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Inhalt

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Vorwort: 365/09  Daniela Schmeiser

Rückblick exit_09

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exit_09 DiplomandInnen 2009 der kunstschule.at

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Keine Kunst mehr  Stefan Broniowski Alumni

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1999 – 2009  Direktor Gerhard Hermanky

Olivia König, Gucci Buxbaum, Hannes Ressi, Steven Wyckoff

ELLI und die Bildungspolitik

Praktisches Wissen, Kreativität und das „lebenslange Lernen“ als neoliberaler Imperativ  Jens Kastner

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Lehrveranstaltungen und Projekte

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Alle Bildung ist politische Bildung  Birge Krondorfer

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peep show – Studierendenarbeiten der kunstschule.at

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Solidarität Lehrendenkollegium der kunstschule.at

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Reiche Eltern für Alle!

Bildungsproteste im Spiegel ihrer Slogans  Tom Waibel

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Zum visuellen Erscheinungsbild von 365/09

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Impressum l5


365/09 Das Jahr 2009 war für uns alle arbeitsintensiv, spannend und ereignisreich. Erstmals stellten wir im Februar unser Jahrbuch 366/08 der Öffentlichkeit in einer festlichen Veranstaltung mit Pressekonferenz, Ausstellung, Performance, mehreren Reden und einem gelungenen Buffet vor. Studierende sowie Lehrende, die daran ehrenamtlich mitwirkten, lernten wieder einmal, die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeiten auszudehnen. Ihnen allen gebührt unser Dank. Die Veranstaltung erfreute sich eines enormen Publikumsansturms. Daran zeigte sich, wie wichtig derlei Unternehmungen für die Wirkung der kunstschule.at in der Öffentlichkeit sind, doch noch wichtiger ist, daß Lehrende und Studierende diese mit all ihren Kräften unterstützen. Nicht nur die Jahrbuchpräsentation, auch unser Beitrag zur Best, der Tag der offenen Tür und Exit, die DiplomandInnenausstellung der kunstschule.at fanden ein noch nie dagewesenes Medienecho, sowie die neue Werkstätte „Comic und Animation“, die es seit dem Wintersemester 09/10 unter der Leitung von Gabriele Szekatsch, Robert Bozic, Walter Fröhlich und Thomas Renoldner gibt. Das Diplomstudium bietet Studierenden erstmals die Möglichkeit, sich praxisorientiert, theoretisch und experimentell mit der sequentiellen Kunst und Animation zu befassen. Neben den praktischen Fertigkeiten werden Entwicklungsgeschichte, Analysen


und Theorien über die Instrumentarien und Narrationstechniken vermittelt. Ziel des Diplomstudiums ist es, die Bereiche „Comic und Animation“ als interdisziplinär zugänglichen Forschungsgegenstand zu erfassen und experimentell weiter zu entwickeln. Der Schritt zu einer Diplomausbildung gilt für die junge KünstlerInnengeneration als „längst fällig“; für österreichische Verhältnisse ist die Einführung eines solchen Studiums als innovative Pionierleistung zu werten. Den umfangreichen Pressespiegel verdanken wir aber nicht nur unserer guten Arbeit, sondern in erster Linie „SKYunlimited“, unserer innovativen Medienagentur, bei der ich mich an dieser Stelle vor allem bei Sylvia Marz-Wagner für die kreative und inspirierende Kooperation herzlich bedanken möchte. Doch der Himmel über der kunstschule.at ist nicht nur ungetrübt blau, die Gewitterwolken verdichten sich. Seit mittlerweilen siebzehn Jahren bildet die kunstschule.at bei gleicher Qualität KünstlerInnen um ein zehntel der Kosten, die die Kunstuniversitäten verbrauchen, aus. Doch die Öffentlichkeit nimmt das nicht zur Kenntnis – nein, noch viel schlimmer: die kunstschule.at muß jedes Jahr einen neuen Subventionsantrag an die Stadt Wien stellen, was eine Variabilität der Subventionshöhe mit sich bringt und daher für die Planung einer innovativen Ausbildungsstätte, deren Studium vier Jahre umfaßt, eine unmögliche Situation darstellt. Wir bekommen auch keine schriftliche Zusage, die die Basis für einen Bankkredit wäre. Wir werden also vom

Subventionsgeber genötigt, unseren KundInnen falsche Hoffnungen zu machen: wir versprechen unseren Studierenden, wenn sie das Schulgeld zahlen und die geforderten Leistungen erbringen, daß sie nach acht Semestern ein Diplom erlangen können, wissen aber selbst nicht, ob es uns in einem Jahr überhaupt noch gibt. Statt dessen sollte uns nicht nur die Stadt Wien, sondern auch der Bund bevorzugt subventionieren, da unsere Studierenden nicht nur aus allen Bundesländern, sondern auch aus dem EU-Raum und darüber hinaus kommen. Wir erzielen mit viel Idealismus und ständiger Innovation um weniger Geld viel effizientere Ergebnisse als unsere Konkurrenz! In diesem Sinne nehmen wir uns für das Jahr 2010 vor, viel mehr Augenmerk auf uns zu lenken. Schluß mit Demut und Bescheidenheit: Seien wir realistisch, fordern wir das Unmögliche! Wir fordern mehr finanzielle Mittel, mehr öffentliche Aufmerksamkeit, Unabhängigkeit von der Wiener Volksbildung und ein eigenes Haus! Dr. Daniela Schmeiser, Öffentlichkeitsarbeit

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1999 – 2009 Zehn Jahre Direktor der kunstschule.at zu sein, veranlasst mich, einen kurzen Rückblick zu tätigen: Als ich vor dem Milleniumswechsel die Leitung der kunstschule.at übernahm, stand die Schule auf Grund der zu Beginn der 90er Jahre durchgeführten Reformen auf einer soliden Basis. Alle vorhergesagten Abstürze und Weltuntergangszenarien, die mit dem Jahrtausendwechsel assoziiert wurden, sind nicht eingetreten. Aber all das heißt nicht, dass keine Veränderungen und Innovationen stattgefunden hätten, die für die Institution notwendig waren. Als Meilenstein sehe ich die erneute Reform des Lehrangebots als Teil der Schulentwicklung in den einzelnen Werkstättenbereichen, dem Theoriebereich Studien, dem Laborbereich, den Kooperationen und Projektwochen, sowie dem Praxisbereich, wodurch auch externer Kompetenzerwerb für Studierende anrechenbar wurde. Das gesamte Studienangebot wurde in Form des neuen Studienführers zusammengeführt und die Summe des Lehrveranstaltungsangebots wurde deutlich erhöht. Ein weiterer Meilenstein war die Errichtung der Expositur, weil damit ein eigener Schulraum zur alleinigen Nutzung der kunstschule.at geschaffen und endlich Werkstätten Raum gegeben wurde. Im Gegensatz dazu weist die Doppelnutzung mit der Volkshochschule in der Lazarettgasse immer noch erhebliche Probleme auf. 8l

Die Adaptierung des Lehrangebots hat auch dazu geführt, neue Studienmöglichkeiten wie Animation, Trickfilm und Comic zu etablieren, was die kunstschule.at zum Vorreiter in der sequentiellen Kunstvermittlung macht. Studierende aus verschiedenen Bereichen nehmen verstärkt am internationalen Studienaustausch teil und werden auch zu Ausstellungen eingeladen, wie zur Graphikschau in Krakau oder zu Keramikpräsentationen in Italien. Die öffentliche Wahrnehmung der kunstschule.at hat sich in den letzten Jahren deutlich gesteigert, nicht nur weil auch im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit eine spürbare Professionalisierung stattgefunden hat, sondern auch durch das neu eingeführte Jahrbuch, welches die Qualität der Werke und Aktivitäten der kunstschule.at dokumentiert. Daher muß der Schulerhalter endlich über eine Besserstellung der kunstschule.at mit Verantwortlichen in ein Gespräch treten, aber auch über Visionen reden, wo die kunstschule.at in fünf oder zehn Jahren stehen soll! Gerhard Hermanky, Direktor


EXIT 09

Diplomausstellung der kunstschule.at Agnes Peschta Die Diplomausstellung der kunstschule.at zeigt jedes Jahr alle Diplomarbeiten und zwar in einer von den AbschließerInnen selbst konzipierten, öffentlichen Ausstellung. Der Prozess der Ausstellungsproduktion wurde in den letzten Jahren von einem DiplomandInnenseminar begleitet. Dieses unterstützt die Studierenden bezüglich aller praktischen und formalen Vorbereitungen der Ausstellung. Die Anzahl der Ausstellungsorte beeinflusst nicht die Tatsache, dass es sich um eine Diplomausstellung handelt, so wird gemeinsam um Förderungen angesucht, Sponsoren wurden angefragt und vor allem der öffentliche Auftritt gemeinsam gestaltet. Mit Unterstützung der Werkstätte Grafik Design werden jedes Jahr Printprodukte produziert, welche die gesamte Ausstellung der DiplomandInnen bewerben. Die Zusammenarbeit aller DiplomandInnen ist demnach in bestimmten Phasen der Vorbereitung von großer Bedeutung. Darüber hinaus sind die Studierenden je nach Ausstellungsgestaltung mit einer großen Bandbreite von Aufgaben konfrontiert, wie Bewerbung des Ortes, Technik, Veranstaltungen, Raumkonzept und vieles mehr. Diese ersten Erfahrungen in der selbständigen Ausstellungsproduktion bieten den DiplomandInnen realistische Einblicke in ihre Zukunft. Im Schuljahr 2008/2009 haben 26 DiplomandInnen – aus den Werkstätten Bildhauerei, Graphik, Grafik Design,

Interdisziplinäre Klasse, Malerei und prozessorientierte Kunstformen und Objektgestaltung und temporäre Raumkonzepte – an sieben verschiedenen Orten in vier Wiener Gemeindebezirken gleichzeitig ausgestellt. Einer dieser Ausstellungsorte muss hier besonders erwähnt werden: auf Initiative von Benjamin Steiner, Diplomand der Werkstatt Graphik, wurden die Wiener Schwimmbäder bezüglich einer Zurverfügungstellung von Ausstellungsräumen angefragt. Und aus der zunächst absurd erscheinenden Idee wurde ein großer Überraschungserfolg: Ein Garderobengebäude im Gänsehäufel wurde kostenlos zur Nutzung frei gegeben. Neunzehn Diplomarbeiten wurden dort ausgestellt. Kunst an einem Ort der Freizeitgestaltung zu zeigen, wurde als Herausforderung angenommen und gemeistert. Die Zeit der öffentlichen Diplomprüfungen gestaltete sich zu einem einwöchigen Event. Neben den Prüfungen fanden beinahe täglich Vernissagen statt. Das Finale war die Eröffnung der Gruppenausstellung im Gänsehäufel. Es war logistisch wirklich herausfordernd. Die StudentInnen haben für den Abschluss, die Exit ihr Bestes gegeben – und eine Meisterleistung vollbracht. Gratulation!


1999 – 2009

Zehn Jahre Direktor der kunstschule.at zu sein, veranlasst mich, einen kurzen Rückblick zu tätigen: Als ich vor dem Milleniumswechsel die Leitung der kunstschule.at übernahm, stand die Schule auf Grund der zu Beginn der 90er Jahre durchgeführten Reformen auf einer soliden Basis. Alle vorhergesagten Abstürze und Weltuntergangszenarien, die mit dem Jahrtausendwechsel assoziiert wurden, sind nicht eingetreten. Aber all das heißt nicht, dass keine Veränderungen und Innovationen stattgefunden hätten, die für die Institution notwendig waren. Als Meilenstein sehe ich die erneute Reform des Lehrangebots als Teil der Schulentwicklung in den einzelnen Werkstättenbereichen, dem Theoriebereich Studien, dem Laborbereich, den Kooperationen und Projektwochen, sowie dem Praxisbereich, wodurch auch externer Kompetenzerwerb für Studierende anrechenbar wurde. Das gesamte Studienangebot wurde in Form des neuen Studienführers zusammengeführt und die Summe des Lehrveranstaltungsangebots wurde deutlich erhöht. Ein weiterer Meilenstein war die Errichtung der Expositur, weil damit ein eigener Schulraum zur alleinigen Nutzung der kunstschule.at geschaffen und endlich Werkstätten Raum gegeben wurde. Im Gegensatz

dazu weist die Doppelnutzung mit der Volkshochschule in der Lazarettgasse immer noch erhebliche Probleme auf. Die Adaptierung des Lehrangebots hat auch dazu geführt, neue Studienmöglichkeiten wie Animation, Trickfilm und Comic zu etablieren, was die kunstschule.at zum Vorreiter in der sequentiellen Kunstvermittlung macht. Studierende aus verschiedenen Bereichen nehmen verstärkt am internationalen Studienaustausch teil und werden auch zu Ausstellungen eingeladen, wie zur Graphikschau in Krakau oder zu Keramikpräsentationen in Italien. Die öffentliche Wahrnehmung der kunstschule.at hat sich in den letzten Jahren deutlich gesteigert, nicht nur weil auch im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit eine spürbare Professionalisierung stattgefunden hat, sondern auch durch das neu eingeführte Jahrbuch, welches die Qualität der Werke und Aktivitäten der kunstschule.at dokumentiert. Daher muß der Schulerhalter endlich über eine Besserstellung der kunstschule.at mit Verantwortlichen in ein Gespräch treten, aber auch über Visionen reden, wo die kunstschule.at in fünf oder zehn Jahren stehen soll! Gerhard Hermanky, Direktor


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Diplomausstellung der kunstschule.at Agnes Peschta Die Diplomausstellung der kunstschule.at zeigt jedes Jahr alle Diplomarbeiten und zwar in einer von den AbschließerInnen selbst konzipierten, öffentlichen Ausstellung. Der Prozess der Ausstellungsproduktion wurde in den letzten Jahren von einem DiplomandInnenseminar begleitet. Dieses unterstützt die Studierenden bezüglich aller praktischen und formalen Vorbereitungen der Ausstellung. Die Anzahl der Ausstellungsorte beeinflusst nicht die Tatsache, dass es sich um eine Diplomausstellung handelt, so wird gemeinsam um Förderungen angesucht, Sponsoren wurden angefragt und vor allem der öffentliche Auftritt gemeinsam gestaltet. Mit Unterstützung der Werkstätte Grafik Design werden jedes Jahr Printprodukte produziert, welche die gesamte Ausstellung der DiplomandInnen bewerben. Die Zusammenarbeit aller DiplomandInnen ist demnach in bestimmten Phasen der Vorbereitung von großer Bedeutung. Darüber hinaus sind die Studierenden je nach Ausstellungsgestaltung mit einer großen Bandbreite von Aufgaben konfrontiert, wie Bewerbung des Ortes, Technik, Veranstaltungen, Raumkonzept und vieles mehr. Diese ersten Erfahrungen in der selbständigen Ausstellungsproduktion bieten den DiplomandInnen realistische Einblicke in ihre Zukunft. Im Schuljahr 2008/2009 haben 26 DiplomandInnen – aus den Werkstätten Bildhauerei, Graphik, Grafik Design,

Interdisziplinäre Klasse, Malerei und prozessorientierte Kunstformen und Objektgestaltung und temporäre Raumkonzepte – an sieben verschiedenen Orten in vier Wiener Gemeindebezirken gleichzeitig ausgestellt. Einer dieser Ausstellungsorte muss hier besonders erwähnt werden: auf Initiative von Benjamin Steiner, Diplomand der Werkstatt Graphik, wurden die Wiener Schwimmbäder bezüglich einer Zurverfügungstellung von Ausstellungsräumen angefragt. Und aus der zunächst absurd erscheinenden Idee wurde ein großer Überraschungserfolg: Ein Garderobengebäude im Gänsehäufel wurde kostenlos zur Nutzung frei gegeben. Neunzehn Diplomarbeiten wurden dort ausgestellt. Kunst an einem Ort der Freizeitgestaltung zu zeigen, wurde als Herausforderung angenommen und gemeistert. Die Zeit der öffentlichen Diplomprüfungen gestaltete sich zu einem einwöchigen Event. Neben den Prüfungen fanden beinahe täglich Vernissagen statt. Das Finale war die Eröffnung der Gruppenausstellung im Gänsehäufel. Es war logistisch wirklich herausfordernd. Die StudentInnen haben für den Abschluss, die Exit ihr Bestes gegeben – und eine Meisterleistung vollbracht. Gratulation! Exit 09 l 11



Drucksorten Exit 09

Lehrbeauftragte: Brigitte Ammer, Birgit Kerber, Tom Thörmer

Im DiplomandInnenseminar, betreut von Agnes Peschta, wurden Ausstellungskonzepte und das Briefing für die Drucksorten zu den Diplomausstellungen erarbeitet. Die Studierenden des 6. Semesters der Werkstätte Grafik Design wurden aufgefordert, diese Vorgaben in einem möglichst kostengünstigen Rahmen umzusetzen. Für die Diplomausstellungen 2009 wurde ein Logo entwickelt, das auf allen Aussendungen Verwendung finden sollte; und ein Printprodukt, das auf der Vorderseite Plakatfunktion zu erfüllen hatte und auf der Rückseite alle detaillierten Informationen gut lesbar aufbereiten sollte. Gefalzt sollte das Produkt versendbar sein und an öffentlichen kunstrelevanten Räumen aufliegen. Nach einer Präsentation entschied sich die Jury, bestehend aus DiplomandInnen, für das grafische Konzept von Ruth Veres. Exit 09 l 13


Als Überthema für meine Arbeit habe ich das Thema Wasser gewählt – deshalb auch sehr minimalistisch in Cyan, Weiß und Schwarz gearbeitet. Das Logo, das bei allen Drucksorten im Mittelpunkt steht, thematisiert das Zusammenkommen, Auseinandergehen, Treffen, Auflösen, Vermischen und Zerstreuen. Die DiplomandInnen strömen aus der Schule in die Welt hinaus, lassen ihre Ideen sprudeln. Während der Schulzeit kann man aus einem großen Pool schöpfen, sich vernetzen und austauschen. Man hinterlässt seine Spuren. Jeder trägt seinen Teil zum Ganzen bei. Im menschlichen Körper erfüllt das Wasser die Funktion des Transportes von Informationen und Nährstoffen, und so sollen auch die Printprodukte in erster Linie Information vermitteln. Ruth Veres


Pr채sentation der Drucksorten exit 09

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Viktoria K端hn Caspar Macke

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Guanwei Liu Petra Schwarz Exit 09 l 17


Erstmalige Prämierung einer Diplomarbeit

Auf Initiative des Schulerhalters wurde heuer erstmals eine Diplomarbeit prämiert. Am 19. November 2009 trat die Jury zusammen, die sich aus der Studierendenvertretung Rosemarie Benthen und Jeremias Altmann, dem Präsidenten Prof. Rudolf-Michael Maier, Dr. Daniela Schmeiser (Öffentlichkeitsarbeit), als Vertreterin der Medien Frau Mag. Karoline Krause vom Kurier und dem Direktor Gerhard Hermanky zusammensetzte. Zuerst wurde ein qualitativer Fragenkatalog erarbeitet, der eine Auswahl aus elf Einreichungen ermöglichte. Der Fragenkatalog enthielt Kriterien wie: erschließt sich der Werkinhalt, entspricht die formale Gestaltung und technische Umsetzung, welche kritischen Potenziale besitzt die Arbeit und wo lässt sich das Werk sozioökonomisch einbetten. Dann wurde mit Hilfe eines Punktesystems die Siegerarbeit ermittelt. Als Preisträgerin konnte Frau Linda Gaisbauer gekürt werden, die ihren Preis in Höhe von € 500 anlässlich der Jahrbuchpräsentation entgegen nehmen wird. Im Namen aller Jurymitglieder gratuliere ich zur sehr gelungen Diplomarbeit! Dir. Gerhard Hermanky 20 l Exit 09


Linda Gaisbauer Einblicke

In dieser Arbeit geht es um Menschen, die auf Grund verschiedenster Ursachen viel Zeit in einem Raum verbringen und darum, wie dieser Raum gestaltet ist. Der Grund kann eine Krankheit sein oder von außen auferlegte Gründe. All diese Menschen wohnen in Institutionen wie z.B. Pflegeheimen, Flüchtlingsheimen, Langzeitbeatmungsstationen. Wie ein Zimmer gestaltet ist, ist sehr wichtig für die BewohnerInnen und ihr Wohlbefinden. Es entsteht ein Wechselspiel zwischen den Vorgaben und Regeln der Institution und der individuellen Gestaltung. Um außenstehenden Personen einen Einblick zu gewähren, habe ich Panoramabilder und Interviews gemacht, die in sechs Guckkästen dargestellt wurden. Der Betrachter saß am Platz des Bewohners, schaute aus dessen Blickwinkel ins Zimmer und hörte, wie die Bewohner ihr Zimmer und die Dekoration beschreiben. LindaGaisbauer@gmx.at Exit 09 l 21


Anja Alturban

Die artgerechte Verpackung eines Lebensstils

Corporate Design f端r bestehenden Wiener Freerunning Verein

Das Ziel der ape connection ist die Verwirklichung von individuellen, kreativen sportlichen Bewegungen. Sowohl aktiv, als auch passiv. Auf diesen Vorgaben aufbauend wurde ein Corporate Design entwickelt und szenegerecht umgesetzt. (Logo, Homepage, Flyer, Folder, Plakate, Sticker, Streetwear) G.H.

http://www.apeconnection.com/ 22 l Exit 09


Anita Barilits Nachtfalter

Fotoserie digital, gedruckt auf Forex (PVC-Hartschaum) 3mm mittels UVDruck, sieben Stück, Format 100 x 150 cm

Großformatige Fotos zeigen scheinbar belanglose Innenraum- und Außenraumaufnahmen. Tatsächlich korrespondieren diese aber mit dem Ausstellungsort im Gänsehäufel, den alten Umkleidekabinen – einem intimen Ort. Der Fotoserie liegt eine Recherche zugrunde, die sich mit einem Bordell befasst und auf Gesprächen mit den dort agierenden Betroffenen basiert. Somit ist diese Serie auch als sozialkritisches Statement zu sehen, wobei durch die sensible Zurücknahme der eigenen Person der Ort des Geschehens anonymisiert und auf eine neutrale Geschlechtlichkeit reduziert wird. Eine Befriedigung der Bildvorstellung wird durch die Haltung und den thematischen Umgang der Urheberin spürbar. G.H. Exit 09 l 23


Pavlina Delcheva 1001 Ware

Serie aus sechs Radierungen im Format 58x83cm

Ein Durchgang durch den „Vorzeigehaushalt“ der späten 70er und frühen 80er Jahren Bulgariens. Die Geschichte des Trivialen, dieser stillen Zeugen einer Zeit geprägt vom ideologischen Lärm. Eine Erzählung, die unumgänglich autobiografisch und sozialistisch zugleich ist. 24 l Exit 09


Andrea Diewald Aroma und die Superposition Installation

Aroma und die Superposition ist die Auseinandersetzung mit dem traditionellen Gebrauch des Kokablattes im Vergleich zu Kaffee. Zwei frei h채ngende Tafeln thematisieren Konsum, Arbeit und Verbot. Auf diese drei Pfeiler st체tzt sich die Arbeit, um die Schnittmengen dieser Parallelwelten aufzuzeigen. Exit 09 l 25


Sophia Hatwagner selected works

Audioinstallation

Drei Kopfhörer hängen im Raum über jeweils einem winzigen Stehpult. Auf einem ist zu lesen „Wer ist die AutorIn“. Im Kopfhörer ist das Geräusch vom Duktus des Schreibens zu hören. In den beiden anderen Kopfhörern hört man den Transport von Dias eines Diaprojektors und eine gestörte Neonbeleuchtungsröhre. Trotz fehlender Visualisierung des Geschehens gelingt die Entschlüsselung und das Gehörte erzeugt die entsprechenden Bilder im Kopf. Sie zwingen zur Selbstsensibilisierung in unserer Welt der Reizüberflutung, wodurch die akustischen Platzhalter zu Werken der Kunst in der Ausstellung werden. G.H. 26 l Exit 09


Sarah Maria Hundegger Sarah Maria Hundegger Serie aus sechs Radierungen

Jedes Einzelblatt steht für vier Jahre ihres Lebens. Erinnerungen und Erlebtes werden visualisiert und setzen in der künstlerischen Durchführung den Prozess der Selbsterkenntnis in Gang. Die Bilder werden nicht gehängt, sondern auf Kommoden gestellt, wodurch ein räumliches Ambiente miteinbezogen wird. G.H. Exit 09 l 27


Kristof Kepler Wiener im Weltraum

Vorstellung einer österreichischen Science-Fiction-Serie

Ein Modell eines Raumschiffs, Baupläne und Zeichnungen von unbekannten Wesen füllen den Raum. Die Geschichte ist aufgeschrieben und wird im Kreise Gleichgesinnter fortgeschrieben. Der starke Wienbezug durch Kaffee, oder die Eigenschaften handelnder Personen, der Mission und der technischen Bedingungen scheint absurd und ist wohl ironisch gemeint. Es geht darum, ein Drehbuch für einen Film zu entwickeln, der durch Übertreibung, Ironie und Absurdität zu Kritik an Bestehendem wird. G.H. 28 l Exit 09


Matthias Krische

temporäre Raumkonzepte. Bühnenbild Videoinstallation, Objekt

Der Würfel dient als Grundelement um die Raumproblematik eines Bühnenbilds zu visualisieren. 144 Würfel wurden gebaut, einzeln fotografiert und zu einem Video montiert. Der Film zeigt das temporäre Bühnenbild aus der Perspektive der fixen Betrachterposition. Die Veränderungsmöglichkeiten, auch mittels Licht, werden minimalistisch im Film erlebbar. G.H. Exit 09 l 29


Karin Krรถtlinger ohne Titel

Serie von Radierungen aus zwรถlf Platten

Ein persรถnliches Schicksal, eine schwere Erkrankung und Operation, ist der Ausgangspunkt dieser Arbeit. Die Serie zeigt kรถrperliche Deformationen, ohne moralisierend, traumatisierend oder voyeuristisch zu werden. Karin stellt sich der schwierigen Herausforderung, diesem Thema gerecht zu werden. G.H. 30 l Exit 09


Isabella Mayer Mängelexemplar Buch

Das Buch besitzt einen weichen Stoff-Einband mit Goldprägung. Der Titel Mängelexemplar – ein Druckfehler, oder doch ein Konzept? Im Inneren dann leere Buchseiten aus Transparentpapier, ungeeignet beschrieben zu werden. Das Buch als mögliche Wissensmetapher, das allerdings mehr Fragen und Assoziationen aufwirft, als es Antworten zu geben scheint. I.M.: „Mein Lieblingsbuch, das ich noch nicht geschrieben, aber mit meinem ganz persönlichen Titel gestaltet habe …“ G.H. Exit 09 l 31


Karin Miskiewicz Terror Teenie Kartenspiel

Das Kartenspiel ist an das bekannte Spiel „Schwarzer Peter“ angelehnt, jedoch völlig neu und komplett anders gestaltet. Zeitgeistig ist es auf die Bildsprache der Kinder abgestimmt und extrem innovativ in der Figurenlösung und Farbigkeit. Das Kartenspiel liegt produktionsfertig vor. G.H. 32 l Exit 09


Adi Morawetz abwicklung

Skulptur, Druck und Dokumentation

Skulptur, Druck und Dokumentation reflektieren eigenständig und doch sehr eng miteinander verwoben das Thema der „Wiederholbarkeit“. Gemäß dem Naturgesetz vom Werden und Vergehen beginnt alles mit der Suche nach der Form und dem Hineinspüren in das Wesen einer Figur. Dieser Prozess findet seinen Ausdruck in einem Plastilinmodell, einem Arbeitsmodell. Die angesprochene „Wiederholbarkeit“ beginnt mit der Übertragung der Plastik in eine Skulptur. Die Auswahl und der Dialog mit dem Material wird weitergeführt, Größe und Technik festgelegt. Die vollendete Skulptur wird von neuem über ihre Gültigkeit als Druckstock hinterfragt. In einer, in Kooperation mit Andreas Stalzer (Werkstatt für Kunstsiebdruck) entwickelten Vakuumdrucktechnik, wird die Figur zum Holzschnitt und in der Übertragung in die Zweidimensionalität vom Raum befreit. Sämtliche Vorteile der Druckgrafik gegenüber einem Original werden somit eröffnet. Die dritte Ausdrucksform ist die Dokumentation des Arbeitsprozesses mittels Fotos und zwei Videos. Die Videos wurden während der Ausstellung zeitgleich und geloopt abgespielt, um den Dialog zwischen den beiden Disziplinen (Bildhauerei und Druckgrafik) zu unterstreichen. Exit 09 l 33


Yvonne Nicko Körndlfraß

Veganes Kochbuch mit Illustration

Das Kochbuch mit traditionellen Speisen, die Namen der Gerichte werden beibehalten, zeichnet sich durch die gelungene Benutzbarkeit aus. Übersichtlich, funktionell, klappbar und aufstellbar, sogar durch Schutzfolie vor Verschmutzung geschützt, kann die Bebilderung zum temporären Kunstgenuss in der Küche verwendet werden. G.H. Zu bestellen unter yvonne.nicko@gmail.com

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Angelika Parik

Meine Oma geht ins Strandbad und... Vier Offsetdrucke und ein Zootrop

Die Großmutter war Schwimmmeisterin. Ein altes Aktfoto von ihr diente hier zur künstlerischen Umsetzung. In mehreren Abstrahierungsschritten werden Bewegungsabläufe im Bild dargestellt und als bewegte Bilder im Zootrop wahrnehmbar. G.H. Exit 09 l 35


Gert Resinger

Je höher die Qualität desto tiefer der Schlaf Rauminstallation

In zwei Räumen befinden sich Malerei, Skulpturen, Fotos und ein schräger Boden. Beim Begehen sticht die Materialität ins Auge. Das großformatige Bild mit den drei Köpfen, das aus vielen Schichten Gemaltem, Beklebtem, Herausgerissenem und wieder Übermaltem besteht, scheint bewegt und laut. Obwohl ein Bild stumm ist, vermag es Assoziationen zu erzeugen, die in der Bildkunst bekannt sind und doch auf eine Weise einstimmen, die heute in der street art begründet liegen. Ein autobiographisches Tun charakterisiert das Werk durch die Verwendung der alltäglichen Dingwelt, die im nächsten Werk eingearbeitet wird. G.H. 36 l Exit 09


Andreas Rojko big empty

Ausgewählte Werke

Die Leinwände werden nicht auf Keilrahmen gespannt, sondern Andreas Rojko bearbeitet sie direkt auf die Wand getuckert. Von der unteren Leinwand drücken sich die Verbindungsspuren auf die darüber liegende Leinwand durch – ähnlich der Frottage-Technik. Jene Spuren bleiben beim Übermalen erhalten. Linien als Formdefinition verschwinden fast und lassen der Fläche als Farbraum den Vortritt. G.H. Exit 09 l 37


Victoria Rowley uneasy truce

Die Auseinandersetzung des Ichs in Form einer Filmarbeit. Am Fernsehbildschirm sind zwei gleich große Bildfelder nebeneinander zu sehen. Im linken Bildfeld sieht man Victoria schlafen, im rechten Bildfeld ist sie wach. Obwohl nur der Kopf sichtbar ist, kann sie direkt davor sitzen und sich selbst beobachten. Wann bin ich selbst Ich? Wir sehen uns nicht im Schlaf. Die eigene Mimik und Gestik in unserem Gesicht sehen wir selbst auch nie, sie ist von unserem Gegenüber zu deuten. Wir kennen Phänomene, wo wir uns auf Bildern selbst nicht erkennen oder nicht korrekt wiedergegeben fühlen. Wo löst sich die uns innewohnende Distanz zu uns selbst auf und wo bleibt sie spürbar? Der Versuch dieser Visualisierung ist minimalistisch, wobei formal Ruhe zur Bewegung führt. Im Film stelle ich das schlafende Unbewusste und die wache Bewusste nebeneinander und zur Vervollständigung setze ich mich als Betrachterin meines Selbst mir gegenüber. Ob es sich um eine Selbstverständigung, Selbstbestätigung, Selbstverwirklichung, oder sogar eine Selbstverzweifelung handelt, lässt sich nicht eindeutig sagen. Es ist ein bisschen von allem und auch nicht und viel mehr. G.H. 38 l Exit 09


Simon Schmidt Videnskap 021108 „Druida“ Video

Druida ist ein Fund, der die Welt verändern könnte, eine inszenierte Geschichte, wie sie tatsächlich passieren könnte. Denn die Wissenschaft schaltet sich ein, sie will die Schrift entziffern, eine historische Einbettung treffen und die Echtheit zertifizieren. Das Fernsehen kommt und dokumentiert den Ort der Entdeckung, interviewt Finder, Wissenschaftler und recherchiert. Das aufgefundene Buch ist handgeschrieben und wird museal ausgestellt, es ist jedoch unlesbar, aber anschaulich, inhaltlich nicht greifbar und trotzdem ein Artefakt. So wird ein Fundstück zum Faktum in der Kunst. G.H. Exit 09 l 39


Benjamin Steiner Ohne Titel

In meiner Diplomarbeit geht es um Struktur und die Überlagerung dieser. Ich bearbeite Makroaufnahmen, um das Abgebildete zu abstrahieren, zu vereinfachen, es mir verständlicher zu machen. Monochrome Flächen in drei Stufen (weiß, grau, schwarz) entstehen. Diese Strukturen werden mit Hilfe des Acetondurchdrucks auf Kupferplatten gebracht. So entstehen reine Aquatinta-Platten im Querformat. Während des Druckens schaffe ich Aussparungen mit Hilfe von Papierstreifen, die ich direkt auf der Kupferplatte platziere. Beim Überdrucken der Platten entsteht ein Spiel zwischen Strukturüberlagerung und dem teilweisen Überdrucken der „weißen“ Streifen. So gebe ich dem Bild einen Teil der von mir zuvor weggenommenen Dreidimensionalität wieder zurück. Thematisch setzt sich die Arbeit damit auseinander, wie ich als Person Dinge in einen mir verständlichen „Zustand“ bringe. Ich reduziere und abstrahiere das „Chaos“ der Natur so lange, bis ich es verstehen, begreifen und erfassen kann. Durch das Überdrucken der Platten erschaffe ich ein neues, mein ganz persönliches Chaos. 40 l Exit 09


Sabine Seierl Selbstporträt 2009

Klang-Performance/Trickfilm/Holzschnitt

Ich bin erstarrt. Meinen Gefühlen kann ich mich nicht aussetzen. Ich bin nicht hier. Auf diese Weise bin ich in Sicherheit. Eine Stimme in mir sagt NEIN. Irgendwann kann ich das Nein nicht mehr überhören. Ich bin verwirrt. Höre ich da auch andere Stimmen? Erstmals traue ich mich, meinen Körper zu betrachten. Langsam erwacht er. JA, das Leben fließt in seinen unterschiedlichen Facetten bis in meine Zehenspitzen. Endlich kann ich mich bewegen. Wo bin ich? Mit der Zeit erkenne ich, dass ich Teil von etwas Größerem bin. HALLELUJA, gibt es hier viel zu entdecken! Es lebe der innere Herzensimpuls! Anfangs noch schüchtern, bemerke ich die Menschen, die mich umgeben. Ich heiße sie willkommen und freue mich, dass ich am Leben bin. Ich möchte mit dieser Performance einen Verwandlungsprozess zeigen, der in mir vor wenigen Jahren begann und bis heute andauert. Immer wieder werde ich auf unterschiedliche Weise zwischen dem angstvollen Leugnen und dem freudigen Annehmen meiner bereits vorhandenen inneren Erkenntnisse hin und her gerissen. Es ist die Kunst, die mich zum Leben erweckt hat und die mir Halt gibt, auch wenn bzw. besser gesagt auch weil sie mir keine scheinbare Sicherheit verspricht. Exit 09 l 41


Maria Sulzer Ohne Titel

Farblinienschnitte, Serie mit zwölf Werken, ausgewählt aus ungefähr 45 Drucken 80 x 60 cm

Es ist ein dichtes Gewebe aus Farb- und Schnittmustern. Die vielschichtigen Strukturen entstanden auf einzelnen Holzplatten, von denen es ungefähr zwölf Stück gab. Jede dieser Platten wurde einzeln angefertigt, mittels verlorener Form weiter bearbeitet und während des Druckprozesses abgedruckt. So kommt es vor, dass mehrere Formen wiederkehren. Die Holzplatten sind aus Fichtenholz, Linde und/oder der industriell erzeugten OSB Platte. Die Farbauswahl setzt sich aus Sekundärfarben und Tertiärfarben zusammen. Durch die Anordnung der diversen Farbplatten entstehen unterschiedliche Raumwahrnehmungen. Bei einigen Drucken wird auch stark auf den Kontrast der Komplementärfarben gesetzt. Diese Farbdrucke lassen alles offen. Sie geben dem Betrachter keine weiteren Informationen oder Interpretationsmöglichkeiten. Sie sind das, was zu sehen ist. 42 l Exit 09


Nicolas Twerdy seinSeinsein

Plastik, Ø 210 cm

Eine kreisförmige figurative Installation schwebt im Raum. Sie besteht aus 55 Figuren, die unterschiedlich fein gearbeitet und unterschiedlich groß sind. Sie sind im Gestus verwandt und nach Vereinigung strebend, so dass das Weibliche und Männliche spürbar werden. Der Figurenkreis wird in einem Rundspiegel an der Wand als umgekehrtes Abbild sichtbar und schwebt über einem Quadrat aus Sand am Boden. Die Neugier des Betrachters wird durch die Begehbarkeit, die Größe, die Raumwirkung und die vielfältigen Assoziationen, die in der Geometrie, der Technik, den mathematischen Grundformen und der Philosophie liegen, geweckt. G.H. Exit 09 l 43


Marcos Varela Ohne Titel Tierstudien

Marcos Varela besuchte als Dauergast das Naturhistorische Museum in Wien. Er fĂźllte viele SkizzenbĂźcher. Entstanden sind fast fotografisch genaue Zeichnungen im GroĂ&#x;format, die den Betrachter einladen, sich auf eine tierische Entdeckungsreise zu begeben. G.H. 44 l Exit 09


Katrin Wieser Kopfstimmen

Projektion, Comic, Performance

Eine Bildgeschichte wird Bild für Bild mittels Overheadprojektor auf eine Wand projiziert. Ich trete als lebendige Figur in die Projektion und interagiere mit den gezeichneten Charakteren. Die Stimmen im Kopf melden sich zu Wort. Der Wahnsinn stiftet Verwirrung, der Rausch spielt den großen Verführer und die Angst tut was sie am besten kann: Angst machen. Exit 09 l 45


Jing Jing Xia inspired

Corporate Design f체r Fashionboutique

Das Corporate Design f체r junge freche Mode umfasst Gesch채ftspapiere und Verpackungsmaterialien. Das wesentliche Gestaltungselement sind Illustrationen, die die klassische Modefotografie ersetzen. G.H. 46 l Exit 09


KEINE KUNST MEHR Stefan Broniowski

„Kunst” und „Künstler” sind veraltete Begriffe. Überholt von der Kunstgeschichte selbst, entbehren sie eines allgemein verbindlichen Inhaltes und besitzen allenfalls noch Stimmungswert – und nicht zuletzt die Funktion einer sozialen Distinktion. Als Begriffe im strengen Sinne jedoch sind sie längst unhaltbar. Wer sie heute noch benützt, weiß entweder nicht, was er sagt, oder er sagt nicht, was er wissen müsste. Dass Leerformeln wie „Kunst” und „Künstler” immer noch affirmativ und distinktiv gebraucht werden, verstellt den Blick auf gesellschaftliche Verhältnisse und erschwert deren Verständnis oder verunmöglicht es sogar. Die Kunst ist primär ein Wirtschaftszweig. Die Aufgabe der Kunst besteht primär in Produktion, Verbreitung und Verkauf von Kunstwerken. Das Kunstwerk ist eine Ware wie jede andere. Der Kunstmarkt ist ein Teil des Marktes als solchem und funktioniert nach den üblichen Gesetzen der Warenökonomie. Boris Groys Der Begriff der Kunst wurde, wie man in jeder guten Kunstgeschichte nachlesen kann, im 15. Jahrhundert in Italien von solchen Handwerkern eingeführt, die sich von anderen Handwerken dadurch abgrenzen wollten, dass sie ihre jeweilige Profession nicht mehr den so genannten mechanischen, sondern den so genannten freien Künsten zurechneten. Diese sieben „artes liberales“ (Grammatik, Rhetorik und l 47


Dialektik, Algebra, Geometrie, Astronomie und Musiktheorie) waren nach heutigem Wortgebrauch jedoch keine Künste, sondern wissenschaftliche Disziplinen und wurden an den Universitäten gelehrt. Selbstverständlich standen sie als intellektuelle Betätigungen im Ansehen bedeutend höher als die mit körperlicher Anstrengung verbundenen Handwerksberufe oder „artes mechanicae“. Und genau darum, um gesellschaftliche Anerkennung und Aufwertung ihres Berufes ging es den Malern und Bildhauern, als sie nicht mehr wie die schlichten Maurer und Tischler, Bäcker und Fassbinder, Schuster und Schneider behandelt werden wollten, sondern wie die hochgelehrten „magistri“, „doctores“ und „professsores“. Selbstverständlich veränderten die, die sich damals Künstler zu nennen begannen, in Wirklichkeit nicht ihre Tätigkeiten, denn sie malten und bildhauerten genau wie zu vor, in den noch genau wie zuvor eingerichteten Werkstätten und in der genau wie zuvor klar in Meister, Gesellen und Lehrlinge gegliederten Betriebshierarchie; aber obwohl oder gerade weil sie noch für lange Zeit den Handwerkern zum Verwechseln ähnlich sahen, entwickelten die frischgebackenen Künstler ein abgrenzungsfreudiges Selbstbewusstsein. Nicht nur versuchten sie, die Theorie ihrer Profession als Wissenschaft zu etablieren – was etwa die damals reich blühende Literatur der Traktate über Malerei zeigt – sondern vor allem dienten sie sich ihren Kunden mit ihrem neuen ehrgeizigen Selbstverständnis an und warben um Anerkennung als Nicht-mehr-Handwerker und Beinahe48 l

schon-Wissenschaftler. Die Kunst war also erfunden, die soziale Distinktion geschafft. Eine neue soziale Figur war geboren, der Künstler, und die Geschichte dieser neuen Figur wurde im Laufe der folgenden Jahrhunderte, kulminierend im 19. und 20. Jahrhundert, eine Erfolgsgeschichte bis heute. „Der Künstler steht nach wie vor im öffentlichen Mittelpunkt der Kunst. Selbst wenn Werke und Bilder auf die Zuordnung zu einem Künstler verzichten könnten, müßte er weiterhin im Rampenlicht stehen, um seine institutionelle Rolle auszufüllen. Es gibt in der institutionalisierten Kunst gute Gründe, die Figur des Künstlers nicht nur zu erhalten, sondern die öffentliche Aufmerksamkeit auf ihn zu lenken. (…) Eine namenlose Produktion von Werken würde auf einen Speicher prallen, der nicht mehr wüßte, wie er sie verstehen soll. Der Name und die Person hinter den Werken sind Ordnungsfunktionen, die je nach Bedarf aufgerufen oder abgestellt werden können.“ Heidenreich, Seite 63 Denn was macht die Kunst zur Kunst? (Wohlgemerkt, das ist nicht dieselbe Frage wie: Was ist Kunst? „Was macht die Kunst zur Kunst“ fragt nicht nach dem ontologischen Status, sondern danach, was passieren muss, damit etwas als Kunst bezeichnet und anerkannt wird.) Der institutionelle Rahmen ist es, der etwas zur Kunst macht, in dem er das, was er Kunst sein lassen will, in die Konventionen einschreibt, gemäß denen etwas als Kunst akzeptiert wird. „Als Institution wird das Museum so mächtig, daß es bis ins Atelier hinein die Entscheidungen am


Werk mitbestimmt; aber nicht, indem es vorgibt, wie Bilder auszusehen haben, sondern indem es all die Bilder zeigt, von denen sich die neuen zu unterscheiden haben. Die Maler mußten lernen, ihre eigenen Bilder in den Begriffen des Museums zu verstehen. (…) Am Ende des 20. Jahrhunderts scheint alles an der Kunst veränderlich geworden zu sein, nur ihre formale und institutionelle Umgebung nicht, so daß sich am Aussehen eines Werkes allein nicht mehr entscheiden läßt, ob es als Kunst gelten könnte oder nicht. Ausschließlich das institutionelle Gefüge bürgt für den Begriff der Kunst, mit dem stabilen Zusammenspiel von Institutionen, Figuren und Regeln setzt es den Rahmen für die Entwicklungen der Kunst im letzten Jahrhundert.“ Ebd., Seite 59 f f „Der Ruf einer marktunabhängigen Objektivität, den die Museen immer noch genießen, wird dabei zum Werbefaktor für die in Zeitlupe durchgeschleuste Ware. Sammler, die es sich leisten können (…) betreiben ihre Museen gleich selber (…) Das Kunstmuseum gehört heute zur Infrastruktur, in der sich der Marktwert eines Kunstwerkes konstituiert. Die Kunst ist Teil dieser Infrastruktur, nicht umgekehrt.“ Grasskamp, Seite 15 Die Revolutionen in der Kunst (markiert durch die als Chiffren zu nehmenden Namen Duchamp, Warhol und Beuys) laufen also insofern ins Leere, als sie unweigerlich immer im gegen seine Inhalte völlig indifferenten Rahmen des Kunstbetriebes verbleiben, sofern sie nämlich als Ware gehandelt werden. Dazu nochmals Grasskamp: „Während sich die Künstler des 20. Jahrhunderts weitgehend vergeb-

lich darum bemühten, den Kunstbegriff zu verändern und zu transformieren, ist dem Markt genau das fast mühelos gelungen. Er diktiert die Bedingungen, unter denen Kunst wahrgenommen wird, in jeder Beziehung (…)“ Grasskamp, Seite 59 Jeder ist Künstler. Joseph Beuys Hiltrud Oman erläutert den berühmt-berüchtigten Beuysschen Satz folgendermaßen: „Beuys spricht — entgegen den elitären Kunstvertretern — jeden einzelnen an und möchte erreichen, daß jeder sein Kreativitätspotential für sich und die ihn umgebende Gemeinschaft nutzbar mache. Als Künstler sollen alle am gesellschaftlichen Entwicklungsprozess aktiv mitwirken. Das würde neben Familie und Nachbarschaft beispielsweise Handwerker, Naturwissenschaftler, Pädagogen, Vertreter des Rechtswesens, Politiker u.v.m. betreffen. Auf Grund ihrer jeweiligen Fachkompetenz sollten sie, vereint mit dem künstlerischen Potential, zu verantwortungsvollen, kritischen, aber konstruktiven Auseinandersetzungen mit den derzeitigen gesellschaftlichen Bedingungen gelangen. Darin läge gleichzeitig der Ansatzpunkt für eine sinnvolle, menschengerechte Veränderung der gesellschaftlichen Systeme.“ Oman, Seite 105 f

Nimmt man also den Beuysschen Satz ernst, dann hat das Konsequenzen. Die eine Konsequenz ist die, dass sich der Kunstbegriff radikal verändert. Kunst im Beuysschen Sinne ist jede Nutzung des bei jedem vorausgesetzten Kreativitätspotenzials, während Nichtkunst schlicht die Nichtnutzung des l 49


Potenzials bezeichnete. Kunst ist dann kein von anderen Lebensräumen, Daseinspraktiken, Gegenstandsbereichen zu Unterscheidendes, sondern etwas überall Verwirklichtes. Der Begriff Kunst dient somit nur zur Benennung des Status „genutzt/ungenutzt“ des kreativen Potenzials und ist daher im Alltag vermutlich überflüssig, sofern die Beuyssche Utopie nämlich impliziert, dass jedes Kreativitätspotenzial zumindest tendenziell genutzt wird und keines völlig ungenutzt bleibt. Die zweite Konsequenz ist die, dass der Begriff des Künstlers überflüssig wird. Wenn jeder Mensch ein Künstler ist, ist Künstler zu sein keine bestimmte Tätigkeit mehr und schon gar kein Beruf. „Ich bin Künstler“ heißt dann nur „Ich nutze mein kreatives Potenzial“, was im Beuysschen Universum als Selbstverständlichkeit zu betrachten und keiner Erwähnung mehr wert wäre. Gegen eine sowohl lächerliche wie ärgerliche Überschätzung des „Künstlers“ wendet sich auch Rudolf Burger, wenn er schreibt: „Daß Künstler mehr als andere Menschen fähig seien, ‚existentielle‘ Probleme zu erfassen, das Herz der Dinge zu erkennen und die Zukunft heraufzuführen, ist ein ständiger Topos der heutigen Kunstbegleitrhetorik, ihre aussagenlogische Schnittmenge sozusagen (und eine gebräuchliche Legitimationsformel der Kulturpolitik). Zugleich weiß natürlich jeder, daß dies nur ein animistischer Mythos ist, nicht rationaler als die Regentänze der Navajo-Indianer, und nach diesem Wissen handelt er auch, selbst wenn er vorgibt, den Mythos zu glauben und ihn vielleicht selber fort50 l

spinnt. Ein Blick auf das Alltagsleben genügt, um zu sehen, daß ihn in Wirklichkeit kein Mensch ernst nimmt. Hat nämlich jemand tatsächlich sogenannte ‚existentielle‘ Probleme (d.h. wenn es ihm irgendwie schlecht geht), so geht er zum Arzt, zum Psychologen, auf die Bank um einen Kredit, zum Scheidungsanwalt, vielleicht auch noch zum Herrn Pfarrer. Er geht bestimmt nicht auf eine Vernissage, und wenn, dann allenfalls, um sich abzulenken, zu plaudern und etwas zu trinken. Und niemand käme im ernst auf die Idee, Probleme der Ökonomie, der Außen-, Sicherheits- oder Sozialpolitik, der Ökologie oder der Menschenrechte oder auch nur Fragen der Geschichte und deren ‚Aufarbeitung‘ Künstlern anzuvertrauen. Dafür gibt es Ökonomen, Politologen, Juristen und Historiker. Die sind oft genug mit ihren Problemen überfordert, aber ihr Urteil ist in einer arbeitsteiligen, hochspezialisierten Gesellschaft immer noch das Beste, was zu kriegen ist. Auch ist die Wissenschaft schon durch ihre Anlage dazu angehalten, ihre Aussagen zu revozieren, wenn Irrtümer offenkundig werden oder neue Gesichtspunkte auftauchen. Sie haut ihre immer nur vorläufigen Lösungen nicht gleich in Stein und gießt sie nicht in Beton.“ Burger, Seite 30 f Der Ruf nach Kreativität bezeichnet unter postindustriellen Bedingungen nicht mehr eine emanzipative Utopie, sondern eine gesellschaftliche Verpflichtung. Gudrun Rothauer Längst feiern solche Konzepte, die gemeinhin mit „Kunst“ und „Künstler“ in Verbindung gebracht wer-


den – nämlich Kreativität, Innovation, Selbständigkeit usw. – auch anderswo als im Kunstbetrieb fröhliche Urständ’. Zum einen sind sie zu fixen Ideen sowohl der so genannten Unternehmensphilosphien wie auch der von unternehmerischem Selbstverständnis geprägten neuen Selbständigen- und Arbeitnehmeridentität avanciert. Zum anderen bestimmen sie neben der Arbeit im engeren Sinn auch die so genannte Freizeit, also den dem Konsum und der Selbststilisierung vorbehaltenen Lebensbereich. Niemand kann es sich mehr leisten, sich nicht stets neu zu erfinden und sich und seine Verhältnisse nicht fortwährend nach dem Muster „Zugehörigkeit durch Besonderung“ zu gestalten, und wer hier versagt, zahlt den Preis der Rückständigkeit, Langweiligkeit und Ausgeschlossenheit aus den Freuden der Warengesellschaft. „Kreativität gehört im wirtschaftswissenschaftlichen Fachjargon ebenso wie Wissen zu den mentalen Ressourcen und zum intellektuellen Unternehmenskapital. Dass nicht alle Menschen ihre kreativen Fähigkeiten gleich einsetzten können, liegt an gesellschaftlich bedingten Hemmfaktoren wie Selbstverständlichkeit, Gewohnheit, Routine, Erziehung. Der gegenwärtig florierende Trainermarkt lebt davon, Kreativitätstechniken zu vermitteln, die helfen sollen, die diversen Hindernisse zur kreativen Entfaltung abzubauen. Und dies nicht nur im Berufsleben, auch im Alltag. (…) So ist Kreativität unter dem Einfluss unseres gegenwärtigen gesellschaftlichen Wertesystems zu einem Lifestyle geworden.“ Rothauer, Seite 46

Dieser Lifstyle ist nun keineswegs eine frei wählbare Lebensweise unter anderen, sondern vielmehr ein für alle gesellschaftlichen Akteure verbindliches Modell, das eng an die von neoliberalen Vorlieben diktierten Zwangsvorstellungen vom sich selbst als sein eigenes Unternehmen begreifenden Arbeitnehmer oder „neuen“ Selbständigen gekoppelt ist. „Es ist genau das neue Leitbild des unternehmerischen Selbst, das Kreativität als Lifestyle suggeriert, ein Lifstyle, der den globalen Wirtschaftsmarkt beherrscht. Die abnehmende Bedeutung der Produktion geht einher mit der zunehmenden Konzentration auf die Vermarktung von Produkten und Ideen. Unser Informations- und Medienzeitalter ist geprägt von visuellen Botschaften und Bildwelten, die im Sinne dieser Vermarktung um unsere Aufmerksamkeit werben. Kreativität als Lifestyle operiert damit, dass Geschmack und Trends ebenso wie Werthaltungen zu Waren geworden sind. Bildende und angewandte Kunst liefern dazu – gewollt oder ungewollt – Input.“ Rothauer, Seite 47 Anders gesagt, bildende und angewandte Kunst sind nicht Vorreiter der allgemeinen „Verkünstlerung“ und schon gar nicht deren Nutznießer, sie sind bloße Zulieferer. Sie geben kein Modell vor, sondern Kompetenzen ab. Die Kunstproduktion im engeren Sinne mag als eigenständiger Geschäftszweig weiterbestehen, solange sie noch Gewinne abwirft. Was sie einst an emanzipatorischem Gehalt zu besitzen versprach, ist längst durch überzogene Kredite entwertet oder wurde von den ebenso geschickten wie raffgierigen Händen des Kapitals in ein immateril 51


elles Produktionsmittel umgebogen. Schöpferische Gestaltungskraft ist längst keine Gabe mehr, sondern eine Bringschuld. Und die wird täglich neu eingefordert. Rothauer schreibt: „Es ist der kreative Imperativ, durch den nicht nur sozialer Druck, sondern auch soziale Spaltung entsteht. Wer die Selbstoptimierung nicht schafft, sein kreatives Potenzial nicht umsetzen kann, wird gesellschaftlich ebenso benachteiligt wie jene, die nicht über das in der Wissensgesellschaft notwendige Wissen verfügen. Das trifft Individuen gleich wie Unternehmen, Institutionen, Systeme.“ Ebd., Seite 48 Somit ist „Du sollst kreativ sein“ ein neues oberstes Gebot und die Devise „Jeder ist Künstler“ tritt ebenbürtig neben die visionären Slogans bei Orwell und Huxley. So hat es Beuys natürlich nicht gemeint, aber das ist dabei herausgekommen. Stefan Broniowski, freier Journalist

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Vortrag am 3. Mai 06 im Rahmen „Berufsbild KünstlerIn“

Burger, Rudolf: „Die Heuchelei in der Kunst“, in: Liessmann, Konrad Paul (Hg.): Im Rausch der Sinne, Wien 1999, Seite 15 – 36 Grasskamp, Walter: Die unästhetische Demokratie. Kunst in der Marktgesellschaf t, München 1992 Grasskamp, Walter: Die unbewältigte Moderne. Kunst und Öf fentlichkeit, München 1989 Groys, Boris: Topologie der Kunst, München 2003 Heidenreich, Stefan: Was verspricht die Kunst?, Berlin 1998 Oman, Hiltrud: Joseph Beuys. Die Kunst auf dem Weg zum Leben, München 1998 Rothauer, Gudrun: Kreativität & Kapital, Wien 2005 52 l


Olivia König

Diplom 2008, Räumliches Gestalten Der Baustein – ein Quadrat – ein Stecksystem! Dies ist ein Spiel, ein Bild, ein Haus, ein Sessel, eine Couch… was ist es für dich? Der Ansatz bei der Entwicklung dieser Arbeit war ein spielerischer und experimenteller. Ausgehend von Spielen, die durch Stecksysteme unendlich erweiterbar sind, war es mir wichtig, etwas zu entwickeln, das die Freude am Planen fördert und eigene Kreationen und Ideen zulässt. Der Baustein hat eine einfache klare Form, ist leicht herzustellen und ist ohne Schrauben und Leim ein stabiles System. Innerhalb kürzester Zeit kann etwas Neues entstehen. Durch Leichtigkeit und Stabilität ist ein Einpacken und Umziehen schnell möglich. Es beansprucht wenig Stauraum. Selbst Kinder können sich ihr eigenes Haus oder ihren Rückzugsraum bauen. Miniaturbausteine als Spiel: Das Paket – bestehend aus 50 Bausteinen (Maßstab 1:10), einer PräsentationsCD mit Vorschlägen und Tipps und einer Kamera – ermöglicht zu spielen, auszuprobieren und zu tüfteln. Die entstanden Objekte und Möbel können in Originalgröße nachgebaut werden. l 53


vor, sondern Kompetenzen ab. Die Kunstproduktion im engeren Sinne mag als eigenständiger Geschäftszweig weiterbestehen, solange sie noch Gewinne abwirft. Was sie einst an emanzipatorischem Gehalt zu besitzen versprach, ist längst durch überzogene Kredite entwertet oder wurde von den ebenso geschickten wie raffgierigen Händen des Kapitals in ein immaterielles Produktionsmittel umgebogen. Schöpferische Gestaltungskraft ist längst keine Gabe mehr, sondern eine Bringschuld. Und die wird täglich neu eingefordert. Rothauer schreibt: “Es ist der kreative Imperativ, durch den nicht nur sozialer Druck, sondern auch soziale Spaltung entsteht. Wer die Selbstoptimierung nicht schafft, sein kreatives Potenzial nicht umsetzen kann, wird gesellschaftlich ebenso benachteiligt wie jene, die nicht über das in der Wissensgesellschaft notwendige Wissen verfügen. Das trifft Individuen gleich wie Unternehmen, Institutionen, Systeme.” ebd., S. 48 Somit ist “Du sollst kreativ sein” ein neues oberstes Gebot und die Devise “Jeder ist Künstler” tritt ebenbürtig neben die visionären Slogans bei Orwell und Huxley. So hat es Beuys natürlich nicht gemeint, aber das ist dabei herausgekommen. Burger, Rudolf: “Die Heuchelei in der Kunst ”, in: Liessmann, Konrad Paul (Hg.): Im Rausch der Sinne, Wien 1999, S. 15-36 Grasskamp, Walter: Die unästhetische Demokratie. Kunst in der Marktgesellschaf t, München 1992 Grasskamp, Walter: Die unbewältigte Moderne. Kunst und Öf fentlichkeit, München 1989 Groys, Boris: Topologie der Kunst, München 2003 Heidenreich, Stefan: Was verspricht die Kunst?, Berlin 1998

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Oman, Hiltrud: Joseph Beuys. Die Kunst auf dem Weg zum Leben, München 1998 Rothauer, Gudrun: Kreativität & Kapital, Wien 2005

Stefan Broniowski, geb. 1966, freier Journalist Dieser Text ist ein Auszug aus dem Vortrag von Stefan Broniowski am 3. Mai 06 im Rahmen „Berufsbild KünstlerIn“


Olivia König

Diplom 2008, Räumliches Gestalten Der Baustein – ein Quadrat – ein Stecksystem! Dies ist ein Spiel, ein Bild, ein Haus, ein Sessel, eine Couch … was ist es für dich? Der Ansatz bei der Entwicklung dieser Arbeit war ein spielerischer und experimenteller. Ausgehend von Spielen, die durch Stecksysteme unendlich erweiterbar sind, war es mir wichtig, etwas zu entwickeln, das die Freude am Planen fördert und eigene Kreationen und Ideen zulässt. Der Baustein hat eine einfache klare Form, ist leicht herzustellen und ist ohne Schrauben und Leim ein stabiles System. Innerhalb kürzester Zeit kann etwas Neues entstehen. Durch Leichtigkeit und Stabilität ist ein Einpacken und Umziehen schnell möglich. Es beansprucht wenig Stauraum. Selbst Kinder können sich ihr eigenes Haus oder ihren Rückzugsraum bauen. Miniaturbausteine als Spiel: Das Paket – bestehend aus 50 Bausteinen (Maßstab 1:10), einer PräsentationsCD mit Vorschlägen und Tipps und einer Kamera – ermöglicht zu spielen, auszuprobieren und zu tüfteln. Die entstanden Objekte und Möbel können in Originalgröße nachgebaut werden. Alumni l 55


Gudrun „Gucci“ Buxbaum Diplom 2002, Bildhauerei Geboren 1977 in Klagenfurt Lebt und arbeitet in Wien

Ausstellungen / Projekte (Auswahl): 2000 ges-ich-tern (Heizhaus Stammersdorf, Wien) Symposium der Thomas batá foundation (zlutavá. Tschechien) sERie (Hut ab, Hermagor) 2001 Schlafstörung (Wien) Big moments (Kanderl, Wien) 2002 white Body move (stadtschularat.wien) diplomausstellung exit – die Kriterien (Wien) x-mas Weihnachtsausstellung, www.kuenstler.at (Das Dorf, Wien) „take your soulsound“ Gruppenperfor- manceprojekt (Das Dorf, Wien)* 2003 Gailtalart – Künstlersymposium (Rattendorf) Was mir abgeht? mit Live-Mal-Perfor- mance (WHA, Becks, Lienz) Unterbelichtet 3c – Miniuniversalgalerie Permanent-Installation 2005 Gailtalart – Künstlersymposium (Rattendorf)* Integral von 2 (Musik- Bewegungsperfor- mance in vier Akten) 2006 Gailtalart – Künstlersymposium (Rattendorf) 56 l Alumni

2007

Ratna vas (Gesellschaftsdarstellung) Cubistic Curriculum (Bewegungs-, Tanz- performance) Gailtalart Künstlersymposium – Dantes „Göttliche Komödie“ (Musik-, Tanz-, Theaterinszenierung in drei Ebenen)

© Gudrun Buxbaum

Die 1977 in Kärnten geborene Künstlerin „Gucci“, wie sie sich bevorzugt nennt, absolvierte noch vor ihrem Studium auf der kunstschule.at eine vierjährige Ausbildung zur Keramikerin und Hafnerin in Stoob, Burgenland. Nach dreijähriger Berufsausübung begab sie sich auf die Suche nach anderen Materialien und Techniken. Der Wunsch, skulptural zu arbeiten, führte sie schließlich über Umwege auf die kunstschule.at, wo sie unter der Leitung von Leslie De Melo und Gottfriede Meixner weitere vier Jahre Ausbildung

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© Gudrun Buxbaum © Gudrun Buxbaum 2

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genoss und 2002 erfolgreich diplomierte. Im Laufe der Zeit kristallisierte sich konzeptorientiertes Arbeiten als favorisierte Werkmethode heraus, an welcher sie bis heute mit Vorliebe festhält. Außerdem beschäftigt sie sich auftragsweise mit Illustrationen, Malerei und Endlosgeschichten. Gucci ist unter anderem Mitglied der KünstlerInnengruppen www.kuenstler.at und „Gewürzghetto“.

blicken lassen und in die Philosophie reichen, gibt es Konzepte mit sozialpolitischem und wirtschaftspolitischem Hintergrund. Der Mensch in Körper, Geist und Seele markiert den Mittelpunkt dieser gerasterten Konstruktion, die mit Vorliebe eine serielle Komponente beinhalten.“ **

Anita Barilits

„Der weibliche Körper ist bevorzugtes Thema der skulpturellen Ausarbeitung. Klare Formen und Linienführungen sowie eine glatte Oberfläche bilden den Hauptansatz einer möglichst reduzierten, minimalistischen Umsetzung von Körperstudien (Aktzeichnungen) in das plastische Endprodukt. Neben Arbeiten, die in die menschliche Seelenwelt

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„Integral von 2“, Gailtalart – Künstlersymposium, 2005 „take your soulsound“, Gruppenperformanceprojekt (Das Dorf, Wien), 2002

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gemeinsam mit Hannes Ressi Quelle: www.kuenstler.at Alumni l 57


Diplom 2001, Malerei

Geboren 1974 in Villach Lebt und arbeitet in Graz

Ausstellungen / Projekte (Auswahl): 1999 Frau in der Wirtschaft (Hotel Modul, Wien) 2000 Die öffentliche Frau (MASC Foundation, Wien)* 2001 Diplomausstellung „EXIT 2001“ (Schieber- kammer, Wien) le-unam (Hotel Sperber, Abstatt-BRD)* Big moments (Kanderl, Wien)* Gemeinschaftsausstellung im Schloss Mikulov (Tschechien)* 2002 red balls stories (L’Oréal, Wien) gnatec. (Wirr, Wien) Kunst voll Kopf (Headquaters, Wien)* Quadart (Galerie im Amthof, Feldkirchen, Kärnten) inklusive Live-Performance beat paint + 2* Kunstmesse Salzburg (Salzburg)* 2004 Gailtalart – Künstlersymposium (Rattendorf)* Steinigung (Aktion) 2008 Gailtalart Künstlersymposium Die 4 apokalyptischen Reiter – privat (Theaterinszenierung) * gemeinsam mit Gudrun „Gucci“ Buxbaum 58 l Alumni

Eines Tages fiel dem technischen Zeichner Hannes Ressi (HTL für Möbel- und Innenausbau an der HTBLVA-Villach) auf der BEST ein Flyer der kunstschule.at in die Hände. Gut zwei Jahre dauert es, ehe er sich diesen wieder zur Hand nimmt und daraufhin beschließt, in der Lazarettgasse zu studieren. Ursprünglich sollte es die Werkstätte Grafik Design werden, schließlich fiel die Wahl dann doch auf „Malerei und prozessorientierte Kunstformen“, wo Hannes schließlich mit einer Rhythmus-Mal-Performance namens „beat paint“ im Jahre 2001 (bei Dr. Daniela Schmeiser und Mag. Romana Hagyo) erfolgreich abschließt.

© Hannes Ressi

Hannes Ressi

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Diplomarbeit „beat paint“ kunstschule.at, 2001 „Die 4 apokalyptischen Reiter – privat“, Gailtalart Künstlersymposium, 2008 Band „Deaf in Vegas“ Pressefoto

ter anderem bei KünstlerInnengruppen wie etwa www.kuenstler.at oder „Gewürzghetto“. Auch bei der „Gailtalart“, einem Künstlersymposium in Kärnten, welches jährlich im Sommer statt findet, ist er seit Jahren ein fixer Bestandteil. In seiner Freizeit, bzw. je nach Auftragslage, beschäftigt er sich viel mit Musik (Projekterarbeitung- und Realisierung, Probearbeit, Liveauftritte, CD-Produktion, Instrumentenbau, Videoproduktion, uvm.); Malerei (Konzeptkunst, Live-Performances, Installationen, Bühnenbild, Grafik Design uvm.) und Mode/Textilverarbeitung (Assemblage, Gebrauchsgut, Mode und Accessoires, Kostümfertigung uvm.). Anita Barilits

Mehr Informationen zu Hannes Ressi:

www.keineangst.net, www.concrete-eden.com 3

© Markus Grollitsch

© Hannes Ressi

Gleich darauf folgen vier Jahre Kunstausstellungsaufbau bei der Firma „Artex Kunstservice“ in Wien. Der überaus musikalische Künstler studierte darauf folgend zwei weitere Jahre an der Pädagogischen Akademie des Bundes in Graz für das Lehramt an Hauptschulen Mathematik und Technisches Werken und absolvierte schließlich weitere zwei Jahre später, 2009, mit Bachelor das eben genannte Studium (Graduierung zum Bachelor of Education). Seit Frühling 2009 absolviert Hannes nun den Akademielehrgang für das Lehramt Bildnerische Erziehung an Hauptschulen an der Pädagogischen Hochschule Steiermark in Graz. Er ist außerdem musikalisch, sozial und künstlerisch engagiert, un-

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Stephan Wyckoff Diplom 1999, Grafik Design Geboren 1976 in Bonn, BRD Lebt und arbeitet heute in Wien

© Stephan Wyckof f

Ausstellungen / Projekte (Auswahl): „Strange Cargo“, Gruppenausstellung, Wien, 2006 Ghetto Passage, Fotografie, Einzelausstellung, Wien, 2007/2008 „White Light. Die Kinder von Tschernobyl“, ein Projekt von GLOBAL 2000, 2008

© Stephan Wyckof f

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aktuell Fotograf für die Kunsthalle Wien (Dokumentation und Porträt) Referenzen KÖR GmbH (supported by Kunsthalle Wien) FM4 GLOBAL 2000 Der Fotograf und Bildbearbeiter mit amerikanischen Wurzeln (Vater stammt aus Ohio, USA) lebt und arbeitet seit eh und je in Wien. Der barrierefreie Zugang zur Ausbildung an der kunstschule.at war für Stephan ein ausschlaggebendes Kriterium für seine Studienwahl. Da sein Highschool-Abschluss (einer amerikanischen Schule in Wien) in Österreich nicht als Matura anerkannt wurde, suchte er nach einer Alternative zum klassisch-konservativen Kunststudium.


Da bot ihm die kunstschule.at die passende Ausbildung. Gerne erinnert er sich an die Landschaftsseminare in Mikulov (Tschechien) zurück. Sehr gut in Erinnerung blieb ihm auch der, laut eigenen Angaben, ausgezeichnete Foto-Unterricht unter der Leitung von Ludwig Johne. Der 1999 in der Werkstätte Grafik Design erfolgreich Diplomierte (Diplomarbeit: Dokumentarfilm), brauchte ein wenig, um herauszufinden, was er wirklich will. Heute steht es fest: fotografieren. Nach Abschluss der kunstschule.at hatte er sich ziemlich rasch selbstständig gemacht, um unkonventionell und frei arbeiten zu können, autodidaktische Weiterbildung inklusive. Teilweise gemeinsam mit Hannes Hofbauer realisiert er heute viele fotografische Projekte für namhafte Institutionen wie etwa die Kunsthalle Wien oder Global 2000. Anita Barilits Mehr Informationen und Bildmaterial findet man unter: www.stephanwyckof f.com

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© Stephan Wyckof f 2

Portrait, Barbara and Barbara’s mother, aus „Strange Cargo“, Gruppenausstellung , Wien 2006 Ausschnitt aus „W hite Light. Die Kinder von Tschernobyl“, Wien 2008 Alumni l 61


ELLI und die Bildungspolitik

Praktisches Wissen, Kreativität und das „lebenslange Lernen“ als neoliberaler Imperativ Jens Kastner

In Pierre Bourdieus Studie „Der Staatsadel“, in der der Soziologe das französische Bildungssystem untersucht hat, gibt es neben unzähligen anderen Ergebnissen statistischer Erhebungen auch diese Zahl: Nur etwa 13 bis 20 Prozent der Intellektuellen sprechen sich für eine stärkere Berufsorientierung des Schulunterrichts aus, was hingegen 40 Prozent der Unternehmer befürworten. Dieter Hundt, der Präsident der Bundesvereinigung deutscher Arbeitgeberverbände (BDA), erklärt die „Fachkräftesicherung“ zum zentralen bildungspolitischen Anliegen der ArbeitgeberInnen. Überhaupt, so Hundt in der Sommerausgabe 2009 des Magazins „Arbeitgeber“, sei Bildungspolitik „die eigentliche Sozial- und Standortpolitik“. Die Unternehmen stünden deshalb auch den Hochschulen „als Kooperationspartner zur Stärkung der Praxisbezüge“ zur Verfügung. Mit welchen Zielvorstellungen staatliche Bildungsinstitutionen ausgestattet sind, das spricht aus Bourdieus Statistik ebenso wie aus Hundts publizistischem Einsatz, ist Teil gesellschaftlicher Ausein62 l

andersetzungen. Solche Debatten und Kämpfe werden von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, Milieus und Institutionen getragen und forciert. So konnte sich in den letzten Jahren ein Bildungsverständnis etablieren, das – vertreten von privaten Stiftungen: so genannten „think tanks“, Unternehmerverbänden und konservativen PolitikerInnen – nicht nur Berufsqualifikation gegenüber einem umfassenderen Verständnis von Bildung als kreative Aneignung sowie selbstbestimmte Produktion von Wissen präferiert. Mit dem Anwendungsund Praxisbezug wird darüber hinaus die Ausrichtung von Bildungspolitik an ökonomischen Kriterien betrieben. Berufsorientierung müsse bereits im Schulalltag verankert werden, Bildungsinstitutionen sollen, so der Arbeitgeberpräsident, „ihr Lehrpersonal nach marktorientierten Qualitätskriterien“ einstellen. Das durchgesetzte Bildungsideal betrifft allerdings nicht nur den Umbau staatlicher Institutionen. Die Privatisierung ist auch im Bildungsbereich im Sinne einer Verlagerung staatlicher, d. h. hier zunächst gesellschaftlich erkämpfter Sicherungssysteme hin zu individueller Verantwortlichkeit zu verstehen. Diese Art Individualismus ist zentraler Bestandteil einer konservativ-neoliberalen Politikkonzeption, die ihre Umsetzung seit Mitte der 1970er Jahre fand: Begonnen mit der Übernahme von Finanz- und Wirtschaftsministerien im Chile der Pinochet-Diktatur durch die Anhänger des neoliberalen Ökonomen Milton Friedman, den verniedlicht so ge-


nannten „Chicago Boys“, über die Durchsetzung der neoliberalen Fraktion innerhalb der britischen Torys und deren Übernahme der Regierungsgeschäfte ab 1979 unter Margaret Thatcher bis hin zur US-Regierung unter Ronald Reagan. In den 1990er Jahren aber fanden neoliberale Ideen neue Trägerschichten, zur gesellschaftlichen Durchsetzung des radikalen Individualismus in den letzten zehn Jahren haben vor allem auch sozialdemokratische Regierungen und Intellektuelle beigetragen. Bereits im so genannten Schröder-Blair-Papier von 1999 heißt es: „Zugang und Nutzung zu [sic] Bildungsmöglichkeiten und lebenslanges Lernen stellen die wichtigste Form der Sicherheit in der modernen Welt dar. Die Regierungen sind deshalb dafür verantwortlich, einen Rahmen zu schaffen, der es den einzelnen ermöglicht, ihre Qualifikationen zu steigern und ihre Fähigkeiten auszuschöpfen. Dies muß heute für Sozialdemokraten höchste Priorität haben.“ Während SozialdemokratInnen früherer Generationen Bildung vor allem als ein Instrument betrachteten, soziale Ungleichheit abzumildern oder langfristig sogar durch bildungsbasierten Aufstieg ganzer Milieus abzuschaffen, wird sie bei Gerhard Schröder und Anthony Blair zum Karrieremittel der Einzelnen. Zwei Jahre später fand die „Förderung lebenslangen Lernens“ im Kommuniqué von Prag (2001) auch Eingang in den Bologna-Prozess, den missratenen aber weiterhin aktuellen Versuch der Vereinheitlichung des europäischen Hochschulwesens.

„Lebenslanges Lernen“ wird dann, in einer „modernen Welt“, für deren Sicherheit schließlich alle verantwortlich sind, auch schnell von der Möglichkeit zur Pflicht. Wer nicht lebenslang lernt, verweigert sich schließlich nicht nur dem wirtschaftlichen, sondern menschlichem Fortschritt überhaupt – so formuliert es zumindest die Bertelsmann-Stiftung: „Europa ist sich einig: Lebenslanges Lernen ist der zentrale Hebel, um die Qualität des Sozial- und Humankapitals nachhaltig zu steigern und damit sowohl wirtschaftlichen Wohlstand als auch menschliches Wohlergehen zu fördern.“ Wenn auch in die Verantwortung der/des Einzelnen gelegt, muss das „lebenslange Lernen“, wenn es an ökonomischer Effektivität ausgerichtet ist, klarerweise überprüfbar sein, und dafür hat die BertelsmannStiftung, eine der wichtigsten neoliberalen „think tanks“ im deutschsprachigen Raum, eine Reihe von Maßstäben entwickelt, die in dem Katalog „European Lifelong Learning Indicators (ELLI)“ zusammengefasst sind. Mit den aufgeführten Indikatoren kann nicht nur für verschiedene Orte überprüft werden, wie die „Bürger die Angebote wahr[nehmen]“, sondern wie schon die Universitäten können ganze Regionen einem Ranking hinsichtlich der Frage ausgesetzt werden, ob sie „lebenslanges Lernen“ fördern oder nicht. Um es zwischendurch einmal festzuhalten: Ein konsensuales Verständnis von Bildung („Europa ist sich einig“) fällt niemals vom Himmel, sondern wird in sozialen Kämpfen, angefangen mit der alltagsweltl 63


lichen Implementierung von Worten wie „Humankapital“, durchgesetzt. Bildung im Sinne der neoliberalen „Evangelisten des Marktes“ (Keith Dixon) bemisst sich, wie ELLI zeigt, vor allem an ihrer Nützlichkeit für Investitionsempfehlungen an Unternehmen. Dieser Nutzen wiederum richtet sich aber nicht allein nach dem Berufswissen, das die Bildungseinrichtungen gemäß Unternehmerposition fortan produzieren sollen. Nützliche Bildung ist vielmehr die, die fachspezifische Ausbildung mit der kollektiven Bereitschaft koppelt, diese nur als Ausgangsposition für permanente, eigenverantwortliche Weiterbildung zu betrachten. Das „lebenslange Lernen“ umfasst beides, die fachidiotische Expertise, antrainiert an ECTS-gepunkteten Hochschulen, und den freien Willen, es bei diesem Wissen nicht zu belassen, sondern das Training schließlich selbst in die Hand zu nehmen und sich permanent und mit ganzem Körpereinsatz, also schöpferisch weiter zu bilden. Durch die Indienstnahme der schöpferischen Potenziale wird Kreativität dann eine „zentrale postfordistische Subjektivierungsweise“ (Gerald Raunig/Ulf Wuggenig) und der Künstler/die Künstlerin zum Leitbild neuer kapitalistischer Verwertungsmodi. Deshalb hat beispielsweise auch der US-Ökonom Richard Florida seine Empfehlungen an Firmen nicht nur, wie noch die Bertelsmann-Stiftung, an der Wissensproduktion ausgerichtet. Unternehmen sollten sich laut Florida vielmehr dort ansiedeln, wo die Kreativitätswerte – zusammengesetzt aus den 64 l

„drei T“: Toleranz, Talent und Technologie – am höchsten seien. Index und Ranking für Kreativität hat Florida ebenfalls erstellt. Während Florida selbst als Unternehmensberater seine Erkenntnisse gewinnbringend vermarktet, gibt es innerhalb von Sozialwissenschaften und Philosophie ganz ähnliche Einschätzungen hinsichtlich der Kreativität, und zwar von Leuten, die den herrschenden Verhältnissen weniger profitierend als vielmehr kritisch gegenüber stehen. So betont auch der Postoperaist Paolo Virno, Wissen und „kommunikatives Vermögen“ seien „Stützpfeiler der gesellschaftlichen Produktion“ geworden – nur dass Virno deren Reduktion auf „bloße Erwerbsarbeit“ nicht feiert, sondern beklagt. Wie man es auch bewertet, ein künstlerisches Ethos scheint als Gegenmodell für das Verständnis von Bildung als Inkorporation anwendungsbezogener, verwertbarer Wissenstools, das die Neoliberalen durchgesetzt haben, weder theoretisch noch praktisch zu taugen. Es ergänzt dieses vielmehr: Die Förderung von „Unternehmergeist“ – laut „Memorandum über lebenslanges Lernen“ der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2000 eine von fünf „Basisqualifikationen“ – findet im Kreativitätsimperativ des kulturellen Feldes einen nützlichen Erfüllungsgehilfen. Die Kreativität der Arbeitenden systematisch in den Produktionsprozess zu integrieren – erstmals massenhaft umgesetzt in den Autofabriken von Toyota in den 1970er Jahren – bedeutet auch, die Arbeit auf das gesamte Leben auszudehnen: Ein-


bringen muss sich der/die Einzelne, dem Künstler/ der Künstlerin gleich, als ganze Person. So treffen die bildungspolitischen Zielvorstellungen von Unternehmerverbänden und wirtschaftsliberalen Politikberatungsclubs nicht nur auf offene Ohren unter ihresgleichen, sondern auf gewissermaßen willige Körper in ganz verschiedenen Milieus: „was Kreatives machen“, wer will das heute nicht?! Das Konzept des „lebenslangen Lernens“ schafft es so auf geradezu wundersame Weise, einerseits an ein bildungsbürgerlich-individualistisches Ideal anzuknüpfen und dieses andererseits mit dem Kreativitätskult des künstlerischen Feldes und dem Privatisierungseifer der Neoliberalen zu verbinden. Die von Unternehmerseite geforderte ökonomische Ausrichtung der Bildungsinstitutionen und die Appelle an die Lebensführung widersprechen sich also nicht: Bildung im Konzept des neoliberalen „lebenslangen Lernens“ zielt auf die ganze Breite des Begriffs und beinhaltet einerseits die reine Ausbildung (zum Lohnerwerbsberuf) und andererseits die ausgedehnte Herstellung (der ganzen Person/Persönlichkeit). Vollkommen ausgeklammert aus diesem theoretischen Verständnis ebenso wie aus dem sozioökonomischen Programm wird Kollektivität. Es geht bei den Bildungszielen eben nicht mehr um die Angleichung von Zugangsbedingungen zu gesellschaftlichen Positionen und Institutionen oder gar um die gerechtere Verteilung von Ressourcen. Auch wäre statt dem individuellen „Unternehmergeist“ ja auch

die EU-Förderung kollektiven „solidarischen Handelns“ denkbar. Aber die neoliberalen Politikmodelle basieren auf einem „survival-of-the-fittest“Menschenbild, nachzulesen bei marktradikalen Stichwortgebern wie Friedrich August von Hayek und reproduziert in einfachen Fernsehwerbeslogans wie dem der deutschen Postbank: „Unterm Strich zähl ich!“ Seit der Gründung der Mont Pèlerin Society (1947), einem Netzwerk von Wirtschafts- und SozialwissenschaftlerInnen, HistorikerInnen und PhilosophInnen, sind an die hundert global vernetzte „think tanks“, auch „Denkfabriken“ genannt, entstanden und aktiv mit der sozialen Verankerung neoliberaler Ideen beschäftigt. Sie betreiben, wie der Sozialwissenschaftler Bernhard Walpen es genannt hat, ein „hegemoniales Projekt“. Dies besteht, neben Lobbyarbeit und Politikberatung, Arbeit in so genannten Expertenkommissionen und Leitartikeln in Zeitungen wie FAZ und NZZ, eben auch in bildungspolitischen Interventionen. Ihr Politikverständnis ist dabei ein extrem reduziertes: „Hauptzweck der Politik“, so heißt es beispielsweise in einer Aussendung des neoliberalen Hayek Instituts Österreich (2008), sei folgendes: „Sie [die Politik] hat die Voraussetzungen für ein attraktives Wirtschaftsklima und damit für funktionierende Steuereinnahmen zu schaffen. Nur so kann der Staat seine Aufgaben – von der Sicherheits- bis zur Bildungspolitik – erfüllen.“ Dass Politik auch die gemeinsame Regelung gesellschaftlicher Belange, die Ermächtigung der l 65


Bevölkerung in demokratischen Repräsentationsprozessen oder gar die ausgleichende Regulierung antagonistischer Interessen sein könnte, weisen die Neoliberalen vehement zurück. Man könnte das rumpfhafte Politikverständnis des Hayek Instituts getrost als Sektenmeinung abtun, wenn die neoliberalen „think tanks“ nicht seit den 1970er Jahren weltweit dermaßen einflussreich geworden wären. Während Richard Florida nur einen Bestseller geschrieben hat und Unternehmen berät, übt die Bertelsmann-Stiftung über das zur Hälfte von ihr mitfinanzierte Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) direkten Einfluss auf die deutsche Hochschulrektorenkonferenz und damit auf die Bildungspolitik aus.

Auseinandersetzung mit den erstarkenden Marktradikalen entwickelt hatte. Nun ist schließlich und endlich gegen lebenslanges Lernen grundsätzlich selbstverständlich überhaupt nichts einzuwenden. Es ließe sich ohnehin die Frage stellen, ob es jemals ein menschliches Leben gab, in dem nicht bis zum Schluss auch gelernt wurde. Problematisch ist das zum hegemonialen Konzept individueller Konkurrenz gewordene „lebenslange Lernen“, das gesellschaftliche Ausgleichsregelungen bekämpft und solidarische Beziehungen untergräbt. Die soziale Ungleichheit, deren Reproduktion durch die Bildungsinstitutionen das eigentliche Thema von Studien Bourdieus wie der eingangs zitierten ist, wird dadurch freilich noch verschärft.

Die Macht ist zwar, wie Michel Foucault meinte, überall, weil sie von überall her kommt. Das schließt aber nicht aus, dass es gesellschaftliche Kräfte und AkteurInnen gibt, die an der Verschiebung von Kräfteverhältnissen arbeiten und damit auch Erfolge feiern. Dass unterm Strich nur ich zähle, ist nicht nur ein individualistisches Credo, sondern bedeutet ja auch, dass man überm Strich einiges dafür tun muss – „lebenslang lernen“ zum Beispiel –, um überhaupt etwas zu zählen, d.h. wert zu sein. Eine Denkweise, deren Verbreitung an die gegenwärtigen De-Regulierungen nicht nur perfekt angepasst ist, sondern diese geradezu verkörpert. Die Verknüpfung von Denkweisen (mentalité) mit Regierungsformen (gouverner) hatte Foucault „Gouvernementalität“ genannt – einen Begriff, den er übrigens in

Dr. Jens Kastner, Kunsthistoriker und Soziologe

66 l


Links:

Schröder, Gerhard und Tony Blair 1999: Der Weg nach vorne für Europas Sozialdemokraten (London, 8. Juni 1999) http://www.glasnost.de/pol/schroederblair.html Hundt, Dieter 2009: Bildungspolitik eigentliche Sozial- und Standortpolitik http://www.bda-online.de/www/arbeitgeber.nsf/id/A A3F63898833A5ACC1257610002FD7F8?open&ccm=200027 Bertelsmann Stiftung: „European Lifelong Learning Indicators (ELLI)“ http://www.bertelsmann-stif tung.de/cps/rde/xchg/SID-F07681F4 -C5302490/bst/hs.xsl/90232 _90237.htm Hayek Institut Österreich: Mehr Gerechtigkeit und Effizienz bei der Individualbesteuerung zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit des Standortes http://www.hayek-institut.at/img/media/42/142/mediacenter142 .doc Europäische Kommission: Memorandum über lebenslanges Lernen http://www.bmukk.gv.at/europa/bildung/memorandum.xml

Literatur:

Dixon, Keith: Die Evangelisten des Marktes. Die britischen Intellektuellen und der Thatcherismus, Konstanz: UVK 2000 Florida, Richard: The Rise of the Creative Class. And how it´s transforming work, leisure, community and every day life, New York: Basic Books 2004 Raunig, Gerald und Ulf Wuggenig (Hg.): Kritik der Kreativität, Wien: Turia + Kant 2007 Virno, Paolo: Grammatik der Multitude. Öf fentlichkeit, Intellekt und Arbeit als Lebensform, Wien: Verlag Turia + Kant 2005 Walpen, Bernhard: Die of fenen Feinde und ihre Gesellschaf t. Eine hegemonietheoretische Studie zur Mont Pelerin Society, Hamburg: VSA Verlag , 2004

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Grafik: Raphael Holczek

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Die Druckgoschn Projektleiter: Reinhold Egerth, Sergius Kodera,

Wojciech Krzywoblocki, Georg Lebzelter

Aus einer Zusammenarbeit mit der Zeitschrift „Augustin“ ergab sich eine Serie von Linoldrucken, welche für das Jahrbuch 366/08 auf Zeitungspapier als zusätzlicher Einband diente. Diese Motive wurden von einigen Studierenden der Werkstätte für Druckgraphik angefertigt und in weiterer Folge auch in verschieden Variationen kombiniert zum Einsatz gebracht. Der Verein für Kunst und Kommunikation trat daraufhin an unsere ehemalige Werkstättenleitung heran und lud die gesamte Werkstätte dazu ein, eine Druckgraphik-Ausstellung während der Aktion „Nachrichten aus dem Prekari.at“ zu veranstalten. Diese Ausstellung trug den Namen „Druckgoschn“ und fand zwischen 19. und 27. 6. in der Brunnengasse 19 im 16. Bezirk statt. Zu sehen waren die Augstin-Gemeinschaftsarbeiten, Siebdrucke von Irene Amberger, Linoldrucke von Karoline Kögl, Polly Delcheva und Andrea Blaukopf, Monotypien von Julia Dunker und Tiefdrucke von Evelyn Chines, Katharina Rose und Jeremias Altmann. Die gemeinsame Konzeption dieser Ausstellung war eine gute Möglichkeit, die Präsentation der eigenen Arbeit in der Praxis zu erproben und die grausame und raue Welt des Kunstmarktes zu erahnen. Jeremias Altmann


Grafik: Raphael Holczek

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Die Druckgoschn Projektleiter: Reinhold Egerth, Sergius Kodera, Wojciech Krzywoblocki, Georg Lebzelter

Aus einer Zusammenarbeit mit der Zeitschrift „Augustin“ ergab sich eine Serie von Linoldrucken, welche für das Jahrbuch 366/08 auf Zeitungspapier als zusätzlicher Einband diente. Diese Motive wurden von einigen Studierenden der Werkstätte für Druckgraphik angefertigt und in weiterer Folge auch in verschieden Variationen kombiniert zum Einsatz gebracht. Der Verein für Kunst und Kommunikation trat daraufhin an unsere ehemalige Werkstättenleitung heran und lud die gesamte Werkstätte dazu ein, eine Druckgraphik-Ausstellung während der Aktion „Nachrichten aus dem Prekari.at“ zu veranstalten. Diese Ausstellung trug den Namen „Druckgoschn“ und fand zwischen 19. und 27. 6. in der Brunnengasse 19 im 16. Bezirk statt. Zu sehen waren die Augstin-Gemeinschaftsarbeiten, Siebdrucke von Irene Amberger, Linoldrucke von Karoline Kögl, Polly Delcheva und Andrea Blaukopf, Monotypien von Julia Dunker und Tiefdrucke von Evelyn Chines, Katharina Rose und Jeremias Altmann. Die gemeinsame Konzeption dieser Ausstellung war eine gute Möglichkeit, die Präsentation der eigenen Arbeit in der Praxis zu erproben und die grausame und raue Welt des Kunstmarktes zu erahnen. Jeremias Altmann


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Pavlina Delcheva / G Evelyn Chines / G Andrea Blaukopf / CA

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Einbandmotive 366/08 in verschieden Variationen von Studierenden der Werkst채tte Graphik

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Dunker

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Katharina Rose / G Julia Dunker / G

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Irene Amberger / G Karoline Kรถgl / G

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Formenbau Lehrbeauftragter: Hermann Seiser

Formen – Modell – Prototypenbau sind Fachgebiete, die in der Umsetzung und Herstellung von Modellen für die Bildhauerei, Keramik, Produktgestaltung, Architektur und in den verschiedensten Bereichen der Industrie eingesetzt und praktiziert werden. Im künstlerischen Bereich dient der Formenbau und das damit verbundene Modelldenken dazu, Entwürfe, Artikel, Mechanismen und darzustellende Objekte einer dreidimensionalen Präsenz zuzuführen. Entwurf > Modell > Objekt 3

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Regina Längle / B

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Patrik Lins / RG „ Feuerlöscher“

Gips, Kunstharz, Metall, Leder, Lack, Prints

Entwurf und Modellbau (1:1 Modell) Der Feuerlöscher als Objekt wird durch ein Bedürfnis nach Sicherheit in eine allgemein gegenwärtige Präsenz gerückt, doch wahrgenommen bzw. als wesentliches Element im architektonischen Raum erkannt wird er nicht. Dieses Projekt schafft es durch geringe Eingriffe in die optische Norm des Feuerlöschers, eine neuartig ästhetische Form zu finden und diese in der Reduktion eines Redesign-Prozesses zur Essenz zu gestalten … Leder und Rotwein. Veredelung steht nicht im Fokus des Designs. Diese Form der Attraktivierung schafft jedoch Raum für Interesse an einem zweiten Blick … und der sitzt … Architektonischer Raum und Feuerlöscher sind manchmal gewissermaßen von einander abhängig, wodurch sie auch manchmal gemeinsam in Erscheinung treten sollten … www.monokubik.com

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Berufsbild KünstlerIn Lehrbeauftragter: Tom Waibel

Die öffentliche Vortragsreihe der kunstschule.at in Zusammen-

arbeit mit der Künstlerischen Volkshochschule, jeden Mittwoch ab 17:30

Die Studie „Zur sozialen Lage der Künstler und Künstlerinnen in Österreich“ (BMuKK 2008) gibt den mittleren Stundenlohn für Künstler mit 6,43 Euro und für Künstlerinnen mit 5,55 Euro an. Um diese Werte zu ermitteln, wurden sämtliche Einkünfte unabhängig von der Art der Tätigkeiten erhoben. Nur ein Viertel aller in Österreich künstlerisch Tätigen können von ihrem künstlerischen Schaffen leben, die große Mehrheit ist gezwungen, das Lebensnotwendigste in kunstfernen Arbeitsverhältnissen dazuzuverdienen; rund ein Drittel der Arbeitsverhältnisse dauern nicht länger als einen Monat. Diese Daten sind die wissenschaftliche Bestätigung von subjektiv längst gefühlten Eindrücken und machen verständlich, warum KünstlerInnen zu Musterbeispielen der zunehmenden Prekarisierung geworden sind. Mit dem Begriff der Prekarisierung werden Produktionsweisen angesprochen, die auf kommunikative und kognitive Fähigkeiten bauen, hohe Flexibilität im Einsatz der Arbeitskräfte verlangen, sowie ein permanentes und kreatives Reagieren auf Unvorhergesehenes erfordern. Von KünstlerInnen wird angenommen, dass sie ihre ge78 l Lehrveranstaltungen / Projekte

samte Persönlichkeit, ihren Intellekt, ihr Denken, Ausdrucksvermögen und ihre Affekte in den Produktionsprozess einbringen: Das macht sie zu VirtuosInnen der prekarisierten sozialen Verhältnisse. Wenn es zutrifft, dass Politik durch die Kunst der Darstellung bestimmt wird, dann ist die Virtuosität von KünstlerInnen politisch, unabhängig davon, ob im jeweiligen künstlerischen Werk politische Anliegen manifest werden oder nicht. In der Vortragsreihe berichten geladene Kunstund KulturproduzentInnen in Vorträgen und Ge-


sprächen über ihre Arbeiten und Forschungen, vor allem aber über die sozialen und ökonomischen Begleitumstände, die ihre Arbeit bestimmen. Durch die persönliche Situation der Vortragenden, die im Spannungsfeld von Urheberrechten, Kulturressorts und Kunstvermarktung gefordert sind, sich ihre Zugänge zur künstlerischen Produktion offen zu halten, eröffnen sich Einblicke in die Rolle von Kunst und Kultur in Gesellschaft, Wirtschaft und Staat.

Gäste der Reihe „Berufsbild KünstlerIn“ Sabine Marte Videokunst und Performance Gini Müller Theaterwissenschafterin und -regisseurin Isabella Kresse Malerei, Akademie der bildenden Künste Jan Machacek Bildhauerei und Medienkunst Thomas Sandri Technik für Kunstwerke Martin Reinhart Experimenteller Filmemacher und Erfinder Nina Schedlmayer Freie Journalistin und Kunstkritikerin Oliver Ressler Videokünstler

Oliver Stotz Musiker und Filmemacher Jo Schmeiser Filmemacherin, Grafikerin und Publizistin Corinne Schweizer Medienkünstlerin und Produktionsleiterin Sissi Makovec Malerei, Grafik und Cartoons Rudi Rise-Up Street-Art und Graffiti Ljubomir Bratic Philosoph und Kurator Hansel Sato Maler und Grafiker Alexander Nikolic Medienkünstler und Ko-Organisator von SLUM-TV in Nairobi Helmut Neundlinger Musiker, Literaturwissenschafter und Dramaturg Lina Dokuzovic Post-konzeptuelle Kunst Tanja Boukal Malerei und Plastik, Absolventin der kunstschule.at Eduard Freudmann Artistic-Research, Assistent an der Akademie der Bildenden Künste Ülkü Akbaba Film- und Theaterregisseurin Lale Rodgarkia-Dara Freie Journalistin im Bereich Rundfunk und Printmedienv Lehrveranstaltungen / Projekte l 79


Comic

Lehrbeauftragte: Robert Bozic, Gabriele Szekatsch

Nach Vermittlung von geschichtlichem und theoretischem Background der sequentiellen Kunst (Entwicklungsgeschichte, Typologien, Analysen etc.) fand eine praxisbezogene, vertiefende Auseinandersetzung mit den umfangreichen „Instrumentarien des Comic“ statt (Zeichnung und andere Gestaltungstechniken, Charakter-Entwicklung, Aufbau, Dramaturgie und Zeitdynamik der Bilderzählung, narrative Elemente, Montagetechniken und Layout, Textgestaltung u. v. m.). Auf der Basis des vermittelten Wissens- und Praxisbackgrounds entwickelten die Studierenden im Rahmen des LV-Schwerpunkts „Comic-Lab“ das Medium Comic wie auch seine Präsentationsformen interdisziplinär und/oder experimentell weiter. Die Arbeitsergebnisse wurden in einer Werkschau präsentiert. 80 l Lehrveranstaltungen / Projekte

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Christoph Tripes / GD „Tropical Heat“,

Mischtechnik mit Digitaleffekte

Lukas Gülcher / GD „Ohne Titel“

Tuschezeichnung, Digitale Postproduktion

Myriam Fries / M „Blank Page“ Tuschezeichnung laviert

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In der Werkstätte Comic und Animation gab es einige Gaststudierende, die ihre Projekte interdisziplinär umsetzten. WerkstättenleiterInnen: Robert Bozic, Walter Fröhlich, Thomas Renoldner, Gabriele Szekatsch

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Elias Berner / M „Fucking Bad Vibes“ Tuschezeichnung, 34,5 x 55 cm

Manfred Lipska / M „Aufzug in die Ewigkeit“ 3 Yvonne Herzog / OJ „Akemi und die Reise ins Zauberland“ 2

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Raphael Holczek / GD „Ohne Titel“ Tuschezeichnung laviert

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Tuschezeichnung, coloriert – Projekt in Arbeit

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Stefan Polster / B „State Trooper“

nach einem Liedtext von Bruce Springsteen, Tusche, Comic-Heft gebunden 5

Jeremias Altmann / G „Luna“ Comic-Heft-Cover, Mischtechnik

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Recycling-Lights Award Projektleiter: Stefan Moritsch

Sibel Sermet / K „Cristallino (Hängeleuchte)“

H 120 cm / Ø 35 cm ; Brillengläser, Plexiglas, Kabelbinder, Polyesterschnüre, E14 Fassung/Glühbirne, Transparentkabel

Cristallino ist eine Neuinterpretation des guten alten Kronleuchters. 31 Brillengläser wurden mittels Kabelbindern und Polyesterschnüren zu einer Hängeleuchte verbunden. Die Gläser unterscheiden sich alle in Form, Farbe und Dioptrienstärke, wodurch interessante Lichteffekte entstehen. Die Leuchte Cristallino wurde für den Recycling-Lights Award nominiert, der im Rahmen des Lighting Guerrilla Festival (Ljubljana) und des Belgrade of Light Festival vergeben wurde. Cristallino wurde bei beiden Festivals ausgestellt. 23. Juni bis 16. Juli 2009

Lighting Guerrilla Festival, Vzigalica Gallery, Ljubljana 6. bis 20. September 2009

Belgrade of Light Festival, Grad Cultural Centre, Belgrad

www.sibelsermet.com, www.svetlobnagverila.net, www.belgradeoflight.net Lehrveranstaltungen / Projekte l 85


Land Art Seminar Projektleiterin: Jitka Plesz

Landschaft begehen, erfahren, sanft erobern …, eigene Eindrücke künstlerisch darstellen und sie dann wieder der Natur überlassen. Mikulov, 15. bis 19. Mai

Teilnehmerinnen Stefanie Hempel Melissa Reyes Veronika Tupy Christina Danzer Ursula Gaisbauer Maren Fußwinkel 86 l Lehrveranstaltungen / Projekte

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Christina Danzer / O „Spannung“ Melissa Reyes / O „Skipping Joe“ Veronika Tupy / O Lehrveranstaltungen / Projekte l 87


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Ursula Gaisbauer / O „Durchblick“ Maren Fußwinkel / O „Nest“ Stefanie Hempel / O

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Stefanie Hempel / O

Gummireifen und Stange, Metallkiste, Wolle,

Plastikflaschen

Eine Installation, die für jeden jederzeit umsonst zugänglich und veränderbar ist? Aus dem Wald gesammelter und neu inszenierter Müll macht es in dieser Abfall-Auffall-Installation möglich.

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Ursula Gaisbauer / O „Schwimmbecken“ Veronika Tupy / O „Tuchspiel“ Melissa Reyes / O „Skipping Joe“


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Typografie Lehrbeauftragte: Brigitte Ammer

Das Laborfach Typografie ist für alle Studierenden des 2. Studienabschnitts frei wählbar. Daher setzt sich die Gruppe meist aus Studierenden aus allen acht Werkstätten zusammen. Der unvoreingenommene Zugang zu einem angewandten Bereich sorgt für heftige Diskussionen und für überraschende, unübliche Lösungen. Thema des Schuljahrs 2008/09 war das Plakat. Im Wintersemester entstanden vorwiegend Plakate,

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Alexander Zech / GD Daniel Karner / ID Caspar Macke / GD

die das Schulgeschehen thematisierten – mit der Absicht zu informieren und das Schulgebäude optisch zu „besetzen“. So entstanden zum Beispiel das Rahmenplakat für Berufsbild KünstlerIn; Plakate zur StudierendenvertreterInnenwahl, um die Wahlbeteiligung zu erhöhen; Plakate, die über Feste informierten und die Studierenden des Orientierungsjahrs zum Durchhalten aufforderten. Lehrveranstaltungen / Projekte l 91


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4 – 7 Gruppenarbeit:

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Kerstin Halm / GD Caspar Macke / GD Viktoria Kühn / GD Ruth Veres / GD Kristin Kitzler / GD Katrin Wieser / M


Im Sommersemester galt es, sich anhand eines persönlichen Themas künstlerisch zu positionieren.

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Mirjam Schweigkofler / GD „Freunde & Vernetzung“ Ich habe mir in der Lehrveranstaltung „Typografie“ das Semesterthema „Freunde & Vernetzung“ frei ausgewählt und mich damit auseinander gesetzt. Entstanden ist eine Plakatserie (A3 Format) mit grafischen Elementen, welche für Verknüpfungen und Freundschaften stehen sollen. Der kurze Text ergibt für Außenstehende wenig Sinn und ist somit ein weiteres Gestaltungselement, für mich hat er aber Bedeutung.

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Kristin Kitzler / GD „Sprichwörtliches“ Plakatserie zum Thema Umdeutung und Wörtliche Bedeutung. Von jedem der Plakate entstanden mehrere unterschiedliche Versionen – jeweils mit leicht geänderten Texten und somit verschobenen Bedeutungen. Als Ausgangsmaterial dienten Sprichwörter sowie Etiketten und Verpackungshinweise von Alltagsgegenständen.

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Ruth Veres / GD „Märchen“ Digitale Illustration

Plakatserie. Grimms Märchen: Schneewittchen und Dornröschen. Selbstportraits. 94 l Lehrveranstaltungen / Projekte

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Viktoria Kühn / GD


designbystudents Projektleiter: Brigitte Ammer, Birgit Kerber

Auf Einladung von Dr. Georg Szeless (FL Textil. Kreativagentur FabLab) entwickelten Studierende der kunstschule.at, Werkstätte Grafik Design, zum Thema Leben und Studieren an der Universität Wien sehr unterschiedliche Sujets. Die entstandenen Motive präsentieren die Universität Wien als attraktive Ausbildungsstätte, gehen aber auch mit viel Humor auf das StudentInnenleben, die Klischeebilder zum StudentInnenalltag und den Standort Wien ein. Von den eingereichten Arbeiten wurden fünf Motive für die Basiskollektion der neuen Designlinie der Universität Wien ausgewählt, auf T-Shirts gedruckt und bei der Messe UniLeben einer studentischen Öffentlichkeit präsentiert. Die Präsentation der Kollektion war auch der Start zum Wettbewerb „designbystudents“.

KooperationspartnerInnen Dr. Georg Szeless FL Textil Mag. Christine Cimzar-Egger

TeilnehmerInnen Nicole Fürst Lukas Gülcher Raphael Holczek Caspar Macke Petra Schwarz Mirjam Schweigkofler Christoph Tripes Ruth Veres Alexander Zech

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Öf fentlichkeitsarbeit Universität Wien Lehrveranstaltungen / Projekte l 95


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Erh채ltlich unter: www.designbystudents.net www.unistore.at


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Lukas G端lcher / GD Ruth Veres / GD 3, 4 Petra Schwarz / GD 5 Alexander Zech / GD

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Nicole F端rst / GD Mirjam Schweigkofler / GD 8 Caspar Macke / GD 6 7


Wettbewerb Carouge Rosemarie Benthen / K „GRIP“

Porzellan, transparent glasiert, gegossen, Tropfen appliziert, Untertasse: b 8 cm/h 1,2 cm/l 15 cm Tasse: h 6 cm/Ø 6 cm

Idee der Tasse und Untertasse war es, die konventionelle Grifflösung (Henkel) zu überdenken. Die Tropfen bilden Griffflächen, die dem Benutzer eine leichte Handhabung ermöglichen sollen. Insbesondere sollen die Erhöhungen auf der Tasse selbst (beim Verzehr heißer Getränke) ein Verbrennen der Finger verhindern.„GRIP“ war im Laufe der Ausstellung des internationalen Keramik-Wettbewerbes des Museums der Stadt Carouge (Genf) zu sehen. Thema des Wettbewerbs war die Tasse und ihre Untertasse. Lehrveranstaltungen / Projekte l 99


Workshop mit Petra Lutnyk

Organisatorin: Stefanie Wimmer

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Rosemarie Benthen / K Finni Petz / K Sibel Sermet / K Judith Giefing / K

Bei diesem Workshop ging es um die Auseinandersetzung mit alternativen Brenntechniken. Das bewusste Steuern der Brennkurve und die damit verbundene Betreuung des Ofens waren ausschlaggebend. Unter reduzierter Atmosphäre und zuvor mit verschiedenen Salzen und Oxiden behandelt, erhalten die Objekte ihre Zeichnung und Färbung. Die Vielfältigkeit der Oberflächen lässt die Möglichkeiten, die sich in dieser Brenntechnik verbergen, erahnen.

1 100 l Lehrveranstaltungen / Projekte


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Out of Wien oder die Biennale ‘09 in Venedig Projektleiter: Alfons N. Nebmaier

Making Worlds

Fast schon Tradition ist die Exkursion der Werkstätte für Bildhauerei zu einem aktuellen Event des laufenden Kunstjahres: mit einem Bein schon in der langen Sommerpause noch einmal Auseinandersetzung mit Kunst. 102 l Lehrveranstaltungen / Projekte

Diesmal: 53. Biennale in Venedig. Acht BildhauerInnen und eine Malerin der kunstschule machen sich per Zug auf in die Lagunenstadt, um das propagierte „Fare Mondi – Weltenmachen“ des Kurators Daniel Birnbaum zu begutachten. Vier Tage und Nächte müssen genügen, um Einblick in die Giardini, das Arsenale sowie die im Stadtgebiet verstreuten zusätzlichen Ausstellungen, Pavillons und Events mitzunehmen. Mehr als in anderen Städten atmet Mensch in Venedig Geschichte, nicht zuletzt auch als BesucherIn der Biennale, der ältesten unserer Welt. Die Unterkunft, mehr als spartanisch, trieb die Gruppe mehr oder minder gemeinsam, einsam oder in kleineren Häufchen durch die unüberschaubaren Gäßchen und Wasserstraßen. Allzu oft endete der Weg an einem überraschend auftauchenden Kanal, der auch so gar nicht im Plan eingezeichnet war. Die angeblich 444 Brücken reichten oft nicht aus. Das Eine suchen um das Andere zu finden ist der geheime Wahlspruch dieses Ortes. Ein Ergehen in, oder ein über sich Ergehen Lassen Venedigs ist unabdingbar. Glücklich, wer sich im richtigen Moment entscheiden kann. Schnell und angenehm sind die Vaporetti. Zurück in Wien stellt sich die Frage, warum Öffis hier eigentlich nicht schaukeln. Dauerhaft zwischen Kitsch, Kunst, Tourismus und


Alltag unterwegs. Grenzen verschwimmen. Dieser Reiz macht die Lagunenstadt interessant. Faszinierend, unaufgeregt pompös, trotz der Massen, macht Venedig Eindruck. Ähnlich die Biennale. Unser Besuch ist gleich zu Beginn der aktuellen Schau. Noch keine Woche alt, hält sich der Andrang glücklicherweise in Grenzen. Noch sehr sichtbar, aus einer vielleicht vergangenen Zeit, bereitet die immer noch bestehende Gliede-

rung der Nationenpavillons in den Giardini Unbehagen. Schiebt Mensch dies beiseite, bieten die architektonisch interessanten Gebäude Raum für einzelne oder mehrere KünstlerInnen, sich auszuleben. Einiges bleibt im Gedächtnis, vieles treibt vorbei. Übrig bleibt ein Gesamteindruck, der gut tut. Das Arsenale ist mittlerweile ein weiterer Fixpunkt der Biennale. Hier weht der Wind der Freiheit über die Kunst stärker. Das spürt Mensch beim Rezipieren. Freude macht das neu hinzugewonnene Areal hinter dem bekannten Arsenale. Hier hat Daniel Birnbaum eine Welt entstehen lassen können. Nach zwei Tagen im fest umrissenen Gebiet beginnt die Safari zu den verstreuten, mit Kunst gefüllten, Pallazi junger und oder aufstrebender Länder, die in den Giardini und dem Arsenale keinen Platz fanden oder finden wollten. Noch mehr Freiheit ist zu entdecken. Die Gefahr, daran vorbeizugehen, ist groß. Die Überraschung, plötzlich vor einem gesuchten Palazzo zu stehen ist umso entzückender. Die Mischung aus alter, erhabener Architektur und den künstlerischen Hervorbringungen unserer Zeit gelingt beinahe spielend. Zum Abschluss noch ein wenig klassische Moderne bei Guggenheims und Kunstgeschichte in den Kirchen Tiepolos. Auch schön. Gemeinsam Kunst begegnen, direkt vor Ort der Austausch darüber. Außerdem: Gespräche führen, die im kunstschulalltag kaum Raum und Zeit beanspruchen können. Mehr muss so eine Fahrt gar nicht bringen. Lehrveranstaltungen / Projekte l 103


kunstschule.at präsentierte Jahrbuch 366/08 und Ausstellung Die kunstschule.at lud am 25. 2. 2009 zur Präsentation des Jahrbuches mit dem Titel „366/08”. Um 10 Uhr begann der Präsentationstag mit einem Pressefrühstück, um 18 Uhr folgte das weitere Programm. Direktor Gerhard Hermanky und sein Team stellten Idee, Inhalt, Funktion und Gestaltung des Jahrbuchs sowie den Kooperationspartner Augustin vor. Die Veranstaltung wurde durch eine (aus)packende Performance von Daniela Schmeiser und ein Buffet abgerundet. Form und Inhalt des von den Studierenden selbst gestalteten Jahrbuchs bestimmte das Thema „Verpackung“. Als Umschlag dienten Zeitungen, auf die die Graphik-Werkstätte ein dafür konzipiertes künstle104 l Lehrveranstaltungen / Projekte

risches Werk druckte. So war jeder Umschlag ein Originalkunstwerk, das auseinandergefaltet und an die Wand gehängt werden konnte. „Die Gestaltung und das Erscheinungsbild des Jahrbuchs sind ein wesentlicher Identitätsfaktor der Schule. Jedes Studienjahr wird von den Studierenden ein Gestaltungskonzept entwickelt, das diese gemeinsam realisierten. Es ist kein schulisches Alltagsphänomen. Das Projekt fordert starkes Engagement aller Beteiligten. In zahlreichen Redaktionssitzungen müssen Beiträge gesammelt, Bildmaterial gesichtet, Layoutfragen geklärt, Diplomarbeiten beschrieben werden, etc.“ beschreibt Direktor Gerhard Hermanky die Entstehung des Jahrbuchs. „Wir danken auch unserem Kooperationspartner Augustin, mit dem wir das Projekt verwirklichen konnten.“ Sylvia Marz-Wagner, SKYunlimited



Ausstellung von 42 Studierenden der kunstschule.at In einer aufwändigen Installation in den Räumlichkeiten der kunstschule.at wurden parallel zur Jahrbuchpräsentation Werke von 42 Studierenden präsentiert. Bezirksvorsteherin Martina Malyar zeigte sich begeistert vom Jahrbuch und der Ausstellung: „Die Studierenden haben enormes Engagement bewiesen, indem sie diese beiden Projekte neben ihrem Studium realisiert haben. Als Bezirksvorsteherin freut es mich besonders, dass wir eine aktive und lebendige Kultur-Institution mitten in unserem Bezirk haben.“ Sylvia Marz-Wagner, SKYunlimited 106 l Lehrveranstaltungen / Projekte



Ausstellung zur Jahrbuch- pr채sentation

Performance von Daniela Schmeiser zur Jahrbuchpr채sentation 108 l Lehrveranstaltungen / Projekte


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Andrea Diewald / GD „add scans sequence“ Dauer: 1 min 2 sek

Video

Lehrbeauftragter: Michael Kargl

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Nach getaner Arbeit zieht sich Rumpelstilzchen zurück und tanzt um das Lagerfeuer. Allein und mitten in der Wildnis findet es sich freiwillig als Außenseiter jenseits der geordneten Vorgänge der Gesellschaft. Hier herrscht das Wilde, das Andere und seine zentrale Aufgabe besteht darin, wieder Halt und Ordnung zu finden, eine neue Vertrautheit aufzubauen. Einerseits bedeutet dies, die Wildnis und sich selbst als Teil von ihr anzunehmen, andererseits heißt dies auch, die Wildnis und sich selbst herauszufordern, einen ordnenden Kontrapunkt zu setzen und sich gegen wilde Tiere, Unwetter und eigene Launen zu behaupten. Die Methode ist simpel, aber effektiv: Beginnt Rumpelstilzchen das Feuer zu umrunden, wieder und wieder, beginnt es zu tanzen und zu singen, konstituiert sich ein Verhältnis zu jenem Punkt, an dem das Feuer brennt. Der Punkt wird zum Ort, ein Ort, der mit der Zeit die Geschichte zeugt. Ordnung im Chaos entsteht, vielleicht sogar Heimat, und damit Vertrautheit in vormals unbekanntem Terrain. Eine ähnliche Methode kann auch in künstlerischen Bereichen angewendet werden. Verlassen wir das Vertraute und die geordneten Ver-hältnisse der Fernseh- und Filmwelt, wie wir sie aus dem Alltag kennen, müssen wir zuerst ein Lagerfeuer entfachen und zu tanzen beginnen, um einen Punkt zu finden, der gleichzeitig Ausgangspunkt und Heimat darstellt. Entsteht in diesem Tanz um das Feuer mit der Zeit Vertrautheit, können wir uns auf diesen Rückzugsort verlassen. Die künstlerische Arbeit hat eine Basis gefunden. Rumpelstilzchen ist zuhause. Lehrveranstaltungen / Projekte l 109


TeilnehmerInnen Marie-Therese Amtmann Manuela Buxbaum Andrea Diewald Viktoria Kühn Patrick Lins Caspar Macke Katharina Mahel Isabella Mayer Krysztof Nemec Özgür Sevinc Hannes Wagner

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Hannes Wagner / ID „no title“

Dauer: 31 sek

Hannes Wagner / ID „horrormovie“

Dauer: 2 sek


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Patrick Lins / RG „abbruch“ Patrick Lins / RG „polaroid“

Dauer: 6 min 46 sek


Filmhunger

Konzept: Raffaela Bielesch, Veronika Burger und Bea Fasching konglomiratinnen@gmx.at http://id-kolchose.sonance.net/FilmHunger

Das Rezept Filmhunger wurde im Wintersemester 2005 von Studierenden für Studierende an der kunstschule.at entwickelt. Die damaligen Diplomandinnen schufen das Projekt aus dem Bedürfnis heraus, filmische Grundkompetenzen zu erarbeiten und weiterzugeben, die zwar vorausgesetzt, jedoch nicht vermittelt wurden. Aus der idealistischen, unbezahlten, autonomen und wilden Studentinneninitiative wurde im Laufe der Jahre ein Fixpunkt des Lehrveranstaltungsprogramms der kunstschule.at, der sich, zunächst im Labor der Interdisziplinären Klasse beheimatet, im Studienjahr 2009/10 zur eigenständigen Vorlesung emanzipierte. Kontinuierlich setzte sich Filmhunger fort und semesterspezifische bzw. jahresspezifische Schwerpunkte rund um das Thema Film in all seinen Facetten wurden gelegt. Die Filme dienen dabei sowohl als Material zum beständigen Ausbau eines historisch-philosophischenästhetischen Basiswissens, als auch als Quelle der Inspiration zur eigenen studentischen künstlerischen Konzeption und Positionierung. Die Konglomiratinnen stellten sich einigen Fragen: Was ist das Besondere an Filmhunger? Wir schaffen Raum für Filme und nehmen uns die Zeit, diese in Gesamtlänge und Originalsprache zu projizieren. Besonderen Wert legen wir auf den Aus-

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tausch mit unseren Studierenden – Positionen sollen extrahiert und Meinungen formuliert werden. Enterhaken auswerfen – und die alten Meister vom Dampfer der Gegenwart werfen – Rettungsringe dürfen nicht wachsen – schlank, schön, genial und prekär – Schutzheilige Heidi. Vorsicht, dass Ihr Euch nicht im Frauennetzwerk verfangt – auf zu neuen Ufern … Künstlerinnensoldiarität ahoi! (aus Filmhunger Utopie, 2005) Wie sieht eure Zusammenarbeit als Kollektiv aus? Durchhaltevermögen, Zusammenhalt und Idealismus prägten und prägen dieses Projekt. Innerhalb unseres Lehrkörperkollektivs gibt es häufig Neuformierungen, Transformationen und Schwerpunkte, doch ist es uns untereinander auch wichtig, immer ein Plätzchen für die andere warm zu halten, wenn der Bedarf kommt, wieder mitzuwirken, mitzuentwickeln und Programme zu entwerfen, die nach Spannung und Lust auf die Studierenden adaptiert werden. So rotiert unsere Besetzung des Lehrkollektivs von Jahr zu Jahr untereinander. Was natürlich immer wieder für konstruktive Spannung sorgt, aber die hält uns auch wach. Ich schneide mir eine Scheibe Raum ab. Lege sie aufs Brot. Genüsslich. Kennen gelernt. Meinen Körper. Veränderbar. Immer neu. In Frage stellen. Performative Praktiken. Vor. Hinter. Mittendrin. Im Publikum. Performt. Dokumentiert. Für und gegen die Kamera. Inszeniert. Für und vor der Kamera. Live. Getanzt. Gesprochen. Abgesetzt. Wiederholt. Von vorne begonnen. Unterbrochen. Währendessen. Eingegriffen.

Berührt. Bedroht. Die Haare aufgestellt. Revolutioniert. Räume aufgerissen. Lust. Neu vermessen. (aus Filmhunger Performanz, 2007/2008) Wo liegen für euch die Schwerpunkte in der Vermittlung von Medientheorie bzw. welche Benotungskritierien wendet ihr an? Ein besonderes Augenmerk legen wir auf Cultural Studies, Queer und Gender Studies und legen die Diskussionspunkte in den Gesprächen als einen Fokus an, um den wir mit den Studierenden kreisen, uns die Filme als Material, Ausgangspunkt und Diskurs dienen und uns neue Konzepte zu Ideen für visuelle Sicht- und Denkweisen geben. Filmhunger ist als Vorlesung und als freier Ort für verschiedene Partizipationen angelegt, der versucht, auf die einzelnen Studierenden einzugehen und eine Öffnung von strikten hierarchischen Gesprächsstrukturen anstrebt und umsetzt. Zu Benotung und Erhalt eines Zeugnisses legen wir Wert auf Anwesenheit, Diskursbereitschaft und die Entwicklung einer eigenen künstlerischen Umsetzung und Positionierung in der von den jeweiligen Studierenden gewählten Form (Filmkritik, Film, Video, Sound, Installation, Performance, Konzept …). Unsere Rolle als Unterrichtende sehen wir einerseits als Input für die Studierenden, wir stellen Thesen, Kritiken und Fragestellungen auf, entwickeln Meinungen innerhalb der Vorlesung und bieten Möglichkeiten der Partizipation an, die außerhalb von passivem Konsumieren liegt, anderseits füttern wir auch mit Fakten und Daten und ziehen Vergleiche mit der Bildenden Kunst. Lehrveranstaltungen / Projekte l 113


Siehst du wie sie bluten so warm und schnell, bald wird es stocken und sich dunkler färben, noch riecht es frisch. Hörst du wie sie schreien, so schmerzhaft und hilflos. Spürst du die Furcht, den Schweiß aus den ängstlichen Poren. Sie schreien, sie flehen, sie weinen, sie bluten, sie laufen, die Messer sind gewetzt. (aus Filmhunger Horror, 2008/2009) Was ist euch besonders wichtig in der Zusammenarbeit mit Studierenden? Wir bieten den Studierenden auch die Kontaktmöglichkeit außerhalb des Unterrichts für Feedback während der Prozessentwicklung an. Die Entwicklung und die Präsentation der künstlerischen Arbeiten der Studierenden gestalten wir transparent und öffentlich während unserer Vorlesung. Es ist für uns ein wichtiger Aspekt, dass die Studierenden nicht nur von uns, sondern auch von ihren Mitstudierenden Feedback erhalten. Sie sollen lernen, die eigene Meinung zu formulieren, Form- und Konzeptfindung und unterschiedliche Sichtweisen. Sie sollen sich einlassen lernen in den Arbeitsprozess ... Die Studierenden werden dazu ermutigt, ihre eigene Meinung zu formulieren und werden zu eigenen Nachforschungen und Recherchen angeregt. FILMHUNGER Heimat – Nationalistische Gefühlsagitationen. Cultural Studies. Auf- und Ab- und Verdrängen. Utopische Zwischenwelten und Schreiben von alten und neuen Identitäten. Über das Aufbrechen und Scheitern der Versuche. Zurücklassen von Werten, Sicherheiten und gewohnten Bildercodes. 114 l Lehrveranstaltungen / Projekte

Visuelle Erzählungen von Grenzüberschreitungen; Möglichkeiten von Wiederholung und Re_definition. (aus Filmhunger Heimat, 2009/2010) Meuterei erfolgreich.


Buch-Workshop Projektleiterin: Babsi Daum

Wenn ich weiß, wie ein Buch funktioniert, denke ich anders darüber nach. Das erste selbstgebundene Buch hat leere Seiten, gedacht als Skizzenbuch, Tagebuch, Platz für Gedanken, vielleicht bleiben die Seiten weiß. Wenn ich weiß, wie ein Buch funktioniert, denke ich anders darüber nach. Die Idee/der Inhalt können in Material und Bindeart adäquat umgesetzt werden, so dass Sinn und Sinnlichkeit entstehen. Wenn ich weiß, wie ein Buch funktioniert, denke ich anders darüber nach. Ein Buch hat viele Dimensionen: die Fläche, den Raum, die Zeit … Hier gilt es auszuprobieren, zu experimentieren, zu spielen. Wenn ich weiß, wie ein Buch funktioniert, denke ich anders darüber nach.

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Katharina Mahel / RG Max Cruder / RG 4, 5 Laura J채ggle / RG 1

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BeSt 09 5. – 8.3.2009

Projektleiter: Martin Huber

StudentInnen der kunstschule.at bauten „the best_ site“. Ein vorgefundener Restraum in der vorgegebenen Messearchitektur wurde zur „the best_site“ der kunstschule.at . Der eigentliche Messestand diente lediglich als Lücke im System, mit einem subtilen Hinweis auf den neuen Standort. Hier wurde durch eine inszenierte Campingsituation Mobilität und freies Denken thematisiert. Zum städtischen Raum gewandt, entstand ein akustisch und gestalterisch offener Messestand_ort. kunstschule.at ist anderswo und freut sich auf produktive Kontroversen. 118 l Lehrveranstaltungen / Projekte


Befragung zum BeSt-Stand

Drei Studierende des Orientierungsjahrs (A, B, C) ein Interviewer, Max Cruder / RG (I)

I: Wie habt ihr den BeStstand empfunden/Konzept? A: Provokant B: Gut platziert, gleich aufgefallen C: Minimalistisch I: Wie habt ihr die Beratung empfunden? C:  Die Beratung war gut, es war mir nur zu wenig. Wenn ich mich für eine Schule entscheide, ist es schwer, wenn man vor Ort nicht weiß, wie es abläuft. Eventuell kann ein Absolvent dabei sein, der sagen kann, wie es danach ist. Eine Schule zeichnet sich dadurch aus, wie die AbsolventInnen danach arbeiten, oder in welchen Berufsfeldern. Das hat mir gefehlt und mich ein wenig stutzig gemacht. I: Warum würdet ihr euch für die kunstschule entscheiden? C:  Das Orientierungsjahr hat mir ganz gut gefallen, dass man alles durchmachen kann. Das gibt es ja sonst nirgendwo. Es war irgendwie ein gutes Gefühl, dass ich dann das machen kann, was ich wirklich will, dass ich mich nicht über irgendeine Aufnahmeprüfung quälen muss. Das was sehr entscheidend. B:  Bei mir war es auch das Orientierungsjahr, dass man alles ausprobieren kann. Am Stand fand ich schon sehr gut, dass die BetreuerInnen auf uns zuge-

kommen sind, weil sie gemerkt haben, wir sind interessiert. Eine Freundin war auch dabei, die noch ein Jahr länger Schule hat und die sich speziell für Grafikdesign interessiert. Wir haben mitgemacht bei dem Workshop von der Objektgestaltung und temporäre Raumkonzepte. I: Wie habt ihr den Workshop empfunden? C:  Das war super, weil sie gezeigt haben, was sie machen, etwas Praxis bezogenes. Weil es so hätte sein können, dass sie einem das Blaue vom Himmel herunter lügen. Man hat gesehen, wie gearbeitet wird und dass der Fokus auf der Kreativität liegt. B:  Es war ganz gut, man hat sich gleich dazusetzen können und mitmachen, das habe ich angenehmer empfunden als bei anderen Ständen. Schlechtes Beispiel: Die Angewandte – Jury, … A:  Der einzige Stand, der gemütliche Hocker gehabt hat. Man hat sich hinsetzen können. Kurzes Gespräch, woher die einzelnen Studierenden kommen: A und B direkt von der Schule (Matura), C hat eineinhalb Jahre studiert.

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TeilnehmerInnen Manuela Buxbaum Max Cruder Kerstin Halm Tim Hartmann Kristin Kitzler Lila Lee Patrick Lins Hannes Wagner

Flyergestaltung: Kerstin Halm und Patrick Lins 122 l Lehrveranstaltungen / Projekte


Design

Lehrbeauftragter: Stefan Moritsch

„Der Designer ist kein Künstler, kann aber einer sein.“ Walter Gropius Wir sind 24 Stunden am Tag von Design umgeben, ob uns dies nun bewusst ist oder nicht. Sogar im Schlaf berühren und benützen wir mehr oder weniger gestaltete Dinge. Die Macht von Design erkennen vor allem die, die in die Gestaltung unserer alltäglichen Umwelt eingreifen, die DesignerInnen. Erst wenn man sich selbst aktiv mit Designentwicklung auseinandersetzt, beginnt man die Komplexität der Aufgabenstellungen zu begreifen und erkennt, welche Verantwortung den DesignerInnen übertragen ist. Design ist kein innerer Prozess. Es entsteht immer in der Auseinandersetzung mit unserer Umwelt. Relevante Designlösungen haben ihren Ursprung in technologischen, ökonomischen, kulturellen, gesellschaftlichen, ökologischen und sozialen Entwicklungen. Sie entstehen so gut wie nie autonom, sondern durch Kooperationen von Partnern aus den unterschiedlichsten Bereichen. Die Verknüpfung verschiedenster Einzelaspekte zu einem sinnvollen Ganzen ist die eigentliche Leistung der DesignerInnen. Zeitgenössische Designarbeit bedeutet die Anwendung unterschiedlichster Strategien und Arbeitsweisen zur Veränderung und Entwicklung unserer Kultur. Es entsteht durch die Verbindung künst-

lerischer, wissenschaftlicher und handwerklicher Methoden. Design ist interdisziplinär, offen für neue Sichtweisen und zielgerichtet. Design muss sich stetig in Frage stellen. Unter diesen Prämissen findet seit Ende 2008 ein Designkurs an der kunstschule.at statt. Im Verlauf eines Jahres werden den Studierenden grundlegende Kenntnisse zur Thematik vermittelt. Die theoretische Auseinandersetzung wird mit einer praktischen Übung verbunden, bei der die Studierenden design-typische Arbeitsweisen und Methoden selbst erproben und so ein tieferes Verständnis für die Disziplin entwickeln. Design an der kunstschule.at bewegt sich im Grenzbereich. Die Verwandtschaften und Unterschiede von freier künstlerischer Arbeit und zielgerichteter Designprozesse bewusst zu machen, ist wesentlicher Teil des Programms. Gerade die Analyse der Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Arbeitsweisen von KünstlerInnen und DesignerInnen hilft beiden, ihre eigene Disziplin besser zu verstehen. Die gezeigten Projektbeispiele entstanden 2008/2009 im Rahmen eines Workshops mit Studierenden der kunstschule.at.

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Guanwei Liu / GD Rosemarie Benthen / K Victoria Rowley / ID Patrick Lins / RG Finni Petz / K


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Katrin Wieser / M Caspar Macke / GD


Informationsbroschüre 2009/10 ProjektleiterInnen: Brigitte Ammer, Birgit Kerber, Tom Thörmer

Ein solches Druckwerk soll über die Schule allgemein, den Ablauf des Studiums sowie des konkreten kommenden Studienjahres und über die einzelnen Werkstätten, deren Inhalte und didaktische Grundsätze informieren. Das Gesamtkonzept, das die Gestaltung, die technische Ausführung und die Produktion beinhaltet, wird als interner Wettbewerb ausgeschrieben und 1

TeilnehmerInnen Kerstin Halm Kristin Kitzler Caspar Macke Viktoria Kühn Guanwei Liu Jennifer Payr Petra Schwarz Ruth Veres

auf der Grundlage dieser Wettbewerbsausschreibung entscheidet sich, welcher Entwurf realisiert wird. So arbeiten die Studierenden der Werkstätte Grafik Design schon während ihres Studiums für die Praxis und lernen, sich zu bewähren. Das Thema für die Informationsbroschüre 09/10 war „jung und frech“. Eine Jury aus Lehrenden und Studierenden entschied sich für das grafische Konzept von Viktoria Kühn. Die verwendeten Collagen aus dem Medium Film – Stars, HeldInnen und ihre Accessoires – symbolisieren die Grundhaltung der kunstschule.at als einer Institution, in der interdisziplinär und werkstättenübergreifend gearbeitet wird.


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Viktoria Kühn / GD Ruth Veres / GD „Peep Show“ Illustrationen. Bunte Vögel, Turteltäubchen und Pechvögel. 5 Petra Schwarz / GD

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Kerstin Halm / GD „Festivalkultur“ Caspar Macke / GD Viktoria Kühn / GD Lehrveranstaltungen / Projekte l 129


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Tag der offenen Tür Projektleiterin: Daniela Schmeiser

Am 28. April öffnete die kunstschule.at ihre Türen und ermöglichte allen Interessierten einen Einblick in sämtliche Werkstätten und Ateliers. Lehrende und Studierende stellten die Aktivitäten und Arbeitsweisen der einzelnen Werkstätten vor und präsentierten aktuelle Arbeiten. Zu jeder vollen Stunde begann ein besonderer Programmpunkt: Studierende präsentierten das neue Jahrbuch 366/08. Direktor Gerhard Hermanky und Daniela Schmeiser (Öffentlichkeitsarbeit) stellten die acht Fachbereiche vor und sprachen zu möglichen Berufsbildern und zum Kunstverständnis der kunstschule.at. Video- und Diapräsentationen von Arbeiten von Studierenden sowie eine Lesung von Tom Waibel rundeten den Tag der offenen Tür ab. Sylvia Marz-Wagner, SKYunlimited Lehrveranstaltungen / Projekte l 131


Keramik Ausstellung

Vernissage: 17. November 2009, 19 Uhr Ausstellung: 18. – 27. November 2009, Di-Fr von 14-18 Uhr Galerie Rienössl, 1090 Wien, Nußdorferstr. 53

TeilnehmerInnen  Rosemarie Benthen Judith Giefing Clemens Kristen Maria Mörtl Finni Petz Sibel Sermet Janin Wellbrock 132 l Lehrveranstaltungen / Projekte

Die kunstschule.at zeigte in der Galerie Rienössl Arbeiten von sieben StudentInnen aus der Abteilung Keramik- und Produktgestaltung eine der letzten professionellen Ausbildungsstätten in diesem Fachbereich in Österreich. Präsentiert wurden sieben sehr unterschiedliche Positionen – von industriellem Produktdesign, Lichtobjekten, MixedMedia-Objekten, bis hin zu Fashion-Design-Elementen und Schmuck. Die Werkstätte „Keramik und Produktgestaltung“ versteht sich als Experimentierfeld für die Formgebung von Gedanken und Gefühlen. Die Ausgangsmaterialien sind Ton, Porzellan und Gips. Ergänzend wird mit verschiedenen Kunststoffen gearbeitet, sowie mit jedem anderen Material, das für das jeweilige Vorhaben geeignet erscheint. Die technischen und ästhetischen Qualitäten dieser Werkstoffe eröffnen ein breites Arbeitsfeld: Industrielles Produktdesign, individuelle Gebrauchsgegenstände, freie Objektkunst und skulpturale Arbeiten, Gestaltungen im architektonischen Bereich sowie Installationsarbeiten. Die Werkstätte wird von Helene Avramidis, Hermann Seiser und Stefanie Wimmer geleitet.


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Plastisches Gestalten Lehrbeauftragter: Leslie De Melo

Die Plastik. Auszug aus einer Themenvielfalt. Marlene Hachmeisters Werk heißt „der ultimative Wurm“. Der Wurm ist ein Symbol. Der Wurm ist in uns. Der ultimative Wurm ist manipulierte Form. Jeremias Altmann greift das Thema Utopie auf und macht den Slogan „Make love, not war“ zum Inhalt seiner Plastik. Ein symbolisches Zeichen für den Wandel, der stattfinden kann, wird durch seine Arbeit artikuliert. Lena Stritter nennt ihre Arbeit „Birdcage“. Sie nimmt zum Thema „Dazwischen. Zwischen Realität und Irrealität“ Stellung. Der tote Vogel dient als Symbol des Verlustes der Freiheit. Die Gussformen werden im Raum installiert, einzelne Teile werden für eine spätere Installation verwendet. Das Ornament ist das zentrale Anliegen von Myriam Fries. Sie nennt das Werk „Kalamarblüte“. Der Durchmesser des Drahtes und die Arbeitstechnik des Flechtens prägen die Gestalt des Werkes. Das Werk ist Symbol für das Hybride. Regina Längle arbeitet klassisch und schafft eine Figur in Ton. Sie nimmt sich die Allegorie vor und thematisiert den Stolz. Lila Lee geht von einer Vision der Architektur aus und macht eine Ecke aus der Stadt zum Ausgangspunkt für ihre Vision „urbane Welten“. Das Modell thematisiert die Aufhebung der Ecke und lässt das Element des Fließens in diesen Raum einwirken. Es gibt viele Bereiche einer Stadt, die im Verborgenen liegen und es gilt, sie ans Licht zu bringen. 134 l Lehrveranstaltungen / Projekte


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Marlene Hachmeister / B Jeremias Altmann / G

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Lena Stritter / M Myriam Fries / M 5 Regina L채ngle / B 6 Lila Lee / ID 3

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EU-Austauschprojekt mit Tschechien Projektleiterin: Jitka Plesz

Im September 2009 waren drei Studentinnen im Zuge des von der EU geförderten Leonardo da Vinci Projektes einen Monat lang in Svetlá nad Sázavou, Tschechien, an der Umeleckoprumyslová Akademie, wo hauptsächlich mit Stein, Keramik und Glas gearbeitet wird. Die Studentinnen sollten Auslandspraxis bekommen und einen Einblick in die Arbeit mit Glas erhalten. Besonders begeistert waren die 138 l Lehrveranstaltungen / Projekte

Studentinnen von der Glashütte, in der sie verschiedene Techniken kennenlernten und ausprobieren durften. Ein paar der Werke sind im Jahrbuch vertreten, und eine detaillierte Einsicht ist auf kunstschule.at zu sehen. Im Großen und Ganzen haben die Studentinnen auch ihrer eigenen Ansicht nach großen Nutzen aus dem Austausch gezogen.


Teilnehmerinnen Katharina Mahel / RG Regina L채ngle / B Birgit Weinstabl / B


Projektwoche 09

Werkstättenübergreifendes Arbeiten Projektleiter: Gerhard Hermanky

Der reguläre Unterricht an der kunstschule.at setzt während der Projektwoche zugunsten von werkstättenübergreifenden Kooperationen aus. In Projektgruppen, die sich aus WerkstättenleiterInnen, Studierenden, LehrveranstaltungsleiterInnen und externen Kulturinstitutionen oder geladenen Personen zusammensetzen, finden zuvor erarbeitete Themen und Fragestellungen Raum und Umsetzung. Die Projektwoche findet im Sommersemester statt. Auch Studierende bilden selbständig Projektteams und reichen Themenvorschläge ein. 140 l Lehrveranstaltungen / Projekte

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Melanie Kasper / GD Matthias Moser / GD Emiliya Smokova / RG „Hand me down“ Teamarbeit, Fotodecollage Lehrveranstaltungen / Projekte l 141


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Lena Fasching / ID Madlen Lopatka / B Katharina Mahel / RG Eva Mogg / GD Martin Paschinger / GD Eraldo Peti / ID Veronika Tupy / O „Wegwerfkamera“ Verpackungsmaterial und mehrere digitale Kameras

mit Videofunktion. Werfen, Schaukeln, Fallen, Rollen, Rutschen.

Die Wegwerfkamera – Projektarbeit – fliegende, fallende, rollende, schaukelnde, rutschende … Videokamera. 7 Lena Fasching / ID „boun appétit monsieur mouche“

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black and white like harmony and animosity Projekt mit dem Spaghettiteller.


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Alle Bildung ist politische Bildung Birge Krondorfer

Im Zusammenhang der Vorbereitungen zu meinem diesjährigen Schwerpunktthema ‚Demokratie‘ im kulturwissenschaftlichen Bereich habe ich Folgendes im Rahmen der ‚Standards des DemokratieLernens‘ (aus dem Buch von Gerhard Himmelmann ‚Demokratie Lernen‘ zum Absatz ‚kognitive Fähigkeiten‘) gefunden, das ich hier leicht gekürzt wiedergeben möchte: Erkennen (Wiedergeben und Beschreiben) des Sachverhalts, der Aussagen, des Problems usw. (= Sachkenntnis) Unterscheiden (und Vergleichen) von Aussagen, Stellungnahmen, Wertpositionen ... (= Unterscheidungsvermögen) Erörtern (und Erläutern) der unterschiedlichen Aussagen im Gesamtkontext, weiterführende Fragestellungen erarbeiten (= Zusammenhänge) Untersuchen (und Erklären) der Geschichte, Ursprünge, Hintergründe... (= Geschichte) Kritisch überprüfen (Beurteilen und Bewerten) einer Position oder Stellungnahme nach ihren Folgen, Bedeutungen, Problemlösungsfähigkeit (= Folgen, Lösungsfähigkeiten) Argumentieren (und Stellung nehmen) für oder gegen eine Position; gemäß eigener, aber ausgewiesener Kriterien (= Stellungnahme, Kritik) 144 l

Begründen der eigenen Position; sowie Handlungsmöglichkeiten abschätzen (= Begründung, Handlungsfähigkeit) Reflektieren (und Diskutieren) der (normativen) Gehalte, beurteilen von Wertkonflikten usw. (= Reflexion)

Warum ist das hier die Introduktion? Meines Erachtens mangelt es ‚unserer‘ Institution an jenen Fähigkeiten zu oft – nicht nur den Studierenden, wenn sie z. B. ein Referat vorbereiten; nein, auch viele der allgemeinen Sitzungen des Kollegiums sind gekennzeichnet durch schweigende Mehrheiten und wenige MitstreiterInnen im Sinne einer Gesprächskultur, die auf argumentierten Unterschieden und kritischen Reflexionen basiert. Damit nimmt die kunstschule.at wahrlich keinen Sonderstatus ein, jedoch stellen wir ein überschaubares Gebilde dar, das andere – eben auch inhaltliche – Umgänge pflegen bzw. als Organisation selbst lernfähig sein könnte. Somit versteht sich dieser Text als ein Angebot zur Diskussion. Bildungspraxis einer emanzipatorischen Bildung Die These ist, dass vom Keramikkurs bis zur Philosophie der Ästhetik Bildungsangebote immer auch politische Bildung implizieren – gewollt oder ungewollt, gewusst oder ungewusst. (Auch dann, wenn sie sich bloß als Teil einer Ausbildungsmaschine verstehen, was heute neoliberalistisch „en vogue“ ist, und bekanntlich bezeugen Aussagen über die eigene politische Neutralität gerade ihr Gegenteil – und zumeist kein gutes.)


„Wissen, Wissenschaften, die damit verbundenen praktischen Anwendungen und die autorisierten Sprachsysteme organisieren und disziplinieren die menschliche Vernunft. […] Alles Wissen, alle vermittelbaren Tätigkeiten enthalten jenen festgemachten Rahmen, in dem überhaupt erst kommuniziert werden kann; in ihm wird bestimmt, was gilt, was anerkannt wird, was tabu ist, was bloß individuell und privat ist, worauf Rücksicht genommen werden muss, was vergessen werden kann […]. Diese kommunikative, öffentliche und damit allgemein politische Kompetenz allen Wissens […] wird meist verschämt verschwiegen oder überhaupt nicht gesehen. […] Ob wir es aber wollen oder nicht, ob es uns gesagt oder verschwiegen wird, mit allem Wissen übernehmen wir Teile eines sozialen Systems, das enger oder weiter vorselektiert ist […] und interpretieren damit prinzipiell politisch wirksame Strukturen. Alles Wissen führt indirekt in politisch-soziale 1 Verhältnisse ein.“ Diese Bedeutung von Bildung erfordert ein hohes Maß an Selbsteinsicht der Lehrenden und heißt, dass diese nicht nur über das jeweils erforderliche inhaltliche Wissen, sondern über soziale Kompetenzen verfügen müssen. Lehren als Gestaltungsund Steuerungsleistung von Gruppen heißt auch die Gruppe und ihre Prozesse als Instrument für Selbstentwicklung zu begreifen. „Nur wenn die Komplexität und die Vernetzung von Inhalt, Gruppe und Individuum in den Blick kommt, ist Lehren und Lernen produktiv möglich. […] Die drei Gestaltungs-

und Steuerungsebenen des Lehr- und Lernprozesses (sind): Inhaltsgestaltung und Inhaltsaneignung – Ebene der Sachlogik; Gruppenzusammensetzung und Gruppenentwicklung – Ebene der Soziologik; Einzelperson und ihre Veränderung – Ebene der 2 Psychologik.“ Sinnvolles Tun ist nicht „durch einen Katalog von Geboten abgesichert, sondern muss vielmehr von Fall zu Fall durch genaue Beobachtung der relevanten Bedingungen des Handelns, der aufeinander treffenden Widersprüche aller Art, und durch Beobachtung der Beobachtung, also durch Selbstbeobachtung und Selbstreflexion situativ entwickelt werden. Reflexion und Selbstreflexion stellen heute Bedingungen der 3 Möglichkeit guten Handelns dar.“ Eine sich als demokratisch-emanzipatorisch verstehende Bildung, die individuelles und gemeinschaftliches Lernen und Entwickeln ermöglichen will, frönt dem ‚Luxus‘ – und so muss man das angesichts der aktuellen Verwertungslogik und einer spezifischen Regierung des Wissens in der Wissensgesellschaft wohl auch benennen – einer humanistischen Aufklärungsmaxime, die nicht nur Selbstaufklärung inkludiert, sondern ebenso Selbstkritik fördert, um Lernsituationen zu gestalten, die Denk- und Handlungsspielräume der Teilnehmenden erweitern.

l 145


„Eine der Grundvoraussetzungen für gelingende Steuerungs- und Gestaltungsleistungen im Lehr-/ Lernprozeß ist die Fähigkeit, sich ein realistisches Bild von den eigenen Möglichkeiten und Grenzen bei der Ausübung von Leitungsfunktionen in Gruppen zu machen.

(…) Dazu eignen sich Trainings, die Gelegenheiten zum Überprüfen gewohnter Wahrnehmungs- und Verhaltensschemata bieten – und dazu eignen sich Formen der Beratung (Supervision). (…) Das Motto einer solchen Beratung für Trainer/Dozentinnen hieße dann: „Was muß ich als Leitender/Leitende für mich tun, damit ich etwas für die Lernenden tue?“ Geißler, ebd.; Seite 184f

Selbsteinschätzung der Steuerungskompetenz Kann ich die Phasen der Gruppenentwicklung erkennen? Kann ich die Gruppensituationen diagnostizieren? Kann ich die Gruppe zur Mitarbeit und Zusammenarbeit aktivieren? Kann ich es ertragen, wenn meine Rolle und Funktion durch Gruppenmitglieder zur Diskussion gestellt werden? Kann ich meine Rolle und meine Funktionen mit der Gruppe absprechen? Kann ich mit der Gruppe Regeln entwickeln? Kann ich relativ große Unterschiede zwischen Gruppenmitgliedern ertragen? Kann ich Störungen analysieren und im Gruppenprozeß bearbeiten? Kann ich mit Gruppenkonflikten produktiv umgehen? Kann ich der Gruppe Zeit lassen, selbst Lösungen zu finden? Machen mich Abweichungen der Gruppenmitglieder zu meinen Zielen neugierig? Kann ich die Originalität und Kreativität der Gruppenmitglieder fördern? Kann ich Kreativität und Originalität, die über meine Erwartungen hinausgehen, ertragen? Kann ich Gruppenmitglieder akzeptieren, die Führungsfunktion ausüben? Kann ich mit stark emotionalen Äußerungen der Gruppenteilnehmer umgehen? Kann ich es ertragen, wenn die Gruppe ohne mich auskommt? Kann ich undurchsichtige, chaotische Situationen im Gruppenprozeß ertragen? Bedrohen sie mich? Fühle ich mich kompetent, chaotische Situationen zu steuern? Habe ich das Gefühl, über die zur Steuerung von Gruppenprozessen notwendigen Interventionsmöglichkeiten verfügen zu können? Kann ich meine eigene Unsicherheit im Hinblickauf künftige neue Gruppenprozesse bearbeiten? 146 l

- - - + ++ - -1 -1 +1 ++ - -1 -1 +1 ++ - -1 -- - -1 - - - -1 - - - -1 - - - -1

-1 - -1 - -1 - -1 - -1

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++ ++ ++ ++ ++ ++ ++ ++ ++

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-1 -1 -1 -1

+1 +1 +1 +1

++ ++ ++ ++

- -1 -1 +1 ++ - -1 -1 +1 ++ - -1 - 1 +1 ++ - -1 -1 +1 ++


- - ++

kann ich überhaupt nicht kann ich sehr gut

„Empfehlung: Suchen Sie sich eine Person Ihres Vertrauens und besprechen Sie Ihre Selbsteinschätzung mit dieser.“ ebd.

Die kunstschule.at ist und wäre hierfür ein geeignetes Terrain, da sie weder ‚verpisat‘, noch ‚verbolognat‘ ist, d. h. dem vorherrschenden Bildungsparametern „Planbarkeit, Vernetzung, Standardisierung und Kontrolle“ nicht unterworfen ist und „individuelle Zugänge“ und „unorthodoxe Fragestellungen“ noch zulassen kann, da die sonst überall erfolgte „Modularisierung der Studien durch ein quantifizierendes und vereinheitlichendes Prinzip“ hier keine Vorschrift ist. (Nach K. P. Liessmann: Theorie der Unbildung. 2006; Seite 108, 112) Und das sollte auch so bleiben, denn durch „die Vorstellung von den unbedingt positiven Kräften der Marktkonkurrenz verbinden sich Globalisierungs- und Wissensgesellschaftsdiskurs zunehmend zu einem hoch brisanten Amalgam: Die Wissenschaft muss, um weiter bestehen zu können, globalisiert, der Globalisierungswettbewerb durch Wissenschaft gewonnen werden; je größer die Konkurrenz, desto besser die Qualität der materiellen und geistigen Produkte; je größer die Konkurrenz, desto besser die Leistungen derer, die diese Produkte erzeugen. Die disziplinierende Wirkungsmacht dieser Ideologeme in Wissenschaft und Gesellschaft kann gar nicht hoch genug veran4 schlagt werden.“

Kritische Theoriebildung Es gälte also dieser Disziplinarmacht mit einem emphatischen Bildungsbegriff zu entwischen, was, da wir ja alle im System hocken, also nicht außerhalb von diesem (uns) bilden und gestalten, per se eine Gratwanderung ist. Aber ein kritisches Bewusstsein von sich selbst als gespaltenes Subjekt, sowie ein distanziertes Verhältnis zum Vorgegebenen ermöglicht Dissens und Dissidenz. Dieser tätigen Haltung vorausgesetzt ist ein Wissen darüber, dass sich Bildung und ihre Gebilde in einem permanenten dialektischen Prozess von Entfremdung, Verfremdung und Aneignung, Enteignung befinden. Gerade die Kunst und ihre (kritische Selbst-)Reflexion bietet sich hier an. Am Beispiel von Adornos Erklärung des paradoxen Charakters der Kunst, nämlich dass Kunst Ding sein und gleichsam den eigenen Warencharakter negieren muss, lässt sich dies treffend erkennen. Die Autonomie der Kunst ist konstituiert durch das Verhältnis zu dem, was sie nicht ist, zur Heteronomie. „Daraus ergibt sich auch der Doppelcharakter der Kunst als autonom und ‚fait social‘, nachdem die beiden Momente voneinander untrennbar sind. In Bezug darauf zeigt Adorno am Beispiel des l 147


l,art pour l,art-Prinzips deutlich, wie die autonome, aber asoziale Kunst sich durch ihre Absage an die Gesellschaft als Vehikel der Ideologie anbieten kann. Zu beachten ist aber, dass das Wort ‚fait social‘ im Sinne der immanenten Bewegung der Kunst gegen die Gesellschaft nicht im Sinne ihrer manifesten Stellungnahme verstanden werden muss; Adorno zufolge kritisiert Kunst die Gesellschaft ‚durch ihr bloßes Dasein‘, ‚durch ihre Gegenposition zur Gesellschaft‘ ‚wird sie zum Gesellschaftlichen‘.“ 1 2 3 4

Bildungstheorie und Theoriebildung – verstanden als Philosophie der Abwendung von Gewohnheit und Gewöhnlichem – ist sich ihrer Angewiesenheit auf die Verhältnisse ebenso bewusst, wie der Entscheidung, diese zu überschreiten, bzw. Denk- und Gegen-Verhaltensformen zu initiieren.

Peter Heintel: Politische Bildung als Prinzip aller Bildung. 1977; Seite 45 und 47 K. A. Geißler: Lernprozesse steuern. 1995; Seite 17 Kurt Buchinger, in: P. Heintel u. a. (Hg.): Beratung und Ethik. 2006; Seite 37 Barbara Holland-Cunz: Die Regierung des Wissens. 2005, Seite 34

148 l

Dr. Birge Krondorfer,

Kulturwissenschaftlerin


327 Jahre nach Auftreten des ersten Sprechblasencomic

Werkstätte Comic & Animation Sequenzielle Kunst – ein komplexes „Phänomen“ Gabriele Szekatsch

Ort: Irgendwo im Sonnensystem. – Eine wissenschaftliche Raumschiff-Flotte, die sich außerhalb der Zeit der kreativen Erforschung der Sequenziellen Kunst widmet erhält einen Funkspruch. „Ungewöhnliche Wahrnehmungsveränderungen in Österreich registriert. Aktuelle Forschungsaktivitäten abbrechen und Verifizierung des Phänomens im Zielgebiet Österreich starten. – Order-Code: Communicate Sequential Art.“ Die Flotte verlässt den zeitlosen Raum und wird am Exit-Portal einer Einstein-Rosen-Brücke über dem deutschsprachigen Teil Europas sichtbar. Aus der Zeitlosigkeit kommend wird vor der Landung die aktuelle Sternenzeit des Zielgebiets ermittelt. Zu diesem Zweck beamen die WissenschaftsastronautInnen Zeitproben des Zielgebiets zur Analyse ins Laborschiff. Die materialisierten Proben werden in den Sequential-Art-Activity-Scanner eingelegt, der die Erdzeitproben mit Koordinaten historischer Erdzeit-Fakten nach fuzzylogischem Parametern abgleicht. Am Display erscheinen Datenkolonnen; als der Datenstrom stoppt fasst eine Computerstimme zusammen:

in England –

114 Jahre nach Start des „Platinum Age“ in den USA –

85 Jahre nach Entstehen erster österreichischen Comicserien1 – 38 Jahre nach Anerkennung des Comic als „9. Kunst2 –

BLING! - Sie befinden sich im Jänner 2009.

WOING – WOING – ALARM: Scanner registiert Dampf-

austrittsherde aus Bodenbuchstellen im Zielgebiet. Dampfa-

nalyse: rudimentäre „Schundheft“-Partikel. Herkunft: Vorzeit des Planeten. PIEP! – VIRUSCSAN : positiv. – Zielgebiet im

Bildungsbereich mit Virenstamm Global Economisation Flu

H0815 kontaminiert. RESULT: Sequential-Art-Aktivitäten im Zielgebiet. – USE SADECT FOR MORE INFORMATION.

Um die bestehenden Aktivitäten im Zielgebiet zu lokalisieren, wird der Sequential-Art-Detektor (SADECT 6) bedient, der das Zielgebiet in 3 Zonen gegliedert, abtastet und Aktivitätsdichten lokalisiert. – In Zone 1 werden ‚öffentliche Kulturabteilungen’, in Zone 2 autonome künstlerische Standorte und in Zone 3 Bildungseinrichtungen gescannt. Nach Abtastung der Zone 1 gerät das Forschungsteam in Verwunderung. Denn obschon ihnen Informationen über aufgenommene Regierungsaktivitäten im Erdenjahr 2008 vorliegen, zeigt der Detektor-Scan hier nur schwache Signale. Entsprechend ihrer Order versuchen sie dennoch mittels dem Sequential-Art-Communicator (SAC-3) Kontakt aufzunehmen. Kurz darauf erscheint die Antwort des zentralen Ministeriums für Kunst- & Bildungsnormen (bmkb) am Display: COMMUNICATION FAILED! ITEMS »COMIC« OR »SE


l‘art pour l‘art-Prinzips deutlich, wie die autonome, aber asoziale Kunst sich durch ihre Absage an die Gesellschaft als Vehikel der Ideologie anbieten kann. Zu beachten ist aber, dass das Wort ‚fait social‘ im Sinne der immanenten Bewegung der Kunst gegen die Gesellschaft nicht im Sinne ihrer manifesten Stellungnahme verstanden werden muss; Adorno zufolge kritisiert Kunst die Gesellschaft ‚durch ihr bloßes Dasein‘, ‚durch ihre Gegenposition zur Gesellschaft‘ ‚wird sie zum Gesellschaftlichen‘.“ 1 2 3 4

Bildungstheorie und Theoriebildung – verstanden als Philosophie der Abwendung von Gewohnheit und Gewöhnlichem – ist sich ihrer Angewiesenheit auf die Verhältnisse ebenso bewusst, wie der Entscheidung, diese zu überschreiten, bzw. Denk- und Gegen-Verhaltensformen zu initiieren.

Peter Heintel: Politische Bildung als Prinzip aller Bildung. 1977; Seite 45 und 47 K. A. Geißler : Lernprozesse steuern. 1995; Seite 17 Kurt Buchinger, in: P. Heintel u. a. (Hg.): Beratung und Ethik. 2006; Seite 37 Barbara Holland-Cunz: Die Regierung des Wissens. 2005, Seite 34

Dr. Birge Krondorfer,

Kulturwissenschaftlerin


Werkstätte Comic und Animation Sequenzielle Kunst – ein komplexes „Phänomen“ Gabriele Szekatsch

327 Jahre nach Auftreten des ersten Sprechblasencomic in England

114 Jahre nach Start des „Platinum Age“ in den USA

85 Jahre nach Entstehen erster österreichischen Comicserien 38 Jahre nach Anerkennung des Comic als 9. Kunst

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BLING! – Sie befinden sich im Jänner 2009.

WOING – WOING – ALARM: Scanner registiert Dampf-

austrittsherde aus Bodenbuchstellen im Zielgebiet. Dampfa-

nalyse: rudimentäre „Schundheft“-Partikel. Herkunft: Vorzeit

Ort: Irgendwo im Sonnensystem. – Eine wissenschaftliche Raumschiff-Flotte, die sich außerhalb der Zeit der kreativen Erforschung der Sequenziellen Kunst widmet, erhält einen Funkspruch. „Ungewöhnliche Wahrnehmungsveränderungen in Österreich registriert. Aktuelle Forschungsaktivitäten abbrechen und Verifizierung des Phänomens im Zielgebiet Österreich starten. – Order-Code: Communicate Sequential Art.“ Die Flotte verlässt den zeitlosen Raum und wird am Exit-Portal einer Einstein-Rosen-Brücke über dem deutschsprachigen Teil Europas sichtbar. Aus der Zeitlosigkeit kommend, wird vor der Landung die aktuelle Sternenzeit des Zielgebiets ermittelt. Zu diesem Zweck beamen die WissenschaftsastronautInnen Zeitproben des Zielgebiets zur Analyse ins Laborschiff. Die materialisierten Proben werden in den Sequential-Art-Activity-Scanner eingelegt, der die Erdzeitproben mit Koordinaten historischer Erdzeit-Fakten nach fuzzylogischem Parametern abgleicht. Am Display erscheinen Datenkolonnen; als der Datenstrom stoppt fasst eine Computerstimme zusammen:

des Planeten. PIEP! – VIRUSCSAN : positiv. – Zielgebiet im

Bildungsbereich mit Virenstamm Global Economisation Flu

H0815 kontaminiert. RESULT: Sequential-Art-Aktivitäten im Zielgebiet. – USE SADECT FOR MORE INFORMATION.

Um die bestehenden Aktivitäten im Zielgebiet zu lokalisieren, wird der Sequential-Art-Detektor (SADECT 6) bedient, der das Zielgebiet in 3 Zonen gegliedert, abtastet und Aktivitätsdichten lokalisiert. – In Zone 1 werden ‚öffentliche Kulturabteilungen‘, in Zone 2 autonome künstlerische Standorte und in Zone 3 Bildungseinrichtungen gescannt. Nach Abtastung der Zone 1 gerät das Forschungsteam in Verwunderung. Denn obschon ihnen Informationen über aufgenommene Regierungsaktivitäten im Erdenjahr 2008 vorliegen, zeigt der Detektor-Scan hier nur schwache Signale. Entsprechend ihrer Order versuchen sie dennoch, mittels Sequential-ArtCommunicator (SAC-3) Kontakt aufzunehmen. Kurz darauf erscheint die Antwort des zentralen Ministeriums für Kunst- und Bildungsnormen (bmkb) am Display: COMMUNICATION FAILED! ITEMS »COMIC« OR »SEQUENTIAL ART« UNKNOWN! Studierende l 151


G OV E R N M E N T-M A ST E R-R E DI R E C T ION: GO TO »SALZAMT« Die Fachcrew ist verwundert (Wurden sie wegen einer Fake-Meldung abberufen?) und wird der Sache zu einem späterem Zeitpunkt nachgehen. Denn jetzt zeigt sich beim Scan der Zone 2 ein Phänomen: Denn hier ist paradoxerweise eine Vielzahl dezentraler Signale mit hoher Impulsdichte zu registrieren! Da diese unabhängig vom öffentlichen Förderungsenergienetz der Zone 1 existieren (und kein Kunstorganismus ohne Energiezufuhr bestehen kann), vermuten die WissenschaftlerInnen, dass es sich um ‚übernatürliche Phänomene‘ handeln muss. Zur Lokalisationsanalyse der Phänome werden alle Raumkoordinaten, an dem hohe Aktivitätsdichten zu verzeichnen sind, in den Sequential-ArtSpace-Analyser (SASA71) eingegeben. Schon bald erscheint eine Ergebnisliste, nach der die unerklärlichen Signale von Standorten kommen, die als Privatateliers und Gruppenorganisationen von ComicKünstlerInnen verifiziert werden können. Weitere Signalimpulse werden auf Aktivitäten von KunststudentInnen zurückgeführt. Erstaunt über die übernatürlichen Vorgänge wird der Scan in Zone 3 gestartet. Hier werden Signale unterschiedlicher Impulskraft registriert, die auf Zusatz-Lehrangebote in Kunstuniversitäten, Volkshochschulen und anderen privaten Unterrichtszentren basieren. Mitten darin erscheinen zwei Signale mit überdurchschnittlich hoher Impulskraft, die in den Zonenabschnitten Wien 9, Lazarettgasse 152 l Studierende

und Wien 12, Anton-Scharff-Gasse lokalisiert werden. Die Analyse der Standortkoordinaten stellt rasch einen Zusammenhang zwischen den Impulsen her: „Aktivitätsgebiet »kunstschule.at«“. Den Auftrag verfolgend, wird umgehend eine Anfrage an die Aktivitätsgebietsverwaltung abgesendet. Nach der bestätigenden Meldung „COMMUNICATION SUCCESSFULLY!“ erscheint der Statusbericht der kunstschule.at am Display: Sequenzielle Kunst – eine Studiennovität in Österreich Seit 2003 ist Sequenzielle Kunst (populär unter dem Begriff „Comic“) in das Lehrangebot der kunstschule.at integriert. Bisweilen in Form von Blockveranstaltungen unterrichtet, entschloss sich die Schuldirektion im Rahmen aktualisierender Neustrukturierungsprozesse im Wintersemester 2008/09 zu einem Ausbau des Lehrangebots im Bereich Comic. Dies wurde vorerst in Form eines pilotierenden Wahlfachs umgesetzt, das von StudentInnen verschiedener Studienzweige genutzt wurde.Angesichts der aktuellen Entwicklungen der Kunst und des Kunstmarktes, in deren Rahmen Comic zunehmend an Bedeutung gewinnt, setzte die kunstschule schon ein Jahr später die innovative Bildungsoffensive fort. Der Bereich Comic und der bisher ebenfalls als Wahlfach angebotene Bereich Animation verschmolzen in der ‚Österreich-Premiere‘ des Studienzweigs Comic und Animation, der gemeinsam mit den Lehrenden und unterstützt von Studierenden umgesetzt wurde.


Mit der Einrichtung einer vollwertigen Ausbildungsmöglichkeit ist es bestehenden wie angehenden KunststudentInnen somit in Österreich erstmals möglich, sich im Rahmen eines Studiums vertiefend mit der interdisziplinären Komplexität, der Historie und den künstlerischen Möglichkeiten des „Comic“ auseinander zu setzen. Sequential Art – Detailansicht Denn Comic ist nicht gleich Gag-Strip, AdventureHeft oder Manga, sondern blickt als bildnerisch sequenzielles Medium auf eine lange Geschichte zurück, die je nach Standpunkt der Betrachtung verschiedene Ausgangspunkte aufweist. Beispielhaft hierfür sehen historische Betrachtungsweisen den Ausgangspunkt des Comic in seiner ‚Frühform‘ bereits in ägyptischen Totenbüchern (ca. 1300 v. Chr.) gegeben, wohingegen die populäre Sekundärliteratur von einer Genese des Sprechblasencomic in den USA ausgeht (1896, „The Yellow Kid“ von R. F. Outcault). Letztere US-zentrierte Sichtweise – die sich somit auf die kommerzielle ‚Verwertungskarriere’ der Comics in Tageszeitungen stützt – erweist sich jedoch als höchst lückenhaft, da sie nicht nur die eigene Frühgeschichte, sondern auch den Rest der Welt unbeleuchtet lässt. Denn so zeigt z. B. ein englisches Flugblatt, dass ca. 1682 von Francis Barlow mit dem Titel „A True Narrative of the Horrid Hellish Popish Plott“ veröffentlicht wurde, bereits 200 Jahre vor „Yellow Kid“ einen Sprechblasencomic auf. Durch die derzeit anwachsende wissenschaftliche und historische Auseinan-

dersetzung mit Comic werden aktuelle Daten folglich noch umfassende Korrekturen erfahren. Als revisionswürdig erscheint im deutschsprachigen Raum vor allem die autonome Identität der sequenziellen Kunst als eigenständige Gattung. Denn wurde sie von Geistes- und Literaturwissenschaft bisweilen zum Bereich der „Literatur“ gezählt, so wurde sie in der Malerei als ‚Subraum‘ der „Bildenden Kunst“ angesehen. Vor dem Background öffentlicher Verwirrung und bisheriger Annexionen des Bereichs wird es für die Studierenden folglich eine Herausforderung darstellen, die sequentielle Kunst von unzureichenden Definitionen und einschränkenden Zuweisungen zu befreien und durch künstlerische Auseinandersetzung eine individuell konturierte Identität in dieser Kunstform zu entwickeln. In diesem Sinn wird das Studium folglich nicht nur Einblicke in Historie, aktuelle Diskussionen und Evolutionsprozesse der sequentiellen Kunst ermöglichen, sondern zur aktiven Teilnahme, wie auch zur Einmischung auffordern. Ansatzpunkt zur Einmischung und kritischen Hinterfragung bietet bereits der Begriff ‚Comic‘ (ins Deutsche übernommene Bezeichnung für frühe USGag-Strips) selbst: „Der Begriff »Comic« sollte nicht nur für die Amerikaner zum Stolperstein werden. Auch die deutsche Sprache, die ihn adaptierte, hängt seither an einem Terminus, der grundsätzlich ungeeignet ist, das von ihm Bezeichnete zu beschreiben.“ 3 Eckart Sackmann Studierende l 153


Die offene Frage, wie sich das Bezeichnete beschreiben lässt, ist somit für alle Studieninteressierten als Einladung zur Einmischung in die laufende Diskussion zu verstehen. Den Background hierzu liefert das Studium, das sowohl praktische und theoretische Wissensvermittlung in klassischen Produktionsformen des Mediums (wie z. B. Strip, Heft, Album) vorsieht, wie es darüber hinaus auch Diskurs- und Praxisraum für Experimente sein kann. Obschon die klassischen Formen der Sequenziellen Kunst und alle davon ausgehenden Entwicklungen eine wichtige Basis darstellen, wird die Bildungsreise zu unterschiedlichen Gestaltungstechniken (wie Zeichnung, Tusche-Grafik, Foto, Collage, Copic- und Mischtechniken) und neueren digitale Comicformen (z. B. Web- und Handycomic) führen wie auch Zugänge zu experimentellen Methoden eröffnen. Ziel ist es, visuelle Systeme zu entwickeln, um die komplex vernetzten Strukturen der sequenziellen Kunst, die sich rund um ihr Herzstück „Narration“ reihen, in eine individuelle Form zu bringen und dabei sowohl Macro- wie Micro-Strukturen von Bild-, Text- und Narrationsebenen und deren Vernetzung zielsicher einsetzen zu können. Denn die Sequentielle Kunst, deren multidisziplinärer Umfang hier nur angedeutet werden kann, stellt ein komplexes System dar, dass sich im Raum der praktischen, historischen und theoretischen wie experimentellen künstlerischen Auseinandersetzung erschließen kann. Mit der Tatsache, dass dieser Raum nun erstmals in Österreich zum Studium 154 l Studierende

zur Verfügung steht, wären wir genau bei seiner Notwendigkeit angekommen. Die raumfahrenden ForscherInnen bringen ihre Schiffe in Landeposition. Denn Studien und interessante Weiterentwicklungen von Comic – klassisch, experimentell oder in Form von Animation – können somit auch innerhalb der österreichischen Raumzeit beginnen. 1

Recherchen des österreichischen Comicautors und -wissenschaf tlers Harald Havas zufolge erschienen satirische Bildfolgen kurz nach 1900 im Wiener Satireblatt „Der Götz von Berlichingen“ ( Fritz Gareis’ „Familie Riebeisel“).

2

Der Begrif f „Neunte Kunst“ steht heute als Synonym für „Comics“ und wird auf den f ranzösischen Literatur wissenschaf tler und Schrif tsteller Francis Lacassin zurückgeführt.

3

Eckart Sackmann ist u.a. deutscher Comic-Verleger und Gründungsmitglied der 2005 gegründeten ‚Gesellschaf t für Comicforschung‘. Das Zitat entstammt seinem Artikel „Comics sind nicht nur komisch. Zur Benennung und Def inition“

Studio für Animation Thomas Renoldner

Das Studio für Animation unter der Leitung von Thomas Renoldner existiert an der kunstschule.at seit dem Jahr 2003. Bislang wurden praktische Animations-Seminare für Anfänger und Forgeschrittene angeboten, die quer durch alle Werkstätten mit


1

2

großem Interesse angenommen wurden, einige außergewöhnliche Abschlussarbeiten wurden durch das Studio für Animation betreut. Dazu zählen etwa die ausgezeichnete Arbeit „ANIMAREPROSTALLADUKTION“ (Diplom 06) von Claudia Ungersbäck der Werkstätte Graphik, in der sie Zeichnungen und Fotokopien in mehre-

ren Schichten und Bearbeitungsstadien zeitlich und räumlich überlagert, variiert und verdichtet und mit der ähnlich aufwändigen akustischen Ebene kombiniert. Eine völlig andersartige, aber um nichts weniger faszinierende Diplomarbeit, die ebenfalls mit einer Auszeichnung bedacht wurde, ist „ICH NICHT“ (Diplom 08) von Aneta Grzeszczyk (Werkstätte Studierende l 155


Grafik Design), in der sie das bewegte Bild auf die Farben Schwarz und Weiß reduziert. Zu sehen ist die schwarze Silhouette des Körpers der Künstlerin, ihre Bewegungen zeigen den Vorgang des Ent- und Bekleidens. Die Künstlerin zeigt uns jedoch nicht ihren Körper, dieser löst sich im Weiß des Hintergrundes auf, schwarz gefärbt sind lediglich die Kleidungsstücke, über die sich die Umrisse des Körpers definieren lassen. Eine Gemeinsamkeit der beiden Arbeiten ist ihr interdisziplinärer Charakter. Verschiedenste Techniken (Zeichnung, Vektorgrafik, Malerei, Fotografie, Video) werden auf unterschiedliche Arten kombiniert und auf neue Möglichkeiten der Bildgestaltung hin untersucht. Eine größtmögliche Bandbreite in technischer, formaler und inhaltlicher Hinsicht auch in Zukunft zu unterstützen, ist eines der wichtigsten Hauptanliegen des Studios für Animation. Eine hauptsächlich aus personellen und infrastrukturellen Gründen notwendige Einschränkung ist dabei die Ausklammerung von 3-D-Computeranimation. Alle Trickfilmtechniken, die erlernt werden können, gehen von „analogen“ Ausgangsmaterialien aus: Zeichnung, Malerei, Collage, Fotografie, Skulptur, Objekte und alle nur erdenklichen Materialien werden 1 über die Einzelbildaufnahme zur „Art in Motion“. Auch in stilistischer und inhaltlicher Hinsicht ist Vielfalt das Ziel. Die Studierenden sollen ihre eigene künstlerische Sprache, ihren persönlichen Stil finden und die Gestaltungsstrategien dürfen sich zwischen Extrempolen wie „narrativ“ und „non-narra156 l Studierende

tiv“, „gegenständlich“ und „abstrakt“, „intellektuell“ und „intuitiv“, „komponiert“ und „improvisiert“, etc. bewegen. Als gültige und gleichberechtigte Motivationen für die eigene Arbeit können etwa „politisches Engagement“, „subjektive Befindlichkeit“, „formales Interesse“, etc. gelten. Grundsätzlich wird angestrebt, dass nach der Vermittlung von Grundkenntnissen im Orientierungsjahr in den folgenden Jahren eigenständige Projekte in den unterschiedlichsten Techniken als Semesterarbeiten entstehen. Besonderes Augenmerk gilt dabei der Wechselbeziehung von optischer und akustischer Ebene, also kommen zu den bildgestalterischen Techniken die Bereiche Sprache, Musik und Geräusch als zentrale Gestaltungsmittel hinzu. Parallel zur handwerklichen Ausbildung kommt der theoretischen und kunsthistorischen Auseinandersetzung mit zeit-basierter audio-visueller Kunst große Aufmerksamkeit zu. Dabei soll insbesondere vermittelt werden, dass die Kunst der bewegten Bilder bereits lange Zeit vor dem Kino betrieben wurde und auch weiterhin in unterschiedlichsten Erscheinungsformen existiert und ihre Möglichkeiten permanent ausweitet. 1

„Art in Motion: Animation Aesthetics“ (Indiana University Press; October 1998) ist ein Buch der international bedeutsamen Theoretikerin Maureen Furniss über Animation.


Claudia Ungersbäck / G „Animareprostalladuktion“ 3 Aneta Grzeszczyk / GD „ Ich nicht“ 1, 2

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Studierende l 157


Lena Fasching

boun appétit monsieur mouche

Schwarzweißfotografien: „black and white like harmony and animosity“

Projektwochenprojekt mit dem Spaghettiteller. 2. Semester


Philipp Birkmayer ohne Titel

Acryl auf Leinwand, 30 x 40 cm

Es ging mir bei meinen Bildern um ansprechende Motive mit starken Farben. 2. Semester Studierende l 159


J端rgen Korntheuer Transparenz Collage

Eine Plakatgestaltung. 2. Semester 160 l Studierende


Petra Schwarz Textildesign

llustrationen auf Textil. 5. Semester Studierende l 161


Manuela Buxbaum Schotenlight by Madame Le Kück

Fungiert als indirekter Beleuchtungskörper und Stimmungsvermittler in Wohnräumen. Gezielte Lichtführung und die unsichtbare Anordnung der erdig-natürlichen Porzellanschoten vermitteln einen willkommenen Eindruck. Entstanden in Zusammenarbeit mit Keramik und Formenbau. 5. Semester 162 l Studierende


Veronika Birer Krabat

Tiefdruck, 19 x 20,5 cm

Illustrationen zu Otfried Preußlers Krabat. 6. Semester Studierende l 163


Sebastian Edakarottu Durch den Regenwald Acryl auf Leinwand 4. Semester 164 l Studierende


Max Cruder kunstschule.at

Planenfolie, 90 x 40 x 175 cm, Druck

Verkleidung für den Schaukasten der kunstschule.at zur Außenrepräsentation. 6. Semester

max.cruder@gmx.at, 0650 215 16 66

Studierende l 165


Patrick Lins Baustellenbesetzung

Gebaute Vorstellung Maßstäbe Konstruierte Körper 4. Semester


Katharina Mahel Lochbildkeramik

Porzellan und Fotoemulsion Gussporzellan und Camera Obscura in Progress, 10, 12, 15 und 28  cm

Ziel war es einerseits, die Technik der Fotografie besser zu verstehen und andererseits, ein gutes Bild ohne aufwändige Technik herzustellen. So wurde die Geschichte der Fotografie aufgearbeitet und eine neue Art von Lochbildkamera geschaffen. Warum immer rechteckig und flach, wenn gute Bilder rund und dreidimensional viel besser wirken können? Nach Papercams ist eine Lochbildkamera aus Porzellan entstanden, deren Trägermaterial für das Bild auch als Kameragehäuse funktioniert. Durch die Technik und Herstellung der Kamera wird jedes einzelne Bild wieder wertvoll, da genau

überlegt sein soll, welches Motiv man in welcher Stimmung einfängt. Jedes Bild und jede Kugel ist ein Unikat. Obwohl jede Kamera vom Prinzip her nur einmal zu verwenden ist, ist sie keine Wegwerfkamera, da sie nach Belichtung immer noch als Kamera verwendbar ist, wenn man neues Fotomaterial einlegt. Durch die besondere Eigenschaft von Porzellan, welches nach dem Hochbrand transparent wird, kann man das Bild, das im Inneren der Kugel entstanden ist, auf der Außenseite durch Licht in der Innenseite sichtbar machen. So dient die Kugel nach wie vor als Kamera und wird zum Lichtobjekt. Entstanden in Zusammenarbeit mit Keramik und Formenbau. 6. Semester katharina_mahel@gmx.net

Studierende l 167


Elias Berner Unter einer Decke

Die Bilderserie „Unter einer Decke“ hat seine Wurzeln in einer Phase konstanter Schlaflosigkeit, welche zu diesem Zeitpunkt meine Wahrnehmung geprägt hatte. Die Kräfte zehrende Müdigkeit ließ mein Umfeld hart, kalt, grau, rauh und lebensfeindlich und die schlaflose Zeit im Bett Nerven aufreibend wirken, mit Ausnahme weniger Momente in den Morgenstunden, in welchen ich unter mein Laken kroch, um meine Augen vor der blendenden Morgensonne zu schützen und die Müdigkeit mich ruhig und entspannt werden ließ. So bildete sich ein eigener Raum, welcher Ruhe und Entspannung bot und die harte, graue Welt von mir abschloss. Ausgehend von diesen formulierten Empfindungen und Überlegungen fand ich es nahe liegend, mein gesamtes Leben in die Parallelwelt „Unter eine Decke“ zu verlagern und damit diesen eigens konstruierten Raum in seinen Funktionen zu erweitern. Die unter diesen Überlegungen entstandene Bilderserie zeigt verschiedene Menschen, welche ich zu ihrem Alltag „Unter eine Decke“ geladen hatte und die so durch Laken und Körperkontur entstandene Architektur in Innen- und Außenansicht. 4. Semester 168 l Studierende


Nora Bischof Gegen das Angewandte Foto mit Text 3. Semester

Heute hat mich etwas, naja, nicht aus der Fassung gebracht, aber doch stark gewundert. Ich habe mich seit ein paar Wochen mit einer Frau angefreundet, die auch in unserem Wohngebiet lebt. Ă„hnliche Interessen, Kinder im gleichen Alter, passt gut. Ich kenne sie als sehr gepflegte Erscheinung, also immer dezent geschminkt, gute Frisur. Heute waren wir das erste Mal zusammen im Schwimmbad, wo ich feststellen musste, dass sie offenbar die Achseln nicht rasiert. Also - die Haare waren nicht am Nachwachsen, weil vernachlässigt, es war ein richtiger Busch, also die wurden noch NIE rasiert. Ich kann seither nicht aufhĂśren daran zu denken.


Stefanie Hempel Farbfluss

Farbe und Bewegung in einer Arbeit zu verbinden, versuchte ich mit gefrorenen Pigmenten, die ich bei ihrem Schmelzprozess fotografierte. Form und Farbe sprechen das Auge unheimlich an und eigentlich ist man dazu verleitet, einmal zu kosten ‌ 2. Semester 170 l Studierende


Kristin Kitzler Black Cats

Illustrationen: Buchcover, Plakatentwurf

Anlässlich des 200-Jahr-Jubiläums von Edgar Allan Poe entstanden die Illustrationen in Anlehnung an seine berühmte Kurzgeschichte „The black cat“. 6.Semester


Nicole Fürst

Konkrete Poesie, Visuelle Poesie CD-Verpackung

Tsang Kin Wah, ein japanischer Künstler, arbeitet hauptsächlich mit Ornamenten, Schriftzeichen und Worten an Wänden und in Räumen. Ausgehend von seiner Arbeitsmethode zieht sich bei meinem Konzept diese „Wortornamentik“ durch die gesamte Gestaltung (Verpackung, CD, Booklet). Die CD selbst, von Wortornamenten übersät, liegt versteckt im Booklet, das durch Aufklappen zur 3. Dimension und somit zum Raum wird. 4. Semester 172 l Studierende


Ruth Veres Kokonmädchen

Soft Toy – Puppe. Vektorgrafik, Siebdruck auf Textil, 13,5 x 25 cm

„Hide!“ Verstecken, Verhüllen und Unsichtbarmachen. Das Kokonmädchen ist eingesponnen in einen Kokon, muss sich erst von der Puppe zum Schmetterling entfalten und erwachsen werden. 6. Semester r.veres@gmx.at

Studierende l 173


Eva Eiweck Gehen

Videoserie, ca. 1 Minute pro Video

„Lass dich nicht gehen, geh selbst!“, Zitat von Magda Bentrup. 2. Semester 174 l Studierende


Emiliya Smokova

F체nf Sekunden F체nf Fotos zu je einer Sekunde. Diese wurden h채ndisch bearbeitet.

2. Semester


Jakob Ritt

Vanity – Vergänglichkeit SW-Kopierer, Klebelayout

Verbildlichung des abstrakten Begriffs „Vergänglichkeit“. 2. Semester 176 l Studierende


Melanie Kasper identity

Banderolen- und Logodesign, Zeichnung, Collage, schwarze Stifte, Fotokopierer, Transparentpapier, Zeitschriften

Mann und Frau? – Mann oder Frau? Identity – es ist nicht immer klar, welche Identität man gerade sieht; den Mann in der Frau, oder die Frau im Mann? 2. Semester Studierende l 177


Sarin Baghdoyan Music Juice

Coverdesign, Zeichnung und Computerbearbeitung

Bunte Formen der Hippie-Kultur auf schwarzem Hintergrund, neu interpretiert f端r ein Cover eines Musikmagazins. 2. Semester 178 l Studierende


Mirjam Schweigkofler konkrete, visuelle Poesie CD-Verpackung

Heinz Gappmayr zählt zu jenen Künstler-Theoretikern, die sich seit den Sechzigerjahren in ihren Texten und künstlerischen Arbeiten mit den Zusammenhängen zwischen visueller und sprachlicher Bedeutungsproduktion befassen. Seine Arbeiten zielen darauf ab, Worte, Begriffe und Sätze so auf Papier, Leinwand und Wandflächen zu setzen, dass ihre Bedeutung auch in ihrer kompositionellen Anordnung zum Ausdruck kommt. Bei Gappmayr werden vor allem Worte des Seins, des Werdens und Vergehens in dynamisierten Buchstaben- und Wortfolgen abgebildet. Meine Auseinandersetzung mit seinem Leben und meine Interpretation seiner Werke wurde in der Gestaltung einer CD, deren Verpackung, sowie dem dazugehörigen Booklet visualisiert, ganz auf Gappmayrs Stil zugeschnitten. 4. Semester Studierende l 179


Christopher Jahl Drei Gesichter

Aquarell auf Karton, 100 x 75 cm

Das Bild ist Teil einer Serie, die sich mit der Präsenz und der Wahrnehmung von Emotionen im heutigen Alltag beschäftigt. Speziell wird dabei in Frage gestellt, ob bei der herrschenden und anwachsenden medialen Überlastung und der dadurch augenscheinlich beschleunigten und (noch weiter) verbreiteten Abstumpfung gegen Anreize von Außen gerade das traditionsbeladene Medium des Gemäldes noch tatsächliche, affektgeladene, emotionale Regungen bei dem eventuellen Rezipienten hervorrufen kann. 2. Semester

180 l Studierende


Karoline Kögl aa Linolschnitt, 16 x 21 cm

Ausgehend von zeichnerischen Objektstudien eines Pinienzapfens, von denen Kopien erstellt und anschließend in Collagen umgesetzt wurden, sind neue Bildräume enststanden. Die neu entstandenen Motive sind mittels Umdruck auf eine Linolplatte übertragen und durch den Mehrfarbendruck neu definiert worden. Die Umsetzung des Objekts schafft die Möglichkeit, es in einen multiplen Prozess einzubinden und es doch in seiner natürlichen Eigenständigkeit zu belassen. 5. Semester Studierende l 181


Myriam Fries Haare ab

Fotoanimation

Im Vordergrund steht eine Aktion, bei der alle meine Haare st체ck- bzw. str채hnenweise abgeschnitten wurden. Die Aktion wurde mit 288 Fotos dokumentiert, aus denen die Animation entstand. Was/wer bleibt 체brig? Begegnung mit mir selbst. 4. Semester 182 l Studierende


Andrea Freissler Umbruch, Ausbruch, Aufbruch Öl und Acryl auf Leinwand, 80 x 80 cm

„Wenn wir uns von der Vorstellung lösen, es müsste immer so weitergehen wie bisher, dann laden uns plötzlich tausend neue Möglichkeiten zu neuem Leben ein.“ 2. Semester Studierende l 183


Matthias Moser Max & Moritz

Collage, Tusche (bearbeitet am SW-Kopierer)

Max & Moritz – eine Männergeschichte, Neuinterpretation der Charaktere, wobei deren individuelle Lebenssituation, deren Beweggründe und Ängste in der Illustration deutlich gemacht werden sollen. 2. Semester 184 l Studierende


Heidi Koubek Schichtarbeit

Collage mit mehreren Ebenen, Papier, 156 x 90 cm

Arbeiten wir, um zu leben oder leben wir, um zu arbeiten? Ein künstlerischer Versuch, den komplexen Kosmos von Arbeit <> Geld <> Wirtschaft <> Konsum zu durchdringen. Es gibt keine Antworten. Jede Ebene ist ein eigener Kosmos für sich. Jede Schicht wirft weitere Fragen auf. 2. Semester Studierende l 185


Martin Bischof SeptemberKÄVer

Buchprojekt, Alugrafie, 48 Einzelgrafiken, Seitengröße 30 x 20 cm

Das SeptemberKÄVer-Buch ist eine dokumentarische Arbeit über das Musikfestival SeptemberKÄVer auf Schloss Walchen am Attersee. Die Basis für die Arbeiten sind Fotografien und Zeichungen, die vor Ort entstanden sind. Die Kombination von Fotografie und Zeichnung in einer Collage, die im Offsetdruck realisiert wurde, transportiert das subjektive Erleben des Festivals. 7. Semester 186 l Studierende


1

Andrea Blaukopf Aufzug in die Ewigkeit

Sepia-Tusche, Digitale Montage 1 2 2

Characterdesign zu Projekt „Aufzug in die Ewigkeit“ Bildausschnitt aus Projekt „Aufzug in die Ewigkeit“, Blatt 1 (in Arbeit). 4. Semester Studierende l 187


Armina Hatic Tsunami

Kupfermünzen auf Betonsockel, Höhe: 55 cm 7. Semester 188 l Studierende


Sibel Sermet

Pollastrella (Tischleuchte)

Porzellan glasiert, Alublech, E14 Fassungen/Glühbirnen, Transparentkabel, Gieß- & Garnier-Technik, 10 x 55 x 15 cm

Die Tischleuchte Pollastrella ist in der keramischen Auseinandersetzung mit Pflanzenteilen entstanden. Als Versuchsobjekt wurde die umgangssprachlich so genannte „Fette Henne“ herangezogen. Eine Vielzahl von Blättern wurde aus Porzellan gegossen und aneinander gereiht. Von Innen beleuchtet entsteht eine spannungsvolle Licht- und Schattenwirkung. 4. Semester www.sibelsermet.com

Studierende l 189


Kerstin Halm Jane und John Doe Computerillustration

Jane und John Doe sind schon seit Ewigkeiten verheiratet. Sie verbringen jedoch nicht viel Zeit miteinander, da sie sich immer aus den Augen verlieren. Aus den zwei Charakteren wurde ein Handysuchger채t. Jane ist ein Armband und John ein Anh채nger f체r das Handy. Aktiviert man den Knopf in Janes Auge beginnt John den Namen seiner Liebsten zu br체llen. Und zwar solange bis sie ihn gefunden hat. 5. Semester

kerstin.halm@gmx.at 190 l Studierende


Laura Jäggle Wahrgenommen werden

Copic-Marker und Wolle auf Leinwand, 50 x 20 cm

Die graue Masse, ein Flirren vor Augen. Anpassen. Dazugehören. Abheben. Untertauchen. Anders sein. Wahrgenommen werden? 6. Semester Studierende l 191


Caspar Macke Finn

Illustration eines Kinderbuches nach einem Text von Anja Heindl. 6. Semester

c.macke@hotmail.de

192 l Studierende


Marlene Hachmeister ohne Titel

Mischtechnik, Materialbild auf Holzspanplatte, 185 x 280 cm

Im Rahmen des „Kunst. Projekt. Annäherung 12 + Integration“. Agenda St. Elisabeth-Viertel. Kunstprojekt an der Mauer des Theresianums, 1040 Wien, September 2009 bis September 2010. 5. Semester Studierende l 193


194 l Studierende


Thomas Albert

Das schwarze Schaf oder 100 weiße Schafe

Gips (Alabaster), Acrylfarbe, Draht, Mullbinden plastisch aufbauend, Höhe: 13 – 25 cm

Aufarbeitung, Veranschaulichung einer Redewendung, welche sich ursprünglich auf die Schafzucht bezieht und die Ausgrenzung eines schwarzen Schafes aus wirtschaftlichen Zwecken bezeichnet. Im sprichwörtlichen Sinne bezeichnet es ein Individuum, das sich durch sein Verhalten oder optisch von der Gruppe unterscheidet und somit markiert wird. Die Arbeit besteht aus 101 Einzelstücken, einer Mischung aus objekthaften und figuralen Unikaten, welche situationsbedingt zu ihrer Positionierung gelangen. 4. Semester Studierende l 195


Manfred Lipska Metamorphosen

Aquarell auf Papier, 42  x 60 cm

Veränderung von Farbmustern innerhalb von fünf Stunden bei leichter Erschütterung. 2. Semester 196 l Studierende


Jeremias Altmann Gesichter des Wahnsinns

Tiefdruck auf Kupferplatte, überarbeitet mit Wasserfarbe, Bleistift und Tusche, 22,8 x 32,8 cm

Aus einem fotografischen Missgeschick und der Kombination verschiedener Tiefdrucktechniken entstand ein Selbstporträt, welches sich in weiterer Folge zum Ausgangspunkt für eine Serie an Überarbeitungen entwickelte. 4. Semester Studierende l 197


Lisa Rindberger Bewegung

Plakat, Collage, Zeichnung

Über das Experimentieren mit unterschiedlichen Techniken sollten möglichst viele Bilder zum gewählten Begriff entstehen, die die visuelle Grundlage für den Einsatz in der Plakatgestaltung darstellen. Mein Thema „Bewegung“ – geistige Bewegung, Bewegung im Kopf, Gedankenstrom, Kreativität – repräsentiert die Marke Pelikan. 2. Semester 198 l Studierende


Regina L채ngle aa

Licht und Schatten verleihen Objekten ihre Plastizit채t. Wenn der Schatten direkt auf eine zweidimensionale Fl채che projiziert wird, geht diese Wirkung vorerst verloren; erst durch Mehrfachbelichtungen tritt die Plastizit채t wieder hervor. 5. Semester

regina_laengle@hotmail.com Studierende l 199


Frewat Alice Die Statue

Papier teilweise geschnitten, kopiert, mit dem Fineliner Akzente gesetzt

Zeichnerische Darstellung der Krise zwischen USA und der arabischen Welt. Aufgabenstellung: Vier vorgegebene Statuen, eine davon konnten wir selbst entwerfen bzw. zeichnen. 2. Semester

200 l Studierende


Melissa Reyes Nite Sparks

Zu dem Thema „Lichtobjekte“ kam mir sofort die Idee, aus Plastikbechern ein Lichtobjekt zu machen. Mit 120 Plastikbechern, die mit Folie beklebt wurden, wurde ein Iglu geschaffen. Um alles festzuhalten, habe ich sie mit doppelseitigem Klebeband fixiert. 2. Semester Studierende l 201


Josef Mayer Aufzug in die Ewigkeit Tuschezeichnung 3. Semester 202 l Studierende


Viki Kühn

I am covered in skin 4´36´´ Die Haut, das größte Organ des menschlichen Körpers, Spiegel unserer Seele, grenzt das Innere vom Äußeren ab. Der Film „I am covered in skin“ zeigt den Prozess des Nachaußentretens meines Selbst. Das Äußere wird zum Inneren, das Innere zum Äußeren … 6. Semester

www.vikikuehn.com

Studierende l 203


Judith Giefing

aa Gießverfahren, white body Objekt 1: 25 x34 x 13 cm Objekt 2: 29 x 15 x 10 cm Objekt 3: 23 x 31 x 12 cm

Eine Landschaft wird zu einer Fotografie. Elemente dieser entstandenen Aufnahme, werden zur Grundfläche der keramischen Objekte. Durch die Transformation einer zweidimensionalen Fläche in einen dreidimensionalen Gegenstand, entstehen neue Formen, Ein- und Ausbuchtungen. Die Faszination gilt dem Prozess der Mutation. Neue Blickwinkel werden auf eine ungewöhnliche Art und Weise kreiert bzw. überhaupt erst ermöglicht. 5. Semester 204 l Studierende


Patrick Guth

Kommissar Waldmeister Bildausschnitt, digitale Montage – Projekt in Arbeit 5. Semester Studierende l 205


Rosemarie Benthen Quintett

Schamottierter Ton, Plattentechnik, 25 x 55 x 25 cm

Die geometrische Grundform eines Quaders wird durch vier präzise Schnitte geteilt. Die Gesetzmäßigkeit, der die Teilungen unterliegen, findet sich im Volumen. Die Schnitte sind dabei so gelegt, dass das Volumen vom Kleinsten zum folgenden Körper immer um die Hälfte zunimmt. Folglich entstehen fünf unterschiedliche und von einander unabhängige Körper, die als Gemeinsamkeit der Form des Quaders entspringen. Je nach Positionierung der fünf Teile zu einander können sie dem Betrachter Dichte, Auflösung oder sogar Sprengung vermitteln. 6. Semester

206 l Studierende


Guanwei Liu Toastbild Mona Lisa 260 x 150 cm

Das Bild besteht aus Toastbrotscheiben, die unterschiedlich lange im Backrohr gebacken wurden, um verschiedene Bräunungsstufen zu erreichen. Die Inspiration dazu entstand beim Frühstück. 6. Semester Studierende l 207


Alexander Zech

Visuelle Poesie – Gerhard Rühm CD-Cover- und Bookletgestaltung

Durch den Einsatz von Techniken (Typocollagen, Schrifttuschen, Frottagen usw.), die auch der Künstler Gerhard Rühm, ein Künstler der Wiener Gruppe, in seinen Arbeiten zum Einsatz brachte, entstand ein CD-Cover mit Hülle. Die Umsetzung dieses Projektes war die größte Herausforderung des gesamten vierten Semesters und erforderte intensive Recherche-Arbeit. 4. Semester 208 l Studierende


Anita Zezic Nach Allem

Acryl auf Sperrholzplatte, Gips, Collage, 120 x 90 cm

Das Leben nach dem Krieg. Die Überlebenden trauern um die unschuldigen Opfer. 6. Semester

Studierende l 209


Erklärung der Lehrenden der kunstschule.at vom 5.11. 2009 Wir erklären unsere Solidarität mit den derzeit an unterschiedlichen Bildungsinstitutionen stattfindenden Protesten und rufen dazu auf, diese zu unterstützen. Der von den Studierenden initiierte Protest hat den dringenden Bedarf an einer umfassenden bildungsund gesellschaftspolitischen Debatte sichtbar gemacht. Der zunehmende Abbau von Demokratie im Bildungsbereich, die verstärkte Ausrichtung von Bildungspolitik an unreflektierten Marktlogiken und die strukturelle Verknappung der Ressourcen für Bildung betrifft Studierende und Lehrende gleichermaßen. Die systematische Prekarisierung von Lehrenden hat Vereinzelung, Verunsicherung, Demotivierung und Konkurrenzdenken zur Folge. Daher erklären wir Wir Lehrenden der kunstschule.at solidarisieren uns mit der Protestbewegung. Wir fordern die Demokratisierung der Bildungsinstitutionen, den freien Zugang zu Bildungseinrichtungen und deren ausreichende finanzielle Ausstattung. 210 l

Wir fordern die studierenden, lehrenden und forschenden KollegInnen auf, ihre Lehrveranstaltungen für bildungs- und gesellschaftspolitische Fragen und Forderungen der Protestbewegung zu nutzen. Wir fordern die studierenden, lehrenden und forschenden KollegInnen auf, die Einrichtung kollektiver Orte für die Debatte um die Gegenwart und Zukunft von Bildung und Gesellschaft zu unterstützen und sich daran zu beteiligen. Wir solidarisieren uns mit der gemeinsamen Erklärung der Lehrenden und Forschenden der Akademie der bildenden Künste, Uni Wien, TU Wien und BOKU Wien. Diese Erklärung wurde vom Lehrendenkollegium der kunstschule.at im November 2009 angenommen.


l 211


Reiche Eltern für Alle! Bildungsproteste im Spiegel ihrer Slogans Tom Waibel

„Reiche Eltern für Alle!“, diese grotesk anmutende Forderung beanspruchte während der ersten Tage im besetzten Audi-Max der Uni Wien einen prominenten Platz links neben der Bühne. Unweit entfernt davon ein Plakat in Form eines Farbtabletts und inmitten bunter Farbklekse die bedeutend nüchternere Botschaft der Studierenden der kunstschule.at: „Die kunstschule.at ist solidarisch“. Solidarisch womit? Mit der Forderung nach reichen Eltern für alle? Welchen Sinn hat dieser erstaunliche Slogan in der aktuellen Auseindersetzung um Bildung als einem wesentlichen Ort des Konflikts um den Besitz von Wissen, die Reproduktion der Arbeitskraft und die Herstellung sozialer und kultureller Stratifizierung? Nehmen wir es gleich vorweg: Die These der hier angestellten Überlegungen besteht darin, dass sich aus dieser paradoxen Forderung nur dann Erkenntnis gewinnen lässt, wenn wir voraussetzen, dass öffentliche Bildungsinstitutionen wie Schule, Hochschule oder Universität nicht einfach weitere Institutionen sind, die der staatlichen und gouvernementalen Kontrolle unterworfen sind, sondern darüberhinaus entscheidende Orte, an denen breitere soziale 212 l

Auseinandersetzungen um das Selbstverständnis von gesellschaftlicher Organisation gewonnen oder verloren werden. Aus einer solchen Perspektive wird aus dem eingangs zitierten Slogan mehr als die groteske Forderung nach Wohlstand und verallgemeinerter Faulheit. Aus diesem Blickwinkel verweist der Wunsch nach reichen Eltern auf eine Serie sozialer Verhältnisse, von denen Bildung oft unterschwellig, aber darum nicht weniger deutlich bestimmt ist: Etwa die mangelnde soziale Durchlässigkeit des bestehenden Bildungssystems, in dem nur wenige darauf hoffen können, ein Bildungsniveau zu erreichen, das über dem ihrer Eltern liegt. Oder die mangelnde soziale Gerechtigkeit, die in den Überlegungen zu kostenpflichtigen Bildungsinstitutionen vorherrscht. Oder die mangelnde soziale Utopie, die in Ansätzen zu Zugangsbeschränkungen zur Bildung liegt, in einem Land, das im europäischen Vergleich kaum AkademikerInnen hervorbringt. Oder das mangelnde Verständnis um das fragile Gleichgewicht des sozialen Friedens, das durch die Diskrimierung ausländischer Studierenden immer prekärer wird. „Reiche Eltern für alle!“ erscheint in diesem Licht als ebenso treffsichere wie spöttische Antwort auf fehlende gesellschaftspolitische Visionen im Bildungsbereich, doch die Dynamik des Bildungsstreiks hat diese skurrile Forderung bereits nach wenigen Tagen zugunsten anderer, viel weitreichernderen Anliegen untergehen lassen. Die neu erreichte Dimension des Protests wurde wohl am deutlichsten durch jenes gigantische Transparent an der Akademie der


bildenden Kunst illustriert, auf dem in riesenhaften Lettern festgehalten war: „Wir wollen kein größeres Stück vom Kuchen, wir wollen die ganze Bäckerei!“ Es ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert festzuhalten, dass die aktuelle Streikbewegung ausgerechnet von einer Kunstakademie ihren Ausgang nahm. Neoliberale Ideen, eine bedeutende Grundlage für den derzeit im Gang befindlichen Umbau des Bildungssystems, sind wesentlich von einer Vorstellung von individueller Freiheit getragen, die ohne Rücksicht auf kollektive Anliegen oder gar Umverteilungen das Recht auf individuelle Innovation und Kreativität proklamiert. In dieser Hinsicht bot die Vorstellung eines autonom agierenden, kreativen und individuellen KünstlerInnensubjekts das ideale „role model“ neoliberaler Produktivität. Es besteht nicht nur ein deutlicher Trend, in künstlerische Institutionen vermarktbare Mechanismen der Creative Industries einzubauen, Kunstschulen zeigen im allgemeinen die Tendenz, Paradigmen zu institutionalisieren, innerhalb derer die künftigen Kunst- und KulturproduzentInnen für einen umfassend flexibilisierten und prekarisierten Kreativmarkt fit gemacht werden sollen. Kunstschulen sind jene Bildungsinstitutionen par excellence, in denen Produktionsweisen eingeübt werden sollen, die hohe kommunikative und kognitive Fähigkeiten voraussetzen, nahezu unbegrenzte Flexibilität im Einsatz der Arbeitskräfte verlangen und ein ebenso permanentes wie kreatives Reagieren auf Unvorhergesehenes erfordern. In Kunstschulen sollen Studierende damit vertraut gemacht werden, nicht einfach Arbeitskraft, son-

dern vielmehr Persönlichkeit, Intellekt, Ausdrucksvermögen und Affekt in den Produktionsprozess einzubringen. Aus dieser Perspektive entpuppt sich die derzeitige „Krise des Bildungssystems“ als Reaktion auf die tiefgreifende Krise im Finanzsystem, im Zuge derer bedeutende öffentliche Gelder in marode Spekulationsunternehmen gepumpt wurden – gesellschaftliche Mittel, die im Bildungsbereich aussichtsreicher angelegt wären. In dieser Hinsicht überrascht es nicht, dass ausgerechnet in Kunstschulen, den bisherigen Laboratorien neoliberaler Haltungen, die radikalste Absage an die im Gang befindliche Umverteilung von unten nach oben artikuliert wird. Der Wunsch nach der ganzen Bäckerei erscheint in diesem Licht als kreative Selbstermächtigung im Sinne jener Ablehnung, die vorher von sozialen Bewegungen in ganz Europa auf die Straßen gebracht wurde : „Wir zahlen eure Krise nicht!“ Es wäre zu kurz gegriffen, anzunehmen, dass die Kosten der Krise ausschließlich auf Steuerpflichtige abgewälzt und über Kürzungen eingebracht werden würden. Der Umbau des Bildungssystems war ökonomisch von der Vorstellung getragen, Schulen und Hochschulen müssten funktionieren wie korporative Betriebe; ein Effekt der Krise besteht darin, dass Schulen von korporativen Betrieben geführt werden sollen. So berichtet etwa das Wallstreet Journal in seiner Online-Ausgabe, dass sich der internationale Medien-Konzern Bertelsmann aus seinen Beteiligungen bei Sony zurückgezogen hat – mit der Absicht, künftig in Bildung zu investieren, da dieser l 213


Bereich höhere Rendite verspreche als das Musikgeschäft.* Bildung rentiert sich vor allem auf Kosten der Auszubildenden; in Australien hat dieser simple Umstand den Angaben des nationalen Statistikbüros zufolge die Bildungsdienstleistungen mittlerweile zum drittgrößten Sektor der Exportwirtschaft nach der Kohle- und Stahlproduktion gemacht.** Das Geheimnis der erhöhten ökonomischen Rendite, die Bildung neuerdings abwerfen soll, versteckt sich in so harmlosen und gemeinverständlichen Schlagworten wie „lebenslanges Lernen“ und „permanente Weiterbildung“. Gemeint sind damit aber durchaus nicht aufklärerische und emanzipatorische Ideen von Weiterbildung, die üblicherweise mit dem Konzept der Humboldt-Universität in Zusammenhang gebracht werden. Intendiert ist vielmehr, eine lebenslange Selbstverpflichtung ins eigene kulturelle und symbolische Bildungskapital zu investieren, um am Jahrmarkt der kognitiven Fähigkeiten attraktiv zu bleiben. Im Zuge des heiß diskutierten BolognaProzesses bedeutet dies, dass Modelle angedacht werden, die eine konstante Neubewertung der bereits erreichten Bildungsqualifikationen beinhalten. Konkret hieße das etwa, dass AbsolventInnen von Kunstschulen in regelmäßigen Abständen kostenpflichtige Kurse besuchen müssten, um ihre Qualifikationen als KünstlerInnen unter Beweis zu stellen. Ungefähr so, als ob Führerscheinprüfungen alle Jahre erneut bezahlt und abgelegt werden müssten, um weiterhin Autos lenken zu dürfen... Festzuhalten bleibt, dass solche Überlegungen keiner Augenblickslaune entspringen, sondern vielmehr Teil von 214 l

längst in Gang befindlichen gesellschaftspolitischen Prozessen sind: „Denn wie das Unternehmen die Fabrik ablöst, löst die permanente Weiterbildung tendenziell die Schule ab, und die kontinuierliche 1 Kontrolle das Examen.“ Wie aber sieht nun der aktuelle Widerstand dagegen aus – jenseits der plakativen Slogans, von denen bisher die Rede war? Die Entscheidungsprozesse im Streikkontext finden durchwegs in kollektiv-demokratischen Foren statt, den regulären Plenas. Konkrete Aufgaben und Problemstellungen werden an Arbeitsgruppen delegiert, um die Beteiligung möglichst vieler Personen zu fördern. Dieses Anliegen, die allgemeine Debatte offen für unterschiedliche Positionen zu gestalten, hat zur Entwicklung nichthierarchischer Kommunikationsformen geführt, deren augenscheinlichster Ausdruck in der Weigerung besteht, einzelne SprecherInnen zu legitimieren. Dagegen wird versucht, ein möglichst konsistentes Rotationsprinzip aufrecht zu erhalten. Ein weiterer bedeutender Aspekt besteht in der Dezentralisierung der Entscheidungsprozesse: Die im Zuge des Bologna-Prozesses vorangegangene Ent-Demokratisierung der universitären Gremien hat zu einer weitgehenden Delegitimierung der offiziellen Standesvertretungen geführt und etwa die RepräsentantInnen der österr. HochschülerInnenschaft auf die Ränge von KommentatorInnen und ZuschauerInnen verwiesen. Bisher haben sich die etablierten Institutionen staatlicher Bildungspolitik als unfähig erwiesen, mit dieser neuen Situation politischer Selbstermächtigung umzugehen: Im sogenannten


Bildungsdialog, zu dem vom Bildungsministerium anlässlich einer Besetzung des Burgtheaters geladen wurde, sind fast ausschließlich offizielle RepräsentantInnen vertreten, die wenig oder gar keinen Kontakt zu den basisdemokratischen Streikplenas unterhalten und darüberhinaus bemüht sind, die gesamtgesellschaftliche Dimension der Bildungsproteste auszublenden und bestenfalls auf Veränderungen im universitären Bereich einzuschränken. Die ökonomischen Beben, die die Krise der Finanzsysteme auslöste, zeitigen ihre Nachbeben in einer Legitimitätskrise der politischen Institutionen und finden ihre sensiblen Seismographen in der so genannten Krise des Bildungssystems in Form von Studierenden, die – anstatt die Haltungen einer Avantgarde von prekarisierten EigenunternehmerInnen einzuüben – ihre Bildungsinstitutionen besetzen und zu Orten der Diskussion, der Herausforderung institutioneller Politik machen und sie für die Wiederaneignung von Ressourcen reklamieren. Angsichts dieser Entwicklungen sind wir, Studierende, Lehrende, Schulerhaltende und politisch Verantwortliche allesamt aufgefordert, Kunstschulen neu zu definieren – als Orte von künstlerischen Praktiken, die über ihre Interventionen in einer Welt nachdenken, in der sie etwas verändern, etwas bewirken können.

* http://wallstreet-online.de/nachrichten/nachricht/2488718.html ** http://www.isana.org.au/f iles/A EI%20March%20sshot%20expt %20income.pdf 1

Gilles Deleuze: „Postskriptum über die Kontrollgesellschaf ten“, in: Unterhandlungen, Ff t/M. Suhrkamp 1993, S. 257

Mit streitbarem Dank an Lina Dokuzović und Eduard Freudmann. Dr. Tom Waibel, Kunst- und Kulturphilosoph l 215


Zur Gestaltung

Das Thema des diesjährigen Jahrbuches lautet „Peep Show“. Die Begriffe „peep“ (engl. kurzer Blick) und „show“ (engl. zeigen, Werkschau) werden im übertragenen Sinn behandelt, führen jedoch als Leitmotiv durch das gesamte Buch. Das Motto lautet „Sehen und Gesehen werden“. Das Layout ist schlicht gehalten und lenkt dadurch den Fokus auf die Arbeiten der Studierenden. Das Spiel zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem wird mit „Fake“-Stanzungen, „Scheingucklöchern“ und angeschnittenen Headlines verdeutlicht. Als gestalterisches Element werden die Farben Rot und Schwarz verwendet, sie betonen den Gegensatz zwischen Sehen und Nichtsehen. Besonderes Augenmerk gilt dem äußeren Erscheinungsbild. Das Thema „zur Schau stellen“ wird bei der Gestaltung des Buchrückens durch die sichtbare rote Fadenbindung aufgegriffen – der „offene“ Rücken gibt so Einblicke auf 365 Tage kunstschule.at und zeigt, wie eng Lehrveranstaltungen, Projekte, Werkstätten und Theorie miteinander verbunden sind. Ein Schuber verbirgt das Innenleben des Jahrbuches, das „Peep Hole“ ermöglicht den interessierten BetrachterInnen einen Blick auf die folgende Show. 216 l

Kerstin Halm Kristin Kitzler Viki Kühn Guanwei Liu Caspar Macke Petra Schwarz Ruth Veres


‌ und Petra!



Impressum Herausgeber: kunstschule.at

Lazarettgasse 27, 1090 Wien, Österreich www.kunstschule.at +43 1 409 43 42

Redaktionsteam: Babsi Daum, Martin Huber, Carlos Katastrofsky, Daniela Schmeiser, Tom Waibel (Lehrbeauftragte), Max Cruder (Studierender) Für den Inhalt verantwortlich: Direktor Gerhard Hermanky Druck: Janetschek Lektorat: Jo Schmeiser, Daniela Schmeiser, Rosemarie Benthen Verlag: SONDERZAHL Verlagsgesellschaft m. b. H. Wien ISBN: 978-3-85449-335-8 Visuelles Konzept, Layout und technische Ausarbeitung:

Studierende des 7. Semesters der Werkstätte Grafik Design Kerstin Halm, Kristin Kitzler, Viki Kühn, Guanwei Liu, Caspar Macke, Petra Schwarz, Ruth Veres © Texte und Fotos bei den AutorInnen Fotos:

Regina Längle (Seite 217) Kristin Kitzler (Seite 118 bis 121, 127) Petra Lutnyk (Seite 100, 101) Caspar Macke, Viki Kühn (Seite 11 bis 46) Ludwig Johne (Seite 105, 106, 108 (Performance)) Anita Zezic (Seite 104, 108 (oben)) „mehr alles“ Communiqué zum Bildungsstreik der kunstschule.at, in Bezug auf die Solidaritätserklärung des LehrerInnenkollegiums, (Seite 6, 47, 148, 210, 211, 215) Förderer:

Magistratsabteilung 13 für Bildung und außerschulische Jugendbetreuung der Stadt Wien Gedruckt mit Förderung des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur in Wien

l 223


Sonderzahl ISBN: 978 – 3 – 85449 – 335 – 8


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