermias erwidert und für diese Liebe kämpfen will, schlägt deshalb die Flucht in den Wald vor, in den Wald, wo «die Zukunftsbringer» leben. Hermia stimmt diesem Plan zu, denn Athen bietet ihr nur drei Möglichkeiten: Heirat eines von ihr nicht geliebten Mannes, Tod oder Zölibat – einen Tod sterben wird sie in jedem Fall. Und so flüchten die beiden Liebenden aus dem patriarchalen System Athens, einem System, in dem Frauen gleichsam wie Tiere erbeutet werden und Männlichkeit durch die Kontrolle über andere Körper, sei es Menschen


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oder Tiere, aufgebaut wird. Dieses System wurzelt in der Gleichung Frau = Natur und Mann = Kultur, die seit der Antike die abendländische Kultur durchdringt. So wurde die Frau mit all dem identifiziert, was dem männlichen Geist als minderwertig galt: Natur, Körper, Sexualität, Vergänglichkeit und Sterblichkeit. Frauen hätten zudem aufgrund ihres Körpers die Aufgabe, neues Leben zu produzieren, während die Männer ihre natürliche Existenz transzendieren, indem sie die Natur gestalten und nach ihren Interessen formen, ebenso wie sie Frauen nach ihren Vorstellungen zu formen versuchen. Kontrolliert werden muss der chaotische Teil der Natur, der auch Unwetter und Krankheiten mit sich bringt, genauso wie die «gesetzlose» Frau, die nicht bereit ist, sich unterzuordnen, oder ihre Sexualität frei ausleben möchte. Der andere Teil der Natur hingegen, die natürlichen Ressourcen, werden ebenso ausgebeutet wie Frauen, um das ungebremste Wirtschaftswachstum und das Konsumverhalten der reichen Industrienationen sicherzustellen. Die Natur und die Frau werden so zu Objekten degradiert, die vom Mann beherrscht und kontrolliert werden müssen, wenn nötig auch mit Gewalt. Doch zurück zu Shakespeares «Sommernachtstraum»: Den Fluchtplan von Hermia und Lysander verrät Helena Demetrius, und so geht auch er in den Wald, um Hermia zu suchen, gefolgt von Helena, die Demetrius um Liebe anbettelt. Doch vergeblich ist das Flehen Helenas, nie wird sie die Liebe Demetrius’ bekommen, denn sie ist in ihren eigenen Augen nicht so schön wie Hermia. Und sie weiss: Wer schön ist, wird geliebt, wer hässlich ist, eben nicht. Deshalb muss er beackert werden, dieser Körper, um so nah wie möglich an die perfekten Körper heranzukommen, die wir heute tagtäglich in digital manipulierter Form sehen. Bei dem Bemühen, «in Ordnung zu bringen, was nicht in Ordnung ist», versprechen Diäten, die Kosmetikindustrie, Schönheitsoperationen Unterstützung und suggerieren uns sogar, dass diese Form der Selbstausbeutung eine Art Fürsorge für unsere Körper ist. Diese tagtägliche


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ARBEIT am Körper kostet nicht nur Geld, Kraft und Zeit, sie ist auch unbezahlt – ebenso wie die auch heute noch zu grossen Teilen von Frauen übernommene Care-Arbeit. Und dieser Schönheitswahn ist nur EIN Instrument der sozialen Kontrolle von Frauen. «Zudem hilft es gar nicht so viel, einen solchen Körper zu haben, sobald es um Machtfragen geht: Wer angeschaut wird, darf nicht automatisch sprechen», bringt es Margarete Stokowski in «Untenrum frei» auf den Punkt. Im Wald hingegen herrscht ein anderer Geist. Er wird besiedelt von Titania und Oberon und weiteren Naturgeistern, deren Utopie es ist, frei von Herrschafts- und Gewaltstrukturen im Geschlechterverhältnis und im Verhältnis gegenüber der Natur zu leben. Darüber, wie diese Utopie auch ausserhalb des Waldes real werden kann, streiten allerdings Titania und Oberon. Ihr Streit entfacht sich an der Frage nach der Erziehung ihres Kindes. Während Oberon der festen Überzeugung ist, dass gesellschaftliche Veränderungen nur mit Gewalt zu erreichen sind, weiss Titania, dass nicht Krieg, sondern nur Frieden eine tiefgreifende Veränderung herbeiführen kann. Gekränkt im Stolz und in dem Bewusstsein darüber, dass die Geschichte zeigt, dass Gewalt nie dauerhaft zu einer gerechteren Welt geführt hat, übt Oberon Rache an Titania und lässt sie sich durch die berauschende Wirkung einer Blume in das Lebewesen verlieben, das sie als erstes nach ihrem Aufwachen erblickt. Dass dieses Lebewesen ein Mensch ist, der für alles steht, was Titania ablehnt, ist Teil des Plans. Zudem soll Puck, der Diener Oberons, Demetrius verzaubern, damit er sich in Helena verliebt, da Oberon, selbst gezeichnet von der schmerzhaften Erkenntnis, dass Titanias Liebe erkaltet ist, Mitleid empfindet für die zurückgewiesene Helena. Dieser Plan jedoch geht nicht ganz auf, Puck verwechselt die schlafenden Athener*innen, und so wird nicht nur Demetrius, sondern auch Lysander verzaubert, der sich nun voller Hass gegen Hermia und voller Begehren Helena zuwendet. Helena kann nicht glauben, dass sie plötzlich von beiden geliebt wird und wittert


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Verschwörung und Verrat. Hermia hingegen macht die Erfahrung, dass sie austauschbar sind, die Menschen, auch in der Liebe, besonders in der Begierde. Hass, Begehren und Verletzungen greifen um sich, und der Streit ist nur durch eine weitere Zauberei zu lösen. Und so verlassen sie den Wald: Hermia mit Lysander, Helena mit Demetrius. Sie kehren just an dem Tag nach Athen zurück, an dem die Hochzeit stattfinden soll zwischen dem dritten Paar: Theseus und Hippolyta. Da wo die Sprache Shakespeares aufhört, fängt Kim de l’Horizon (Hausautor*in am Schauspiel der Bühnen Bern) an zu sprechen und lässt so eine Utopie aufleuchten von einer Welt, die sich nicht auf die Prinzipien von Ausbeutung und Macht stützt, sondern auf eine Ethik der Liebe. «Das hier, Manneskönig, das ist mein Gewitter und ich donnere und blitze, dass deine Früchte dir verfaulen und verschrumpeln, ich bin die Stürme derer, die nicht stürmisch sein dürfen. Wie ich mich fühl? Mächtig. Mächtig fühl ich mich.»

Das komplette Programmheft ist am Vorstellungsabend oder an der Billettkasse erhältlich.


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