KunstEINSICHT Nr. 18

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KUNST EINSICHT

18 1/2021

Das gemeinsame Magazin von Kunstmuseum Bern und Zentrum Paul Klee

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Nr.

Eine ästhetische Reise durch ein geteiltes Land


GALERIE KORNFELD • BERN

© D. Thalmann, Aarau, Schweiz

KENNERSCHAFT UND TRADITION SEIT 1864

CUNO AMIET Winterlandschaft. 1908 Öl auf Leinwand. 54 × 64,5 cm Müller/Radlach 1908.21. Auktion Juni 2021

AUKTIONEN 17. UND 18. JUNI 2021 AUKTIONSAUSSTELLUNGEN ZÜRICH, TITLISSTRASSE 48 1. bis 4. Juni, 13–19 Uhr (Auswahl)

BERN, LAUPENSTRASSE 41 9. bis 16. Juni, 10–18 Uhr

Kataloge online und auf Bestellung erhältlich ab Mitte Mai

Galerie Kornfeld Auktionen AG Laupenstrasse 41 Postfach CH-3001 Bern Tel. +41 (0)31 381 46 73 galerie@kornfeld.ch www.kornfeld.ch


Editorial Interaktive Live-Führungen im Netz — Podcasts — Livestreamings von Konzerten. Während des langen zweiten Lockdowns in den grauen Wintermonaten haben wir viel Neues ausprobiert. Und doch kann nichts die tatsächliche Begegnung mit und die persönlichen Diskussionen über Kunst und Kultur — gemeinsam mit anderen Menschen, mit Ihnen unseren Besucher:innen — ersetzen. Jetzt, da die Tage wieder länger werden und die Museen aus ihrem Dornröschenschlaf erwachen durften, freuen wir uns, Kunst wieder vor Ort erlebbar zu machen. Für das kommende Halbjahr ist deshalb viel geplant: Entdecken Sie die Kunst des geteilten Korea in einer Ausstellung, in der Welten aufeinanderprallen;

vertiefen Sie sich in die weitreichenden Fragen der verwandtschaftlichen wie auch kulturellen Nähe von Mensch und Tier anlässlich der Ausstellung Moderne Tiere, die einen neuen Blick auf die Tierplastiken August Gauls (1869—1921) wirft. Und tauchen Sie ein in Paul Klees nicht immer unproblematische Suche nach den Uranfängen von Kunst und in Adolf Wölflis unerschöpfliches Universum. Auf einen Sommer voller Kultur!

Nina Zimmer Direktorin Kunstmuseum Bern — Zentrum Paul Klee

Inhalt Ausstellung

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August Gaul Moderne Tiere

Literatur

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August Gauls Tierplastiken entstanden in einer Zeit, in der sich das Mensch-Tier-Verhältnis grundlegend veränderte. Erstmals wird das Werk des animaliers nun kulturhistorisch kontextualisiert. Ausstellung

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Sharon Dodua Otoo Dürfen Schwarze Blumen Malen? Die Schriftstellerin und Bachmann-Preisträgerin über Menschen, Diskriminierung und Sprache. Ausstellung

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Paul Klee Ich will nichts wissen

Die Erfindung des Künstlers Adolf Wölfli Als Insasse der «psychiatrischen Heilanstalt Waldau» schuf Adolf Wölfli ein über 25 000 Seiten umfassendes Werk. Erstmals stehen seine Schriften im Zentrum einer Ausstellung.

Auf der Suche nach den Uranfängen von Kunst studierte Paul Klee unter anderem Höhlenmalereien und Kinderzeichnungen. Erstmals widmet sich eine Ausstellung umfassend seinen Quellen. Persönlich

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Manuela Angst Die neue CEO von Bern Welcome über ihren herausfordernden Einstieg, die Bedeutung von Kultur und ihre Vision eines nachhaltigen Tourismus.

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Forum Kalender More to See Agenda Nachruf


Shop

Austausch

Zentrum Paul Klee

Kunstmuseum Bern

Museum Rietberg

Pareo Geheim Schrift Bild

Kihara PorzellanTellerchen

Zur Frage nach den Uranfängen von Kunst

Egal ob als Badetuch nach dem sommerlichen Aareschwumm, als Wickelrock beim Flanieren im Freibad oder als Überwurf für den Liegestuhl zu Hause im Garten — der Pareo aus 85 % Baumwolle ist der ideale Begleiter für den Sommer. Bedruckt ist er mit dem Werk Geheim Schrift Bild von Paul Klee aus dem Jahr 1934.

Seit über 400 Jahren wird in der Stadt Arita in der Präfektur Saga auf der Insel Kyushu in Japan Porzellan hergestellt, das für seine hohe handwerkliche Qualität bekannt ist. Heute werden die alten Handwerkstechniken mit Hightech und 3D-Design ergänzt. Das Porzellan des Herstellers Kihara ist funktional, formschön und von langlebiger Qualität. Jeder Artikel ist ein handgefertigtes Unikat, das die herausragenden Fähigkeiten der Kunsthandwerker:innen repräsentiert.

Zeichen und Schriften ziehen sich als Bildelemente wie ein roter Faden durch das gesamte Schaffen von Paul Klee. Vor allem Klees Bilder der 1930er-Jahre sind das Ergebnis jahrelangen Experimentierens mit einer Vielzahl von Schriftformen anderer Kulturen ur- und frühgeschichtlicher Epochen. Hinzu kamen Symbole wie Spiralen, Pfeile, Buchstaben oder Musiknoten sowie auf ihre wesentliche Form reduzierte Gegenstände. Klee entwickelte so ein eigenständiges Formenvokabular, welches auf die Konvention lesbarer Zeichen anspielt, im Grunde jedoch nicht mehr entschlüsselt werden kann. 100 × 70 cm, CHF 24, Museumsshop Zentrum Paul Klee

Satz von 5 blau-weissen Tellern mit geo­ metrischen und floralen Mustern, ø 15 cm, mikrowellen- und spülmaschinenfest, CHF 75, Museumsshop Kunstmuseum Bern

Während Musik, Tanz und Theater kaum Spuren hinterlassen, haben Fels- und Höhlenmalereien die Jahrtausende überdauert. Die Entdeckung altsteinzeitlicher Höhlenbilder Ende des 19. Jahr­hunderts veränderte die Vorstellungen über die Anfänge von Kunst von Grund auf. Die Ausstellung Kunst der Vorzeit: Felsbilder der Frobenius-Expeditionen im Museum Rietberg gibt Einblick in die abenteuerliche Dokumentationsgeschichte weltweiter Felsbilder durch Leo Frobenius und sein Künstlerinnenteam in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Mehr als 100 grossformatige Bilder geben einen einzigartigen Überblick über diese früheste Form der Bildkunst. Die ursprünglich vom FrobeniusInstitut gestaltete Ausstellung wurde für das Museum Rietberg erweitert, unter anderem mit Leihgaben aus dem Zentrum Paul Klee. Wie viele Avantgarde-Künstler:innen des frühen 20. Jahrhunderts interessierte sich Paul Klee für die Frage nach den «Uranfängen von Kunst», was unter anderem eine Beschäftigung mit prähistorischer und nichteuropäischer Kunst zur Folge hatte. Obwohl sich Klee nie konkret zur vorgeschichtlichen Kunst äusserte, hatte er mit Sicherheit von Leo Frobenius’ ethnologischen Studien Kenntnis genommen, was Zeitschriften und Bücher seiner Bibliothek belegen. Museum Rietberg Kunst der Vorzeit: Felsbilder der Frobenius-Expeditionen bis 11. Juli 2021

Paul Klee, Geheim Schrift Bild, 1934, 105, Kleisterfarbe auf Papier auf Karton, 48 × 63,5 cm, Zentrum Paul Klee, Bern

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Wandjina, Australien, Kimberley, Mount Hann, 1938, Douglas C. Fox, Aquarell auf Papier, 73 × 108,5 cm, © Frobenius-Institut


Dreimal Korea in Bern

Digital

Chun Hee

Aus der Ferne ganz nah

In diesem Sommer lässt sich die Kunst und Kultur Koreas an gleich drei Orten in Bern entdecken. Das Alpine Museum der Schweiz nähert sich mit der Ausstellung Let’s Talk about Mountains (bis 16. Januar 2022) filmisch dem verschlossenen Nordkorea an. Sie zeigt Mikrogeschichten aus dem Alltag und gibt Menschen eine Stimme, die hinter dem politischen System und unseren Bildern davon zu verschwinden drohen. Das Kunstmuseum Bern bringt in der Ausstellung Grenzgänge (30.04.—05.09.2021) mit Wer-

ken aus der Sammlung Sigg die konträren Weltanschauungen und die gegensätzliche Kunst Nord- und Südkoreas in einen Dialog und lädt so dazu ein, sich der Geschichte und der Gegenwart Koreas anzunähern. Wer nach dem Museumsbesuch Lust hat auf mehr, macht sich auf in die Münster­ gasse. Im Chun Hee gibt es authentische koreanische Gerichte in familiärem Umfeld zu entdecken. Zum Einstimmen zu Hause:

Fresh Kimchi Chun Hee Für 2 Personen Zubereitungszeit: 30 Min. Zutaten 1 kleiner Chinakohl 1 kleine Karotte 1 kleiner Bierrettich 1 Frühlingszwiebel 1—2 Knoblauchzehen 20 g Ingwer 1 TL Fischsauce* 1—2 EL koreanisches Paprika** 5 EL Salz 2 DL Wasser So wird’s gemacht: Vorbereitung Chinakohl in 2 cm breite Streifen schneiden, salzen und mit etwas Wasser für ca. 15 Min. einwirken lassen. Bierrettich und Karotten in 5 cm lange feine Streifen schneiden, Frühlingszwiebeln fein schneiden. Paste Knoblauch und Ingwer fein hacken, Fischsauce und Paprika dazugeben und alles vermischen.

Verarbeiten Chinakohl sehr gut waschen bis kein Salz mehr auf den Blättern ist. Alle Gemüse­ streifen mit dem gewaschenen Chinakohl vermischen. Paste zugeben und alles mit den Händen gut vermischen.

Zoom — GoToMeeting — Skype for Business. Wir alle haben uns im letzten Jahr an Online-Sitzungen und digitalen Austausch gewöhnen müssen. Dabei ist uns unweigerlich bewusst geworden, wie wichtig persönliche Begegnungen sind, und welch grosse Rolle sie auch bei Kongressen, Kundenevents oder Tagungen spielen. Hinzu kommen die technischen Heraus­ forderungen, die Online-Veranstaltungen mit oft mehr als hundert Teilnehmenden mit sich bringen. Das Zentrum Paul Klee ermöglicht in dieser besonderen Zeit mit Know-How und professioneller Infrastruktur sichere und stressfreie Events nahe bei den Menschen. Wie? Mit auf die individuellen Bedürfnisse der Veranstalter:innen und Teilnehmer:innen zugeschnittenen hybriden Veranstaltungen. Als sichere Alternative zu örtlich gebundenen Events ermöglichen hybride Veranstaltungen Nähe — auch aus der Ferne. Während sich Referent:innen und eine kleinere Gästegruppe im grossräumigen Auditorium des Zentrum Paul Klee treffen, verfolgen weitere Teilnehmer:innen den Anlass via Livestream und bringen sich, je nach Setup, via Wortmeldung oder Chatfunktion ein. Die Veranstaltungen werden in Live-Regie von Fachpersonen betreut, damit man sich ganz auf Inhalt und Austausch konzentrieren kann.

Servieren Mit Reis und Fleisch oder Tofu. Passt auch gut zu Rösti. Tipp Kann in grösseren Mengen hergestellt werden, da das fermentierte Kimchi im Kühlschrank in einem luftdicht verschlossenen Behälter (fast) unendlich lange haltbar ist. Älteres Kimchi kann man wunderbar mit Gemüse und allerlei in einer Suppe verarbeiten. En Guete mitenand!

b Rezept von Eve Angst, Wirtin Chun Hee Chun Hee, Münstergasse 39, 3011 Bern

Für weitere Auskünfte: events@zpk.org +41 31 359 01 59

*

egetarier:innen und Veganer:innen können die V Fischsauce durch Sojasauce ersetzen. ** Koreanisches Paprika (Gochugaru) ist im Asia-Shop A Châu Trading in Köniz erhältlich.

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FRUCHTLAND

Flachs gestern und heute

Das Revival einer alten Kulturpflanze Fast und Slow Fashion sind in aller Munde. Die Modebranche produziert oft möglichst schnell und günstig unsere Kleider. Die Situ­ation von Arbeiter:innen wie auch der Umwelt wird dabei hintenangestellt. Mit dem Anbau von Flachs thematisiert das Zentrum Paul Klee im Rahmen von FRUCHTLAND diese und weitere Aspekte der tra­ ditionellen Naturfaser.

Flachs – oder auch gemeiner Lein – ist eine vielseitige Pflanze: Aus den Fasern lässt sich Garn gewinnen, aus dem robuste Stoffe gefertigt werden. Auch als Dämm- und Isoliermaterial sind die Fasern sehr gut nutzbar. Die Leinsamen bieten nicht zuletzt wertvolle ungesättigte Fettsäuren, können roh oder verarbeitet als Speiseöl verzehrt werden. Aber auch als Öl für Lampen diente Leinöl. Schliesslich kann der Holzanteil der Stängel zu Papier verarbeitet werden. Wie gewohnt schlagen wir mit FRUCHTLAND Brücken zwischen Kunst und Natur sowie Kultur und Agrikultur. Im Falle von Flachs ist dies ganz einfach – in der Kunst findet Flachs nämlich vielseitige Anwendung: als Leinwand, als Papier oder in Form von Leinöl als Bindemittel, zum Verdünnen von Farbe oder als Firnis.

Die Geschichte der Nutzung von Flachs durch Menschen ist faszinierend, denn sie ist ein Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen und reicht bis in die Zeit um 5000   v.  Chr. zurück. Spuren von Leinsamen finden sich sogar noch früher. Im Mittelalter war Faserflachs der wichtigste Rohstoff für Textilien in ganz Europa und in der Schweiz wurde aus Flachs gewonnener Leinen im 18.  Jahrhundert ein Exportschlager. Ab dem 19.  Jahrhundert verdräng­te die Baumwolle mehr und mehr den Flachs, da sie in der maschinellen Verar­beitung weitaus produktiver war. Schliesslich führte der Einsatz von synthetischen Fasern zu einem noch stärkeren Rückgang des Flachsanbaus. Für den Anbau von Flachs im FRUCHTLAND arbeitet das Zentrum Paul Klee mit SwissFlax zusammen. Eine Handvoll Bauern, Wissenschaftler und Textilindustrielle gründeten die Firma 2014 im Emmental, um den Flachsanbau in der Schweiz wieder zu fördern. 2019 gewann die SwissFlax den Design Preis Schweiz in der Kategorie «Swiss Textiles Prize for Fashion and Textile Start-ups». Voraus gingen dem Anbau Studien an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) in Zollikofen durch den Gesellschafter von SwissFlax, Dominik

Füglistaller. Er untersuchte über drei Jahre hinweg verschiedene Flachssorten mit Namen wie «Lisette», «Christine» oder «Avian» auf ihre Tauglichkeit für Schweizer Verhältnisse und für ihre weitere Verwendung. Mit Flachs thematisiert das Zentrum Paul Klee im Rahmen von FRUCHTLAND erstmals eine Faserpflanze anstelle von Pflanzen zur menschlichen oder tierischen Ernährung. Die ganze Verwertungskette vom Anbau bis zum Konsum wird im Begleitprogramm auf dem Feld mit Expert:innen beleuchtet: Von Vor- und Nachteilen von Anbau und Verarbeitung von Flachs – etwa im Vergleich zu Baumwolle – über Nachhaltigkeit in der Mode- und Textilbranche, mit Blick auf Slow Fashion, bis hin zur Verwendung von Flachs und Leinen durch Kunstschaffende. Ein ganz besonderes Erlebnis bietet die Flachsblüte. Nur für kurze Zeit im Juni blüht die Pflanze je nach Sorte in Blau, Weiss oder Rosa. Morgens öffnen sich die Flachsblüten langsam und tünchen ganze Felder in leuchtende Farbe. Doch schon am frühen Nachmittag verwelken die Blüten. Am nächsten Tag wiederholt sich das Schauspiel, bis alle Blüten verwelkt sind. b Dominik Imhof, Leiter Kunstvermittlung Zentrum Paul Klee

FRUCHTLAND Begleitprogramm Flachsanbau und weitere Naturfasern Samstag, 8. Mai 2021, 14 Uhr Flachsblüte Samstag, 19. Juni 2021, 10.30 Uhr Flachsernte: Von der Pflanze zum Garn Samstag, 21. August 2021, 14 Uhr Slow Fashion Day Samstag, 11. September 2021

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Musik

Leidenschaftlich, ausdrucksstark, virtuos:

Ein Gespräch mit der Cellistin Harriet Krijgh HK

JV

HK

Foto: Nancy Horowitz

JV

HK

Die junge Niederländerin Harriet Krijgh ist eine der aufregendsten und vielversprechendsten Cellistinnen der Gegenwart. Ihr kantables und ausdrucksstarkes Spiel berührt und begeistert Publikum und Presse gleichermassen. Konzerte führen sie in die bedeutendsten Säle Europas, Nordamerikas und Asiens. Seit 2018 ist Harriet Krijgh exklusiv beim Label Deutsche Grammophon unter Vertrag und als leidenschaftliche Kammermusikerin Cellistin des renommierten Artemis Quartett.

Liebe Harriet, welche Beziehung haben Sie als Niederländerin zur Schweiz, zur Stadt Bern oder auch zu Paul Klee? Für die Schweiz habe ich immer grosse BeHARRIET KRIJGH wunderung gehegt. Die Natur ist von überwältigender Schönheit und so vielseitig. Auch die gepflegten Städte und Dörfer, welche das Land bietet, sind so voller Charakter und Stil. In Bern bin ich tatsächlich noch nie gewesen, aber ich bin freudig gespannt auf den ersten Besuch und auch besonders auf das Zentrum Paul Klee. Es beherbergt ja eine der weltweit bedeutendsten Sammlungen Klees und als grosse Liebhaberin seiner Kunst freue ich mich ganz besonders, umrahmt und inspiriert von solchen Meisterwerken Musik zu machen. Sie treten gemeinsam mit der russischen Pianistin Magda Amara JV auf. Was hat Sie zusammengeführt? JULIA VINCENT

Magda und mich verbindet mittlerweile eine langjährige, ganz wunderbare musikalische Zusammenarbeit und enge Freundschaft. Wir haben uns während unseres Studiums in Wien kennengelernt und vom ersten Moment an fühlte sich das einfach vollkommen richtig an. Es gibt sehr wenige Musiker:innen, mit denen man sich so zu Hause fühlt, kaum Worte braucht und total auf einer Linie der musikalischen Sprache und des Ausdruckes ist. Ich bin sehr dankbar für diese wunderbare Verbindung und freue mich auf alle tollen Projekte, welche noch auf uns zukommen. Die Arpeggione ist ein im frühen 19.  Jahrhundert entwickelter «Zwitter» aus Gitarre und Violoncello. Schuberts Sonate ist diesem Instrument gewidmet, wird heute allerdings meist auf dem Cello gespielt. Was sind die besonderen Herausforderungen? Schon als Kind war die Arpeggione-Sonate eines der Werke, die ich am liebsten hörte und immer mal spielen wollte. Sie ist so pur, himmlische Musik. Enorm berührend durch ihre Reinheit. Fast durchsichtig, irgendwie. Darin liegt aber auch die Schwierigkeit. Es wird technisch sehr viel verlangt: virtuose Technik, die aber ganz fein und möglichst unauffällig bleiben sollte. Gibt es etwas, das Sie insbesondere jungen Menschen durch Ihre Musik mitgeben möchten? Immer 100 Prozent und noch mehr zu geben für etwas, das man liebt. Aufeinander zu hören. Respekt zu haben. Über Grenzen hinaus zu wollen. Kommunizieren mit Gefühlen statt Worten. Auf sein Herz zu hören und zu vertrauen. Zu geben und zu teilen. Offen zu sein. Sich immer weiter entwickeln zu wollen und Höheres anzustreben. Ganz viel Freude zu haben! b Das Interview führte Julia Vincent, Künstlerische Leiterin Musik Zentrum Paul Klee

Harriet Krijgh ist am 25. April 2021 im Rahmen eines Meisterkonzerts im Duett mit Magda Amara, Klavier, im Zentrum Paul Klee zu Gast. «Arpeggione» Sonntag, 25. April 2021 Franz Schubert (1797—1828): Sonate für Arpeggione und Klavier a-Moll D 821 (1824) Nadia Boulanger (1887—1979): Drei Stücke für Violoncello und Klavier (1914) Dmitri Schostakowitsch (1906—1975): Sonate für Violoncello und Klavier d-Moll op. 40 (1934)

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Ausstellung

August Gaul

Moderne Tiere

In jüngster Zeit rücken Tiere verstärkt ins Bewusstsein: als Übertragungswirte globaler Pandemien, Betroffene vom Artensterben infolge des Klimawandels, Beitragende zum Ausstoss von Treibhausgasen in der industriellen Tierzucht oder Gegenstand einer Debatte um die Stärkung von Tierrechten. Diese «Aktualität des Tieres» verändert den Blick auf das Werk des Tierbildhauers August Gaul (1869– 1921), der als animalier weitaus weniger An­erkennung in der Kunstgeschichte gefunden hat als etwa seine Weggefährten in der Berliner Secession Max Liebermann, Käthe Kollwitz oder Lovis Corinth.

August Gaul, Laufender Strauss, 1900, Bronze, Flügelspitzen vergoldet, 41 cm, Kunstmuseum Bern, Leihgabe der ZwillenbergStiftung

August Gaul, Stehender junger Elefant, 1916—1917, Bronze; Sockel: Granit, 123 × 150 × 58,5 cm, Kunstmuseum Bern, Leihgabe der ZwillenbergStiftung

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August Gaul

Kunstmuseum Bern 04.06.–24.10.2021

Bereits um 1900 vollzogen sich bedeutende Veränderungen im Mensch-Tier-Verhältnis, die auch in der Kunst zum Tragen kamen und uns noch heute betreffen: darunter das Verschwinden von Nutztieren aus dem Stadtraum bei gleichzeitigem Einzug von Haustieren in bürgerliche Wohnräume, die Gründung der Tierschutz- und Vegetarierbewegung als Reaktion auf die Industrialisierung der Fleischproduktion und die Einführung des wissenschaftlichen Tierversuchs, aber auch die Einsicht in die verwandtschaftliche Nähe von Mensch und Tier infolge der Popularisierung der Evolutionstheorie. Diese Neukonfigurati­ onen, die fast alle gesellschaftlichen Bereiche um 1900 betrafen, gaben den Anstoss für ein verstärktes Interesse am Tier, das sich auch in der Kunst niederschlug: Plötzlich wurde das Tier zum eigenständigen, vollwertigen Motiv jenseits seiner Einbindung in erzählerische oder allegorische Zusammenhänge, etwa in der Denkmalsplastik. Dieser Entwicklung verdankt sich auch der durchschlagende Erfolg August Gauls, der sich um 1900 auf Tierbilder spezialisierte und damit zu einem der bedeutendsten deutschen Bildhauer seiner Zeit avancierte. 1888 war der junge «Modelleur für die Kunstindustrie» aus Grossauheim bei Frankfurt nach Berlin gezogen, um dort seine Ausbildung zum Bildhauer abzuschliessen. Bei einer Verlosung an der Kunstgewerbeschule gewann er eine Dauerkarte für den Zoologischen Garten,

August Gaul, Junge Bären, 1904/1913, Bronze, 29,5 × ca. 44,5 × 22,5 cm, Kunstmuseum Bern, Leihgabe der Zwillenberg-Stiftung

wo er von nun an jeden Morgen vor den Käfigen der Tiere zeichnete und modellierte. Als er sich 1899 der im Jahr zuvor gegründeten Berliner Secession anschloss, die sich im Widerstand gegen eine konservative Kunstpolitik zur Sichtbarmachung der internationalen Moderne zusammengeschlossen hatte, wurde er auf Anhieb zum Publikumsliebling. Bei Unterhaltungen über die ersten Ausstellungen der Künstlergruppe sollen stets «entzückte Worte über die schönen Tierfiguren» August Gauls gefallen sein.1 Während die Darstellung des menschlichen Körpers an künstlerische Traditionen gebunden war, konnte Gaul am Tiermotiv frei mit Abstraktion und Geometrisierung experimentieren, um so der Plastik den Weg in die Moderne aufzuzeigen. Gaul selbst soll einmal gesagt haben: «Ich will gar nicht die Natur pedantisch imitieren, sondern das Typische und ihren seelischen Kern festhalten. Vor allem will ich eine plastische Arbeit machen … Was mich bei den Tieren anzieht, ist ganz wesentlich künstlerischer Art … Ich mache Tiere, weil es mich freut.»2 Doch wie autonom und frei von menschlicher Vereinnahmung waren Gauls Tierbilder wirklich? Die «natürliche Erscheinung» und «charakteristische Existenz» der Tiere, die an seinen Werken immer wieder gelobt wurde, kann der Künstler vor den Käfigen im Zoo kaum beobachtet haben. Die reich ornamentierten, orientalisierenden Stilarchitekturen des Berliner Zoologischen Gartens waren allein auf

die Schaulust des Publikums ausgerichtet und keineswegs an den Bedürfnissen der Tiere. Der Kunstkritiker Karl Scheffler meinte dies auch an Gauls Plastiken zu erkennen, wenn er feststellte: «Die Bestien haben bei ihm nicht sowohl die Atmosphäre von Wüste und Freiheit um sich, als vielmehr die Luft des Zoologischen Gartens. Sie erscheinen halb gezähmt.» 3 Die Gründungswelle zoologischer Gärten und Naturkundemuseen im späten 19.   Jahrhundert war eine Folge der europäischen Kolonialexpansion, die die Sammlungen auf ein nie dagewesenes Mass anwachsen liess und ihre Attraktivität entscheidend erhöhte. Die präsentierten Tiere   –   darunter die von Gaul abgebildeten Löwen, Straussen und Elefanten   –   wurden in Zooführern vielfach als Geschenke von Kolonialbeamten oder besiegten Lokalfürsten ausgewiesen. Andere bereisten als Teil von Völkerschauen die Städte Europas, um in zoologischen Gärten, darunter auch in Basel und Zürich, zusammen mit Menschen vorgeführt zu werden. «Exotische» Tiere waren zu Gauls Lebzeiten in der europäischen Populärkultur allgegenwärtig, nicht zuletzt als Werbung für Kolonialwaren, darunter auch Schweizer Schokolade. Wenn der Bildhauer «exotische» Tiere darstellte, so waren diese Bilder Teil einer visuellen Kultur, die das vermeintlich «Wilde» und «Primitive» als Gegenbild konstruierte zum eigenen, das damit als «zivilisiert» und «kultiviert» ausgewiesen wurde. Die Ausstellung August Gaul. Moderne Tiere nimmt den Versuch vor, das Werk des Bildhauers erstmalig kulturhistorisch zu kontextualisieren. Sie fragt danach, wie sich die grundlegenden Veränderungen im MenschTier-Verhältnis um 1900 auf die Entstehung und Rezeption von Gauls Werk ausgewirkt haben, und inwiefern uns die damaligen Entwicklungen noch heute betreffen. Welche Impulse können uns Gauls Plastiken geben auf der Suche nach einer Beziehung zum Tier jenseits seiner Instrumentalisierung und Ausbeutung, um ein nachhaltigeres und ethisch vertretbares Zusammenleben für die Zukunft zu gestalten? b Katharina Lee Chichester, Kuratorin der Ausstellung Kunstmuseum Bern August Gaul. Moderne Tiere 04.06.—24.10.2021

1 Fritz Stahl, «August Gaul», in: Kunst und Künstler, 2. Jg. (1904), S. 89—98, hier S. 90. 2 Zit. n. Waldemar Grzimek, Deutsche Bildhauer des zwanzigsten Jahrhunderts. Leben, Schulen, Wirkungen, Wiesbaden 1969, S. 45. 3 Karl Scheffler, «August Gaul: Anlässlich seines fünfzigsten Geburtstags», in: Kunst und Künstler, Jg. 18, H. 6 (1920), S. 247—261, hier S. 260f.

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Ausstellung

Paul Klee

Ich will nichts wissen

Paul Klee male wie ein Kind, ein Höhlenmensch, ein «Primitiver», ein «Geisteskranker»: dies sind Assoziationen und Zuschreibungen, mit denen der Ausnahmekünstler bereits zu Lebzeiten konfrontiert wird — im positiven wie im negativen Sinne. Doch was genau hat Klee mit Primitivismus und Exotismus zu tun, und wie können heute solch komplexe Themen im Museum ausgestellt, betrachtet und diskutiert werden — und welche Sprache benötigen wir dafür?

Mit dem Ziel, neue bildnerische Ausdrucksformen zu finden, kehrt Klee den Lehren der europäischen Kunstakademien den Rücken. Stattdessen sammelt und studiert er Höhlenmalereien und Petroglyphen, nichteuropäische Kunst, psychopathologische Kunst und Kinderzei­chnungen – jene von seinem Sohn Felix und seine eigenen. In der Gruppe um den Blauen Reiter, die Dadaisten und Surrealisten, mit denen er in den 1910er- und 1920er-Jahren verkehrt, findet er Gleichgesinnte. Die europäische Avantgarde des frühen 20.  Jahrhu­n­derts scheint wie von Sinnen auf der Suche – auf der Jagd   –   nach den vermeintlichen «Uranfängen von Kunst». Tagebucheinträge und Briefe belegen Klees Auseinandersetzung mit dieser Idee und in diesem Zusammenhang mit dem westlichkolonialen Konstrukt des Primitivismus. Bereits 1902 beschreibt er seinen Wunsch, sich auf einen ursprünglichen Zustand zuzubewegen: «Wie neugeboren will ich sein, nichts wissen von Europa, gar nichts. Keine Dichter kennen, ganz schwunglos sein; fast Ursprung.» Diesen Zustand präzisiert er 1909 als «Primitivität» im Sinne einer Reduktion als «letzte professionelle Erkenntnis». «Primitiv» war eine ambivalente Qualität, die Klee und

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andere Künstler:innen der Avantgarde in künstlerischen Werken von Kindern, Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung und vor allem von prähistorischen und nichteuropäischen Zivilisationen verkörpert sahen. Dabei bezog sich der Begriff «primitiv» in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen auf die Annahme eines allgemein-menschlichen Entwicklungsstadiums – dem ersten, frühesten, «ursprünglichsten». Um die enge Verknüpfung zwischen prähistorischer Kunst, nichteuropäischer Kunst und anderen damals sogenannt «primitiven» Kunstformen in Klees Werk zu verstehen, müssen wir uns in den zeitgenössischen intellektuellen Nährboden versetzen, der die europäische Kultur und Gesellschaft als Höhepunkt der geschichtlichen Entwicklung verstand. Die Wissenschaft vom Menschen ging von zwei sich gegenüberstehenden Stadien einer allgemein-menschlichen Entwicklung aus, die von einem «primitiven» hin zu einem «zivilisierten»   –   europäischen   –   Staat führte. Klees Formulierungen zu Primitivismus und «pri­ mitiver Kunst» sind weit vor einer interdiszipli­nären und tieferen Aufarbeitung dieser Thematik entstanden. Nichtsdestotrotz ent­wickelte Klee Ansätze einer kritischen Haltung gegenüber einem Primitivismus, der einerseits für künstlerische Abstraktion und Reduktion steht, andererseits aber auch auf rassistischen Konzepten der westlichen Kunst- und Kulturtheorie einer europäischen Überlegenheit gründet. In der Ausstellung wird erstmals ein umfassender Teil von Klees Bibliothek untersucht, zu der die Publikation Bildnereien der Geisteskranken (1922) des Psychiaters Hans Prinzhorn, zahlreiche Cahiers d’Art mit Beiträgen zu prähistorischer Kunst sowie Bücher

zu sogenannter «Weltkunst» gehören. Klees Sammlung von Kinderzeichnungen des befreundeten Lehrers Hans-Friedrich Geist und von tunesischen Aquarellen, die der Künstler von seiner Reise mitbrachte, oder eine kongolesische Figur und ozeanische Speere, die 1926 in seinem Bauhausatelier aufgestellt waren, werden präsentiert. Das Zentrum Paul Klee hinterfragt historisch negativ besetzte Begriffe wie «Irrenkunst», «primitive Kunst» oder Primitivismus und befragt das postkoloniale Kunstverständnis der Schweiz kritisch. Dies geschieht, indem die Produktion kolonialer Denkweisen beleuchtet wird, die in Bildern und Sprache sichtbar werden. Sowohl Klees Werke und Schriften als auch ein Blick ins Künstlerarchiv lassen die vielschichtige und problematische Geschichte der Auseinandersetzung des Westens mit dem Anderen und dessen Exotisierung erahnen. Die Ausstellung wirft die Frage auf, wie damals und heute in der Kunst mit Vorstellungen von Normalität umgegangen wird und was wir – sowohl als Ausstellende wie auch als Betrachtende – daran ändern müssen. b Livia Wermuth, kunstwissenschaftliche Volontärin Zentrum Paul Klee

Zentrum Paul Klee Paul Klee. Ich will nichts wissen 08.05.—29.08.2021 Die Ausstellung entsteht in Zusammenarbeit mit dem Lille Métropole Musée d’art moderne, d’art contemporain et d’art brut (LaM), wo sie vom 18.09.2021—09.01.2022 zu sehen sein wird.


Paul Klee Paul Klee, Brand-Maske, 1939, 274, Kleisterfarbe und Bleistift auf Papier auf Karton, 20,9 × 29,7 cm, Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Livia Klee

Paul Klee, Verrückung, 1939, 805, Kleisterfarbe auf Papier auf Karton, 26,9 × 21,4 cm, Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Livia Klee

Zentrum Paul Klee 08.05.–29.08.2021 11


Preview

max bill global

Meret Oppenheim. Mon exposition

Im Jahr 1951 fand in Brasilien mit der Bienal de São Paulo die erste Biennale statt. Dabei stand ein Schweizer Künstler mit im Rampenlicht: Max Bill gewann den ersten Preis für Skulptur und rückte damit in den Fokus der brasilianischen Öffentlichkeit. Viele junge Künstler:innen hatten im Frühjahr bereits die Bill-Ausstellung im Museu de arte de São Paulo gesehen, die jedoch nicht auf reges Interesse vonseiten der Presse gestossen war. Die Ausstellung hatte Bill nicht nur als Maler und Bildhauer gezeigt, sondern auch als Architekt, Grafiker, Typograf und Produktgestalter. Tief beeindruckt von der stringenten Vielseitigkeit seines Werkes entschlossen sich eine Handvoll brasilianische Künstler:innen, sich an der 1953 von Bill mitgegründeten Hochschule für Gestaltung in Ulm einzuschreiben. Unter den ersten Student:innen der HfG Ulm war die Brasilianerin Mary Vieira. 1927 in São Paulo geboren, hatte sie bereits in Belo Horizonte Kunst studiert. Im November 1951 teilte sie Bill mit, dass sie in die Schweiz kommen möchte. Er organisierte ihr eine Unterkunft und stellte sie in seinem Architekturbüro an, bevor sie als eine der ersten Student:innen an der HfG Ulm 1953 den Vorkurs besuchte. Vieira kehrte 1954 wieder in die Schweiz zurück, wo sie zu einer bedeutenden Vertreterin der kinetischen Kunst, aber auch des schweizerischen Plakatdesigns avancierte. 1954 lud Bill sie ein, im Rahmen der letzten Ausstellung der Künstlergruppe Allianz auszustellen. 1964 zeigte er eine ihrer Skulpturen an der Expo in Lausanne. Max Bill, der für kurze Zeit am Bauhaus in Dessau studiert hatte, strebte danach, an der HfG Ulm das Bauhaus wieder aufleben zu lassen. Dabei half ihm sein weit verzweigtes, internationales Netzwerk, das sich der damals 44-Jährige unter anderem in Dessau, Paris und Zürich erarbeitet hatte. Nach dem Zweiten Weltkrieg knüpfte er Kontakte über Europa hinaus in die ganze Welt. Erfahren Sie mehr über Bills künstlerische Bekanntschaften in der Herbstausstellung max bill global.

Der kommende Herbst bietet einen Höhepunkt im Kunstjahr 2021: Mit Meret Oppenheim. Mon exposition präsentiert das Kunstmuseum Bern als einzige europäische Station eine umfassende Retrospektive über das schöpferische Werk der Jahrhundertkünstlerin Meret Oppenheim. In enger Kooperation mit dem Museum of Modern Art in New York und der Menil Collection in Houston ist eine Ausstellungsperspektive erarbeitet worden, in der die surrealistischen Anfänge der Künstlerin im Paris der 1930er-Jahre genauso dargestellt werden wie ihre weitere künstlerische Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg, die noch zu entdecken ist. Insbesondere Oppenheims Œuvre der 1960er-, 1970er- und 1980er-Jahre bis zu ihrem Tod 1985 ist zeitgenössisch zu Nouveau Réalisme, Pop Art und monochromer Malerei zu verstehen und wird erstmals neu in diesem Kontext verortet. 1983 wurde auf dem Waisenhausplatz in Bern der Meret Oppenheim-Brunnen eingeweiht. Besorgte Bürger:innen sahen damals in dem Monument einen Schandfleck für die Stadt und forderten dessen Versetzung oder gar Abriss. Inzwischen ist der Brunnen aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken und hat sich zu einem Fanal für den radikal offenen Werkbegriff, den Oppenheim zeitlebens vertrat, entwickelt. Besonders charakteristische Merkmale des Brunnens sind seine organischen Komponenten, da sich der Pflanzenwuchs und das Wasserspiel je nach Jahreszeit verändern und sich in stets wechselnden Formen präsentieren. Und so hat sich auch Oppenheim in ihren während über fünf Jahrzehnten entstandenen Werken immer wieder neu auf ihre Umwelt eingestellt und sich mit aktuellen Kunstströmungen auseinandergesetzt. Ihr stetes Interesse an den unterschiedlichsten Werkstoffen, formalen Experimenten, ihre Offenheit im Bildfindungsprozess genauso wie ihr persönlicher Austausch mit anderen zeitgenössischen Künstler:innen legten die Basis für ein aussergewöhnlich reichhaltiges Werk, das nicht mehr einseitig unter dem Label des Surrealismus verstanden werden kann. Vor diesem Hintergrund versammelt die Ausstellung rund 180 Werke aus internationalen Sammlungen sowie aus dem Legat der Künstlerin an das Kunstmuseum Bern und verschafft einen neu erforschten Zugang zur gesamten Bandbreite von Oppenheims bedeutsamem Schaffen.

Zentrum Paul Klee max bill global 16.09.2021—09.01.2022

Kunstmuseum Bern Meret Oppenheim. Mon exposition 22.10.2021—13.02.2022 Max Bill und Mary Vieira auf der Baustelle der HfG Ulm, Foto: Hans G. Conrad, © René Spitz

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Margrit Baumann, Meret Oppenheim in ihrem Atelier, 1982, Fotografie, Barytabzug, selengetont, 18,4 × 27,7 cm, Kunstmuseum Bern, Bernische Stiftung für Foto, Film und Video, © Margrit Baumann


Kindermuseum Creaviva

Au revoir!

Urs Rietmann hat das Kindermuseum Creaviva während zwölf Jahren geprägt. Foto: Monika Flückiger

Nachdem Urs Rietmann innerhalb der vergangenen 12 Jahre insgesamt 98 457 Schulkinder in den Werkstätten beobachtet, 63 208 Gäste im Offenen Atelier gezählt, 5830 abgewirtschaftete Pinsel entsorgt, 512 Teamsitzungen geleitet — davon 85 mit Gipfeli oder Kuchen — und 2 Fehlalarme ausgelöst hat — dies ein paar Beispiele aus seiner ganz persönlichen Creaviva-Statistik — und nun das Kindermuseum verlässt, haben wir ihm ein paar Fragen gestellt:

Was wird dir am Creaviva besonders fehlen? Die wunderbar inspirierende Gleichzeitigkeit von Schreibtisch und Malatelier.

Wofür würdest du mitten in der Nacht aufstehen? Wenn Emma-Lou oder Fynn Kummer haben.

Wie oft gehst du ohne Ziel vor die Tür?

Welches war das schönste Kompliment, das du von einem Gast im Creaviva gehört hast? «Ich komme wieder.»

War es beim Creaviva Liebe auf den ersten Blick? Es war Respekt auf den ersten Blick. Die Liebe kam später.

Nie.

Wie würdest du deinen momentanen Gemütszustand beschreiben? Al dente.

Welches Werk Paul Klees würdest du gerne in deiner Stube aufhängen? Und wieso? Den Niesen. Weil der Thunersee bei Klee in Ägypten liegt.

Was steht jetzt ganz oben auf deiner Bucket-List?

Berge oder Meer?

Welches ist in den nächsten Wochen dein Lieblingsort?

Wie die Linguine: Mare e Monti.

Das Sofa zu Hause in unserer Stube.

Was hat dich zuletzt sehr berührt?

Worauf freust du dich jetzt? Und warum?

Der Abschied vom Creaviva-Team.

Auf den Sommer. Weil wir uns dann wieder umarmen dürfen.

Was passiert mit deinem ZPK-Trottinett? Das habe ich Nina geschenkt.

Übungen in Gelassenheit.

Was weckt deine Neugier?

Was war das Verrückteste, das du im Creaviva angestellt hast? Das möchte ich lieber für mich behalten.

Verschlossene Truhen.

Womit würdest du dich selbst so richtig überraschen? Mit 1900 Elo-Punkten auf meiner Schach-App.

Kannst du beim Nichtstun nichts tun? Nein.

b Das Interview mit Urs Rietmann führte Johanna Sophia Garske, Mittelbeschaffung, Kommunikation & Marketing Kindermuseum Creaviva, an seinem letzten Arbeitstag im Creaviva.

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Persönlich

Manuela Angst

Aus der Pandemie zu einem nachhaltigen Tourismus

Foto: Remo Neuhaus

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Seit etwas mehr als einem Jahr ist Manuela Angst die neue Vor­ sitzende der Geschäftsleitung von Bern Welcome. Obwohl der Einstieg anders geplant war, sieht sie auch nach dem schwierigen Jahr 2020 viele Chancen und blickt positiv in die Zukunft.

Sie sind seit etwas mehr als einem Jahr CEO von Bern Welcome. Wie schaut Ihre Bilanz nach diesem aufgrund von Covid-19 sehr speziellen Jahr aus? MANUELA ANGST Obwohl meine Vorstellungen ganz anders waren als die Realität, ziehe ich eine positive Bilanz und blicke mit Demut auf das spezielle Jahr 2020 zurück. Mein Plan war, dass ich mich rund ein halbes Jahr lang in meine neue Stelle einarbeiten kann. Schritt für Schritt die Akteure kennenlerne, mich mit der neu erarbeiteten Unternehmensstrategie vertraut mache, einfach genügend Zeit habe, um in meinem neuen Umfeld anzukommen. Doch es kam anders. Ich war noch keine drei Monate im Amt, als die Pandemie und die deswegen verordneten Verbote und Schliessungen Bern Welcome mit voller Härte trafen. Plötzlich brauchte es mich an allen Fronten. Ich musste eine Matrixorganisation einführen, obwohl der Grossteil der Mitarbeitenden im Homeoffice war. Teilweise unpopuläre Entscheidungen treffen. Verschiedenste Erwartungen und Bedürfnisse unter einen Hut bringen. Eine Recovery-Kampagne für all unsere Akteure starten. Den unterschiedlichen Gemütszuständen der Menschen Rechnung tragen. Ich war gefordert – manchmal vielleicht vereinzelt auch überfordert    –, denn vieles war auch mir unbekannt. Ich machte mir Sorgen, um THOMAS SORAPERRA

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die Gesundheit meiner Familie, meiner Freunde und meiner Mitarbeitenden. Daneben musste ich als Kapitänin das Steuerruder übernehmen, um das Schiff durch das stürmische Meer zu steuern. Für mich wurde wichtig, dass ich als Führungsperson in Krisenzeit Zuversicht ausstrahle, nach innen und aussen Ruhe bewahre, Mut und Entschlossenheit zu Entscheidungen zeige, offen und ehrlich kommuniziere und auch Fehler eingestehe. Denn schlussendlich werde ich, vor allem in einer solchen Krise, von meinen Kolleginnen und Kollegen vermehrt daran gemessen, ob meine Worte und Taten auch wirklich im Einklang stehen. Ausserdem ist es wertvoll, in einer Krisensituation auch Chancen aufzuzeigen. Denn es gibt immer Möglichkeiten – auch wenn die Situation noch so ausweglos erscheint. Die Erfahrung zeigt, dass nach einer Krise immer wieder ein Aufschwung folgt. Nach jeder Ebbe kommt die Flut, auf die Nacht folgt der Tag, nach dem Regen scheint die Sonne. Ich habe während des vergangenen Jahres persönlich sehr viel dazu gelernt, und geschäftlich konnte ich während dieser Zeit einiges umsetzen und kleine Erfolge feiern. Das Miteinander stand dabei immer im Vordergrund. Bern Welcome ist eine junge Organisation. Wie haben Sie als Team die Coronapandemie erlebt? Es war keine einfache Zeit. Jede und jeder in unserem Unternehmen musste sich mit den neuen Gegebenheiten und Vorgaben, sei es im privaten oder geschäftlichen Bereich, auseinandersetzen. Aufgrund unserer aktuellen finanziellen und personellen Situation überprüften wir im Rahmen des letztjährigen Budgetprozesses die Organisation und vorhandenen Prozesse. Als junges Unternehmen hat Bern Welcome nur wenige Eigenmittel und war deshalb gezwungen, die Struktur den neuen Umständen anzupassen und interne Abläufe zu optimieren. So wurden nicht alle natürlichen Abgänge von Mitarbeitenden ersetzt, sondern intern nach Lösungen gesucht. Für Bern Welcome ist es ein Anliegen, nicht einfach à fonds perdu Beiträge zu fordern, sondern alles in unserer Macht Stehende zu versuchen, die plötzlich eingetretenen Verluste möglichst aus eigener Kraft zu stemmen. Das erreichen wir nur mittels einer Verschlankung der Organisation. Bern Welcome geht mit dieser herausfordernden Situation sehr nachhaltig und sozial um und investiert dort, wo wir aktuell die grössten Hebel zur Sicherung des Unternehmens – sprich der Arbeitsplätze – haben. Aber von allen Mitarbeitenden wird nach wie vor viel abverlangt. Was sehen Sie als zentrale Aufgaben und Herausforderungen für Bern Welcome für die kommenden Jahre? Mit der neuen Unternehmensstrategie entwickelt sich Bern Welcome als Destination Management Organisation von einer reinen Marketingorganisation hin zu einer Vernetzungs- und Angebotsorganisation entlang der touristischen Dienstleistungskette. Unter Tourismus verstehen wir Gäste von nah und fern. Dabei liegt das Augenmerk auf konkreten Produkten und Angeboten und nicht


Manuela Angst

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mehr auf dem bislang dominierenden Modell des klassischen Marketings. Bern Welcome fördert einen gesellschafts- und umweltverträglichen Tourismus, der auf Interesse und gegenseitiger Neugier beruht – eine Haltung, die auch eine breiter verteilte und nachhaltigere Wertschöpfung für das Gesamtgewerbe sowie eine Verträglichkeit für die Bevölkerung nach sich ziehen soll. Dieses Vorhaben ist ambitiös und braucht mehrere Jahre Zeit, denn Bern Welcome schlägt hier eine ganz andere Richtung ein, als es bei einer Destination Management Organisation üblich ist. Weiter werden durch die zunehmenden Wünsche und Bedürfnisse der verschiedenen Anspruchsgruppen sowie den gesellschaftspolitischen Anspruch auf Zusammenarbeit Kooperationen und Vernetzungen immer wichtiger. Im Alleingang schaffen wir es nicht, die Destination Bern im Markt nachhaltig zu stärken. Man kann heute nicht nur branchenisolierte Lösungen fordern, sondern muss eine überzeugte Mehrheit schaffen. Es ist wichtig, die Ziele unpolitisch zu gestalten und sicherzustellen, dass jede Anspruchsgruppe in etwa gleichem Ausmass von den Tätigkeiten von Bern Welcome profitiert. Wie beurteilen Sie das kulturelle Angebot der Stadt Bern? Was macht Bern zur Kulturstadt? Bern verfügt über ein attraktives Angebot an zeitgenössischer Kultur, aber das behauptet fast jede Stadt von sich. Aus meiner Sicht machen viele Dinge die Destination Bern aus: Die Kombination von Urbanität und weitgehend intakter Natur, eine im Verhältnis zur Grösse unglaublich vielfältige und hochwertige Kulturszene, Infrastrukturen auf höchstem Niveau und vielfach in Gehdistanz, vorbildlicher öffentlicher Verkehr, interessierte und offene Menschen und ein spezielles Lebensgefühl. All das ist Bern: Eine Kleinstadt mit kulturellem Weltformat. Gerade während der ausserordentlichen Schliessungen aufgrund von Covid-19 haben wir erlebt, wie die Menschen im wahrsten Sinne des Wortes Hunger nach Kultur hatten. Welchen Stellenwert nimmt Kultur in der Marketingstrategie von Bern Welcome ein? Das Kulturangebot sagt viel über eine Stadt und ihre Menschen aus. Insofern spielt Kultur eine bedeutende Rolle in einem ursprünglichen Tourismusverständnis, wo Gäste aus nah und fern Interesse an einem Lebensraum, einer Stadt haben und den Austausch damit suchen. Wenn wir in Zukunft auf einen authentischen Tourismus setzen, dann ist die Kultur in diesen Überlegungen sehr wichtig. Hinzu kommt, dass es gerade im GeschäftsgästeSegment ein grosses Bedürfnis nach Kombinationen von Geschäftlichem und kulturellen Erlebnissen gibt. Hier besteht ein noch wenig genutztes Potenzial, das einerseits zusätzliche Wertschöpfung bringt und andererseits aus Vermittlungsperspektive der Kulturinstitutionen interessant ist.

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Das Verhältnis zwischen Kulturszenen und Stadtmarketingorganisationen ist oft von gegenseitiger kritischer Distanz und Skepsis geprägt. Wie erleben Sie die Situation in Bern? Die Grundlage für die erfolgreiche Vermarktung und Umsetzung des kulturellen Images einer Destination ist der Dialog zwischen Kultur und Tourismus. Ein solcher Austausch ist nicht immer einfach, weil es gegenseitig Vorurteile gibt. Bern Welcome hat deshalb verschiedene Netzwerkgruppen ins Leben gerufen, damit Erfahrungen und Wissen zwischen Kultur und Tourismus ausgetauscht werden können. Ein gutes Beispiel, was aus derlei Dialogen entstehen kann, ist das diesjährige Jubiläum «50 Jahre Frauenstimm- und -wahlrecht». Bern Welcome hat dabei als Vernetzerin agiert, indem wir letztes Jahr bei einem Treffen mit den Kommunikationsverantwortlichen der 14 grössten Berner Museen die Themenschwerpunkte für 2021 zusammengetragen und gemeinsam festgestellt haben, dass ganz viele Museen in Bern das Jubiläum vielfältig und spannend mit Ausstellungen oder Aktivitäten aufgreifen. In einem weiteren Schritt initiierte Bern Welcome eine Kerngruppe und brachte die unterschiedlichen Akteur:innen und Initiant:innen an einen Tisch – so konnten bestehende und neue Angebote kombiniert und ein einheitlicher Auftritt sichergestellt werden. Der gemeinsame Online-Hub auf Bern.com/frauenstimmrecht zeigt, dass durch das Miteinander und das Verbinden von Menschen und Akteur:innen immer ein Mehrwert und eine höhere Wertschöpfung für die gesamte touristische Dienstleistungskette entstehen. Wo sehen Sie die touristischen Trends in den kommenden Jahren und wie werden Sie darauf reagieren? Wir werden nach der Coronavirus-Zeit möglicherweise in einer etwas anderen Welt leben. Vor dem Hintergrund unserer Unternehmensstrategie, die auf Nachhaltigkeit, Heim- und Nahtourismus und eine breite Wertschöpfung setzt, hoffen wir natürlich, dass die Krise einen Teil der globalen Tourismus-Auswüchse beseitigt – beispielsweise Flugtickets und Pauschalreisen für fast umsonst, Europe-in-ten-Days-Reisen, den Boom der Kreuzfahrtschiffe oder den Shopping-Flug über das Wochenende nach New York. Es wäre schön, wenn das Reisen wieder weniger als reines und möglichst billiges Konsumgut betrachtet wird und mehr Wertigkeit erhalten würde. Es soll wieder bewusst gereist werden. Die Auseinandersetzung mit der Kultur, dem Ort und vor allem den Menschen ist uns wichtig. Die Tourismusindustrie muss sich wieder stärker darauf besinnen, was Reisen wirklich ausmacht: Ein einzigartiges und in vielerlei Hinsicht bereicherndes Erlebnis. b Das Interview führte Thomas Soraperra, Kaufmännischer Direktor Kunstmuseum Bern – Zentrum Paul Klee

«Die Grundlage für die erfolgreiche Vermarktung und Umsetzung des kulturellen Images einer Destination ist der Dialog zwischen Kultur und Tourismus.» 15


FOKUS

GRENZ Eine ästhetische Reise durch ein geteiltes Land 16


.. GANGE

Kunstmuseum Bern 30.04.—05.09.2021

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Pak Yong Chol, The Marines, 1994—2004 (Original 1986), Öl auf Leinwand, 148 × 306 cm, © The artist, Foto: Sigg Collection, Mauensee

GRENZGÄNGE


FOKUS

Rhaomi, Theater State I, 2019, Pigment auf Koreanischem Papier, 130 × 170 cm, © The artist, Foto: Sigg Collection, Mauensee

In der aktuellen Themenausstellung im Kunstmuseum Bern ist erneut die Sammlung Sigg zu Gast. Allerdings gilt der Fokus dieses Mal nicht der chinesischen, sondern der süd- und nordkoreanischen Gegenwartskunst. Die geteilte Halbinsel Korea hat radikal verschiedene Kunstauffassungen entwickelt, welche die beiden politi­schen und wirtschaftlichen Systeme widerspiegeln: im Norden kollektive Werke im Stil des sozialistischen Realismus, im Süden individuell produzierte, kritische Medienkunst, wie wir sie auch im Westen kennen. Zum ersten Mal in der Geschichte begegnen sich diese beiden Kunstauffassungen über die Waffenstillstandszone hinweg und treten in einen faszinierenden Dialog.

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GRENZGÄNGE Durch die verschiedenen Lockdowns haben wir weltweit eine Vorstellung davon gewonnen, was es bedeutet, abgeschottet und praktisch ohne Kontakt zur Aussenwelt zu leben. Doch was ist, wenn diese Situation nicht nur eine vorübergehende Phase ist und sie auch digital nicht überwunden werden kann? Es gibt ein Land, in dem dieser Zustand seit fast siebzig Jahren normal ist: Nordkorea. Ein Land, das seit dem Koreakrieg durch ein Waffenstillstandsabkommen und einen Grenzkorridor entlang des 38. Breitengrades von seinem Nachbar Südkorea getrennt ist. Es existieren auf der koreanischen Halbinsel also zwei verschiedene Staaten, die bezüglich Lebensstandards sowie politischer Auffassungen nicht unterschiedlicher sein könnten. Auf der einen Seite, im Süden, ein kapitalistisches System mit einer hochentwickelten Demokratie und Marktwirtschaft. Im Norden ein sozialistisches System, das einem dynastischen Führerkult folgt und mit wirtschaftlichen Dauerproblemen kämpft.

terhaften Gemälden, welche zugleich auf die sozialistisch-symbolische Farbe wie auch tragische Erfahrungen und bittere Gefühle verweisen. Südkoreanische Künstler:innen versuchen auf indirektem Weg über chinesische Mittelsmänner Kontakt herzustellen und die Hand über alle Hürden hinweg zu den Nordkoreaner:innen auszustrecken. Selbst koreanische Künstler:innen, welche jenseits der Grenzen in China aufgewachsen sind, steuern ihre Sicht auf das Thema bei. Das Motto der Ausstellung ist im Ausstellungstitel «Grenzgänge» ausgesprochen. Es geht um vielseitige Gänge über bestehende reelle und imaginäre Grenzen, um den Sturz in ein Wechselbad der Gefühle und das Wecken der Erkenntnis, dass es letztlich Zufall und Schicksal ist, auf welcher Seite einer Grenze man geboren wird.

Auf südkoreanischer Seite beschäftigen sich Generationen von Künstler:innen mit dem Schmerz des geteilten Landes. Ihnen ist es erlaubt, den Verlust nicht zuletzt von Familienmitgliedern direkter zu beklagen, wenngleich ihnen der Kontakt mit Nord­ koreaner:innen, selbst wenn es dorthin verschleppte Familienmitglieder sind, strengstens verboten ist. Denn beide Landesteile befinden sich nach wie vor miteinander im Krieg. In den ausgestellten Werken hören wir daher in einer Audioinstallation Geräusche, welche entlang der «demilitarisierten Zone» ge­ sammelt worden sind. Wir sehen blutrote Landschaften in meis-

Die Ausstellung im Kunstmuseum Bern profitiert von einer Reihe von glücklichen Umständen. So etwa konnte Uli Sigg als Schweizer Botschafter in Nordkorea vor Ort Werke erwerben, welche das Land normalerweise nicht verlassen dürfen, wie etwa Darstellungen der Herrscher Kim Il Sung und Kim Jong Il. Durch seine hervorragenden Beziehungen nach Asien konnte er zudem eine respektable Sammlung südkoreanischer Werke zusammentragen, welche sich dem Thema des geteilten Landes widmen. Doch was haben Nord- oder Südkorea überhaupt mit Bern zu tun? Weshalb soll man sich in Bern oder in der Schweiz

Diesem Ziel wird auch durch die kuratorische Vorgehensweise Rechnung getragen. Die Werke werden nicht nach nationaler Zugehörigkeit getrennt, sondern aufgrund gemeinsamer Motive oder Themen gruppiert und prallen daher unvermittelt aufein­ Die Kunst in Nordkorea entstand — in manchen Zügen durchaus ander. Wie sieht ein nordkoreanischer Künstler eine Landschaft, wie eine südkoreanische Künstlerin? Weshalb wird sie bei erstemit der christlich-religiösen Kunst des europäischen Mittel­ alters vergleichbar — vor allem zur Verherrlichung des politischen rem zu einem Historienbild und bei letzterer zu einer surrealen Fantasie? Welche Sicht auf die Teilung hat ein koreanischer Systems, seiner Exponenten und der zugrundeliegenden so­ Künstler, der in China geboren und aufgewachsen ist? Weshalb zialistischen Ideologie nordkoreanischer Prägung. Es gibt sie nur als offizielle Staatskunst ohne freie Wahl von Motiven, schwimmt ein chinesischer Künstler im Winter durch den eisigen Ausdrucksmitteln oder Ausstellungsmöglichkeiten. Alles wird Grenzfluss, um ein Gefühl für die Trennung zu erhalten? Die vom offiziellen Künstlerverband bestimmt, bei dem man MitKonfrontationen der Werke miteinander lehren uns, wie stark glied sein muss, wenn man Künstler:in sein will. Daher wird die die Kunstauffassung sich in der Ästhetik eines Kunstwerkes Gesellschaft in dieser Staatskunst so dargestellt, wie sie dem niederschlägt, dass die Wahl von bestimmten GestaltungsmitSystem am liebsten wäre: heroisch im Dienst für das Land, teln in allen politischen Systemen stark codiert ist und immer freudig die tägliche Plackerei anpackend und glücklich, in diesem historische, wenn nicht gar ideologische Gründe hat. Land zu leben. Wie man es vom sowjetischen sozialistischen Realismus kennt, gibt diese Kunst nicht die Realität wieder, Ohne Aussagen über das «koreanische» Kunstschaffen an sich sondern erzieht die Gesellschaft auf das Fernziel hin, dass es machen zu wollen oder zu können, streicht die Ausstellung die dereinst wirklich so sein wird, wie auf den Bildern dargestellt. Diskutierbarkeit der Kategorie «Nation» heraus. Was hat es damit auf sich? Wie begründet sich Nationalität in der globalen Welt? Viele europäische Länder haben sich im 19. Jahrhundert Denn Nordkorea ist durch seine Geschichte in steter Selbst­ aufgrund von gemeinsamer Geschichte, Kultur und Sprache behauptung gegenüber Grossmächten gefangen und präsentiert uns in seiner Kunst dementsprechend Motive, welche als Nationen konstituiert — während sie gleichzeitig in den von die moralische Kraft als «geistige Landesverteidigung» stärken: ihnen besetzten Kolonien am Reissbrett Nationalstaaten schufen. ein glückliches solidarisches Volk und strahlende Herrscher Wie problematisch normative Kategorien von Nation sind, vor dem aufleuchtenden Himmel mit einem Arsenal an Waffen, haben viele Kriege im 20. Jahrhundert aufgezeigt. Demgegenmit dem Nordkorea auch die westlichen Staatshäupter in Atem über ist die Schweiz als «Willensnation» mit vier Landessprachen hält. Eine Ausnahme bilden vielleicht die spektakulären Landeinen sehr eigenständigen Weg beim Aufbau ihrer Nation geschaftsdarstellungen, welche den bukolischen Schätzen Nord- gangen. In den beiden Koreas sind eine gemeinsame Kultur, koreas huldigen. Doch gut versteckt zeigen auch sie nicht zu­ eine gemeinsame Sprache und eine gemeinsame Geschichte fällig Tempel, welche einst eine historisch bedeutsame Rolle im gegeben, und dennoch existieren zwei Nationen. Doch wie früheren geeinten Korea spielten und nun dem Legitimations- der amerikanische Historiker Benedict Anderson bereits 1983 anspruch von Nordkorea dienen. Dank der umfangreichen schrieb, entstehen Nationen weniger aufgrund logisch nachvollAnalysen unserer Expert:innen im Ausstellungskatalog verste- ziehbarer Fakten, sondern sind «zeitlich begrenzte, imaginierte, hen wir diese Hinweise nun, denn ein direkter Austausch mit politische Gemeinschaften». Ihre Gründungen und Begrün­ nordkoreanischen Künstler:innen ist nicht erst seit der Pandemie dungen basieren auf politischen Imaginationen, welche die betroffenen Menschen zusammenschweissen. quasi unmöglich.

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FOKUS

«Obwohl wir zurzeit nirgends hinreisen können, gibt diese Ausstellung die wertvolle Gelegenheit, sich kulturell und mental an einen Ort zu versetzen, der aufgrund sprachlicher und politischer Barrieren nur schwer zugänglich ist.» 20


Sea Hyun Lee, Between Red33, 2008, Öl auf Leinwand, zweiteilig, je 250 × 200 cm, © The artist, Foto: Sigg Collection, Mauensee

GRENZGÄNGE

«Es geht um vielseitige Gänge über bestehende reelle und imaginäre Grenzen, um den Sturz in ein Wechselbad der Gefühle und das Wecken der Erkenntnis, dass es letztlich Zufall und Schicksal ist, auf welcher Seite einer Grenze man geboren wird.» 21


Kyungah Ham, Perhaps I Secretly Longed for Our Liaison to Fail, 2009—2010 , Nordkoreanische Stickerei auf Seide, 243 × 190 cm, © The artist, Foto: Sigg Collection, Mauensee

FOKUS

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GRENZGÄNGE für dieses Thema interessieren? Überraschenderweise gehört Bern zu den wenigen Städten weltweit, welche sowohl eine nord- wie eine südkoreanische Botschaftsniederlassung haben. Dies verdankt die Schweiz einerseits den Friedensbemühungen, in denen sie seit 1953 aktiv involviert ist, und die gerade Thema einer Ausstellung in der Bibliothek am Guisanplatz sind (Erinnerungen aus Korea. Alltag, Kultur und die Schweizer Friedensförderung, bis 25. Februar 2022). Andererseits hat diese besondere Stellung der Schweiz auch wieder mit den 1990er-­ Jahren zu tun, in denen Uli Sigg Botschafter war. Damals wurde Nordkorea von Hungersnöten heimgesucht und Schweizer Hilfswerke sowie die Schweizer Regierung haben sich um Linderung verdient gemacht. Zu den damals wie heute aktiven Protagonist:innen gehört auch Katharina Zellweger, die ebenfalls nordkoreanische Kunst gesammelt hat. Einige Exemplare ihrer exquisiten Sammlung von handgemalten Plakaten werden die Auswahl der Werke aus der Sammlung Sigg in der Ausstellung ergänzen. Ausserdem ist der heutige nordkoreanische Staatschef Kim Jong Un, getarnt als Kind eines Botschaftsangehörigen, elf Jahre lang in Bern zur Schule gegangen. Er besuchte die öffentliche Schule Liebefeld Steinhölzli, wohnte in Köniz und in Muri, spielte Basketball und spricht wohl auch heute noch ziemlich gut Berndeutsch.

2018/19 hat ein Team des Alpinen Museums das Land mit einer Filmcrew bereist und seltene Einblicke in den Alltag dieses verschlossenen Staates einfangen können. Dies erlaubt uns, besser zu verstehen, unter welchen Bedingungen die Werke in unserer Ausstellung entstanden sind und wogegen die süd­ koreanischen Künstler:innen antreten.

Obwohl wir zurzeit nirgends hinreisen können, gibt diese Ausstellung die wertvolle Gelegenheit, sich kulturell und mental an einen Ort zu versetzen, der aufgrund sprachlicher und politischer Barrieren nur schwer zugänglich ist. Hinzu kommt, dass das Alpine Museum sich gerade einer Ausstellung zu den Berglandschaften Nordkoreas widmet (Let’s Talk about Mountains. Eine filmische Annäherung an Nordkorea, bis 16. Januar 2022). In einem günstigen politischen Moment in den Jahren

Kunst hat die Macht — davon sind wir gerade in dieser Zeit um­so vehementer überzeugt — Grenzen zu überwinden. Sie kann uns beflügeln oder provozieren, sie kann uns trösten oder in andere gedankliche Dimensionen entführen, sie kann Mitgefühl und Fantasien wecken, sie kann uns aus unserer Welt in eine andere versetzen. Sie eröffnet, wenn man es zulässt, neue Horizonte. Und das können wir in jedem Winkel der Welt heue besonders gut brauchen. b Kathleen Bühler, Kuratorin der Ausstellung

Trotz der vielen Argumente, welche die Grenzen zwischen der sozialistischen Diktatur und der kapitalistischen Demokratie betonen, und der Gründe, welche das ganze Unterfangen als problematisch taxieren könnten, nutzen wir die Position im politischen Zentrum der Schweiz, um Begegnungen über politische Barrieren hinweg zu ermöglichen und in mannigfache Dialoge zu treten. Wir können nicht die Menschen selbst zu Wort kommen, dafür aber die Kunst sprechen lassen. Durch die Kunst können wir etwas über die Menschen, ihre Gedanken und Gefühle erfahren. Zur Herausforderung einer globalen (Kunst-)­Welt gehört es, die Vielfalt künstlerischen Schaffens möglichst vorurteilslos anzuschauen und sie als Ausdruck unterschiedlicher Weltbilder und Weltanschauungen zu respektieren. Das erlaubt uns, aus der Distanz ein Bild von künstlerischen Sprachen zu zeigen, welche von einer Trennung erzählen, die eine schmerzende Wunde bleibt.

Inbai Kim, Deller hon Dainy (3 Portraits), 1960, Kunststoff (Plastik), Bleistift, verschiedeneDimensionen, © The artist, Foto: Sigg Collection, Mauensee

Kunstmuseum Bern Grenzgänge — Nord- und südkoreanische Kunst aus der Sammlung Sigg 30.04.—05.09.2021

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Community Building

paul & ich

Eine Zwischenbilanz zu Rollen und Perspektiven paul & ich haben wir als Projekt des Zentrum Paul Klee an dieser Stelle bereits angekündigt. Seither ist viel geschehen, Geplantes und Unerwartetes. Unsere Zwischenbilanz zeigt: Der Austausch mit den Berner:innen eröffnet uns neue Perspektiven auf unsere Entwicklungsmöglichkeiten und auf unsere eigene Rolle vor Ort.

paul & ich ist als partizipativer Prozess zu verstehen. Im Rahmen dieses Pionierprojekts wollen wir uns unter Beteiligung der Berner Bevölkerung und mit der Unterstützung durch Engagement Migros lokal und regional stärker verankern. Mit dieser Vision sind wir nach intensiver Vorbereitung 2019 gestartet. Die Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem Prozess sind vielfältig. Zwei Aspekte erweisen sich für das Projekt und das Zentrum Paul Klee jedoch als besonders wegweisend. paul & ich veranlasst uns, die Rolle des Zentrum Paul Klee als Akteurin im Quartier und darüber hinaus neu zu erforschen und neue Potenziale in der partizipativen Arbeit zu erkennen. Anfangs war unsere Vorstellung geprägt vom Konzept des Mehrspartenhauses als offener Begegnungsort für alle. Der bisherige Projektverlauf bestätigt dies insofern, als dass unter den Quartierbewohner:innen grosses Interesse an einem ansprechenden Café sowie Aufenthaltsmöglichkeiten im Freien oder Raum für gemeinschaftlich organisierte Aktivitäten im Zentrum Paul Klee besteht. Aus dem Prozess ergab sich jedoch auch eine weitere, unerwartete Erkenntnis. Anlässlich

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der Vorbereitung unserer Ideenwerkstatt haben wir eine Spurgruppe aus Vertreter:innen des Quartiers zusammengestellt. Dieser Akt des Zusammenbringens wurde von den Teilnehmenden sehr geschätzt. Viele von ihnen waren sich vorher noch nie begegnet und so bot sich eine Gelegenheit für einen persönlichen Austausch. Es kommt auch vor, dass Quartierbewohner:innen im Austausch mit uns andere Gruppierungen oder Projekte aus dem Quartier nennen, über die sie gerne mehr erfahren würden. Diese Rolle der Vernetzerin nehmen wir derzeit auch in einem schweizweiten Projekt unter Museums- und Kulturschaffenden ein. Wir wollen ein Netzwerk zu Partizipation in der Museums- und Kulturszene aufbauen. Es zeichnet sich also ab, dass unsere Rolle zusehends über diejenige eines dritten Orts hinausgeht. Vielleicht besteht unsere Rolle als Akteurin im soziokulturellen Raum Berns darin, zu vernetzen, eine Plattform zu bieten, auf der verschiedene Interessengruppen zusammenkommen, welche sonst nicht oder nur schwer zusammenfänden. Interessant daran ist, dass wir damit in gewisser Weise das fortsetzen, was unserem Handeln als Museum und Kulturzentrum bereits inhärent ist. Wie in unseren Ausstellungsräumen die Besucher:innen zusammenkommen, bringt pau l& ich Menschen zusammen, die sich sonst kaum begegnen würden, mit dem Unterschied, dass paul & ich zusätzlich einen Austausch unter ihnen schafft. Damit entdecken wir nicht nur eine mögliche neue

Rolle für uns als Institution, sondern auch neue Aspekte der Partizipation. Das Zentrum Paul Klee verfügt durch die Zusammenarbeit mit Freiwilligen, partizipative Vermittlungsangebote und Inklusionsprojekte über vielfältige Erfahrungen im Bereich Partizipation. Im Rahmen von paul & ich erforschen wir aber bewusst einen neuen Bereich. Wir erproben verschiedene Formate, durch die wir mit unseren Anspruchsgruppen in Austausch treten und diesen nachhaltig pflegen können. Was passiert, wenn wir verschiedene lokale und regionale Interessengruppen einladen, sich an der weiteren Entwicklung unseres Hauses zu beteiligen? Die Ideenwerkstatt, welche wir für unsere direkten Nachbar:innen veranstaltet haben, hat gezeigt, dass eine solche Einladung angenommen wird. Es besteht ein Interesse, Ideen und Bedürfnisse in Bezug auf das Zentrum Paul Klee einzubringen. Einige Quartierbewohner:innen engagieren sich sogar aktiv für deren Umsetzung. Aus dieser Beteiligung eröffnen sich neue Perspektiven. Manchmal werden unsere eigenen Ideen bestätigt, das freut uns natürlich. Noch bereichernder sind für uns die Potenziale, auf die wir durch den persönlichen Kontakt hingewiesen werden. Sie bilden die Grundlage für neue Formate, die wir gemeinsam mit dem Quartier umsetzen und zeigen uns, in welche Richtung es zukünftig weitergehen könnte. Noch ist es früh, aber wir dürfen feststellen: Eine erste Wirkung des Projekts macht sich bemerkbar. b Eva Grädel, Projektleiterin Community Building


Ausstellung

1000 km flussaufwärts

Annemarie Schwarzenbachs Reise in den Kongo

Literaturarchiv | Schweizerische Nationalbibliothek, Bern, Nachlass Annemarie Schwarzenbach

Eines der noch am wenigsten bekannten Kapitel aus dem Leben der Schriftstellerin, Journalistin und Fotografin Annemarie Schwarzenbach ist die rund neunmonatige Reise in den Belgisch-Kongo. Diese letzte grosse Reise steht im Zeichen persönlicher Rückschläge, der Flucht vor dem Krieg in Europa und kolonialer Fantasien. Zugleich war sie für Schwarzenbach ein Erweckungserlebnis und von einem grossen Schaffensdrang begleitet.

Im Frühjahr 1941 kehrte Schwarzenbach nie­ dergeschlagen aus den USA zurück, wo sie, von De­pressionen und Suchtproblemen geplagt, einen psychischen Zusammenbruch erlitten hatte. Doch in der Schweiz war ihr aufgrund ihrer französischen Staatsbürgerschaft eine berufliche Tätigkeit untersagt. In Europa herrschte Krieg, die Reisemöglichkeiten waren eingeschränkt, und auch die Nähe zur Familie war ihr unerträglich. Nicht überraschend sah sie sich deshalb schon bald nach Möglichkeiten um, die Schweiz wieder zu verlassen. Ihre Hoffnung lag auf einem Neuanfang im kolonialen Afrika. In vielen europäischen Kolonien herrschten Mitte der 1940er-Jahre paradoxe Verhältnisse. Die Mutterländer Frankreich und Belgien waren von Hitlerdeutschland besetzt worden, ihre Kolonien jedoch nicht. Französisch-Äquatorialafrika war zu einem Sam­ melbecken antifaschistischer Truppen geworden und hatte sich dem Widerstand unter der Führung von General Charles de Gaulle angeschlossen. Brazzaville war zur Hauptstadt des Freien Frankreich erklärt worden. Schwarzenbach brach deshalb im Frühjahr 1941 in der Hoffnung nach Brazzaville auf, sich dort als politisch engagierte Journalistin für die «gute Sache» einsetzen zu können. Sogar eine Stelle beim Sender «Radio

Brazzaville» war ihr in Aussicht gestellt worden. Doch der kühne Plan endete in einer Enttäuschung. In Brazzaville angekommen, zeigten die Kolonialbehörden Schwarzenbach die kalte Schulter. Sie verhinderten ihre Betätigung als Journalistin, verdächtigten sie als Nazi-Spionin und unterzogen sie zahlreichen Verhören. Der Verdacht war nicht unbegründet. Als Gattin des französischen Diplomaten Claude-Achille Clarac war Schwarzenbach mit Reisepapieren der französischen Vichy-Regierung unterwegs, die von Hitlerdeutschland kontrolliert wurde. Ihr Mann wiederum stand für ebendiese Regierung im Dienst. Die Privilegien, die Schwarzenbach bis anhin als französische Diplomatengattin genossen hatte, hatten sich nun mit der Besetzung Frankreichs gegen sie gerichtet. Verzweifelt versuchte sie, die Schweizer Staatsbürgerschaft zurückzuerlangen, allerdings erfolglos. Schwarzenbach war also «gestrandet». Offen stand ihr noch der Aufenthalt im BelgischKongo, wo damals auch rund 200 Schweizerinnen und Schweizer ansässig waren. Darunter das Genfer Ehepaar Ami Paul und Hedwig Vivien, die Betreiber «der besten und gepflegtesten der privaten Plantagen des Belgischen Kongo», wie Schwarzenbach schwärmerisch in ihren Reiseaufzeichnungen notierte. Über die im Thurgau aufgewachsene Frau Vivien hatte man ihr erzählt, sie «arbeite … wie ein Mann; sie fürchte weder die Schwarzen noch die Leoparden, und sie schiesse sogar Elefanten.» Mit dem Ziel, dem Ehepaar einen Besuch abzustatten, schiffte sich Schwarzenbach in Leopoldville (heute Kinshasa) mit Kamera und Schreibmaschine auf einem Flussdampfer ein und begab sich auf die über 1000 km lange Reise den Kongo-Fluss hinauf. Ihre Schilderungen dieser Fahrt lassen verblüffende Ähnlichkeiten zu Joseph Conrads kolonialer Erzählung Herz der Finsternis erkennen. Der

allmähliche Verlust von Raum- und Zeitgefühl auf der eintönigen Fahrt und der Schwebezustand zwischen den «dunklen», undurchdringlichen «Wänden» des Dschungels beidseits des Flusses erlebt Schwarzenbach als Überschreiten der letzten Aussenposten der Zivilisation. In der Plantage eingetroffen, war sie schliesslich überwältigt von einem Gefühl der Erleichterung und der Befreiung, das sie in lebhaften, hellen Worten beschrieb. «Ich atmete auf, als ich sah, wie der Dschungel sich lichtete …» Auf der Plantage verfasste sie mehrere Reportagen, in denen sich ihre tiefe Bewunderung des Genfer Ehepaars zeigt, das «dieser düsteren afrikanischen Wildnis» ein Stück Erde abgerungen hätte, «das fruchtbar und bewohnbar ist, wie die Landstriche es sein müssen, damit sie uns zur Heimat werden.» Die Monate, die Schwarzenbach in dieser kolonialen «Heimat» verbrachte, gehörten, wie sie später schrieb, zu den «fruchtbarsten und glücklichsten meines Lebens». Sie fotografierte und schrieb neben ihren Reportagen den Roman Das Wunder des Baums, der allerdings vor ihrem Tod 1942 nicht mehr veröffentlicht wurde. Mit ihren Reportagen und Prosatexten aus dem Kongo schrieb sich Schwarzenbach jedoch auch in das damalige europäisch-koloniale Weltbild ein. Noch ahnte sie nicht, dass der Ruf des Widerstands gegen den Faschismus bald auch den nationalen Unabhängigkeitsbewegungen in den Kolonien Auftrieb geben, und der Weltkrieg schliesslich das Ende des europäischen Kolonialismus einläuten würde. b Martin Waldmeier, Kurator der Ausstellung

Zentrum Paul Klee Aufbruch ohne Ziel. Annemarie Schwarzenbach als Fotografin bis 9. Mai 2021

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Literatur

Foto: Tahir Della

Sharon Dodua Otoo

Dürfen Schwarze Blumen Malen? 26


Sharon Dodua Otoo

Klagenfurter Rede zur Literatur 2020

Verehrtes Publikum, erlauben Sie mir bitte eine Anmerkung, bevor ich mit der Rede beginne. Es geht um die Schreibweise des Wortes «Schwarz» in meinem Titel. Sie werden vielleicht festgestellt haben, dass er zweideutig ist, je nachdem, ob «Schwarz» gross oder klein geschrieben wird. Eventuelle Irritationen deswegen möchte ich zunächst aus dem Weg räumen. Es wäre mir eine grosse Freude, Ihnen von malenden schwarzen Blumen zu erzählen. Von ihren Duftnoten und Farbtönen, ihrer Resilienz und ihrem Grossmut, ihrer Nahrhaftigkeit, von ihren heilenden Kräften. Was wir alles von diesen seltenen Blumen lernen könnten! Aber darum soll es heute Abend nicht gehen. Tatsächlich werde ich über Menschen reden. Paradoxerweise habe ich genau dieses Wort – «Menschen» – weggelassen, um sicherzugehen, dass der Titel von anderen richtig geschrieben wird. Im englischsprachigen Raum ist es üblich, bestimmte politische Selbstbezeichnungen auch als Adjektive grosszuschreiben. Denken wir an «Black» und «Deaf» zum Beispiel. Der Grossbuchstabe am Anfang signalisiert, dass es sich keineswegs bei «Black» um die Beschreibung eines vermeintlichen Hauttons beziehungsweise bei «Deaf» um eine Unfähigkeit zu hören handelt. Es sind widerständige Begriffe, die eine Zugehörigkeit zu einer Community kennzeichnen. Die Mitglieder der jeweiligen Communitys teilen Erfahrungen und Überlebensstrategien, aber auch kulturelle Referenzen und tradiertes Wissen. Menschen der afrikanischen Diaspora überbrücken nationale Grenzen und erhebliche Barrieren, um für Anerkennung, Gerechtigkeit und Chancengleichheit zu mobilisieren und zu kämpfen. Ich habe gelernt, dass Gebärdensprachgemeinschaften ähnliche Herausfor­ derungen kennen. Diese Communitys sind vielfältig und selbstbestimmt. Mit Sicherheit sind sie sich untereinander nicht immer einig – nicht einmal in der Frage, ob «Black» beziehungsweise «Deaf» gross oder klein geschrieben werden soll. Das müssen sie aber auch nicht sein. Die Verwendung der Grossbuchstaben am Anfang des Wortes kann zeigen, dass wir der Community angehören oder, wenn dem nicht so ist, dass wir uns mit der Bewegung solidarisieren. Das hat auch in deutschsprachigen Ländern Tradition. Seit über dreissig

Jahren bemühen sich Communitys der jüngeren Schwarzen Generation, ihre Eigenbezeichnungen auch in diesem Kontext durch Organisationen wie ADEFRA (Schwarze Frauen in Deutschland), ISD (Initiative Schwarze Menschen in Deutschland), Pamoja (die Bewegung der jungen afrikanischen Diaspora in Österreich) und Bla*Sh (das Netzwerk Schwarzer Frauen in der Deutschschweiz) zu prägen. Somit werden Schwarze Erfahrungen in den jeweiligen Ländern dokumentiert. Es werden Treffen koordiniert, es werden Veranstaltungen organisiert, es werden Netzwerke gebildet, es wird Theoriearbeit geleistet. Für einen respektvollen Umgang mit unserer gemeinsamen deutschen Sprache gibt es Lösungen und Angebote. Und schliesslich kennt die deutsche Sprache bereits Veränderung. Eine Sprache, die es geschafft hat, sich von «Fräulein» zu verabschieden und ein Wort wie «Safari» willkommen zu heissen, ist stark genug, um weitere Upgrades zu verkraften. Oder zumindest, um einen souveränen Aushandlungsprozess zuzulassen. Leider wird jedoch in den überwiegend weissen deutschsprachigen Redaktionen – progressiv wie konservativ – noch immer zu eng am Duden festgehalten. Viel zu oft habe ich die ärgerliche Erfahrung gemacht, dass ein Text von mir im Lektorat «korrigiert» und veröffentlicht wurde, obwohl ich mit meiner gewählten Schreibweise etwas ganz anderes hatte ausdrücken wollen. «Lehrer*innen» hat nicht die gleiche Bedeutung wie «Lehrerinnen und Lehrer», «Fremdenfeindlichkeit» schreibe ich nicht, wenn ich «Rassismus» meine, und «schwarz» ist nicht gleich «Schwarz.» Wenn Sie nicht verwechselt werden wollen mit einer Person, die Selbstbestimmung für überflüssig hält, oder gar mit einer Person, die eine alleinige Deutungshoheit für sich beansprucht, plädiere ich doch dafür, Sprache als eine Postit-Note zu begreifen: als ständige Erinnerung daran, dass Diskriminierung existiert und dass unsere eigene Haltung dazu in der Wortwahl oder der Schreibweise deutlich werden kann. So zu handeln ist eine Wahl. Ich möchte behaupten, dass es möglich ist. Ich möchte nicht behaupten, dass es leicht ist. Als ich diese Rede geschrieben habe, habe ich es vermieden, die Worte «taub» und «gehörlos» zu verwenden, weil ich unsicher war. Ich wusste, dass einige Menschen sich nicht als «gehörlos» bezeichnen, da ihre Identität kein Defizit ist. Ich weiss auch, dass «taub» in der Vergangenheit stigmatisierend war. «Taub» ist jetzt eine positive Selbstbezeichnung, die aber nicht alle Menschen aus der Community für sich verwenden. Also stehe ich am Anfang eines Lernprozesses. Die Unsicherheit gehört dazu – sie ist ein immens wichtiger Teil des Lernens. Wir dürfen Fehler machen. Und, da es gerade sehr gut passt, noch ein Hinweis bezüglich des Wortes «dürfen», bevor ich mit der Rede anfange. Zusammen mit «müssen» und «sollen» ist «dürfen» meiner Meinung nach eines der deutschesten aller deutschen Verben. Wir dürfen, wenn es um Sprache und Literatur geht, recht viel. Gesetze, die Verstösse gegen die sogenannte Political Correctness regeln, gibt es keine. Leute, die behaupten: «Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!», haben – mit wenigen Ausnahmen – absolut recht. Die Meinungsfreiheit ist im gesamten deutschsprachigen Raum ein hohes Gut – sie ist eines der wichtigsten Menschenrechte überhaupt. Was es jedoch nicht gibt, obwohl sie bisweilen als Menschenrecht verstanden wird, ist Konsequenzen-Freiheit. Literatur wird nicht ohne gesellschaftlichen Kontext geschrieben und auch nicht ohne einen solchen rezipiert. Selbstverständlich dürfen wir den Kontext vernachlässigen. Die interessantere Frage ist aber, warum wir das tun. Verwendet eine weisse deutsche Autorin rassistisches Vokabular in ihrer Kurzgeschichte, weil sie die Lesenden ausschliesslich als weiss imaginiert? Was wenn sie dadurch versucht, sich von eben dieser Art der Diskriminierung zu distanzieren? Ist die satirische Reproduktion eines rassistischen Begriffs für Schwarze Menschen gerechtfertigt, wenn ein Schwarzer deutscher Komiker sie vornimmt? Was, wenn er dadurch versucht, sich den Begriff anzueignen, um ihn

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Literatur seines schmerzhaften Potentials zu berauben? Ist die emotionale Belastung für Schwarze Lesende dadurch zumutbar gemacht? Können wir hier von fehlender Solidarität sprechen? Mit Erstaunen verfolge ich die aktuelle Debatte um den kamerunischen Historiker und Philosophen Achille Mbembe, dem Antisemitismus und Holocaustrelativierung vorgeworfen werden. Auf der anderen Seite wirft er seinen Kritikern Rassismus vor. Um meine Position klar zu machen: Ich bin weder Expertin in Sachen Antisemitismus noch in den Arbeiten von Mbembe. Ich bin explizit in der Rolle einer Lernenden und Fragenden. Ich versuche ausgehend von den diversen Artikeln, Essays und offenen Briefen zu einer eigenen Meinung zu gelangen. Mir erscheint es unabdingbar, die Kämpfe gegen Antisemitismus und Anti-Schwarzen Rassismus zusammenzudenken.

«Literatur wird nicht ohne gesellschaftlichen Kontext geschrieben und auch nicht ohne einen solchen rezipiert. Selbstverständlich dürfen wir den Kontext vernachlässigen. Die interessantere Frage ist aber, warum wir das tun.» 28

Ich frage mich, wie wir die Solidarität, die zwischen Schwarzen Communitys und jüdischen Communitys in Deutschland besteht, wahrnehmbarer machen können. Es scheint in der Debatte kaum eine Rolle zu spielen, dass es sie überhaupt geben könnte. Doch in der 1992 erschienenen Kongressdokumentation «Wege zu Bündnissen», herausgegeben von May Ayim und Nivedita Prasad, sind Beiträge von «Immigrantinnen, Schwarzen deutschen, jüdischen und im Exil lebenden Frauen» veröffentlicht. Und der 1993 erschienene Sammelband «Entfernte Verbindungen. Rassismus, Antisemitismus, Klassenunterdrückung», herausgegeben unter anderem von Ika Hügel, Chris Lange und May Ayim, ist Ergebnis einer ähnlichen Kooperation. Die Zusammenarbeit war sicherlich nicht ohne Brüche und Konflikte. Aber sie bot eine Inspiration für weitere Zusammenschlüsse. Ende 2010 unter der Leitung der Schwarzen deutschen Intendantin Philippa Ebéné kuratierte die Berliner Kulturinstitution Werkstatt der Kulturen eine Diskussionsreihe namens «Playing in the Dark», die von dem ehemaligen Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Michel Friedman, moderiert wurde. 2013 fand «FeMoCo», eine gemeinsame Konferenz zu «Feminismen of Color in Deutschland», statt. Beide Veranstaltungen bemühten sich um eine kritische, differenzierte und solidarische Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Positionen von Schwarzen, jüdischen und muslimischen Menschen, von Sintezza, Rromnja und weiteren Menschen of Color in Deutschland. Ich frage mich, wie wir die Art der Debattenführung verändern können, um Platz für die Positionen Schwarzer jüdischer Menschen zu machen. Wie können wir auf Allianzen bauen, im Dialog bleiben und zu einem Verständnis kommen, das der Komplexität von Erinnerung und Mahnung gerecht wird? Ich begreife meine Arbeit als Teil eines solchen Austausches. Erst durch die Rezeption wird das, was ich schreibe, zu Literatur. Vorher ist es bestenfalls ein Monolog. Und ich möchte mit meinem Schreiben auf gesellschaftliche Missstände hinweisen. Dafür brauche ich Verbündete. Erst durch die Rezeption wird mein Wunsch zum Programm. Somit schreibe ich in der Tradition von Geoffrey Chaucer und Charles Dickens, von Bertolt Brecht und Heinrich Böll. Ich komme vielleicht nicht von Homer, aber ich schreibe im warmen Schatten des nigerianischen Autors Chinua Achebe, der unter anderem mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde und der einst sagte: «Writers are not only writers, they are also citizens … serious and good art has always existed to help, to serve humanity.» «Schriftsteller:innen sind nicht nur Schriftsteller:innen, sondern auch Bürger:innen … Es war stets die Aufgabe ernsthafter und gelungener Kunst, der Menschheit beizustehen, ihr zu dienen.» Ich schreibe in den riesigen Fussstapfen der Schwarzen US-amerikanischen Autorin und Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison, die proklamierte: «I’m writing for Black people … I don’t have to apologise.» «Ich schreibe für Schwarze Menschen … Ich muss mich nicht entschuldigen.» Ich schreibe in Dankbarkeit für die bahnbrechende Arbeit der Schwarzen deutschen Aktivistin, Pädagogin und Dichterin May Ayim, die in ihrem Gedicht «Der Käfig hat eine Tür» folgende Zeilen verfasste:


Sharon Dodua Otoo «… es ist mir inzwischen lieber ich bin ausgegrenzt ich bin nicht eingeschlossen …» Apropos Schreiben. Eine letzte Sache, die ich klären möchte – und dann kann es endlich mit der Rede losgehen –, betrifft das Konzept «Blumen malen.» Wann haben Sie es das letzte Mal getan? Vielleicht haben Sie angesichts der aktuellen Krise keine Zeit dafür? Ihnen fehlt die Ruhe? Denken Sie sogar, Sie hätten kein Talent dafür? Oder haben Sie in Ihrem Leben so viele Blumen gemalt, dass Sie dabei keinen Zauber mehr verspüren? Oder gehören Sie zu den Menschen, die trotz allem – vielleicht sogar wegen allem – Blumen in all ihrer vergänglichen Schönheit zu malen gedenken? Mit Filzstift, mit Bleistift, in Wort, in Gesang: wie vereinzelte blüten bleich und gemein ohne grund wirken versammelte knospen mit gold-rot-schwarzem bund Blumen malen, ganz ohne Rücksicht auf fehlende Kitabetreuung, finanzielle Einbussen, gesundheitliche Risiken oder rassistische Aggressionen. Für manche von uns der ganz normale entspannte Alltag – und für viele von uns: eine radikale Vorstellung. Wenn zu diesen Herausforderungen noch hinzukommt, dass wir Einzelerscheinungen in den jeweiligen Communitys der Blumenmalenden sind – die einzige Frau unter Männern zum Beispiel – bekommt unsere Kunst eine zusätzliche Aussagekraft, um nicht zu sagen, eine Vorzeige-Qualität. Viele Schwarze Kunstschaffende arbeiten unter diesen oder ähnlichen Zwängen. Auch wenn wir es wollen, steht unsere Kunst nicht für sich allein – sie wird zur Repräsentation einer ganzen Community. Wie gehen wir damit um? Es gibt Schwarze deutsche Autor:innen, die in ihrer Arbeit Schwarzsein gar nicht thematisieren. In «Die Falle» von der preisgekrönten Krimiautorin Melanie Raabe spielt es keine Rolle. Andere schreiben zwar Schwarze Hauptprotagonist:innen, entscheiden sich aber bewusst, gewaltvolle Diskriminierungserfahrungen nicht in den Mittelpunkt der Geschichte zu stellen. Mit «Brüder» wollte Jackie Thomae ausdrücklich kein «Rassismusbuch» schreiben. Und wieder andere Autor:innen beschreiben detailliert die diversen Lebensrealitäten ihrer Schwarzen Figuren. Der im Frühjahr erschienene Roman «1000 Serpentinen Angst» von Olivia Wenzel reflektiert die Geschichte einer Schwarzen Ostdeutschen queeren Frau. Es muss Platz für diese verschiedenen Romane geben – und auch für jene von Chantal-Fleur Sandjon, SchwarzRund, Noah Sow, Zoe Hagen, Michael Götting und noch vielen mehr. Denn durch die Rezeption einer ganzen Palette an Arbeiten werden Positionen und Problematiken deutlicher, komplizierter, herausfordernder. Wir Schwarzen Menschen können uns in unserer Diversität begreifen und die Bürde der Repräsentation wird leichter. Ausserdem wird die deutschsprachige Literaturlandschaft daran wachsen, davon lernen, und wenn sie sich traut, wird sie ihren Horizont erweitern. So oder so schreiben wir Menschen der afrikanischen Diaspora weiter – denn es gibt unendlich viel zu erzählen. Also kommen wir endlich zum Thema des heutigen Abends. Verehrtes Publikum: «Dürfen Schwarze Blumen Malen?» Ja. Je mehr, desto besser. Haben Sie vielen Dank!

«Ich plädiere dafür, Sprache als eine Postit-Note zu begreifen: als ständige Erinnerung daran, dass Diskriminierung existiert und dass unsere eigene Haltung dazu in der Wortwahl und der Schreibweise deutlich werden kann.»

b Sharon Dodua Otoo, Autorin und politische Aktivistin b Die Autorin hielt die Klagenfurter Rede zur Literatur 2020 zur Eröffnung der 44.  Tage der deutschsprachigen Literatur, in deren Rahmen der Bachmann-Preis verliehen wird. Eine gedruckte Version ist in der Edition Meerauge im Verlag Johannes Heyn erschienen: Dürfen Schwarze Blumen Malen? Klagenfurter Rede zur Literatur 2020, Klagenfurt/Celovec, 18. Juni 2020, 31 Seiten, mit 9 Zeichnungen der Autorin, 12 × 18 cm, frz. Broschur, ISBN: 978-3-7084-0644-2, www.meerauge.at Sharon Dodua Otoo liest am Sonntag, 9. Mai 2021 um 11 Uhr im Zentrum Paul Klee aus ihrem neuen Roman Adas Raum.

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Ausstellung

Die Erfindung des Künstlers Adolf Wölfli

Zentrum Paul Klee 21.05.–15.08.2021 Als Walter Morgenthaler 1921 seinen Patienten Adolf Wölfli als Künstler bezeichnete, war der Status dieses Werks keineswegs gesichert. Heute geniesst Wölflis aussergewöhnliches Schaffen hohe Anerkennung. Hundert Jahre nach Wölflis Geburt als Künstler richtet ihm das Zentrum Paul Klee in Zusammenarbeit mit der Adolf Wölfli-­ Stiftung eine Einzelschau aus. Erstmals stehen dabei seine Schriften im Zentrum.

Keineswegs überrascht war Adolf Wölfli von Morgenthalers Buch über ihn, den Geisteskranken als Künstler. Beim Durchblättern des Bandes habe er, so die Krankenakte, «die ganze Selbstverständlichkeit des unbestrit­ tenen Künstlers» gezeigt. Zum Zeichner, Komponisten und Schriftsteller wurde Adolf Wölfli (1864–1930) jedoch erst in der «psychiatrischen Heilanstalt Waldau» in Bern, an die er 1895, 31 Jahre alt, mit der Diagnose Schizophrenie überwiesen wurde. Während der Jahre bis zu seinem Tod 1930 hat Wölfli ein Werk geschaffen, das weit über 25 000 Seiten mächtig ist und zum Eindrücklichsten gehört, was in der Schweizer Kunstgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts zu finden ist. Hat nicht Harald Szeemann einmal kühn festgestellt, dass die «Irrenanstalten» die eigentlichen Kunstakademien der Schweiz seien? Für Wölfli zumindest trifft dies zu. Dass er jemals eine künstlerische Karriere machen würde, war durch seine Herkunft keineswegs gegeben. Wölfli kam von ganz unten: Seine Familie war armengenössig, er

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wurde als «Losbube» verdingt und diente später als Tagelöhner in unterschiedlichen Tätigkeiten. Trotz fehlender Bildung hat er als Autodidakt ein Werk geschaffen, das bis heute durch seine visionäre Bildkraft fasziniert. Wölfli selber hat sein schriftstellerisches Œuvre als sein Hauptwerk betrachtet. Ein Werk, an dem er mit wenigen Unterbrüchen von 1908 bis zu seinem Tod 1930 gearbeitet hat. Geschaffen hat er eine idealisierte Lebensgeschichte, die ihn und seine Getreuen durch Länder und Kontinente imaginierter Welten reisen lässt. Es sind fantastische Kopfreisen, die gar in den Weltraum ausgreifen und in einem bemerkenswerten Kontrast zu seiner Verwahrung in der Waldau stehen. In einem Akt der Selbstermächtigung hat er sich dadurch seine Lebensverhältnisse neu erfunden. Gebunden sind diese Geschichten in prächtige Folianten, die mit Tonstücken, Gedichten und Illustrationen durchsetzt sind. Elka Spoerri, die erste Kuratorin der Adolf Wölfli-Stiftung, hat darauf hingewiesen, dass diese Bücher    –    45 Hefte insgesamt    –    Reinschriften sind, dass sie im Sinne einer überlegten Mise-en-page Druckvorlagen für eine Veröffentlichung darstellen. Wölfli hatte tatsächlich die Absicht, diese Hefte zu ver­ öffentlichen, und holte eine Druckofferte bei einem lokalen Anbieter ein. Publiziert wurden seine Bücher bis heute nicht, aber das Vorhaben macht deutlich, dass der Autor diese Geschichten für ein Publikum geschrieben und an eine Leserschaft adressiert hat.

Adolf Wölfli, Die heilige Dulcia, 1927, Bleistift und Farbstift auf Zeichenpapier, 48 × 34,5 cm, Adolf Wölfli-Stiftung, Kunstmuseum Bern

Die Ausstellung im Zentrum Paul Klee folgt der Präferenz des Künstlers und stellt die Bücher erstmals in den Mittelpunkt einer Präsentation. Die Hefte, welche sonst nicht ausgeliehen werden, sind Hauptattraktion der Ausstellung und werden nun erstmals umfassend sichtbar. Eine kleine Sensation und eine besondere Gelegenheit, den Künstler und sein Werk neu zu entdecken. Begleitend macht die Adolf Wölfli-Stiftung Walter Morgenthalers Quellentext Ein Geisteskranker als Künst­ler, der sowohl die Kunst wie die Psychiatrie herausforderte, in einer Neuauflage im Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König wieder greifbar. In Zeiten einer umgreifenden Uniformierung ist Morgenthalers Schrift ein beeindruckendes Plädoyer für das Extraordinäre und Unangepasste. b Hilar Stadler, Kurator Adolf Wölfli-Stiftung Bern ist im Wölfli-Fieber: Das Schweizerische Psychiatrie-Museum Bern präsentiert von 20. Mai 2021 bis März 2022 Fragmente der Deckenmalerei aus Wölflis Zelle sowie Werke von Kolleg:innen, vereint in der Sammlung Morgenthaler. Sehen Sie auch die Ausstellung Der Wolf ist los vom 01.—19.06.2021 auf dem Bahnhofplatz Bern mit Werken von Künstler:innen des Ateliers Rohling, der Kunstwerkstatt Waldau Bern und dem Psychiatriezentrum Münsingen. Zentrum Paul Klee Riesen=Schöpfung. Die Welt von Adolf Wölfli 21.05.—15.08.2021


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Forum

Bernisches Historisches Museum Text von Thomas Pauli-Gabi

Es grüsst

Der neue Direktor

In den vergangenen Monaten seit meinem Stellenantritt im Mai 2020 habe ich zwei Fragen im Umfeld des Bernischen Historischen Museums ( BHM ) immer wieder gehört: Ob ich eine Vision für das BHM mitbringe und ob es uns im geschlossenen Museum eigentlich langweilig sei und wir jetzt alle Ferien machen würden. Beide Fragen habe ich jeweils mit Nein beantwortet. Ob neue Leitungspersonen ihre Vision üblicherweise gleich mitbringen, weiss ich nicht, meinem Führungsverständnis entspricht dieses Vorgehen jedenfalls nicht. Auf meinem beruflichen Weg vom Archäologen zum Geschichts­ vermittler, Museumsmanager und Kulturförderer habe ich eine Vielzahl von Erfahrungen akkumuliert. Daraus hat sich wiederum eine Haltung gegenüber der Frage entwickelt, welche Rolle und welche Aufgaben Museen in unserer Gesellschaft übernehmen sollten. An erster Stelle stehen für mich die konsequente Ausrichtung auf die Bedürfnisse der Besucherinnen und Besucher, die Öffnung der Häuser für die Teilhabe an allen Aufgaben eines Museums und das Thematisieren heiss diskutierter Gegenwartsfragen im Spiegel historischer Erfahrungen. Was ist also die Vision des BHM, und wie müsste sich das Museum in einem dynamischen gesellschaftlichen Wandel entwickeln? Wir haben im BHM diese überaus spannenden Fragen mit dem gesamten Team in einem Strategieprozess angepackt. Der partizipative Ansatz entspricht sicherlich dem Zeitgeist. Ich bin aber auch persönlich davon überzeugt, dass ein strategischer Neustart nur mit einer starken Involvierung der Mitarbeitenden Erfolg haben wird. In einem der Teamworkshops antwortete ein Mitarbeiter auf meine Frage, warum das BHM eine Vision und Strategie brauche: « Weil wir einen neuen Direktor haben. » Stimmt, da ist etwas dran. Entscheidender ist jedoch, dass auf der Planungsliste grosse Aufgaben anstehen, so etwa die Gesamterneuerung des sanierungsbedürftigen Museumsschlosses, der Bau eines zentralen Sammlungs-

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depots, die Errichtung eines Besuchszentrums für die Nationalbank in der Berner Altstadt oder die Mitgestaltung des Museumsquartiers. Die Idee eines Museumsquartiers im Kirchenfeld ist nicht neu. Bereits vor 57 Jahren kam sie unter dem Schlagwort « Museums­ insel » auf die kulturpolitische Agenda, damals als Fusionsprojekt des BHM und des Kunst­museums. Dieser Versuch und auch spätere Bemühungen, die Potenziale des örtlichen Museumsclusters zu aktivieren, landeten bekanntlich alle in der Schublade. Damit sich dieses Schicksal beim jüngsten Anlauf nicht wiederholt, haben sich die Museen zum Handeln entschlossen. In einer vierjährigen Auf­bau­phase wollen sie ab diesem Jahr die inhaltliche Zusammenarbeit hinsichtlich der Angebotsgestaltung und ein gemeinsames Dachmarketing erproben und fortlaufend weiterentwickeln. Für das BHM kommt dieser Schulterschluss genau zur richtigen Zeit. Wenn in den kommenden Monaten die Weichen im Strategieprozess neu gestellt werden, wird die zukünftige Kooperation im Rahmen des Museumsquartiers richtungsweisend sein. Die Frage, ob die Museumsmitarbeitenden derzeit alle in den Ferien weilen, erübrigt sich rasch mit einem Blick auf die intensiven Arbeiten hinter den Kulissen. Im laufenden Jahr zeigen wir mit Frauen ins Bundeshaus! 50 Jahre Frauenstimmrecht eine topaktuelle Ausstellung und mit  Mythos Samurai  eine grosse Schau, die einen in die faszinierende Welt des japanischen Rittertums eintauchen lässt. Das Programm wird ergänzt mit einer Reihe attraktiver Veranstaltungen und Vermittlungsangebote im Museumspark wie zum Beispiel einem Japanfest, einem Märchen- und Geschichten­festival und einer Mitmach-Münsterbauhütte anlässlich des 600Jahr-Jubiläums des Berner Münsters. Von wegen Langeweile und Ferien: Das BHM hat sich wie die anderen Museen in der Zeit der Schliessung mit grossem Engagement darangemacht, der Bevölkerung nach den schwierigen von der Coronakrise geprägten Monaten besonders stimmungsvolle und inspirierende Kulturerlebnisse zu bieten — dies in der Hoffnung, dass der Sommer 2021 für uns alle wieder ein lebendiger und unbeschwerter Kultursommer sein darf. b Thomas Pauli-Gabi, Direktor des Bernischen Historischen Museums


Forum

Kunsthaus Centre d’art Pasquart Text von Manon Engel

30 ans Kunsthaus Centre d’art Pasquart

Un voyage à Bienne lohnt sich!

Das Kunsthaus Centre d’art Pasquart mit der Neon­ installation merci von Susanne Muller. Foto: Lia Wagner

Am Fusse des Jura und 10 Gehminuten vom Bielersee entfernt steht seit 30 Jahren das Kunsthaus Centre d’art Pasquart. Das ehemalige Bieler Spital wurde zuerst als Schule, ab 1990 dann als Ausstellungsort genutzt und erhielt im Jahr 2000 mit einem Ja des Bieler Stimmvolkes und dem Neubau von Diener & Diener den Status eines « richtigen » Kunsthauses für Biel. Dieser aussergewöhnliche architektonische Rahmen zwischen Alt- und Neubau ermöglicht den hier ausstellenden Künstler:innen, ihre Werke sowohl im White Cube als auch in intimeren Kabinetträumen zu präsentieren. L’histoire du Centre d’art Pasquart commence véritablement le 8 décembre 1990 avec l’ouverture d’une première exposition dans une partie des locaux de l’ancien hôpital, partiellement réaménagés et transformés. En 1992 le Photoforum Pasquart intègre à son tour le Pasquart ( anciennement nommé CentrePasquArt ), rejoint par la Société des Beaux-Arts Bienne. Le Filmpodium Biel/Bienne s’installe définitivement dans les bâtiments annexes à l’automne 1993. Le testament de Monsieur Paul Ariste Poma, ouvert en 1993, prévoit un legs de 7 millions de francs en faveur d’un Musée des Beaux-arts, à la condition que la Ville de Bienne y participe en doublant cette somme et qu’une votation populaire accepte ces

conditions dans un délai de 2 ans. Soumis au corps électoral biennois dans le cadre d’une votation en 1995, l’objet est accepté à une large majorité. Un concours d’architecture est rapidement lancé et le projet élaboré par le bureau bâlois Diener & Diener, qui propose une extension à l’est du Centre, est retenu par le jury pour l’exécution. La fête d’ouverture du nouveau Centre d’art se déroule durant la première nuit de l’an 2000. A partir de cette année, le Centre d’art ne cesse de se développer, de se perfectionner et se forge une place d’importance croissante au sein des musées régionaux et nationaux. De plus en plus, sa notoriété dépasse les frontières nationales et le Centre d’art connait aujourd’hui un rayonnement international. Im Jahr 2020 feierte das Kunsthaus Pasquart sein 30-jähriges Jubiläum, zu welchem 30 einzigartige Anlässe und Interventionen geplant waren. Verteilt über das ganze Jahr reichten die Veranstaltungen von einem feierlichen Abendessen für die Gründer:innen des Kunsthauses in den Ausstellungsräumen, Blicken hinter die Kulissen und persönlichen Auseinandersetzungen mit der Sammlung über Performances und Aktionen bis hin zu Auftritten des Kunsthauses als Gast an anderen Bieler Orten. Wir sind froh, dass wir eine Vielzahl der Events trotz der Umstände durchführen konnten und freuen uns darauf, unser Jubiläumsjahr im 2021 auslaufen zu lassen! Besuchen Sie uns! b Manon Engel, PR und Kommunikation

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Forum

bee-flat im PROGR Text von Lula Pergoletti

Vom Provisorium zum Fixpunkt

Seit 20 Jahren bringt bee-flat Musik nach Bern « Global Sounds — Culture Hug — Very Central » — unter diesem Claim sucht der im PROGR Bern heimische Konzertveranstalter bee-flat nach spannenden und innovativen Schnittstellen in der Musik aus der Schweiz und der ganzen Welt mit einem besonderen Augenmerk auf politischen Inhalten. Auf der in einer Hauruckaktion eingerichteten Bühne im Restaurant Sous le Pont fand am 7. Januar 2001 das erste Konzert von bee-flat statt. Was als Provisorium begann, wurde mit Auftritten von Musikgrössen wie Erik Truffaz, Sidsel Endresen, Bugge Wesseltoft, Björn Meyer oder Big Zis alsbald zum Publikumsrenner. Regelmässig platzte die Beiz in der Berner Reitschule aus allen Nähten. Mehr Raum bot die Turnhalle im PROGR Bern, wo der als Verein aufgestellte Betrieb bee-flat seit 2005 Konzerte mit dem Fokus auf qualitativ hochstehende Sounds veranstaltet. Dank treuem Publikum, den Abonnentinnen und Abonnenten sowie den freiwilligen Helferinnen und Helfern, die sich mit viel Herzblut an den Konzerten um den Eintritt, die Bar, die Konzert­ fotografie und das Catering kümmern, konnte der Betrieb bis heute ein fester Bestandteil in der Berner Konzertlandschaft bleiben — nicht zuletzt auch dank finanzieller Unterstützung diverser Partner. Mit einem Vermittlungsprogramm, das Kindern und Jugendlichen die grossen Acts der bee-flat-Bühne in greifbare Nähe bringt und dabei Möglichkeit zu Interaktion bietet, sowie der Carte-BlancheReihe, die pro Saison einer Musikerin oder einem Musiker freie Hand lässt, soll bee-flat zu einem Ort werden, an dem Musik nicht nur gehört, sondern erlebt wird. Die Verknüpfung von politischen Inhalten und musikalischen Zusammenhängen geniesst bei der Programm-

gestaltung — ob es sich dabei um ein experimentelles Projekt aus Nairobi oder eine Jazz-Legende aus Kalifornien handelt — einen hohen Stellenwert. « Global Sounds — Culture Hug — Very Central » — unter diesem Credo holt bee-flat spannende und innovative musikalische Projekte aus Bern und der ganzen Schweiz sowie aus internationalen Hotspots in Europa, dem Maghreb, Südamerika, dem Mittleren Osten oder Subsahara-Afrika in die Turnhalle. Für das Publikum, die Musikerinnen und Musiker und die Mitarbeitenden will bee-flat ein warmes und gastfreundliches Ambiente schaffen, damit der gemeinsame Nenner — die Leidenschaft und das Brennen für Musik — im bestmöglichen Rahmen erlebt werden kann. Doch auch in der Turnhalle wurde es letztes Jahr coronabedingt still. Wo sonst von Oktober bis Mai zweimal wöchentlich teils laute und wilde, teils sanfte und besonnene Töne erklingen, herrscht nun gähnende Leere. In einer im Frühling 2020 durchgeführten Umfrage wurde das Publikum unter anderem gebeten, bee-flat inhaltlich einzuordnen. Die Antworten reichten von « musikalische Diversität, qualitativ hochwertiges Programm, origineller Konzertrahmen », « Entdeckungen abseits des Mainstreams » und « breites Spektrum von verschiedenen Stilen » bis zu « für mich ist kein klares Profil ersichtlich ». So schmerzlich die wilden Nächte, das Gewusel und die Gespräche vermisst werden: Ruhe bietet auch Raum für Neues. Es ist die richtige Zeit, um nach vorne und gleichzeitig hinter die Kulissen zu blicken, den Betrieb zu durchleuchten, um das Schiff bee-flat weitere 20 Jahre sicher durch die turbulenten Gewässer zu steuern. b Lula Pergoletti, Leiterin Kommunikation

FAKA am 14. November 2018 im PROGR. © Susanne Keller

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Forum

Engagement Migros Text von Pablo Villars

Mittendrin statt nur dabei

Warum Museen stärker auf ihr Publikum hören sollten

Scouts von Engagement Migros aktiv nach pionierhaften Projekten mit gesellschaftlichem Nutzen ( Gesuche werden dabei nicht entgegengenommen ). Neben dem Themenfeld Museen & Publikum stehen Bereiche wie Mobilität, Ernährung oder Kreislaufwirtschaft im Fokus. Aktuell werden neun Projekte gefördert, die Museen darin unterstützen, näher an ihr Publikum zu rücken, neue Wege des Austausches zu erproben und sich in der Mitte der Gesellschaft neu zu ( er )finden. Dafür ist in vielen Fällen Digitalisierung ein Mittel — jedoch nie Selbstzweck —, wie die folgenden Beispiele zeigen:

Mit der muse-App können Museumsbesucher:innen ihre Eindrücke zur Ausstellung teilen. Bild: Sarah Kenderdine

paul & ich ist eines von neun Projekten, die der Förderfonds En­ gagement Migros im Museumsbereich unterstützt. Alle Projekte zielen darauf ab, Museen direkter mit ihrem Publikum zu verbinden. Während paul & ich dafür den Dialog mit der Nachbarschaft sucht, haben andere Projekte einen spielerischen Ansatz oder laden das Publikum ein, einmal selbst Kurator:in zu sein. Mit der weltweit grössten Sammlung des Künstlers Paul Klee zieht das Zentrum Paul Klee ein internationales Publikum an. Um aber ein lebendiger Kultur- und Begegnungsort zu sein, ist der Einbezug der lokalen Bevölkerung für das Museum mindestens genauso wichtig. Im Rahmen des Projekts paul & ich werden deshalb Quartiervereine, Schulen und Nachbar:innen eingeladen, ihre Wünsche und Ideen einzubringen. So entstehen gemeinsame Aktionen wie ein Laternenfest oder ein Gemeinschaftsgartenprojekt ( siehe Artikel auf Seite 24 ). Die dreijährige Projektlaufzeit von paul&ich wird durch den Förderfonds Engagement Migros ermöglicht. Der Fonds ergänzt seit 2012 das freiwillige gesellschaftliche Engagement des MigrosKulturprozents. In insgesamt sieben Themenfeldern suchen die

Spiele eröffnen neue Perspektiven Mord, Flirts und Hammerschlag — wer hätte dies im Museum ver­mutet? Das Pionierprojekt games@museums wählt einen un­ konventionellen Ansatz, um ein neues Publikum für Museen zu begeistern: Mit digitalen Spielen können Dauerausstellungen und Sammlungsinhalte interaktiv erfahrbar gemacht und Exponate aus einem überraschenden Blickwinkel neu betrachtet werden. In Kooperation mit zwei Kunsthochschulen wurden drei Spiele ent­wickelt, die bereits in einer Handvoll Museen zu finden sind — vielleicht auch bald in einem Museum in Ihrer Nähe. Museum öffnet sich für Alltagsgeschichten Mit dem Fundbüro für Erinnerungen beschreitet das Alpine Museum der Schweiz neue Wege: Es lädt die Bevölkerung ein, mit ihren Geschichten, Erinnerungen und persönlichen Objekten Teil der Museumssammlung zu werden. So öffnet sich das Museum den Alltagsexpert:innen und bietet neue Zugänge zur Sammlung. Der Ausstellungsraum in Bern lädt zur Interaktion mit den «crowd­ gesourcten» Exponaten ein. Die Gefühlswelt in einer App festhalten muse erlaubt es Museen, ihrem Publikum ganz genau zuzuhören. Statt staubtrockener Klemmbrett-Befragungen erhalten Be­ sucher:innen iPads mit einer an der EPFL entwickelten App, um etwa ihr Lieblingsexponat zu fotografieren oder ihre Gefühlswelt nach dem Museumsbesuch zeichnerisch auszudrücken. Die Daten, welche die Museen so erheben, zeigen ein genaues Bild der Demografie, Motivationen und Emotionen des Publikums. Damit können künftige Ausstellungen noch packender und publikumsnaher gestaltet werden. b Pablo Villars, Projektleiter bei Engagement Migros Auf www.engagement-migros.ch sind weitere geförderte Projekte zu finden. Dazu zählt auch digitorials.ch, mit dem das Zentrum Paul Klee zur aktuellen Ausstellung Mapping Klee ein Digitorial realisiert hat: Auf www.mappingklee.zpk.org sind Sie eingeladen, online in Klees Universum einzutauchen.

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Kalender Kunstmuseum Bern

Grenzgänge — Nord- und südkorea­ nische Kunst aus der Sammlung Sigg 30.04.—05.09.2021 August Gaul. Moderne Tiere 04.06.—24.10.2021 Zentrum Paul Klee

Riesen=Schöpfung. Die Welt von Adolf Wölfli 21.05.—15.08.2021 In memoriam Aljoscha Ségard 02.07.—22.08.2021 Paul Klee. Menschen unter sich 29.08.2021—22.05.2022

Mapping Klee bis 25. April 2021 Aufbruch ohne Ziel. Annemarie Schwarzenbach als Fotografin bis 9. Mai 2021 Paul Klee. Ich will nichts wissen 08.05.—29.08.2021 38

Meisterkonzerte Harriet Krijgh, Violoncello & Magda Amara, Klavier Sonntag, 25. April 2021 Sandro Roy, Violine & Sandro Roy Unity Band Sonntag, 20. Juni 2021 Núrial Rial, Sopran & Artemandoline Sonntag, 27. Juni 2021

Lesungen Jakob Nolte liest aus Kurzes Buch über Tobias Sonntag, 18. April 2021 11 Uhr Sharon Dodua Otoo liest aus Adas Raum Sonntag, 9. Mai 2021 11 Uhr

Marie-Claude Chappuis, Mezzosopran & Friends Sonntag, 22. August 2021

Dana Grigorcea liest aus Die nicht sterben Sonntag, 13. Juni 2021 11 Uhr

Gautier Capuçon, Violoncello Sonntag, 12. September 2021

Änderungen vorbehalten: www.zpk.org


More to See Sehen oder UND E-Sehen (das ist keine Frage mehr)

Kunst am Bau

Digitale Ausstellung

Selina Reber: Kunst und Bau ALLE(S), Erweiterungsneubau Volksschule Spitalacker Bern, 2020

Von der Renaissance bis zum 20. Jahr­ hundert. Meisterwerke der Malerei aus den französischen Museen

Während kulturelle Aktivitäten pandemiebedingt nur eingeschränkt möglich sind, bietet das Erkunden des Aussenraums eine willkommene Alter­native. Kunst im öffentlichen Raum lässt sich in Bern zu Genüge finden, sei es mithilfe des Online-Angebots der Stadt Bern (www.bern.ch/kunstspaziergaenge) oder auf eigene Faust. So etwa das Kunst und Bau-Projekt ALLE(S) der Berner Künstlerin Selina Reber für den im Herbst 2020 fertiggestellten Erweiterungsbau (Kast Kaeppeli Architekten) des Spitalacker-Schulhauses im Breiten­ rain-Quartier. Ein Schriftbild an der zum Pausenplatz orientierten Fassade zeigt untereinander die acht Personalpronomen ICH, DU, ER, SIE, ES, WIR, IHR, SIE, die tagsüber gesamthaft in Erscheinung treten und in der Dämmerung, gesteuert von einer komplexen Dramaturgie, alternierend hinterleuchtet sind. Der zweite Teil des Kunstprojekts befindet sich im Innern des Gebäudes: Dort haben sich piktogrammartige Figuren, die Reber aus den Buchstaben der Aussenwand erschaffen hat, auf allen fünf Stockwerken eingenistet. Passend zur Schule als Ort des Lernens und sozialen Austauschs spielt das Werk poetisch auf die Grundlagen des Spracherwerbs, aber auch auf wechselnde Zugehörigkeitsgefühle an.

Fernweh? «Joie de vivre» kommt beim Besuch der virtuellen MeisterwerkeAusstellung des Universal Museum of Art (UMA) auf. Die Ausstellung lädt zu einer knapp sechs Jahrhunderte umspannenden Kunstreise ein — von den grossen Meistern der Renaissance bis zu den ersten Impressionisten. Im Fokus stehen die grössten künstlerischen Entwicklungen, Epochen und Schulen. Nicht weniger als 64 namhafte französische Museen arbeiten im Hintergrund dieser digitalen Schau zusammen, die einen tiefen Einblick in die französischen Kunstsammlungen gewährt. Der 3D-Rundgang ist frei gestaltbar und über alle internetfähigen Geräte kostenlos zugänglich. Ausgewählte, hochauflösend abgebildete Gemälde sind mit vertiefenden Saaltexten in französischer Sprache versehen. Übrigens, wollte man alle Kunstwerke persönlich bestaunen, bräuchte es ganze 58 Städtetrips! Bleibt also nur noch zu sagen: Bon voyage! Empfohlen von Marie Isabel Meyer de Christo Mitarbeiterin Marketing Kunstmuseum Bern — Zentrum Paul Klee www.the-uma.org

Empfohlen von Magdalena Schindler Leitungsteam Kunstvermittlung Kunstmuseum Bern

Selina Reber, Kunst und Bau ALLE(S), 2020, N-Fassade Erweiterungsneubau Volksschule Spitalacker Bern (Kast Kaeppeli Architekten), Foto: Selina Reber

De la renaissance au XXe siècle. Les chefs-d’œuvre de la peinture dans les musées français, Vue d’exposition © UMA

Wir erleben im Moment eine Zeit, in der auf ziemlich radikale Art und Weise neu definiert wird, was kulturelle Institutionen sind und wie sie funktionieren. Es ist durchaus möglich, dass Museen, Theater, sogar Universitäten, wie wir sie heute kennen, in einer Realität nach der Pandemie (wann auch immer sie sein mag, wenn überhaupt) neue Wege werden finden müssen, wie das gemeinsame Erleben des Hier und Jetzt stattfinden kann: also REALE Erlebnisse in einem DIGITALEN Universum schaffen. Das mag sich futuristisch anhören (manche werden sagen: fatalistisch), aber es ist wesentlich, zu fragen, was das für Kunst, Wissenschaft und die zukünftige Gemeinschaft bedeutet. Wenn ich mir die kulturellen Programme der zweiten Jahreshälfte anschaue, bin ich versucht, mir vorzustellen, dass wir wieder mehr oder weniger unbesorgt reisen und Ausstellungen in Brüssel (Rebecca H. Quaytman im Kulturzentrum WIELS), Aalborg (Toyin Ojih Odutola im Kunsten Museum of Modern Art), München (Patricia L. Boyd im Kunstverein), London (gross­artig: Zanele Muholi und später Lubaina Himid in der Tate Modern), Warschau (Agnieszka Polska im Museum of Modern Art), Paris (die filmische Retrospektive von Kelly Reichardt im Rahmen des Festivals Hors Pistes und Sophie Riestelhueber in der Galerie Jérôme Poggi) oder gar Chicago (Christina Quarles im MCA) besuchen können. Falls das Reisen weiterhin riskant oder nur eingeschränkt möglich bleibt, gibt es aber auch in der Nähe «More to See»: zum Beispiel Irena Haiduk und die Initiative for Trade Aesthetics in der Kunsthalle Sankt Gallen, Miriam Cahn im Palazzo Castelmur oder Lorenza Longhi in der Kunsthalle Zürich. Persönlich werde ich das vertiefen, was ich im letzten Jahr gemacht habe: Den Künstler:innen noch mehr zuhören. Ich werde ihre E-Projekte, E-Talks und E-Seminare verfolgen, weil ich gespannt bin auf ihre Diagnosen und Intuitionen, die in Zeiten des Wandels umso relevanter sind. Darunter der in Berlin wohnhafte Künstler Jesse Darling, der sich für Gebrochenes, Untaugliches, Defektes interessiert — dafür, was es heisst, in der Welt ein (instabiler und verletzlicher) Körper zu sein. Sehr zeitgemäss. Marta Dziewańska Kuratorin Kunstmuseum Bern

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Agenda

Kunsthalle Bern Lose Enden 27.03.—16.05.2021 Mit Mitchell Anderson, Tina Brägger, Leidy Churchman, Paul Czerlitzki, Georgia Gardner Gray, Julia Haller, Annina Matter / Urs Zahn, Yoan Mudry, Vera Palme, Elif Saydam, Dominik Sittig und Hans Stalder. Helvetiaplatz 1, 3005 Bern www.kunsthalle-bern.ch

Kunsthaus Langenthal H.o.Me. — Heim für obsolete Medien Kiefer Hablitzel | Göhner Kunstpreis 2020 04.03.—20.06.2021 Kassetten, Schallplatten, Super 8. Der «bricoleur universel» Flo Kaufmann hat in einer Gebrauchssammlung hunderte obsolete Medien zusammengetragen. Gäste aus Kunst und Musik lassen daraus neue Werke entstehen. Parallel werden Arbeiten der Nominierten für den bedeutenden Kiefer Hablitzel | Göhner Kunstpreis 2020 gezeigt.

Musée des beaux-arts Le Locle Montagne Magique Mystique. Trésors des collections suisses de photographie 07.05.—08.11.2021 Montagne Magique Mystique umfasst mehr als 200 Originalfotografien und Alben, die zwischen den 1840er- und 1940er-Jahren entstanden sind. 18 öffentliche und private Schweizer Fotosammlungen nehmen an der Ausstellung teil. Marie-Anne-Calame 6, 2400 Le Locle www.mbal.ch

Marktgasse 13, 4900 Langenthal www.kunsthauslangenthal.ch

Kunsthaus Centre d’art Pasquart Biel/Bienne Nilbar Güreş – Sour as a Lemon 18.04.—03.06.2021 Nilbar Güreş’ künstlerisches Werk setzt sich mit gesellschaftlichen Fragestellungen wie Interkulturalität oder queeren Lebensweisen auseinander und beleuchtet Möglichkeiten einer offenen Gesellschaft. Die Künstlerin bedient sich verschiedenster Medien wie Malerei, Fotografie, Film, Performance, Collage oder Zeichnung und schafft eigens für die Ausstellung neue Textilskulpturen. Seevorstadt 71, Faubourg du Lac, 2502 Biel/Bienne www.pasquart.ch

Oben: Tina Brägger, She said it not me, 2020, Öl auf Leinwand, 195 × 145 cm

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Unten: Nilbar Güreş, The Submarine, 2018, Detail, Mischtechnik auf Stoff, 94 × 166 cm, Courtesy the artist and Galerist, Foto: Reha Arcan

Kunstmuseum Thun Ernst Ramseier: Kopflandschaften 06.03—16.05.2021 Der Künstler Ernst Ramseier (*1936, Langnau im Emmental, †2020, Unterseen) war Maler, Grafiker und Lyriker. Seine ausdrucksstarken Darstellungen von Einzel­figuren und dichten Menschen­ gruppen sind einprägsam und eigen. Die Charakterköpfe blicken frontal auf den Betrachter; sie irritieren und faszinieren zugleich. Hofstettenstrasse 14, 3602 Thun www.kunstmuseumthun.ch

Oben: Flo Kaufmann, H.o.Me.— Heim für obsolete Medien, 2021, Ausstellungsansicht Kunsthaus Langenthal, Foto: Martina Flury Witschi, Courtesy of the Artist

Unten: Ernst Ramseier Die Zuhälter, o. D., Holzschnitt, 75,3 × 105,5 cm, Kunstmuseum Thun, Schenkung des Künstlers, Foto: Christian Helmle

Musée jurassien des Arts Moutier Line Marquis 17.04.—05.06.2021 In ihren aktuellsten Gemälden interpretiert Line Marquis Themen im Zusammenhang mit Vorfahren im Licht einer aktuellen Fragestellung. Mit ihren Jungfrauen mit Kind oder ihren Pietàs befragt sie die Elternschaft als eine Verbindung, die das Leben im Kontext einer Welt im Verfall poetisieren kann. Rue Centrale 4, 2740 Moutier www.musee-moutier.ch

Oben: Georges Tairraz II, Traversée de l’aiguille du Midi à l’aiguille du Plan, Massif du Mont-Blanc, 1932, épreuve au gélatino-bromure d’argent. © Collection Crispini, Genève

Unten: Line Marquis, Vierge à l’enfant, 2020 © l’artiste


Agenda

Museum Franz Gertsch Groups and Spots. Zeitgenössische Kunst bei der Baloise 20.03.—29.08.2021 Erstmals wird in einer gross angelegten Museumsausstellung eine Auswahl von über 250 Werken aus der Baloise Sammlung gezeigt. Es handelt sich um zeitgenössische Fotografie und Arbeiten auf Papier von 40 Künstler:innen aus dem In- und Ausland. Zudem konnten beide Ausstellungen der letzten Saison verlängert werden. Platanenstrasse 3, 3400 Burgdorf www.museum-franzgertsch.ch

Stadtgalerie Yannic Joray. Museum of Saucerology 20.05.—10.07.2021 In seiner ersten institutionellen Einzelausstellung wird die Stadtgalerie von Yannic Joray zu einer Art anthropologischem Provinzmuseum umgedeutet. In seiner Recherche und dem begleitenden Text zeichnet er eine Geschichte der Ufologie nach, die sich als Kontinuität von europäischem Okkultismus, Angelologie und protestantischer Apokalyptik verstehen lässt: Engel werden zu Aliens. PROGR, Waisenhausplatz 30, 3011 Bern www.stadtgalerie.ch Unten: Yannic Joray, Oben: Sara Cwynar, Tracy Kingdom of Nye, 2020, (Cézanne), 2017, ThermoGipsguss, drahtloser Lautdruck auf Aluminium auf sprecher, Loop (Giorgio Dibond, Dye sublimation Moroder-Chase, 13:06, print on aluminium mounted 1978), Ausstellungsansicht, on Dibond, 109,2 × 137,2 cm, Sommer des Zögerns, Baloise Sammlung, Baloise Kunsthalle Zürich, Collection © Sara Cwynar Foto courtesy the artist

Centre culturel suisse Paris MANON 09.05.—08.07.2021 Auf subversive Art und Weise thematisiert die Schweizer Künstlerin und Pionierin der Performancekunst seit den 1970er-Jahren gesellschaftlichen Wandel, Feminismus und die sexuelle Revolution. Im Spiegel der gegenwärtigen Debatten rund um die Fragen von sexueller Identität und Selbstbestimmung erscheint ihr Werk aktueller denn je. 32—38 rue des Francs-Bourgeois, 75003 Paris www.ccsparis.com

Kunstmuseum Luzern Rinus Van de Velde. I’d rather stay at home, … 20.02—20.06.2021 Während seine Helden unterwegs sind, im Cabriolet über die Alpen, durch einen Schacht ins Meer oder einsam im Wald mit einem ganzen Spanferkel über dem Feuer, bleibt Rinus Van de Velde (*1983) am liebsten in seinem Atelier. Mit seinen Filmen, Kartonkulissen und Styroporobjekten baut er ein wundersames Universum, in dem sich Figuren und Publikum gleichermassen verstricken. Europaplatz 1, 6002 Luzern www.kunstmuseumluzern.ch

Kunst Museum Winterthur

Museo d’arte della Svizzera italiana

Bethan Huws Works on Paper / Word Vitrines 17.04.—05.09.2021

Meisterwerke der modernen Fotografie 1900—1940 25.04.—01.08.2021

Die Ausstellung konzentriert sich auf zwei wesentliche Aspekte im multimedialen und konzeptuellen Œuvre der walisischen Künstlerin Bethan Huws: Ihre von unvergleichlicher Zartheit, Verletzlichkeit und Erinnerung geprägten Aquarelle und die komplexen Sprachbilder der Word Vitrines.

Gezeigt wird eine Auswahl von über 200 Aufnahmen aus der vom Museum of Modern Art New York erworbenen Sammlung von Thomas Walther, die zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg entstanden sind. Mit Arbeiten von herausragenden Fotograf:innen wie Man Ray, Berenice Abbott, Aleksandr Rodchenko, Henri Cartier-Bresson, Alfred Stieglitz, Paul Strand und El Lissitzky.

Beim Stadthaus & Reinhart am Stadtgarten, 8400 Winterthur. www.kmw.ch

Oben: Manon, La dame au crâne rasé, série photographique, 1977—78, Courtesy de l’artiste

Unten: Bethan Huws, Ohne Titel, 1997, Kunst Museum Winterthur, Dauerleihgabe des Galerievereins, Freunde Kunst Museum Winterthur, 2020, © 2021, ProLitteris, Zurich

via Canova 10, 6900 Lugano www.masilugano.ch Oben: Rinus Van de Velde, La Ruta Natural, 2019— 2021, Video, Courtesy of the artist and Tim Van Laere Gallery, Antwerpen

Unten: Albert RengerPatzsch, Pitmen’s houses in Essen, Stoppenberg, 1929, © 2021 / Artists Rights Society, New York / VG Bild-Kunst, Germany, Digital Image © 2021 The Museum of Modern Art, New York

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Membership

Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt in Bern

Boris Shershenkov, Soundkünstler aus Sankt Petersburg, aktuell als Gastkünstler im PROGR, Foto: Ivan Chelovekov

Das Atelierhaus PROGR beherbergt nicht nur die 200 Kunstschaffenden, die dauerhaft eingemietet sind. Über 100 Künstlerinnen und Künstler aus allen Kontinenten der Welt waren schon zu Gast in der Dachwohnung des Vereins Residency.ch. Seit 2012 bietet der Verein Residency.ch Kunstschaffenden aus aller Welt die Möglichkeit, für ein bis drei Monate in Bern leben und arbeiten zu können. Co-Präsident des Vereins ist der Videokünstler Peter Aerschmann. Er war Gründungspräsident der Stiftung PROGR und hat bis heute sein Atelier im ehemaligen Berner Progymnasium.

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Wie kam es zur Gründung von Residency.ch? In der Zeit der Zwischennutzung des PROGR wurPETER AERSCHMANN den die zwei Dachwohnungen bereits als Künstlerresidenzen genutzt. Trägerin war damals die Stadt Bern. Als die Stadt beschlossen hat, aus finanziellen Gründen nur noch eine Wohnung zu betreiben, brauchte es eine Lösung für die Weiterführung der Wohnung im Westflügel. Persönlich profitierte ich enorm vom Austausch mit den Gastkünstlerinnen und -künstlern. Daher war es für mich klar, mich dafür einzusetzen. Wie ist es gelungen, den Weiterbetrieb zu sichern? OA Es war ein grosser Glücksfall, dass sich der Mäzen Hansjörg Wyss PA für die Idee begeistern liess. Seine Stiftung GegenwART ist bis heute unsere Hauptsponsorin, die uns ermöglicht, die Mietkosten für die Wohnung zu tragen. Wie werden die Künstlerinnen und Künstler ausgewählt? OA Wir brauchen dafür keine eigentliche Jury, sondern arbeiten mit PA befreundeten Kulturorganisationen in verschiedenen Ländern zusammen. Sie machen die Ausschreibung und Jurierung im jeweiligen Land. Einige unserer Gäste werden auch von Pro Helvetia ausgewählt. Ein Vorteil des Standorts Bern ist, dass die Botschaften hier vor Ort sind und regelmässig auch ihre Kunstschaffenden für einen Auslandaufenthalt unterstützen. Wie laufen die Aufenthalte ab? OA OLIVIER AEBISCHER

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Im Vordergrund steht, den Kunstschaffenden Zeit zu geben, sich in Ruhe und konzentriert ihrer Arbeit zu widmen. Wir pflegen aber auch aktiv den Austausch und machen immer in den ersten Wochen ein Open Studio, bei dem die Artists in Residence ihre Arbeit dem interessierten Publikum vorstellen. Diese Anlässe sind öffentlich. Selber verfügen wir über keine Ausstellungsräume, aber manchmal gelingt eine Vermittlung für einen Berner Kunstraum. Was bleibt von diesem Austausch, oder anders gefragt: Wie nachhaltig sind die Gastaufenthalte? In den neun Jahren ist ein grosses Netzwerk entstanden, das immer noch wächst. Die Kontakte blieben über all die Jahre aktiv. Es kommt immer wieder zu Folgeprojekten oder manchmal zu Einladungen von Berner Kunstschaffenden in die Heimatländer der ehemaligen Gäste. Eine grosse Motivation für mich ist es, immer wieder mitzuerleben, wie Kunst einen echten Beitrag zur internationalen Verständigung leistet. Ist es in Zeiten der Corona-Pandemie noch realistisch, Gäste aus aller Welt zu beherbergen? Zu meiner eigenen Überraschung war es auch in dieser Zeit immer möglich, die Wohnung einem Gast zur Verfügung zu stellen. Natürlich wurde vieles komplizierter mit Einreise- und Quarantänebestimmungen. Oft mussten wir kurzfristig jemand anderen finden. Zum Beispiel konnte eine junge peruanische Installationskünstlerin nicht reisen, sodass wir schliesslich eine Konzept-Künstlerin aus Deutschland eingeladen haben. Ich bin überzeugt, dass es gerade jetzt, wo sich alle abschotten, umso wichtiger ist, solche Austauschprojekte unbedingt zu erhalten.

b Olivier Aebischer, Kunstkommunikation_Kommunikationskunst b Peter Aerschmann, Co-Präsident des Vereins Residency.ch


Membership Verein der Freunde Kunstmuseum Bern

Freunde ZPK

Bernische Kunstgesellschaft BKG

Berner Kunstfonds

Die Mitglieder des Vereins der Freunde Kunstmuseum Bern leisten einen wertvollen Beitrag an das Museum und an das Berner Kunstleben. Der Verein erwirbt mit den Beiträgen seiner Mitglieder hauptsächlich Kunstwerke für das Museum und rundet damit die Sammlung in ihren Schwerpunkten ab.

Als Freund:in des Zentrum Paul Klee profitie­­ren Mitglieder von freiem Eintritt in alle Ausstellungen, umfassenden Informationen über die viel­ fältigen Aktivitäten des Zentrum Paul Klee und exklusiven Einblicken.

Die BKG fördert das Verständnis für die zeitgenössische Kunst und unterstützt insbesondere begabte junge Kunstschaffende, das Kunstmuseum Bern sowie die Kunsthalle Bern. Die BKG veranstaltet Führungen in Ausstellungen und organisiert Kunstreisen, Atelierbesuche und Vorträge. Jährlich vergibt sie mit dem Louise Aeschlimann und Margareta Corti-Stipendium den höchstdotierten privaten Kunstpreis der Schweiz. Im Jahr 1813 gegründet, gehört die BKG zu den ältesten In­ stitutionen, die sich in der Schweiz der Kunstförderung widmen.

1993 wurde der Berner Kunstfonds durch den Verein der Freunde Kunstmuseum Bern, die Bernische Kunstgesellschaft BKG und die Kunsthalle Bern gegründet, um die Be­ ziehungen zu Mäzen:innen und Sponsor:innen auf privatwirtschaftlicher Basis zu pflegen und zu koordinieren. Die Mitglieder leisten jährlich mit rund CHF 90 000 einen wichtigen Beitrag zur Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Kunstmuseum Bern und Kunsthalle Bern sowie zur Kunst­vermittlung und zum Kunstleben. Der Berner Kunstfonds zählt an die 60 Mit­ glieder (Private, Firmen und Institutionen).

Mitglieder profitieren von di­ ver­­sen Vergünstigungen, Einladungen zu Eröffnungen und exklusiven Veranstal­ tungen. Zudem erhalten sie freien Eintritt in die Sammlung und Wechselausstellungen des Kunstmuseum Bern und Zentrum Paul Klee. Mehr Infos unter www.kunstmuseumbern.ch/ vereinderfreunde Verein der Freunde Kunstmuseum Bern Hodlerstrasse 8—12 3011 Bern +41 31 328 09 44 member@kunstmuseumbern.ch

Zudem leisten Mitglieder einen wichtigen Beitrag an ein in der Schweiz einzigartiges Kunst- und Kulturzentrum. Mehr Infos unter www.zpk.org/freunde Freunde Zentrum Paul Klee Monument im Fruchtland 3 3006 Bern +41 31 359 01 01 freunde@zpk.org

Den Mitgliedern bietet die BKG freien Eintritt in die Sammlung und Wechselausstellungen des Kunstmuseum Bern und Zentrum Paul Klee.

Mehr Infos unter www.kunstmuseumbern.ch/ bernerkunstfonds

Mehr Infos zu den exklusiven Angeboten für BKG-Mitglieder unter www.kunstgesellschaft.ch

Berner Kunstfonds Hodlerstrasse 8—12 3011 Bern +41 31 328 09 44 member@kunstmuseumbern.ch

Bernische Kunstgesell­schaft BKG Hodlerstrasse 8—12 3011 Bern 7 +41 31 328 09 44 info@kunstgesellschaft.ch

Kunsteinsicht Das gemeinsame Magazin von Kunstmuseum Bern und Zentrum Paul Klee, info@kunsteinsichtbern.ch. HERAUSGEBER: Kunstmuseum Bern, Hodlerstrasse 8—12, 3011 Bern, www.kunstmuseumbern.ch. Zentrum Paul Klee, Monument im Fruchtland 3, 3006 Bern, www.zpk.org. Gegründet von Maurice E. und Martha Müller sowie den Erben Paul Klee. REDAKTION: Martina Witschi, Thomas Soraperra. KORREKTORAT: Gila Strobel. AUFLAGE: 11 000 Ex., erscheint 2-mal jährlich. BEZUG: In der Jahresmitgliedschaft der Gönnervereine enthalten, aufgelegt im Kunstmuseum Bern und Zentrum Paul Klee. GESTALTUNG: www.salzmanngertsch.com. DRUCK: www.staempfli.com. INSERATE: Willy Beutler, +41 31 300 63 82, willy.beutler@staempfli.com und Adrian Weber, +41 31 300 63 88, adrian.weber@staempfli.com. UNTERSTÜTZUNG: Wir bedanken uns für die grosszügige Unterstützung beim Verein der Freunde Kunstmuseum Bern und der Bernischen Kunstgesellschaft BKG. TITELBILD: Rhaomi, Theater State II, 2019, Pigment auf Koreanischem Papier, 130 × 170 cm, © The artist, Foto: Sigg Collection, Mauensee

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Augenblicke

b Maisernte im FRUCHT-

LAND. Jede Saison baut das Pächterpaar Krähenbühl eine andere Kultur rund um das Zentrum Paul Klee an, sodass der Boden geschont wird.

b   Happy Birthday!

Mit einem Adventsfenster anlässlich Paul Klees Geburtstag hat sich das Zentrum Paul Klee an der Aktion im Quartier beteiligt.

b Direktorin Nina Zimmer

führt digital durch die Ausstellung Tools for Utopia. Ausgewählte Werke der Daros Latinamerica Collection. www.youtube. com/kunstmuseumbern

b   Mitarbeitendenanlass

in Zeiten von Corona: Live­stream aus dem Auditorium ins Homeoffice der Kolleg:innen des Kunstmuseum Bern, Zentrum Paul Klee und Kindermuseum Creaviva.

b   Der Gemeinderat der

Stadt Bern kommt im Dezember im Zentrum Paul Klee zur Sitzung zusammen. Begrüsst wurde er von Stiftungsratspräsident Jonathan Gimmel, Direktorin Nina Zimmer, dem Kaufmännischen Direktor Thomas Soraperra und Kurator Martin Waldmeier.

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Augenblicke  b Kuratorin Kathleen

Bühler bespricht in einer digitalen Führung durch die Ausstellung Crazy, Cruel and Full of Love das Werk Oylen von Francisco Sierra. www.youtube.com/ kunstmuseumbern

b   Museum im Dorn­

röschenschlaf. Die Ausstellung Aufbruch ohne Ziel. Annemarie Schwarzenbach als Fotografin wartet während des zweiten Lockdowns auf Besucher:innen.

b Konzertgenuss für da-

heim: Liveübertragung des Konzerts der Camerata Bern aus dem Auditorium Martha Müller.

b   Endlich wieder Füh­

rungen: Via Zoom kommt das Zentrum Paul Klee live ins Wohnzimmer.

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Nachruf

Alexander Klee (1940—2021)

Foto: Monika Flückiger

In dem Jahr, in dem Paul Klee starb, wurde Alexander Klee in Sofia geboren. Ende der 1940er-Jahre liess sich die Familie in der Schweiz nieder. Alexander Klee machte später eine Lehre als Fotograf, arbeitete als Pressefotograf und Buchhändler. Seit Mitte der 1970erJahre unterstützte Alexander Klee seinen Vater Felix Klee, den Sohn von Paul und Lily Klee, bei der Verwaltung der Sammlung der Familie Klee und engagierte sich im Stiftungsrat der Paul KleeStiftung, deren Präsident er von 1990 bis 2004 war. Seine Idee war es auch, in Bern ein Paul Klee gewidmetes Museum zu errich­ten. Als diese Idee 2005 mit dem Bau des Zentrum Paul Klee Realität wurde, unterstützte Alexander Klee das Haus mit einer grosszügigen Schenkung wertvoller Archivalien aus dem Besitz der Familie, die er gemeinsam mit seiner Stiefmutter Livia Klee-Meyer ausrichtete. Alexander Klee ist also nicht nur Enkel des grossen Meisters der Moderne, sondern Mitbegründer, ja Miterfinder des weltweit bedeutendsten Kompetenzzentrums zu Paul Klees Leben und Schaffen. Während Alexander Klee als Vertreter der Familie Klee das Zentrum Paul Klee seit 2005 mit Wohlwollen und unermüdlichem Einsatz begleitete und förderte, ging er unter dem Pseudonym Aljoscha Ségard künstlerisch bereits ab den 1970er-Jahren eigene Wege. Mit seinem Grossvater ist er auch künstlerisch verbunden, jedoch in ganz eigener ästhetischer Ausprägung: in seinen Arbeiten finden sich das Hintersinnige, das Witzig-Poetische und die Freude am Zusammenspiel von Bild und Wort. Den Kern seines Schaffens bildet das Haiku-artige. Die Referenz auf die japanische Gedichtform, die durch ihre Kürze und Konkretheit besticht, kommt nicht von

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ungefähr: Die japanische Tradition war für Alexander Klee genauso wichtig wie die europäische. Wiederholt reiste er für längere Zeit nach Japan. Seine Hauptwerkgruppen der letzten Jahre, denen im Sommer im Zentrum Paul Klee eine Ausstellung gewidmet ist, die noch gemeinsam mit dem Künstler erarbeitet wurde, sind einerseits die Ding-Assemblagen. In ihnen lässt der Künstler, wie eben in einem Haiku, kleine Dinge zusammenkommen, die ihm im Alltag zufallen — seien dies Zettelchen, Strandgut oder Farbstiftstummel. Der zweite wichtige Werkstrang sind die Kohlezeichnungen aus rhythmisch gesetzten Linien, tiefschwarzen und Leerflächen, denen, wie auch den poetischen Werken Ségards, stets etwas Geheimnisvolles innewohnt.

BUCHSTABEN AUF EIN BLATT GEWORFEN IM SCHWINDENDEN LICHT EIN LETZTES GEDICHT. Aljoscha Ségard

In Alexander Klee verliert das Zentrum Paul Klee seinen Mitbegründer, einen grossen Freund und Förderer, und die Stadt Bern eine bedeutende Künstlerpersönlichkeit. Bleiben wird seine Kunst und die Erinnerung an seinen unabhängigen Geist, seinen kritischen Blick und seinen lebensklugen Humor.


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