analyse:berg 2/2011

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inhalt dank an

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zum magazin

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piste 6 statistik 7 hindernis 10 bericht (1) 11 bericht (2) 13 analyse 15 helm macht sinn 18 kommentar 19 spezial sicherheitsaspekt bei schulischen wintersportwochen drehscheibe zwischen schule, sport und wirtschaft

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skitour statistik sattelberg bericht analyse schwarzwandkopf bericht interview

24 25 28 29 32 38 39 41

21 23

lawinenstatistik 46 lawinentote 47 ersticken vs. trauma 48 der partner zählt 52 variante 54 statistik 55 rodeln 58 statistik 59 rodelempfehlungen 61 eisklettern 62 statistik 63 absturz 64 bericht 65 analyse 68 Alles ist möglich

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indoorklettern 72 statistik 73 tödlich verunglückt in der halle 75 bericht 75 analyse 77 recht 81 impressum 83

winter 2011

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Bild: Matthias Haselbacher, Bergrettung Tirol

Gerald Lehner

Hans Ebner

Hanno Bilek

zum magazin liebe leserinnen und leser

dank an

Danke! Damit hatten wir nicht gerechnet. Herzlichen Dank Ihnen allen! Sie als unsere Leserinnen und Leser haben das Projekt dieser Zeitung schon mit der ersten Ausgabe zu einem Erfolg gemacht. Das zeigen die vielen positiven Rückmeldungen und das positive Echo aus Kreisen von Profis, Laien, Anfängern, Fortgeschrittenen und Könnern. Es gab und gibt offenbar einen großen Bedarf für eine Zeitschrift dieses Typs. Damit haben Kuratorium für Alpine Sicherheit, Alpinpolizei und der Österreichische Bergrettungsdienst wohl eine „Marktlücke“ entdeckt. „Markt“ ist dennoch das falsche Wort, denn diese Zeitschrift versteht sich nicht als Cashcow bzw. Werkzeug zur Maximierung von finanziellen Gewinnen. Gewinner sind wir selbst − als Alpinistinnen und Alpinisten. Die Themen und Storys betreffen alle, die aus Unfällen anderer und den Analysen durch Profis lernen dürfen und können. Um eigene Unfälle mit Verletzungen oder tödlichen Folgen zu verhindern.

Riesenlawine von Neukirchen

Sie halten hier die zweite Ausgabe in Händen, die sich mit der Analyse von Winter-Unfällen beschäftigt. Während wir an der Endredaktion dieser Ausgabe arbeiteten, geschah im Salzburger Oberpinzgau ein Lawinen-Unglück, das bis zu sieben oder noch mehr Tote hätte fordern können. Eine Wanderführerin war mit einer größeren Gruppe von Gästen aus Deutschland und der Schweiz im Dürnbachtal bei Neukirchen unterwegs. Dabei wurden insgesamt sieben Menschen der 13-köpfigen Gruppe von einer Nassschnee-Lawine verschüttet – zum Teil bis zu zwei Meter tief. Es ist dem perfekt durchgeführten Ein-

4analyse:berg

satz der Bergrettung Neukirchen und der Alpinpolizei zu verdanken, dass alle sieben Verschütteten lebend geborgen werden konnten – trotz sehr schwieriger Bedingungen und mangelnder Ausrüstung der Opfer. Ein schwer Verletzter starb Stunden später im Krankenhaus, die anderen Opfer kamen glimpflich davon. Ob es wegen dieser Lawine und dem Toten zu einem Prozess kommen wird, das werden die nächsten Monate oder Jahre zeigen. Sobald – juristisch korrekt und anonymisiert − die Daten und Fakten auf dem Tisch liegen und eine sachliche Analyse möglich ist, wird sich wohl auch unsere Fachzeitschrift mit diesem Fall beschäftigen und ihn aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten.

Empfehlen Sie uns weiter

Obwohl das Jahr 2012 nun auch nicht mehr das jüngste ist, wünschen wir Ihnen − etwas verspätet − dafür zahlreiche schöne Erlebnisse in den Bergen. Und mögen Sie immer und überall gesund wieder herunter- bzw. zurückkommen mit und zu Ihren Lieben. Wir haben für diese neue Nummer 2 von „analyse:berg“ erneut Themen und Analysen vorbereitet, die Naturgenießer, Wanderer und Bergsportler – Frauen und Männer und Jugendliche – wieder sehr interessieren dürften. Es ist ein Heft über Unfälle im Winter. Die kommende Nummer 3 beschäftigt sich dann mit sommerlichen Analysen. Bitte sagen Sie weiter, dass Sie uns lesen und dass es uns gibt. Herzlichen Dank und herzliche Grüße! Ihre Redakteure von „analyse:berg“ winter 2011

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statistik Der organisierte Skiraum stellt in der Österreichscihen Alpinunfallstatistik einen Sonderfall dar. Die Erhebungen der Alpinpolizei umfassen in den anderen Bereichen wie Wandern etc. alle Unfälle, von denen sie Kenntnis erlangt. Im organisierten Skiraum werden nur Unfälle mit Verdacht auf Fremdverschulden oder tödliche Unfälle erhoben. In einzelnen Fällen wird die Alpinpolizei auch bei Unfällen mit schwer verletzten Personen verständigt. Aus diesem Grund umfassen die hier dargestellten Zahlen nicht alle Unfälle. Studien vom Österreichischen Skiverband und dem Institut für Sportwissenschaft der Universität Innsbruck wissen wir, dass nur sieben bis zwölf Prozent aller Unfälle Kollisionsunfälle sind. Beim Großteil der Unfäl-

le handelt es sich um Stürze aus Eigenverschulden. Diese bleiben hier unberücksichtigt. Der organisierte Skiraum umfasst den Pistenbereich, Skirouten und Funparks. In diesen Bereichen ist der Pistenerhalter für gewisse Sicherungsmaßnahmen verantwortlich. Im Vergleich zum Vorjahr ereigneten sich um 19,5 % mehr Unfälle. Die Zahl der Verletzten steigerte sich um 15,8 %, jene der Toten um 11,1 %. 

Verunfallte im organisierten Skiraum (Piste/Skiroute) 11/2010-10/2011 Österreichweit gesamt:

1 122 189

50 Tote 4.498 Verletzte 7.399 Verunfallte 3 522 864

6analyse:berg

0 71 109

21 2.054 3.331

20 1.103 1.900

1 411 644 4 215 362

winter 2011

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piste

© Ötztal Tourismus/Ernst Lorenzi

piste


Unfallfolgen und Geschlecht der Beteiligten 90 %

10 %

45,6 %

54,4 %

schwer verletzt n = 1.845

48,6 %

51,4 %

leicht verletzt n = 1.801

46,3 %

53,7 %

unbest. Grades verletzt n = 851

22,2 %

77,8 %

unverletzt n = 2.004

Herkunft der Beteiligten

35,9 %

piste

16,6 % 2,2 %

60,9 %

gesamt n = 6.551

In 848 Fällen wurde keine Information zum Geschlecht erhoben.

Frauen Männer

2,8 % 6,1 %

Tödlich Verunfallte im organisierten Skiraum (inkl. interner Notfälle) Tote

39,1 %

11,3 %

tot n = 50

Bei der österreichischen Alpinunfallstatistik handelt es sich eigentlich um eine Alpinnotfallstatistik. In verschiedenen Fällen ereignete sich kein Unfall. So fließen beispielsweise auch Sucheinsätze in die Statistik ein, obwohl in vielen Fällen keinen Unfall den Einsatz auslöst. Ebenso umfasst die Statistik auch die Zahl der internen Notfälle. Statistiken zu „Pistentoten” werden aus diesen Gründen mancherorts kritisiert.

50 47 40

47 42

30

50 45

31

25,1 %

Deutschland

Tschechien

Österreich

andere Nationen

Niederlande

unbekannt

Großbritannien

n = 7.399

Unfallursachen der tödlichen Unfälle Vernachlässigt man jene Fälle, in denen das Geschlecht nicht erhoben wurde (z. B. Unfälle mit Fahrerflucht), so sind über 63,2 % der verunfallten Personen männlich, 36,8 % weiblich. Bei den getöteten Personen ist dieses Verhältnis deutlich ungünstiger zu Lasten der Männer. Im Durchschnitt sind 86,1 % der tödlich verunfallten Personen männlich, 13,9 % weiblich. Aus anderen Lebensbereichen sind bereits Studien zur geschlechterspezifischen Risikobereitschaft bekannt. In der höheren Risikobereitschaft dürfte auch der Grund dafür liegen, dass deutlich mehr Männer tödlich verunglücken.

6 Personen 12,0 % 6 Personen 12,0 %

20 Personen 40,0 %

18 Personen 36,0 %

 Je 13.456.000 Beförderungen stirbt ein Wintersportler bei einem Unfall.  Je 1.187.000 Skitagen verunglückt ein Wintersportler tödlich. 

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0

05/06

06/07

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Saison

Andererseits handelt es sich jedoch um eine österreichische Konvention, interne Notfälle in der Alpinunfallstatistik zu erfassen. Der Notfall ist in vielen Fällen mit der Aktivität am Berg verbunden, wenngleich der Einfluss der Aktivität größer als jener des alpinen Raumes sein mag. 50 Personen starben im Winter 2010/11 im organisierten Skiraum (Durchschnitt 43,7). Im vergangenen Winter gab es mit 32 Unfalltoten im organisierten Skiraum deutlich mehr als in den Jahren zuvor.

Tödlich Verunfallte im organisierten Skiraum (exkl. interner Notfälle) Tote

Laut den Klimaberichten der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) war die Wintersaison 2010/11 eine der sonnigsten, jedoch andererseits eine der trockensten seit den Aufzeichnungen. So wurde in Langen am Arlberg am 1. März 2011 eine Schneehöhe von 28 cm gemessen. Weniger Schnee im März gab es an dieser Messstelle nur 1991 und 1972 (Messreihe seit 1953)1. Trotz dieser geringen Niederschlagsmengen herrschten auf den Skipisten sehr gute Schneebedingungen. Der Großteil der Skipisten in Österreich kann mit technischem Schnee beschneit werden. Allerdings ereigneten sich überdurchschnittlich viele tödliche Unfälle. In vielen Fällen stürzten Personen auf der Skipiste und rutschten dann

8analyse:berg

Interner Notfall Kollision Aufprall gegen Hindernis n = 50

Skifahrertage pro tödlich Verunfallte (in Mio.) Skifahrertage [10 6] 2,0 1,72 1,5 1,21 1,0

1,19

1,12 1,04

1,02

0,5

0,0 05/06

06/07

07/08

08/09

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Saison

35 Sturz ohne Fremdeinwirkung

Im Winter 2010/11 verzeichneten 255 Seilbahnunternehmen rund 588.000.000 Beförderungen und 51.200.000 Skifahrertage. Bei den Skifahrertagen handelt es sich um einen Tagesbesuch einer Person in einem Skigebiet. Setzt man diese Zahlen der letzten sechs Saisonen zu den Unfalltoten in Relation, ergeben sich folgende Aussagen:

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über den Pistenrand hinaus. Diese Problematik ist bereits aus früheren schneearmen Wintern bekannt. Im Durchschnitt beträgt die Unfallursache „Interner Notfall” knapp 50 % aller tödlichen Pistenunfälle. Kollisionen sind − wie im allgemeinen Unfallgeschehen − auch bei den tödlichen Unfällen eher selten. Unter „Aufprall auf ein Hindernis“ werden jene Fälle erfasst, in denen ein Wintersportler während der Fahrt gegen ein Hindernis (z. B. Baum, Liftstütze o. Ä.) fährt.

In den seltensten Fällen werden Unfallereignisse in Relation zur Grundgesamtheit dargestellt. Leider fehlen im alpinen Raum in den meisten Fällen die Zahlen zur Grundgesamtheit. Für den organisierten Skiraum wird jährlich die Seilbahnstatistik veröffentlicht. Die meisten Skigebiete sind mit einem elektronischen Zählsystem ausgestattet und tragen damit zur Datenqualität entscheidend bei. Unschärfen gibt es natürlich insofern, als beispielsweise auch Variantenfahrer erfasst werden. Die Zahl der Beförderungen oder die Zahl der Skitage ist also nicht zur Gänze ident mit der Zahl jener Wintersportler, die dann auch wirklich auf der Piste den Sport ausüben.

piste

Die Herkunft der verunfallten Wintersportler im organisierten Skiraum entspricht in der Wintersaison 2010/11 dem langjährigen Durchschnitt. Etwas mehr als ein Drittel kommt aus Deutschland, rund ein Viertel kommt aus Österreich. Drittgrößte Gruppe sind niederländische Gäste vor Gästen aus Großbritannien, Tschechien, Dänemark, Belgien und Polen. Rund 50 % der Nächtigungen ausländischer Touristen im Winter tätigen deutsche Staatsbürger (www.statistik. at). Dies entspricht dem Anteil der verunfallten ausländischen Personen im organisierten Skiraum.

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25 20

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10 5 0

05/06

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Saison 1) Quelle: www.zamg.ac.at/klima/klima_monat/wetterrueckblick/?jahr=2011&monat=03

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Bild: Peter Gasteiger, Alpinpolizei Tirol

Abteilungsinspektor Siegfried Berger Leiter Alpine Einsatzgruppe Zell am See Polizei-Bergführer Staatlich geprüfter Berg- und Skiführer Flight-Operator bei den Hubschraubern des Bundesministeriums für Inneres

hindernis

bericht (1)

hindernis

Zusammenstöße mit Hindernissen führen in manchen Fällen zu einem tragischen Ende eines Skitages.  Siegfried Berger schildert den Unfall eines 59-jährigen Skifahrers auf der Schmitten.  Peter Gasteiger berichtet über einen dramatischen Fall im Ötztal.  Werner Senn schreibt in der Analyse über atypische Gefahren. Mit welchen Hindernissen müssen wir rechnen und wie sollen wir uns als Wintersportler entsprechend verhalten?

Saalfelden

Imst

 8. Februar 2011  ca. 14.35 Uhr  Skigebiet Schmitten  1.900 m  Gemeinde Schmitten/Salzburg

Innsbruck

SALZBURG

(1)

 1 Person tot  1 Notarzthubschrauber, 1 Polizeihub- schrauber, Pistenrettung, Alpinpolizei

 3. Februar 2011  ca. 14.45 Uhr  Skigebiet Sölden  2.164 m  Gemeinde Sölden/Tirol

DEUTSCHLAND

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 1 Person tot  1 Notarzthubschrauber, 1 Polizeihub- schrauber, Pistenrettung/ Bergrettung Sölden, Alpinpolizei

TIROL OSTTIROL ITALIEN

10analyse:berg

lawine piste

piste

In diesem Bereich fuhr der junge Skifahrer vermutlich von der Piste ab.

facts

Zwei Alpinpolizisten der Polizeiinspektion Zell am See waren am 08. Feber 2011 auf der „Schmitten“, dem Skigebiet von Zell am See, mit einer Erhebung eines Skikollisionsunfalls beschäftigt. Die Pistenrettung informierte sie zu dieser Zeit über einen schweren Skiunfall auf Höhe der Stütze 19 der Breiteckbahn. Gegen 16.00 Uhr trafen sie an der Unfallstelle ein und begannen mit ihren Ermittlungen: Gegen 14.35 Uhr war ein 59-jähriger US-Amerikaner auf der Piste Nr. 1 auf seinen Skiern gemeinsam mit seinem dreizehnjährigen Sohn unterwegs. Wenige Meter oberhalb der Stütze Nr. 19 der Breiteckbahn geriet der 59-Jährige bei besten Sicht- und Pistenverhältnissen über den Pistenrand hinaus. Nach einem Sprung prallte er gegen die gepolsterte Stütze, die sich sechs Meter außerhalb des gesicherten Skiraums (Piste) befindet. Das Unfallopfer, das bei dem Unfall keinen Helm getragen hatte, blieb nach dem Aufprall bewusstlos liegen. Die sofort alarmierte Pistenrettung sowie der Notarzthubschrauber wurden über Handy verständigt und waren in Kürze am Unfallort. Nach notärztlicher Versorgung an der Unfallstelle wurde der US-Amerikaner mit dem Hubschrauber vorerst ins Krankenhaus Zell am See und später ins Landeskrankenhaus Salzburg transportiert. In Salzburg verstarb er sechs Tage später an den Folgen der schweren Kopfverletzungen. An der Unfallstelle konnten unmittelbar vor der Liftstütze Eindruckspuren der Skier im Schnee festgestellt werden. An der Liftstütze selbst waren weder im Bereich der Polsterung noch am freiliegenden Sockel bzw. oberhalb der Polsterung sichtbare Spuren vorhanden. 

Der Unfallort. Rund sechs Meter vom Pistenrand entfernt befindet sich der Liftmast. Farbig sind die Skispuren des Unfallopfers markiert. (Bilder: Siegfried Berger, Alpinpolizei Salzburg)

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österreichisches kuratorium für alpine sicherheit

Unsere Alpinfibelreihe immer am neuesten Stand kompakt & umfassend superhandliches Format

Abteilungsinspektor Peter Gasteiger Leiter Alpine Einsatzgruppe Imst Polizei-Bergführer Staatlich geprüfter Berg- und Skiführer Flight-Operator bei den Hubschraubern des Bundesministeriums für Inneres

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bericht (2)

hindernis

Infos und Bestellungen: www.alpinesicherheit.at bestellungen@alpinesicherheit.at

Eine deutsche Staatsbürgerin ging mit ihrem Sohn und ihrem Neffen – beide acht Jahre alt – am 3. Februar 2011 in Sölden zum Skifahren.

Zum Zeitpunkt des Unfalles war das Wetter gut. Es gab Sonnenschein. Die Unfallstelle befand sich im Schatten. Das Licht war hier leicht diffus und flach.

Der Sohn kannte das Skigebiet von früheren Urlauben. Er war ein geübter Skifahrer, sein Cousin war jedoch weit weniger geübt und noch nie in Sölden gewesen. Deshalb folgte er seiner vorausfahrenden Tante in der Spur. Der Sohn fuhr selbstständig in Sichtweite der Mutter. Gegen 14.20 Uhr war das Trio im Gebiet Gaislachkogel mit dem Sessellift „Wasserkar“ zur Bergstation unterwegs. Von dort wollten sie auf der blau markierten Piste Nr. 2 zur Talstation der „Heidebahn“ fahren. Bei einer Geländekuppe im oberen Drittel der Abfahrt hielt die Mutter zum Zusammenwarten an. Unmittelbar bei der Weiterfahrt geriet der Sohn – vermutlich unbeabsichtigt und ohne es zu bemerken – von der Skipiste in den ungesicherten Skiraum abseits der Piste. Seine Mutter und sein Cousin fuhren hingegen auf der Skipiste weiter.

Während der Abfahrt verlor die Mutter ihren Sohn aus den Augen, weil ein paar Kuppen dazwischenlagen. Wenig später sah sie aus Ferne jemanden auf dem Schnee liegen und erkannte rasch anhand der Kleidung, dass es ihr Sohn sein musste. Den Unfallhergang selbst hatte die Frau nicht beobachten können. Sie eilte zu ihrem Sohn und begann mit anderen Wintersportlern mit Erster Hilfe. Gleichzeitig wurde über Handy das Team des Notarzthubschraubers Alpin 2 alarmiert. Dieses flog das schwer verletzte Kind in die Universitätsklinik Innsbruck. Dort erlag der Achtjährige sechs Tage später seinen schweren Verletzungen.

Der verirrte Achtjährige fuhr zunächst (laut Analyse seiner Spuren) außerhalb der Piste nahe der Falllinie und sehr gerade einen steiler werdenden Hang hinunter. Nach rund 20 Metern quert dort ein präparierter Skiweg (Skiroute) den Hang. Auf diese Trasse prallte der Bub mit seinen Ski auf, kam zu Sturz und wurde über den Rand des Skiweges katapultiert. Nach mehr als 30 Metern Sturz im freien Gelände prallte er bei einer weiteren Skiroute gegen eine Markierungsstange. Das Kind erlitt schwere Verletzungen und blieb liegen.

Bei tödlichen Unfällen im Gebirge muss die Alpinpolizei genau ermitteln. Die Recherchen an der Unfallstelle ergaben, dass der Rand der blauen Piste Nr. 2 – auf der die drei unterwegs gewesen waren – stellenweise mit Randmarkierungen (Richtungspfeilen bzw. Normpfeilen) gekennzeichnet war. Der Verlauf ergab sich auch aus der Pistenpräparierung. An der Stelle, wo der Bub in den freien Skiraum fuhr, befanden sich Randmarkierungen. Das Wetter war in diesen Tagen schon länger schön gewesen, deshalb gab es zwischen der Schneestruktur auf der Piste und jener im freien Skiraum nur geringe Unterschiede. Außerhalb des Pistenbereiches war das Gelände stellenweise durch Wintersportler glatt gefahren und in einem fast pistenähnlichen Zustand. Lediglich die winter 2011

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Skiweg Unfallstelle

Skiweg

Richtung Heidealm

Mag. Werner Senn

Unfallstelle

Leiter der Abteilung Flugpolizei im Bundesministerium für Inneres Polizei-Bergführer Staatlich geprüfter Skilehrer, gerichtlich beeideter Sachverständiger für Alpinistik

Bilder zur Unfallstelle. Ziehweg und Unfallort sind im Bild markiert. (Bilder: Peter Gasteiger, Alpinpolizei Tirol)

piste

piste

analyse

hindernis

Randmarkierungen, ein leichter „Präparierungsrand“ und verstärkte Schwungbuckel sowie Mulden waren die deutlichsten Hinweise, dass man sich hier im freien Gelände befand. Es war ca. 29 Grad steil. Der quer verlaufende Weg war als Skiroute gekennzeichnet und präpariert. Unterhalb davon befand sich freies Gelände und ca. 25 weitere Meter unterhalb führte eine weitere Skiroute zu einer Skihütte.

Bergstation Heidebahn

Bergstation Wasserkar

Unfallstelle Heidealm

Aufgrund der Spuren im Schnee wurde von der Alpinpolizei erhoben, dass das Kind beim Sturz vermutlich zuerst mit dem Kopf (Gesichtsbereich) und dann noch mit der Schulter auf den Skiweg prallte. Dann stürzte es noch 35 Meter zum Bereich der zweiten Skiroute und kollidierte mit der Markierungsstange. Die Ausrüstung des Achtjährigen wurde sichergestellt und auf Unfallspuren untersucht. Außer einer leichten Beschädigung auf dem Helm (Schild aus Kunststoff gebrochen) konnten an den Gegenständen keine weiteren Spuren ermittelt werden. Die Markierungsstange, gegen die das Kind geprallt war, war die Mittelmarkierung der Skiroute. Das Holz steckte 56 Zentimeter tief im gewalzten Schnee. Umfang der Stange: 22 Zentimeter. An ihr konnten keine unmittelbaren Unfallspuren festgestellt werden.  Oberes Bild: Der Unfallort liegt knapp oberhalb der Waldgrenze. Unteres Bild: Mit dieser Markierungsstange kollidierte der junge Skifahrer. (Bilder: Peter Gasteiger, Alpinpolizei Tirol)

14analyse:berg

Die geschilderten Unfälle zeigen deutlich, wie tragisch Unfälle beim Wintersport ausgehen können. Schnell kann ein herrlich begonnener Tag auf Ski oder Snowboard mit einer Tragödie enden. Ich war im Lauf meiner beruflichen Tätigkeit mit vielen Unfällen befasst, bei denen Skisportler mit Hindernissen auf oder neben Pisten kollidiert sind. So kam es auch zu schweren Zusammenstößen mit Beschneiungslanzen am Pistenrand, Schneekanonen, Lawinenverbauungen, Bäumen, Liftstützen, Pistenraupen, Häuserkanten und vielen anderen Hindernissen – ganz nach dem Gesetz von Murphy: Alles, was passieren kann, das passiert auch. Glücklicherweise enden nicht alle Kollisionen so tragisch wie die hier beschriebenen. Wir leben in einer oft nur scheinbar sehr „sicheren“ Zeit, in der das Bewusstsein der eigenen Verantwortung bei Unfällen und Missgeschicken abnimmt. Und manchmal werden Schuldige auch dort gesucht, wo es offensichtlich keine gibt. Rasch müssen heute viele Fragen nach Verantwortlichkeit und Fremdverschulden beantwortet werden, wenn Rechtsanwälte oder Staatsanwälte in Verfahren eingebunden sind. Bei immer mehr Unfällen wird daher nicht nach dem eigenen Verschulden der Opfer gesucht. Im Vordergrund stehen oft Bemühungen, dem Pistenerhalter oder anderen Betreibern im Skizirkus ein mögliches Fehlverhalten nachzuweisen. Alpinpolizeiliche Ermittler und gerichtlich beeidete Sachverständige haben dabei sehr wichtige Rollen beim Zusammentragen von Daten, Fakten und

Beweisen. Urteile und rechtliche Folgen sind dagegen ausschließlich Angelegenheit der unabhängigen Gerichte. Wie sehen Experten und Sachverständige solche Unfälle? Ich liefere hier nun einen kleinen Überblick. Dazu sehen wir uns einige Urteile von Gerichten an, an denen man sich bei ähnlichen (Un-)Fällen orientieren kann und muss. Wichtig erscheinen mir im ersten Schritt die Zeitpunkte der geschilderten Unfälle. Der auf der der Schmittenhöhe ereignete sich um 14.35 Uhr, in Sölden um 14.45 Uhr. Am Nachmittag lässt bei vielen Wintersportlern die Konzentration nach. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Sie bestätigt nur den alten Appell an Wintersportler, dass man sich keinesfalls überfordern sollte. Denn mit nachlassender Kraft nimmt die Unfallhäufigkeit deutlich zu. Bei dem einen Unfall hat der Bub am Ende seines weiten Sturzes noch eine Markierungsstange gerammt – eine sekundäre Folge des eigentlichen Unfalles, die aber für einige der letztlich tödlichen Verletzungen gesorgt haben dürfte. Beim anderen Unfall prallte der Sportler direkt gegen eine Liftstütze. Welche Verantwortung trifft nun einen Liftbetreiber bzw. den Halter einer Piste? Der Halter hat eine Rechtspflicht zur Sicherung der Piste. Das resultiert aus dem Beförderungsvertrag, der mit dem Kauf der Liftkarte abgeschlossen wird. winter 2011

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DAS NEUE CL COMPANION 30. IMMER ZUM GREIFEN NAHE Unvergessliches geschieht oft unverhofft. Die Natur hat ihre eigene Dynamik, seltene Begegnungen ihren eigenen Rhythmus. Damit Augenblicke und Wissen zu einer Gemeinsamkeit werden, bedarf es eines Fernglases, das nicht nur Ausrüstung ist, sondern Weggefährte. Dann ist das CL Companion stets zur Hand.

Die Markierungspflicht ist deshalb nicht auf Schönwetter bezogen. Sie muss sich nach allen möglichen Wetter- und Schneeverhältnissen – ausgenommen Extremsituationen – richten. Grundsätzlich müssen so viele Markierungen vorhanden sein, dass der Pistenbenützer in „tastender Fahrt“ auch bei dichtem Nebel oder Schneetreiben ins Tal gelangen kann. Dabei reicht es, wenn zumindest eine Linie erkennbar ist, in deren Verlauf die Piste bewältigt werden kann.

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Auf strafrechtlich relevante Sachverhalte verzichte ich hier damit die Übersicht bei dem komplexen Thema nicht verloren geht. Die Pistensicherung ist also überwiegend im Vertragsrecht angesiedelt. Sie ist eine klassische „Nebenpflicht“ aus dem abgeschlossenen Beförderungsvertrag. Demnach muss der Pistenerhalter den so genannten „organisierten Skiraum“ und den unmittelbaren Randbereich von Pisten sichern. Unter dem „organisierten Skiraum“ versteht man die eindeutig gewidmeten Skipisten und Skirouten (Skiwege). Im freien und ungesicherten Gelände bewegen sich Wintersportler auf eigene Gefahr. Und innerhalb des „organisierten Skiraumes“ muss der Halter die Pisten vor „atypischen Gefahren“ sichern. Was versteht man darunter? Das sind Gefahren, die für verantwortungsbewusste Pistenbenützer (auf Ski oder Snowboard) unerwartet daherkommen und nur schwer oder gar nicht abwendbar sind. „Atypische Gefahren“ haben grundsätzlich nichts mit den Schwierigkeitsgraden der Pisten zu tun, die ja angekündigt, markiert und öffentlich beschrieben sind. Anders ausgedrückt: „Atypische Gefahren“ können für Wintersportler wie Fallen wirken. So ist beispielsweise ein ungesichertes Loch mitten in der präparierten Piste oder ein 10 cm herausragendes Eisenstück eine atypische Gefahr, mit der ein Skisportler nicht rechnen muss.

16analyse:berg

Markierungen von Skipisten und Skirouten sind ein wichtiges und manchmal auch schwieriges Thema: Pisten und Skirouten (Skiwege) müssen unterschiedlich markiert werden. Pisten sind nach Schwierigkeitsgraden in drei Klassen eingeteilt und entsprechend in Blau, Rot oder Schwarz markiert. Grundsätzlich ist der Pistenhalter dort zur Markierung verpflichtet, wo der Verlauf aus dem Gelände und den Vegetationsverhältnissen (z. B. mehrere Bäume, Wald u. a.) optisch nicht klar ersichtlich ist. Wesentlich ist, dass der Pistenverlauf auch bei schlechter Sicht erkennbar sein muss.

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Im Gegensatz dazu gibt es die ganz klar „typischen Gefahren“. Das sind zum Beispiel Geländekanten, Buckel oder Schwungmulden und – je nach Jahreszeit – vereiste oder einzelne apere Stellen. Typische Hindernisse und damit auch Gefahren auf einer Piste oder einer Skiroute sind auch Markierungsstangen und Liftstützen. Beim letztlich tödlichen Unfall des Achtjährigen bei Sölden zeigt sich, dass dieser offensichtlich zuerst in den freien Skiraum eingefahren war und dann weiter unten auf einen quer verlaufenden Skiweg prallte. Von dort stürzte er nochmals in unpräpariertem Gelände weiter – bis er zu dem zweiten Skiweg kam und dort mit der Mittelmarkierung kollidierte, bevor sein Körper zum Stillstand kam. Eine Stange für die Pistenmarkierung ist – wie bereits erwähnt – grundsätzlich KEINE „atypische Gefahr“. Das gilt auch für Schranken und Absperrungen bei Liften, Lifthäuschen oder Vorplätzen bei Gasthäusern, Hütten und ähnlichen Hindernissen. Eine Stange zur Pistenmarkierung liegt gerade im Interesse der Schneesportler, vor allem bei Schlechtwetter, wenn man sich daran orientieren muss. Ein Pistenerhalter würde für solche Hindernisse nur dann haften, wenn sie nicht sachgerecht aufgestellt wären. Auch eine Ummantelung mit einem Schaumstoffkissen oder ähnlichem Material ist bei Markierungsstangen aus rechtlicher Sicht nicht erforderlich. Der Halter einer Piste hat keine rechtliche Verpflichtung, den Pistenbenützer vor jeder möglichen Gefahr zu schützen. Das wäre praktisch auch nicht realisierbar.

Grundsätzlich sind Markierungen in der Mitte der Skipiste oder Skiroute aufzustellen. Überwiegend werden heute aber die Pistenränder markiert – abgesehen von Skirouten, die laut Vorgabe immer in der Mitte markiert werden müssen.

ze, die sich sechs Meter außerhalb des gesicherten Skiraumes befand. Bei einer solchen Situation vertritt Österreichs Oberster Gerichtshof (OGH) den Standpunkt, dass zwar im Randbereich einer Piste die Sicherungspflicht vollständig gilt – aber nur für Hindernisse, die „ganz knapp“ am Pistenrand stehen oder nur schwer erkennbar sind. Die Sicherungspflicht gilt demnach jedoch nicht für eine Liftstütze neben der Piste. Dieses Urteil bezog sich auf einen Unfall, bei dem sich die Stütze fünf Meter außerhalb der gesicherten Piste befunden hatte – also um einen Meter weniger als bei dem Amerikaner. In dessen Fall war die Stütze sogar noch zusätzlich abgepolstert. Dennoch ist der Skiläufer später seinen schweren Verletzungen erlegen, die er bei der Kollision erlitten hatte. Künstliche Hindernisse müssen speziell abgesichert werden, wenn sie knapp neben einem – nicht klar erkennbaren – Pistenrand stehen. Demnach muss es auch keinen besonderen Sturzraum geben, wenn Sportler zu schnell fahren und über den Pistenrand hinausgeraten.

Zusammenfassung

Eine Randmarkierung mit so genannten „Normpfeilen“ gilt als eine eindeutige Kennzeichnung des Pistenrandes. Das sind Symbole in Pfeilform, die für die Verleihung von Gütesiegeln für Skipisten vorgeschrieben sind. Die Pfeile werden auf den Markierungsstangen angebracht.

Halter von Pisten müssen nur dort für besondere Absicherungen sorgen, wo es „atypische Gefahren“ gibt. Diese Gefahren können von eigenverantwortlichen und mit passender Geschwindigkeit fahrenden Sportlern nicht – oder erst im letzten Augenblick – wahrgenommen werden.

Bei beiden der geschilderten Unfälle war der Pistenrand jeweils klar erkennbar und zusätzlich unmissverständlich markiert. Nach einhelliger Expertenmeinung gilt jedoch darüber hinaus, dass auch Pistenränder in einer Zone von etwa zwei Metern gegen „atypische Gefahren und Hindernisse“ gesichert werden müssen. Das soll bei Stürzen in der Nähe von Pistenrändern schweren Verletzungen vorbeugen. Und hier ist die Geschwindigkeit ein wichtiger Faktor. Sie wird im Wintersport von vielen leider häufig unterschätzt. Je höher die Geschwindigkeit, umso länger können mögliche Sturzbahnen sein – oder umso größer die Energie, mit der ein menschlicher Körper auf ein Hindernis aufprallt und verletzt wird.

Jeder Wintersportler MUSS sein Fahrverhalten daher so gestalten, dass er selbst bei ungünstigen Bedingungen nicht über den Pistenrand hinausfährt oder gegen Hindernisse prallt. Dass Pisten zwangsläufig im alpinen Gelände an Steilhängen, Bäumen, Felsen, Gräben und Bachläufen sowie an Liftstützen und Pistenmarkierungen vorbeiführen, das liege in der Art dieses Sportes, betonen die Höchstrichter. Dagegen könne nicht geklagt werden.

Bei beiden Unfällen ist nach den amtlichen Ermittlungen davon auszugehen, dass die Opfer jeweils mit relativ hoher Geschwindigkeit unterwegs waren. Deshalb ergibt sich eine Frage, die wiederum die Halter von Pisten betreffen könnte. Gab es genug Sturzräume? Wie sah es mit Sicherungen außerhalb der Pisten aus?

piste

KLEINES FERNGLAS. GROSSE LEISTUNG

So tragisch die beschriebenen Unfälle für Opfer, Angehörige und Freunde sowie die betroffenen Liftgesellschaften auch sind – es gilt hier folgende rechtliche Betrachtung: Wenn Hindernisse rechtzeitig wahrgenommen werden können, dann sind sie bei normaler Fahrweise eines Pistenbenützers keine außergewöhnlichen bzw. keine „atypischen Gefahren“. Deshalb trifft Pistenerhalter bei diesem Szenario keine Mitschuld. 

Der 59-jährige US-Bürger prallte auf der Schmittenhöhe bei Zell am See gegen eine gepolsterte Liftstüt-

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Institut für Sportwissenschaft der Universität Innsbruck

Institut für Sportwissenschaft der Universität Innsbruck

helm macht sinn mit Skihelm ist man „inˮ

In Österreich liegt der Anteil an Kopfverletzungen beim Skifahren und Snowboarden seit vielen Jahren konstant bei rund 10 % der Pistenunfälle. Studien zeigen, dass durch das Tragen eines Skihelmes das Kopfverletzungsrisiko bei Kindern und Erwachsenen bis zu 60 % reduziert werden kann. In den letzten Jahren stieg die Helmtragequote in Österreich gesamt auf ca. 70 % bzw. liegt bei Kindern <16 Jahre bei rund 92 %, dabei scheint der Gebrauch eines Skihelmes von solchen Faktoren wie Alter, Herkunft und Skikönnen abhängig zu sein. In einer eigenen Studie sank die Helmtragequote mit zunehmendem Alter von 78 % bei den unter 20-Jährigen bis zu 53 % bei jenen über 60 Jahren. Einheimische Wintersportler trugen häufiger einen Helm als ausländische Skigäste (75 vs. 52 %) bzw. fortgeschrittene Skifahrer öfter als Anfänger und leicht fortgeschrittene Skifahrer (67 vs. 47 %). Trotz der deutlichen Steigerung der Helmquote in den letzten Jahren tragen noch rund 30 % der Wintersportler in Österreich keinen Helm. Als Gründe gegen das Tragen eines Skihelms werden häufig Einschränkungen beim Hören und Sehen sowie eine erhöhte Risikobereitschaft genannt. Obwohl durch den Skihelm das Hörvermögen auf der Skipiste in gewissen Frequenzbereichen etwas beeinträchtigt werden kann, sind Warnrufe gut zu hören. Hingegen wird die Reaktionszeit auf periphere Signale durch das Tragen eines Helmes im Vergleich zu einer Skimütze nicht verlängert. Bezüglich einer möglichen Auswirkung des Skihelms auf eine erhöhte Risikobereitschaft konnten wir zeigen, dass sich risikofreudige Wintersportler zwar mit einer höheren Durchschnitts-

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geschwindigkeit auf der Piste bewegen (45 vs. 53 km/h) als vorsichtige Wintersportler, der Anteil an fortgeschrittenen Wintersportlern bei den risikofreudigen Personen jedoch höher liegt und sich die beiden Gruppen hinsichtlich der Helmtragequote mit jeweils rund 59 % nicht voneinander unterscheiden. Das Tragen eines Helmes scheint daher per se nicht zu einer höheren Risikobereitschaft zu führen, wie auch andere Studien belegen. In einer Befragung von mehr als 900 Personen waren sich Helmträger und Helmverweigerer einig, dass ein Helm vor Kopfverletzungen schützt, dass ein Helm nicht zu einer erhöhten Risikobereitschaft führt sowie dass Erwachsene mit Helm Vorbilder für Kinder sind. Wer keinen Helm trug, bewertete jedoch stärker subjektive Nachteile wie mögliche Einschränkungen des Sichtfelds und des Hörvermögens, unbequemen Tragekomfort, höheres Gewicht, Schwitzen mit Skihelm und Beeinträchtigung der Frisur. Diese Argumente basieren jedoch zumeist nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern sind in vielen Fällen subjektive Einschätzungen. Daher empfiehlt es sich für Nicht-Helmträger, einen Skihelm auszuprobieren, um allfällige negative Einstellungen zum Skihelm korrigieren zu können. Generell macht das Tragen eines geprüften Skihelms mit guter Passform Sinn, da das Risiko einer Kopfverletzung deutlich reduziert wird. Wer mit Kindern auf der Skipiste unterwegs ist, sollte zudem als Vorbild einen Skihelm tragen. Betrachtet man das Geschehen auf heimischen Skipisten, so zeigt sich deutlich, dass Skihelme „in“ sind. 

Mag. Tomas Woldrich ÖSV-Breitensport

kommentar Mit schöner Regelmäßigkeit tauchen sie Anfang Jänner auf: die Schreckensmeldungen über angeblich immer noch zahlreichere und schwerwiegendere Unfälle auf Österreichs Pisten. Das ist in dreierlei Hinsicht ärgerlich. Erstens entspricht die dargestellte Gefahr nicht der Realität: Tatsächlich ist das Verletzungsrisiko beim Skifahren seit Mitte der siebziger Jahre um mehr als die Hälfte gesunken; allein der Carvingski hat die Unfallzahlen um 20 % reduziert. Dass in der beförderungsstärksten Zeit am meisten Unfälle passieren, nimmt nicht weiter wunder; das immer wieder aufs Neue völlig überzeichnete Bild aber sehr wohl. Zweitens verstellen diese Horrorszenarien den Blick auf eine effektive Prävention. Verfolgt man die Schlagzeilen, entsteht der Eindruck, als sei die Hauptursache aller Pistenunfälle die Personenkollision. In Wahrheit sind 90 % aller Unfälle auf selbst verschuldete Stürze – ohne Fremdeinwirkung – zurückzuführen. Es steht außer Frage, dass ein friedliches Miteinander und die Einhaltung der FIS-Verhaltensregeln die Sicherheit und letztlich den Genuss beim Wintersport steigern. Eine wirkungsvolle Verletzungsvorbeugung muss aber vor allem auch beim Selbstschutz des Schneesportlers ansetzen: Aufwärmen, Fahrtechnik verbessern, Pausen machen, Bindungseinstellung und Kantenservice sind sehr effiziente Maßnahmen, die sowohl Stürze als auch die Folge von Stürzen und damit eine sehr große Zahl an Pistenunfällen vermeiden helfen.

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Dr. Martin Kopp

Und drittens schließlich übersieht man angesichts der medialen Aufschreie um die Pistenunfälle, dass für all jene, die unfallfrei bleiben – und das sind in Österreich immerhin rund neun Millionen Menschen jedes Jahr –, der Wintersport ein ausgesprochen gesundes Vergnügen ist: Reduktion des Risikos einer Herz-Kreislauf-Erkrankung, Senkung des Cholesterinspiegels und wirksame Vorbeugung gegen Altersdemenz. Die Vorteile des Sports im Allgemeinen und des Wintersports im Besonderen sind bekannt. Das Wissen um die Risikofaktoren und mögliche Präventionsmaßnahmen würde diesen gesunden Sport noch sicherer machen. Eine sachliche Berichterstattung wäre dabei ein wichtiger Baustein und dem Publikum damit wesentlich mehr gedient als mit einer haltlosen Panikmache. 

Bild: www.fischersports.com

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Dr. Gerhard Ruedl

Das Literaturverzeichnis zur Studie ist bei der Redaktion erhältlich.

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Bild: ©iStockphoto.com

MMag. Verena Gartner

Servicestelle Wintersportwochen

Servicestelle Wintersportwochen

bei schulischen wintersportwochen

Skifahren, Snowboarden und Carven − Wintersportarten, die sich bei Wintersportwochen größter Beliebtheit erfreuen. Was kann es im Winter Schöneres geben, als bei herrlichem Wetter eine perfekt präparierte Piste hinabzuwedeln?! Die Wintersportwoche bietet für SchülerInnen eine außergewöhnliche Lernumgebung. Neben dem individuellen Erlernen bestimmter Techniken des Skisports geht es auch darum, das Skifahren und Snowboarden den Kindern und Jugendlichen als Bestandteil eines Gruppen-, Natur- und Bewegungserlebnisses näherzubringen. Gemeinsame Aktivitäten, Abenteuer und Erlebnisse stärken das Gruppengefühl und die Klassengemeinschaft. Vielfältiges, freudvolles Erleben und Bewegen in der freien Natur fern von schulischen Zwängen steigern das Wohlbefinden und haben einen positiven Einfluss auf das Sozialverhalten. Diese Aspekte unterstreichen den pädagogischen Nutzen von Wintersportwochen. Doch sollte bei aller Wintersportwochen-Freude und -Euphorie die Sicherheit nicht vergessen werden. 2010 waren 15 % der anerkannten Schülersportunfälle im Wintersport zu verzeichnen. Etwa zwei Drittel dieser Unfälle ereigneten sich beim Skifahren und Snowboarden. Hierbei handelt es sich etwa um 2,9 SchülerInnen aus 1.000, die sich beim Skifahren oder Snowboarden verletzten. 2006 waren es noch 3,1 SchülerInnen aus 1.000. Bei den Verletzungen sind bei fast der Hälfte der Unfälle die oberen Extremitäten (Schulter, Arme, Hände)

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spezial

sicherheitsaspekt und zu einem guten Viertel die unteren Extremitäten (Knie, Beine, Sprunggelenke) betroffen. Ausschlaggebend für derartige Verletzungen sind oft Faktoren wie das fehlende Gefahrenbewusstsein und ein im Schulalter ausgeprägtes Risikoverhalten. Viele Kinder und Jugendliche überschätzen ihre eigenen

Bild: ©iStockphoto.com

spezial

Marco Cerny

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Bild: ©iStockphoto.com

spezial

spezial

drehscheibe

zwischen schule, sport und wirtschaft

Fähigkeiten. Dies führt besonders in Kombination mit Ermüdung häufig zu Skiunfällen. Einer gezielte Vorbereitung sowie Begleitung der Schüler während der Wintersportwochen durch die Sportlehrer kommt eine wichtige präventive Bedeutung zu. Einerseits spielt die passende Ausrüstung eine große Rolle – Sicherheitsbindung, Skibekleidung und Helm. Andererseits kann innerhalb des Bewegungs- und Sportunterrichts mit Hilfe von Gleichgewichts-, Kraftausdauer- und Koordinationsübungen eine wichtige Vorbereitung für die Wintersportwoche stattfinden. Die SchülerInnen sollen schon vor der Wintersportwoche oder am Beginn mit der Sicherheit beim Skifahren vertraut werden (FIS-Pistenregeln). Eine verantwortungsvolle Begleitung der Kinder und Jugendlichen durch ausgebildete Sport- und Begleitlehrer erhöht die Sicherheit während des Kurses. Die erworbenen Kompetenzen führen – über die Wintersportwoche hinaus – zu einem bewussteren Umgang mit Gefahren im Wintersport. Um sich dem Thema Sicherheit auf Wintersportwochen gezielt widmen zu können, stellte die AUVA auch in der Wintersaison 2011/12 den Schulen den Safety Guide zu Verfügung. Dieser Sicherheitsbeauftragte kann angefordert werden und besucht kostenlos die Wintersportwoche. Nach Absprache wird als Abendprogramm ein interessanter und informativer Multimedia-Vortrag zum Thema Sicherheit und Sicherheitsausrüstung, FIS-Pistenregeln, alpine Rettungsund Bergeverfahren und alternative Wintersportgeräte angeboten. Zusätzlich können sich SchülerInnen wie

22analyse:berg

auch Lehrkräfte anhand zahlreicher Anschauungsmaterialien wie LVS-Geräten (Pieps), Schaufel, Sonde, Rückenprotektoren, Skihelmen u. v. m. über Sicherheitsausrüstung informieren. Am nächsten Tag wird dieses theoretische Wissen praktisch und unter Anleitung des AUVA-Safety Guides im Skigebiet vor Ort umgesetzt. Dabei werden zusätzlich noch Themen wie Ampelregelungen beim Sessellift, Lawinenkunde-Crashkurs, alpine Erste Hilfe oder Sicherheit rund um Pistengeräte erörtert. Zusätzlich zum bereits bekannten Angebot für Schulen ab der 5. Schulstufe gibt es dieses Jahr auch den Safety Guide in einer altersgerechten Form für Volksschulen sowie für Hochschulen im Rahmen der Begleitskilehreraus- und -fortbildung. 

Die Servicestelle Wintersportwochen hat als zentrale Zielsetzung, Wintersportwochen an den Schulen zu fördern. Kinder und Jugendliche sollen für Schneesportaktivitäten begeistert werden und wieder mehr Interesse für den Wintersport in Österreich bekommen. Als zentrale Informationsdrehscheibe für LehrerInnen, SchülerInnen und Eltern werden Unterstützungsangebote der Wirtschaft koordiniert, mitentwickelt und verbreitet. Die weiteren Aufgaben der Servicestelle sind die bundesweite Bewerbung des WintersportwochenGedankens, die Forcierung von Aus- und Fortbildungen für LehrerInnen sowie die Konzeptionierung und Durchführung von Imagekampagnen bzw. Öffentlichkeitsarbeit. Sportministerium, Unterrichtsministerium, Wirtschaftsund Tourismusministerium, Wirtschaftskammer, Österreichischer Skiverband, Interski Austria und die Allianz Zukunft Winter sind die Träger der Stelle. Diese ziehen an einem Strang und sorgen so für neue Impulse. Es ist das große Anliegen aller Partner, den Wintersportwochen-Gedanken bundesweit zu bewerben und jungen Menschen den Spaß am Wintersport zu vermitteln.

Nur 2,9 aus 1.000 verletzten sich beim Skifahren oder Snowboarden im Rahmen einer Wintersportwoche 2010. (Quelle: AUVA-Statistik)

der Lebensqualität bei. Diese Klassenveranstaltung hat auch positive Auswirkungen auf das Lernklima innerhalb der Gruppe und dient der besseren Kommunikation zwischen SchülerInnen und LehrerInnen. Sowohl für neugierige Anfänger, wintersportbegeisterte Kids mit Pistenerfahrung, LehrerInnen und Eltern steht die Servicestelle Wintersportwochen mit Infos zu Einsteigeraktionen oder diversen Skitagesangeboten jederzeit sehr gerne zur Verfügung und hilft des Weiteren bei der Planung von schulischen Wintersportaktivitäten. 

Kontaktdetails:

Servicestelle Wintersportwochen Garelligasse 3/3/9, 1090 Wien Tel.: 01/4030154 E-Mail: office@wispowo.at Internet: www.wispowo.at Facebook: www.facebook.com/wispowo

Mit Wintersport kann nicht früh genug begonnen werden, bereits im Kindergartenalter sollte man damit starten. Dieses Erlebnis muss Österreichs Kindern und Jugendlichen näher gebracht werden − und Wintersportwochen helfen dabei! Sie tragen wesentlich zur allgemeinen Fitness, Gesundheit und Steigerung

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Bild: Hanno Bilek

Immer mehr Personen suchen die Ruhe in den heimischen Bergen. Auch im Winter steigt die Zahl der Sportbegeisterten, die in den Bergen unterwegs sind. Zur Anzahl der Skitourengeher gibt es aktuell nur Schätzungen. Der Österreichische Alpenverein schätzt die Zahl der Skitourengeher österreichweit auf über 500.000. In der Saison 09/10 verunfallten in Österreich 405 Skitourengeher. In der Saison 10/11 reduzierte sich die Zahl der Verunfallten um 12,6 %. Am deutlichsten nahm die Anzahl der Verunfallten in den südlichen Bundesländern ab: Kärnten -46,4 %, Steiermark

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-36,0 %. Auch in Tirol (-18,2 %) und Salzburg (-5,8 %) verunfallten weniger Personen. In Niederösterreich, Oberösterreich und Vorarlberg gab es eine Zunahme. Besonders viele Unfallbeteiligte gibt es häufig bei Lawinenunfällen. Die Zahl der Lawinenunfälle in der Saison 10/11 war außerordentlich niedrig. Dadurch erklärt sich auch der Rückgang der verunfallten Personen sowie der Alpintoten beim Skitourengehen. Zehn Personen verunglückten 10/11 beim Skitourengehen tödlich. In der Saison zuvor waren es 33 Personen. 

Verunfallte auf Skitour 11/2010-10/2011 Österreichweit gesamt:

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10 Tote 199 Verletzte 354 Verunfallte

0 7 16

0 23 37

0 23 40

3 96 165

5 22 49

0 23 32 2 5 15

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Bild: Matthias Haselbacher, Bergrettung Tirol

Bild: Hanno Bilek skitour

Erstmals seit Jahren starben in einem Winter beim Skitourengehen mehr Personen durch einen Sturz als durch eine Lawine. Nur zwei Skitourengeher starben durch eine Lawine. Einer der beiden Unfälle ist in diesem Heft beschrieben, der zweite ereignete sich in Salzburg. Zwei Personen starben an einem internen Notfall (vermutlich Herzinfarkt) im Aufstieg bzw. bei einem Gegenanstieg. Die Stürze gliedern sich in zweierlei Unfallmuster. Drei Skitourengeher stürzten bei der Abfahrt mit Skiern in steilem Gelände. Einem Wintersportler entglitt ein Ski in jenem Moment, als er sich die Skier in steilem Gelände abschnallte. Beim Nachfassen rutschte er aus und stürzte in weiterer Folge ab. Zwei Personen stürzten beim Abstieg auf einem Grat ab. Sie waren zu Fuß unterwegs. Alle zehn Toten waren männlich. Bei sieben handelte es sich um Österreicher, drei kamen aus Deutschland, Italien und Kroatien.

Über zwei Drittel der Personen verunfallten bei der Abfahrt. Dabei handelte es sich meist um Stürze ohne Fremdverschulden. Nur fünf Personen verunglückten in der abgelaufenen Saison beim Abstieg auf einem Grat, beim Aufstieg verunfallten 80 Personen während der (Ski-)Tour. Eine Unterscheidung mit/ohne Ski wird beim Aufstieg nicht getroffen. Unter der Rubrik (Ski-)Touren werden auch Schneeschuhtouren und Snowboardtouren erfasst. Alle Tätigkeiten, bei denen nicht eindeutig ist, ob sie sich im Aufstieg oder Abstieg befunden haben, werden unter „Sonstiges“ zusammengefasst. Vier der zehn Alpintoten befanden sich im Aufstieg, vier bei der Abfahrt und zwei im Abstieg.

Verunfallte im Aufstieg, Abstieg etc.

Unfallursachen der tödlichen Unfälle

24 Personen 6,8 %

5 Personen 1,4 %

80 Personen 22,6 % 2 Personen 20,0 %

Tirol dürfte die „Hochburg” des Skitourengehens sein, zumindest sagen dies die Unfallzahlen aus. Es verunfallten nicht nur die meisten Skitourengeher in Tirol, es waren auch die meisten der Betroffenen Tiroler. Aufgrund der Topografie Österreichs fahren Ostösterreicher vermehrt in andere Bundesländer zum Skitourengehen und verunfallen daher im gesamten Bundesgebiet. Tiroler, Salzburger und Vorarlberger verunfallen zum Großteil in ihrem Heimatbundesland, vermutlich werden sie seltener in andere Bundesländer zum Skitourengehen fahren. Bei zwei Personen ist das Heimatbundesland unbekannt, daher ergibt sich nur eine Summe von 205 Österreichern in der Kreuztabelle. 

Bundesland, in dem der Unfall sich ereignete

23 Personen 6,5 %

2 Personen 20,0 %

Im Gegensatz zum organisierten Skiraum verunfallen im freien Skiraum fernab von Skiliften mehrheitlich Österreicher. Knapp 60 % der verunfallten Personen kamen aus Österreich, 40 % aus dem Ausland.

242 Personen 68,4 %

6 Personen 60,0 %

Sonstiges unbekannt

Abstieg (zu Fuß)

n = 354

207

Deutschland

91

Ungarn

9

Polen

7

Schweden

6

Belgien

5

Großbritannien

3

Italien

3

Niederländische Antillen

3

Schweiz

3

andere

14

unbekannt

3

Gesamt

354

Heimatbundesland der Verunfallten Niederösterreich

Oberösterreich

Salzburg

Steiermark

Tirol

Vorarlberg

Wien

gesamt

Kärnten

8

0

0

1

3

0

0

1

13

Niederösterreich

0

5

0

0

0

0

0

4

9

Oberösterreich

0

2

25

1

3

0

0

3

34

Salzburg

2

1

7

11

4

3

0

2

30

Steiermark

1

6

1

1

14

0

0

5

28

Tirol

3

9

2

2

3

46

7

2

74

gesamt

Aufstieg

Verunfallte

Österreich

Kärnten

Vorarlberg

Abfahrt

Herkunft

0

1

0

0

0

0

14

2

17

14

24

35

16

27

49

21

19

205

Sturz ohne Fremdeinwirkung Interner Notfall Lawine n = 10

26analyse:berg

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Bild: Alpinpolizei Tirol

Anrisskante

Verschüttungsstelle

Gruppeninspektor Andreas Eppensteiner

sattelberg

bericht

sattelberg

Am 28. November 2010 wurde ein Tiroler Skitourengeher auf dem Sattelberg von einer Schneebrettlawine verschüttet und getötet. Der Mann kannte diese Tour und hatte sie auch schon öfter allein unternommen.  Den Unfallbericht verfasste Andreas Eppensteiner, Alpinpolizei Tirol.  Die Analyse stammt von Patrick Nairz vom Lawinenwarndienst Tirol.

DEUTSCHLAND  28. November 2010  ca. 10.00 Uhr  Sattelberg, Stubaier Alpen  2.010 m  Gemeinde Gries am Brenner / Tirol

TIROL

ITALIEN

28analyse:berg

Am 28. November 2010 startete ein 55-jähriger Einheimischer gegen 8.00 Uhr allein zu einer sehr beliebten Skitour auf den Sattelberg (2.115 Meter). Der Berg befindet sich im Gemeindegebiet von Gries am Brenner und gehört zu den Stubaier Alpen. Dort gab es bis vor kurzem ein Skigebiet mit Liften, das jedoch seit einiger Zeit nicht mehr betrieben wird. Diese Skitour ist besonders bei Anfängern beliebt, die hier auch bei gefährlichen Schneeverhältnissen unterwegs sind. Ebenso sind viele Alleingänger unterwegs, die zwischendurch kurz aus dem Alltag im Tal „ausbrechen“ wollen. Der 55-Jährige war sehr gut ausgerüstet und führte die alpine Notfallausrüstung im Rucksack mit: Lawinenschaufel, Sonde, Erste-Hilfe-Paket und auch ein Lawinen-Verschütteten-Suchgerät (LVS). Dieses war jedoch − ausgeschaltet (!) − im Rucksack verstaut.

Innsbruck

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skitour

Alpine Einsatzgruppe Innsbruck Polizei-Bergführer

 1 Person tot  2 Notarzthubschrauber und Hubschrauber des BMI Bergrettung St. Jodok und Gries am Brenner, 2 Lawinenhunde, Alpinpolizei

facts

Am Unfalltag gab es Tiefdruckwetter mit feuchten Luftmassen aus Südosten, was im Tagesverlauf einfallenden Nebel und leichten Schneefall erwarten ließ. Es herrschten schon ab dem frühen Morgen diffuse Lichtverhältnisse vor, und es blies mittelstarker Wind. Der Lawinenwarndienst des Landes Tirol hatte für diesen Tag eine allgemeine Beurteilung der Lawinengefahr herausgegeben, wobei dieser Bereich oberhalb von 1.800 Metern Seehöhe mit erheblicher Lawinengefahr (Stufe 3) eingestuft war. Besonders wurde auf starke Schneeverfrachtungen und auf steile, eingewehte Hänge hingewiesen, die unbedingt gemieden werden sollten. Bei guter Sicht und entsprechender Routenwahl könnte solchen Gefah-

renstellen auf dem Sattelberg leicht ausgewichen werden. Deshalb ist er auch als „ungefährliche und sichere“ Skitour beim Publikum bekannt. Experten hingegen betonen, solchen Touren gebe es gar nicht. Der vorliegende Unfall bestätigt diese Sichtweise. Auch „sichere“ Skitouren können von Fall zu Fall zu möglichen Todesrouten werden. Der Skitourengeher benutzte für den Aufstieg die ehemalige Skipiste des mittlerweile aufgelassenen Skigebietes Sattelbergalm. Diese Route war bereits aus den Vortagen vielfach verspurt. Und die Schneedecke war durch den starken Wind der vergangenen Tage und Nächte deutlich sichtbar beeinflusst. Gegen 10.30 Uhr dürfte der Mann den obersten Bereich der ehemaligen Skipiste hinter sich gelassen haben und war in dem leicht kupierten Gelände in Richtung Gipfel unterwegs. Schlechte bzw. diffuse Sicht dürfte zu einem Abweichen von der gewohnten Route geführt haben. Denn auf einer Seehöhe von 2.050 Metern − ca. 50 Höhenmeter unterhalb des Gipfels − bewegte sich der Skitourengeher nicht in Richtung des abgewehten und schneearmen Ostrückens. Er ging in westliche Richtung weiter. Dabei geriet er in ein steileres Gelände unterhalb des Gipfels, wo massiver Triebschnee lag. Dieser war in den Tagen zuvor durch starken Wind aus Süd und Südost eingeweht worden. Hier löste der Mann nun ein rund 90 Meter breites Schneebrett aus. Die Anrisshöhen wiesen zwischen fünf und 50 Zentimeter auf, im Kammbereich erreich-

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PIEPS VECTOR

Anrisskante

skitour

Das erste wartungsfreie 4-Antennen-LVS Gerät mit GPS-Support & Akkubetrieb!

Der Unfallort am nächsten Tag bei der Unfallaufnahme. Sehr gut ist einerseits die Anrissmächtigkeit, andererseits das geringe Ausmaß des Hanges zu erkennen. (Bild: Lawinenwarndienst Tirol)

ten sie sogar zwei Meter. Der spröde Triebschnee lag auf kaltem, lockerem Neuschnee. Die Länge des Lawinenkegels betrug ca. 35 bis 45 Meter. Der Skitourengeher wurde ca. drei Meter vor dem Ende des Lawinenkegels vollständig verschüttet. Er war mit dem Kopf ca. 50 Zentimeter unterhalb der Schneeoberfläche, als das Schneebrett zum Stillstand kam. Das Ende eines seiner Skistöcke ragte ca. 25 Zentimeter aus den Schneemassen. Gegen 12.15 Uhr (vermutlich ca. zwei Stunden nach dem Lawinenabgang) bemerkte ein Mitglied einer nachkommenden Skitourengruppe diesen Skistock. Die Gruppe war alarmiert und verständigte via Handy die Einsatzkräfte der Bergrettung. Dann begannen die Tourengeher, den Lawinenkegel abzusuchen. Ihre LVS-Geräte empfingen kein Signal, weil das LVSGerät des Verschütteten ausgeschaltet in dessen Rucksack lag. Beim Sondieren in der Umgebung des Skistockes stießen die Helfer zuerst auf den Rucksack und dann auf den verschütteten Skitourengeher. Sie fanden keine primären Lebenszeichen und begannen sofort mit der Wiederbelebung. In der Zwischenzeit traf ein Notarzthubschrauber ein. Dessen Besatzung setzte die Bemühungen zur Wiederbelebung fort. Nach einiger Zeit wurde klar, dass hier wohl jede Hilfe zu spät kam. Der Mann hatte schon rund zwei Stunden unter dem Schnee gelegen. Er hatte keine Atemhöhle, und im Mund befand sich Schnee.

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Der Tote wurde wenig später von der Besatzung des Polizeihubschraubers aus Innsbruck an Bord genommen und ins Tal gebracht. Es gab die Vermutung, dass noch weitere Verschüttete in dem Schneebrett liegen könnten. Deshalb wurde von der Leitstelle Tirol ein größerer Einsatz ausgelöst. Daran beteiligten sich Bergrettungsleute der ÖBRD-Ortsstellen St. Jodok und Gries am Brenner, zwei Lawinenhunde-Teams der Bergrettung Tirol, zwei Alpinpolizisten sowie die Besatzungen von drei Hubschraubern (zwei Notarzthubschrauber und der Hubschrauber des BMI). Der Großeinsatz konnte erst beendet werden, nachdem Erhebungen und Recherchen der Polizei eindeutig ergaben, dass der getötete Mann allein unterwegs gewesen war. 

P R O D U KT H I G H L I G H T S W I N TE R 2 0 1 1 / 2 0 1 2 P R E M I U M

BACKUP

Suchmannschaften sondieren den gesamten Lawinenkegel. Links ist sehr gut der abgeblasene Rücken zu erkennen. (Bild: Alpinpolizei Tirol)

Der PIEPS Backup bietet die weltweit erste 100%-Lösung zur Ortung nach einer eventuellen Nachlawine. Dieser Sender wird von jedem normgerechten LVS empfangen.

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DSP TOUR Das PIEPS DSP Tour ist ein digitales 3-AntennenLVS-Gerät mit integrierter Mark-Funktion für einfachste Bedienung bei der Kameradenrettung. Send – Search – Mark.

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Die PIEPS iPROBE ONE ist eine elektronische Lawinensonde mit einer Trefferanzeige zu jedem LVSSender und automatischer Deaktivierfunktion. Unterstützt den Retter maximal.

Der PIEPS MYOTIS ist mit praxisorientierten Funktionen ausgestattet. Bestens geeignet für Tagesschitouren und Variantenabfahrten. Volumen: 30 l, Gewicht: 1.450 g

Der PIEPS TX600 ist ein Mini-Sender für Tiere und Ausrüstung, der abseits der LVS-Norm EN300718 sendet. Aktive Suchoperationen bleiben dadurch unbeeinflusst.


Unfallort

Dipl.-Ing. Patrick Nairz

analyse

Die Hangneigungskarte vom Unfallort und der Lawinenlagebericht am Unfalltag. (Karte: www.tirol.gv.at/tiris, BEV; Lawinenlagebericht: Lawinenwarndienst Tirol)

Information zur Lawinensituation

sattelberg

des Lawinenwarndienstes Tirol Sonntag, den 28.11.2010, um 08:00 Uhr

Starker Wind führte zu umfangreichen Schneeverfrachtungen - Eingewehte, steile Hänge meiden!

Bei diesem Lawinenunfall war viel Pech im Spiel. Das hängt auch damit zusammen, dass der Sattelberg aufgrund seiner Topografie auch bei ungünstigen Verhältnissen als ideales Skitourenziel bekannt ist.

BEURTEILUNG DER LAWINENGEFAHR In den schneereicheren Regionen des Landes, das sind die Regionen entlang des Alpenhauptkammes von der Silvretta bis zu den Zillertaler Alpen, aber auch in Osttirol herrscht oberhalb etwa 1800m erhebliche Lawinengefahr. Im restlichen Tirol ist die Gefahr oberhalb der Waldgrenze mäßig. In tieferen Höhenlagen nimmt die Gefahr in ganz Tirol von anfangs mäßig bis in tiefe Lagen auf gering ab. Die Hauptgefahr für den Wintersportler geht von frisch gebildeten Triebschneeansammlungen aus. Diese Triebschneepakete sind aufgrund der kalten Temperaturen spröde und lassen sich deshalb recht leicht durch geringe Zusatzbelastung stören. Vermehrt sind diese Gefahrenstellen im Sektor W über N bis O anzutreffen. Generell gilt, dass die Anzahl an Gefahrenstellen mit zunehmender Seehöhe zunimmt. In typischen Föhnschneisen sind diese vermehrt auch im Waldgrenzbereich anzutreffen. Mit etwas Erfahrung in der Lawinenbeurteilung kann man Gefahrenstellen derzeit jedoch recht leicht erkennen und diesen auch entsprechend ausweichen. Hochalpin, also oberhalb von 3000m, kann zudem im sehr steilen, vermehrt schattigen Gelände eine in Bodennähe befindliche Schwimmschneeschicht insbesondere an Übergangsbereichen von wenig zu viel Schnee durch geringe Belastung gestört werden.

Bei genauer, möglichst objektiver Betrachtung lässt sich das Unglück dennoch gut nachvollziehen. Wie so oft führte auch hier erst die Verkettung mehrerer ungünstiger Umstände zum Unfall.

Schneedeckenaufbau als zentraler Faktor

Im Mittelpunkt steht der Schneedeckenaufbau als unmittelbare Folge des vorangegangenen Wettergeschehens. Bedeutsam war eine mächtige Kaltfront am 25. Oktober 2010. Entlang des Alpenhauptkammes schneite es damals zwischen 50 und 80 Zentimeter. Dieser Schnee schmolz Anfang November während einer deutlich zu milden Phase großteils weg. Einzig im schattigen Steilgelände blieb er liegen und wandelte sich in mittleren Höhenlagen – dazu zählt auch das Unfallgebiet – zu einer markanten Schicht aus feuchten Schmelzformen um. Weiter oben bildeten sich hingegen aufbauend umgewandelte Schneekristalle. Ab dem 16. November fiel immer wieder etwas Schnee, anfangs vermehrt in Osttirol, ab dem 22. November auch in Nordtirol. Die Strömung drehte auf Nordwest. Es wurde winterlich kalt. Der Neuschnee war meist locker, in exponierten Lagen vom Wind beeinflusst. Entscheidend für den Lawinenunfall war dann die neuerliche Drehung der Höhenströmung auf Süd ab dem 27. November. Der Wind wurde im

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Lawinenprognostiker beim Lawinenwarndienst Tirol Leiter der Arbeitsgruppe der Europäischen Lawinenwarndienste Instruktor Skitouren

Riesige Schneefahnen am benachbarten Wolfendorn. (Bild: Lawinenwarndienst Tirol am 27. November 2011)

Tagesverlauf immer kräftiger und verfrachtete große Mengen Schnee. Die Gefahr für Wintersportler ging dann von frisch gebildetem Triebschnee aus. Wegen der Kälte war dieser spröde und ließ sich deshalb leicht durch geringe Zusatzbelastung stören. Vermehrt bildeten sich solche Gefahrenstellen aufgrund der vorherrschenden Windrichtung im Sektor W über N bis O, ganz besonders natürlich in kammnahen Bereichen. Beim Schneeprofil, das in unmittelbarer Nähe der Lawine aufgenommen wurde, lässt sich das Wettergeschehen gut nachvollziehen: Am Boden befindet

SCHNEEDECKENAUFBAU Starker, zum Teil stürmischer Wind aus südlicher Richtung führte gestern zur Bildung umfangreicher Schneeverfrachtungen. Eindrucksvoll konnte man dies gestern in weiten Teilen Tirols, vermehrt in den südlichen Landesteilen in Form von großen Schneefahnen beobachten. Kalter, lockerer Neuschnee wurde somit von frischem Triebschnee überdeckt. Die Verbindung zwischen dem kürzlich gefallenen Neuschnee mit dem Triebschnee ist auch aufgrund der kalten Temperaturen meist nicht gut, die Störanfälligkeit entsprechend hoch. Hochalpin findet man schattseitig am Boden eine Schwimmschneeschicht, die zusätzlich als mögliche Gleitfläche für Schneebrettlawinen in Frage kommt. ALPINWETTERBERICHT DER ZAMG-WETTERDIENSTSTELLE INNSBRUCK Allgemeine Wetterlage: Ein Tief über dem Golf von Genua zieht über die Adria bis zum Balkan. Es steuert sehr feuchte Luft aus Südosten in Richtung Alpen. Bergwetter heute: Vom Ortler über die Dolomiten bis zu den Hohen Tauern von der Früh weg Nebel und auch stellenweise leichter Schneefall, nördlich vom Alpenhauptkamm anfangs noch passable Sichten. Am Nachmittag dehnen sich die Schneefälle auch auf die Alpennordseite aus. Temperatur in 2000m -5 Grad, in 3000m -11 Grad. Starker Wind aus Süd bis Südwest. TENDENZ Starker Wind führt zur Bildung weiterer Triebschneepakete. Mit dem vorhergesagten Neuschnee werden Gefahrenstellen mitunter schwerer zu erkennen. Die nächste Aktualisierung erfolgt spätestens am Dienstag, den 30.11.2010. Patrick Nairz

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Anrisskante

Knapp unterhalb des Gipfels ereignete sich der Unfall. Aus dieser Perspektive sind der abgeblasene Rücken und der eingeblasene Hang sehr gut zu erkennen. (Bild: Alpinpolizei Tirol)

29. November 2010: Schneeprofilaufnahme am Sattelberg. (Quelle: Lawinenwarndienst Tirol)

waren allgemein auch die Windzeichen und die dadurch entstandenen Verfrachtungen. Was noch auf die Gefahr hingewiesen hätte, war die von uns am Unfalltag publizierte „Information zur Lawinensituation“. Ähnliche Berichte wurden bereits am 25. Oktober, 14. November und am 25. November publiziert. Die damalige Schlagzeile lautete: „Starker Wind führte zu umfangreichen Schneeverfrachtungen − Eingewehte, steile Hänge meiden!“ Im Text hieß es: „… Die Hauptgefahr für den Wintersportler geht von frisch gebildeten Triebschneeansammlungen aus … Die Anzahl an Gefahrenstellen nimmt mit zunehmender Seehöhe zu. In typischen Föhnschneisen sind diese vermehrt auch im Waldgrenzbereich anzutreffen… Mit etwas Erfahrung in der Lawinenbeurteilung kann man Gefahrenstellen derzeit jedoch recht leicht erkennen und diesen auch entsprechend ausweichen …“.

Trügerische Schneeoberfläche sich der Altschnee von Ende Oktober. Darüber lagert eine dünne, bereits leicht aufbauend umgewandelte Schicht. Diese bildete sich ab dem 23. November wegen des großen Temperaturunterschieds an der Grenzfläche zwischen der anfangs noch feuchten Altschneeoberfläche und dem kalten Neuschnee (Gefahrenmuster „Kalt auf Warm“). Darüber erkennt man eine ca. 15 cm dicke, vom Wind beeinflusste Schicht, auf der wiederum eine dünne Schicht aus lockerem Neuschnee lagert. Abgeschlossen wird die Schneedecke von einem sehr harten, mancherorts auch sehr mächtigen Windharschdeckel, welcher ab dem 27. November entstanden ist (Gefahrenmuster „kalter,

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lockerer Neuschnee und Wind“). Stabilitätsuntersuchungen an mehreren Stellen im Nahbereich der Lawine zeigten, dass es eine primäre Schwachschicht gab. Es handelte sich um den lockeren Neuschnee und nicht um die flächig weniger ausgeprägte, aufbauend umgewandelte Schicht. Kein „normaler“ Skitourengeher, der auf den Sattelberg geht, gräbt Schneeprofile. Die erwähnten Schwachschichten waren somit nur für interessierte Experten unmittelbar zu erkennen. Offensichtlich war jedoch – bei entsprechender Sicht – der mit frischem Triebschnee vollgefüllte Gipfelhang. Gut erkennbar

Eine harte Schneeoberfläche täuscht Sicherheit vor. Auf dem Unfallhang war sie als Folge des starken Windeinflusses durchwegs sogar sehr hart. Die Erfahrung lehrt, dass frische Triebschneepakete umso leichter auszulösen sind, je frischer und je kälter sie sind und je ausgeprägter die darunter befindliche Schwachschicht ist. Dies gilt eben auch für harte Schneeoberflächen! In Summe waren also am Unfalltag alle Voraussetzungen für eine recht hohe Auslösewahrscheinlichkeit von Lawinen gegeben − vermehrt im kammnahen Steilgelände. Die Lawine wurde als Folge des ungünstigen Schneedeckenaufbaus und der Zusatzbelastung des Skitourengehers von diesem

ausgelöst − vermutlich in der Mitte des Hanges. Der dadurch entstandene Bruch pflanzte sich innerhalb der Schneedecke fort. Die Lawine brach dann unterhalb des Gipfels mit einer Anrissmächtigkeit von bis zu 2 m. (An der Anrisskante war der Schnee entlang dieser 2 m durchgängig messerhart!) Mit Sicherheit war die Ursache des Lawinenabganges also kein Wechtenbruch, wie es von einigen Personen behauptet wurde!

Alleingänger

Generell wird empfohlen, auf Skitouren möglichst nicht allein unterwegs zu sein. Das hat den großen Vorteil, bei einem Lawinenunfall auf rasche Hilfe hoffen zu können. Im konkreten Fall darf man allerdings nicht päpstlicher als der Papst sein, denn die frequentierte Tour auf den Sattelberg ist sehr dafür geeignet, auch einmal rasch alleine „auszulüften“. Zu zweit oder in einer Gruppe hätte es eine höhere Chance für den Verschütteten gegeben, diesen Lawinenunfall zu überleben. Denn durch einen Begleiter oder Mitglieder einer ganzen Gruppe wäre rasche Hilfe mittels LVS-Geräten, Schaufeln und Sonden möglich gewesen, sofern diese nicht auch von der Lawine erfasst worden wären.

Schlechte Sicht

Am Unfalltag herrschten schlechte, mitunter diffuse Lichtverhältnisse. Immer wieder fiel Nebel ein. Das lässt vermuten, dass der Skitourengeher im Gipfelbereich eventuell von seiner beabsichtigten Route über den sicheren, großteils abgeblasenen Rücken abgekommen sein dürfte. Dafür spricht auch, dass winter 2011

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Der Schneedeckenaufbau am Unglücksort einen Tag nach dem Unfall. (Bild: Lawinenwarndienst Tirol)

die Routenführung über den immer steiler werdenden, kurzen Gipfelhang beschwerlicher ist als die Normalroute. Der steilere Anstieg bringt auch keinerlei Zeitgewinn. Die schlechte Sicht hatte vermutlich einen weiteren Nachteil: Es ist bekannt, dass am Unfalltag zahlreiche Personen auf dem Gipfel des Sattelbergs standen. Die Wahrscheinlichkeit, dass man auch als Alleingänger von anderen Skitourengehern gesehen wird, ist in dieser Gegend normalerweise recht hoch. Wäre das der Fall gewesen, wäre eine Rettung wahrscheinlicher gewesen. Bekannt ist auch, dass einige Personen beim Erreichen des Gipfels nicht daran dachten, dass dort eine Person verschüttet sein könnte. Generell gilt – auch bei bestens bekannten Touren (ich spreche da aus eigener Erfahrung …): Bei Nebel sollte die Tour nach Möglichkeit sofort abgebrochen und der Heimweg angetreten oder aber auf Wetterbesserung gewartet werden …

Ausrüstung vorbildlich – doch LVS-Gerät ausgeschaltet!

Die empfohlene Notfallausrüstung gehört in jeden Rucksack. Das ist Standard. Der verunglückte Skitourengeher war bestens ausgerüstet. Dies muss gerade auch in Hinblick auf die als „recht sicher“ geltende Standardskitour auf den Sattelberg als vorbildlich bezeichnet werden. Gravierender Fehler: Der Mann hatte sein LVS-Gerät ausgeschaltet im Rucksack verstaut. (Mir sind vergleichbare tödliche Lawinenunfälle von Alleingängern bekannt, bei denen der Lawinenkegel unmittelbar nach dem Lawinenabgang von

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nachfolgenden Skitourengehern mittels LVS-Geräten abgesucht und die Tour aufgrund fehlender Signale unbesorgt fortgesetzt wurde …). Im konkreten Fall hätte dem Skitourengeher allerdings auch ein eingeschaltetes LVS-Gerät nichts genützt, zumal seine Verschüttung nicht rechtzeitig erkannt wurde.

Schlussfolgerung

Es gab einige offensichtliche Gefahrenzeichen. Erst die Verkettung mehrerer ungünstiger Umstände führte zum Unfall. Erschwerend kam mit Sicherheit auch das als „recht sicher“ geltende Tourenziel dazu. Die Wahrnehmung möglicher Gefahren wird dadurch negativ beeinflusst. Eindeutige Zeichen werden dabei möglicherweise leichter ignoriert oder bewusst bzw. unbewusst nicht erkannt. 

Literaturtipps

 Mair R., Nairz P. (2010): Lawine. Die 10 entscheidenden Gefahrenmuster erkennen, Tyrolia-Verlag  ARGE österr. Lawinenwarndienste (2011): Saisonbericht der österreichischen Lawinenwarn dienste 2010/11, Eigenverlag


Standort der Tourengeher. Unterhalb dieses Felssporns beabsichtigten sie, weiter aufzusteigen.

Bild: Alpinpolizei Kärnten, Josef Brandner

Einzugsgebiet der Schneebrettlawine

Abteilungsinspektor Josef Brandner

schwarzwandkopf Am 20. März 2011 ereignete sich ein Lawinenunfall mit zwei Verschütteten. Beide konnten von ihren Kameraden gerettet werden und überlebten den Unfall.  Den Unfallbericht verfasste Josef Brandner, Alpinpolizei Kärnten.  Hans Ebner und Hanno Bilek trafen zwei der vier verunfallten Bergsportler und befragten die beiden zu ihrer Sicht des Unfalls. Anstatt der Expertise eines Sachverständigen analysieren die zwei Skitourengeher das Geschehen.

SALZBURG OSTTIROL Lienz

Spittal an der Drau

KÄRNTEN

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 20. März 2011  ca. 09.15 Uhr  Schwarzwandkopf/Kreuzeckgruppe  2.640 m  Dellach/Kärnten  1 Person verletzt  1 Notarzthubschrauber und Hubschrauber des BMI, Alpinpolizei

facts

bericht

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skitour

Stv. Leiter Alpine Einsatzgruppe Spittal an der Drau Polizei-Bergführer Flight-Operator bei den Hubschraubern des Bundesministeriums für Inneres

schwarzwandkopf Vorgeschichte

Vier Skitourengeher unternahmen Anfang März 2011 eine hochalpine Tour in der Kreuzeckgruppe. Dabei handelte es sich um drei erfahrene Tourengeher, einer nahm seinen dreizehnjährigen Sohn mit auf die Tour. Einem der drei war dieses Gebiet besonders bekannt, er hatte diese Tour bereits zehn bis zwölf Mal in den letzten Jahren begangen. Bei der Tour handelt es sich um eine acht- bis zehnstündige hochalpine Überschreitung mit mehrfachen Aufstiegen und Abfahrten, ausgehend von der Ortschaft Zwickenberg über Gursgenalm, Schwarzwandkopf und Kreuzeck in Teuchl. Ungefähr auf halbem Weg entschloss sich die Gruppe, sich zu teilen. Der Jugendliche war mit der weiten Tour offensichtlich überfordert, so drehte der Vater mit ihm frühzeitig um. Zu diesem Zeitpunkt herrschten einwandfreie Wetter- und optimale Schneebedingungen (mehrwöchige Schönwetterperiode – Gefahrenstufe 1/gering). Aufgrund des Abbruches vereinbarte einer der Gruppe mit einem weiteren Gruppenmitglied einen neuerlichen Versuch und fixierte dafür bereits den Termin: 20. März 2011. Zwei weitere bekannte Skitourengeher schlossen sich diesem Vorhaben an.

Unfallgeschehen

Ab Mittwoch, 16. März 2011, erreichte ein Genuatief Westkärnten mit ergiebigem Niederschlag von ca. 40 bis 50 cm Neuschnee in den Bergen. Kräftige Winde aus Südwest bis Nordwest führten zu großen Triebschneeablagerungen in kammnahen Bereichen.

Liegepunkt Verschüttungstiefe 120 cm Liegepunkt Verschüttungstiefe 30-40 cm

Der Lawinenkegel. Im Bild der Einweiser sowie die beiden Liegepunkte der beiden Verschütteten. (Bilder: Josef Brandner, Alpinpolizei Kärnten)

In der Kreuzeckgruppe bestand erhebliche, zum Teil große Lawinengefahr (siehe Lawinenlagebericht 18. und 19. März 2011). Laut Auskunft des Lawinenwarndienstes Kärnten war die Lage am 20. März 2011 in kammnahen Bereichen ebenso noch mit ERHEBLICH (Stufe 3) zu beurteilen. Trotz dieser Umstände starteten die vier Tourengeher am Sonntag, 20. März 2011, gegen fünf Uhr ihr Vorhaben bei wolkenlosem Wetter und einer prognostizierten Tageshöchsttemperatur von minus 6 °C in 2000 m Seehöhe. Bei der Gruppe handelte es sich um ungefähr gleichwertige Tourenpartner. Die Tourenplanung im Sinne einer geeigneten Routenführung konnte

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Durch erfolgreiche Kameradenrettung, gute Arbeit und viel Glück überlebten alle Beteiligten diesen Unfall. Deshalb haben Hans Ebner und Hanno Bilek zwei der Unfallopfer gebeten, über ihre Erfahrungen zu sprechen. In einigen Fällen werden Lawinenunfälle „tabuisiert“, sei es aus Scham oder anderen Gründen. Umso mehr bedanken wir uns für die Gesprächsbereitschaft und diese selbstkritische Analyse.

Beim Lawinenhang handelte es sich um eine Schlüsselstelle der Tour. (Bild: Josef Brandner, Alpinpolizei Kärnten)

vernachlässigt werden. Zwei der vier waren bereits wenige Tage zuvor zu dieser Tour aufgebrochen. Die Wetter- und Schneedeckenentwicklungen beobachteten sie die Tage zuvor in den Medien. Ihr Heimatort liegt ca. 100 km von der Kreuzeckgruppe entfernt, eine Beobachtung vor Ort war somit nicht möglich. Beim Aufstieg auf den Schwarzwandkopf löste die Gruppe in ca. 2640 m Seehöhe ein Schneebrett mit ca. 150 m Breite aus. Die beiden vorangehenden Tourengeher wurden mitgerissen, jedoch nicht verschüttet. Einer der beiden konnte seinen ABS-Rucksack aktivieren. Die beiden weiteren Tourengeher folgten in Entlastungsabständen und waren eine bzw. zwei Kehren tiefer. Sie wurden von den Schneemassen ca. 400 m weit mitgerissen und im Auslauf zur Gänze verschüttet. Die beiden Verschütteten konnten von ihren beiden anderen Tourenpartnern mittels LVS-Geräten geortet und ausgegraben werden. Einer der beiden Verschütteten befand sich 40 cm unter den Schneeoberfläche. Er war bei der Bergung ansprechbar. Der zweite Verschüttete war ca. acht Meter entfernt unter ca. 120 cm Schnee begraben. Bei der Bergung war dieser nicht ansprechbar. Bei einem Mitglied der Tourengruppe handelte es sich um einen Notfallsanitäter. Er konnte den Verschütteten erfolgreich wiederbeleben. An der Unglücksstelle hatten die Verunfallten keinen Empfang. Aus diesem Grund musste zuerst ein Ortswechsel erfolgen, ehe sie über den Euro-Notruf 112 die Rettungskette in Gang setzen konnten. Der Verletzte wurde in weiterer Folge vom Notarzthubschrauber leicht verletzt in das Krankenhaus geflogen.

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Zur Charakteristik des Lawinenhangs

Ausgehend von der Gursgenalm – flache Almböden – steigt das Gelände zuerst gleichmäßig, dann immer steiler werdend bis in den Kammbereich an (15-45 Grad). Die Lawine wurde in einem Bereich mit ca. 35 Grad ausgelöst. 

Ebner: Warum habt ihr euch entschlossen, über den Unfall mit uns zu sprechen?

dieses Projekt gekommen? Wer hat die Tour dann praktisch geplant?

Gerhard: Ich glaube, dass die Leute − auch ohne selbst einen Unfall zu haben − aus unserer Geschichte etwas lernen können, wenn sie wollen. Wir selbst haben auch viel daraus gelernt.

Gerhard: Eigentlich war das ich. Ich hatte die Tour drei Wochen vorher in anderer Zusammensetzung schon probiert, dann aber abgebrochen. Kurz darauf haben wir einen neuen Termin vereinbart. Wir arbeiten alle im Gesundheitsbereich und müssen wegen der Dienstpläne gemeinsame Aktivitäten eher langfristig planen. So war das besagte Wochenende um den 20. März 2011 einer der nächsten möglichen Termine. Wahrscheinlich ist auch der Termindruck mit eine Ursache gewesen, dass wir letztendlich doch gegangen sind.

Ebner: Was habt ihr gelernt? Gerhard: Unser gesamtes Risiko-Management war schlecht. Zum Beispiel die Gruppendynamik war ein wichtiger Faktor: Wir haben uns viel zu viel treiben lassen. Vier gute Leute sind gemeinsam unterwegs und keiner will die schöne Tour „zerstören“. Alle vier haben zwar ein schlechtes Bauchgefühl – einer mehr, der andere weniger, aber wegen der Gruppendynamik und weil wir schon so viel investiert haben, starten wir. Dennoch. Dabei wussten wir sehr wohl: Der Windeinfluss in den Tagen zuvor, die Gefahrenstufe 3 und rund 40 Grad steiles Gelände waren ungünstige Voraussetzungen. Für mich inzwischen ganz klar: Mein Risiko-Management wird künftig anders aussehen. Ich bin in meinem Leben schon sehr viele Touren allein gegangen. Heute weiß ich, dass ich sehr oft nur Glück hatte. Bisher dachte ich, dass ich die Lawinengefahr einschätzen kann. Bei jeder Tour, bei der nichts passiert ist, denkt man sich: Ja super, da habe ich es wieder richtig eingeschätzt. Das Schneeprofil wurde von der Alpinpolizei am Unglückstag erstellt. (Quelle: Josef Brandner, Alpinpolizei Kärnten)

Bilek: Damals habt ihr die Durchquerung der Kreuzeckgruppe in Kärnten geplant. Wie seid ihr auf

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interview

Josef: Eine Woche vor der Tour hat es ziemlich stark geschneit. Es war teilweise Gefahrenstufe vier vom Kärntner Lawinenwarndienst ausgegeben worden. So haben wir dann einige Male telefoniert. Sollen wir, oder sollen wir nicht? Einer unserer Partner ist damals abgesprungen. Dann fanden wir einen Ersatzmann und waren wieder ein gutes Quartett. Ich selbst war mir nicht sicher, was ich tun soll. Schlussendlich habe ich mich zum Mitgehen entschieden. Schon die Tage davor und auch während der Hinfahrt habe ich mich beim Lawinenwarndienst wegen der Verhältnisse erkundigt. Zusätzlich habe ich im Internet die „Lawineninfos“ abgerufen und die Karte angeschaut. Sowohl die Verhältnisse als auch das Gelände schienen doch zum Teil grenzwertig zu sein – 35 Grad steile Passagen, zum Teil auch steiler. Trotzdem haben wir uns zum Start entschieden. Wir haben ein Auto zum Endpunkt der Tour gestellt und sind zur Hütte auf dem

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Zwickenberg aufgestiegen. Wir haben dort geschlafen und sind gegen 5.00 Uhr in der Früh aufgebrochen. Noch bei Finsternis.

schätze, dass ich ca. 150 Höhenmeter mit der Lawine mitgefahren bin. Schlussendlich bin ich aber hinausgekommen.

Gerhard: Der erste Teil bis zum ersten Gipfel ist wenig steil und gemütlich.

Josef: Auch mir ist es gelungen, aus der Lawine hinauszufahren. Ich war noch am weitesten oben. Gleich darauf habe ich den Gerhard gesehen.

Josef: Ja, wenn man Richtung Norden geschaut hat, waren deutlich Schneefahnen zu sehen. Der Windeinfluss auf die Schneedecke war deutlich erkennbar. Hubert, der die Gegend sehr gut kennt, hat mir nach dem Unfall seine Gedanken geschildert, er hat sie damals aber auch nicht ausgesprochen, so wie wir: „Was tun wir heute hier?“ Gedacht haben wir uns das vermutlich alle. Aber keiner hat etwas gesagt. Gerhard: Von den 40 Zentimetern Neuschnee, die gemeldet worden waren, war nichts oder wenig zu sehen. Diesen Schnee hatte es wohl verblasen. Wir sind mehr oder weniger auf einer festen Schneeoberfläche zum ersten Gipfel gegangen, ohne spuren zu müssen. Josef: Von dort haben wir auch in die Flanke des Hochkreuz-Gipfels hineingesehen. Diese wollten wir noch begehen. „Das schaut aber verdammt steil aus“, habe ich noch gesagt. „Bei der Draufsicht schaut alles steiler aus …“, war eine Antwort. Damit war auch das „besprochen“ … Wir haben die Ski angeschnallt und sind abgefahren. Richtung Hochkreuz haben wir uns beim Spuren abgewechselt. Natürlich haben wir Entlastungsabstände eingehalten. Kurz vor dem Lawinenabgang hat Gerhard wieder die Führungsarbeit übernommen. Er sagte noch, heute gehe es besonders gut. Ich habe darauf noch geantwortet: „Wer weiß, wie es darunter ausschaut!“ Gerhard: Bei einem Felskopf haben wir dann noch kurz beraten, ob wir oberhalb oder unterhalb vorbeigehen sollen. Ich habe mich entschlossen, unterhalb zu queren. Josef: Ich habe dann gerade die Spitzkehre hinter mich gebracht, als ich einen Schnalzer hörte. Sofort habe ich meinen Airbag-Rucksack aktiviert. In diesem Augenblick habe ich aber nicht mehr bemerkt, wo die anderen waren. Gerhard: Dadurch, dass ich unter dem Felskopf gestanden bin, habe ich sicher viel weniger Schneemassen abbekommen als die anderen, die unter uns waren. Laut ihren Erzählungen wurden sie auch gleich verschüttet. Ich habe meine Stöcke weggeworfen und habe versucht, irgendwie gerade hinunterzufahren. Ich habe noch gemerkt, dass auf einmal die Ski weg waren, dann war ich bis zu den Knien drinnen. Aber irgendwie ist es mir gelungen, nach rechts aus dem abgehenden Schneebrett hinauszufahren. Ich

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Unfallort

Gerhard: Von meinem Standort habe ich den gesamten Lawinenkegel eingesehen. Von den beiden anderen war nichts mehr zu sehen. Zehn Minuten vor dem Lawinenabgang habe ich noch versucht zu telefonieren und wusste daher, dass wir in dieser Gegend keinen Handy-Empfang hatten. Hier konnte ich den Hubschrauber also nicht gleich verständigen. Josef: Ich habe dann beim Hinunterfahren eine Hand aus dem Schnee ragen gesehen, die sich plötzlich bewegte. Es war Hubert. Er war total verschüttet, konnte kurz nach dem Stillstand der Lawine seine Hand bewegen und hat versucht, sein Gesicht vom Schnee freizubekommen. Das habe ich gesehen. Gerhard war als Erster bei ihm. Gerhard: Hubert war nur mit dem Gesicht aus dem Schnee. Ich habe mich dann gar nicht bemüht, sein LVS-Gerät auszuschalten, sondern habe gleich versucht, den zweiten Verschütteten zu suchen. Hubert war offensichtlich in Ordnung bzw. nicht schwer verletzt. Mein Gerät zeigte 18 Meter bis zum nächsten Verschütteten an. Josef: Ich bin einstweilen bei Hubert geblieben und habe ihm noch so weit den Brustkorb freigeschaufelt, dass ich zu seinem LVS-Gerät gekommen bin, das ich dann ausgeschaltet habe − um unsere weitere Suche nach dem anderen nicht unnötig zu stören. Danach hatten wir beiden, die nicht verschüttet worden waren, den zweiten Verschütteten geortet. Ich habe noch versucht, die Sonde zusammenzubauen. Irgendwie hat sie geklemmt. Das LVS-Gerät hat nur noch 1,1 Meter angezeigt, ich habe zu schaufeln begonnen und nach vier bis fünf Schauflern war ich schon bei seiner Hand. Kurz darauf waren wir bei seinem Gesicht. Er war bereits total blau. Gerhard hat weitergeschaufelt, während ich begonnen habe, ihn zu beatmen. Irgendwann hat er dann selbst wieder zu atmen angefangen, Kreislauf war vorhanden. Weiter ausgraben konnten wir einstweilen nicht. Er war tief bewusstlos. Wir wussten nicht mehr, wo wir den letzten Empfang bei unseren Mobiltelefonen hatten. Ich versuchte es einige Meter in Richtung Süden. Aber auch hier gab es keinen Funkkontakt für das Handy. Gerhard: In der Zwischenzeit hatte ich den nächsten Kameraden ausgegraben, der total verschüttet war. Ich habe versucht, ihn mit unseren Jacken − und was wir sonst noch dabei hatten − vor Unterkühlung zu schützen. Dann habe ich noch Hubert weiter beim Ausgraben geholfen. Josef: Hubert war relativ fit und o. k. Ich glaube, es

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Ebner: Gab es Anzeichen erhöhter Lawinengefahr? Hab ihr sichtbare Warnzeichen in der Natur wahrgenommen?

Übersicht über die Route. (Quelle: Land Kärnten − KAGIS; http://www.kagis.ktm.gv.at)

war ca. 30 Minuten nach dem Lawinenabgang, als sich Heiner zu bewegen anfing. Er hat die Augen aufgemacht und hat auf meine Fragen reagiert, das Muskelzittern hatte wegen der Unterkühlung schon eingesetzt. Er war bereits fertig im Biwaksack mit unserem restlichen Gewand verpackt. Gerhard und ich sind dann nochmals in Richtung Süden aufgestiegen und hatten dann kurze Zeit später den ersten Handyempfang. Von dort alarmierten wir die Rettungskräfte und ca. eine Stunde nach dem Lawinenabgang war der Notarzthubschrauber da.

Bilek: Hattet ihr beide vor dem Unfall eine alpine Ausbildung absolviert? Gerhard: Nein, ich war einmal ein paar Tage mit einem Bergführer bei einem Schnupperkurs, LVS-Suche, Bergung aus Gletscherspalten. Das war´s aber. Das war vor sieben oder acht Jahren. Bilek: Wer war für die Tourenplanung zuständig?

Ebner: Wie lange hat es gedauert, bis der zweite Mann geborgen war, der komplett verschüttet war?

Gerhard: Hubert und ich kannten die Gegebenheiten in der Region. Ich kenne die Gegend im Sommer gut, deshalb war auch nicht viel zu planen. Die Route war grob bekannt.

Gerhard: Schwer zu sagen, zehn Minuten waren es sicher. Viel länger hätte es sicher nicht mehr dauern dürfen.

Ebner: Eine Woche vor dem Unfall war die Tour eigentlich schon so gut wie abgesagt. Warum ist es dann doch anders gekommen?

Bilek: Erinnert sich euer Tourenkollege Heiner an den Unfall? Er war ja bewusstlos und unterkühlt.

Josef: Im Nachhinein betrachtet war für alle ein gewisser Unsicherheitsfaktor vorhanden, nur hat es sich keiner zu sagen getraut – ich persönlich jedenfalls sicher zu wenig. So ist der Entschluss zum Gehen dann gefallen.

Josef: Er kann sich daran erinnern, dass er in der Lawine war. In der Lawine hat er noch versucht, die Hände vors Gesicht zu bekommen, was ihm nicht gelungen ist. Plötzlich sei es leise geworden. Er habe gedacht, die werden mich niemals finden und ich werde sterben. Er hat die Sache ohne körperliche Verletzungen überstanden, wurde dann mit 32 bis 33 Grad Körpertemperatur ins LKH geflogen. Am nächsten Tag hat er das Krankenhaus schon wieder verlassen können. Abgesehen von ein paar Abschürfungen ist ihm nichts passiert.

Gerhard: Ich habe mir gedacht, dass wir uns die Tour bis zum ersten Gipfel einmal anschauen können, bis dorthin sollte es kein Problem sein, was es auch nicht war. Es waren zwiespältige und verdächtige Verhältnisse. Auf den Bildern, die vom Hubschrauber aus gemacht wurden, sieht man eindeutig den Windeinfluss im Bereich des Kammes. Dort lauerte das Schneebrett. Von unserem Standort aus haben wir das aber nicht gesehen. winter 2011

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Bilek: Habt ihr euch mit Strategien über die Vermeidung von Lawinenunfällen beschäftigt?

Bilek: Ist während der Tour über Gefahrenzeichen gesprochen worden?

Josef: Danach schon. Wir haben auch den Unfall analysiert. Mit STOP OR GO wäre natürlich ein klares STOP herausgekommen. Aber ich habe daraus gelernt, dass ich mehr auf mich selbst hören sollte. Wenn Verstand und Gefühl sagen, es geht nicht, werde ich künftig umdrehen. Eine Entscheidung wie diese bei dem Unfall wird es bei mir nicht mehr geben. Wenn man bedenkt, dass 54 Prozent der Ganzverschütteten ein Lawinenereignis nicht überleben, weiß man erst, welches Glück wir dabei hatten.

Josef: Ja, wir haben uns über den Wind unterhalten. Ich habe kurz die Steilheit angesprochen, die Dinge sind aber letztendlich von uns allen ignoriert worden.

Gerhard: Im Nachhinein betrachtet ist es eigentlich ein Wahnsinn, was wir da gemacht haben. Normalerweise müsste man sagen: Bei diesen Verhältnissen gehen wir eine Tour entlang einer Piste. Aber hier haben wir einfach überzogen. Ich hatte sicher auch Mitschuld an dem Ganzen, weil ich noch die Bilder vom ersten Versuch im Kopf hatte. Da hatten wir perfekte Verhältnisse. Es ist einfach diese Sucht nach dem Tiefschnee. Aber rational betrachtet darf man so etwas wohl nicht tun.

Ebner: Einer eurer Tourenpartner ist nicht mitgefahren. Warum nicht? Josef: Ihm war die Sache nicht geheuer. Mir hat er noch vor dem Wegfahren gesagt: „Lass den Hebel ja heraußen.“ (Anm.: Auslösegriff des Airbag-Rucksacks) Bilek: Seid ihr danach wieder auf Skitour gewesen? Josef: Ich nicht, aber ich werde sicher wieder gehen. Gerhard: Ich war danach auch nicht mehr unterwegs, aber eher, weil es sich nicht mehr richtig ausgegangen ist. Aber wir werden diese Tour sicher einmal fertigmachen – bei passenden Bedingungen. 

Lawinenlagebericht

des Lawinenwarndienstes Kärnten 20.03.2011 07:30 Allgemeine Gefahrenstufe

Besonders gefährdete

Hangrichtungen (schwarz)

> 2200m

OBERHALB VON 2000M VERBREITET NOCH ERHEBLICHE LAWINENGEFAHR Gefahrenbeurteilung Verbreitet bereits MÄSSIG (2) und in höheren Lagen auf Grund der immer wieder neu entstehenden störanfälligen Triebschneeablagerungen in Kammlagen noch ERHEBLICH (3) ist die Lawinengefahr in den Kärntner Bergen. Eine Schneebrettauslösung ist hier bereits durch eine geringe Zusatzbelastung möglich. In tiefen Lagen besteht auf Grund der fehlenden Schneedecke bereits keine Lawinengefahr. Die Gefahrenstellen sollten heute bei guten Sichtverhältnissen gut erkennbar sein. Mit der zunehmenden Sonneneinstrahlung im Tagesverlauf verändern sich auch die Spannungen in der Schneedecke und es ist mit spontanen, meist kleineren und mittleren Lawinen zu rechnen.

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Schneedeckenaufbau Nur noch vereinzelt haben gestern ein paar Schneeschauer etwas Neuschnee in die Kärntner Berge gebracht. Die Menge war aber sehr gering. In hochalpinen Lagen hat der lebhafte bis kräftige Wind aus nördlichen Richtungen weiterhin für frische Triebschneeablagerungen in Kammlagen und hinter Geländekanten, vorwiegend in den sonnseitigen Expositionen gesorgt. Die sinkenden Temperaturen und die nächtliche Ausstrahlung, haben sich günstig auf die Festigkeit der durchfeuchteten Schneedecke in mittleren und hohen Lagen, ausgewirkt.

Kärntenwetter Von Norden und Westen her macht sich ein ausgedehntes Hoch über Mitteleuropa und den Alpen breit. Die Luft wird trockener. Auf Kärntens Bergen beginnte der Tag meist schon sonnig mit guten Sichtverhältnissen. Es weht lebhafter Wind aus nordöstlicher Richtung. Die Temperaturen erreichen in 3000m -12 Grad und in 2000m -6 Grad.

Tendenz Am Montag scheint meist ungetrübt die Sonne. Mit zunehmend frühlingshaften Bedingungen wird die unterliegt die Lawinengefahr wieder einem tageszeitlichem Anstieg. Tel.: 050/536-1588

Lawinenlagebericht Tel.: 0664/6202229 des Unfalltages. (Quelle: Lawinenwarndienst Kärnten)

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lawinenstatistik

lawinentote

skitour lawine

Bild: Alpinpolizei Kärnten, Josef Brandner skitour

Bei der Beobachtung der medialen Berichterstattung zum Thema Lawinen gewinnt man den Eindruck, die Zahl der Lawinentoten nehme dramatisch zu. Im Detail lässt sich dieser Eindruck jedoch nicht verifizieren. Die Zahl der tödlichen Ereignisse variiert von Jahr zu Jahr zum Teil enorm. Beispielsweise starben in der Saison 2010/11 drei Personen bei Lawinenunfällen, in der Saison zuvor 39 Personen. Die Statistik berücksichtigt alle tödlichen Lawinenunfälle, auch Unfälle im Siedlungsraum oder Verkehrsraum. Bei der Interpretation der Unfallzahlen bzw. Zahl der Lawinentoten darf auf keinen Fall außer Acht gelassen werden, wie viele Wintersportler sich insgesamt im freien Skiraum bewegen. Genaue Zahlen hierzu fehlen − sowohl aus der Vergangenheit als auch aktuell. Dennoch gehen verschiedene Institutionen davon aus, dass immer mehr Personen outdoor im freien Gelände unterwegs sind.

Lawinentote in Österreich 76/77-10/11 Tote 50

40

30

20

10

0 76/77

78/79 80/81

82/83

84/85

86/87 88/89

90/91

92/93

94/95 96/97

98/99

00/01

02/03 04/05

06/07

08/09

10/11

Saison Tirol

Mittelwert über 35 Jahre (25,6)

Salzburg

gleitender Mittelwert 5 Jahre

Vorarlberg

gleitender Mittelwert 15 Jahre

Steiermark Kärnten Oberösterreich Niederösterreich

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Quelle: Kuratorium für Alpine Sicherheit, Alpinpolizei, Österreichischer Bergrettungsdienst, Lawinenwarndienste Österreichs

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Bild: Michael Astenwald

Das Alpinforum in Innsbruck ist jedes Jahr im November Treffpunkt der alpinen Szene. Bereits im Jahr 2010 referierten Walter Würtl und Hanno Bilek in "chance & second chance" über Zahlen und Fakten zu Lawinenunfällen. Bei den Vorbereitungen stellten sie eine alarmierende Zahl fest: Knapp 20 % der Lawinentoten waren „nur“ teilverschüttet oder gar nicht verschüttet. Obwohl sie „oben blieben“, überlebten sie nicht. Aus diesem Grund gingen die beiden der Frage nach, wie hoch der Prozentsatz der Lawinentoten ist, die an einem Trauma versterben. Dabei wurden sie von Hans Ebner und den AEG-Leitern der Alpinpolizei unterstützt.

Obduktion?

offensichtlich?

verschüttung

klares erg.

sehr wahrscheinlich

sehr, sehr wahrscheinlich

sprengelarzt

?

ersticken vs. trauma Datengrundlage

Als Ausgangspunkt diente die Alpinunfalldatenbank des Österreichischen Kuratoriums für Alpine Sicherheit. Darin enthalten sind alle Lawinenunfälle in Österreich, die der Alpinpolizei bekannt werden. Wird bei einem Lawinenunfall in Österreich die organisierte Rettung verständigt, so wird im Allgemeinen auch die Alpinpolizei informiert. Bei Flugwetter dienen die Hubschrauber des Innenministeriums den Rettern neben den Notarzthubschraubern als Transportmittel. Die Alpinpolizei ist somit vor Ort. Man kann davon ausgehen, dass alle Fälle mit schweren Verletzungen bzw. tödliche Unfälle zur Gänze erhoben werden. Bei einem Alpinunfall werden verschiedene statistische Parameter dem Kuratorium für Alpine Sicherheit zur Unfallforschung zur Verfügung gestellt. Unter anderem erfassen diese Parameter die Verschüttunsgstiefe, Verschüttungsdauer, Verschüttungsart und ähnliche Parameter. Nicht standardmäßig erfasst wird die Todesursache. Die Beurteilung der Todesursache stellt in Zusammenhang mit der Anzahl der Traumatoten die größte Schwierigkeit dar.

Wo liegen die Schwierigkeiten?

Nachdem ein Unfallopfer geborgen wird, entscheidet der Notarzt, ob der Verunfallte in ein Krankenhaus transportiert wird oder nicht. Der Transport findet natürlich nur dann statt, wenn noch Hoffnung auf ein Überleben besteht. In einigen Fällen wird jedoch das Unfallopfer bereits auf der Lawine für tot erklärt.

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lawine

lawine

todesursache trauma

Dies trifft zu, wenn der Verschüttete erst nach Tagen gefunden wird oder wenn die Rettungsmannschaften dem Verunfallten nicht mehr helfen konnten. In diesen Fällen wird vom Sprengelarzt der Totenschein mit der entsprechenden Todesursache ausgefüllt. Bei der Feststellung der Todesursache handelt es sich dann nicht um das Ergebnis einer Obduktion. In vielen Fällen wird diese auf der Lawine, am Landeplatz des Hubschraubers oder in der Leichenhalle festgelegt. Die Todesursache wird von einem Mediziner (Sprengelarzt) im Zuge der Totenbeschau festgestellt, ist jedoch nicht als Ergebnis einer wissenschaftlichen Untersuchung zu werten. Häufig stellt die Notfalldiagnose des Notarztes einen wichtigen Hinweis zur Todesursache dar.

Leiter, Landesausbildungsleiter und ermittelnden Beamten der Alpinpolizei. Ohne ihre Unterstützung ist eine solche Arbeit nicht möglich. Vielen Dank! Bei der Untersuchung wurde nach folgendem Entscheidungsschema vorgegangen:

Es besteht jedoch die Möglichkeit, dass der Verunfallte exakter untersucht wird. Entweder meldet die Staatsanwaltschaft den Bedarf einer Obduktion an oder es besteht sanitätspolizeiliches Interesse. Genauer untersucht werden natürlich auch jene Lawinentoten, die nach der Einlieferung in ein Krankenhaus verstarben.

In 31 Fällen handelte es sich um ein offensichtlich entsprechend schweres Trauma. Diese Fälle sind kritisch zu beleuchten: Von diesen 31 wurden 15 Personen nicht sichtbar ganzverschüttet, zwei Personen sichtbar ganzverschüttet. In drei Fällen lag die Verschüttungszeit unter zehn Minuten, sechsmal über zwei Stunden, bei allen anderen Fällen zwischen 20 und 120 Minuten. Die Zuordnung zu Trauma erfolgte in diesen Fällen nur, wenn über offensichtlich entsprechend schwere Verletzungen wie abgetrennte Gliedmaßen oder offene Schädeldecke mit Hirnaustritt berichtet wurde. Oder wenn der Notarzt vor Ort, vom Sprengelarzt bestätigt, tödliche Verletzungen „diagnostizierte”. Bei Verdacht, dass es sich dennoch um Ersticken als Todesursache handeln könnte, wurde dieser Fall der Kategorie „Unbekannt” zugeordnet. Nichtsdestotrotz handelt es sich bei den Zuordnun-

In Österreich gibt es derzeit keine Untersuchung, wie viele Lawinentote (unabhängig von der Verschüttung und dem Transport in ein Krankenhaus) an einem Trauma verstorben sind. Dafür liegen zu wenige Obduktionen vor. Dennoch haben wir mit Hilfe verschiedener Informationen versucht, uns der Anzahl der Traumatoten zu nähern. Unterstützt haben uns dabei die jeweiligen AEG-

Im Untersuchungszeitraum starben 143 Personen bei Lawinenunfällen. Der Mittelwert beträgt 23,8 und liegt damit knapp unterhalb des langjährigen Mittelwertes von 26 Lawinentoten pro Saison. Der Untersuchungszeitraum reicht vom Herbst 2005 bis Frühjahr 2011. In acht Fällen wurde eine Obduktion durchgeführt, in weiteren acht Fällen wurde eine sanitätspolizeiliche Untersuchung durchgeführt.

gen um keine gesicherten, wissenschaftlich fundierten Beurteilungen. In weiterer Folge berücksichtigten wir noch die Verschüttungsart. 26 Personen wurden insgesamt nicht oder nur teilverschüttet (18,2 %). 

Lawinentote 05/06-10/11 40

Tote 39

35 30 29

25 20

32

23 17

15 10 5

3

0 05/06

06/07

07/08

08/09

09/10

10/11

Saison

winter 2011

49


Gesammelt bedeutet dies  83-mal Ersticken,  46-mal Trauma,  2-mal Hypothermia (3H) und  12-mal Unbekannt als Todesursache. Diese Zahlen überraschen insofern, als bisher von einer wesentlich geringeren Rate an Traumatoten ausgegangen wurde. Dieses Ergebnis lehnt sich inhaltlich auch an eine Untersuchung von Pascal Haegeli mit Markus Falk, Hermann Brugger, Hans-Jürg Etter und Jeff Boyd an. Sie veröffentlichten 2011 eine kanadische und eine Schweizer Überlebenskurve. Die Traumarate bei Ganzverschütteten in Kanada liegt bei 19 %. In Österreich liegt sie gemäß dieser neuen Erhebung im Zeitraum der letzten sechs Jahre bei 17,8 %. Vorstellbar wäre, dass sich in letzter Zeit das Verhalten der Skitourengeher und Variantenfahrer geändert hat und somit mehr Personen an ihren Verletzungen sterben. So kann man beobachten, dass mehr Wintersportler anspruchsvollere und extremere Touren unternehmen. Als Beispiel sei hier der Bettelwurf, ein

Die Geländeparameter werden in der Alpinunfallstatistik nicht explizit erfasst. Aus diesem Grund wurden im Zuge der zusätzlichen Datenerhebung die Alpinpolizisten zu drei verschiedenen Geländeparametern befragt:  Gab es eine deutlich kanalisierte Sturzbahn? Ging die Lawine in einen Graben ab?  Befand sich in der Sturzbahn eine Steilstufe, welche einen Absturz ermöglichte?  Ging die Lawine im Waldbereich ab? Eine Mehrfachnennung war möglich.  Bei 58 % der Traumatoten war eine kanalisierte Sturzbahn vorhanden.  Bei 58 % der Traumatoten war eine Steilstufe vorhanden.  29 % der Traumatoten verunfallten im Waldbereich. Das Gelände hat einen Einfluss auf die Lawinenlänge sowie auf die „Mitreißlänge”. In der Tabelle rechts sind einige statistische Kennzahlen zu den erhobenen Werten aufgelistet.

13 Ersticken

teilverschüttet

Trauma

10

Hypothermia (3H)

1 1

unbekannt n = 143

5 4

sichtbar ganzverschüttet 1

77

19

nicht sichtbar ganzverschüttet

1 10 0

10

20

30

40 Anzahl

50analyse:berg

50

Tod durch Ersticken 58 %

Der Mittelwert der Mitreißlänge bei der Todesursache Trauma ist fast doppelt so hoch wie bei der Todesursache Ersticken. Klar unterscheiden sich auch die anderen Werte. Der Median ist jener Wert, bei dem 50 % der Fälle unterhalb und 50 % oberhalb liegen. D. h., die Hälfte der Traumatoten wurde über 300 Meter von der Lawine mitgerissen. Die maximale Mitreißlänge betrug 1.400 Meter. Ein Viertel (Q3) der Traumatoten wurde zwischen 650 und 1.400 Meter mitgerissen.

Die erzielten Ergebnisse stehen in keinem Widerspruch zu den beiden Aussprüchen „Obenbleiben heißt Überleben” und „Zeit ist Leben”. Ohne Standardausrüstung geht man heute nicht mehr auf Tour, auch die Airbagsysteme empfehlen wir zu verwenden. ABER: Die Gefahr, dennoch bei einem Lawinenabgang zu sterben, darf nicht unterschätzt werden und soll jedenfalls unser Verhalten im Gelände beeinflussen. 

Todesursachen

Die Datengrundlage umfasst alle Lawinentoten in Österreich. Der überwiegende Teil kam beim Skitourengehen oder Variantenfahren ums Leben. Einzelne tragische Unfälle gab es auch beim Wandern, auf der Piste, beim Klettern und Eisklettern, auf Hochtour sowie einen tödlichen Arbeitsunfall. Die Traumarate liegt bei den tödlich verunfallten Skitourengehern bei 34 %, bei den Variantenfahrern bei 26 %. Damit unterscheidet sie sich nur geringfügig von der Traumaquote von 32 % aller Lawinentoten.

1,4 % (2)

32,2 % (46)

8,4 % (12)

58,0 % (83)

Die Schlussfolgerungen

Verschüttungsart

1

Tod durch Absturz 32 % (Trauma)

Zusätzlich verbesserten sich die Notfallausrüstung und Rettungsmittel. Immer häufiger hört man von Lawinenabgängen, bei denen eine Person einen Airbag auslöste und nicht oder teilverschüttet wurde. Auch die Kameradenrettung wird dank neuester Technologie und Ausbildung häufig erfolgreich durchgeführt.

Todesursachen und Verschüttungsart

nicht verschüttet

Bild: Alpinpolizei Tirol

Gipfel in der Nähe Innsbrucks, genannt. Vor Jahren war er nur Kennern und Extremskifahrern als „Skiberg” bekannt, wenige Besteigungen im Winter waren die Folge. Nun sind an manchen Wintertagen bei entsprechenden Verhältnissen über 20 Besucher am Gipfel. Lawinenabgänge in diesem Gelände enden häufig mit einem Absturz, der tödlich sein kann. Den Geländeparametern kommt daher in Zukunft evtl. eine wichtigere Rolle zu.

lawine

lawine

Von 143 Lawinentoten im Untersuchungszeitraum wurden dreizehn nicht verschüttet und dreizehn teilverschüttet. Bei einer Ganzverschüttung ist der Kopf des Verschütteten unterhalb der Schneeoberfläche. In der Alpinunfallstatistik unterscheiden wir zusätzlich zwischen nicht sichtbar und sichtbar ganzverschüttet. Zehn Personen waren sichtbar ganzverschüttet, d. h., der Kopf war unterhalb der Schneeoberfläche, aber ein Körperteil oder ein Ausrüstungsgegenstand war noch an der Oberfläche sichtbar. Mittels Oberflächensuche wäre in einer solchen Situation eine schnelle Bergung möglich. 107 der 143 Personen waren nicht sichtbar ganzverschüttet.

60

70

80

 Das Risiko eines Lawinenunfalls gilt es verstärkt und primär auf Seiten der Wahrscheinlichkeit des Ereignisses zu minimieren. 32 % der Lawinentoten starben aufgrund des Mitreißens. Daher muss dies bedeuten, dass wir noch konsequenter das Mit reißen verhindern müssen. Die Vermeidung von Lawinenauslösung hat oberste Priorität!  Besonders gefährliches Gelände soll man meiden. Die Beurteilung der Folgen eines möglichen Abgan ges, z. B. Absturz, sind in die Entscheidungs findung zu integrieren.  Das Tragen von Schutzausrüstungen ist zu forcie ren. Trägt man bei der Abfahrt einen Helm, wiegt der Sicherheitsgewinn deutlich schwerer als das Helmgewicht. Um uns vor dem Lawinentod „Ersti cken“ zu schützen, investieren wir in LVS-Gerät, Schaufel und Sonde. Um eine evtl. tödliche Kopf verletzung zu verhindern, tragen noch wenige Personen im freien Skiraum einen Helm.

Ersticken Trauma Hypothermia (3H) unbekannt n = 143

Trauma Ersticken Total

Mittelwert

403 (m)

209 (m)

286 (m)

Median

300 (m)

195 (m)

200 (m)

Min.

50 (m)

6 (m)

6 (m)

Max.

1.400 (m)

650 (m)

1.400 (m)

650 (m)

300 (m)

400 (m)

Q3

winter 2011

51


Lebend- und Totbergungen nach Verschüttungsdauer Verschüttungsdauer 10

1-15 min

60

10 15

31-45 min 7

lawine

46-60 min

61-75 min

1 4

1

44 4 0

tot lebend n = 184*

In den sechs Wintersaisonen 05/06-10/11 wurden in Österreich 185 Personen nicht sichtbar ganzverschüttet. Diese Zahl umfasst jedoch nur die von der Alpinpolizei erfassten Lawinenunfälle. Zusätzlich ereignen sich noch genügend Unfälle mit Ganzverschütteten, die nicht bekannt werden. Die beteiligten Personen fahren selbst ins Tal ab, Rettungskräfte werden von ihnen nicht alarmiert. In sechs Fällen konnten sich die Verschütteten selbst retten. Zwei von ihnen erlitten Verletzungen, vier blieben unverletzt. Überlebensrate Selbstrettung: 100 %. In 82 Fällen konnten entweder Bergkameraden oder andere anwesende Personen mittels Kameradenrettung die Person bergen. Dabei konnten 26 Personen

nur mehr tot geborgen werden, 35 überlebten verletzt und 21 Verschüttete konnten unbeschadet gerettet werden. Überlebensrate Kameradenrettung: 68,3 %. Die Mehrheit der Verschütteten war darauf angewiesen, dass die organisierte Rettung ihnen zu Hilfe eilte. In vielen Fällen waren sie entsprechend tief verschüttet, sodass die Flug- und Bergrettung die Kameradenrettung ablöste. In anderen Fällen waren die Tourengeher alleine unterwegs oder verwendeten kein LVS-Gerät. Eine erfolgreiche Kameradenrettung ist somit kaum möglich bzw. dem Zufall überlassen. 81 von 97 Ganzverschütteten überlebten die Lawine nicht, 14 Personen waren verletzt und zwei unverletzt. Überlebensrate organisierte Rettung: 68,3 %.

Kameradenrettung

Organisierte Rettung 2,1 % (2)

25,6 % (21)

14,4 % (14)

31,7 % (26)

83,5 % (81)

42,7 % (35) n = 82

n = 97

tot

tot

verletzt

verletzt

unverletzt

unverletzt

52analyse:berg

1 8

76-90 min

91 und mehr

iOn! fOR REVOLuT

19

16-30 min

der partner zählt

iT’s TiME

10

20

30 Personen

40

50

60

* Bei einem Verschütteten liegt keine Information über die Verschüttungsdauer vor.

AufEL

LAwinEnsCh

OP

TECBLADE LO

Die hiGh-EnD LAwinEnsChAufEL von sTuBAi mit REVOLuTiOnÄREM LOOP-sYsTEM!

Die Überlebnskurve von Herman Brugger et al. beschreibt die Überlebenswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit von der Verschüttungsdauer für Ganzverschüttete. Die Überlebensphase ist entscheidend und dauert 18 Minuten an. In dieser kurzen Zeit besteht eine Überlebenschance von über 90 %. Nur in optimalen Fällen (Retter befinden sich in unmittelbarer Nähe) kann ein Verschütteter in dieser Zeit von der organisierten Rettung geborgen werden.

Die innovative Grifflösung sTuBAi-LOOP ist ebenso einfach wie genial. Eine am T-Griff befestigte, verstellbare Handschlaufe bietet zahlreiche Vorteile gegenüber konventionellen Produkten – und das ganz ohne relevante Gewichts- und Packmaßerhöhung:

54 Personen wurden innerhalb der ersten 15 Minuten von den Kameraden geborgen, nur zehn von der organisierten Rettung. Im Schnitt bedeutet dies 84,4 % Lebendbergungen (88,9 % Kameradenrettung, 60 % organisierte Rettung). Während der Zeitspanne von 16 bis 30 Minuten wurden 29 Verschüttete befreit: 34,5 % Lebendbergungen (42,1 % Kameradenrettung, 20 % organisierte Rettung).

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15 Minuten stellen natürlich keine scharfe Grenze dar. Im Notfall ist das Zeitgefühl der Beteiligten verändert. Aus diesem Grund werden Werte wie zehn Minuten, 15 Minuten oder 30 Minuten immer gehäuft auftreten, da es sich um eine Schätzung und nicht um eine Messung der vor Ort tätigen Personen handelt. Dennoch dreht sich die Überlebensquote in der Realität nach ca. 15 Minuten von „Überwiegende Mehrheit überlebt“ zu „Zwei Drittel sind tot“. Als Konsequenz stellt sich die Frage nach der eigenen Notfallkompetenz und der der Tourenpartner. Regelmäßiges Training und die Wahl der richtigen Tourenpartner können im Notfall entscheidend sein! 

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Noch immer ereignen sich jedes Jahr tödliche Lawinenunfälle, bei denen die verschütteten Skitourengeher und Variantenfahrer ohne Notfallausrüstung im freien Skiraum unterwegs sind. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Die Kameradenrettung ist im Falle einer Verschüttung nach einem Selbstrettungsversuch der Hoffnungsträger. Damit diese erfolgreich sein kann, sind eine entsprechende Ausrüstung und grundlegendes Training jener Strohhalm, an den wir uns im Extremfall klammern müssen.

www.stubai-bergsport.com

N

U

R

B

E

R

G

E

I

M

K

O

P

winter 2011

F

53


statistik Unter der Kategorie „Variante“ werden alle Unfälle im freien Skiraum erfasst, die in unmittelbarer Umgebung eine Skigebietes stattfinden. Die Abgrenzung zur Piste findet insofern statt, als wir uns in einem nicht kontrollierten/organisierten Raum bewegen. D. h., es erfolgen keine Beurteilung der Lawinengefahr durch den Skigebietsbetreiber, keine Sperren, keine Kontrollfahrten etc. Der Wintersportler ist für die eigene Sicherheit selbst verantwortlich. Im Unterschied zu Skitourengehern steigen Variantenfahrer nur wenige Höhenmeter auf, den größten Teil legen sie mit dem Lift zurück. Dadurch sind mehrere Anfahrten an einem Tag möglich.

Im Vergleich zum Vorjahr verunglückten mit acht Personen deutlich weniger als im Vorjahr (18 Personen). Ebenso reduzierte sich die Zahl der Verunfallten von 481 auf 415. Zurückzuführen ist die positive Entwicklung auf eine Saison mit wenigen Lawinenunfällen. So ereigneten sich im Beobachtungszeitraum nur 20 Lawinenunfälle beim Variantenfahren. Im Vergleich dazu waren es in der Saison zuvor 88 Unfälle (55 Unfälle 08/09). 

Verunfallte im freien Skiraum rund um Skigebiete (Variante) 11/2010-10/2011 Österreichweit gesamt:

1 33 50

8 Tote 282 Verletzte 415 Verunfallte 3 49 72

54analyse:berg

0 4 4

3 157 216

0 7 39

1 18 20 0 14 14

winter 2011

55

variante

© Ötztal Tourismus/Peter Mathis

variante


variante

Foto: PHOTOPRESS AG/Martin Soderqvist

© Ötztal Tourismus, Peter Mathis variante

Im Vergleich zum Beobachtungszeitraum 09/10 ereigneten sich nur 20 Lawinenunfälle im Variantenbereich. Dies bedeutet einen Rückgang um 68 Lawinenunfälle (-77,2 %). Andererseit ergibt sich jedoch eine leichte Zunahme an anderen Unfallursachen. Ein schneearmer Winter 10/11 bedeutete für Variantenfahrer eine verstärkte Gefahr für Stürze und in weiterer Folge auch für Abstürze. Von den acht Personen, die tödlich verunglückten, wurde eine Person bei einem Lawinenunfall getötet. Fünf Personen stürzten ohne Fremdeinwirkung, eine Person fuhr gegen 15 Uhr im freien Skiraum ab. Aufgrund der tageszeitlichen Erwärmung ist der Betroffene in der Schneedecke eingebrochen und in weiterer Folge kopfüber in den Schnee gestürzt. Er ist

Unfälle in Österreich Bundesland Kärnten

09/10

10/11

21

14

- 33,3 %

4

+ 100,0 %

36

+ 28,6 %

Salzburg

30

20

- 33,3 %

Steiermark

13

20

+ 53,8 %

219

193

- 11,9 %

72

61

- 15,3 %

385

348

- 9,6 %

Vorarlberg Gesamt

n = 405*

* Bei zehn Personen liegt keine Information über das Alter vor.

129

120

Uhrzeit der Unfälle

40

n = 345*

Anzahl 80

Ski (288 Personen − 100 %) Snowboard (96 Personen − 100 %)

70 60 54

50

51

47

40 30

49

29

24

20 10 46

30

0

10

71

60

17

* In drei Fällen liegt keine Information über die Uhrzeit vor.

69

30

20

97

90

Gegenüber den Vorjahren ereigneten sich deutlich mehr Unfälle am späten Nachmittag knapp vor Betriebsschluss. Im organisierten Skiraum ist der (späte) Nachmittag jener Zeitraum mit den meisten Verletzten. Verantwortlich dafür ist eine Ermüdung der Wintersportler und damit eine Reduktion der Aufmerksamkeit und Konzentration. Besonders im freien Skiraum ist jedoch ausreichend Kraft erforderlich, um sicher ins Tal zu kommen. 

Sportgerät und Alter (relativ) 50

Alter der Verunfallten (absolut)

Änderung

2

Knapp 70 % der verunfallten Personen waren mit Skiern unterwegs, 23 % mit dem Snowboard. Bei den restlichen 7 % wurde das Sportgerät nicht erhoben oder es handelte sich um Telemarker oder andere Funsportgeräte. Besonders auffallend ist der hohe Anteil an verunfallten Snowboardern im Alter von 21 bis 30 Jahren. Überraschend hoch ist auch der Anteil der 41- bis 50-jährigen verunfallten Skifahrer im freien Skiraum. Da über die Grundgesamtheit jedoch keine Informationen vorliegen, ist eine Schlussfolgerung schwierig zu ziehen.

Prozent

150

28

Tirol

Alle acht tödlich verunfallten Personen waren männlich. Von allen 415 verunfallten Wintersportlern waren 313 männlich (75,4 %), 97 weiblich (23,4 %) und in fünf Fällen liegt keine Information vor.

Anzahl

Oberösterreich

Niederösterreich

erst im Zuge einer Suchaktion aufgefunden worden und dürfte erstickt sein. Ein tödlicher Unfall ereignete sich im Oktober 2010, noch in der Berichtsperiode 2010/11. Nahe einem Gletscherskigebiet ist ein Snowboarder im freien Skiraum abgefahren. In voller Fahrt stürzte er in eine Gletscherspalte. Vermutlich ist er aufgrund des heftigen Aufpralls auf der Eisfläche/dem Spaltenrand gestorben.

27

12

5

1-10 11-20 21-30 31-40 41-50 51-60 61-70 71-80 81-90 Alter [Jahre] 1

0

11

1 8

9

7 10

11

12

13

14

15

16

17

1 18

1 19

1 20

21

Uhrzeit

1-10 11-20 21-30 31-40 41-50 51-60 61-70 71-80 81-90 Alter [Jahre]

56analyse:berg

winter 2011

57


statistik Vielerorts wird das Potenzial dieser Sportart erkannt. Rodelbahnen sind heute meist sehr gut präpariert und teilweise werden sie bereits mit technischem Schnee ausgestattet. Durch eine Beleuchtung in der Nacht sind viele Rodelbahnen sowohl bei den Einheimischen als auch bei Gästen sehr beliebt. Gemütliche Hütten, Skilifte mit Rodeltransport und Rodeltaxis runden das touristische Angebot ab. Vielfach wird Rodeln als Überbegriff für vermeintlich ähnliche Tätigkeiten wie z. B. Plastikbobfahren auf einem Vorstadthügel verwendet. Das Zielpublikum und die Gefahren unterscheiden sich jedoch in den meisten Fällen deutlich vom klassischen Rodeln.

368 Personen verunfallten im vergangenen Jahr beim Rodeln. Das sind 18 Personen mehr als im Jahr zuvor (350). Zwei Personen verunglückten tödlich. In beiden Fällen kamen die erwachsenen Rodler von der Bahn ab. Einer stürzte in der Folge durch steiles Gelände ab. Der zweite kollidierte mit einem Baum. Eine Schutzausrüstung bzw. der Helm hat sich beim Rodeln noch nicht durchgesetzt. Doch besonders bei schweren Unfällen könnte der Helm den Grad einer Kopfverletzung ähnlich wie bei anderen Sportarten deutlich verringern. 

Verunfallte beim Rodeln 11/2010-10/2011 Österreichweit gesamt:

0 2 2

2 Tote 267 Verletzte 368 Verunfallte 0 35 48

58analyse:berg

0 43 49

1 108 154

1 29 57

0 43 50 0 7 8

winter 2011

59

rodeln

© Ötztal Tourismus/Bernd Ritschel

rodeln


© Tirolwerbung/Martina Wiedenhofer

© Tirolwerbung/Bernd Ritschel

Rodeln ist nicht nur Sport, Rodeln bedeutet auch Familienspaß und Geselligkeit. Dementsprechend finden sich zwei Zeiträume, in denen die meisten Unfälle passieren. Viele Familien mit Kindern gehen nachmittags rodeln. Zu dieser Zeit ereignen sich gehäuft Unfälle mit Jugendlichen. Ebenso viele Unfälle ereignen sich in den Abendstunden. Nach einem geselligen Hüttenabend rodelt man gemeinsam ins Tal. Vielfach wird in diesem Zusammenhang der Alkoholeinfluss als mögliche Unfallursache genannt. Derzeit sind jedoch keine Daten vorhanden, die es erlauben würden, diesen Einfluss quantitatitv zu bewerten. 139 Verunfallte stammten aus Österreich, 100 aus

Deutschland. Drittgrößte Gruppe waren die Niederländer (29) vor Gästen aus Großbritannien, Belgien und Ungarn. Insgesamt stammten über 60 % der Verunfallten aus dem Ausland. Der Großteil der Unfälle ereignete sich auf Rodelbahnen (303 Verunfallte). 28 Personen verunfallten beim Rodeln auf Skipisten, elf im weglosen Gelände. Vom Rodeln auf Skipisten wird dringend abgeraten. Diese Problematik wird auch in den Rodelempfehlungen aufgegriffen. Die restlichen Personen verunfallten auf einem Forstweg bzw. sonstigem Weg. 52 % der Verunfallten waren männlich, 44 % weiblich. Bei 4 % wurde das Geschlecht nicht dokumentiert. 

Verunfallte nach Uhrzeit

Verunfallte nach Alter

n = 362*

Verunfallte

40

n = 346*

Verunfallte

50 20

* Bei sechs Verunfallten liegt keine Information zur Unfallzeit vor.

* Bei 22 Verunfallten liegt keine Information über das Alter vor.

15 30

0

4

6

8

10

12

14

Uhrzeit

60analyse:berg

16

18

20

22

24

0

02

07

Beachte Sperren und Warnhinweise. Vergewissere dich, dass die Strecke zum Rodeln freigegeben ist. Informiere dich über den Verlauf und Zustand der Rodelbahn.

03

Verwende gute Ausrüstung: Qualitätsrodel, Schutzhelm, festes Schuhwerk. Aus Sicherheitsgründen keine Plastikbobs oder Plastikuntersätze.

04

Rechts und hintereinander aufsteigen. Quere die Rodelbahn nur an übersichtlichen Stellen.

Fahre kontrolliert, auf Sicht und halte Abstand. Passe Geschwindigkeit und Fahrweise deinem Können, der Rodelbahn, den Schnee-, Eis- und Witterungsverhältnissen sowie der Verkehrsdichte an.

5

2

06

Nimm Rücksicht auf andere Rodelbahnbenützer. Verhalte dich so, dass du keinen anderen gefährdest oder schädigst.

05

10 20

10

01

10

20

30

40 Alter

50

60

70

80

Die Rodelempfehlungen wurden vom Kuratorium für Alpine Sicherheit gemeinsam mit dem Österreichischen Rodelverband und der Sportabteilung des Landes Tirol ausgearbeitet.

rodeln

rodeln

rodelempfehlungen Mach auf dich aufmerksam. Warne unaufmerksame Aufsteiger (Schellen, lautes Rufen). Bei Dunkelheit: Stirnlampe und reflektierende Kleidung.

Warte an übersichtlichen Stellen auf deine Begleitung. Vergewissere dich, dass deine Gruppe vollständig ist. Halte nie an engen und unübersichtlichen Stellen.

08

Rodeln auf Skipisten ist gefährlich und verboten. Die Kollisionsgefahr mit SkifahrerInnen ist groß. In der Nacht festgefrorene Rodel-Spuren beeinträchtigen die Pistenqualität.

09

Keine Hunde. Hunde sind bei Aufstieg und Abfahrt schwierig zu führen, es besteht auf den meist engen Rodelbahnen große Kollisionsgefahr mit den Abfahrenden.

10

Keine Beeinträchtigung durch Alkohol oder Medikamente. Suchtmittel beeinträchtigen die Reaktionsfähigkeit und verringern die richtige Gefahreneinschätzung.

winter 2011

61


statistik Bei elf Eiskletterunfällen in der vergangenen Saison verletzten sich zwölf Personen, eine Person kam ums Leben. Im Vergleich zu den Vorjahren ereigneten sich damit unwesentlich weniger Unfälle (08/09: 14, 09/10: 13) mit weniger Verletzten. Im Schnitt stirbt jedes Jahr eine Person beim Eisklettern. Kaum eine andere Bergsportdisziplin ist so von Männern dominiert wie Eisklettern. Dementsprechend waren von 17 verunfallten Personen im vergangenen Jahr 16 Personen männlich. Auch in den Jahren zuvor verunfallten hauptsächlich Männer (08/09: 4 Frauen − 20 Männer, 09/10: 2 Frauen − 25 Männer).

Neun Eiskletterer kamen aus Österreich, bei sechs Personen handelte es sich um deutsche Staatsbürger und bei zwei Personen um serbische Staatsbürger. In den Jahren zuvor stammten mehr verunfallte Eiskletterer aus dem Ausland als aus Österreich. Fünf Unfälle ereigneten sich aufgrund eines Sturzes im Vorstieg. Je zweimal wurden Personen von einer Lawine erfasst und durch einen Eisschlag verletzt. Einmal verletzte sich eine Person beim Abseilen und einmal kam es zu einem Einsatz der Einsatzorganisationen, da die Eiskletterer im Dunkeln noch nicht ins Tal zurückgekehrt waren. 

Verunfallte beim Eisklettern 11/2010-10/2011 0 0 0

Österreichweit gesamt:

62analyse:berg

1 Toter 12 Verletzte 17 Verunfallte

0 0 0

0 0 0

0 4 4

0 3 6

0 1 1 1 4 6

winter 2011

63

eisklettern

Climber: Geri Fiegl, Foto: Dominik Pittl

eisklettern


Climber: Benni Purner, Foto: Dominik Pittl

Gruppeninspektor Dietmar Dorfer

absturz

bericht

absturz

Am 3. Feber 2011 ereignete sich ein tragischer Eiskletterunfall im Maltatal. Zwei Personen wollten den Eisfall Strannerbach klettern. Die beiden Eiskletterer haben auf eine Partnersicherung verzichtet. Beide stürzten jedoch ab.  Dietmar Dorfer beschreibt den Unfallhergang und die Ermittlungstätigkeit der Alpinpolizei in Form eines Unfallberichtes.  Hans Ebner analysiert den Unfall.

SALZBURG

Spittal an der Drau

OSTTIROL KÄRNTEN

64analyse:berg

eisklettern

eisklettern

Alpine Einsatzgruppe Spittal an der Drau Polizei-Bergführer Flight-Operator bei den Hubschraubern des Bundesministeriums für Inneres

 3. Feber 2011  ca. 11.00 Uhr  Hohe Tauern, Maltatal, Eisfall „Strannerbach“ (WI 3)  ca. 1.200 m  Gemeinde Malta / Kärnten  1 Person tot, 1 Person verletzt  1 Notzarzthubschrauber 1 Polizeihubschrauber RK und Bergrettung Gmünd Alpinpolizei

facts

Am 3. Februar 2011 erreichte um ca. 11.00 Uhr ein Notruf die Landesleitstelle Kärnten. Zwei Personen seien im Maltatal beim Eisklettern abgestürzt − im Gebiet des Strannerbaches. Laut Meldung war ein Mann dabei offensichtlich schwer verletzt worden und nicht bei Bewusstsein. Die Landesleitstelle alarmierte sofort das Team des Notarzthubschraubers und bodengebundene Rettungskräfte der Region Maltatal (Bergrettung und Rotes Kreuz). Befreundete Kletterkameraden, die sich zum Zeitpunkt des Unfalles ebenfalls an verschiedenen Standorten in der Eiskletteroute befunden hatten, leisteten den Unfallopfern Erste Hilfe und seilten diese zu einer flacheren Passage im vereisten Strannerbach ab. Von dort wurden die Verletzten vom ÖAMTC-Notarzthubschrauber „Alpin1” mit dem 40-Meter-Tau geborgen und zu einem Zwischenlandeplatz geflogen. Dort versorgten Flugrettungsarzt und Notfallsanitäter die die Verletzten. Einer der beiden Eiskletterer verstarb um ca. 13.00 Uhr noch auf dem Zwischenlandeplatz des Rettungshubschraubers. Seine Verletzungen waren zu schwer. Das Hubschrauberteam flog den zweiten Kletterer ins Landeskrankenhaus Klagenfurt. Dort diagnostizierten Ärzte neben multiplen Frakturen ein schweres Schädel-Hirn-Trauma mit vermutlich bleibender Gehirnschädigung. Der Verletzte wurde nach einem Monat Aufenthalt im Landeskrankenhaus Klagenfurt zur weiteren medizinischen Versorgung in eine Pflegeeinrichtung in seinem Heimatstaat Serbien gebracht. Der Kletterer liegt seither im Koma. Eine Genesung ist aus medizinischer Sicht wenig wahrscheinlich.

Übersichtsaufnahme aus dem Hubschrauber zum Unfallort und zur Sturzlinie. (Bild: Alpinpolizei Kärnten)

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Benedikt „Benni“ Purner

ohne

meine

seele eisklettern

eisklettern

wäre es nur metall

Absturzstelle des Eiskletterers und Standort des zweiten Kletterers. Durch das vereiste Bachbett stürzten beide Kletterer ab. (Bild: Alpinpolizei Kärnten)

Der Eisfall „Strannerbach“ ist mit Schwierigkeitsgrad WI 3 bewertet. Flachere und steilere Passagen wechseln sich ab. (Bild: Alpinpolizei Kärnten)

Was war geschehen?

Der Nachsteiger dürfte am Beginn der Steilstufe gestanden sein, als sein Partner in dem ca. 60 Grad steilen Aufschwung kletterte. Aus ungeklärter Ursache stürzte der Vorsteiger ab und riss den stehenden Nachsteiger mit.

Die beiden Kletterpartner waren befreundet und hatten alpinistisch ungefähr das gleiche Können. Sie reisten bereits am 2. Februar 2011 aus Serbien ins Maltatal an. Von früheren Besuchen in Österreich kannten sie das Eisklettergebiet Maltatal und die Eisroute über den Strannerbach. Schon seit vier Jahren besuchten die beiden jeden Winter zwei- bis dreimal das Maltatal, auch in Frankreich und der Schweiz waren sie schon zum Eisklettern. Das Duo wollte nun die Route Strannerbach im Schwierigkeitsgrad WI 3 begehen. Diese wird in der Alpinliteratur als ideale Kurs- und Ausbildungstour beschrieben. Kurze Steilpassagen von 70 bis 80 Grad Steilheit wechseln mit flacheren Passagen von 30 bis 45 Grad. Die beiden Serben durchstiegen die Eisroute „seilfrei“. Das beweist ein Foto, das der tödlich verunglückte Vorsteiger kurz vor dem Unfall von seinem Kletterpartner gemacht hat. Zu diesem Zeitpunkt kletterte der Vorsteiger in einer Steilpassage und sein Partner stand ca. zehn Meter direkt unter ihm am Beginn der Steilstufe.

www.austrialpin.at

Beide Kletterer stürzten dann etwa 100 Meter (ca. 86 Höhenmeter) ab. Dabei zogen sie sich die schweren bzw. tödlichen Verletzungen zu. Die am Unfallort durchgeführten Erhebungen erbrachten nur Erkenntnisse über Absturzstrecke und Endlage der Opfer. Demnach schlugen die Körper der Serben im felsdurchsetzten und vereisten Bachbett an mehrere Felsblöcke. An der unmittelbaren Absturzstelle (in der Steilpassage) konnten keine Unfallspuren wie Eisausbrüche oder Risse im Eis festgestellt werden. Die Kletterer waren zwar für die Begehung dieser Eisroute entsprechend gut ausgerüstet, haben jedoch auf Partnersicherung verzichtet. 

Auf dem Foto ist die Ausrüstung erkennbar: Klettergurt, Steigeisen, Eisgeräte und Eisschrauben. Ein Sicherungsseil ist jedoch nirgendwo zu sehen. Der genaue Unfallhergang wurde von keinem der anderen sieben Kletterer beobachtet, die nicht weit von der Unfallstelle unterwegs waren. Das Drama der Serben dürfte sich laut Ermittlungen der Alpinpolizei so ereignet haben:

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Topo des Eisfalls „Strannerbach”. (Quelle: www.maltatal-alpin.at)

Übersichtsaufnahme zum Wasserfall. (Bild: Alpinpolizei Kärnten)

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Polizeibergführer, Staatlich geprüfter Berg- und Skiführer, Gerichtlich beeideter Sachverständiger für Alpinistik, Leiter des Alpindienstes im BMI

eisklettern

analyse absturz

Eine Person tot, eine weitere schwerst verletzt und seit gut einem Jahr im Koma mit sehr unsicherer Heilungsprognose: Das ist die Bilanz bei einem der folgenschwersten Unfälle beim Eisklettern an gefrorenen Wasserfällen im Maltatal − und wahrscheinlich auch im bundesweiten Vergleich von Österreich. Das Maltatal hat sich in den letzten Jahren zu einem Paradies für Eiskletterer entwickelt. Die Vielfalt der Wasserfälle, die meist leicht erreichbar und relativ lawinensicher sind, bietet für Anfänger, Fortgeschrittene und Profis ein weitläufiges Betätigungsfeld – vom optimalen Übungsgelände bis hin zu knackigen Touren auch in höheren Schwierigkeitsbereichen. Diese idealen Voraussetzungen bringen auch Nachteile mit sich. Gehört man nicht zu jenen, die beim ersten Licht in Richtung Einstieg gehen, sind durch Eiskletterer bereits belegte Routen keine Seltenheit in diesem Gebiet. Mehrere Seilschaften nebeneinander gehen sich platzmäßig oft nicht aus, hintereinander zu klettern ist wegen der hohen Eisschlaggefahr durch voransteigende Teams nicht anzuraten. Daher ist für viele oft das Warten angesagt, bis in eine Tour eingestiegen werden kann. So geschah es auch am Tag dieses Unfalles. Die Seilschaft aus Serbien wollte ursprünglich eine Route in den Kesselwänden begehen und befand sich schon beim Einstieg der Route „Gamseck (WI 4)“. Die Kesselwände befinden sich wenige hundert Meter Luftlinie vom Strannerbach entfernt, wo man auch − relativ leicht − im Eis klettern kann. Das Szenario dieses Tages ist deshalb bekannt, weil ich selbst als

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Sichernder am Einstieg der Route Gamseck stand, als die beiden Serben zum Einstieg kamen. Auch in die in unmittelbarer Nähe befindlichen Routen „Wintasun“, „Superfeucht“ und „Kathedrale“ waren zu diesem Zeitpunkt gerade Seilschaften eingestiegen. So dürften sich die Serben entschlossen haben, die Wartezeit mit einer Begehung des leichteren Strannerbaches zu verkürzen. Der Strannerbach ist eine klassische Einsteigertour. Der Einstieg befindet sich direkt an der MaltatalHochalpenstraße. Die Tour im Schwierigkeitsgrad WI 3 ist mäßig steil, steilere Aufschwünge wechseln mit flacheren Passagen. Gesichert werden kann zwischendurch an Bäumen oder Bohrhaken. Im letzten Drittel der Tour teilt sich der Bach, wobei beide Bachläufe geklettert werden können. Die Abseilstände sind eingerichtet (siehe auch Topo). Die beiden serbischen Eiskletterer waren sehr gut ausgerüstet und stiegen seilfrei in den Strannerbach ein. Weshalb sie auf die Seilsicherung verzichteten, konnte von der Alpinpolizei bisher nicht erhoben werden. Denn auch der Überlebende des Unfalles liegt noch immer im Koma und konnte bisher nicht befragt werden. Anzunehmen ist, dass die beiden Kletterer diese Tour schon mehrmals begangen hatten und sich so einer seilfreien Begehung gewachsen fühlten. Eine seilfreie Begehung der Tour ist für gute und erfahrene Eiskletterer hier kein besonderes Problem, wenn die Umstände mit Temperaturen und Wetter passen. Die flacheren und damit leichten Passagen zwischendurch lassen die Tour aber wahrscheinlich

eisklettern

Hans Ebner

harmloser erscheinen, als sie tatsächlich ist. Bis kurz unterhalb jener Stelle, an der sich der Bach teilt (siehe Topo), dürfte die Begehung problemlos verlaufen sein. Das Duo hatte offensichtlich vor, den (orografisch) linken Arm des Baches zu durchklettern. Warum es letztlich zum Absturz des Vorsteigers kam, bleibt unbekannt. Ausbrechende Eisscholle, Flüchtigkeitsfehler? Es gibt mehrere Möglichkeiten. Nur ein Materialfehler bzw. ein möglicher Bruch von Eisgeräten oder Steigeisen konnte als Unfallursache von den polizeilichen Ermittlern ausgeschlossen werden. Die Eisverhältnisse waren gut. Das vom Vorsteiger unmittelbar vor dem Absturz angefertigte Bild (siehe Seite 69) zeigt allerdings, dass sich der zweite Kletterer direkt in Falllinie des Voraussteigenden befand. Dieser hat ihn somit beim Absturz mitgerissen.

Mitreißunfälle

Erste Untersuchungen und Publikationen zu dem Thema Mitreißunfälle gab es vom DAV-Sicherheitskreis in den Jahren 1980 bis 1983. Dabei ging es allerdings um jene mit Seilsicherung − also um das gleichzeitige Gehen am Seil ohne Verwendung einer Kameradensicherung, wie es im vergletscherten Bereich üblich ist. Dabei gibt es immer wieder einen Knackpunkt: Ab welcher Steilheit sollte das ungesicherte, gleichzeitige Gehen beendet und zu Sicherungsmaßnahmen gegriffen werden? Bei der Beantwortung dieser Frage zeigen Ergebnisse dieser Studie des DAV eine ernüchternde Bilanz: Auch in mäßig steilem Gelände und hartem Firn reichen geringe Zugkräfte, um die ganze Seilschaft zum Absturz zu bringen. Stürzende erreichen auf Schnee und/oder Firn relativ rasch annähernd die Geschwindigkeit des freien Falles. Das Halten solcher Stürze ist auch für Profis eine harte und gefährliche Herausforderung, für durchschnittliche Bergsteiger ist es beinahe unmöglich. Diese Gefahrenquelle sprach sich über die Jahre allmählich herum und fand auch Eingang in die diversen Ausbildungen. Der DAV-Experte Pit Schubert stellte dann statistisch eine Abnahme solcher Mitreißunfälle fest, die einige Jahre nach der ersten Publikation des Themas einsetzte. Gute Dinge und Ratschläge brauchen eben Zeit, bis sie sich durchsetzen. Trotzdem geschehen Jahr für Jahr noch immer Unfälle nach dem gleichen Muster. Ein Klassiker ist das Eisleitl auf dem Großglockner. Ein Stolpern oder Ausrutschen eines Seilschaftsmitgliedes bedeutet hier oft den Absturz der gesamten Seilschaft. Empfehlung: Sicherungsmaßnahmen ergreifen. Sollten die Seilschaftspartner bergsteigerisch sicher genug sein und keine anderen Gefahren lauern (z. B. Spaltensturz, Steinschlag etc.), kann auch überlegt werden, in solchen Passagen auf das Seil ganz zu verzichten.

Einer der beiden Kletterer fotografierte unmittelbar vor dem Unfall. (Bild: Alpinpolizei Kärnten) grundsätzlich, das eigene Können und die eigene Erfahrung richtig einzuschätzen. Besonders wichtig werden solche Faktoren, wenn seilfrei gegangen wird. Immerhin können kleinste persönliche Fehler, Einflüsse von anderen Seilschaften, falsche Einschätzung der Eisverhältnisse oder Materialdefekte fatale Folgen haben. Ein „Was-wäre-wenn-Szenzario“ sollte immer im Bewusstsein bleiben, um im Extremfall richtig und rasch reagieren zu können. Im konkreten Fall der serbischen Eiskletterer hätte das für den hinteren Kletterer bedeutet, klar außerhalb der Falllinie des Voraussteigenden zu bleiben, um im „worst case“ nicht mitgerissen zu werden. 

Mitreißunfälle wie der beschriebene im Kärntner Maltatal sind insgesamt glücklicherweise selten. Objektiv ist der Strannerbach meist wenig gefährlich. Die Schwierigkeit beim Eisklettern ist wahrscheinlich winter 2011

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Dipl.-Ing. FH Pit Schubert Einer der Gründer des DAV-Sicherheitskreises Präsident a. D. der UIAA-Sicherheitskommission

Auch im Eis ist vieles möglich, was man gewöhnlich für unmöglich hält. (Bild: Pit Schubert)

Alles ist möglich Dass das Leben ernstere Geschichten schreibt, als sie sich der Mensch ausdenken kann, ist bekannt. Selten aber grenzen Ereignisse derart ans Unerwartete wie die beiden nachfolgend geschilderten Unfälle.

In Schweden

Im Winter 1999/2000 war eine schwedische Skifahrerin in der Nähe von Narvik beim Überqueren einer windigen Brücke mit dem Kopf voran in einen zugefrorenen, mit Schnee bedeckten Bach gestürzt. Ihre Begleiter wunderten sich, dass sie sich nicht sogleich wieder erhob, denn es sah alles nicht weiter schlimm aus. Der Bach war offensichtlich nur wenig tief. Sie eilten ihr zu Hilfe. Doch die Gestürzte klemmte zwischen größeren Felsbrocken derart fest, dass die Begleiter sie nicht befreien konnten. So wurde die Rettung gerufen, die zunächst ein Loch ins Eis sägen musste, bevor sie die Verunfallte – eine gute Stunde (!) nach dem Unfall – schließlich bergen und per Hubschrauber ins Krankenhaus nach Tromsø fliegen konnte. Dort stellte man eine Körperkerntemperatur von gerade noch 13,7 °C (!) fest. Die verunfallte Schwedin dürfte mit dem Kopf zwischen Eis und Wasser zu liegen gekommen sein und somit Luft bekommen haben (was sich lokal jedoch nicht mehr nachweisen ließ). Das Sauerstoffpotenzial war offensichtlich in Verbindung mit der niedrigen Umgebungstemperatur geeignet, ihre Körperkerntemperatur so weit abkühlen zu lassen, dass sie schließlich sozusagen tot war, gleichzeitig aber auch konserviert wurde. Im Krankenhaus jedenfalls stellte man alle Anzeichen für einen Tod (!) fest, nämlich Herzstill-

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stand (!), keine Hirnwellen (!) und kein Bewusstsein (!) mehr. Doch die Ärzte in Schweden kannten sich aus. In Schweden ist die Winterzeit wesentlich länger und intensiver, es gibt mehr Unterkühlte als in südlicheren Gefilden. So gelten die schwedischen Ärzte schon seit fünf Jahrzehnten als führend auf dem Gebiet der Hypothermie (Unterkühlung), und sie wissen, dass man unterkühlte „Tote” nicht aufgeben darf. Denn Kälte konserviert die lebenswichtigen Organe, zu denen insbesondere das Gehirn zählt. Die Verunfallte wurde an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen, die das kalte, sauerstoffarme Blut absaugte, extern erwärmte und mit Sauerstoff angereichert über die Schlagader in einem der beiden Oberschenkel wieder zurückpumpte. Dabei muss das Aufwärmen des Blutes auf die übliche Körpertemperatur langsam erfolgen. Ein zu schnelles Aufwärmen wäre tödlich. Gute sechs Stunden nach dem Unfall war die Körperkerntemperatur wieder auf dem üblichen Niveau, und die Herz-Lungen-Maschine konnte abgeschaltet werden. Zwei Wochen später erwachte die Verunfallte aus dem Koma – und führt heute wieder ein ganz normales Leben, wie vor dem Unfall. Das Einzige, was sie davontrug, ist ein leichtes Zittern der Hände und eine bleiche Hautfarbe. Was nach Meinung der Mediziner sicher mit zu ihrem Überleben beigetragen haben dürfte, war ihre auffallend hagere Gestalt. So kühlte sie schneller aus als schwergewichtige Menschen. Die Schwedin gilt nach Wissen von Fachleuten seitdem als der Mensch, der mit der niedrigsten Körperkerntemperatur überlebt hat.

Skizze zum Unfallhergang. (Zeichnung: Georg Soyer)

Was ferner zu ihrem Überleben beigetragen haben dürfte, war die Tatsache, dass durch den Freiraum über dem Wasser nicht nur kein Sauerstoffmangel auftrat, sondern dass insbesondere auch keine Kohlendioxidansammlung auftreten konnte, wie dies in Lawinen aufgrund des begrenzten Raums oft der Fall ist. In der Notfallmedizin ist schon seit längerem die Möglichkeit bekannt, Menschen mit kontrollierter Hypothermie zu retten. Je mehr unterkühlt, desto weniger Sauerstoff ist für die Organe notwendig. Mit jedem Grad weniger als 36,5 °C nimmt der Sauerstoffbedarf beachtlich ab. Mit kontrollierter Hypothermie werden heute auch Hirnoperationen durchgeführt. Ohne Unterkühlung sinken die Überlebenschancen in solchen Fällen deutlich ab. Unter den Fachmedizinern haben sich in zwischen zwei Leitsätze verbreitet: Den Patienten muss man sterben lassen, indem man ihn erfrieren lässt, um ihn auf diese Weise überleben lassen zu können! Und für die Ersthelfer unter den Notfallmedizinern in Skigebieten und allen anderen Gegenden, wo es recht kalt sein kann, gilt inzwischen: Niemand ist in der Tat wirklich tot, solange er nur tot und kalt ist!

In den Niederlanden

Weil im brettelebenen Flachland Felsen fehlen, ist in den Niederlanden so manche Kletterhalle entstanden. Eine erfahrene Seilschaft, zwei Männer, beide kletterten bereits viele Jahre miteinander, und eine wesentlich weniger erfahrene Seilschaft, ein Mann, der

kletterte, und eine Frau, die den kletternden Partner sicherte: Beide Seilschaften kletterten an einer Wand nebeneinander, und beide Seilschaften kannten sich nicht. Die weniger erfahrene Seilschaft, die sichernde Frau und ihr Kletterpartner, war gerade beim Ablassen. Da bemerkte der sichernde Partner der anderen Seilschaft, dass der Frau beim Sichern ein Fehler unterlaufen könnte. Er langte mit einer seiner beiden Hände zur Sicherung der Frau, um ihr zu helfen. Die Sicherung seines Seilpartners ließ er nicht (!) aus. Er hielt das Seil mit der anderen Hand korrekt. Alles ging gut. Der Partner der Sichernden erreichte ohne Probleme den Boden. Doch – als der Abgelassene den Boden erreicht hatte, passierte es. Der erfahrene Kletterer, der der sichernden Frau geholfen hatte, hatte jetzt den Eindruck, dass er „ja abgelassen hatte”. Folglich nahm er das Seil seines eigenen (!) kletternden Partners aus der Sicherung. Wenig später stürzte dieser ab und zog sich tödliche Verletzungen zu. Der Unfall kam, wie nicht anders zu erwarten, vor Gericht. Der Richter fragte den erfahrenen Kletterer, wie zu sichern sei. Der antwortete korrekt, gab den Fehler zu und bedauerte den von ihm verursachten Unfall seines Partners. Ergebnis: Der Unfallverursacher wurde verurteilt, wenn auch recht mild, da er ja bemüht war, der anderen Seilschaft zu helfen, ihm aber daraufhin der gedankliche Blackout unterlaufen ist. 

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statistik Klettern hat sich vom Bergsport zusätzlich zum Hallensport entwickelt. Immer mehr Menschen finden Gefallen daran, an künstlichen Kletteranlagen das ganze Jahr über zu klettern. Hochsaison sind der Herbst und die Winterzeit. Das Sportklettern in einer Halle hat sich vielfach als Einstieg in die Welt des Kletterns etabliert. So wundert es nicht, dass vielerorts Kurse sehr gut besucht sind. Leider ereignen sich jedoch auch beim Klettern in Hallen immer wieder Unfälle. Sehr selten sind tödliche Unfallereignisse. Seit der Umstellung der Alpinpolizei auf die digitale Erfassung im Herbst 2005 handelt es sich hier bei dem beschriebenen Unfall um das zweite tödliche Ereignis in Österreich.

Für Österreich sind bisher keine anderen Unfallzahlen öffentlich. Ebenso werden die Besucherzahlen nicht öffentlich bekanntgegeben. Man kann jedoch davon ausgehen, dass bei schweren Unfällen die Polizei Erhebungen durchgeführt und diese Unfälle auch erfasst werden. Unfälle in Wiener Kletterhallen werden jedoch selten statistisch erfasst. Leicht verletzte Kletterer suchen meist selbst einen Arzt auf und fließen somit in keine Statistik ein. Bis auf drei Personen kamen alle Verunfallten aus Österreich. 

Verunfallte in Kletterhallen 11/2010-10/2011 Österreichweit gesamt:

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1 Toter 23 Verletzte 34 Verunfallte

0 1 2

0 2 2

0 5 7

0 5 8

0 0 0

1 8 12 0 2 3

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indoorklettern

Bild: Österreichischer Wettkletterverband

indoorklettern


Bild: Österreichischer Wettkletterverband

Revierinspektor Christian Lemmer

indoorklettern Tödliche Unfälle in Kletterhallen sind die Ausnahme, aber am 10. November 2010 ist in der CAC-Kletterhalle Graz ein Student ums Leben gekommen.  Christian Lemmer, ermittelnder Beamte, beschreibt das Unfallgeschehen.  Walter Siebert analysiert den Unfall in der Kletterhalle.  Maria Auckenthaler informiert über rechtliche Aspekte.

Graz

STEIERMARK KÄRNTEN

SLOWENIEN

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 10. November 2010  ca. 15.30 Uhr  CAC-Kletterhalle Graz  Graz / Steiermark  1 Person tot  1 Person verletzt  Polizei, Rettungsdienst

facts

bericht

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indoorklettern

Polizei-Bergführer der Alpinen Einsatzgruppe Deutschlandsberg Flight-Operator bei den Hubschraubern des Bundesministeriums für Inneres

tödlich verunglückt in der halle

Zwei 21-jährige Studenten verabredeten sich am Mittwoch, 10. November 2010, gegen 15.30 Uhr zum Klettern in der CAC-Kletterhalle in Graz. Zuerst wärmten sich die beiden im Boulderbereich auf. Anschließend kletterten beide an der strukturierten Kletterwand der Halle zwei Routen.

Sichernden Kontakt aufgenommen werden. Häufig wird dazu das Seilkommando „Fix“ gerufen. Ob das in diesem Fall geschehen ist, bleibt unklar. Der Sichernde hatte nach seinen Angaben kein Kommando wahrgenommen. Deshalb hatte er das vorhandene Schlappseil nicht eingeholt.

Als dritte Route wählte der erfahrenere Kletterer eine Tour im sechsten Schwierigkeitsgrad (UIAA). Diese bewältigte er im Vorstieg. Sein Kletterpartner sicherte mit dem Sicherungsgerät ATC (Firma Black Diamond). Dieses war mit einem Schraubkarabiner im Anseilring des Klettergurtes fixiert.

2. Der Vorsteiger stürzte – aus welchen Gründen immer – nach Einhängen beider Umlenkkarabiner ins Seil. Es kam dabei das von beiden normal praktizierte Seilkommando offenbar nicht zur Anwendung. Unabhängig davon entstand wegen des vorhandenen Schlappseiles ein entsprechend starker Sturzzug. Diesen konnte der Sichernde nicht halten. Der Sturz endete mit dem Absturz bis zum Boden.

Das Sicherungsgerät und das Seil (Mammut, Durchmesser 9,8 mm) gehörten dem Vorsteiger. Im Aufstieg hängte der Vorsteiger das Kletterseil vorschriftsmäßig in alle sieben Zwischensicherungen (Expressschlingen) ein. Beim höchsten Punkt klippte er das Seil in beide Umlenkkarabiner. In diesem Moment stürzt der Vorsteiger beinahe ungebremst aus ca. zwölf Metern Höhe auf den Hallenboden. Aufgrund der vorhandenen Daten und Aussagen von Zeugen konnte der vom Gericht bestellte Sachverständige den genauen Unfallhergang nicht mit Sicherheit klären. Folgende Abläufe scheinen am wahrscheinlichsten zu sein: 1. Nachdem der Vorsteiger das Seil in beide Umlenkkarabiner eingehängt hatte, setzte er sich ins Seil, um abgelassen zu werden. Bei Erreichen der Umlenkkarabiner und vor Belasten der Sicherungskette sollte laut Kletterregeln zur Sicherheit nochmals mit dem

Der Sichernde war nach eigenen Angaben gegenüber Ermittlern zum Unfallzeitpunkt unkonzentriert und schweifte mit den Gedanken ab. Zusätzlich berichtete er, andere Kletterer beobachtet zu haben. Der aus den oben beschriebenen Faktoren entstandene Sturzzug am Sicherungsgerät und die Unaufmerksamkeit bewirkten, dass er die Kontrolle über das Bremsseil verlor. Es kam so zu dem Absturz des Kletterpartners. Durch den Aufprall erlitt dieser lebensgefährliche Verletzungen, denen er drei Tage später erlag. Unmittelbar vor dem Aufprall musste der Abstürzende seinen Kletterpartner noch an den Unterarmen berührt haben. In den Ellenbeugen beider Arme wies der Sichernde Blutergüsse auf. Der Sichernde ist Linkshänder und hatte an seiner Bremshand (Hand winter 2011

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Walter Siebert Staatlich geprüfter Berg- und Skiführer Diplomskilehrer, Höhlenführer Gerichtlich beeideter Sachverständiger für Alpinistik

Mit diesem Sicherungsgerät sicherte der 21-Jährige seinen Kletterpartner. (Bild: Christian Lemmer, Alpinpolizei Steiermark)

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analyse

tödlich verunglückt in der halle

unter bzw. nach dem Sicherungsgerät) keinerlei Verletzungen oder Verbrennungen. Lediglich an drei Fingern der rechten Hand waren minimale Verbrennungsspuren (Bläschen) ersichtlich. Nach eigenen Angaben hatte er diese Hand zum Seilausgeben verwendet. Den Seildurchhang (Schlappseil) konnte der Sichernde längenmäßig nicht beziffern. Der Abstand zur Kletterwand während des Sicherns betrug nach seinen Angaben ca. eineinhalb Meter. Zum Unfallzeitpunkt waren laut Bediensteten der Kletterhalle ca. 60 bis 70 Personen in der Halle. Es kann davon ausgegangen werden, dass auch der Lärmpegel in der Halle entsprechend hoch war. Laut Registrierungsprotokoll der Kletterhalle war das Unfallopfer als versierter Kletterer einzustufen. Der Sichernde hatte lediglich in Jugendjahren einen Schnupperkurs besucht und verfügte nur über Fertigkeiten des Toprope-Sicherns und Toprope-Kletterns. Er war bis zu dem Unfall etwa viermal zum Klettern in der Halle. So besaß er lediglich Kletterschuhe und einen Klettergurt. Zum Klettern wurden an diesem Tag, wie auch an anderen Tagen zuvor, das Seil und das Sicherungsgerät seines Freundes verwendet. 

An dieser Wand ereignete sich der tragische Unfall. (Bild: Christian Lemmer, Alpinpolizei Steiermark)

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Dieser Unfall beim Klettern ist mit einem Sicherungsgerät geschehen, das älteren Bergsteigern aus ihrer Jugend oder Alpinhistorikern bekannt vorkommt.

40 Jahre auf dem Buckel ...

1969 hatten drei Bergsteiger eine geniale Idee für eine neue Sicherungsmethode. Man könnte das Seil durch eine Platte mit Loch hindurchführen, in einen Karabiner einhängen und so die nötige Reibung erzeugen. Wie so oft in der Alpingeschichte erntete nur einer von ihnen Lorbeeren, nämlich Fritz Sticht. Die „Stichtplatte“ besticht durch einfaches Handling und gute Wirkung, eine wesentliche Verbesserung zur damals üblichen Schultersicherung. Während Deutschland vom „Sticht"-Fieber befallen wurde, setzte sich diese Platte in Österreich nie so richtig durch. Doch es kam, wie es der Natur der „Stichtplatte“ entspricht. Sie hat, wie alles Heldische, eine Achillesferse, also einen entscheidenden Schwachpunkt: Die Bremswirkung ist gleich null, wenn sie falsch belastet wird. Daher wurde sie nach einigen schweren Unfällen ausbildungstechnisch zu Grabe getragen. Niemand ahnte, dass wenige Jahrzehnte später die Auferstehung dieser Technik unter einem neuen Namen erfolgen sollte. Diese absurde Entwicklung hatte sich lange kaum jemand vorstellen können, denn die Fehleranfälligkeit ist offensichtlich.

30 Jahre nach den ersten und sehr bitteren Erfahrungen ...

... war sie plötzlich wieder da, die „Stichtplatte“. Ich traute meinen Augen kaum. Eine Rückkehr des Bösen im neuen Gewand, mit neuem Namen? Der „Tuber“ trat die Nachfolge an, wunderschön farbig eloxiert. Sollte es ein Danaergeschenk werden? Ja. Die zu erwartenden Unfälle traten bald ein und häufen sich seither. Zur gleichen Zeit passierten einige Unfälle mit dem „Grigri“. Dieses wurde nun als automatisches Sicherungsgerät heftig gelobt, hat jedoch ebenso eine Schwachstelle: Wenn man das Bremsseil nicht hält, führt ein Betätigen des Hebels zum Absturz. Dass das Bremsseil oft nicht gehalten wurde, hatte Methode. Das „Grigri“ wurde als „deppensicheres“ Gerät auch Anfängern in die Hand gedrückt. Ohne die Unfälle mit dem „Grigri“, bedingt durch schwere Fehler in Praxis und Theorie, hätte der „Tuber“ nicht diesen bizarren Siegeszug antreten können, dessen Zeugen wir heute sind. Nun wurde nicht nur Deutschland, sondern auch Österreich vom Fieber befallen. Der Boom wurde (und wird teilweise) durch alpine Vereine und ihre Lehrabteilungen gefördert. Das Ding sei DAS Gerät, lautet die die „Lehrmeinung“. Der „Tuber“ wird auch für Anfänger empfohlen. Man fragt sich: Wo sind die älteren Bergsteiger, die damals das Desaster der „Stichtplatte“ schon erlebt hatten? Wo sind Alpinhistoriker geblieben, die in den Gremien winter 2011

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Klettern birgt Risiken! Bei unzureichender Beherrschung der Sicherungstechnik besteht die Gefahr ernsthafter Verletzungen.

• Lass Dich ausbilden! In Kletterkursen und durch qualifizierte Ausbilder erwirbst Du alle notwendigen Fertigkeiten. • Respektiere andere Kletterer. Weise sie gegebenenfalls auf Fehler und Gefahren hin. • Informiere dich über die „lokalen Regeln“ in Klettergärten und Kletterhallen. Halte dich an bestehende Kletterverbote und schone die Umwelt.

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1. Partnercheck vor jedem Start! Kontrolliert gegenseitig: Gurtverschlüsse, Anseilknoten, Anseilpunkt, Karabinerverschluss, Sicherungsgerät und ob das Seilende abgeknotet ist. 2. Volle Aufmerksamkeit beim Sichern! ! ! Sichern ist Präzisionsarbeit! Die gesamte Aufmerksamkeit gehört dem Kletterer und der Partnersicherung. Kein Schlappseil! Richtigen Standort wählen.

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3. Sicherungsgerät richtig bedienen! ! ! Mache dich mit deinem Sicherungsgerät vertraut und beachte das „Bremshandprinzip“: eine Hand umschließt immer das Bremsseil.

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4. Klare Kommunikation! Kommunikationsregeln vor Kletterbeginn vereinbaren. Informiere deinen ! ! Partner bevor du dich ins Seil hängst.

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5. Zwischensicherungen richtig einhängen! Alle Zwischensicherungen aus möglichst stabiler Position - nicht überstreckt - ! einhängen. Auf den richtigen Seilverlauf achten. !

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6. Kein Toprope an einzelnem Karabiner! Die Topropeverankerung muss aus zwei unabhängigen Sicherungspunkten be! stehen. Das Seil muss in mindestens zwei Karabinern eingehängt sein.

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7. Sturzraum freihalten! Nicht übereinander klettern! Am Boden und an der Wand auf freien Sturzraum achten. Nicht übereinander klettern! Achtung bei Pendelstürzen. 8. Vorsicht beim Ablassen & Abseilen! Nie Seil auf Seil - Ablassen nur über Umlenkungen aus Metall! Partner langsam und gleichmäßig ablassen. Beim Abseilen die Seilenden verknoten und eine Absturzsicherung (Kurzprusik) verwenden. 9. Schütze Kopf & Körper! Ein Helm schützt dich vor Kopfverletzungen bei Stürzen und Steinschlag! Bei alpinen Klettertouren ist der Helm Standard. Aufwärmen vor dem Klettern schützt deine Gelenke, Sehnen und Muskeln. 10. Sicher bouldern! Achte auf einen sicheren Absprungbereich. Aktives Spotten und ein Crashpad können Verletzungen verhindern.

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Wie kann es zu solchen Fehlern in der so genannten „Lehrmeinung“ kommen? Diese Standpunkte entstehen in so genannten „Expertengremien“. Sie sind dort von Bedeutung, wo es keine eindeutigen Lösungen gibt. Dass die meist tödliche Schultersicherung nicht empfehlenswert ist, braucht in unserer Zeit nicht mehr extra betont zu werden. Jedoch bei Sicherungsgeräten, die jeweils immer Vor- und Nachteile haben, da entstehen „Lehrmeinungen“. Spannend wird es, wenn diese nachweislich falsch sind. Ein Beispiel ist auch der Bandschlingenknoten als Verbindungsknoten für Schlauchbänder. Noch in einer Zeit, als Pit Schubert längst die Gefährlichkeit dieses Knotens in seinem Standardwerk (eigentlich ein „Muss” für Expertengremien) vorgeführt hatte, wurde dieser Knoten noch immer hartnäckig „gelehrt“. Und es gibt noch immer Ausbildungskurse, in denen das so weitergeht.

„Stimme des Volkes“ im Internet

Interessant sind die ausgiebigen Debatten im Internet über diesen Unfall. Ich kommentiere hier einige Beiträge (Schreibfehler habe ich wörtlich übernommen). Die Diskussion zeigt Phänomene von Verdrängung und Ignoranz, wie sie bei solchen Fällen nicht selten typisch sind: „mit dem normalen gri-gri habe ich schon sehr schlechte erfahrungen gemacht: es wurde von der person, die mich gesichert hat, falsch benützt: seil verkehrt herum eingehängt (ja, ist möglich... vor allem wenn man im vorstieg geht). ich sichere seitdem grundsätzlich nur noch mit dem tube.” Das ist aus meiner Sicht ein klassisches Beispiel für eine krasse Fehleinschätzung: Der „Tube“ ist nämlich keine Alternative zur falschen Bedienung des „Grigri“. Auch der „Tube“ versagt bei falscher Bedienung. „Ich hab keine Ahnung vom Klettern... ... aber ist das eigentlich normal, dass man sich voll runterfallen lässt oder ist das ein Szenario, das er üben wollte?“ Antwort eines anderen: „Normalerweise schaut man runter und holt ein OK vom Sicherer, BEVOR man sich ins Seil fallen lässt.” Es gibt „Lehrmeinungen“, wonach man eh immer damit rechnen müsse, dass jemand jederzeit fällt, deswegen brauche man, ja solle man nicht rückfragen. Es sei sogar kontraproduktiv. Ich sehe das etwas anders. Die Erfahrung zeigt, dass sehr viele Unfälle genau in einem bestimmten Moment entstehen: Jeder glaubt vom anderen etwas Falsches. Bessere und verlässliche Kommunikation könnte hier viele Fehler verhindern; besonders auch tödliche.

“das ist eine typsache und sache des vetrauens zum partner, ich versuch immer vorher kontakt aufzunehmen, blick und /oder akkustisch. aber grundsätzlich muss der sicherer JEDERZEIT einen unerwarteten sturz abfangen können und das seil darf nie zuviel spiel haben, (der kletterer könnte ja irgenwann ausrutschen, fehlgriff etc.)” Wie wäre es, wenn wir das „Aber“ durch „Und” ersetzen? Ich setze mich immer vorsichtig ins Seil und nehme Blickkontakt auf. Und ich erwarte vom Sicherer, dass er/sie immer aufmerksam ist. In dem Posting oben gibt es ebenfalls den Archetypen vom „unfehlbaren Helden”, die Illusion der möglichen Fehlerfreiheit. Dieses Idealbild wird es jedoch nie geben: Beim Sichern dürfe man keine Fehler machen, deswegen dürfe man auch keine Mechanismen einbauen, die „zugeben”, dass immer wieder Fehler geschehen. Solche Bilder geraten schnell ins Wanken: Der Partnercheck ist mittlerweile Standard. Er ist Zeichen der Akzeptanz, dass auch erfahrene Personen mitunter krasse Fehler machen. Wir verdanken den Partnercheck dem guten Einfluss von Lynn Hill. Ohne ihr öffentliches Bekenntnis zu Fehlern und Unsicherheit bezweifle ich, dass sich der Partnercheck durchgesetzt hätte. Diskutiert wurde der Partnercheck bereits 1988 im Bergführerverband. Die damalige „Lehrmeinung”: Ein Fachmann müsse in der Lage sein, einen Knoten zu machen. Ein Gegencheck sei bei einem Fachmann nicht notwendig, daher abzulehnen. Wäre die Sache in der Praxis nicht so gefährlich, müsste man bei solchen Irrtümern und überheblichen Irrwegen herzlich lachen. “Viele Erfahrene Kletter/innen lassen sich nach klinken des Umlenkers (die Stelle wo die Route aus ist) einfach ins Seil rein! Natürlich mit dem Wissen, dass ihr/e Partner/in unten damit rechnet! ich komm regelmaessig in einer kletterhalle vorbei, dass die "sicherer" untereinander quatschen ist der normalzustand.”

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Alpenverein-Kletterregeln

der Vereine ihre Stimmen hätten erheben sollen? Sie hätten zur Vorsicht mahnen können und müssen. Der Unfall in der Kletterhalle Graz ist nur einer von vielen Unfällen, die mit Sicherungsgeräten der „Tuber“-Family geschehen sind.

Es ist schon verblüffend, wie wir als Menschen die Fakten gerne ignorieren! Die Regel ist nicht das Idealbild des permanent aufmerksamen Kletterers, sondern die Unaufmerksamkeit. Wie passt da die Empfehlung dazu, den „Tuber“ zu verwenden? Dieser erfordert – im Gegensatz zum „Grigri“ – permanent hohe Aufmerksamkeit oder zumindest ein automatisiertes Verhalten, das man nur als erfahrener Kletterer hat. “Auch als unerfahrener Sicherer nimmt man bei einem Tuber intuitiv niemals beide Hände vom Seil! Bei diesen verdammten Halbautomaten, die vor allem Anfängern momentan als Nonplusutra in Sachen Sicherheit verkauft werden passiert das leider ständig..” „Eine Lehrmeinung” antwortet diesem Posting: Man soll die Hände weggeben (Ja, diese „Lehrmeinung“ gibt es!). Ich beobachte auch noch immer „Fachübungsleiter“, die Anfängern beibringen, beide Hände vom „Grigri“ zu nehmen und sogar wegzustrecken.

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“ein gri-gri ist absolut nicht deppensicher, aber genau aus dem grund mit dem seil falsch einlegen gibt es auch den partner-check. der wird halt leider in 90% der fälle nicht durchgeführt...” Der Partnercheck kam 1987 aus dem Seilgartenbereich nach Österreich. Er durchlief die typischen Phasen von Neuerungen: Die Gurus von „Lehrmeinungen“ ignorierten ihn. Dann wurde er belächelt, später massiv abgelehnt, als er sich durchzusetzen begann. Erst der Absturz von Lynn Hill, eines in der internationalen Öffentlichkeit stehenden Stars, bewirkte das Umdenken. Dieses Phänomen gibt es auch in anderen Sportarten. So musste beim Kitesurfen erst die Deutsche Meisterin sterben, damit sich (vorher vehement abgelehnte) Sicherheitstechniken durchsetzten, die heute selbstverständlich sind. Erst der medienwirksame Unfall eines deutschen Politikers ließ die Zahl der Helmträger auf Skipisten hinaufschnellen. Im Seilgartenbereich fehlt dieser medienwirksame Unfall noch, weswegen es jährlich zu mehr als zehn dokumentierten Abstürzen in Seilgärten kommt. Und erst 20 Prozent der Seilgärten haben die heute wirksamsten Methoden zur Verhinderung von Abstürzen eingeführt. Interessanterweise ist der Partnercheck im Hochseilgartenbereich beinahe verschwunden. Zahlreiche Abstürze könnten auch dort mit dem Partnercheck vermieden werden. “wie in vielen anderen sportarten üblich sollte endlich auch beim klettern ein verpflichternder "kletterschein" eingeführt werden der bestätigt dass man sichern kann und ohne den man in keine halle gelassen wird. bei den mengen an sicherungsfehlern die man in den hallen sieht ist es verwunderlich dass nicht mehr passiert.” Analysen zum Kletterschein entkräften alle Argumente, die gegen diesen angeführt werden. Obwohl Hallenbetreiber davon auch wirtschaftlich nur profitieren würden, lehnen sie ihn ab. Die Hauptbegründungen lassen sich in der so genannten „Freiheit” finden, einer diffusen Ideologie, die bei vielen Outdoor-Sportarten dominiert. Hallenklettern hat zwar gar nichts mit Freiluftsport zu tun, aber auch hier wird die Outdoor-„Freiheit“ mit der entsprechenden Ideologie betrieben. „Lehrmeinungen“ fallen nicht als göttliche Gesetze vom Himmel. Sie werden von sterblichen Menschen

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erstellt. Dabei gibt es kein „Verfahren”. Ob eine so genannte „Lehrmeinung“ gut oder schlecht ist, das hängt oft vom Glück ab. Ich weiß da, wovon ich spreche, ich habe oft „Lehrmeinungen“ mitgestaltet. Hier sind einige Regeln, die ich mir für die Erstellung von „Lehrmeinungen“ wünsche: 1. Es sollte genau hinterfragt werden, ob die Einigung auf eine Meinung möglich und nötig ist. Menschen tun sich oft schwer mit widersprüchlichen Meinungen. Viele sehnen sich nach einer Stimme, die klar vorgibt, wohin es gehen soll. Manchmal und sogar oft funktioniert das nicht. Wäre man fair, müsste man sagen: Wir wissen einfach (noch) nicht, welche Methode besser ist. Wir lassen mehrere Methoden gelten und führen analytisch ihre Vor- und Nachteile vor Augen.

Dr. Maria Auckenthaler Stv. Leiterin des Alpinreferates der Staatsanwaltschaft Innsbruck

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2. Fakten sprechen lassen. Niemand weiß, welches Sicherungsgerät das sicherste ist. Ich kenne zumindest keine wirklich zuverlässige Statistik, die dazu ausreichende Daten liefert und von Systemfehlern bereinigt wurde. 3. Eng damit verbunden wäre der Grundsatz: Legen wir uns nicht zu früh fest. Erst, wenn ausreichende Erfahrung vorliegt, kann man wirklich auf die Qualität einer Methodik oder eines Gerätes schließen. Ich erinnere ans „Cinch“, wo auch erst nach Jahren die Gefährlichkeit trotz richtiger Bedienung zum Vorschein kam. Und sie wurde dann noch vom Hersteller massiv bestritten. 4. Persönliche Vorlieben sollten ausgeblendet werden. Nur weil ich selbst mit einem Gerät gute Erfahrungen gesammelt habe, muss es nicht auch für andere Benutzer gut sein. So wie der „Mann des Jahres“ in Wirtschaftsmagazinen manchmal im darauffolgenden Jahr den Flop des Jahres produziert, kann das „Top-Sicherungsgerät des Jahres“ die Unfälle des nächsten produzieren.

Epilog

Aktueller Stand der „Lehrmeinungen“ (Frühling 2012): In Österreich ist das „Tuber“-Fieber abgeklungen, Tendenz weiter fallend. In einer Broschüre der Naturfreunde sind „Tuber“, „Grigri“, „Smart“, „Clickup“ und HMS als gleichwertig dargestellt. Vom „Cinch“ wird abgeraten. Das Bremshandprinzip wird durchgängig gelehrt. Dies gilt auch für die zwölf größten Kletterhallen Österreichs, die jeweils zur Hälfte von Naturfreunden und Alpenverein betrieben werden. In Deutschland wird vom DAV der „Tuber“ weiter uneingeschränkt als „das sicherste Gerät“ empfohlen. 

Durch das Strafrecht wird ein unrechtmäßiges Verhalten, wodurch eine Person zu Schaden gekommen ist oder gefährdet wurde, geahndet. Es handelt sich dabei um Offizialdelikte, d. h., der Staatsanwalt und die Polizei sind vom Gesetz her verpflichtet, Ermittlungen durchzuführen. Nach den Ermittlungen erstattet die Polizei einen Bericht an die Staatsanwaltschaft, welche den Sachverhalt rechtlich prüft. Der Staatsanwalt ist – wie der Richter – zu Unparteilichkeit und Objektivität (Aufnahme aller Beweise, die für, aber auch gegen den Beschuldigten sprechen) verpflichtet. Bei der Staatsanwaltschaft Innsbruck gibt es eine Zuständigkeit für Alpinunfälle, ebenso beim Landesgericht Innsbruck. Ergibt das Ermittlungsverfahren, dass kein strafbares Verhalten vorliegt, so ist das Verfahren einzustellen. Kann dagegen ein strafbares Verhalten nachgewiesen werden, so ist ein Strafantrag beim zuständigen Gericht zu erheben. Unter bestimmten Voraussetzungen (die Straftat ist nicht mit mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht, der Sachverhalt ist hinreichend geklärt; das Verschulden des Täters ist nicht schwer, die Bestrafung ist nicht erforderlich, um den Täter oder die Allgemeinheit von gleich gelagerten Straftaten abzuhalten, durch die Tat darf niemand zu Tode gekommen sein) kann dem Beschuldigten eine Diversion angeboten werden. Als Diversion kommt die Einstellung des Verfahrens unter Bestimmung einer Probezeit und/oder Verpflichtung zum Schadensausgleich in Betracht, die Leistung einer Geldbuße, die Auferlegung gemein-

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Hier schließt sich der Bogen zu oben beschriebenen Dingen. Wenn das „Grigri“ und alle anderen Halbautomaten richtig gelehrt worden wären, hätten wir weniger schwere Unfälle gehabt. „Richtig” bedeutet hier: Man muss die Bedienung lernen. Das Gerät einem Anfänger mit kurzer Erklärung in die Hand zu drücken, das genügt nicht. (Bemerkenswert ist, dass sogar die Anwendung des „Tuber” auf diese Weise „gelehrt“ wird – wie beim hier diskutierten Unfall.)

nütziger Leistungen oder die Durchführung eines außergerichtlichen Tatausgleiches („Versöhnung“ Beschuldigter/Opfer). Die Diversion ist keine Vorstrafe. Ob der Strafantrag vor dem Bezirksgericht oder dem Landesgericht erhoben und dort verhandelt wird, hängt von der Strafdrohung des vorgeworfenen Deliktes ab.

Bei Alpinunfällen kommen in erster Linie folgende Delikte in Betracht

§ 80 StGB Fahrlässige Tötung § 88 StGB Fahrlässige Körperverletzung (iVm § 81 Abs 1 Z 1: unter besonders gefährlichen Verhältnissen) § 89 StGB Gefährdung der körperlichen Sicherheit § 81 StGB Fahrlässige Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen § 177 StGB Fahrlässige Gemeingefährdung Im Rahmen der Hauptverhandlung hat der Richter zu beurteilen, ob dem Beschuldigten ein strafrechtlich relevantes Verhalten nachgewiesen und vorgeworfen werden kann sowie ob er zu verurteilen oder freizusprechen ist. Am Ende der Hauptverhandlung verkündet der Richter das Urteil (Freispruch oder Schuldspruch). Dagegen können der Angeklagte und der Staatsanwalt ein Rechtsmittel erheben. Bei Alpinunfällen geht es fast ausschließlich um ein fahrlässiges Verhalten. Fahrlässig handelt, wer jene Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den Umständen des Einzelfalles verpflichtet sowie nach seinen winter 2011

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Klettern wird immer beliebter. Vielen Kletterbegeisterten ist nicht bewusst, dass sie beim Sichern neben der moralischen Verantwortung auch eine rechtliche Verantwortung übernehmen. In Ausbildungskursen lernen die Teilnehmer die Grundregeln des Sicherns und Kletterns. (Bild: Österreichischer Wettkletterverband)

geistigen und körperlichen Verhältnissen befähigt ist und die ihm zuzumuten ist. Fehlen geschriebene oder gelebte Sorgfaltsregeln, ist zu fragen, welche Sorgfalt ein einsichtiger und besonnener Mensch in der konkreten Situation aufgeboten hätte. Dabei spricht man vom Verhalten des „maßgerechten Menschen“ in der Situation des Täters, ausgestattet mit dessen Sonderwissen und Kenntnissen, wobei dieses Verhalten immer im Vorhinein aus Sicht des Täters zu beurteilen ist. Bei der Prüfung fahrlässigen Verhaltens wird mangels Gesetzen, Verordnungen oder anerkannter Verhaltensregeln auf die „differenzierte Maßfigur“ abgestellt. Man prüft in diesem Fall, wie sich ein mit den rechtlich geschützten Werten angemessen verbundener, besonnen und einsichtig handelnder Mensch in der Lage des Täters verhalten hätte. Im Gegensatz dazu handelt vorsätzlich, wer einen strafrechtlich verpönten Sachverhalt verwirklicht und dem auch bewusst ist, dass seine Handlung Unrecht darstellt. Um vorsätzlich zu handeln, ist es nicht erforderlich, dass der Täter ein Resultat herbeiführen will (Absicht) oder weiß, dass dieses Resultat verwirklicht wird (Wissentlichkeit). Vorsätzliches Handeln liegt vor, wenn der Täter die Verwirklichung des Resultates ernsthaft für möglich hält und sich damit abfindet („... es ist mir egal, wenn etwas passiert ...“). Das sorgfaltswidrige Verhalten und der eingetretene Erfolg sind dem Verursacher/Beschuldigten nur dann strafrechtlich vorwerfbar, wenn er die Folgen seines Handelns vorhersehen hätte können. Letztlich ist auch noch die subjektive Seite der Tathandlung zu

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prüfen. Der Beschuldigte hat subjektiv sorgfaltswidrig gehandelt, wenn er aufgrund seiner geistigen und körperlichen Fähigkeiten in der Lage gewesen ist, objektiv sorgfaltsgemäß zu handeln.

Die Verfahrensbeteiligten:

 Beschuldigter: ihm wird ein strafbares Verhalten vorgeworfen, er hat das Recht, keine Angaben zu machen  Polizei: Ermittlungsbehörde, die im Ermittlungsver fahren den Sachverhalt aufnimmt  Staatsanwalt: Leiter des Ermittlungsverfahrens, ent scheidet über Einstellung, Strafantrag oder Diversion  Richter: entscheidet in der Hauptverhandlung über den Strafantrag (Freispruch oder Schuldspruch)  Opfer: eine Person, die einen Schaden erlitten hat  Zeuge: eine Person, die Wahrnehmungen zum Un fall hat und aussagen muss (außer es liegen Aussa gebefreiungsgründe vor)  Rechtsanwalt: Parteienvertreter des Beschuldigten oder des Opfers  Sachverständiger: ist aufgrund eines besonderen Fachwissens in der Lage, beweiserhebliche/ unfallerhebliche Tatsachen festzustellen (Befund aufnahme), aus diesen Schlüsse zu ziehen und sie zu begründen (Gutachten). 

Literaturtipps

 Auckenthaler M./Hofer N. (2010): Klettern und Recht. 2. Auflage. Manz-Verlag.



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