sommer 2011
1
2analyse:berg
inhalt dank an
4
zum magazin
5
vorwort
6
stimmen
8
alpinunfälle 10 statistik 11 wandern statistik blitzunfall bericht interview analyse & hintergrund tipps medizin
16 17 20 21 23 26 31 33
spezial 34 forschung 35 naturgefahren 36 tourismus 38
klettern 40 statistik 41 seilschaftsabsturz 46 bericht 47 analyse 50 ausgeflogen 54 bericht (1) 55 analyse 56 bericht (2) 58 interview 60 ungesichert 64 bericht 65 analyse 66 tipps 69 alles ist mĂśglich
70
hochtouren 72 statistik 73 vermisst 76 bericht 77 wetter und topo 79 sucheinsatz 80 analyse 83 interview 87 impressum 90
sommer 2011
3
dank an
4analyse:berg
zum magazin Vier Jahre lang, von 2006-2009, hat das Kuratorium für Alpine Sicherheit mit „alpinunfälle" ein Heft mit Tabellen und Diagrammen über Alpinunfälle veröffentlicht. Für Leute mit Liebe zu Zahlen und Diagrammen war das aufregend – für das breite Publikum weniger. Auf der anderen Seite gibt es in Österreich einen großen Schatz von Daten über hervorragend dokumentierte Alpinunfälle, den die Alpinpolizei alljährlich vervollständigt und anhäuft. Daher ist die hier vorliegende Kombination naheliegend: Qualität im Sinne von Unfallbeschreibungen und Quantität im Sinne von aussagekräftigen Statistiken. Mit dem neuen Magazin „analyse:berg“ wollen wir dokumentieren, informieren und sensibilisieren. Keinesfalls wollen wir Betroffene verurteilen oder angreifen. Dieser Grat des Journalistischen ist aber mit Sicherheit ein schmaler. Wir hoffen, niemals abzustürzen und somit UnFall-frei zu bleiben. In der Redaktion sind folgende Personen aktiv: Hans Ebner leitet den Alpindienst im Innenministerium. Er organisiert Unfallbeschreibungen und wirkt maßgeblich an der Auswahl der Unfälle mit. Das Erscheinen von analyse:berg ist zu beträchtlichen Teilen seinem persönlichen Engagement zu verdanken. Gerald Lehner ist ORF-Redakteur und verwandelt als Journalist einen komplizierten Satz in gut lesbares Deutsch. In seiner Freizeit ist er ehrenamtlich als Referent für Öffentlichkeitsarbeit bei der Österreichischen Bergrettung und als Alpinist tätig. Das Duo Walter Würtl und Peter Plattner von bergundsteigen unterstützt als Beirat die Redaktion
mit Tipps, liest Artikel gegen und gibt entsprechendes Feedback. Im Hintergrund üben die beiden eine beratende und ideengebende Tätigkeit aus. Hanno Bilek ist beim Kuratorium für Alpine Sicherheit für das Projekt zur Alpinunfallstatistik verantwortlich. Für analyse:berg ist er zentraler Ansprechpartner. In Zukunft wird im Dezember die jeweilige Winterausgabe und Ende Mai / Anfang Juni die Sommerausgabe erscheinen. Inhalte der Hefte werden einerseits Unfallstatistiken, aber auch Unfallbeispiele mit Unfallanalysen sein. Weiters danken wir allen, die uns auf dem Weg zur ersten Ausgabe von analyse:berg unterstützt haben. Besonderer Dank gilt allen Alpinpolizistinnen und Alpinpolizisten Österreichs. Ihre Arbeit bei der Erhebung aller relevanten Unfälle – auch im Sinn der Forschung und Auswertung – ist für die Allgemeinheit von sehr großem Nutzen und Wert. analyse:berg – Sommer 2011 – ist eine Erstausgabe. Wir haben drei Bitten an Sie: Geben Sie uns die Chance auf Entwicklung! Seien Sie kritisch und schicken Sie uns Ihr Feedback! Lesen Sie die Artikel so, dass Sie nicht nur nach Fehlern anderer Bergsteiger suchen. Versuchen Sie vielmehr, aus den Fehlern anderer für Ihre persönliche Sicherheit in den Bergen zu lernen. Eine gute Zeit! Das Redaktionsteam
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österreichisches kuratorium für alpine sicherheit
Dr. Karl Gabl Präsident des Österreichischen Kuratoriums für Alpine Sicherheit
Ökonomierat Anton Steixner Landeshauptmann-Stellvertreter
vorwort Liebe Bergsteigerinnen und Bergsteiger,
Liebe Bergfreunde,
ich freue mich, das neue Magazin „analyse:berg“ präsentieren zu können.
ich gratuliere dem Österreichischen Kuratorium für Alpine Sicherheit zur Herausgabe des neuen Alpinmagazins „analyse:berg“. Im neuen Heft werden nicht nur Bergunfälle analysiert, sondern auch wertvolle Tipps gegeben, wie man ein Unglück in unseren hochalpinen Räumen am besten vermeiden kann.
Unsere Partner in diesem Projekt sind die Alpinpolizei, die Bergrettung und das Magazin "bergundsteigen". Allen drei Organisationen danke ich besonders. Die Alpinpolizei erhebt die Unfälle im alpinen Raum und schafft damit die Basis für alle Statistiken und Unfallanalysen. Die Bergrettung ist als alpine Rettungsorganisation täglich mit Verletzten konfrontiert. Auch ihre Erfahrungen sind ein wichtiger Beitrag zu dieser Publikation. bergundsteigen etablierte sich in den letzten Jahren zu der Zeitschrift für Risikomanagement im Bergsport. Das gemeinsame Ziel, Unfälle zu verhindern, verbindet uns. Besonders danke ich dem Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend und dem Bundesministerium für Inneres. Auch dem Land Tirol ist die Sicherheit in den Bergen ein Anliegen, und es unterstützt aus diesem Grund dieses Projekt. Seit Jahren unterstützt der Verband Alpiner Vereine die Alpinunfallstatistik. Allen danke ich herzlichst. Ohne ihre Unterstützung ist dieses Werk nicht möglich! Ich wünsche allen erlebnisreiche Bergtouren und ein unfallfreies Bergjahr!
6analyse:berg
Als zuständiger Regierungsreferent für die Sicherheit sind mir alle Maßnahmen und Aktivitäten willkommen, die einen Beitrag zur Vorbeugung vor Unfällen liefern. Leider scheint ja das heurige Jahr 2011 einen neuen Rekord an Bergunfällen mit zahlreichen Todesopfern und Verletzten zu bringen. Deshalb unterstützt das Land Tirol auch mit einem langfristigen Beitrag die Bergrettung, damit für Anschaffungen und Vorbereitungen zum Einsatz eine kalkulierbare Planbarkeit gegeben ist. Mit dem neuen Magazin wird ein weiterer wichtiger Baustein zur Bewusstseinsbildung für die Gefahren im alpinen Bereich geleistet. Die Sicherheit unserer Bevölkerung und der Gäste ist mir immer schon ein wichtiges Anliegen gewesen. Deshalb ersuche ich alle, die im Gebirge unterwegs sind, sich stets achtsam im Gelände zu bewegen, die Tipps in diesem Magazin ernst zu nehmen und allfällige Warnungen der Bergrettung zu beachten!
Dr. Reinhold Mitterlehner Mag.a Johanna Mikl-Leitner Bundesministerin für Inneres
Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Bergfreunde!
Sehr geehrte Damen und Herren!
Ich möchte Sie als Leserinnen und Leser des neuen Magazins „analyse:berg“ des Österreichischen Kuratoriums für Alpine Sicherheit sehr herzlich begrüßen. Österreichs Berge sind ein großer Anziehungspunkt für Sportbegeisterte und Naturliebhaber aus der ganzen Welt. Jedes Jahr zieht es Millionen von Menschen in unsere Berge – und die Alpinen Einsatzgruppen der Polizei sorgen für ihre Sicherheit und ein ungetrübtes Freizeiterlebnis.
Unsere unvergleichliche Bergwelt trägt entscheidend dazu bei, dass Österreich ein beliebtes Urlaubsland ist und jedes Jahr Millionen Gäste aus dem In- und Ausland anlockt. Vor allem Familien und sportlich aktive Menschen nutzen das vielfältige Angebot der österreichischen Alpen zu jeder Jahreszeit.
Der Polizeidienst im alpinen Gelände stellt eine besondere Herausforderung dar und bedingt leistungsfähige und gut ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und wie auch in anderen Bereichen ist die Polizei im alpinen Bereich auf die Zusammenarbeit mit externen Organisationen angewiesen. Das Österreichische Kuratorium für Alpine Sicherheit – als Dachorganisation der am Berg tätigen Institutionen – ist schon seit vielen Jahren ein nicht wegzudenkender Partner des Innenministeriums. Es leistet als unabhängige Plattform einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit in Österreichs Bergen. Die Spezialisten der Alpinen Einsatzgruppen erledigen ihre Arbeit hervorragend. Dank ihres Einsatzes werden immer wieder Menschen aus Bergnot gerettet. Ich möchte allen Engagierten für ihre wichtige Tätigkeit danke sagen und ersuche sie, weiterhin mit großem Engagement für die Sicherheit im alpinen Gelände zu sorgen.
Manche Freizeitsportler unterschätzen jedoch die Gefahren und Risiken, die damit verbunden sind. Zahlreiche Unfälle bei der Ausübung alpiner Sportarten sind durchaus vermeidbar. Hier leisten die Alpinpolizei, die Bergrettung und das Österreichische Kuratorium für Alpine Sicherheit einen wichtigen Beitrag zur Prävention. In dem nun vorliegenden Magazin „analyse:berg“ werden auf Basis von umfangreichem Datenmaterial und anhand anschaulicher Beispiele professionelle Risikoanalysen dargestellt. Denn es ist auch die Sicherheit, die neben der wunderbaren Natur und dem weitreichenden Sport- und Freizeitangebot den Charme des Urlaubslandes Österreich ausmacht. Insbesondere als Tourismusminister begrüße ich, dass Alpinpolizei, Bergrettung und das Kuratorium für Alpine Sicherheit weiterhin intensiv daran arbeiten, optimale Voraussetzungen für eine sichere Freizeitgestaltung in Österreichs Berglandschaften zu schaffen.
sommer 2011
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österreichisches kuratorium für alpine sicherheit
Dr. Robert Wallner
Oberst Hans Ebner
Vizepräsident des Österreichischen Kuratoriums für Alpine Sicherheit
Leiter des Alpindienstes der Polizei im Bundesministerium für Inneres
stimmen Sicherheitsforschung rettet Leben
analyse:berg hat das Licht der Welt erblickt.
„Wenn es mehrere Möglichkeiten gibt, eine Aufgabe zu erledigen, und eine davon in einer Katastrophe endet oder sonst wie unerwünschte Konsequenzen nach sich zieht, dann wird es jemand genau so machen.“ So formulierte der amerikanische Ingenieur Edward Murphy sein berühmt gewordenes Gesetz. Das Kuratorium hat sich zum Ziel gesetzt, den Worst Case im Alpinsport nach Kräften zu verhindern. Eine Strategie dazu ist, aus Fehlern anderer zu lernen.
Die eigene Unzufriedenheit über die bloße Auswertung des nackten Zahlenmaterials war Ansporn für einen Neustart. Über den Weg, unfallkundlich interessante Unfälle vom Ablauf her darzustellen, die vorhandenen Fakten im Kontext mit dem Hergang zu analysieren und Fehlerquellen aufzuzeigen, möchten wir ein interessantes Werk mit praktischem Nutzen für die Leser zusammenstellen. Statistische Daten zum Unfallgeschehen runden das Produkt ab.
Dazu muss man aber zuerst die Story hinter der Zeitungsmeldung kennen. Die sachkundige Erhebungsarbeit der Alpinpolizei ist das Fundament, auf dem die alpine Unfallforschung aufbaut. Für die zuvorkommende und kompetente Zusammenarbeit im Dienste der Unfallprävention danke ich der Polizei! Auf ihrer Arbeit baut die Analyse der Experten auf. Empfehlungen, Lehrmeinungen und Strategien können entwickelt oder angepasst werden. Mit analyse:berg will das Kuratorium dazu einen Beitrag leisten. Unsere altbewährte und oft zitierte Statistik wird erweitert: Typische oder besonders lehrreiche Unfälle werden detailliert aufbereitet und analysiert. Es geht dabei nicht um Schuldzuweisung oder (Vor-)Verurteilung, sondern um Information, Analyse und Prävention.
Die Grundlagen für das Gelingen dieses Vorhabens liefert die Arbeit der Österreichischen AlpinpolizistInnen, die Unfälle im Bergsport im Auftrag der Justizund Sicherheitsbehörden erheben, zu Papier bringen und die Fakten anonymisiert statistisch erfassen. Im Kuratorium für Alpine Sicherheit erfolgt die Auswertung des Materials, sodass tagesaktuelle Unfallzahlen zur Verfügung stehen.
Aus einem tragischen Ereignis kann so für andere Bergsteiger noch etwas Sinnvolles erwachsen. Ich wünsche allen Lesern spannendes Lernen und ein unfallfreies Bergjahr!
8analyse:berg
Die zweite Ausgabe der Unfallbroschüre analyse:berg wird sich mit dem Wintergeschehen 2010/2011 in Österreichs Bergen beschäftigen. Gott sein Dank war der vergangenen Winter im Hinblick auf Lawinenunfälle ein unterdurchschnittlicher, trotzdem ereigneten sich leider wieder viele Unfälle, bei manchen lohnt es sich, genauer hinzusehen und etwas daraus zu lernen.
Oberst Franz Lindenberg Präsident des Österreichischen Bergrettungsdienstes
Peter Plattner Chefredakteur von bergundsteigen
Tägliche Einsätze
Langweilige Statistik ...
Die Grundsätze der Einsatzplanung und der Einsatzführung bilden in allen Fällen der Abwicklung eines Bergrettungseinsatzes die Basis eines gezielten und koordinierten Vorgehens.
Viermal im Jahr habe ich in bergundsteigen – der „Zeitschrift für Risikomanagement im Bergsport“ – die Möglichkeit, Aktuelles von der alpinen Unfallstatistik abzudrucken.
Bergrettungseinsätze sind meist gekennzeichnet von einer Vielzahl von wechselnden und sich gegenseitig beeinflussenden Faktoren, welche im Anlassfall bei der Planung und Durchführung eines Bergrettungseinsatzes berücksichtigt werden müssen. Daher ist es erforderlich, jeden Bergrettungseinsatz gesondert zu betrachten, zu analysieren und die Lehren daraus zu ziehen.
Ein langweiliges Themengebiet? Mitnichten! Zahlen, Daten und Fakten sind auch im Bergsport die unverzichtbare Basis für Diskussionen und neue Ansätze in der Ausbildung. Meistens bestätigen sie wunderbar im Gelände Wahrgenommenes und schon lange Vermutetes; manchmal überraschen sie und konfrontieren uns mit unerklärlichen Tatsachen und sorgen für spannende Diskussionen.
Ein systematisches Vorgehen in diesem Prozess, die Auswertung und die Publikation der Erkenntnisse, auch unter Einbeziehung aller in der Einsatzdurchführung involvierter Organisationen, sind dabei wesentliche Aspekte des organisationalen Lernens.
Das Problem in bergundsteigen ist der begrenzte Platz, die Leser können von gut präsentiertem Zahlenmaterial in Kombination mit typischen Unfällen nicht genug bekommen. Und so hat es mich gefreut, dass das Kuratorium für Alpine Sicherheit mit analyse:berg sich genau diesem Thema annimmt und so einen wertvollen Beitrag zur Alpinen Sicherheitsforschung leistet.
Mit „analyse:berg“ wird dieser Prozess nachhaltig unterstützt und begleitet. Der Österreichische Bergrettungsdienst ist somit nicht nur ein Mitautor dieser Publikationen, sondern kann aus „analyse:berg“ unmittelbaren und flächendeckenden Nutzen ziehen.
An dieser Stelle Dank an die Alpinpolizei, den Bergrettungsdienst und das Kuratorium für alpine Sicherheit – und hier besonders Hanno Bilek – für die tägliche Arbeit und das große Engagement.
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alpinunf채lle
10analyse:berg
Die Alpinpolizei erhebt im Rahmen ihrer sicherheitsund kriminalpolizeilichen Tätigkeiten die Unfälle im alpinen Gelände, bei denen Menschen zu Schaden kommen. Diese Tätigkeiten sind Grundlage für die jährliche Alpinunfallstatistik in Österreich. In diese fließen alle Unfälle im alpinen Raum ein, die der Alpinpolizei bekannt werden. Die Alarmierung erfolgt meistens über den Alpinnotruf (140 bzw. 144 in Vorarlberg) oder über den Euro-Notruf (112). Läuft die Verständigung der Rettungskräfte über 140, so erfährt die Alpinpolizei im Allgemeinen durch die traditionell enge Zusammenarbeit mit dem Bergrettungsdienst vom Einsatzgeschehen. Wählt man den Euro-Notruf, so gelangt man telefonisch direkt zur nächsten Bezirksleitstelle der Polizei.
alpinunfälle
statistik Alle erhobenen Daten werden nach den Erhebungen von der Polizei gegenüber der Öffentlichkeit anonymisiert und dem Kuratorium für Alpine Sicherheit zur Auswertung zur Verfügung gestellt. Der Berichtszeitraum beginnt jeweils mit 1. November eines Jahres und endet mit 31. Oktober. Er umfasst also auch den Umfang einer gesamten Wintersaison sowie den Sommer eines Jahres. Die mit Abstand meisten Alpinunfälle ereignen sich in Österreich im Bundesland Tirol, gefolgt von Salzburg und Vorarlberg. In allen Bundesländern – ausgenommen Kärnten – war im vergangenen Jahr eine Zunahme bei den Alpinunfällen zu beobachten.
Verunfallte im alpinen Raum 11/2009-10/2010 Österreichweit gesamt:
19 292
307 Tote 6.620 Verletzte 10.919 Verunfallte
451
30 526 706 38 762 1.259
108 2.992 4.947
43
52
568
1.079 1.911
17
969
401 676
sommer 2011
11
alpinunfälle
Alpinunfälle nach Bundesland
Alpinunfälle nach Unfalldisziplin
Im Vergleich zum Berichtszeitraum 2008/09 hat sowohl die Zahl der Unfälle als auch die Zahl der Unfallopfer deutlich zugenommen. Bei den Unfallzahlen ist eine Veränderung von plus 7,4 Prozent und bei den verunfallten Personen von plus 8,0 Prozent gegenüber 08/09 zu beobachten.
Disziplin
27
Flugunfall
187
196
48
92
Hochtouren Höhlenunfälle Klettern
08/09
09/10
Kärnten
457
454
- 0,7 %
Niederösterreich
344
361
+ 4,9 %
Oberösterreich
447
562
+ 25,7 %
1.063
1.166
+ 9,7 %
Rodeln
642
679
+ 5,8 %
Seilgärten
Salzburg Steiermark Tirol Vorarlberg
Gesamt
Änderung
23
Mountainbiking
283
287
3.478
6.249
257
350
Piste / Schiroute
9
9
368
541
362
481
1.269
1.518
33
48
atypische Alpinunfälle
218
229
Sonstiges
212
218
7.236
10.919
+ 7,0 %
+ 2,9 %
Variante Wandern / Bergsteigen Wildwassersport
Im organisierten Skiraum (Pistengebiete bei Seilbahnen und Skiliften sowie Skirouten) werden nur tödliche Unfälle sowie Unfälle mit Verdacht auf Fremdverschulden aufgenommen. Dabei handelt es sich vor allem um Kollisionen von Skifahrern und/oder Snowboardern. Mit Ausnahme des organisierten Skiraumes werden alle Unfälle erfasst, von denen die Polizei erfährt. Dennoch „liefern“ Pistengebiete mit Abstand die meisten Unfalldaten. Eine Zunahme bei den gesamten Unfallzahlen ist damit sehr oft auf eine Zunahme der Unfälle im organisierten Skiraum zurückzuführen.
12analyse:berg
338
288
829
Im Bundesland Tirol fällt die Zunahme von 7,0 Prozent etwas geringer aus als im bundesweiten Vergleich. Eine deutliche Zunahme hat es in Oberösterreich gegeben – mit mehr als 25 Prozent. Für die gesamte Statistik gilt folgende Einschränkung:
218 25
3.185
+ 7,4 %
23
232
806
2
22
Liftunfall
2.976
7.236
2
Langlauf
Tour
6.735
Verunfallte
13
Jagd
Bundesland
Unfälle
Eisklettern
Gesamt
Die unfallträchtigste Disziplin des Bergsportes im Sommer ist das Wandern bzw. Bergsteigen. Bei „atypischen Alpinunfällen“ handelt es sich um Ereignisse im alpinen Raum, die in keinem Zusammenhang mit Sport oder Freizeit stehen – zum Beispiel Unfälle bei Holzarbeiten im Gebirge. In diese Kategorie fallen auch Verkehrsunfälle auf Forstwegen, Suizide oder Unfälle in der Berglandwirtschaft. Der Rubrik „Sonstiges“ werden Ereignisse zugeordnet, die in keiner anderen Kategorie verankert werden können.
alpinunfälle
Alpintote von 1991 bis 2010
Alpintote im Vergleich zum Vorjahr
Im Unterschied zu allen anderen Darstellungen bezieht sich dieses Diagramm auf das Kalenderjahr. Weiters änderte sich mit dem Kalenderjahr 2006 die Grundlage der Daten. Wurden von 1991 bis 2005 mehrere Datenquellen berücksichtigt, so sind es seit 2006 nur noch die amtlichen Erhebungen der Alpinpolizei. Zuvor wurden auch Medienberichte sowie Einsatzberichte der Christophorus-Flugrettung und der Bergrettung als Datengrundlage akzeptiert. Da jedoch die Alpinpolizei die Aufgabe hat, alle tödlichen Unfälle im alpinen Raum zu dokumentieren, ist von keiner Änderung der Zahlen aufgrund der Erhebungsgrundlage auszugehen.
Beim Wandern / Bergsteigen verunglücken in Österreich jährlich zwischen 90 und 115 Personen tödlich. In der abgelaufenen Saison wurden 100 Menschen getötet. Das ist eine Zunahme von knapp zehn Prozent. Eine deutliche Zunahme ist bei tödlichen Unfällen der Kategorie „Atypische Alpinunfälle“ (zum Beispiel Land- und Forstwirtschaft) sowie beim Variantenfahren zu beobachten. Diese Unfälle abseits gesicherter Pisten sind auf Lawinen zurückzuführen.
Während Nächtigungszahlen im Tourismus und Verkaufszahlen von Bergsportartikeln ständig steigen, ist bei den tödlichen Unfällen im Gebirge kein eindeutiger Trend feststellbar – also auch keine dauernde Steigerung. Genaue Angaben über die Anzahl der Menschen, die im Bergsport insgesamt aktiv sind, fehlen jedoch. Tote 500
Disziplin
08/09
09/10
Eisklettern
1
0
Flugunfall
13
5
- 61,5 %
4
6
+ 50,0 %
Höhlenunfälle
0
0
0,0 %
Jagd
7
6
- 14,3 %
Klettern
13
12
- 7,7 %
Langlauf
2
0
- 100,0 %
Liftunfall
1
1
Mountainbiking
3
8
+ 166,7 %
Piste / Schiroute
47
45
- 4,3 %
Rodeln
2
2
0,0 %
Seilgärten
0
0
0,0 %
36
33
- 8,3 %
9
18
+ 100,0 %
92
100
Variante Wandern / Bergsteigen Wildwassersport atypische Alpinunfälle
300
-100,0 %
Hochtouren
Tour 400
Änderung
Sonstiges
Gesamt
2
0
41
62
5
278
0,0 %
+ 8,7 %
- 100,0 %
+ 51,2 %
9
+ 80,0 %
307
+ 7,4 %
200 91
93
95
97
99
01
03
05
07
09
Jahr Alpintote im Kalenderjahr
sommer 2011
13
alpinunfälle
Alpintote nach Herkunft
Alpintote nach Monaten
Die deutliche Mehrzahl bei den Alpintoten sind österreichische Bürger und Bürgerinnen. Da besonders bei den „Atypischen Alpinunfällen“ eine deutliche Zunahme zu beobachten ist, ist dieser Anteil im Vergleich zu früheren Jahren deutlich höher. Unfälle bei Waldarbeiten oder Verkehrsunfälle auf Forstwegen betreffen primär Österreicher.
Wesentlichen Einfluss auf das Unfallgeschehen hat das Wetter. Im Feber / März 2010 starben viele Bergsportler in Lawinen. Man kann sagen, dass auch die hohe Zahl der sommerlichen Alpintoten im Juli 2010 ist auf das Wetter zurückzuführen ist. Bei Schönwetter – besonders an Samstagen und Sonntagen – strömen Touristen und Einheimische zu tausenden in die Berge. An solchen Tagen ereignen sich die meisten Unfälle mit Todesfolge. Meist folgen auf unfallträchtige Perioden wieder unfallarme Wochen. Im Jahresverlauf gleichen sich die Dinge damit wieder aus.
Ähnlich hoch wie in den Jahren zuvor ist der Anteil deutscher Staatsbürger. Die Anteile aller anderen Nationen sind insgesamt in allen Kategorien gering.
Tote
Tote
200
50 193 40
150
30 100 20
80 50
10 15
6
4
3
3
3
NL
B
PL
CH
CZ
0
0 A
D
andere
Nov. Dez.Jän. Feb. Mär. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt.
Herkunft n = 307
Monat 2008/09 (278 Alpintote) 2009/10 (307 Alpintote)
14analyse:berg
alpinunfälle
Verunfallte nach Herkunft und Wochentag Im Berichtszeitraum verunglückten in Österreichs Bergen 3.867 Personen mit österreichischer Staatsbürgerschaft und knapp doppelt so viele Menschen aus anderen Staaten (7.052 Personen). In den ersten Säulen des Diagramms ist der relative Anteil aller Verletzten (unabhängig von der Herkunft) pro Wochentag dargestellt. An den Wochenenden ereigneten sich die meisten Unfälle, und somit gab es da – naturgemäß wegen des Ausflugsverkehrs – die meisten Opfer von Bergunfällen (17,5 Prozent am Samstag und 18,6 Prozent am Sonntag).
25
Prozent
20
Donnerstag und Freitag sind die Wochentage, an denen in Österrreichs Bergen am wenigsten passiert. Da die meisten Opfer der Disziplin „Piste / Skiroute“ zuzuordnen sind, fällt der Unterschied zwischen Österreichern und Ausländern entsprechend gravierend aus. Auffallend ist die Tatsache, dass der Anteil jener Personen am geringsten ist, die es an Freitagen "erwischt". Bei ausländischen Gästen sind Montag, Dienstag und Mittwoch besonders unfallträchtig. In vielen Fällen handelt es sich dabei um den zweiten bis vierten Urlaubstag. Weniger Bergsportler verunglücken an Donnerstagen. Dass an Donnerstagen insgesamt relativ wenig passiert, dürfte mit einem Trainingseffekt zu tun haben. Österreicher sind in der eigenen Heimat – außerhalb der Ferienzeiten – hauptsächlich an Wochenenden unterwegs. Damit ist ihr Prozentsatz bei den Unfallzahlen an diesen Tagen deutlich höher.
15
10
5
0
MO
DI
MI
DO
FR
SA
SO
Wochentag gesamt (307 Alpintote) Österreicher (193 Alpintote) andere Herkunft (114 Alpintote)
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wandern
16analyse:berg
Wandern ist nach dem Radfahren die beliebteste Sportart der Österreicherinnen und Österreicher1. Vier von zehn Einheimischen gehen mehrmals im Monat wandern. Auch im Urlaub lieben die Österreicher diese Tätigkeit. Laut SpEA 2 liegt der Anteil des Bergsports (Bergwandern und Skitourengehen) am gesamten Tourismus Österreichs zwischen 17 und 19 Prozent. 2004 gingen mehr als 2,3 Millionen Touristinnen und Touristen zum Bergwandern oder Bergsteigen. In der Saison 2009/10 dokumentierte die Alpinpolizei 1.269 Unfälle beim Wandern. Gegenüber dem Jahr zuvor stieg damit die Zahl der Wanderunfälle um 52 (plus 4,3 Prozent).
Ebenso stieg die Zahl der tödlich verunglückten Wanderer von 93 auf 100 (+ 7,5 Prozent). In den Jahren 2005 bis 2008 sind jedoch jährlich mehr Personen beim Wandern ums Leben gekommen. Die meisten Unfälle ereigneten sich – wie in all den Jahren zuvor – im Bundesland Tirol (40,3 Prozent), gefolgt von Vorarlberg (14,3 Prozent). Während in diesen beiden Bundesländern die Zahl der Unfälle geringfügig abgenommen hat, war in allen anderen eine Zunahme zu beobachten. Mit bis zu 30 Prozent ist diese zum Teil recht beträchtlich.
Verunfallte beim Wandern 11/2009-10/2010 Österreichweit gesamt:
8 64
100 Tote 894 Verletzte 1.518 Verunfallte
132
14 122 161 10 147 202
35 352 607
15
13
74
72 159
5
143
63 114
1) 2)
Zellmann P., Mayrhofer S.: So sportlich ist Österreich. In: Forschungstelegramm 12/2010 (http://www.freizeitforschung.at/data/forschungsarchiv/2010/89.%20FT%2012-2010_ So%20sportlich%20ist%20Oesterreich.pdf; Stand 31. 07. 2011) Helmenstein Ch., Kleissner A., Moser B.: Der Bergsport in Österreich. Studie im Auftrag des Bundeskanzleramtes, Sektion Sport, Nov. 2007 (http://www.esce.at/speafile/ 0711%20BKA%20Bergsport%20Austria%20SpEA%20DE.pdf; Stand 31. 07. 2011)
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wandern
statistik
wandern
Todesursachen beim Wandern
Geschlecht und Unfallfolgen
Knapp 50 Prozent der Alpintoten beim Wandern sterben bei medizinisch „internen“ Notfällen (z. B. Herzinfarkt).
Mehr als 80 Prozent der getöteten Wanderer waren Männer, 61,2 Prozent der Schwerverletzten waren Frauen. In allen anderen Kategorien sind Männer in der klaren Mehrheit. Genauere und aktuelle Untersuchungen dazu gibt es nicht. Grund könnte eine Kombination verschiedener Ursachen sein. Weiters ist denkbar, dass bei den schweren Verletzungen jene Muster dominieren, die besonders oft Frauen treffen; zum Beispiel Knieprobleme beim Skifahren.
Zweithäufigste Todesursache sind Stürze, Stolpern und Ausgleiten – meist kombiniert mit Abstürzen.
7,0 %
47,0 % 46,0 %
Zusammenfassend lässt sich sagen: • Mehr Männer verunglücken. • Deutlich mehr Männer sterben in den Bergen. • Frauen verletzen sich eher schwer, Männer eher leicht.
interner Notfall Sturz, Stolpern, Ausgleiten häufig mit Absturz Verirren mit folgendem Absturz
81 %
19 %
n = 100 61,2 %
38,8 %
schwer verletzt n = 338
46,3 %
53,7 %
leicht verletzt n = 257
38,6 %
61,4 %
unbest. Grades verletzt n = 298
39,7 %
unverletzt 60,3 % n = 446
44,3 %
55,7 %
0%
20 %
Frauen Männer
18analyse:berg
tot n = 100
40 %
60 %
80 %
gesamt n = 1.439
100 %
wandern
Die Gefahr des Abstieges
Blitzunfälle in Österreich
Knapp zwei Drittel aller Unfälle ereignen sich bei Leuten, die absteigen, nur rund ein Viertel im Aufstieg. Die übrigen zehn Prozent verteilen sich auf die Kategorien „Sonstiges“ oder „Unbekannt“. Wird eine Person vermisst und im Zuge eines Sucheinsatzes tot gefunden, dann lässt sich oft nicht mehr feststellen, ob sich das Opfer im Auf- oder Abstieg befand. Fälle dieser oder ähnlicher Art – bzw. ohne detailierte Erhebung – werden von der Alpinpolizei der Kategorie „Unbekannt“ zugeordnet. Alle anderen Fälle – wenn vermisste Leute ohne Hilfe ins Tal kommen – werden unter „Sonstiges“ erfasst. Einen geschlechtsspezifischen Unterschied gibt es nicht. Frauen verunglücken gleich oft im Abstieg wie Männer.
Zwischen 1. November 2005 und 31. Juli 2011 haben sich laut Alpinpolizei 13 Blitzunfälle ereignet. Vier Personen kamen dabei ums Leben. Davon waren zwei Wanderer, die von Gewittern überrascht wurden. In einem Fall wurde ein Forstarbeiter von einem Blitz getroffen, und in einem weiteren Fall wurde eine Person auf einem Jäger-Hochstand getroffen. Es beziehen sich diese Aussagen bezüglich Blitzunfällen in Österreich somit nicht ausschließlich auf die Bergsportdisziplin Wandern.
2,3 %
Zweimal überlebten zwei Personen nur durch gute Erste Hilfe mit Beatmung und Herzdruckmassage. Die Dunkelziffer bei Blitzunfällen ist vermutlich hoch, denn für Mediziner sind Blitzmarken ein nicht allzu seltenes Phänomen. In den meisten Fällen steigen Opfer selbstständig ab und gehen zum Arzt. Viele Unfälle dieser Art werden nicht registriert. Unbekannt bleiben oft auch Fälle, bei denen der Blitz in der Nähe von Wanderern oder Bergsteigern einschlug, und diese blieben unverletzt.
7,6 % 63,4 % 26,7 %
Abstieg Abstieg
Aufstieg
sonstiges
Bei den beiden Wanderern gab es noch einen Sonderfall. Eine Person stürzte nämlich ab und starb, als sie einem Bergkameraden helfen wollte, der vom Blitz getroffen worden war. Einer der tödlichen Unfälle ereignete sich im Mai, die drei anderen im Hochsommer.
unbekannt
Aufstieg Sonstiges unbekannt n = 1.518
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wandern
blitzunfall Am 8. August 2010 ereignete sich ein Blitzunfall beim Wandern am Mirnock in Kärnten. Zwei Wanderer waren nahe des Gipfels in das Gewitter gekommen. Nach einem Blitzschlag konnte die Mutter ihren Sohn, der einen Herzstillstand erlitten hatte, erfolgreich reanimieren. Beide überlebten den Unfall ohne schwerwiegende bleibende Folgen.
Walter Wucherer beschreibt den Unfallhergang in Form eines Unfallberichtes.
Die Mutter stellt sich für ein Interview zur Verfügung. Sie erzählt ihre Sicht des Unfalles.
Die Meteorologen Arnold Studeregger und Hannes Rieder analysieren den Unfallhergang und geben Tipps zum Verhalten bei Gewittergefahr. Weiters informieren sie allgemein über die Entwicklung von Gewittern.
Peter Paal informiert über medizinische Aspekte der Blitzmarken.
8. August 2010 ca. 16.00 Uhr Nockberge, Mirnock 2.100 m Gemeinde Ferndorf / Kärnten
KÄRNTEN
2 Personen leicht verletzt 1 Notzarzthubschrauber
ITALIEN
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SLOVENIEN
facts
Bezirksinspektor Walter Wucherer Stv. Leiter Alpine Einsatzgruppe Villach Polizei-Bergführer Staatlich geprüfter Schilehrer und -führer Flight-Operator bei den Hubschraubern des Bundesministeriums für Inneres
wandern
bericht
zum blitzunfall
Am 8. August 2010 entschlossen sich eine Mutter und ihr Sohn zu einer Bergwanderung auf den 2.110 Meter hohen Mirnock (Gemeinde Ferndorf, Bezirk Villach) in den Kärntner Nockbergen. Als passionierte Hobbysportlerin ist die Mutter gut trainiert und regelmäßig in den Bergen unterwegs. Der Mirnock war jedoch beiden noch ein unbekanntes Ziel. Am späten Vormittag startete das Duo mit dem Auto aus dem Raum Klagenfurt. Zum geplanten Ausgangspunkt, dem Gasthof Bergfried, verfehlten die beiden jedoch den richtigen Weg und parkten etwas unterhalb auf einem Feld; mit Erlaubnis des Bauern. Gegen 13.00 Uhr erreichten die Frau und ihr Sohn dann doch den Gasthof, den eigentlichen Ausgangspunkt der Tour. So gingen sie etwas verspätet auf ihre Wanderung. Die Kärntner Nockberge bieten überwiegend leichte Touren und meist sanfte Hügel, der bis in Seehöhen von knapp 2.400 Metern reichen. Der Gipfel des Mirnock liegt östlich des Millstätter Sees. Das Massiv ist die nördliche Begrenzung des Drautales.
Erste Gewitterwolken beim Start
Über die Westseite des Berges stiegen die beiden entlang des markierten Wanderweges auf. Schon beim Start hatten sie erste Gewitterwolken über dem Millstätter See gesehen. Nahe der Waldgrenze trafen sie eine Einheimische, die bereits auf dem Weg ins Tal war. Diese Wanderin erzählte ihnen, dass Gewitter normalerweise das Drautal entlangziehen würden und dass hier oben keine unmittelbare Gefahr bestünde.
So entschlossen sie sich zur Fortsetzung der Wanderung. In gemütlichem Tempo erreichten sie den Gipfel. Es war gegen 16.00 Uhr und schon relativ spät für einen potenziellen Gewittertag im Hochsommer. Schließlich zogen noch mehr Wolken auf, und der Wind wurde stärker. Die Wanderer fühlten sich nicht gefährdet und glaubten, ohnehin außerhalb der Gewitterzone unterwegs zu sein. Nach dem Gipfelrlebnis wollten sie dennoch rasch ins Tal. Nach wenigen Metern im Abstieg begann es mit Hagel und heftigem Regen. Herta L. und ihr Sohn hatten gehört, dass es unter dem Gipfel eine kleine Felsnische bzw. einen kleinen Felsüberhang gebe. So stiegen sie wieder die kurze Strecke auf, um dort Schutz zu suchen. Sie hockten sich unmittelbar nebeneinander auf den Boden und zogen sich die Rucksäcke über den Kopf, um etwas geschützt zu sein. Plötzlich schlug ein gewaltiger Blitz in den Gipfelbereich des Mirnock ein. Als Herta L. wieder zu sich kam, befand sie sich einige Meter abseits des aufgesuchten Platzes. Sie war durch die Wucht des Blitzes offenbar durch die Luft geschleudert worden und hatte einen Schock erlitten. Ihr Sohn lag noch am gleichen Platz, war jedoch rückwärts über den Felsen gebeugt und zeigte keine Lebenszeichen mehr. Die Frau schleppte sich zu ihm und überprüfte seine Vitalfunktionen. Der junge Mann hatte einen Herz-Kreislauf-Stillstand erlitten. Weder Puls noch Atmung waren feststellbar. Herta L. ist Operationsgehilfin und medizinisch bestens geschult. Sie begann sofort mit der Reani-
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Kleine Felsnische, bei der die beiden Verunfallten Schutz suchten. (Bild: Hanno Bilek)
mation. Schon nach kurzer Zeit mit ca. sieben bis acht Herzdruckmassagen kam der Sohn wieder zu Bewusstsein. Das schwere Gewitter war rasch vorüber, es schien nun wieder die Sonne. So überlegte die Frau zunächst, den Abstieg vom Gipfel des Mirnock selbstständig in Angriff zu nehmen. Ihr Sohn spürte aber seine Beine nicht mehr und konnte sich nicht bewegen. Über Mobiltelefon setzte die Frau einen Notruf ab. Schon nach wenigen Minuten traf der Rettungshubschrauber ein, der in Fresach stationiert ist. Sohn und Mutter wurden von der Besatzung erstversorgt, zum Landeskrankenhaus Villach geflogen und stationär aufgenommen. Die Kärntnerin blieb zwei Tage zur Beobachtung im Spital, ihr Sohn musste vier Tage betreut werden. Die Ärzte stellten bei beiden so genannte „Blitzmarken“ am gesamten Körper fest. Die Eintrittsstelle des Blitzes in den Körper war bei dem jungen Mann relativ groß. Herta L. und ihr Sohn überlebten den Unfall ohne bleibende Schäden.
Wunderbares Blitzfoto aus dem Defereggental im August 1993. „Es war Abenddämmerung und bis auf diese einzelne Gewitterwolke heiter. Die Wolke war stationär und das Schauspiel dauerte mehrere Minuten. Die Belichtung erfolgte damals noch auf KB-Dia.“ (Bild: Hansjörg Fiegl)
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Gipfelbereich des Mirnock in den Nockbergen. Knapp unterhalb des Gipfelkreuzes befindet sich die kleine Felsnische. (Bild: Hanno Bilek)
Wenn man aus Unfällen lernen will, sollte man auch Sichtweisen und Erfahrungen von Unfallopfern kennenlernen. Deshalb wollen wir in diesem Magazin auch Leute zu Wort kommen lassen, die in Bergnot geraten sind. Wir bedanken uns besonders bei Herta L., weil sie uns für dieses sehr offene Gespräch zur Verfügung stand.
interview zum blitzunfall
Bilek: Würden Sie sich als bergerfahren bezeichnen? Oder kennen Sie die Berge eher nur vom Tal aus? Sind Sie öfter im Gebirge unterwegs? Herta L.: Mein Sohn und ich sind auch öfter gemeinsam in den Bergen – zum Beispiel auf dem Hochstuhl-Klettersteig. Regelmäßig gehe ich auf meinen Hausberg, den Ulrichsberg – so zwei Mal die Woche. Der ist zwar nicht so hoch, dafür kenne ich ihn sehr gut. Seit dem Unfall auf dem Mirnock war ich auf keinem anderen Gipfel. Ausgenommen den Vierberg-Lauf (Anmerkung: Wallfahrt im Norden Klagenfurts), ihn habe ich sozusagen als Dankeschön an den Herrgott mitgemacht. Mein Sohn tastet sich auch erst langsam heran. Ich bin aber eher die Sportlichere. Ebner: Sie kommen aus Kärnten. Waren Sie als Einheimische zuvor schon einmal auf dem Mirnock? Herta L.: Wir redeten schon lange von dieser Tour. An diesem Tag kam mir gegen 11.00 Uhr am Vormittag der Gedanke zum Aufbruch. Normalerweise bin ich um diese Zeit vom Berg schon wieder zurück und sitze bei Kaffee oder Mittagessen. Ebner: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, für den Start zum Gasthof Bergfried zu fahren? Haben Sie die Tour geplant? Herta L.: Nein, wir waren mit Hilfe des NAVI unterwegs und sind zuerst zu weit gefahren und in Döbriach gelandet. Dort haben wir nach der Straße zum Ausgangspunkt gefragt und mussten wieder ein
Stück zurückfahren. Wir haben das Auto relativ weit unterhalb des Gasthofes abgestellt, weil wir zuvor eine falsche Abzweigung erwischt hatten. Von dort gingen wir zu Fuß los und haben beim Weggehen noch einen schönen Bergkristall gefunden. Dann sind wir relativ flott Richtung Gipfel aufgebrochen. Tourenplanung haben wir keine gemacht. Wir sind hier in Kärnten und dachten uns, warum sollten wir uns hier speziell informieren? Das war sicher ein Fehler. Bilek: Haben Sie im Vorfeld den Wetterbericht gehört oder gelesen? Herta L.: Nein, wir haben den Wetterbericht nicht bewusst studiert. Aber wir haben gesehen, dass sich über dem Millstätter See eine Wolke zusammen. Wir befanden uns schon beim Gipfelgrat, da haben wir eine Einheimische getroffen, die schon ins Tal unterwegs war. Sie hat sinngemäß gesagt: „Regnet es nicht, kommt nichts.“ Wir haben uns gedacht, Einheimische müssten das wissen, und sind weitergegangen. Wir haben dann bemerkt, dass das Gewitter parallel zu uns dahinzog. Wären wir umgekehrt, dann wären wir mitten in das Gewitter gekommen, deshalb sind wir weiter zum Gipfel gegangen. Wir dachten, das Gewitter würde Richtung Villach vorbeiziehen. Geregnet hat es noch nicht. Auf dem Gipfel habe ich meinen Sohn noch gefragt, ob das Kreuz aus Holz oder Eisen sei. Dann haben wir schnell den höchsten Punkt wieder verlassen. Plötzlich begann es zu hageln. So weit oben gibt es dort kaum einen Schutz. So haben wir uns einige Meter unterhalb bei einem Felsvorsprung zusammengekauert. Dort wollten wir das Gewitter abwarten. Die Jugend von heute würde
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Hans Ebner und Hanno Bilek haben das Interview geführt ...
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Panoramaaufnahme vom Gipfel des Mirnock. Im Vordergrund ist die Aufstiegsroute auf den Rücken sehr gut erkennbar. Beim See handelt es sich um den Millstätter See. (Bild: Hanno Bilek)
sagen, das sei „cool“ – Abenteuer pur sozusagen. Unsere Rucksäcke haben wir über die Köpfe gehalten, mein Sohn lehnte sich mit dem Rücken gegen den Felsen, ich selbst hatte keine Felsberührung. Plötzlich bin ich ungefähr vier Meter unter dem Felsvorsprung wieder zu mir gekommen. Wie lange es gedauert hat, bis ich wieder bei Bewusstsein war, das weiß ich nicht. Ich habe keine Erinnerung mehr. Mein Sohn lag quer über den Felsvorsprung, wie angeklebt lag er da. Ebner: Haben Sie vor dem Blitz etwas bewusst wahrgenommen? Herta L.: Nein. Da war nur der Hagel, und die Gewitterzelle selbst war aber meiner Einschätzung noch weit weg. Ich habe auf der gegenüberliegenden Talseite einen Blitz gesehen und dann gezählt, um die Entfernung abzuschätzen. So dachten wir, das Zentrum des Unwetters wäre noch weit weg. Ebner: Ihr Sohn hatte nach dem Blitzschlag offenbar einen Kreislaufstillstand. Wie haben Sie ihm geholfen? Herta L: Er hat sich nicht mehr bewegt, war nicht ansprechbar, die Pupillen sind immer weiter geworden. Er hat auch nicht mehr geatmet und hatte nach meiner Einschätzung einen Herz-Kreislauf-Stillstand. Ich war völlig auf mich allein gestellt. Es hat geschüttet, und ich habe dann mit der Beatmung begonnen, wollte seinen Oberkörper freimachen. Das ist mir nicht gelungen, meine Finger waren total steif. Ich habe dann – wie ich es gelernt habe – mit der Herzdruckmassage begonnen, nach sechs bis sieben Kompressionen ist das Herz wieder angesprungen. Mein Sohn war bald wieder bei Bewusstsein und konnte mit mir reden. Er wollte die Füße bewegen. Das war aber unmöglich. Ich holte mein Telefon aus dem Rucksack, wusste aber in dem Moment gar nicht, welche Nummer ich wählen sollte. Mein Sohn sagte: „Wähle einfach 122.“ Ich bin bei der Feuerwehr gelandet, habe kurz den Unfall geschildert. Von dort wurde
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dann der Rettungshubschrauber verständigt. Das Telefon war nass und ist nach dem Notruf ausgefallen. Als der Hubschrauber kam, war wieder schönstes Wetter, strahlend blauer Himmel, als wäre nie etwas geschehen. Mein Sohn wurde mit dem Tau geborgen, und wir wurden beide ins Landeskrankenhaus Villach eingeliefert. Ich war dort zwei Tage, mein Sohn vier Tage stationär in Behandlung. Wir hatten Blitzmarken auf dem ganzen Körper. Es sieht aus, als ob ein Netz über die Haut gelegt ist. Mein Sohn hatte mehr davon als ich. Alles hat penetrant nach Schwefel gestunken, auch noch im Krankenhaus. Bilek: Sie sind in Erster Hilfe ausgebildet. Das war sicher ein Vorteil in dieser Lage. Herta L: Ich bin Operationsgehilfin in der Augenabteilung des Landeskrankenhauses Klagenfurt. Ich habe eine Grundausbildung in Erster Hilfe, zusätzlich besuche ich regelmäßige Schulungen zur Auffrischung des Wissens. Es war aber meine erste praktische Anwendung – abgesehen von drei epileptischen Anfällen, wo ich als Ersthelferin dazugekommen bin. Bilek: Haben Sie mit Ihrem Sohn über den Unfall gesprochen? Wie hat er ihn erlebt? Herta L: Er hat gesagt, dass er von den Füßen aufwärts gespürt habe, wie langsam alles versagt, alles systematisch abschaltet im Körper. Er habe nur eines gedacht – das war es, hatte also mit dem Leben abgeschlossen. Das hat er bewusst miterlebt. Nach der Wiederbelebung war er wieder völlig orientiert, hat gewusst, wo er ist. Alles wieder da. Er war auch ruhiger als ich und hat mir noch Anweisungen gegeben, was ich tun soll. Ebner: In vielen Medien wurde über diesen Unfall ausführlich berichtet. Wie haben Sie das enorme öffentliche Interesse erlebt? Es gab ja auch riesige Schlagzeilen. Herta L: Gott sei Dank hat man uns im Krankenhaus abgeschirmt, ich wollte keine Interviews geben
die Montura Spezialisten
SPORT
SCHWAIGHOFER MOUNTAINS und mich nicht fotografieren lassen. Es waren neben österreichischen Fernsehleuten sogar Kamerateams aus Deutschland da. Vielleicht war es ein Thema für das so genannte Sommerloch, so erklärten wir uns halt den Andrang. Der Oberarzt hat die Journalisten betreut und eine Stellungnahme abgegeben. Für die ORF-TV-Sendung „Thema“ habe ich dann ein kurzes Interview gegeben. Zeitweise war ich schon ein bisschen grantig auf die Reporter. Nach der „Thema“Sendung hat sich die Lage dann wieder beruhigt. Ebner: Waren Sie danach noch einmal an der Unfallstelle? Herta L: Nein, bisher noch nicht: Mein Sohn leidet noch ein bisschen an den Unfallfolgen. Er hat öfter Kopfschmerzen. Ich werde da allein wieder hinaufgehen. Jetzt kenne ich ja den Weg. Ich werde mir das gerne noch einmal anschauen. Bilek: Wie gehen Sie heute – nach einem Jahr – mit der Situation um?
INNSBRUCK Grabenweg 64/SOHO A-6020 Innsbruck Tel.: +43 664 8339150 Fax.: +43 512 363287 info@mountains-innsbruck.at
BRIXLEGG Marktstraße 16 A-6230 Brixlegg Tel.: +43 5337 63495 Fax: +43 5337 62857 office@sport-schwaighofer.com
Herta L: Ich muss ehrlich sagen, dass ich das Ganze noch verdränge. Wenn ich anfange, darüber nachzudenken, dann sage ich mir, es ist alles gut gegangen, pass beim nächsten Mal besser auf! Körperlich fehlt mir gar nichts, ich laufe auch schon wieder meine Marathons, das ist kein Problem. Wo der Blitz bei meinem Sohn in den Körper eingetreten ist, diese Stelle ist inzwischen auch verheilt. Und mittlerweile habe ich erfahren, dass damals im Wetterbericht sehr wohl von regionalen Gewittern die Rede war. Es war ja schwül und drückend heiß. Gefühlsmäßig wusste man sicher, heute kommt etwas. Aber dass es gerade auf dem Mirnock passiert … wo wir unterwegs waren ... Ich habe mich auch schon gefragt, was passiert wäre, wenn ich meinen Sohn beim Abstieg nicht zurückgerufen hätte. Er ging 20 Meter vor mir. Vielleicht wäre gar nichts passiert, wenn wir einfach nur weitergegangen wären ins Tal. Solche Gedanken gehen durch den Kopf. Aber im Grunde bringt das nichts, weil man ohnehin zu keinem Ergebnis kommt.
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Mag. Dr. Arnold Studeregger
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Gerichtlich beeideter Sachverständiger für Alpinistik, alpinen Schilauf, Lawinenkunde und angewandte Geographie Mitarbeiter der ZAMG Steiermark Schwerpunkt: Lawinen
Mag. Hannes Rieder Mitarbeiter der ZAMG Steiermark Schwerpunkt Meteorologie – konvektive Wetterereignisse
analyse & hintergrund zum blitzunfall
In diesem Bericht wird der Blitzschlagunfall am Mirnock auf Basis des Interviews mit einer der am 08. August 2010 verunglückten Personen, des Unfallberichtes der Alpinpolizei und einer Wetterprognose der ZAMG analysiert. Es werden die Fehlerkette des Unfalls beschrieben und Hinweise zur Vermeidung von Bergunfällen bzw. zum richtigen Verhalten am Berg erläutert. Bergsteiger und Wanderer sollen für Naturgefahren am Berg sensibilisiert werden und sich auf jede Tour richtig vorbereiten lernen. Nicht zuletzt folgt eine ausführliche Darstellung über die Erstellung von Wetterprognosen, insbesondere über die Herausforderung, lokale Gewitter zu prognostizieren. Zehn Tipps für Nicht-Meteorologen zur Beurteilung des Wetters werden verständlich erklärt.
Fehlerkette des Unfalls und Richtlinien zur Vermeidung von Bergunfällen
Bei Bergunfällen (Lawinenunfällen, Abstürzen etc.) hat sich häufig eine ganze Reihe von Fehlern eingeschlichen, bevor es zum eigentlichen Unfall kommt. Diese Fehlerkette zeigt sich auch bei diesem Unfall durch Blitzschlag. Es beginnt mit einer fehlenden Tourenvorbereitung. An besagtem Unfalltag wurde ganz spontan und sehr spät für gewitteranfällige Monate beschlossen, einen noch unbekannten Berg zu besteigen. „… an dem Tag kam mir gegen 11.00 Uhr am Vormittag der Gedanke, dass wir heute [auf den Mirnock] gehen könnten … normalerweise bin ich um die Zeit vom Berg schon wieder zurück …“ Es gab weder Vorkenntnisse über den Berg, die Route etc. noch
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wurde der Wetterbericht eingeholt, die Karte vorab studiert und eine Zeitplanung gemacht. Die Wanderer äußerten: „Tourenplanung in dem Sinn haben wir keine gemacht – wir sind hier in Kärnten, wir dachten uns, also was sollen wir uns hier informieren.“ In diesem Fall haben sich die Wanderer deutlich selbst überschätzt und das ist nicht selten der Fall, sondern oft Teil einer Fehlerkette. Eine richtige Tourenplanung hätte den Unfall verhindert, denn es wäre deutlich geworden, dass der Start der Tour bei der vorhandenen Wetterlage viel zu spät gewesen ist. Besonders im Sommer ist meist ein früher Start notwendig, da am Nachmittag thermische Gewitter (abhängig von der Wetterlage) häufig sind. Bereits bei der Anreise gab es zweimal Schwierigkeiten, „[Wir] sind zuerst [falsch] gefahren und in Döbriach gelandet … Wir hatten das Auto relativ weit unterhalb des Gasthauses [Ausgangspunkt] abgestellt, weil wir zuvor [nochmals] eine falsche Abzweigung erwischt hatten.“ Dieser Aspekt scheint auf den ersten Blick irrelevant für die Unfallerklärung, deutet aber bereits auf erste Fehler und ihre Folgen hin, denn die Anreise wäre bei guter Vorbereitung sehr wahrscheinlich gut gelungen. Die Wanderer sahen bereits während des Anstieges die Wetterverschlechterung „Wir haben es ja gesehen, über dem Millstättersee hat sich eine Wolke zusammengebraut“ und „Es war dann auch schwül und drückend heiß, man hat gemerkt heute kommt was.“ Trotz dieser bewussten Wahrnehmung deutlicher Anzeichen für ein Gewitter entschließen sich die beiden Wanderer, weiter in Richtung Gipfel zu gehen und der Aussage einer
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Gipfel des Mirnock. Im Vordergrund erkennt man jene Nische, in der sich die Blitzopfer vor Wind und Wetter zu schützen versuchten. (Bild: Hanno Bilek)
Unbekannten „Regnet's nicht, kommt nichts“ mehr Gewicht beizumessen als der eigenen Wahrnehmung. Die konkrete Beschreibung des Wetters beim Gipfelanstieg, die Frage nach der Wettereinschätzung durch andere und die Frage, ob das Gipfelkreuz aus Holz oder Eisen sei, all dies weist auf ein Unruhegefühl hin. Anzeichen dieser Art werden häufig ignoriert. Oft wird das eigene oder das Gefühl eines Gruppenmitglieds zu wenig beachtet und nicht in die weitere Tourenentscheidung mit einbezogen. Informationen von „Einheimischen“ bzw. unbekannten Personen sind immer mit Vorsicht zu werten, schließlich weiß man nichts über deren (Berg-)Erfahrung und Kenntnisse. Zugbahnen von Gewittern sind nicht immer gleich. Es gibt möglicherweise eine Zugbahn, die den lokalen Bewohnern bekannt ist, aber Zugbahnen sind von der Wetterlage beeinflusst und deshalb sind pauschale Aussagen zu hinterfragen. Bergtouren verlangen immer nach Entscheidungen vor Ort. Auch bei bester Vorbereitung und Planung kann es notwendig sein, aufgrund von Wetterverschlechterungen, Anzeichen von Unruhe oder Problemen in der Gruppe oder im Tourenverlauf sowie bei Veränderungen der natürlichen Gegebenheiten etc. während der Tour den Plan ändern zu müssen. Als deutliche Fehlentscheidung kann in besagtem Fall das Weitergehen in Richtung Gipfel gewertet werden. „Wenn wir umgedreht hätten, wären wir mitten in das Gewitter gegangen, deshalb sind wir weiter Richtung Gipfel gegangen und hatten gedacht, das Gewitter werde Richtung Villach an uns vorbeiziehen.“ Der Blitz sucht sich immer den Weg des geringsten Widerstandes und daher ist es viel wahrscheinlicher, dass der Blitz im Gipfelbereich einschlägt als irgendwo sonst. Wenn man das weiß, wird deutlich, dass neben dem weiteren Aufstieg auch die Suche nach Schutz nahe des Gipfelkreuzes falsch war. Abzusteigen, das Gipfelkreuz so weit wie möglich hinter sich zu lassen und sich in eine Mulde in gehockter Position mit Rucksack, besser mit Biwaksack über dem Kopf
zu begeben, wäre richtig gewesen. Der Biwaksack war in besagtem Fall nicht mit dabei, sollte aber auf jeder Tour ein Teil der Ausrüstung sein, denn man weiß nie, was passiert. Trotz eigener Verletzungen durch den Blitzschlag gelang es der Wanderin, ihren Sohn wiederzubeleben und ihm das Leben zu retten: „Ich habe dann, wie gelernt, mit der Herzdruckmassage begonnen.“ Als OP-Gehilfin hat die Verunglückte sowohl eine Grundausbildung in Erster Hilfe als auch regelmäßiges Training darin. Man könnte sagen, sie hat diese Handlung verinnerlicht und ist jederzeit in der Lage, diese abzurufen. Die Notrufnummer benötigt sie beruflich im Akutkrankenhaus nicht, diese und weiteres richtiges Verhalten, z. B. Hilfe zu holen, war in der Ausnahmesituation nicht abrufbar. Das Handy war nur mehr für den Notruf verfügbar, es hätte aber ev. auch gar nicht mehr funktionieren können. Deshalb ist es so wichtig, Angehörigen vorab von der geplanten Tour und dem geplanten Rückkehrzeitpunkt zu berichten. Richtiges Verhalten am Berg inkl. Tourenplanung, Erster Hilfe etc. kann und sollte in Kursen gelernt, in regelmäßigen Abständen aufgefrischt und spielerisch trainiert werden. Auch in Lawinenkursen werden Unfälle inszeniert und das richtige Verhalten trainiert, denn es ist sehr einprägsam durch Erfahrung zu lernen. Nur durch die Übung gelingt es, in Notsituationen automatisiert und richtig zu reagieren. Um Unfälle überhaupt zu vermeiden, werden wie folgt Tipps zusammengefasst.
Die Tourenplanung sollte mindestens 1 Tag vor der Tour gemacht werden. Folgende Punkte gehören zu einer Tourenplanung: • Einholen der Wetterprognose und diese bei Zeitund Routenplanung zu berücksichtigen. • Bestimmung der Route mit der Karte: Es kann im Vorfeld schon berechnet werden, wie lange die Wanderung dauert, wie viele Höhenmeter zurück-
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An einem heißen Augusttag im Bereich Salzstiegel. Bereits um die Mittagszeit zeigten sich mehr oder weniger mächtige Haufenwolken. Die tiefe Wolkenbasis deutet auf bodennahe feuchte Luftmassen hin. Bis zum Abend entluden sich im Bereich des Steirischen Randgebirges einzelne kräftige Wärmegewitter. (Bild: Hannes Rieder)
Die am 25. Juni 2005 im Bereich des Gartnerkofels (Nassfeld) aufgenommene Quellwolke ist im oberen Bereich nach Nordosten geneigt. Dies lässt sich durch den starken Südwestwind in der Höhe erklären. Die fasrige Struktur der Wolke deutet auf eine eher schwache Dynamik hin. (Bild: Hannes Rieder)
gelegt werden und welche horizontalen Distanzen gewandert werden. Wer wandert mit? Ist die Wanderung für alle Beteiligten bzgl. Kondition, Schwierigkeitsgrad etc. geeignet?
etc.), kleineren Verletzungen und Materialschwierigkeiten während der Tour etc. gilt es Beachtung zu schenken, denn oft sind diese Anzeichen Teil einer Fehlerkette, die mit einem Unfall endet. Es braucht viel mehr die Grundhaltung, auch Touren abbrechen zu lernen, und das mit der Einstellung: Wir gehen ein anderes Mal auf diesen Gipfel, und heute passt es nicht. Besser, man kommt gesund zurück und kehrt noch gemütlich im Gasthaus ein. Im Sommer empfiehlt sich ein zeitiger Start beim Wandern und Bergsteigen. Am Nachmittag steigt im Allgemeinen die Gewittergefahr an. Wird man trotz bester Vorbereitung im freien Gelände von einem Gewitter überrascht, sollte man auf alle Fälle einzelne stehende Bäume oder Baumgruppen, Berggrate und Berggipfel, Waldränder mit hohen Bäumen sowie ungeschützte Aussichtstürme meiden. Schutz vor Blitzschlag findet man hingegen hockend mit geschlossenen Füßen in einer Mulde oder in einem dichten Wald. Der Alpinnotruf in Österreich ist die Nummer 140. Man gelangt in die nächstgelegene Rettungsleitstelle, die dann sofort die Rettungsmaßnahmen in die Wege leitet. Um die Rettungsaktion nicht unnötig zu verzögern, ist eine genaue Angabe über den Standort wichtig. Hat man keinen Empfang, einfach das Handy ausschalten und beim Wieder-Einschalten nicht wie üblich den Pin Code, sondern die Euro-Notruf 112 wählen. Das Handy sucht sich den nächstgelegenen Sender, welcher auch von einem fremden Anbieter sein kann. Hier gelangt man üblicherweise zur nächstgelegen Bezirkspolizeileitstelle.
• Zeitplanung: Dazu zählen die Gehzeiten, Erholungspausen und Zeit für Unvorhergesehenes. Die Gruppengröße und die Frage, wer mit dabei ist, spielen eine wichtige Rolle. Je kleiner die Gruppe und je erfahrener sowie konditionell stärker, desto weniger Zeit wird für die Tour benötigt. • Ausrüstungscheck: Zur Ausrüstung zählen neben Sonnenschutz und ausreichend Flüssigkeit immer warme Kleidung, Regenschutz, Karte und Kompass (GPS ist sicher auch von Vorteil) und die alpine Notausrüstung (Biwaksack, Erste-Hilfe-Box, Handy …). • Dritte vorab informieren: Am besten ist, wenn Freunde oder Angehörige, jedenfalls Menschen, die sicher einen Notruf tätigen, wenn man nicht zurückkehrt, über das Tourenziel und die geplante Route sowie die geplante Rückkehrzeit zu informiert sind. Es gilt, sensibler auf erste Anzeichen einer Fehlerkette zu reagieren. „Hapert“ es sozusagen schon von Beginn an, wie z. B. Anreiseschwierigkeiten, jemand hat Ausrüstungsgegenstände vergessen, ungeplante Zeitverzögerungen treten aus verschiedensten Gründen auf etc., dann sollte man mit Vorsicht damit umgehen. Auch den Gefühlen (Ängsten, Unwohlsein
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Blitzmarke der Haut im Detail. Die gefiederte Form ist klassisch und veranschaulicht, wie der Strom in der Haut geflossen ist. (Bild: Dr. Werner Beikircher)
Wetterprognosen im speziellen die Gewittervorhersage
bei den oben erwähnten Eingangsdaten. Messfehler bewirken demnach umso ungenauere Vorhersagen, je weiter man in die Zukunft blicken möchte. Allgemein unterscheidet man zwei Arten von Wettermodellen: „Globalmodelle“ beschreiben den Zustand der untersten Schicht der Atmosphäre für die gesamte Erdkugel. Die zeitliche und räumliche Auflösung (z. B. 25 Kilometer) der berechneten Wetterelemente sind grob. Für genauere Vorhersagen werden sogenannte „Lokalmodelle“ herangezogen. Sie werden lediglich für ein Gebiet (etwa Mitteleuropa) gerechnet und haben eine bessere räumliche und zeitliche Auflösung.
Gewitter – und hier im Speziellen lokale Wärmegewitter – sind selbst im 21. Jahrhundert eine Herausforderung für jeden Meteorologen. In Österreich muss man jährlich mit 1,8 Blitzen pro Quadratmeter rechnen. Die blitzreichsten Bundesländer sind dabei Kärnten sowie die Steiermark, wo im Mittel 2,3 Blitze pro Quadratmeter und Jahr anzutreffen sind. Die Schwierigkeit in der Prognose besteht darin, dass die oft Menschenleben bedrohenden Wetterphänomene kurzlebig und in ihrer Ausdehnung sehr kleinräumig sind. Immer noch stoßen Großrechner an ihre Grenzen, wenn es darum geht, kleinräumige Wetterprozesse wie Gewitter treffsicher vorherzusagen. Doch wie funktioniert eigentlich eine Wetterprognose? Basis jeder Prognose ist ein genaues Wissen über die aktuelle Wettersituation. Messdaten von zigtausenden Wetterstationen weltweit sowie Daten von Satelliten, Bojen, Schiffen und Radiosonden (das sind Messgeräte, die an einem Heliumballon befestigt sind und den vertikalen Temperatur-, Wind- und Feuchtezustand der unteren Atmosphäre messen) laufen in einem riesigen Rechenzentrum zusammen. Nach einer aufwändigen Prüfung werden die Daten in komplexe Formeln, die den zukünftigen Zustand der Atmosphäre beschreiben können, eingespielt. Leider gibt es für diese Gleichungen keine eindeutigen Lösungen, sondern nur Näherungen. Das heißt, eine exakte Vorhersage, bspw. der Temperatur, kann es nie geben. Zudem reagiert das System sehr sensibel auf Fehler
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Am 21. Juni 2008 entluden sich im Bereich der Koralpe am Nachmittag starke Gewitter. Wie das Bild von diesem Tag schön zeigt, treten Gewitter oftmals kleinräumig auf. Am Aufnahmeort schien die Sonne, nur wenige Kilometer nordwärts tobten hingegen schwere Unwetter mit golfballgroßen Hagelschloßen. (Bild: Hannes Rieder)
Können mit globalen Modellen Wetterprognosen bis zum Tag 10 berechnet werden, so liefern die lokalen Wettermodelle sinnvolle Vorhersagen ausschließlich für die nächsten 48 bis 72 Stunden. Nach einer gewissen Rechenzeit werden die fertigen Wetterprognosen visualisiert und dem Meteorologen zur Verfügung gestellt. Dieser hat nun die Aufgabe, diese Daten zu interpretieren, sie mit aktuellen Messwerten sowie mit anderen Wettermodellen zu vergleichen und das wahrscheinlichste Wetter abzuleiten. Dies macht er zu Beginn für die großräumige Wetterentwicklung, in einem weiteren Schritt für die lokalen Vorhersagen, etwa für ein Bundesland oder für eine Gebirgsregion. Dabei zeigt sich, je kurzfristiger die Vorhersage ist, desto höher ist die Trefferwahrscheinlichkeit und umso detaillierter kann man den Wettertrend abschätzen. Trotz Hightech-Computersystemen erreicht man erst in Kombination mit zusätzlichem Wissen des Meteorologen eine optimale Prognose.
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Bei Gewittern gelingt es heute bereits ein bis drei Tage im Voraus, zumindest das Gewitterrisiko für eine größere Region (zum Beispiel Bezirke oder Bergregionen) abschätzen zu können. Zeitangaben beschränken sich zunächst auf Aussagen wie „ab dem mittleren Nachmittag“ oder „erst in den Abendstunden“. Sehr präzise ist die Kurzfristvorhersage, also bspw. in der Prognose für die nächsten zwei Stunden. Mit Hilfsmitteln wie einem Niederschlagsradar, hoch aufgelösten Satellitendaten, einem engen automatisierten Stationsnetz sowie Modellen, die die Verlagerung von bereits vorhandenen Gewittertürmen berechnen, ist es möglich, die kurzfristige Entwicklung der Wettersituation zeitlich und räumlich sehr gut vorherzusagen. Etwaige Warnungen vor Schwergewittern werden immer exakter. wandern
Welche Möglichkeiten habe ich im Gelände, um das Gewitterpotenzial abzuschätzen? Die Gefahren, die durch Gewitter auftreten, sind vielschichtig. Die
Hauptgefährdung ist mit Abstand der Blitzschlag. Weiters macht sich ein heftiges Gewitter häufig mit Hagelschlag und stürmischen, oft auch orkanartigen Windböen bemerkbar. Gewitter können auf engstem Raum niedergehen, kleine Haufenwolken türmen sich in wenigen Minuten zu gigantischen 10.000 m hohen Quellwolken auf, um wenig später wieder zusammenzufallen. Gerade deshalb ist es wichtig, sich im Vorfeld einer Tour über die zu erwartende Wetterentwicklung zu informieren. Mit der Kenntnis der Großwetterlage und den eigenen Beobachtungen während der Tour kann unter Umständen ein aufziehendes Gewitter frühzeitig erkannt und rechtzeitig Schutz aufgesucht werden. Wie so oft gibt es aber leider keine absolut verlässliche Methode, den Beginn und die Dauer der Gewittergefährdung festzustellen.
Bernd Eberle Peter Mair • Mike Rutter Reinhold Scherer • Ralf Sussmann
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Training
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Ernährung
Kletterführer
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Vom Rätikon zum Wilden Kaiser
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Fachwissen mit Hand und Fuß
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gewitter erkennen 01
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02
Der Wasserdampf ist quasi das Dynamit eines Gewitters. Je wärmer es ist, desto mehr Wasserdampf befindet sich in der Luft und umso heftiger können sich Gewitter entwickeln.
Solange die Quellwolken flach und fransig sind, sind sie unbedenklich. Beachtung schenken sollte man hingegen Wolken, die eine größere vertikale als horizontale Ausdehnung haben und eine blumenkohlartige Struktur aufweisen.
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Die Hauptgewittersaison beginnt im Schnitt Mitte Mai und endet rasch mit Anfang September. Der gewitterreichste Monat ist der Juli, gefolgt von August und Juni.
Beobachtet man in unterschiedlicher Seehöhe verschiedene Windrichtungen oder -geschwindigkeiten (z. B. durch Beobachtung des Wolkenzuges), so ist dies an einem potenziellen Gewittertag ein Anzeichen für sehr starke Gewitter.
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Die meisten Blitzopfer gibt es nicht während des Gewitterniederschlages, sondern davor und danach. Blitze können aus der Wolke austreten und uns quasi „aus heiterem Himmel“ treffen.
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Die Erscheinungen Blitz und Donner treten zeitverzögert auf. Eine Faustregel besagt: Liegen zwischen Blitz- und Donnerschlag lediglich zehn Sekunden, so ist Gefahr im Verzug. Der Blitz ist im konkreten Fall nur mehr drei Kilometer entfernt.
Je höher sich die Wolkenbasis befindet (z. B. in 2.000 m Höhe), desto schwächer fallen die Schauer daraus aus.
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Starke Gewitter können entstehen, wenn die Quellwolkenbildung plötzlich abrupt stoppt. Die Wolke scheint an eine unsichtbare Wand zu drängen. Solche „Sperrschichten“ können jedoch wie ein überdehntes Gummiband plötzlich reißen, die aufgestaute Energie wird dann explosionsartig freigesetzt.
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Existieren bereits am Vormittag hohe Quellwolken (Cumulus-Wolken) oder findet man am Himmel zahlreiche unterschiedliche Wolkenformen (man spricht von einem chaotischen Himmel), so ist von einem hohen Gewitterpotenzial auszugehen.
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Im Bereich von Gipfelkreuzen kann ein seltenes, dafür aber eindeutiges Warnsignal für drohenden Blitzschlag beobachtet werden, das Elmsfeuer. Es macht sich durch sein charakteristisches Surren und eine elektrische Lichterscheinung bemerkbar.
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wandern
tipps
KLEINES FERNGLAS. GROSSE LEISTUNG DAS NEUE CL COMPANION 30. IMMER ZUM GREIFEN NAHE
Unvergessliches geschieht oft unverhofft. Die Natur hat ihre eigene Dynamik, seltene Begegnungen ihren eigenen Rhythmus. Damit Augenblicke und Wissen zu einer Gemeinsamkeit werden, bedarf es eines Fernglases, das nicht nur Ausrüstung ist, sondern Weggefährte. Dann ist das CL Companion stets zur Hand.
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32analyse:berg
PD Dr. Peter Paal Univ.-Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin Innsbruck; ICAR MEDCOM
wandern
medizin
zum blitzunfall
Jährlich werden weltweit ca. 250.000 Menschen von einem Blitz getroffen, 25.000 sterben. In den USA sterben 40-50 Menschen pro Jahr; in Europa wahrscheinlich gleich viele. Aufgrund der größeren Outdooraktivität ist das Blitzschlagrisiko der Landbevölkerung fünf- bis zehnmal grösser als das der Stadtbevölkerung. Prävention ist für Blitzunfall oberstes Gebot. Ein Blitz beinhaltet die gigantische Energiemenge von einem Terawatt, dauert aber nur 0.03 Millisekunden. Zum Vergleich: Die Menschheit verbraucht in der gleichen Zeit 16 Terawatt. Glücklicherweise streift ein Blitz einen Mensch häufig nur, d. h. Strom springt von der Umgebung, z. B. Baum, Fels oder Boden, über. Meist fließt der Strom oberflächlich über die Haut ab und führt zu den typischen 12-24 Stunden anhaltenden Blitzmarken. Seltener dringt der Strom in das Körperinnere ein, vor allem wenn gut stromleitendes Material am Körper getragen wird, z. B. Kletterkarabiner. In diesem Fall können schwere Verbrennungen an der Blitzein- und austrittsstelle in den Körper sowie kritische innere Verletzungen auftreten. In 80 % sind die inneren Verletzungen permanent. Besonders häufig sind Verlust von Muskelkraft und Gefühlswahrnehmung aufgrund irreversibler Nervenschäden. Weiters kann eine Explosionsverletzung auftreten, wenn der Blitz in der Nähe einschlägt. In diesem Fall sind Trommelfellverletzungen mit Hörschäden und stumpfe Verletzungen durch Stürze typisch (deshalb ist Selbstsicherung im Absturzgelände wichtig). Ein Blitzunfall ist potenziell tödlich, wenn ein Herzstillstand oder, als Spezialfall des Blitzunfalles, ein isolierter Atemstill-
stand eintreten. Ein Überleben ist in beiden Fällen nur möglich, wenn von Umstehenden sofort eine HerzLungen-Wiederbelebung durchgeführt wird. Diese muss kontinuierlich fortgesetzt werden, bis professionelle Hilfe die Wiederbelebung übernimmt. Bei einem isolierten Atemstillstand kann es notwendig sein, eine künstliche Beatmung über mehrere Stunden fortzusetzen, bis die eigene Atmung wieder einsetzt. Die Chance auf eine erfolgreiche Reanimation ist im Vergleich zu Fällen, bei denen der Herzstillstand auf andere Ursachen zurückzuführen ist, sehr gut. Gut durchgeführte Erste-Hilfe-Maßnahmen können bei Blitzunfällen entscheidend sein. Nach einem Blitzschlag kann man das Opfer sofort angreifen, da kein Strom im Körper gespeichert wird. Man sollte aber immer auf Eigenschutz, z. B. Gefahr durch weitere Blitze, achten.
Blitzmarke der Haut an der linken Brustkorb- und Bauchseite einer Person nach Blitzschlag. (Bild: Dr. Werner Beikircher)
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spezial
34analyse:berg
Mag.a Dr.in Monika Wallergraber
forschung Klimarelevante Tourismusforschung im BMWFJ
Der Klimawandel gehört zu den größten Herausforderungen unserer Zeit und betrifft alle Lebensbereiche. Das Wissen um die Auswirkungen der Klimaänderung und die möglichen Anpassungsmaßnahmen ist für eine weitsichtige, nachhaltige Tourismuspolitik unabdingbar. Die Sektion Tourismus und Historische Objekte im Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend hat sich daher in den vergangenen Jahren verstärkt mit diesem Thema auseinandergesetzt. So wurden im Rahmen des österreichischen Klimaforschungsprogramms StartClim und auch in anderen Studien aktuelle Fragestellungen aufgegriffen und bearbeitet, wie zum Beispiel: zu Klimawandel und Reiseverhalten, zur Klimasensitivität im Sommertourismus, zur Wahrnehmung und Abschätzung des Gefährdungspotenzials für Alpintouristen/-innen und Infrastruktur bedingt durch Gletscherrückgang und Permafrostveränderung in hochalpinen Tourismus-Destinationen, dargestellt an den zwei Beispielen Hintertux und Großglockner. (siehe nachfolgende Seiten).
NEU! Leporello „Wandern mit der Familie“
Um die Freude am Wandern mit der ganzen Familie – ob Jung oder Alt – zu propagieren und zu mehr Sicherheit am Berg beizutragen, hat das Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend gemeinsam mit dem Österreichischen Kuratorium für Alpine Sicherheit im Juni 2011 das Leporello „Wandern mit der Familie“ herausgegeben. In diesem Folder in Hosentaschenformat, der in großer Auflage an die entsprechenden Zielgruppen verteilt wird, finden sich Tipps zur Vorbereitung einer optimalen Wanderung, hilfreiche Informationen und wichtige Telefonnummern sowie eine Checkliste zur Tourenplanung mit Kindern.
Ausführliche Informationen zu StartClim finden Sie unter www.austroclim.at/startclim bzw. zu allen weiteren Tourismusstudien unter www.tourismus-studien.at. Die vom BMWFJ beauftragten Studien sowie das Leporello sind kostenlos bei der Tourismus-Servicestelle per E-Mail: tourism@bmwfj.gv.at oder per Telefon: +43(0)1 71100-5597 erhältlich.
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spezial
Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend Tourismus-Servicestelle
spezial
Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Gerhard Karl Lieb
Mag.a Katharina Kern
Karl-Franzens-Universität in Graz Institut für Geographie und Raumforschung
Karl-Franzens-Universität in Graz Institut für Geographie und Raumforschung
naturgefahren Nehmen Steinschlag und Felsstürze im Gebirge zu? Steinschlag gibt es, seit es Felswände gibt, in den Alpen also zumindest seit Millionen von Jahren. Ausschlaggebend für die Auslösung von Sturzprozessen (Steinschlag, Fels- und Bergstürze) sind vor allem geologische, topographische und klimatische Faktoren, wobei der Einfluss und das Zusammenwirken der einzelnen Faktoren je nach Größe des Ereignisses unterschiedlich und oft sehr schwer zu quantifizieren sind. Einer der wichtigsten Auslöser, z. B. von Steinschlag im Hochgebirge, ist die Frostsprengung: Dabei tritt Wasser aus der Atmosphäre in vorhandene Klüfte und Spalten des Gesteins ein und gefriert dort. Da sich Wasser beim Gefrieren um etwa 10 Volumsprozent ausdehnt, kann es so starken Druck auf das angrenzende Gestein ausüben, dass es zerbricht (Frostsprengung). Dies ist besonders dann der Fall, wenn die Temperatur häufig um den Gefrierpunkt schwankt (Frostwechsel). Das Ergebnis mehrmaliger Frostsprengung sind lockere Gesteinstrümmer, die man landläufig Schutt nennt. Liegt der Schutt in steilen Felswänden, so kann er aus diesen stürzen (Steinschlag) und sich an deren Fuß in Form von Schutthalden oder -kegeln anhäufen. Steinschlag kommt in Felswänden sehr häufig vor, die abstürzenden Gesteinsmassen sind meist aber gering. Man spricht daher von hoher Frequenz, aber geringer Magnitude. Ereignisse von wesentlich gerin-
36analyse:berg
gerer Frequenz, aber größerer Magnitude nennt man Felsstürze. Besonders seltene Ereignisse, bei denen Volumina von mehr als 1 Million m3 abstürzen – das sind schon ganze Teile von Bergflanken oder Graten – werden Bergstürze genannt.
Von Naturprozessen zu Naturgefahren
Bei den beschriebenen Vorgängen handelt es sich um natürliche Prozesse, die überall dort vorkommen können, wo es Steilgelände mit Felswänden gibt. Diese an sich ganz „normalen“ Prozesse können aber, wenn sie Personen oder Infrastruktur (Gebäude, Wege …) betreffen, schnell zur Naturgefahr werden. Im Laufe der letzten etwa eineinhalb Jahrhunderte wurden verschiedenste Maßnahmen entwickelt, um Häuser, Straßen, Bahnlinien und andere öffentliche Anlagen zu schützen – z. B. Schutzmauern, Steinschlagnetze oder Spritzbetonversiegelungen. Im hochalpinen Gelände sind solche Vorkehrungen allerdings, mit Ausnahme von wenigen Einzelstellen, sowohl aus Kosten- als auch aus Umweltschutzgründen nicht möglich. Zu den Kompetenzen von Bergsteigerinnen und Bergsteigern gehört daher auch der eigenverantwortliche Umgang mit diesen Gefahren (z. B. bestimmte Routen zu meiden oder einen Steinschlaghelm zu tragen), wobei ein beträchtliches Restrisiko leider nie auszuschließen ist.
Nehmen die Naturgefahren zu?
Da die wichtigste Grundlage für Steinschlag und Felsstürze der Frostwechsel ist und dieser ein vom Klima gesteuertes Phänomen darstellt, muss eine Veränderung von Frequenz und Magnitude von
Der Gletscherschwund ist als Klimawandel-Folge, die das Erscheinungsbild des Hochgebirges massiv umgestaltet, hinlänglich bekannt und in allen Gletschergebieten auch durch unmittelbare Anschauung eindrucksvoll erkennbar. Im Gegensatz dazu handelt es sich bei Permafrost um ein meist unsichtbares Phänomen. Von Permafrost spricht man dann, wenn die Temperaturen im Boden zumindest ab einer bestimmten Tiefe (oft 1-3 m) auch den Sommer über unter 0° C bleiben. Wasser im Untergrund bleibt in solchen Umgebungen das ganze Jahr über gefroren und hält das Gestein wie Zement zusammen. Schmilzt dieses Eis, kommt es logischerweise zur Lockerung des Gesteins und bei geeignetem Gelände zu Sturz- oder ähnlichen Prozessen. Mehrere Studien, u. a. in der Montblanc-Gruppe (Frankreich/Italien), haben einen klaren Zusammenhang zwischen dem Abschmelzen von Permafrost-Eis und zunehmender Häufigkeit von Felsstürzen, besonders in warmen Witterungsperioden, ergeben.
Fallstudie Großglockner-Pasterze
Im Rahmen eines vom Bundesministerium für Wirt-
schaft, Familie und Jugend geförderten StartClimProjektes wurden 2010 die zuvor beschriebenen Naturprozesse für das Gebiet um den Großglockner flächenhaft durch Modellierungen erfasst. Mit Hilfe der Modellierungsergebnisse war es möglich, die potenzielle Gefährdung von hochalpinen Wegen und Routen abzuschätzen – mit dem Ergebnis, dass 27,1 % des Wege- und Routennetzes im untersuchten Gebiet in der höchsten Gefährdungsklasse liegen. Um die zukünftige Entwicklung abzuschätzen, wurde die Modellierung mit einem gemäßigten Klima-Szenario für das Jahr 2030 wiederholt. Die Ergebnisse zeigten, dass sich die Gefährdung der Wege und Routen zwar nicht dramatisch, aber doch deutlich auf 29,7 % in der höchsten Gefährdungsklasse erhöhen könnte. Es kann somit kein Zweifel daran bestehen, dass sich zumindest in den extremen Hochgebirgslagen Österreichs die möglichen Naturgefahren erhöhen werden. Dies wiegt umso schwerer, als sich tendenziell immer mehr Personen im Hochgebirge aufhalten und sich somit zunehmend auch Haftungsfragen in Bezug auf Unfälle ergeben. In diesem Forschungsprojekt wurde daher auch die Frage des Umgangs mit alpinen Naturgefahren durch lokale und regionale Fachleute (z. B. Bergführer, Vertreterinnen und Vertreter alpiner Vereine und des Nationalparks Hohe Tauern) erörtert. In Übereinstimmung mit anderen, ähnlichen Untersuchungen kam die Projektgruppe zum Ergebnis, dass es bei allen Beteiligten bereits ein hohes Bewusstsein für das veränderte Risiko gibt. Nun gilt es, die Prozesse auch in Zukunft genau zu beobachten und vorhandene Strategien und Maßnahmen zur Gefahrenreduktion zu verbessern und umzusetzen – denn auf den Klimawandel muss man nicht warten, er ist schon lange in Gang!
spezial
Sturzprozessen auf Grund des herrschenden Klimawandels erwartet werden. Dabei ist in tieferen Lagen eher damit zu rechnen, dass mit dem Anstieg der Temperaturen Frost und somit Frostwechsel seltener werden. In den Hochlagen hingegen könnten sich die Zeitperioden, in denen die Temperaturen durchgehend unter 0° C liegen, verkürzen und sich somit die Zahl der Frostwechsel erhöhen. Nach derzeitigem Forschungsstand sind im Hochgebirge oberhalb von etwa 2.000-2.500 m in diesem Zusammenhang jedoch zwei andere Aspekte wesentlich bedeutender: Es sind dies der Rückgang der Gletscher und das Schwinden des Permafrosts. Beide Vorgänge stellen Lockermaterial bereit, das abstürzen oder von anderen Verlagerungsprozessen von Gestein (z. B. Muren) mitgerissen werden kann.
Die Studie ist kostenlos beim BMWFJ, TourismusServicestelle per E-Mail: tourism@bmwfj.gv.at oder per Telefon: +43(0)1 71100-5597 erhältlich.
Vulnerabilitätskarte 2010 für das Projekt GroßglocknerPasterze
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Felsstürze als potenzielle Naturgefahr – ein kleines Ereignis am 1. August 2009 oberhalb des Dösener Blockgletschers, Hohe Tauern (Bild: T. Marke)
Gletscherrückgang am Beispiel der Pasterze (Bild: Gerhard Lieb)
tourismus Univ.-Prof.in Dipl.-Ing.in Dr.in Ulrike Pröbstl Universität für Bodenkultur Wien Institut für Landschaftsentwicklung, Erholungs- und Naturschutzplanung
Kann die Zunahme von Steinschlag den Tourismus im Berggebiet beeinflussen? Aufmerksame Bergtouristen haben die Anzeichen längst erkannt: Gletscherschwund, eine Zunahme von Hanginstabilitäten und Muren sind erste Anzeichen für die Folgen des Klimawandels in den alpinen Hochlagen. Als Folge dieser Entwicklungen können zukünftig die Bergsportler und Touristen einem erhöhten Risiko in der Bergen ausgesetzt sein. Der nachfolgende Beitrag fasst die Ergebnisse einer Online-Befragung zum Bergtourismus zusammen, die im Rahmen eines vom Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend geförderten StartClim-Projektes 2008 in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen und Deutschen Alpenverein durchgeführt wurde. Nachstehend werden einige der wichtigsten Ergebnisse vorgestellt.
38analyse:berg
Bemerken die Bergsportler den Klimawandel?
Diese Frage muss man nach unseren Ergebnissen mit einem klaren „Ja“ beantworten. 87 % der Befragten sind der Auffassung, dass erste Zeichen des Klimawandels bereits festzustellen sind. Damit sind die Bergtouristen sensibler als Skifahrer und Langläufer, denen dieselbe Frage gestellt wurde (jeweils 70 %).
Wie gut werden alpine Gefahren erkannt?
Insgesamt lassen sich drei verschiedene Typen von Bergtouristen unterscheiden. Die größte Gruppe (49 %) legt bei der Bergwanderung besonderen Wert auf den Ausblick, intakte Wege und eine attraktive Landschaft. Sie ist bereit für die Erhaltung dieser Qualität auch einen kleinen finanziellen Beitrag, z. B.
spezial
Mittlerer Burgstall nach einem Felssturzereignis 2007 (Bild: Katharina Kern)
als Parkplatzgebühr, zu leisten. Im Hinblick auf die Beurteilung alpiner Risiken ist diese Gruppe eher unsicher. Sollten Probleme mit Steinschlag und Personenschäden bekannt werden, werden sie ihr Ausflugsziel ändern. Die zweite Gruppe (39 %) kann als an der Bergwelt besonders interessiert beschrieben werden. Sie sind vertraut mit alpinen Gefahren und bleiben den Bergen auch bei zukünftig ungünstigeren Bedingungen, z. B. zunehmendem Steinschlag, weitgehend „treu“. Wie die vorherige Gruppe sind auch sie bereit, für ein sicheres Bergerlebnis einen finanziellen Beitrag zu leisten. Die dritte Gruppe (12 %) ist auf ein möglichst natürliches Umfeld bei der Bergtour ausgerichtet. Natürliche Landschaftsveränderungen, wie Rutschungen oder Muren, werden in hohem Maße toleriert. Im Hinblick auf Steinschlag fällt ebenfalls ein hohes Risikobewusstsein auf. Sie bleiben den Bergen auch unter sich ändernden Rahmenbedingungen treu, möchten aber keinen finanziellen Beitrag leisten.
Wer soll Sicherheitsmaßnahmen bezahlen?
Es gibt bereits viele Vorschläge, um die Sicherheit in den Bergen zu verbessern. Die Befragungsergebnisse zeigen, dass die Maßnahmen, die mit der Herstellung von Risikokarten zu tun haben, primär als Aufgabe des Landes und des Bundes gesehen werden, nachrangig als Aufgabe der Tourismuswirtschaft. Dagegen werden Markierungen, Hinweisschilder, Führungen und Schulungen von der Mehrheit als Aufgabe der alpinen Vereine angesehen. Bei Wartung, Schutzmaßnahmen und Markierung sehen immerhin ein Viertel der Befragten auch die Gemeinden in der Pflicht.
Die teuren Maßnahmen, wie die bautechnische Sanierung von Wegen, werden den Ländern (32 %), den Gemeinden (22 %), der Tourismuswirtschaft (21 %) und der Republik (18 %) zugeordnet.
… und was sollte der Bergsportler und Bergtourist tun?
Die sorgfältige Planung einer Tour wird als wichtigste eigene Maßnahme angesehen (96 %). Ebenso geeignet erscheint ein angepasstes Verhalten (93 %) – z. B. ein früherer Aufbruch, um erhöhtem Steinschlag im Laufe des Tages auszuweichen. Zur Vorbereitung gehört auch geeignetes, aktuelles Kartenmaterial (79 %). Auch die Kommunikation mit Hüttenwirten oder entgegenkommenden Wanderern wird von Vielen als wichtig erachtet (76 %). Nur die Hälfte erachtet den Gebrauch eines Helms als sinnvoll (57 %) oder verlässt sich auf das Handy (ca. 53 %).
Insgesamt zeigt sich,
dass auch unter den Mitgliedern alpiner Vereine ein sehr hoher Anteil im Hinblick auf zukünftig zunehmende Risiken wie Steinschlag unsicher reagiert. Das bedeutet, dass bei einem Fortschreiten des Klimawandels und seiner Folgen viel Aufklärung zu leisten sein wird. Die Studie ist kostenlos beim BMWFJ, TourismusServicestelle per E-Mail: tourism@bmwfj.gv.at oder per Telefon: +43(0)1 71100-5597 erhältlich.
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klettern
40analyse:berg
Der Klettersport findet immer mehr Anhänger. In allen Bundesländern entstehen neue Kletterhallen, bevorzugt im urbanen Raum. Ebenso werden jährlich neue Klettersteige gebaut, meist in Regionen mit hoher touristischer Aktivität werden die Zustiegszeiten zu den Klettersteigen minimiert, um die Begehungszahlen zu maximieren. Auch der Sportkletterer wird vermehrt mit verbesserter Infrastruktur angelockt.
klettern
statistik Klettersteigen. Unfälle mit Todesfolge werden sehr gut und ausführlich erfasst, nicht umfassend hingegen kann die Statistik bezüglich Notfällen auf Klettersteigen betrachtet werden. Da vielfach keine Verletzten zu beklagen sind, werden nicht immer umfassende Ermittlungen durchgeführt bzw. wird die Notlage in vielen Fällen der Alpinpolizei nicht gemeldet. In den letzten vier Jahren ereigneten sich jährlich zwischen 200 und 225 Unfälle. Diesbezüglich ist keine Veränderung zu beobachten. Mit zwölf Personen verunglückten unterdurchschnittlich wenige Kletterer im vergangenen Jahr tödlich. In Berichtsperioden zuvor waren es 14 (08/09), 21 (07/08), 18 (06/07) und zwölf in der Saison 2005/06.
Wenngleich sowohl aktuelle als auch vergangene Begehungszahlen im Kletterbereich fehlen, gehen sowohl alpine Institutionen als auch Tourismusindustrie von stark wachsenden Zahlen im Bereich von Klettersportlern aus. Die Unfalldisziplin Klettern umfasst alle Unfälle beim Alpinklettern und Sportklettern sowie Unfälle auf
Verunfallte beim Klettern 11/2009-10/2010 Österreichweit gesamt:
3 15
12 Tote 154 Verletzte 338 Verunfallte
39
0 30 43 0 18 34
6 46 137
3
0
28
11 18
0
55
6 12
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klettern
Altersverteilung der Verunfallten beim Klettern
Verunfallte beim Klettern nach Unterdisziplin
Über 70 % der verunfallten Kletterer war zwischen 20 und 50 Jahre alt. Die am häufigsten betroffene Altersgruppe war die Gruppe der 21- bis 30-Jährigen. Obwohl die Altersverteilung der Kletterinnen und Kletterer unbekannt ist, kann davon ausgegangen werden, dass es sich dabei auch um jene Altersgruppe handelt, die am häufigsten auf Kletterrouten, in Klettergärten, auf Klettersteigen oder beim Bouldern anzutreffen ist. Bei rund 10 % der Verunfallten handelte es sich um Teenager sowie um Personen zwischen 51 und 60 Jahren. Kaum betroffen waren Kinder. Von den 338 verunfallten Personen ist bei 336 Personen das Alter bekannt. Insgesamt verunfallten 260 Männer (76,9 %) und 78 Frauen (23,1 %).
Beim Alpinklettern gibt es wie alle Jahre die meisten Verletzten. Jährlich beträgt der Anteil der verunfallten Kletterinnen und Kletterer dieser Unterdisziplin zwischen 40 und 50 %. Vor drei Jahren waren noch knapp 30 % der Verunfallten Sportkletterinnen bzw. Sportkletterer. Dieser Anteil sank unter 20 %. Deutlich gestiegen ist der Anteil der verunfallten „Klettersteigler“. Dieser betrug vor drei Jahren noch 22,2 %, in dieser Berichtsperiode handelte es sich bereits bei jedem dritten Verunfallten um eine Person auf einem Klettersteig. 0,6 % 4,4 %
Jahre 71-80
5
43,2 %
61-70
32,8 %
15
51-60
36 71
41-50
18,9 % 31-40
74
21-30
96
11-20
Alpinklettern Sportklettern
35
Klettersteige
4
1-10 0
Bouldern 20
40
60 Verunfallte
42analyse:berg
80
100 n = 336
Sonstiges n = 338
Tödliche Klettersteigunfälle
Im Zeitraum von 1. November 2005 bis 31. Juli 2011 verunglückten in Österreich 32 Personen auf Klettersteigen tödlich. Im Mittel bedeutet dies 5-6 Personen pro Jahr.
Wichtiger Hinweis:
klettern
Mit einer Stichprobenanzahl von 32 sind die folgenden Aussagen kritisch zu betrachten!
Tödliche Klettersteigunfälle / Unfallursachen
Tödliche Klettersteigunfälle / Altersverteilung
Die häufigste Ursache für einen Absturz mit Todesfolge ist eine fehlende Sicherung. Entweder waren die Verunfallten ohne Ausrüstung unterwegs oder sie verwendeten diese nicht. In einigen Fällen ereignete sich der Unfall dann in einer leichteren Passage des Klettersteiges. Darunter fällt auch der in diesem Kapitel beschriebene Unfall.
Kein Kind und kein Teenager ist in den vergangenen fünfeinhalb Jahren auf einem Klettersteig in Österreich tödlich verunglückt.
Zweithäufigste Ursache war eine fehlerhafte Sicherung. Dazu zählen beispielsweise ein nicht korrekt zurückgefädelter Gurt oder ein fehlerhafter Seilring. Drei Personen verunglückten beim Abstieg in exponiertem Gelände. Bei „alpinen“ Klettersteigen verstiegen sich zwei Personen und stürzten dann ab. Bei "Andere Ursache" handelte es sich um einzelne Fälle. Beispielsweise hängte sich eine Person aus dem Stahlseil aus, um zu fotografieren, und stürzte dann ab. Tote
15,6 % der Alpintoten auf Klettersteigen waren zwischen 21 und 40 Jahre alt. Besonders jene Altersklasse, die aufgrund anderer Studien als besonders risikobereit gilt, ist bei tödlichen Unfällen auf Klettersteigen kaum betroffen. Vermutlich sind Personen dieser Altersklasse jedoch nicht als typische Klettersteigbegeherinnen oder -begeher zu betrachten. Knapp 85 % der Alpintoten auf Klettersteigen waren über 40 Jahre alt.
Jahre 71-80
12 12
3
61-70
7
10 51-60 8
8
41-50 7
6 6
9
31- 40
4
21-30
4
11-20
3
2
1
2
2
Unfallursache
andere Ursache
Verirren
interner Notfall
Absturz beim Abstieg
Sicherung fehlerhaft
fehlende Sicherung
1-10 0
n = 32
0
2
4
6
8
10
Tote
n = 32
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Tödlich verunfallten auf einem Klettersteig vorwiegend ...
klettern
... Männer im mittleren Alter ab 40, meist Österreicher und nicht Touristen, ohne Ausrüstung unterwegs oder nicht ordentlich gesichert. Vielfach ereignen sich diese Unfälle in leichteren Passagen.
Tödliche Klettersteigunfälle / Geschlechterverteilung Im Straßenverkehr sind Männer risikofreudiger als Frauen. Ähnlich dürften sich Männer auf Klettersteigen verhalten. Die überwiegende Mehrheit der tödlich verunfallten Personen war männlich.
Herkunft 23
A
D
4
HU
18,7 % Frauen
81,3 % Männer
2
GB
1
I
1
CZ
1
0
5
10
15 Tote
n = 32
Tödliche Klettersteigunfälle / Herkunft 71,8 % der Alpintoten auf Klettersteigen waren Österreicher. Obwohl es sich bei Klettersteigen um eine touristische Infrastruktur handelt und die Zielgruppe primär Urlauber sind, verunglückten zum Großteil die Einheimischen tödlich.
Vergleich zu allen Klettersteigunfällen Klettersteigunfälle sind häufig keine Unfälle im engeren Sinn, denn häufig gibt es glücklicherweise keine Verletzten. Häufigste Ursache ist „Blockieren“. In vielen Fällen können die Kletterer nicht mehr weitersteigen und müssen geborgen werden. Ihnen fehlt schlichtweg die Kraft. Dies ist jedoch in vielen Fällen wesentlich besser, als trotz fehlender Kraft weiterzu-
44analyse:berg
20
25 n = 32
gehen und es in einer Verletzung enden zu lassen. „Der Verletzte stürzte aufgund von Erschöpfung ins Klettersteigset und konnte selbst nicht weitersteigen.“ Häufig liest man kurze Unfallbeschreibungen dieser Art. Der Frauenanteil ist mit 34,5 % knapp doppelt so hoch wie bei den tödlichen Ereignissen. Diese Zahl ist vermutlich auch jener der spezifischen Begehungszahlen auf Klettersteigen ähnlich. Detaillierte Informationen dazu fehlen jedoch. Mit 51,9 % aller verunfallten Personen auf Klettersteigen kommt die Mehrzahl nicht aus Österreich, sondern es handelt sich um Touristen. In den fünfeinhalb vergangenen Jahren sind 522 Personen in Österreich auf Klettersteigen verunfallt.
presented by
sommer 2011
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klettern
seilschaftsabsturz Am 14. Oktober 2010 ereignete sich ein Kletterunfall auf der Waidringer Steinplatte. Zwei Personen planten, die Route „Pfeilerweg“ zu klettern. Sie kamen von der Route ab und ein Sturz mit voller Wucht in den Standplatz führte zum Absturz der gesamten Seilschaft.
Martin Hautz beschreibt den Unfallhergang und die Ermittlungstätigkeit der Alpinpolizei in Form eines Unfallberichtes.
Walter Würtl analysiert den Unfall.
DEUTSCHLAND 14. Oktober 2010 ca. 11.20 Uhr Waidringer Steinplatte, Pfeilerweg 1.765 m Gemeinde Waidring / Tirol 2 Personen tot 1 Notarzthubschrauber, Bergrettung Waidring und St. Johann und Alpinpolizei
TIROL SALZBURG
46analyse:berg
facts
Abteilungsinspektor Martin Hautz Leiter Alpine Einsatzgruppe Kitzbühel Polizei-Bergführer, Staatlich geprüfter Berg- und Schiführer, Diplomskilehrer Flight-Operator bei den Hubschraubern des Bundesministeriums für Inneres
klettern
bericht
eines seilschaftsabsturzes
Am 14. Oktober 2010, um 13.39 Uhr, meldete ein Wanderer telefonisch über Notruf der Bezirksleitstelle der Polizei Kitzbühel (BLS) einen Kletterunfall auf der Waidringer Steinplatte. Er habe soeben zwei Kletterer im Bereich des Zettensteiges (Wanderweg entlang des Wandfußes der Waidringer Steinplatte) leblos aufgefunden. Die Personen würden schwere Verletzungen aufweisen und seien nicht ansprechbar. Der Anruf wurde sofort an die Leitstelle Tirol weitergeleitet. Diese verständigte Bergrettung und Notarzthubschrauber. Parallel fuhren der Alpinjournaldienst und der Leiter der Alpinen Einsatzgruppe Kitzbühel sofort zum Unfallort und führten die notwendigen Erhebungen. Aufgrund des Nebels konnte weder der Notarzthubschrauber noch der Polizeihubschrauber zum Unfallort fliegen, die Bergretter der Ortsstelle Waidring mussten wie alle andere Einsatzkräfte zu Fuß anrücken. Die Verunfallten wollten offensichtlich die Klettertour „Pfeilerweg“ im Schwierigkeitsgrad IV+ begehen. Im Rucksack führten sie einen Kletterführer der Waidringer Steinplatte mit sich, in welchem das Topo dieser Route in die erste Seite eingelegt war. Der „Pfeilerweg“ ist eine viel begangene Tour. Alle Standplätze sind – bis auf den ersten Stand - mit Klebehaken ausgestattet, geschlagene Haken sind als Zwischensicherungen vorhanden. Ein Zivil- und Heeresbergführer fuhr mit seiner Begleitung – eine Bergrettungsfrau in Ausbildung – am Morgen des 14. Oktober 2010 nach Waidring auf die Steinplatte, um dort gemeinsam die geplante Route
„Pfeilerweg“ zu klettern. Beim Einstieg deponierten die beiden Kletterer einen Rucksack mit ihren Wanderschuhen, eine Jacke sowie ein Paar Wanderstöcke. Der Unfall dürfte sich im Laufe des Vormittages ereignet haben. Bei den Erhebungen an der Unfallörtlichkeit fanden die ermittelnden Beamten die Armbanduhr der Klettererin. Die Zeiger der Uhr waren um 11.20 Uhr stehen geblieben. Aufgrund dessen kann angenommen werden, dass sich der Absturz gegen 11.20 Uhr ereignete. Knapp zweieinhalb Stunden später fand der Wanderer die beiden Abgestürzten auf der Waidringer Steinplatte im Nahbereich der Kletterroute „Pfeilerweg“. Die Absturzstelle befindet sich auf einer Seehöhe von ca. 1.765 Metern, ca. 100 Meter westlich des zweiten Standplatzes der Route „Pfeilerweg“. Aufgrund der durchgeführten Erhebungen (Verteilung der Ausrüstung, Sicherungsgerät des Verunfallten hing an der Materialschlaufe seines Klettergurtes) nehmen die ermittelnden Beamten folgenden Ablauf an: Der Bergführer kletterte als Seilerster voraus, die Bergrettungsfrau kletterte im Nachstieg. Am ersten Standplatz ist ein alter geschlagener Ringhaken mittels einer alten Reepschnur mit zwei Sanduhren verbunden. Danach führt die Originalroute nach rechts in eine markante Verschneidung. Die Seilschaft kam jedoch aus unbekannter Ursache nach links von der Route ab und kletterte über steiles Schrofengelände und anschließendem leicht ausgeprägten Pfeiler
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Absturzstelle
1. Standplatz Originalführe Pfeilerweg Einstieg
klettern
Kletterstrecke der verunfallten Seilschaft
Übersichtsfoto Waidringer Steinplatte (Bild: Martin Hautz, Alpinpolizei Tirol)
hoch. Ca. 50 Meter oberhalb des ersten Standes dürften die beiden ihren Standplatz an einer ca. sechs Zentimeter starken Latschenkiefer aufgebaut haben. Was sich dann genau abspielte, ist nicht mit Sicherheit rekonstruierbar, jedoch sind folgende zwei Varianten möglich: Der Vorsteiger ist vom Stand ca. drei Meter nach links und vier Meter nach oben geklettert und stürzte dort durch einen Felsausbruch ab (Ausbruch ca. 20 x 20 cm). Naheliegender erscheint jedoch die zweite Variante: Vom Stand kletterte der Vorsteiger in gerader Linie nach oben. Dabei handelt es sich um eine Stelle im oberen fünften Schwierigkeitsgrad, welche kleingriffig und nahezu senkrecht ist sowie kaum Trittmöglichkeiten bietet. Nach ca. vier bis fünf Metern bietet sich ein kleiner, aber sehr ausgeprägter Felszacken als Zwischensicherung an. Jeder erfahrene Alpinkletterer würde diesen als Zwischensicherung verwenden. Da an dem Zacken jedoch keine Sicherungsschlinge angebracht war, wird vermutet, dass der Vorsteiger vor dieser Sicherungsmöglichkeit abstürzte und somit direkt in den Stand (Latsche) stürzte. Auf die geringe Sturzhöhe deutet auch der Umstand hin, dass keine Verbrennungsmerkmale an den Handinnenflächen der Sichernden festzustellen waren. Der Sturzruck brachte die Latsche des Standes zum völligen Ausriss, weshalb beide Kletterer ca. 33 Meter über senkrechtes Gelände abstürzten und auf einem Graspolster aufschlugen. Anschließend stürzten die beiden Kletterer noch weitere ca. 60 Meter talwärts,
48analyse:berg
bevor sie in einer Entfernung von ca. 3,30 Metern voneinander zum Liegen kamen. Die Absturzlinie befindet sich genau in der Falllinie zur ersten Aufschlagstelle und in weiterer Folge genau in Richtung der Endlage, weshalb angenommen wird, dass die zweite Variante eher die wahrscheinliche Unfallsituation ist. Alpinpolizisten fanden am Unfallort folgende Situation vor: Die Unfallstelle befindet sich auf der Waidringer Steinplatte, oberhalb des Zustiegsweges zum Klettersteig „Schustergangl“, ca. 100 Meter westlich des zweiten Standplatzes der Kletterroute „Pfeilerweg“. Dort konnte bei den durchgeführten Erhebungen festgestellt werden, dass eine Latsche mit geringem Wurzelwerk ausgerissen wurde. Der Stamm der Latsche war ca. daumendick. In unmittelbarer Umgebung war ein ca. 50 cm langer Felsausbruch zu sehen, welcher etwas „erdig“ war. Alles deutet auf einen Ausbruch der Latsche hin. Ansonsten konnten keine Felsausbruchspuren, abgerissene Latschen oder Ähnliches festgestellt werden. Oberhalb dieses Latschenausbruches setzt sich ein ca. zehn Meter hoher, fast senkrechter Aufschwung an, unterhalb befindet sich ein ca. 50 Meter hoher, senkrechter Felsbereich. Im Bereich des gewählten Standplatzes ist es aufgrund der Felsbeschaffenheit kaum möglich, mittels mobilen Sicherungsgeräten einen guten Standplatz zu bauen. Die beiden Abgestürzten befanden sich unterhalb der Einstiegsstelle. Die Kletterin war mit ihrer Selbstsicherungsschlinge in einer grünen, zwölf Millimeter breiten Bandschlinge eingehängt. Die Bandschlinge
Reste des ausgerissenen Wurzelwerks an der Unfallstelle klettern
Bei dieser Latsche handelt es sich um die abgerissene Latsche, an der die beiden Verunfallten ihren Stand eingerichtet hatten. Der Durchmesser der Latsche beträgt ca. sieben Zentimeter.
war zweifach um den Latschenstamm, ca. 20 cm vom Ende des Wurzelstocks entfernt, gelegt worden. In der Bandschlinge war zudem ein violetter Halbmastwurfkarabiner mit Schraubverschluss eingehängt, in welchen ein Halbmastwurfknoten zur Kameradensicherung eingelegt war. Das Seil von diesem Karabiner führte zum Vorsteiger. Die ausgegebene Seillänge vom Halbmastwurfknoten zum Vorsteiger betrug ca. fünf Meter. Zum Auffindungszeitpunkt herrschte am Auffindungsort der Kletterer, auf einer Seehöhe von 1.668 Meter, dichter Nebel. Ca. 50 Meter oberhalb des Auffindungsortes befand sich die Nebelobergrenze, darüber herrschte Sonnenschein und es war wolkenlos. Der Bekleidung der beiden Verunfallten nach zu schließen – sie waren ohne Jacken unterwegs – kletterten sie oberhalb der Nebelgrenze, wo es deutlich wärmer und trocken war. Zur Unfallzeit waren die Felsen trocken.
Zum Bergeeinsatz
Zeitgleich mit dem Notarzt des Heli 3 gelangte die Bergrettung Waidring zu den Abgestürzten, wo der Notarzt des Heli 3 gegen 14.35 Uhr nur noch den Tod der Kletterer feststellen konnte. Zum Zeitpunkt des Eintreffens der Alpinpolizisten waren die Bergretter der Bergrettungsstelle Waidring, Notarzt und Flugretter des NAH sowie der Bergrettungsarzt vor Ort, die Verunfallten befanden sich noch auf Anordnung des Ortsstellenleiters der Bergrettung Waidring in Unfallendlage.
Das Wetter war zur Zeitpunkt der Unfallerhebung am gleichen Tag am Unfallort strahlend. Vermutlich herrschten zum Unfallzeitpunkt an dieser Stelle ähnliche Wetterbedingungen. (Bilder: Martin Hautz, Alpinpolizei Tirol)
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Mag. Walter Würtl
klettern
Staatlich geprüfter Berg- und Skiführer Gerichtlich beeideter Sachverständiger für Alpinistik, Mitarbeiter beim OEAV Redakteur bergundsteigen
analyse
eines seilschaftsabsturzes
Grundsätzlich muss festgehalten werden, dass Unfallanalysen in erster Linie dazu da sind, um mögliche – evtl. bis dato unbekannte oder auch sehr häufig auftretende – Fehlerquellen zu identifizieren, damit diese in der Alpinausbildung zukünftig berücksichtigt werden können und somit der Unfallprävention dienen. Es geht also explizit nicht um Schuldzuweisungen oder um Verurteilungen, sondern um das Lernen aus Fehlern, die andere für uns gemacht haben. Von dieser Seite betrachtet, kann selbst ein dramatisches Unglück, bei dem zwei Menschen ihr Leben verloren haben, noch einen letzten Sinn machen. Vorliegender Unfall ist ein Paradebeispiel dafür, wie wertvoll die akribische Ermittlungstätigkeit der Alpinpolizei ist, da ohne die mit „kriminaltechnischem Geschick“ und exzellentem alpinen Fachwissen geführten Erhebungen eine Aufbereitung für eine interessierte Öffentlichkeit unmöglich wäre. Während man bei einem ähnlichen Fall in einem anderen Land für immer vor einem ungelösten Rätsel stünde, können wir uns in Österreich glücklich schätzen, die Ressourcen der Alpinpolizei für die Aufarbeitung des Unfallgeschehens zur Verfügung zu haben.
Erster unfallkausaler Aspekt: Versteigen in einer alpinen Kletterroute
Wie dem Bericht von AEG-Leiter AI Martin Hautz zu entnehmen ist, hat sich die Seilschaft wahrscheinlich nach der ersten Seillänge des Pfeilerwegs an der Waidringer Steinplatte verstiegen. Dass es beim Alpinklettern immer wieder einmal dazu
50analyse:berg
kommt, dass man sich versteigt, ist eher die Regel als die Ausnahme. Die Gründe dafür können vielfältig sein. Schlechte Sicht durch Nebel ist im vorliegenden Fall sicher nicht ganz auszuschließen, wenngleich nach den Ermittlungen eher von guten Sichtbedingungen ausgegangen werden kann. Die Bekleidung der beiden Verunfallten deutete eher auf angenehme Wetterbedingungen hin. Ein Grund für das versehentliche Abkommen von der Route könnte darin liegen, dass man sich als Kletterer am Einstieg noch recht sicher ist, eine „Pfeilertour“ leicht finden zu können, und den Kletterführer daher im Rucksack lässt. Leider zeigt die Praxis immer wieder, dass man sich auch in scheinbar einfach zu findenden Routen wie an Kanten oder Graten kolossal versteigen kann. In diesem Zusammenhang ist jedem Alpinkletterer nur anzuraten, das Topo oder die Routenbeschreibung griffbereit in der Jacken- oder Hosentasche zu haben. Dass man sich – wie hier passiert – im einfachen Schrofengelände leichter versteigen kann als im „schweren Fels“, ist insofern einleuchtend, da die Routenführung weit weniger zwingend ist und man viele Möglichkeiten findet, höher zu steigen. Dass die Seilschaft nach der ersten Seillänge von dem Pfeilerweg abgekommen ist, mag auch daran liegen, dass die zweiten Seillänge im Original recht unschwierig (UIAA II) in eine markante Verschneidung führt. Wenn man aber einen „Pfeilerweg“ im IV. Schwierigkeitsgrad erwartet, kann es schon passieren, dass man nach links über Schrofengelände einen leicht ausgeprägten Pfeiler erklettern möchte.
Bereich Akkupfeiler
Topokarte 12
Sonne ab 10.30 Uhr
C3.2
65+
3+
15m
5+ 4+
Im Klettersport gibt es deutliche Empfehlungen, am Standplatz immer zwei voneinander unabhängige Sicherungspunkte zu verwenden. Diese beiden Punkte sollten von möglichst guter Qualität sein, damit ein Versagen des Standplatzes ausgeschlossen werden kann. Obgleich in der jüngeren Vergangenheit immer wieder kontroversiell diskutiert, spielt es dabei eine deutlich untergeordnete Rolle, ob man die beiden Fixpunkte in Form einer Reihe oder eines Ausgleichs verbindet – wichtig ist, dass sie stabil sind und halten. Wie überall, gibt es jedoch auch im Standplatzbau Ausnahmen, die es rechtfertigen, auf die Redundanz zweier Sicherungspunkte zu verzichten. Eine massive Sanduhr, ein großer Klemmblock, ein Felskopf oder ein Baum zählen zu diesen Ausnahmen und können auch als Einzelpunkt einen Standplatz bilden. Wichtig dabei ist aber auch, dass die Sanduhr nicht gebrochen ist, der Klemmblock nicht wackelt, der Felskopf deutlich ausgeprägt ist oder der Baum eine gewisse Stärke hat. In jedem dieser Fälle gibt es spezielle Empfehlungen, wie der Fixpunkt auszusehen hat und wie der Stand anzulegen ist. Bei Bäumen schaut die Empfehlung so aus, dass sie „grün“ sein müssen – also nicht abgestorben sein dürfen und von der Dicke her ca. einem Unterschenkel eines Erwachsenen entsprechen müssen. Wenn man weiß, welche Kraft Latschenkiefern, auch Legföhren genannt, im Winter aushalten, sodass sie selbst in Lawinenstrichen aufkommen können, und man sieht, wie exponiert sie sich im steilen Schrofengelände halten können, ist die Annahme grundsätzlich richtig – in Ermangelung besserer Alternativen – an diesen eine Sicherung anzubringen. Fatal kann sich dabei jedoch der Umstand auswirken, dass das Holz der Latschenkiefer zum einen hart und wenig elastisch ist und zum anderen, dass der Schwachpunkt der Latschen nicht der holzige Stamm, sondern
40m
45m
6+
5
40m
6 35m
6+
5+
6-
30m
4+ 10m
5+
5
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6+ 4+ 7-
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6+
4
Gras und Staub...
40m
3
35m
2
Lilablassblau
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Bereich Abramakabra siehe Seite 45
4
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5+ 2
15m
5
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5-
3
30m
klettern
2
25m 1
Pfeilerweg
1
Zweiter unfallkausaler Aspekt: Standplatzbau an einer Latschenkiefer
5 5+
6-
40m
Besonders tragisch ist im vorliegenden Fall der Umstand, dass die rettende Zwischensicherung in Form einer ausgeprägten Felszacke oberhalb einer kurzen, aber schwierigen Wand beim Absturz schon fast in Reichweite des Vorsteigers gewesen sein muss. Hätte er sie erreicht wäre vielleicht gar nichts geschehen? Doch wie schon angesprochen, kann es selbst dem besten Alpinisten passieren, dass er sich versteigt.
S
Kletterführer Steinplatte l © Panico Alpinverlag
Sogenannte „Verhauer“ sind solange kein Problem, solange man immer wieder Sicherungspunkte findet, bei denen man gegebenenfalls auch wieder abseilen könnte und die Kletterschwierigkeit nicht zu hoch wird. Werden die Sicherungspunkte jedoch zunehmend weniger, der Fels brüchig oder das Gelände zu schwierig, sollte man in alpinen Routen keinesfalls die „Flucht nach vorne“ antreten, sondern sich möglichst rechtzeitig die Situation verdeutlichen, sich den Verhauer eingestehen und versuchen, wieder die Originalführe zu erreichen.
3 6
3 5
Zustieg, 1
Schnitzlburger
2 Zett
Bereich Shiva siehe Seite 45
ens
teig
5
Neu
Empfohlene Kombinationsroute
Akkukombi
6
Abstieg: Abseilen, am besten über die Route „Plattenkamin“, siehe Seite 82.
Topo der Route Pfeilerweg (durchgezogene Linie) (Bild: Topo aus dem Führer "Waidringer Steinplatte", Copyright Panico Alpinverlag)
2. Standplatz Absturzstelle
1. Standplatz
Einstieg & Rucksackdepot
Originalführe Pfeilerweg Kletterstrecke der verunfallten Seilschaft
Übersicht von der Routenführung in jenem Bereich, in dem sich die beiden Kletterer verstiegen. Die Originalroute ist rot eingezeichnet, die gelbe Linie zeigt den Weg der Verunfallten. (Bild: Martin Hautz, Alpinpolizei Tirol)
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Markantes Felsköpfl, das was sich als Zwischensicherung anbieten würde.
Standplatz
Diese Latsche riss, als der Vorsteiger der Seilschaft in den Stand stürzte, aus. (Bilder: Martin Hautz, Alpinpolizei Tirol)
die Wurzelverankerung ist. Nicht selten sieht man alte, dicke Latschen, die jedoch nur (mehr) über schwache Wurzeln verfügen bzw. wo ein Teil der ursprünglichen Wurzeln bereits abgebrochen oder abgestorben ist. Insbesondere in Felswänden, wo die Risse mit verfügbarem Boden nicht sehr tief sind, oder im Schrofengelände, wo der Wurzeldruck das Gestein „zerrüttet“ oder abgesprengt hat, können die Latschen keine größeren zusätzlichen Kräfte aufnehmen.
Fazit
Laut den Erhebungen war die abgebrochene Hauptwurzel nur rund einen Daumendurchmesser dick, der restliche Wurzelverbund war mit der Latschenkiefer herausgerissen worden.
Beim Standplatzbau ist einmal mehr zu betonen, dass der Standplatz sozusagen die Insel der Sicherheit ist, die in jedem Fall eine Sturzbelastung aushalten muss. Selbst wenn ein Sturz des Kletterpartners noch so unwahrscheinlich ist, darf hier kein Kompromiss eingegangen werden.
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Die Unglücksstelle, aus dem Hubschrauber fotografiert.
Verwendet man einen Baum als Sicherungspunkt, sollte dabei auf einen möglichst geringen „Hebel“ geachtet werden. Je näher die Verankerung mit einer Bandschlinge an der Wurzel ist, desto geringer sind die auftretenden Kräfte bei der Belastung. Dies ist natürlich umso wichtiger, je dünner der Stamm ist. Die ca. 20 cm Abstand von der Wurzel bei einer ca. 6 cm dicken Latschenkiefer waren offensichtlich zu viel, um den Sturz des Vorsteigers in den Stand auszuhalten. Wenn man davon ausgeht, dass die Kräfte bei der Verwendung einer HMS-Sicherung in jedem Fall unter 4,5 kN (ca. 450 kg) bleiben, egal, ob die Sturzhöhe zehn Meter oder mehr beträgt, ist dies ein deutlicher Hinweis darauf, dass man sich auf Legföhren als Sicherungspunkte nur im Notfall und dann auch nur nach eingehender Prüfung verlassen sollte. Im Nachhinein betrachtet, wäre es nicht einmal auszuschließen, dass der gewählte Standplatz auch bei einem Rückzugsmanöver versagt hätte.
52analyse:berg
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Seilschaftsabstürze beim Alpinklettern insgesamt gesehen nicht sehr häufig sind. Kommt man jedoch von der vorgegebenen Route ab und gerät in schwieriges Gelände, kann es immer zu gefährlichen Situationen kommen. Eine gute Tourenvorbereitung und ein konsequentes Festhalten am vorgegebenen Routenverlauf sind hier absolut vorrangig.
Schlussbemerkung
In den vorliegenden alpintechnischen Betrachtungen ist es nicht darum gegangen, die vielen „richtigen“ Entscheidungen der Unglücksseilschaft anzuführen, sondern nur die wenigen unfallkausalen Fehlermöglichkeiten herauszustellen. Dies in der Hoffnung, dass Seilschaftsabstürze dieser Art in Zukunft vermieden werden können.
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klettern
ausgeflogen Am 10. Oktober 2010 musste die Besatzung des Polizeihubschraubers „Libelle Innsbruck“ mehrere Kletterer bei Dämmerung und Dunkelheit ausfliegen. Elf Personen konnten gerettet werden. Paul Gruber beschreibt den Ablauf einer Tour von Kletterern, die von der Karlspitze geborgen wurden.
Peter Plattner analysiert diesen Unfall.
In einer kurzen Zusammenfassung der Ermittlungen erfahren Sie, was sich im Wetterstein ereignete. In einem Interview erzählen Pilot Walter Strolz und Flugretter Franz Poppeller über eine Bergung im Wetterstein.
10. Oktober 2010 ca. 15.45 / 19.00 Uhr Wilder Kaiser Vordere Karlspitze, SO-Grat 2.261 m Gemeinde Ellmau / Tirol
(1)
1 Person schwer verletzt 5 Personen unverletzt 1 Notarzthubschrauber 1 Polizeihubschrauber Bergrettung Kufstein und Scheffau Alpinpolizei 10. Oktober 2010 ca. 20.00 Uhr Wetterstein, Schüsselkarspitze ca. 2.350 m Gemeinde Leutasch / Tirol 2 Personen unverletzt 1 Polizeihubschrauber Bergrettung Leutasch Alpinpolizei
Tirol
54analyse:berg
(2)
facts
Abteilungsinspektor Paul Gruber
bericht (1) ausgeflogen
Am 10. Oktober 2010 unternahmen sechs erwachsene Personen – zwei Frauen (36 und 39 Jahre) und vier Männer (23, 32, 41 und 42 Jahre) – eine Klettertour über den Südostgrat auf die Vordere Karlspitze im Wilden Kaiser / Tirol. Die beiden Pärchen aus Deutschland waren gegen 08.30 Uhr vor den beiden Männern aus Österreich in die Tour eingestiegen und kletterten in drei Zweierseilschaften hintereinander bergwärts. Die Kletterer kamen langsam voran und die österreichische Seilschaft beschloss, die Vorausgehenden in der 13. Seillänge gegen 15.45 Uhr zu überholen. Genau zu dieser Zeit löste die Nachsteigerin der mittleren Seilschaft mit dem Fuß einen ca. personengroßen Felsbrocken und rutschte ins Seil. Der Felsteil zerbrach beim Absturz in mehrere Teile und Gesteinsbrocken trafen den letzten Kletterer, der am Standplatz den Vorsteiger sicherte, am Kopf. Trotz Bergsteigerschutzhelmes zog er sich eine offene Schädelverletzung zu und verlor sofort das Bewusstsein. Die anderen vier Bergsteiger versorgten den Verletzten am Standplatz und sicherten die Frau, die ins Seil gerutscht war. Über Mobiltelefon setzten sie einen Notruf ab und in der Folge wurde der Schwerverletzte von der Besatzung eines Notarzthubschraubers mittels Taubergung vom Unfallort ausgeflogen und in die Klinik nach Innsbruck eingeliefert. Den anderen Bergsteigern wurde ebenfalls eine
Übersichtsbild zum Aufstieg auf die Vordere Karlspitze über den SO-Grat (Bild: Alpinverlag – www.bergsteigen.com) Bergung angeboten. Diese wurde jedoch mit der Begründung abgelehnt, dass sie noch vor Dunkelheit den weiteren Aufstieg bis zum Gipfel der Vorderen Karlspitze und anschließend den Abstieg bis zur Gaudeamushütte bewältigen könnten. Da die restlichen fünf Personen, bis 19.00 Uhr jedoch lediglich über die letzten Seillängen zum Gipfel der Vorderen Karlspitze stiegen, setzten sie erneut einen Notruf ab. Sie sahen sich außerstande, den Abstieg in der Dunkelheit durchführen zu können. In völliger Dunkelheit wurden diese unverletzten Personen von der Besatzung des Polizeihubschraubers in Gipfelnähe im Schwebeflug aufgenommen und zum beleuchteten Sportplatz nach Scheffau geflogen.
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Leiter Alpine Einsatzgruppe Kufstein Polizei-Bergführer Staatlich geprüfter Berg- und Schiführer Flight-Operator bei den Hubschraubern des Bundesministeriums für Inneres
Peter Plattner
klettern
Staatlich geprüfter Berg- und Skiführer Gerichtlich beeideter Sachverständiger für Alpinistik Chefredakteur bergundsteigen
analyse ausgeflogen
Der SO-Grat auf die Vordere Karlspitze ist eine klassische alpine Klettertour im Schwierigkeitsgrat UIAA –IV. Meistens bewegt man sich in der Schwierigkeit UIAA III, viele Passagen sind einfacher – ein typischer leichter Gratanstieg eben. Allerdings ist der Anstieg lang, und möchte man ihn in den angegebenen Zeitangaben, welche zwischen vier und sechs Stunden variieren, bewältigen, dann sind neben der souveränen Beherrschung des Grades UIAA III vor allem gute Kondition und ein Gespür für die Routenfindung gefragt. Daneben muss man imstande sein, dem Gelände entsprechend – d. h. mit Köpflschlingen u. Ä. – schnell und sicher Standpätze und bei Bedarf Zwischensicherungen einzurichten. Dass die drei Seilschaften um 15.45 Uhr, also nach ca. sieben Stunden Kletterzeit, „erst“ in der dreizehnten Seillänge unterwegs waren, darf als Zeichen gewertet werden, dass sie sehr langsam unterwegs waren. Für Anfang Oktober, wenn es nur ca. elf Stunden richtig hell ist und die Sonne gegen 18.30 Uhr beginnt unterzugehen, zu langsam. Hier zeigt sich, wie hilfreich eine entsprechende Tourenplanung ist, welche auch eine Zeitplanung beinhaltet: Diese gilt es immer wieder zu checken, und wenn ich bemerke, dass ich zu langsam unterwegs bin, dass ich es im Hellen nicht mehr schaffe auszusteigen, gilt es Alternativen zu wählen: im vorliegenden Fall ev. nach der achten Seillänge über eine Abseilpiste (MatejakKamin) abzuseilen. Der Abstieg über einen Steig im Dunkeln ist, auch
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wenn ich Stirnlampen dabeihabe, keine einfache Sache und verlangt höchste Konzentration und Aufmerksamkeit – ob diese nach mehr als zehn Stunden Klettern noch vorhanden sind, sei dahingestellt. Und wenn während eines solchen Abstieges im Dunkeln eine kleines Missgeschick passiert, man umknöchelt und sich das Sprunggelenk so verletzt, dass man aus eigener Kraft nicht mehr weiter absteigen kann, dann wird es spannend. Denn mit einer raschen Helikopterbergung darf man im Finstern nicht rechnen und die Nächte im Oktober sind empfindlich kalt. All das gilt es bei der Planung zu berücksichtigen und während der Tour heißt es, ehrlich sich selbst gegenüber zu sein: Bin ich den Schwierigkeiten gewachsen, stimmen Kondition und Verhältnissen, kann ich den Zeitplan einhalten usw. Das Gute: Eine solche Tourenplanung ist mit etwas Übung eine Sache von zehn Minuten und es macht auch Spaß, sich mit der bevorstehenden Unternehmung auf diese Weise auseinanderzusetzen. In diesem Unfallbeispiel war das recht langsame Vorwärtskommen aber nicht unfallkausal, sondern ein Felsbrocken, der losgetreten wurde und einen nachfolgenden Kletterer schwer verletzt hat. In vielen Routen mit geringem Schwierigkeitsgrad (Gehgelände, UIAA II-III) gibt es immer wieder auch längere Passagen mit zweifelhafter Felsqualität. Oft liegen auch große Felsbrocken instabil auf schottrigem Untergrund und können direkt aber auch durch das Seil oder herunterfallende kleinere Steine ausgelöst werden. Natürlich wird sich jeder Kletterer bemühen, hier
erdmannpeisker / Robert Bösch
so sorgsam als irgendwie möglich zu steigen. Wie wir alle wissen, es ist unmöglich, das Loslösen eines Steines komplett zu verhindern. In Gratanstiegen wie dem beschriebenen muss man in den entsprechenden Stellen mit Steinschlag rechnen. Hier ist es durchaus gerechtfertigt, von einem latent vorhandenen Risiko zu sprechen, von dem ich im Vorhinein weiß, dass es vorhanden ist. Befinden sich mehrere Seilschaften in einer solchen Tour, dann erhöht sich dieses Steinschlagrisiko. Dann gilt es, sich an besonders kritischen Stellen abzusprechen, in Deckung zu bleiben und zu warten, bis die voransteigende Seilschaft dieses Gelände verlassen hat usw. – im Regelfall alles Maßnahmen, welche Zeit kosten. Aus diesem Grund gibt es Touren, in welche es sich nicht lohnt einzusteigen, wenn andere Seilschaften vor einem unterwegs sind. Glücklicherweise konnte über das Mobiltelefon ein Notruf abgesetzt werden und es herrschte Flugwetter, sodass der Verletzte von der Helikopterbesatzung mit dem Tau geborgen werden konnte. Dass die restlichen Kletterer das Angebot, sich mit dem Helikopter ausfliegen zu lassen, abgelehnt haben, stellt sich im Nachhinein als Fehler heraus – sie schafften es nicht wie angenommen, bei Tageslicht abzusteigen, setzten einen Notruf ab und konnten dann bei völliger Dunkelheit vom Helikopter geborgen werden – keine Selbstverständlichkeit. Dass die fünf die Zuversicht hatten, die Tour noch rechtzeitig aus eigener Kraft zu schaffen, verwundert; nüchtern betrachtet, wäre es selbst ohne den Unfall zeitlich sehr eng geworden. Die schwere Verletzung eines Kletterers, der Sturz ins Seil eines anderen und die ganze Bergeaktion haben aber zweifelsohne nicht nur Zeit, sondern auch Nerven gekostet. Sich nach einem solchen Zwischenfall und bei dem geringsten Zweifel, dass der Abstieg noch problemlos geschafft werden kann, auch als Unverletzter ausfliegen zu lassen, kann nur empfohlen werden und ist ein Zeichen von Professionalität. Kritisiert werden darf am vorliegenden Unfall, dass der zweite Notruf erst so spät abgesetzt wurde, sodass die ganze Rettungsaktion im Dunkeln stattfinden musste. Sobald absehbar war, dass es sich mit dem selbstständigen Abstieg doch nicht ausgeht, hätte von den Kletteren sofort Hilfe gerufen werden sollen.
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Wie bei jedem Unfall ist es einfach, im Nachhinein alles besser zu wissen; wir waren in der Situation allerdings nicht dabei. Umso mehr gilt es aus solchen Zwischenfällen zu lernen, zu überlegen, wie man selbst gehandelt hätte, und zu versuchen, es besser zu machen, wenn man selbst in eine alpine Notsituation gerät.
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Die Erhebungen zu folgendem Unfall wurden von Thomas Widerin von der Polizeiinspektion Seefeld, Mitglied der Alpinen Einsatzgruppe (AEG) Innsbruck, durchgeführt. Demnach ergibt sich folgendes Unfallgeschehen:
bericht (2) ausgeflogen
Zwei Kletterer aus Deutschland stiegen am 10. Oktober 2010 gegen 6.45 Uhr von Leutasch zur Wangalm und weiter über das Scharnitzjoch bis zum Fuße des Schüsselkares auf. Auf der Alm kehrten sie kurz für ein zweites Frühstück ein. Das Wettersteingebirge ist bei Kletterern trotz längerer Zustiege sehr beliebt.
fung gelang es dem Kletterer nicht, sich zurück zum Standplatz zu prusiken. In dieser ausweglos scheinenden Situation verständigten die beiden aufgrund eines Verbindungsproblemes vorerst nur Bekannte in Deutschland. Von dort wurde über die Deutsche Bergwacht die Leitstelle Tirol in Innsbruck alarmiert.
Bei den beiden handelte es sich um einen ausgebildeten Fachübungsleiter sowie eine junge Kletterin ohne alpinistische Vorkenntnisse. Beide sind Mitglieder des DAV. Ihr Ziel war die Route „Jörg-Simon“ am Westgratturm der Schüsselkarspitze im oberen fünften Schwierigkeitsgrad.
Gegen 20.00 Uhr startete die Bergrettung Leutasch mit zwölf Mann und einem Alpinpolizisten der Polizei Seefeld. Sie stiegen zu Fuß bis zum Wandfuß des Schüsselkares auf. Bis dorthin musste sämtliches Ausrüstungs- und Rettungsmaterial – einschließlich der Lichtaggregate – getragen werden.
Gegen 10.00 Uhr stiegen sie in die Route ein und benötigten für die neun Seillängen bis 17.30 Uhr. Bei der Tour handelt es sich um eine sanierte Tour, jedoch empfiehlt sich die Mitnahme von mobilen Sicherungsgeräten. Um nicht über den normalen Wege absteigen zu müssen, wollten die beiden Kletterer entlang der parallel verlaufenden Route „Wolke 7“ abseilen. Dazu benützten sie ein Doppelseil mit 60 m Länge und als Abseilgerät einen so genannten „Tuber“. Die Tour war den beiden jedoch nicht bekannt.
Vom Wandfuß aus konnten sie Kontakt mit den beiden Kletterern aufnehmen. Dabei stellten sie fest, dass beide bereits unterkühlt und erschöpft waren. Eine selbstständige Befreiung aus ihrer Lage schien ausweglos. Vor allem dem Fachübungsleiter gelang es vorerst nicht, aus dem Überhang wieder nach oben zu kommen. Durch das lange Hängen im Seil bekam er bereits Kreislaufprobleme. Durch Zurufen der Retter konnte er nach längerer Zeit dazu gebracht werden, genau die Anweisungen zu befolgen und sich langsam nach oben zu prusiken.
Die ersten beiden Abseilstrecken von je ca. 45 m bewältigten die beiden problemlos. Nach etwa 25 m der dritten Abseilstrecke kam der Fachübungsleiter ein wenig zu weit nach links, ehe er bemerkte, dass das Seil nicht mehr bis zum nächsten Standplatz reichte. Zusätzlich befand er sich in einem Überhang ca. acht Meter von der Felswand entfernt. Trotz aller Versuche und aufgrund einer bereits eingetretenen Erschöp-
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Eine Bergung über den terrestrischen Weg schien schwierig und vor allem langwierig. Für das Aufklettern und das abschließende Abseilen zu den Verletzten hätten die Retter mindestens vier bis fünf Stunden benötigt. Aus diesem Grund nahm der Alpinpolizist mit dem Piloten des Polizeihubschraubers „Libelle Innsbruck“ Kontakt auf und legte ihm die Lage dar.
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Über die Route Jörg-Simon stieg die Seilschaft auf und über die Wolke 7 seilten die beiden ab. Eine überhängende Passage konnten die beiden in Wolke 7 jedoch nicht überwinden. (Bild: Robert Schwaiger, Alpinpolizei Tirol)
Es herrschten wolkenlose und windstille Wetterbedingungen und so entschlossen sich Pilot und Flugretter, den Einsatz zu übernehmen. Die Bergrettung Leutasch bereitete am Fuße der Wand einen Landeplatz vor und beleuchtete diesen. Im Tal in der Gemeinde Leutasch wurde ein weiterer Landeplatz von der Feuerwehr Leutasch ausgeleuchtet. Gegen 22.30 Uhr traf der Hubschrauber „Libelle“ ein und es wurde gemeinsam die weitere Vorgangsweise besprochen. Die Bergrettung konnte mittels Lichtaggregates die gesamte Wand gut ausleuchten und somit beschloss das Hubschrauberteam, eine Bergung mittels Tau zu versuchen. Nachdem durch die Alpinpolizei den beiden Kletterern genaue Anweisungen zur Vorbereitung für die Taubergung gegeben wurden, konnten die beiden mittels eines 50 m Taues aus der Wand gerettet und ins Tal geflogen werden. Die Hubschrauberbergung, die äußerst schwierig war, erfolgte mittels der Methode „Kaperbergung“. Beide Kletterer waren unverletzt, jedoch unterkühlt und stark erschöpft.
Taubergungen erfordern ein gutes Zusammenspiel zwischen Pilot und Flugretter. (Bild: Bruno Guttmann, LPK Oberösterreich)
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Im Oktober 2010 flogen Pilot Walter Strolz und Flugretter Franz Poppeller vier Einsätze und konnten elf Personen aus Bergnot retten. Das Besondere: Alle vier Einsätze wurden ab Einbruch der Dämmerung bis nach Mitternacht geflogen. Hanno Bilek hat Walter Strolz und Franz Poppeller befragt.
Gruppeninspektor Walter Strolz
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Staatlich geprüfter Berg- und Schiführer Pilot bei den Hubschraubern des Bundesministeriums für Inneres
Revierinspektor Franz Poppeller Polizei-Bergführer Staatlich geprüfter Berg- und Schiführer Flight-Operator bei den Hubschraubern des Bundesministeriums für Inneres
interview ausgeflogen
Bilek: Die Kombination von schönem Wetter und Wochenende bedeutet für Einsatzkräfte oft eine anstrengende Zeit. Am 10. Oktober 2010 war es wieder einmal so weit ... Poppeller: Das Besondere an diesem Sonntag war die Bergung von elf Personen in der Dämmerung bzw. bei Dunkelheit. Gegen 18.30 Uhr flogen wir noch einen Einsatz auf die Nordkette bei Innsbruck. Eine Person war dort abgestürzt und vom Team des Notarzthubschraubers geborgen worden. Wir flogen die zwei unverletzten Tourenpartner ins Tal. Schon beim Anflug wurden wir für einen weiteren Einsatz über Funk angefragt. Im Wilden Kaiser seien fünf Personen erst bei Einbruch der Dunkelheit von einer Kletterroute auf den Gipfel der Karlspitze ausgestiegen, hieß es. Nach dem Einsatz auf der Nordkette entschlossen wir uns im Kaisergebirge sofort zu einer Taubergung, um Zeit zu sparen. Der Anflug war schwierig, weil der Pilot bei Dunkelheit sehr schwer abschätzen kann, wo ich mich unter dem Hubschrauber mit dem Tau genau befinde. Erst der zweite Versuch klappte dann. Ich konnte mich auf dem Grat aushängen und ging zu Fuß weiter zum Gipfel, wo die fünf Kletterer warteten. Nachdem ich ihren Platz mit der Lampe ausleuchten konnte, entschieden wir uns, die Leute im Schwebeflug in den Hubschrauber einsteigen zu lassen. So wurden zuerst drei und dann noch die anderen zwei Kletterer ausgeflogen. Anschließend konnten wir noch zwei weitere Kletterer von der Fleischbank abholen. Die Bergrettung war dort bereits zu Fuß unterwegs und fragte über Funk um Unterstützung an. Bei dem Suchflug für die beiden auf der Fleischbank konnten
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diese sich mit dem Blitz eines Fotoapparates bemerkbar machen. Mit unserem starken Scheinwerfer leuchteten wir dann den Bereich aus und entschlossen uns wiederum für eine Bergung im Schwebeflug. Das war spannend, denn auf beiden Seiten fällt der Grat fast senkrecht ab ... Bilek: Was macht das Fliegen bei Finsternis so besonders schwierig? Strolz: Die meisten Hubschrauber werden rein auf Sicht geflogen, auch unserer. Wenn ein Nachtflug bei Vollmond stattfinden kann, dann ist das ideal. Der Mond hellt Gelände und Landschaft so auf, dass man fast von Verhältnissen wie bei Tageslicht sprechen kann. Wenn Neumond ist, hast du bei großer Dunkelheit fast kein Restlicht. Dann wird es wirklich schwierig. Bezugspunkte zum Boden für das Auge des Piloten sind aber notwendig. Er muss stets wissen, wo sich die Maschine im Raum bewegt. Zusätzlich spürst du beim Fliegen die Geschwindigkeit nicht, mit dem Fliegen von Kurven verhält es sich ähnlich. Deshalb brauchst du im Hubschrauber immer einen Bezug nach außen. Bei Dunkelheit hilft es, wenn du von Dorf zu Dorf oder entlang einer Autobahen fliegst. Bist du aber in einem Seitental unterwegs, wo es keine Siedlungen gibt, dann ist alles schwarz, und es fehlt die Referenz für deine Lage im Raum. Bilek: Gibt es gesetzliche Regelungen fürs Fliegen nach Sonnenuntergang? Bei Vollmond darf man fliegen, bei Neumond nicht?
Strolz: Nein. Grundsätzlich haben wir vom Bundesministerium für Inneres eine Nachtfluggenehmigung, jedoch dürfen wir nur fliegen, wenn wir etwas sehen können. Und die Sicht ist bei jedem Einsatz individuell vom Piloten zu beurteilen und zu verantworten. Es kann sein, dass im Umkreis einer Stadt ausreichend Restlicht vorhanden ist, am Einsatzort könnte ich dann aber zu wenig sehen. Es kann auch sein, dass die Sicht draußen am Einsatzort besser ist. Das sind dann Situationen, in denen man sagen kann: „Okay. Ich probiere es.“ Geht es gut, dann ist alles perfekt. Wenn nicht, dann muss ich umdrehen, fliege wieder heim, denn sonst wäre das Risiko für einen Crash viel zu groß. Bilek: Wie oft fliegt ihr Nachteinsätze?
Strolz: Selten. Vielleicht fünf bis zehn Mal im Jahr. Es kann und soll sich dabei nur um Situationen handeln, in denen Personen in Lebensgefahr schweben. Ansonsten habe ich in der Nacht mit meiner Maschine in der Luft nichts zu suchen. Wenn jemand verletzt ist, auf dem Berg in Not ist, und es geht ihm entsprechend gut bis zu den Morgenstunden, dann wäre ein Nachtflug nicht gerechtfertigt. Dann warten wir den Tag und bessere Sichtverhältnisse ab. Wenn jedoch akute Lebensgefahr besteht und eine Rettung vom Boden aus nicht möglich oder nur mit entsprechender Zeitverzögerung möglich ist, dann kann es rasch Sinn machen, dass du auch in der Nacht startest. Bilek: An diesem Sonntagabend mit Hochbetrieb seid ihr nach der Nordkette und dem Wilden Kaiser dann noch ins Wettersteingebirge geflogen. Strolz: Beim abendlichen Rückflug vom Unterland haben wir bereits mit dem Alpinpolizisten telefoniert, der dort schon im Einsatz war. Auch mit einem Arzt haben wir Rücksprache gehalten. Der Alpinpolizist meinte, wir sollten noch was aus der Luft unternehmen. Da seiner Einschätzung nach echte Lebensgefahr bestand, habe ich um Fluggenehmigung bei unserem Flugbetriebsleiter in Salzburg angesucht, der für ganz Westösterreich zuständig ist. Wir sind dann in die Leutasch geflogen, haben noch einen Arzt an Bord genommen und sind zum Zwischenlandeplatz beim betreffenden Wandfuß im Wettersteingebirge geflogen. Diesen kenne ich persönlich, daher kann ich einen solchen Einsatz auch gut fliegen. Wenn ich die örtlichen Gegebenheiten nicht gut kennen würde, dann wäre es viel schwieriger. Zusätzlich hat die Bergrettung mit Strom-Aggregat und Scheinwerfer den Landeplatz ausgeleuchtet. So war die Landung dort recht unproblematisch. Auf dem Grat oben wehte dann ein ungünstiger Wind. Bei diesen Verhältnissen und bei Dunkelheit die Einsatzkräfte aus dem schwebenden Hubschrauber aussteigen zu lassen, das war mir zu gefährlich. Wenn in einer Situation wie dieser jemand „abkugelt“ oder abstürzt, dann wäre es das Risiko nicht wert. Das ist nicht zu verantworten.
Bilek: Was konntet ihr sonst noch tun?
Am folgenden Tag wurden Ausrüstungsgegenstände wie das Aggregat mit dem Hubschrauber ins Tal geflogen. (Bild: Robert Schwaiger, Alpinpolizei Tirol) klettern
Poppeller: Nachdem ein Mannschaftstransport für Bergretter auf den Grat unrealistisch war, meinte Walter, wir sollten es mit einer Taubergung versuchen. Minimumlänge des Taus war 50 Meter. Walter sagte noch, er könne den Hubschrauber sehr gut positionieren und ruhig halten. Wir beschlossen dann, beide Kletterer auf einmal aus der Wand zu bergen. Auf dem Zwischenlandeplatz haben wir alles vorbereitet und sind dann mit den Tau hingeflogen. Strolz: Ich bin ganz langsam zur Felswand hingeflogen und hab einen Punkt an der Wand fixiert. Bei Tageslicht kann ich das Pendeln meines Flugretters unten an dem Tau gut mit Hilfe des Spiegels an der Unterseite des Hubschraubers ausgleichen. Nachts sehe ich über den Spiegel aber gar nichts. Das Einzige, was ich als Pilot machen kann, ist ganz langsames Fliegen und so das Pendeln möglichst zu vermeiden. Schließlich war ich mit den Rotorblättern nur noch ein paar Meter vom Fels entfernt. Ideal, denn so kann ich ewig schweben. Franz wies mich über Funk weiter ein: „Zwei Meter hoch, einen halben Meter rechts, einen halben Meter hoch.“ Dann haben wir zuerst den Kletterer und anschließend gleich seine Partnerin ans Tau genommen und sind behutsam ins Tal geflogen Das Landen mit dem langen Tau ist viel schwieriger. Die Feuerwehr hat zwar den Landeplatz im Tal ausgeleuchtet, mir fehlte aber wieder ein Referenzpunkt für die Augen. Das war dann wirklich schwierig, nicht unbedingt gefährlich, aber schwierig. Bilek: Wo liegen die Schwierigkeiten für den Flugretter? Im Prinzip müsse er doch nur hinschweben, die Leute einhängen, deren Seil abschneiden und dann weg? So stellt es sich ein Laie vor. Poppeller: Ja, es klingt einfach. Aber man schwebt in der Dunkelheit. Wenn ich den Piloten falsch einweise, dann kann ich gegen die Wand knallen. Eine Lampe hatte ich mir auf den Arm gebunden und so immer alles ausgeleuchtet. Bei Tag überblickst du alles viel
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schneller. Bei Dunkelheit brauchst du für eine solche Bergung viel länger. Das Problem ist, sobald du das Unfallopfer ans Tau des Hubschraubers eingehängt hast, dann ist auch der Hubschrauber fix mit dem Felsen verbunden. Das ist eine sehr riskante Phase, weil zum Beispiel bei einer Windböe der Pilot kaum korrigieren kann. Diese Phase dauert bei Dunkelheit wesentlich länger, bevor ich das Seil des Unfallopfers abschneide und der Hubschrauber wieder frei manövrierbar ist. Als Flugretter stehst du da dauernd unter Strom, so groß ist die Anspannung.
Bilek: Wie war der Zustand der beiden?
Poppeller: Die beiden hingen schon längere Zeit in der Wand. Es war eine Platte, wo man weder sitzen noch richtig stehen kann. Hauptsächlich hängt man im Gurt. Die Kletterin war bei der Bergung schon leicht lethargisch. Es hätte also nicht mehr allzu lang dauern dürfen. Bilek: Wie haben die Kletterer auf euren Einsatz reagiert? Poppeller: Der Mann zeigte sich schon ziemlich erleichtert. Die beiden waren ziemlich schlecht ausgerüstet. Sie waren mehr oder weniger wie Sportkletterer im Klettergarten unterwegs. Ob sie überhaupt einen Rucksack hatten, daran erinnere ich mich nicht mehr. Beim Landeplatz haben wir das Duo dann der Polizeistreife und den Rettungskräften übergeben. Bei der Frau hat man bereits gemerkt, dass sie schon ziemlich unterkühlt war, obwohl es nicht richtig kalt war an diesem Abend.
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Bilek: Immer wieder ereignen sich Unfälle mit Hubschraubern. Warum geht man das Risiko überhaupt ein und hört nicht mit der Fliegerei auf? Strolz: Ich liebe einfach meinen Beruf. Für mich ist Hubschrauberfliegen etwas unglaublich Tolles. Beim Flugzeugfliegen musst du dich immer vorwärtsbewegen. Mit dem Hubschrauber kannst du in einer Dimension leben, die ähnlich der eines Vogels ist. Fliegen wie ein Vogel, was gibt es Schöneres? So kann ich das machen, wenn auch mit viel Technik. Dass es gefährlich ist, das wissen wir alle. Aber wenn ich aufhöre, werde ich nicht glücklicher ... Bilek: Manche sagen, Hubschrauberfliegen sei wie das Taxifahren, nur in der Luft, mit einer weiteren Dimension. Wird das Fliegen nicht irgendwann langweilig? Strolz: Wenn ich weiß, ich flieg jetzt nach Wien und von Salzburg immer geradeaus, dann ist es etwas komplett anderes, als wenn ich in die Ötztaler Alpen fliege mit dem Wissen, es sind drei Personen in Bergnot. Klar, nach Wien zu fliegen, das ist mit der Zeit fast wie Autofahren. Aber ich kann auch diese Flüge interessant machen. Es ist bei allem so. Am Anfang ist es hochinteressant und dann flaut es etwas ab. Aber als Polizeipiloten haben wir abwechslungsreiche Jobs. Das macht es für mich noch immer sehr spannend.
ohne meine seele
Beat Kammerlander
w채re es nur metall
.at www.austrialpin sommer 2011
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ungesichert Am 20. September 2010 stieg eine Person alleine in den Klettersteig „Adrenalin“ in Amlach / Osttirol ein. Auf der Route überholte der Mann noch einen anderen Begeher, ehe er abstürzte.
Im Unfallbericht lesen Sie die Ergebnisse der Ermittlungen. Franz Deisenberger analysiert diesen Unfall.
OSTTIROL
KÄRNTEN
20. September 2010 ca. 14.50 Uhr Lienzer Dolomiten, Klettersteig Adrenalin ca. 950 m Gemeinde Amlach / Tirol 1 Person tot 1 Notarzthubschrauber 1 Polizeihubschrauber Bergrettung Lienz Alpinpolizei
ITALIEN
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facts
Die Erhebungen zu folgendem Unfall wurden von Klaus Hanser von der Polizeiinspektion Lienz, Mitglied der Alpinen Einsatzgruppe (AEG) Lienz, durchgeführt. Demnach ergibt sich folgendes Unfallgeschehen:
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bericht
ungesichert am klettersteig
Am Montag, 20. September 2010, stieg ein 45-jähriger Osttiroler in den Klettersteig Adrenalin in Amlach, nahe Lienz in Osttirol. Der Einheimische kannte die Schwierigkeiten des Steiges von vergangenen Begehungen. Diese liegen im Bereich C bis D der Klettersteigbewertung. Eine Stelle ist mit E bewertet, welche jedoch umgangen werden kann. Der Charakter der Route ist mit „extrem schwieriger Klettersteig, abwechselnde Wandkletterei, sportlich und exponiert“ angegeben. Die Begehung der Galitzenklamm sowie des Klettersteiges ist kostenpflichtig. Der 45-Jährige passierte die Kassa dort kurz nach Mittag. Der Unfall ereignete sich gegen 14.50 Uhr. Kurz zuvor überholte er einen weiteren Klettersteiggeher. Dieser hörte, kurz nachdem er überholt worden war, einen Aufschrei und sah im Augenwinkel einen Kletterer abstürzen. Unverzüglich alarmierte er die Rettungsleitstelle, welche ihrerseits den Notarzthubschrauber Christophorus 7 zur Unglücksstelle schickte. Parallel wurde die PolizeiBezirksleitstelle Lienz informiert. Der Notarzt konnte nur mehr den Tod feststellen.Die Bergung wurde vom Polizeihubschrauber „Libelle Innsbruck“ durchgeführt. Den Ermittlungen zufolge dürfte der 45-Jährige im Bereich des Querganges oder des Ausstieges abgestürzt sein. Die Sturzbahn und die Aussagen des zweiten Kletterers lassen keine weitere Eingrenzung des Unfallortes zu. Die Steiganlage war voll funktionsfähig und unbeschädigt. Ebenso waren das Klettersteigset und der Klettergurt des Abgestürzten unbeschädigt. Daraus ergeben sich zwei Vermutungen:
Entweder ist ihm beim Umhängen ein Missgeschick passiert. Oder der Verunfallte sicherte sich die letzten Meter nicht mehr selbst. In diesem Bereich führt der Steig bereits deutlich flacher zum Ausstieg. Zum Zeitpunkt des Unfalles dürfte der Fels im Bereich der Absturzstelle trocken gewesen sein. Zwei Alpinpolizisten durchstiegen den Klettersteig am darauf folgenden Tag bei ähnlichen Witterungsverhältnissen und fanden trockene Verhältnisse vor. Im Bereich des Ausstieges befand sind jedoch am Boden teilweise eine feuchte Erdauflage. Der Verunfallte trug geeignetes Schuhwerk, einen Hüftgurt sowie einen Helm. Auffallend war der Knoten im Seilstrang des Klettersteigsets.
Gurt und Klettersteigset des Verunfallten. (Bild: Klaus Hanser, Alpinpolizei Tirol)
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Mag. Franz Deisenberger
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Staatlich geprüfter Berg- und Skiführer Gerichtlich beeideter Sachverständiger für Alpinistik, Schischulleiter Leiter der AG AlpinSachverständige
analyse
ungesichert am klettersteig
„Klettersteiggehen boomt – das zeigt zum einen die Zahl an neu entstehenden Steigen – … – zum anderen die Unfallstatistik.“ Diese Einleitungsworte (2009) zu den Empfehlungen des Kuratoriums für Alpine Sicherheit zur „Errichtung, Wartung und Sanierung von Klettersteigen …“ spiegeln einen Trend wider, der – nicht nur in Österreich – ungebrochen ist. Die Naturfreunde Österreich geben auf ihrer Homepage bekannt, dass in den Jahren 2009 und 2010 österreichweit 32 (!!!) neue – zum Großteil sehr anspruchsvolle – Klettersteige endstanden sind. Wobei hier kürzere – von Hüttenbetreibern oder sonstigen Organisationen geschaffene – (Übungs-)Klettersteige noch gar nicht mitgerechnet sind. Andererseits zeigen die Daten der Unfallstatistik des Kuratoriums für Alpine Sicherheit, dass im Jahr 2008 knapp 2,5-mal so viele Personen auf Klettersteigen verunfallt sind als nur zwei Jahre zuvor im Jahr 2006. Es fehlen dzt. natürlich, wie bei anderen „Alpinen Spielarten“ auch, für eine seriöse Aussage – ob die Klettersteigunfälle im Verhältnis zu den Begehungszahlen tatsächlich gestiegen sind – die absoluten Begehungszahlen. Bei der Analyse verschiedenster Klettersteigunfälle aus den letzten Jahren zeigt sich u. a. aber ein Trend, der in anderen Disziplinen / Spielarten des „Alpinismus“ eher rückläufig ist. „Schlechte“ Ausrüstung und
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/ oder falsche Anwendung hier v. a. des „Klettersteigsets“ bzw. des Anseilgurtes. Im September 2010 ereignete sich in den Lienzer Dolomiten bei Amlach / Osttirol in der Galitzenklamm am Adrenalin-Klettersteig ein tödlicher Unfall. Dieser Klettersteig wird in der Literatur mit einer durchschnittlichen Schwierigkeit von C/D und einer längeren Passage (25 m) der Schwierigkeit E beschrieben. Der Ausstiegsbereich – Übergang in den Wald – ist mit A/B bezeichnet, also – im Verhältnis zur übrigen Route – relativ leichtes Gelände. Der Gesamtcharakter der Route wird im Internet z. B. auf der Homepage von Climbers-Paradise u. a. folgendermaßen beschrieben: „Dieser Klettersteig ist sehr schwierig, stellt eine hohe Anforderung an Ausdauer und Kraft und ist nur geübten Klettersteiggehern zu empfehlen …“ Lt. den Erhebungen der Alpinpolizei gab ein Zeuge an, dass er von einem Kletterer überholt wurde. Dieser trug einen Kletterhelm und war auch mit einem üblichen Klettergurt und einem Klettersteigset ausgerüstet. Den Aussagen des Zeugen nach, hängte der Kletterer nach dem Überholen auch wiederum seinen Karabiner in das Stahlseil ein. Kurz darauf hörte der Zeuge einen Schrei und sah neben sich einen Menschen über steiles Felsgelände abstürzen. Der Kletterer blieb tödlich verletzt in einer steilen Rinne liegen, von wo aus er mit Unterstützung der Bergrettung Lienz vom Hubschrauber der Flugeinsatzstelle Innsbruck geborgen wurde. Die Erhebungen zum möglichen Absturzbereich
ergaben, dass – aufgrund des Geländes, der Liegeposition des Verunfallten, der Zeugenaussage und des Routenverlaufes – als Absturzbereich sowohl die schwierige, ansteigende Querung unterhalb des Ausstieges als auch der relativ leichte Ausstiegsbereich in den Wald in Frage kamen. Der Anseilgurt bzw. das verwendete Klettersteigset wurde von der Alpinpolizei sichergestellt und so fotografiert, wie es am Verunfallten vorgefunden wurde. Beschädigungen an den Karabinern und am Klettersteigset sowie ein – auch nur geringer – Seildurchlauf in der „Klettersteigbremse“ konnten dabei nicht festgestellt werden.
Ebenso wurden keine Beschädigungen oder Mängel am Klettersteig selber (Stahlseil, Verankerungen …) festgestellt. Über die „alpine Erfahrung“ des Verunfallten im Allgemeinen und auf Klettersteigen im Besonderen ist nichts bekannt.
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Weiters wurde an der Ausrüstung des Verunfallten festgestellt, dass ein Strang des Klettersteigsets mit dem Karabiner an einer Materialschlaufe eingehängt / „versorgt“ war. Besonders auffällig war auch noch, dass der Seilstrang des Klettersteigsets ca. 12 cm nach der „Klettersteigbremse“ mit einer Sackstichschlinge „abgeknotet / verkürzt“ war. Oberer Bereich des Querganges im Schwierigkeitsbereich C/D und eine der beiden möglichen Absturzstellen. (Bild: Klaus Hanser, Alpinpolizei Tirol)
Abstieg ist rot markiert
A
Unfallursache:
„Bei ordnungsgemäßer Verwendung von beiden Karabinern des Klettersteigsets (das heißt, dass zumindest ein Karabiner eingehängt bleibt) ist ein totaler Absturz in diesem Bereich unmöglich.“ So die Aussage im Polizeiprotokoll. Als Absturzursache wurde daher von den erhebenden Beamten der Alpinpolizei in ihrem Abschlussbericht an die Staatsanwaltschaft Innsbruck einerseits ein „Missgeschick beim Aus- und Einhängen der oder des Karabiner/s“ oder andererseits „auch ein absichtliches Aushängen …“ – also ein ungesichertes Steigen – im Bereich des leichten Ausstiegsgeländes „in Verbindung mit dem Ausrutschen“ angenommen.
B C/D Gipfelwand C C D C C
Expos.
SW
C/D D
Aus unfallkundlicher Sicht kann den Ausführungen der Alpinpolizei nur noch hinzugefügt werden, dass ein Missgeschick beim Umhängen der Karabiner an einer Stahlseilfixierung nur dann zu einem Totalabsturz führen kann, wenn vorher schon nur einen Strang des Klettersteigsets verwendet wurde. Der zweite Strang war „versorgt“ am Gurt, was diese „lückenhafte“ – aber in der Praxis, nicht nur im leichteren Gelände, oft gebräuchliche – Art der Sicherung sehr wahrscheinlich macht. Dabei ist man während des Umhängens für kurze Zeit ungesichert – wenn man dabei z. B. gleichzeitig ausrutscht oder von einem Stein getroffen wird, ist ein
2. Pfeiler
D/E C/D
A C
A
A A
links: D
C
D
1. Pfeiler
C
D D
C/D
Luna-Variante rechts: E
E E C/D
B C D
A
C/D C
B Seilbrücke
B
Analyse
D/E
!
Steinschlagzone!
B
D
A/B
C
Schlucht-
B
D traverse
Notabstieg
B/C
B Notab-
C
C/D
A/B
C/D
stieg
B
B Holzbrücke
A
B
A
B/C
A/B
Notabstieg
B
D
Plattenwand D
B
C D
Expos.
NO
C
Tafel
Notabstieg
C
B Notabstieg
Aussichtsplattform
A
Wasserfall Zustieg über den Klammweg oder über den Galitzenklamm-Klettersteig (C/D, verläuft unter dem Klammweg)
Topo des Klettersteiges „Adrenalin“ in Osttirol (Quelle: Alpinverlag - www.bergsteigen.com)
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Der Ausstiegsbereich im Schwierigkeitsgrat B/A. Dabei könnte es sich um eine der beiden möglichen Absturzstellen handeln. (Bild: Klaus Hanser, Alpinpolizei Tirol)
Totalabsturz – wie in diesem Falle – möglich. Auch während des Steigens zwischen zwei Fixierungsstiften ist man daher nur mit einem Karabiner am Stahlseil eingehängt, was bei einem event. Sturz und ungünstiger Biegebeanspruchung des Karabiners durchaus zu einem Bruch desselben sowie wiederum zu einem Totalabsturz führen kann.
Conclusio
Bei der Begutachtung stellte sich weiters heraus, dass z. B. die Bremsreserve des Y-Klettersteigsets nach der „Bremse“ mit einem Sackstich abgeknotet / verkürzt (?) wurde. Der Seildurchlauf bei einem Sturz war auf ca. 12 cm (!!!) statt der üblichen – von der Norm vorgegebenen – ca. 1,2 m begrenzt.
Insofern kann sehr wahrscheinlich bei den meisten Unfällen Selbstüberschätzung im Zusammenwirken mit einer Fehl- und / oder Falschanwendung der Ausrüstung als Hauptunfallursache bezeichnet werden.
Diese beschriebene Verkürzung des – aufgrund des fast statischen Aufbaues eines bei uns üblichen Klettersteiges – absolut notwendigen „Bremsweges“ am Klettersteigset hätte bei einem Sturz ebenfalls fatale Folgen (Karabinerbruch, Riss des Seils, schwere Verletzungen aufgrund des hohen Fangstoßes …) haben können. In diesem Fall war diese „Fehl- bzw. Falschanwendung“ der Ausrüstung aber nicht unfallkausal, also ursächlich für den Absturz. Auch auf die Gefahr hin, dass einerseits die meisten der nachfolgenden Tipps bereits seit einigen Jahren durch die alpine Fachpresse geistern und andererseits unvollständig sind, doch der Versuch, etwas aus dem Unfallgeschehen auf Klettersteigen im Allgemeinen und aus dem beschriebenen Fall im Speziellen mitzunehmen.
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Grundsätzlich muss hier schon erwähnt werden, dass durch die Anlage von Klettersteigen Personen in mehr oder weniger „alpine“ Bereiche bzw. Felswände vordringen, für die ihre Erfahrung, ihr Können, ihre physischen und psychischen Voraussetzungen usw. z. T. bei weitem nicht ausreichend sind.
Bei „richtiger“ Verwendung der entsprechenden Ausrüstung und einer der eigenen Leistungsfähigkeit angepassten Tourenplanung kann aber „das Klettersteiggehen“ durchaus als „Spielart des Alpinismus mit relativ geringem Risiko“ betrieben werden.
Literaturtipps Schubert P. (2007): Sicherheit und Risiko in Fels und Eis / Band II, S. 57ff., Bergverlag Rother Schubert P. (2008): Sicherheit und Risiko in Fels und Eis / Band III, S. 41f., Bergverlag Rother Würtl W./Plattner P. (2011): Klettersteig, eine Empfehlung. In bergundsteigen 2/11 Semmel C. (2011): Klettersteigsets und Kinder in Sicheres Bergland 2011
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tipps
sicher am klettersteig 01
Verwendung von vollständiger (Helm, Gurt, Klettersteigset mit Falldämpfer usw.) und normgerechter Klettersteigausrüstung – keine „selbst gebastelten“ Sicherungsschlingen bzw. „normale“ (Kletter-)Karabiner verwenden.
02
Richtige Anwendung und Handhabung der Klettersteigausrüstung – v. a. auf die richtige Verbindung von Klettergurt und Klettersteigset ist zu achten.
03
Aufgrund der Vielfalt an „Klettersteigsets“ und unterschiedlichen Anseilgurten beim Kauf Gurt anziehen und eine „Hängeprobe“ durchführen.
04
Vor der ersten Verwendung Kenntnisse um die Funktionsweise des verwendeten Materials aneignen, „Gebrauchsanleitung“ lesen und „im Trockenen“ ausprobieren.
05
Dem eigenen Können, der Kondition und Erfahrung usw. angepasste Routen- bzw. Tourenauswahl – weniger ist oft mehr, Stichwort: Selbstüberschätzung.
06
Auch vor dem Einstieg in einen Klettersteig sollte ein „Partnercheck“ (Helm, Gurt, Befestigung und Sicherungsschlingen usw.) durchgeführt werden.
07
Am Klettersteig: Abstände einhalten, nur eine Person zwischen zwei Seilbefestigungen und ordnungsgemäßes Verwenden der beiden Stränge des Klettersteigsets.
08
Für schwächere Gruppenmitglieder – v. a. auch bei Kindern mit geringerer Körpergröße und geringerem Gewicht – kann auch am Klettersteig eine Seilsicherung für schwierige / steile Passagen notwendig sein.
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Stürze sind – im Gegensatz zum Sportklettern – absolut zu vermeiden.
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Überlegen und überprüfen, wo man sich gerade sichert / einhängt / festhält – nicht alles, was in Reichweite des Stahlseils und der Verankerungen eines Klettersteiges liegt, ist zur Sicherung geeignet.
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Für Einsteiger lohnt sich der Besuch eines Ausbildungstages / -wochenendes bei einem geprüften Bergführer einer Bergsteigerschule oder im Rahmen eines Ausbildungskurses bei alpinen Vereinen auf jeden Fall, denn die praktische Anwendung und Umsetzung von Informationen ist über jeden Expertentipp erhaben.
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Dipl.-Ing. FH Pit Schubert Einer der Gründer des DAV-Sicherheitskreises Präsident a. D. der UIAA-Sicherheitskommission
alles ist möglich Nur ein etwas dumpferer Ton
In einem süddeutschen Klettergarten wollte eine Seilschaft eine Erstbegehung versuchen. Der Vorsteiger hatte in gut fünf Metern Höhe einen Klemmkeil gelegt und das Seil eingehängt. Den Klemmkeil in etwa Kniehöhe, stürzte er – und fiel bis zum Einstieg. Da dort weicher Waldboden war, ging alles halbwegs glimpflich aus. Die beiden glaubten zunächst, der Klemmkeil sei herausgerissen worden – doch keine Spur davon. Der Karabiner war gebrochen. Sie konnten beide Bruchstücke finden, und sie konnten sich nicht vorstellen, dass ein Karabiner bei einem derartigen Ministurz brechen kann. Was ist passiert? Kein Materialfehler und kein Fertigungsfehler – der Karabiner ist mit offenem Schnapper belastet worden und musste bei derart geringer Belastung brechen. Der offene Schnapper war für den Vorsteiger nicht vorstellbar, denn er hatte ja gehört, wie der Karabiner geschlossen hatte – allerdings war der Ton geringfügig weniger intensiv gewesen. Was ist also passiert? Der Schnapper war auch geschlossen – nur halt nicht (!) vollständig. An der Verformung der beiden Bruchstücke ließ sich die offene Karabinerbelastung leicht nachweisen. Der „geringfügig weniger intensive“ Ton hatte sich dadurch ergeben, weil die Schlinge des Klemmkeils mit Kunststoff ummantelt gewesen ist.
Hinweis: Der Autor hängt deshalb an Stellen, wo er
stürzen könnte, am Haken davor – falls er die Route kennt, oder wenn er noch zum Haken zurückkann –
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zwei Expressschlingen parallel und gegenläufig ein oder eine Expressschlinge mit Schraubkarabinern, die er sicherheitshalber immer mitführt.
Fehlende Redundanz
Auffallend alte, ausgeblichene Schlingen, die irgendwo vorgefunden werden, sind gefährlich. Was sie noch halten, ist immer unklar. Zwar altern Schlingen längst nicht in dem Maß, wie wir uns dies vorstellen, doch kann anderer (!) Einfluss an einer Schlinge vorhanden sein. Ein Bergführer und ein Aspirant – beide aus der Schweiz – seilten nach einer aus mehreren Seillängen bestehenden Eiskletterei im Tal von Chamonix ab. An einem Baum fanden sie eine alte Bandschlinge. Die war schon beachtlich ausgeblichen, von der ursprünglichen Farbe nicht mehr viel zu erkennen. Außerdem waren die Bandenden am Knoten auffallend kurz. Deshalb fügten sie eine eigene, einwandfreie Bandschlinge hinzu. Die war etwas länger als die vorgefundene. So wurde nur die vorgefundene beim Abseilen belastet. Der Erste seilte ab – und die alte Schlinge hielt. Damit war alles sonnenklar: Der Zweite nahm die hinzugefügte Schlinge mit. Wer lässt schon gern Schlingen irgendwo zurück? Als der Zweite abseilte – riss die vorgefundene, alte Schlinge, und der Abseilende stürzte zu Tode. Wie konnte das passieren?
Ein nicht vollständig geschlossener Karabiner kann bereits bei geringer Belastung brechen.
Diese Bandschlinge riss bei der Belastung durch eine Person, die sich abseilte.
Für den Unfall waren zwei Fakten ausschlaggebend: Erstens: Der zweite Abseilende hatte ein 10 Kilogramm höheres Gewicht als der, der zuvor abgeseilt hatte. Möglicherweise hat auch der Zweite, weil er angenommen haben dürfte, dass die Schlinge hält, etwas robuster abgeseilt. Zweitens: Die Schlinge ist nicht (!) im Knoten gerissen, sondern auf der freien Schlingenlänge. Damit war klar, wodurch der Bruch erfolgt ist, und zwar durch Schwefelsäureeinfluss, was durch den Autor später nachgewiesen werden konnte. Wie die Säure an die Schlinge geraten war, blieb ungeklärt.
geklettert war, erst zwei Stunden später. Das Spital alarmierte die Gendarmerie, die sofort zum Unfallort fuhr, wo sie den anderen fand. Der hatte den Sturz zunächst offensichtlich auch überlebt, ist aber bald danach an einer Embolie gestorben. Wahrscheinlich ist der Überlebende auf den später Verstorbenen gestürzt und konnte deshalb überleben. Der Getötete diente ihm sozusagen als Knautschzone. Anders ist das Überleben eines 30 Meter hohen Sturzes kaum erklärbar.
Übereinander klettern?
Wenn zwei Kletterer ohne Seil übereinander klettern, ist die Gefahr, dass bei Sturz des oberen der untere mitgerissen werden kann, ganz offensichtlich. In einem Klettergarten waren zwei Freunde allein. Sonst war niemand zugegen. Die beiden beschlossen, eine Route im IV. Schwierigkeitsgrad solo zu begehen, weil für sie nicht besonders schwierig. Nach etwa zehn Metern überholte der Zweite, weil etwas schneller, den Ersten über eine Variante, und beide kletterten in kurzem Abstand übereinander weiter. Schließlich aber stürzte der oberhalb Kletternde und riss den unterhalb Befindlichen mit herab. Sturzhöhe etwa 30 (!) Meter. Der oberhalb Gestürzte konnte sich geistig völlig abwesend ins nahe gelegene Spital schleppen. Wie dies möglich war, konnte nicht geklärt werden. Im Spital wurde er auf der Notfallstation behandelt. Völlig verwirrt, kam ihm die Erinnerung, dass er ja nicht allein
Die gerissene Stelle im Detail. (Bilder: Pit Schubert)
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Im vergangenen Jahr ereigneten sich zwei medial aufsehenerregende Unfälle im vergletscherten Hochgebirge. Der erste Unfall ereignete sich im Frühjahr 2010. Vier Schneeschuhgeher konnten aufgrund eines Schlechtwettereinbruches nicht mehr vom Großvenediger absteigen und mussten mehrere Tage in einer Schneehöhle ausharren. Da die Verunfallten mit Schneeschuhen unterwegs waren, wird dieser Unfall jedoch unter der Kategorie (Ski-)Tour erfasst.
Beim zweiten Unfall handelt es sich um einen Unfall am Großglockner, der in dieser Ausgabe beschrieben wird. Insgesamt ereigneten sich im abgelaufenen Berichtszeitraum 48 Unfälle mit 92 verunfallten Personen auf Hochtouren. Dies bedeutet eine Zunahme von sechs Unfällen im Vergleich zum Vorjahr. Berücksichtigt werden in dieser Kategorie Unfälle im (vergletscherten) Hochgebirge, wenn die Verunfallten zu Fuß unterwegs waren. Skihochtouren werden in der Kategorie (Ski-)Touren erfasst.
Verunfallte auf Hochtouren 11/2009-10/2010 Österreichweit gesamt:
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statistik
hochtouren
Verunfallte nach Herkunft
Verunfallte nach Alter
Häufig werden Bergsteiger aus Osteuropa als besonders risikofreudig dargestellt. Dennoch lehrt uns die Statistik, dass hauptsächlich Österreicher und Deutsche bei Unfällen im Hochtourenbereich beteiligt sind. Um das Risiko beurteilen zu können, fehlen aber die Daten, wie viele Personen aus welchen Ländern auf Hochtouren unterwegs sind.
Von den 92 verunfallten Personen waren 80 Männer und 12 Frauen. Der Großteil war zwischen 21 und 50 Jahre alt. Dabei dürfte es sich wohl um die typische Bergsteigeraltersgruppe handeln.
Jahre 71-80
Herkunft
Verunfallte
Tote
Österreich
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1
Deutschland
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2
61-70
7
51-60
Bulgarien
7
0
Polen
7
3
Rumänien
4
0
Tschechien
4
0
Großbritannien
3
0
Litauen
1
0
Serbien und Montenegro
1
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11-20
Niederländische Antillen
1
0
1-10
92
6
Gesamt
2
10
41-50
21
31-40
24
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23
3
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15 Verunfallte
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25 n = 90
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berg. mensch. risiko. Eigenverantwortung am Berg - eine vom Aussterben bedrohte Spezies?
berg. schnee. lawine. Zum Tode verurteilt: Neues aus der Überlebenskurve
Vortragende 2011: Werner Munter, Pit Schubert und Jürg Schweizer sommer 2011
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hochtouren
vermisst Am 30./31. Oktober 2010 ereignete sich eine Tragödie auf dem Großglockner. Fünf polnische Bergsteiger wollten über den Stüdlgrat den Großglockner besteigen. Nur zwei kamen am nächsten Tag wieder ins Tal und alarmierten die Rettungskräfte. Der Einsatz der Bergrettung und Alpinpolizei hielt die Öffentlichkeit für drei Tage in Atem. Schlussendlich konnten jedoch die drei Vermissten nur mehr tot geborgen werden. Mit Sicherheit einer der anspruchvollsten Einsätze für die bodengebundenen alpinen Rettungskräfte in den letzten Jahren.
Franz Franzeskon beschreibt den Unfallhergang und die Ermittlungstätigkeit der Alpinpolizei in Form eines Unfallberichtes. Weiters berichtet er über den Sucheinsatz der Alpinpolizei und der Bergrettung.
Hans Ebner und Hanno Bilek analysieren den Unfall und zeichnen die Unfallkette nach.
Peter Ladstätter informiert als Einsatzleiter der Bergrettung in Form eines Interviews über die Schwierigkeiten während des Einsatzes.
SALZBURG
30./31. Oktober 2010 nachts Hohe Tauern, Großglockner ca. 3.500 m / 2.600 m Gemeinde Kals / Tirol
KÄRNTEN OSTTIROL
3 Personen tot, 2 Personen unverletzt 1 Notzarzthubschrauber 1 Polizeihubschrauber Bergrettung Kals und Heiligenblut Alpinpolizei
facts
76analyse:berg
Abteilungsinspektor Franz Franzeskon Leiter Alpine Einsatzgruppe Lienz Polizei-Bergführer Flight-Operator bei den Hubschraubern des Bundesministeriums für Inneres
hochtouren
bericht
vermisst am glockner
Am 29. Oktober 2010 stiegen fünf Bergsteiger aus Polen gemeinsam zur Stüdlhütte bei Kals in Osttirol auf. Sie wollten von dort den Großglockner über den Stüdlgrat besteigen. So spät im Herbst ist die Stüdlhütte nicht mehr bewirtschaftet, so richteten sich die Polen für die Nacht im Winterraum ein. Am nächsten Tag, es war ein Samstag, starteten sie frühmorgens zur Luisenscharte, dem Einstieg zum Stüdlgrat. Sie wollten ihn in einer Zweier- und einer Dreier-Seilschaft bewältigen und anschließend auch wieder über den Stüdlgrat absteigen. Die Polen waren gut ausgerüstet und konnten als bergerfahren bezeichnet werden. Den Großteil des Stüdlgrates stiegen sie gemeinsam auf, erst im oberen Bereich trennten sie sich. Die Zweier-Seilschaft legte ein höheres Tempo vor und kam wesentlich besser mit den Schwierigkeiten zurecht.
Zweierteam gegen 18.00 Uhr auf dem Gipfel
Gegen 18.00 Uhr erreichte das Zweier-Team den Gipfel des Großglockners. Sonnenuntergang war bereits gegen 17.00 Uhr. Weil sich das Wetter zu diesem Zeitpunkt bereits deutlich verschlechterte, entschieden sich die beiden – entgegen der Vereinbarung mit den Kameraden –, nicht auf dem Gipfel zu warten und nicht über den Stüdlgrat zurück ins Tal zu klettern. Sie entschieden sich für den Rückweg über den leichteren Normalweg über den Kleinglockner zur Adlersruhe. Diese erreichten sie gegen 21.00 Uhr bei Dunkelheit und trafen dort noch weitere Bergsteiger.
Alarmierung am nächsten Tag
Sonntagfrüh stieg dann die Zweierseilschaft von der
Adlersruhe weiter in Richtung Stüdlhütte, ihrem ursprünglichen Ausgangspunkt, ab. Erst als sie gegen Mittag – mindestens 14 Stunden nach der offensichtlichen Notlage der anderen Seilschaft auf dem Kleinglockner – auf die Stüdlhütte kamen und sahen, dass ihre drei Kameraden nicht dort waren, setzten sie einen Notruf ab. Anhand der Fundorte der Toten und Aussagen der Überlebenden versuchte die Alpinpolizei, die Wege und tödlichen Schicksale der Dreier-Seilschaft zu rekonstruieren: Das polnische Dreier-Team – bestehend aus Vater und Sohn sowie einem Freund des Sohnes – muss deutlich nach 18.00 Uhr auf dem Gipfel angekommen sein. Auch für diese Bergsteiger war klar, dass ein Abstieg bei Dunkelheit über den Stüdlgrat unmöglich war. So entschieden auch sie sich für den Weg zur Adlersruhe. Der Vater dürfte beim Abstieg auf dem Kleinglockner allerdings gesundheitliche oder konditionelle Probleme bekommen haben. Sein Sohn und dessen Freund sicherten den Vater an eine der Stahlstangen am Kleinglockner und stiegen von dort ab, um vermutlich auf der Adlersruhe Hilfe zu holen. Es ist jedoch unklar, ob der Vater zu diesem Zeitpunkt noch lebte oder bereits verstorben war. Im mittleren Glocknerleitl banden sich die beiden aus dem Seil aus und stiegen seilfrei über das Eisleitl in Richtung Oberen Bahnhof. Dort verirrten sie sich im heftigen Sturm, verfehlten die Richtung zur Adlersruhe und gerieten in den oberen Bereich des steilen Lammereises. Dort stiegen beide über die Steilflanken in
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hochtouren
Der Großglockner, von Südosten fotografiert. Sehr gut ist der Verlauf des Notabstiegs vorstellbar. Im Bild ist der Auffindungspunkt der beiden jüngeren Bergsteiger markiert. Beide sind an dieser Stelle an Unterkühlung verstorben. (Bild: Alpinpolizei Kärnten)
Richtung Pasterzenboden ab. Vermutlich im steilen Schrofengelände unterhalb des Lammereises dürfte einer der beiden zu Sturz gekommen und sich dabei eine schwere Beinverletzung zugezogen haben. Laut Obduktionsbericht war es ein offener Splitterbruch des linken Unterschenkels. Diese Verletzung erwähnte der junge Mann am 31. Oktober 2010 um 9.20 Uhr bei einem Telefongespräch über Handy mit seiner Mutter in Polen. Eine genaue Ortsangabe seines Standortes konnte der schwer verletzte Bergsteiger dabei offenbar nicht machen. Schließlich sind die jungen Männer im Verlauf des Sonntags bei Sturm und Schlechtwetter auf einer Seehöhe von etwa 2.600 Metern unterhalb des Lammereises erfroren.
Bild oben: An diese Stange haben die beiden den Vater mit einer Bandschlinge gesichert. Wie an den Windzeichen erkennbar, ist der Standort dem Wind stark ausgesetzt. Bild unten: Ein Bergrettungmann zeigt das Seilende. An dieser Stelle dürften sich die beiden jungen Polen aus dem Seil ausgebunden haben und seilfrei weiter abgestiegen sein. (Bilder: Bergrettung Kals)
78analyse:berg
hochtouren
wetter und topo vermisst am glockner
Wetteraussichten für Samstag
Ostalpen: Nördlich des Alpenhauptkammes starker Föhn bei meist nur geringer Bewölkung, im Süden nimmt die Bewölkung im Tagesverlauf zu, nachmittags teilweise erste leichte Niederschläge. In den Niederungen am Alpenostrand teilweise zäher Hochnebel. Temperaturen in 2.000 m zwischen +2 Grad im Süden und +12 Grad in den östlichen Föhngebieten, in 3.000 m - 2 bis +4 Grad. Stürmische, in Föhngebieten auch orkanartige Winde aus südlichen Richtungen.
Topografie
Der Stüdlgrat ist nach dem Normalweg der beliebteste Anstieg auf den höchsten Gipfel Österreichs. Es handelt sich dabei um eine Tour im zweiten bis dritten Schwierigkeitsgrad (max.IV-). Aufgrund seiner Länge, Höhe und der Tatsache, dass der Stüdlgrat teilweise sehr ausgesetzt ist, ist dieser Anstieg nicht zu unterschätzen. Schwierige Stellen sind mit Haken und Eisenstiften sehr gut abgesichert. Der Abstieg erfolgt meist über den Normalweg zur Adlersruhe bzw. Erherzog-Johann-Hütte. Großglockner 3798 m 1-2
t
Die Alpen liegen auf der Vorderseite des steuernden Tiefs über Großbritannien in einer starken Südwestströmung. Zum Sonntag bildet sich zudem ein Mittelmeertief an der französischen Küste.
Rampe
2+
Ostalpen: Am Sonntag bleibt es nördlich des Alpenhauptkammes bei heftigem Föhn und aufgelockerter Bewölkung, im Süden setzen Niederschläge ein, die teilweise stark ausfallen können. Am Montag schwächt sich der Föhn im Norden ab, im Süden noch sehr nass. Schneefallgrenze um 1.800 m. Dienstags Wetterberuhigung, aber überall etwas unbeständig. Quelle: Alpenvereinswetterbericht der ZAMG
Fixseil
1-2
Abstieg (1 - 2, und steiler Firn)
2 3+
Platte mit Fixseilen
2
Weitere Aussichten
Kleinglockner 3770 m
1-2
2
NW -G ra
Wetterlage
Platte
3 2 3 Hangelgrat 3
Platte
Grat 2 2
DrahtseilVerschneidung
3 A0
Grat
2 2 2 Kanzel
3 2 Verschneidung
3
Frühstücksplatzl 3550m Blockgelände
Tafel 2-
1-2 Blockgelände
Topo Stüdlgrat. Aufstiegsroute der zwei Seilschaften. (Bild: Alpinverlag – www.bergsteigen.com)
2+
Rinnenkamin
Blockgelände 1 - 2 "Peterstiege"
Teischnitzkees
dir. E 3
Luisenscharte 3175 m
Ködnitzkees Luisenkopf
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Abteilungsinspektor Franz Franzeskon
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Leiter Alpine Einsatzgruppe Lienz Polizei-Bergführer Flight-Operator bei den Hubschraubern des Bundesministeriums für Inneres
sucheinsatz vermisst am glockner
Am 31. Oktober 2010 gegen 12.25 Uhr wurde die Bezirksleitstelle der Polizei Lienz von der Leitstelle Tirol verständigt, dass drei polnische Bergsteiger auf dem Großglockner abgängig seien. Die Meldung wurde gleichzeitig auch an die Ortsstelle Kals des Österreichischen Bergrettungsdienstes weitergegeben, die für die Osttiroler Seite des Großglockners zuständig ist. Es gab zwei beinahe zeitgleiche Anrufe bei der Leitstelle Tirol – einerseits die beiden Polen, die vom Gipfel auf die Stüdlhütte zurückgekehrt waren, andererseits eine Frau, die die Notlage ihres Sohnes im Bereich des Großglockners mitteilte. Ihr Sohn habe sich verirrt, sich den Unterschenkel gebrochen und habe eine sehr schlimme Nacht hinter sich.
Drei Seilschaften zu je drei Mann versuchten von der Adlersruhe im heftigen Sturm und bei schwierigen Bedingungen in Richtung Kleinglockner aufsteigen. Am östlichen Ende des Kleinglockners fand die erste Seilschaft dann einen Toten, der an einer der Eisenstangen gesichert war. Der Mann war halb eingeschneit. Von ihm führte ein 70 Meter langes Seil über die Hälfte des Glocknerleitls hinunter, wobei an der dritten Sicherungsstange unterhalb in der Öse ein Karabiner eingeklinkt war. Durch diesen lief das Seil. An seinem Ende wurde ein aufgebundener Achterknoten (gefädelter Achter) festgestellt. Das Seilende hing ungefähr einen Meter in die Nord-Ostseite des Kleinglockners.
Vorerst glaubten die Einsatzmannschaften aufgrund dieser Angaben, die fünf Personen hätten sich auf dem Stüdlgrat im Bereich der „Platte“ getrennt, nachdem sich der Bergsteiger Jedrzej C. dort den Unterschenkel gebrochen hatte. Die gesamte Einsatztaktik wurde in den nächsten Tagen auf dieses Szenario abgestimmt. Die reale Situation war dann völlig anders, aber das konnten Bergrettungsleute und Alpinpolizisten zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen.
Erst nach Befragung der beiden Polen im Lucknerhaus, die ihre Freunde als abgängig gemeldet hatten, wurde anhand der Kleidung klar, dass der Tote der Vater – also der Älteste der Dreier-Seilschaft – sein musste. Deshalb vermuteten die Einsatzkräfte, dass sich die beiden anderen Abgängigen noch auf dem Stüdlgrat unterhalb des Gipfels befinden mussten und vielleicht noch lebten. Noch auf dem Kleinglockner berieten die Bergretter und der Leiter der Alpinen Einsatzgruppe der Polizei aus Lienz über die weitere Vorgangsweise. Das Team musste zur Kenntnis nehmen, dass es wegen des extremen Höhensturms mit Windspitzen (mehr als 100 km/h) zu riskant war, zum Glocknergipfel auf- und dann noch eine unbekannte Wegstrecke über den Stüdlgrat abzusteigen, um zu den beiden Polen zu gelangen.
Der Notarzthubschrauber „Christophorus 7“ flog jedenfalls noch am 31. Oktober 2010 insgesamt elf Bergrettungsmänner aus Kals am Großglockner, einen Notarzt der Bergrettung und vier Alpinpolizisten der Alpinen Einsatzgruppe Lienz auf eine Seehöhe von ca. 2.600 Metern. Von dort stiegen sie bis zur so genannten Adlersruhe (Erzherzog-Johann-Hütte), auf 3.454 Metern Seehöhe die höchstgelegene Schutzhütte der Ostalpen.
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Gegen 20.30 Uhr erreichte die Mannschaft wieder die
Die Einsatzkräfte, bei widrigen Verhältnissen am Berg unterwegs. (Bilder: Bergrettung Kals)
Adlersruhe und verbrachte dort die Nacht. Während der ganzen Nacht wütete um den Großglockner ein entsetzlicher Sturm.
gelegt, die Sicht ab 2.000 Metern Seehöhe war aber immer noch gleich null. Trotzdem entschloss sich die Einsatzleitung, zwei Teams der Bergrettung mit insgesamt acht Männern und einem Alpinpolizisten in Richtung Gipfel aufsteigen zu lassen. Pilot Johann Schausberger hatte sich – trotz des schlechten Wetters auch im Tal – von der Flugeinsatzstelle Klagenfurt bis Kals durchgekämpft. So stand die Maschine wenigstens unten bereit, sollte sich das Wetter bessern.
hochtouren
Die beiden jungen Polen ließen Seil und Expressschlingen am Grat zum Kleinglockner zurück.
Auch am nächsten Tag besserte sich das Wetter nicht, zeitweise waren die Verhältnisse noch schlechter als zuvor. An einen Aufstieg zum Gipfel des Großglockners war – so schwer es der Mannschaft auch fiel – noch immer nicht zu denken. So suchten die Männer die Umgebung der Adlersruhe bis zum Oberen Bahnhof, Meletzkygrat und dem oberen Bereich des Hofmannskees bei dichtem Nebel und Sturm ab. Es wurde niemand gefunden. So entschloss sich das Team zum Abstieg. Dabei wurden noch Mürztalersteig, Südwandkegel des Kleinglockners, Auslauf der Pillwaxrinne, Luisengrat sowie die Moränen und offenen Gletscherspalten des Ködnitzkees abgesucht. Die Suche nach den vermissten Polen verlief auch an diesem 1. November 2010 ohne konkretes Ergebnis. Die Zweierseilschaft wurde in der Zwischenzeit von den Beamten der Alpinpolizei im Tal eingehend befragt, um genauere Erkenntnisse über den Unfallhergang zu erlangen. Eine Handypeilung des Mobiltelefons von einem der beiden Vermissten ergab jedoch, dass sich das Gerät beim Umsetzer auf dem Freiwandeck im Bereich der Franz-Josefs-Höhe eingeloggt hatte – also auf Kärntner Seite des Großglockners. An einen Hubschrauberflug zur Ortung und genauen Lokalisierung des Geräts war wegen des miserablen Wetters nicht zu denken. Am 2. November 2010 hatte sich der Sturm etwas
Gegen 16.15 Uhr lichteten sich die Wolken. Bei einem kurzen Erkundungsflug wurden keine Spuren der zwei vermissten Polen gefunden. Auch auf dem Stüdlgrat bei der „Platte“, wo sich die beiden Seilschaften getrennt hatten, sahen die Rettungsflieger niemanden. Die Situation wurde immer undurchsichtiger. Große Ratlosigkeit zeigte sich in den Gesichtern. Wegen der völlig unklaren Situation entschloss sich die Einsatzleitung, die aufsteigende Mannschaft aufzuteilen. Einige Bergretter sollten noch am Abend vom Gipfel auf dem Stüdlgrat absteigen und den Bereich der „Platte“ auf der Süd- bzw. Westseite absuchen. Der Rest der Mannschaft sollte die am 1. Tag gefundene Leiche vom Kleinglockner bergen, zur Adlersruhe bringen und dort für den Abtransport mit dem Hubschrauber am nächsten Tag vorbereiten. Laut Wetterbericht sollte es am 3. November 2010 schönes Wetter geben. Deshalb wurde noch am Vorabend auf der Adlersruhe ein genauer Einsatzplan fixiert. Im Zuge der Vorbereitungen wurden auch die Bergrettung Heiligenblut und die Alpine Einsatzgruppe Spittal an der Drau (beide auf Kärntner
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Zwei Bergretter am dritten Tag knapp unterhalb des Gipfels des Großglockners. Im Hintergrund der Kleinglockner. (Bild: Bergrettung Kals)
Seite) angefordert und in den Plan der der Osttiroler Einsatzkräfte eingebunden. Es gab wegen der Handy-Peilung nun Grund zur Annahme, dass sich zumindest einer der Vermissten auf Kärntner Seite des Berges befinden konnte. Am 3. November 2010 richteten die Retter auf der Adlersruhe eine vorgeschobene Einsatzleitung ein. Es folgte ein ausgedehnter Suchflug von „Christophorus 7“ rund um den Großglockner, wobei die ÖAMTC-Besatzung den Stüdlgrat und die Südseite des Massivs besonders aufmerksam unter die Lupe nahm. Parallel flog der Polizeihubschrauber „Libelle Kärnten“ aus Klagenfurt weitere Bergretter und Alpinpolizisten zu Absetzpunkten auf der Osttiroler und Kärntner Seite des Berges. Gegen 10.00 Uhr sichtete die Besatzung des Kärntner Polizeihubschraubers unterhalb des so genannten Lammereises einen menschlichen Körper. Die Überprüfung ergab, dass es sich um einen der vermissten Polen handelte. Bei der Bergung des Leichnams wurde etwa acht Meter oberhalb und etwas seitlich ein zweiter Toter entdeckt. Das Team der „Libelle Kärnten“ flog die beiden Leichen nach Heiligenblut. Die Bergretter und Alpinpolizisten auf dem Großglockner wurden bei ihrer Suchaktion über Funk völlig von der Nachricht überrascht, dass die beiden Polen unterhalb des Lammereises gefunden worden waren – also weit abseits der bisher vermuteten Bereiche. Währenddessen wuchs das Interesse österreichischer und internationaler Medien über den Verlauf der Suchaktion auf dem Glockner enorm an. Die
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inzwischen in Kals am Großglockner eingetroffenen Angehörigen der Toten wurden von Spezialisten der Polizei und einem Kriseninterventionsteam betreut. Dass die Suchaktion einen völlig anderen Verlauf als geplant nahm, lag nicht im Ermessensbereich der Einsatzkräfte. Die beiden Polen hatten offenbar einen Notabstieg in Falllinie auf Kärntner Seite des Großglockners versucht und waren dabei getötet worden. Von der Staatsanwaltschaft wurde die Obduktion der verstorbenen Polen angeordnet. Demnach starben alle drei Bergsteiger an Unterkühlung. Zusätzlich hatte einer der beiden Toten vom Lammereis einen Splitterbruch des linken Unterschenkels und Verletzungen der Halswirbelsäule erlitten.
Mag. Hanno Bilek Oberst Hans Ebner
analyse
vermisst am glockner
Besonders bei Unfällen mit Todesfolge ist eine Fehleranalyse meist sehr schwierig. Gibt es keine Zeugen- bzw. Aussagen von Überlebenden, können viele Punkte nicht als Tatsachen betrachtet werden, sondern sind vielmehr Annahmen auf Grund vorhandener Spuren. Als Autoren wollen wir mit einer Analyse nicht Verunfallte verurteilen, sondern vielmehr Muster aufzeigen, die zu einem Unfall führen können. Ausgangslage Aus den Einvernahmeprotokollen geht hervor, dass die fünf polnischen Bergsteiger beabsichtigten, von der Stüdlhütte (2.801 m) aus den Gipfel des Großglockner (3.798 m) über den Stüdlgrat zu besteigen und über diesen Weg wieder zur Stüdlhütte zurückzukehren. In allen Ausbildungskursen und auch Lehrbüchern zum Thema Bergsteigen ist die Tourenplanung ein zentraler und wichtiger Punkt in der Umsetzung. Immerhin gilt es dabei, den Grundstein für das Gelingen einer Tour zu legen, für das ausgewählte Ziel möglichst umfassende Informationen zu erhalten und auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein, um im Notfall rasch die richtigen Entscheidungen treffen und Handlungen setzen zu können. Wir möchten hier kurz nochmals die Eckpfeiler, abgestimmt auf den Stüdlgrat, anführen: Gelände Sowohl Karten als auch topografische Skizzen, Gebietsführer, auch Tourenberichte (persönlich, Internet) sind Informationsquellen, die für eine Beurteilung des
Geländes herangezogen werden können. Schwierigkeit der Tour, Schlüsselstelle und ein Zeitplan mit Umkehrpunkten sollten erstellt werden, für den Notfall gilt es, verschiedene Aufstiegs- und Abstiegsvarianten zu berücksichtigen, sollte dies möglich bzw. notwendig sein. Verhältnisse Aktuelle Informationen sind zum Stüdlgrat relativ einfach zu organisieren. Der Wetterbericht ist im Internet mehrsprachig abrufbar. Eine Verschlechterung des Wetters wurde von den heimischen Wetterdiensten für den Abend prognostiziert, im Vorfeld stürmischer Wind aus Südwest. Bei Touren am Alpenhauptkamm ist dies immer ein zu berücksichtigender Faktor, speziell der Stüdlgrat, aber auch der Abstieg vom Großglockner auf die Adlersruhe sind extrem dem Wind ausgesetzt, es gibt kaum Möglichkeiten, sich davor zu schützen. Wichtig ist auch die Berücksichtigung der Tageslänge, Ende Oktober ist es gegen 17.00 Uhr finster, deshalb ist ein früher Tourenstart bei längeren Unternehmungen unumgänglich. Teilnehmer „Eine Kette ist immer nur so stark wie ihr schwächstes Glied.“ Eine inhomogene Seilschaft bedeutet besondere Verantwortung für die Stärkeren der Gruppe. Die technischen und konditionellen Fähigkeiten aller Gruppenmitglieder gilt es zu beurteilen. Den Verhältnissen und dem Gelände angepasst sollte die Ausrüstung aller Teilnehmer sein. Durch richtige führungstechnische Maßnahmen bzw. richtige Zusammensetzung der
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Mitglied der Bergrettung Tirol Im Kuratorium für Alpine Sicherheit verantwortlich für die Alpinunfallstatistik und analyse:berg
Polizeibergführer, staatlich geprüfter Berg- und Skiführer, gerichtlich beeideter Sachverständiger für Alpinistik, Leiter des Alpindienstes im BMI
hochtouren
Aufnahme vom Großglockner. Das Bild wurde am Samstag, 30. 10. 2011, um ca. 15.00 Uhr aufgenommen. Zu dieser Zeit war es noch wolkenlos. Auch der Grat scheint noch trocken zu sein (soweit auf diesem Bild erkennbar). (Bild: Bergrettung Kals)
Auf einer Tafel vor der Stüdlhütte finden die Bergsteiger wesentliche Informationen wie Schwierigkeiten und Richtzeiten für eine Besteigung des Stüdlgrates. (Bild: David Kupsa)
Seilschaften können schwächere Gruppenmitglieder unterstützt werden.
hatten sich die Bergsteiger über das Internet ein Topo vom Stüdlgrat besorgt. Die Ausrüstung entsprach den Erfordernissen, alle fünf Bergsteiger waren neben der normalen Kletterausrüstung mit Steigeisen, Pickel, Stirnlampe und Schutzbekleidung ausgerüstet.
Während der Tour sind die in der Tourenplanung gewonnenen Erkenntnisse laufend zu evaluieren. Entsprechen die Verhältnisse den Prognosen? Bin ich auf dem richtigen Weg? Wie schnell bin ich im Vergleich zu meinem Zeitplan? Sind alle Gruppenmitglieder sicher unterwegs und körperlich in der Lage, den Rest der Tour zu schaffen? Weicht die aktuelle Situation vom Tourenplan deutlich ab, sollten die in der Planungsphase angedachten Alternativen überlegt werden. Verhältnisse o. k. Die Verhältnisse in den Tagen vor dem Unfallwochenende waren gut. Ein von einem Bergrettungsmann aufgenommenes Bild zeigt am Unfalltag (30. 10. 2010) gegen 15.00 Uhr schönes Wetter und trockene Verhältnisse auf dem Stüdlgrat. Lediglich auf der Westseite lag stellenweise Schnee. Bestätigt wird dies auch von den beiden Überlebenden, die von sehr guten, trockenen Verhältnissen sprachen. Steigeisen verwendeten sie nicht. Erst gegen 18.00 Uhr – also zu dem Zeitpunkt, als die beiden Überlebenden den Gipfel erreichten – begann sich das Wetter zu verschlechtern. Die Gruppe hatte sich am Donnerstagabend (28. 10. 2010) in ihrer Heimat über das zu erwartende Wetter erkundigt. Laut dieser Wetterprognose sollte das Wetter am Sonntag (31. 10. 2010) schlechter werden. Während der Anreise zur Stüdlhütte wurde kein aktuellerer Wetterbericht mehr abgerufen. Ebenso
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Zu langsam unterwegs Bei guten Bedingungen (trockene Verhältnisse, gutes Wetter) dauert der Aufstieg von der Stüdlhütte auf den Gipfel ca. 4-5 Stunden für den Durchschnittsbergsteiger. Bei schwierigeren Bedingungen verlängert sich die Aufstiegszeit entsprechend. Beide Seilschaften starteten gemeinsam gegen 6.30 Uhr. Die erste Seilschaft erreichte nach 11,5 Stunden gegen 18.00 Uhr den Gipfel. Vom Gipfel des Großglockners zur Adlersruhe (3.454 m) benötigten die beiden Polen ca. 3 Stunden. Auch das ist etwa die doppelte Zeit, die eine durchschnittliche Seilschaft für den Abstieg benötigt. Zurückzuführen ist das unter anderem auch darauf, dass sich das Wetter am Weg vom Gipfel zur Hütte merklich verschlechtert hatte. Einer der beiden Überlebenden gab an, kurz vor der Adlersruhe vom orkanartigen Sturm umgerissen worden zu sein, sodass er auf dem Boden zu liegen gekommen sei. Die letztendlich verunfallte Dreierseilschaft brauchte noch länger auf den Gipfel. Wann sie dort angekommen ist, kann nicht genau gesagt werden. Vom Kleinglockner aus will einer der beiden Überlebenden eine Person mit Stirnlampe im Abstieg vom Großglockner gesehen haben. Die überlebenden Bergsteiger sprachen davon, während der Tour „gebummelt“ zu haben, sie hatten es offenbar nicht eilig, sie genos-
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Der Großglockner vom Südosten. Im Bild ist die Auffindestelle der beiden jungen Polen rot markiert. (Bild: Franz Franzeskon, Alpinpolizei Tirol)
sen das schöne Wetter und das schöne Panorama und rechneten auch damit, bei Dunkelheit vom Gipfel absteigen zu müssen, was ihnen auf Grund ihrer passenden Ausrüstung und der Wetterprognose (aus Polen – Wetterverschlechterung erst im Laufe des Sonntags prognostiziert) unbedenklich erschien. Inhomogene Gruppe Der überlebende Sohn war offensichtlich der Erfahrenste der fünfköpfigen Gruppe. Er war bereits zweimal auf dem Großglockner gewesen, auch Touren in den Westalpen hatte er schon durchgeführt. Dass er der Stärkste der Gruppe war, beweist auch der Umstand, dass er bereits von der Stüdlhütte weg zwei Paar Steigeisen der Dreierseilschaft in seinem Rucksack trug, um ihnen Gewicht zu ersparen, auch den Pickel seines Vaters hatte er im Rucksack. Sein Seilpartner bezeichnet sich selbst eher als Sportkletterer (Touren bis franz. 7b), aber auch mit Erfahrungen bei Hochtouren. Der Älteste der Dreierseilschaft war offensichtlich der Schwächste der Gruppe. Er war schon im Zustieg zum Stüdlgrat sehr langsam unterwegs, hatte aber nicht über gesundheitliche Probleme geklagt. „Man hatte aber deutlich gesehen, dass er an diesem Tag schwächer war als sonst“, meint einer der Überlebenden, der ihn schon lange kenne und ihn einzuschätzen wisse. Die beiden Jüngeren der Dreierseilschaft dürften körperlich in besserer Verfassung gewesen sein als der Vater. Die Dreierseilschaft verwendete ein 70-Meter-Seil, der Seilzweite war bei der Seilmitte eingebunden, der Vater und schwächste am Seilende. Aus führungstaktischer Sicht wäre in die optimale
Seilschaftseinteilung gewesen: der Stärkste der Gruppe mit seinem Vater, dem offensichtlich Schwächsten der Gruppe, als Zweierseilschaft und die anderen zu dritt am Seil hinter der Zweierseilschaft. Die beiden Geführten der Dreierseilschaft sollten optimalerweise knapp hintereinander eingebunden klettern. Die Verwendung eines 70-Meter-Einfachseiles am Stüdlgrat ist auch nicht die optimale Wahl. Das erhöhte Gewicht kann schwächeren Bergsteigern körperlich zusetzen. Eine Dreierseilschaft ist gegenüber einer Zweierseilschaft meist langsamer, ist der Schwächste Teil davon, wirkt sich das zusätzlich zeitverzögernd aus. Trennung der Gruppe Besonders in Notfällen ist jede Unterstützung, die eine Seilschaft bekommen kann, überlebenswichtig. Die beiden Seilschaften trennten sich genau in jenem Moment, in dem die Verhältnisse schlechter wurden. Am Gipfel trat die bessere Seilschaft den Abstieg an, ohne auf die schwächere zu warten und unterstützend eingreifen zu können (Partnertausch, Aufbau und Vorbereitung der Sicherungskette etc.). Als die beiden Überlebenden gegen 21.00 Uhr auf der ErzherzogJohann-Hütte ankamen, herrschte bereits orkanartiger Sturm. Die zwei Paar Steigeisen und der Pickel des Vaters waren noch im Rucksack des überlebenden Sohnes – er hatte im Abstieg nicht mehr daran gedacht, dass sie diese noch brauchen könnten. Erschöpften Bergsteiger zurückgelassen und verirrt Während die beiden Überlebenden die Adlersruhe erreicht hatten, versuchte die Dreierseilschaft noch,
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112 - der Euro-Notruf funktioniert europaweit. In Österreich ist das Absenden des Notrufes 112 auch ohne SIM-Karte möglich. Österreichweit gilt der Alpinnotruf 140. Damit erreicht man direkt die Bergrettungs- bzw. die Rettungsleitstelle. (Bilder: Hanno Bilek)
sich vom Gipfel zur rettenden Hütte durchzukämpfen. Der zu dieser Zeit schon orkanartige Sturm und die allgemeine Erschöpfung von diesem ließen einen weiteren Abstieg ohne fremde Hilfe wahrscheinlich nicht mehr zu. Zur Sicherheit fixierten sie ihn mit einer Bandschlinge an einer Eisenstange. Sie stiegen weiter über den Grat Richtung Adlersruhe ab. Im Abstieg vom Eisleitl dürften sie sich bei Orkan, Schneefall und schlechter Sicht verirrt haben und gerieten im Bereich des Oberen Bahnhofes ins steile Lammereis auf der Kärntner Seite des Glockners. Dort dürfte ein Bergsteiger abgestürzt sein (nur einer der beiden hatte Steigeisen dabei). Dabei zog er sich eine schwere Unterschenkelverletzung zu. Von dort aus dürfte er auch am 31. 10. 2010 das Telefonat mit seiner Mutter geführt haben, das Telefon war um 9.20 Uhr beim Umsetzer Freiwandeck auf der Glocknerstraße (Kärnten) eingeloggt. Zu späte Alarmierung der Einsatzkräfte Die beiden Überlebenden ihrerseits stiegen immer noch im Glauben, ihre Begleiter auf der Stüdlhütte anzutreffen, am 31. 10. 2010 in der Früh von der Adlersruhe zur Stüdlhütte ab. Beim Abstieg verirrten sie sich und einer stürzte in eine Gletscherspalte, aus der sie von anderen Bergsteigern gerettet wurden. Als die Bergsteiger gegen Mittag auf der Stüdlhütte die anderen drei nicht antrafen, schlugen sie um 12.07 Uhr über die Notrufnummer 140 bei der Leitstelle Tirol Alarm. Etwa zur gleichen Zeit wurde auch aus Polen über Veranlassung der Mutter bei der Leitstelle Tirol die Meldung über das Telefonat ihres Sohnes gemacht. Um 12.25 Uhr, also etwa 18 Stunden nach-
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Am Frühstücksplatz ist eine Warntafel angebracht. Sollte man länger als drei Stunden bis zu dieser Tafel benötigen, wird zur Umkehr aufgefordert. (Bild: Hans Ebner, Alpinpoizei)
dem sich die Seilschaften getrennt hatten, wurde der Such- und Rettungseinsatz eingeleitet. Wieso die beiden Überlebenden in Anbetracht der miserablen Wetterlage und um das körperliche Manko des Vaters wissend auf der Adlersruhe keine Hilfe organisierten, ist ein Rätsel. Bei ihrer Befragung gaben sie an, dass sie damit rechneten, die drei am nächsten Tag auf der Stüdlhütte zu treffen (!!!). Sie glaubten also, dass die anderen an der Adlersruhe vorbei direkt zur Stüdlhütte abgestiegen seien. Zu dem Zeitpunkt waren 15 Bergsteiger im Winterraum der Adlersruhe anwesend. Auch versuchte am Abend des 30. 10. 2010 weder jemand der überlebenden Seilschaft eine telefonische Kontaktaufnahme mit den anderen, noch versuchte einer der später ums Leben gekommenen im Abstieg vom Großglockner einen Notruf abzusetzen. Zusammenfassung Die Tragödie hat wohl mehrere Ursachen: Zu langsam unterwegs, ihre Informationen das Wetter betreffend nicht aktuell, die Verschlechterung trat bereits am 30. 10. 2010 gegen 18.00 Uhr ein. Eine inhomogene Gruppe, verbunden mit einer unpassenden Seilschaftseinteilung dürfte wohl auch zum tragischen Ende der Dreierseilschaft beigetragen haben. Die krasse Fehleinschätzung der beiden Überlebenden bzw. das Verabsäumen der rechtzeitigen Alarmierung der Rettungskräfte sind beinahe nicht nachvollziehbar. Äußere Faktoren (Verhältnisse) am Stüdlgrat selbst hatten primär keinen negativen Einfluss. Erwähnenswert ist auch der Umstand, dass die Gruppe zwar Kartenmaterial vom Glockner mitführte, jedoch keine Orientierungshilfsmittel wie Bussole oder GPS.
Peter Ladstätter ist Bezirksleiter der Bergrettung Tirol, Bezirk Osttirol. In dieser Funktion koordinierte er den schwierigen Einsatz am Großglockner vom Tal aus. Hanno Bilek hat Peter Ladstätter in Osttirol für ein Interview getroffen ...
Peter Ladstätter Bergrettung Tirol Bezirksleiter Osttirol
Bilek: Bei diesem harten Einsatz auf dem Glockner mussten die Rettungsmannschaften unangenehme Entscheidungen treffen. Sollten sie umkehren oder zu der vermeintlichen Position der Verletzten steigen? Wie geht man in einer solchen Situation vor?
Bilek: Wir sehen auf den Bildern die beinharten und gefährlichen Verhältnisse. Was befähigt Bergrettungsleute, bei solch arktischen Bedingungen mit hohen Windgeschwindigkeiten überhaupt noch, auf Berge zu steigen?
Ladstätter: Sie trafen die Entscheidung im Team. Es entscheidet nicht der Einsatzleiter allein. Das nimmt eine große Last von seinen Schultern. In eine solche Diskussion bringen sich in erster Linie die Erfahrensten ein, um das Risiko und die Möglichkeiten abzuwägen, was möglich ist und was nicht. In solchen Teams sind meistens junge Wilde und alte Hasen bei uns zusammengespannt. Das Wichtigste ist der gegenseitige Respekt. Grundsätzlich: Die Bergrettung ist keine „One-Man-Show“, bei der sich Einzelne profilieren können. Objektivere Entscheidungen sind immer im Team zu treffen. Wenn ich mehrere kompetente Meinungen zusammenführe, dann habe ich ein kompetentes Resultat, das möglichst nahe an der Realität ist.
Ladstätter: Wegen des Windes sind alle ab der Adlersruhe immer angeseilt gegangen. Der Sturm war teilweise so stark, dass einzelne Männer aus dem Stand einfach umgerissen wurden. Alle, die bei dem Einsatz ganz oben dabei waren, kennen diesen Berg wegen der häufigen Einsätze auch bei widrigsten Verhältnissen. Zusätzlich zu diesen Erfahrungen ist das Wissen über das eigene Können entscheidend. Eine zusätzliche Stärke ist die Mannschaft selbst. Wenn ich ein eingeschworenes Team habe, dann sind viele Vorteile auf meiner Seite. Ich weiß, was jeder kann. Und ich weiß, dass sich jeder genügend Reserven behält, um wieder lebend und gesund zu gewissen Stützpunkten zurückzukehren. Zusätzlich wären unsere Glockner-Einsätze in dieser Art ohne die Schutzhütte bei der Adlersruhe und die Stüdlhütte überhaupt unmöglich. Bei solchem Sturm und bei Dunkelheit ist außerdem an Hilfe durch Hubschrauberbesatzungen nicht einmal ansatzweise zu denken.
Bilek: Was hat euch bei diesem Glockner-Drama am meisten beschäftigt? Ladstätter: Es waren Bergretter dabei, die sagten, dass wir die Verletzten in maximal 40 Minuten erreichen könnten, wenn wir Gas geben. Anderen war es zu gefährlich. Die schwierigste Entscheidung musste dann auf dem Kleinglockner getroffen werden, dem Vorgipfel. Sie sind dann im Sturm nicht mehr weitergegangen, um nicht selbst in große Lebensgefahr zu kommen.
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interview
Bilek: Aus der Analyse wissen wir, dass die Verunfallten ein Handy dabei hatten. Am Glockner besteht vielerorts Netzempfang, technisch wäre eine Alarmierung möglich gewesen. Hätte die Bergrettung helfen können, wenn rechtzeitigt alarmiert worden wäre?
Ladstätter: Hätten sie, als der Vater konditionell
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Im Bild die Einsatzleitung bei einer Pressekonferenz zur aktuellen Situation am Großglockner v.l.n.r. Klaus Unterweger (BGM Kals), Silvest Wollsegger (Bezirkspolizeikommandant Lienz), Peter Ladstätter, Peter Tembler (OL Bergrettung Kals).
Anspruchsvolle Bedingungen herrschten bei diesem Einsatz am Großglockner. (Bilder: Bergrettung Kals)
schon nachgelassen hatte, ihn zum Windschutz auf die Lee-Seite transportiert, in die Mitte genommen und gewärmt, einen Notruf abgesetzt, dann hätten sich noch am Abend unsere Teams in Bewegung setzen können. Irgendwann in den frühen Morgenstunden zwischen zwei, drei oder vier Uhr wäre unser Bergrettungsteam mit Arzt bei ihnen eingetroffen. Es hätte Chancen gegeben, dass alle überleben. Aber ich habe immer ein Problem mit der Philosophie „Hätti, wari ...“ („Hätte ich, würde ich").
Ladstätter: In erster Linie bekommen die Einsatzmannschaften die allererste und die letzte Information. Bevor sie ins Gelände gehen, und auch wenn sie retourkommen, dann werden ihnen alle wichtigen Informationen mitgeteilt. An zweiter Stelle kommen die Angehörigen. Sie bekommen Informationen immer vor den Pressevertretern. Wir versuchen, ihnen auch klar zu vermitteln, wie die Angehörigen uns Einsatzkräfte unterstützen können. Beispielsweise hat es überhaupt keinen Sinn, Verunfallte oder Leute in Bergnot dauernd auf dem Handy anzurufen. Im weiteren Einsatzverlauf könnte der Akku so geschwächt sein, dass man das Handy nicht mehr mit technischen Methoden orten kann. Das könnte in manchen Fällen echte Lebensgefahr mit sich bringen. Daher versuchen wir oft, Angehörige in den Einsatz einzubinden, um sie von solchen Aktionen abzuhalten.
Bilek: Wie funktionierte die Einsatzleitung aus deiner Sicht? Ladstätter: Der Bezirkspolizeikommandant hat gemeinsam mit mir die Einsatzleitung im Tal organisiert. Suchaktionen sind letztlich Fahndungen und eine logistische Aufgabe der Polizei. So hatte in diesem Fall der Bezirkspolizeikommandant die gesamte Einsatzkoordination inne. Die Polizei hat den gesetzlichen Auftrag und die Technik, jedoch nicht die personellen Ressourcen für große Suchaktionen im alpinen Raum. Deshalb wird bei vermissten Bergsteigern sehr oft die Bergrettung zur Assistenz herangezogen. Aber generell ist die Suche nach Vermissten immer eine Angelegenheit der Polizei. Das ist auch vielen in unseren Reihen der Bergrettung nicht klar. Unsere Zusammenarbeit mit der Alpinpolizei funktioniert in Osttirol optimal. Bilek: Schwierig ist bei vielen Einsätzen die Informationsarbeit gegenüber Medien und Angehörigen.
Bilek: Hattest du beim Glockner-Einsatz mit den Angehörigen direkten Kontakt? Ladstätter: Selbstverständlich. In diesem Fall haben ein Bergrettungsarzt, der Bezirkspolizeikommandant und ich die Angehörigen informiert. Von Mitgliedern des Kriseninterventionsteams sind sie zusätzlich lückenlos betreut worden. Bilek: In Osttirol hat es im letzten Jahr zwei Bergunfälle gegeben, die international ein enormes Interesse von Medien erregt haben. Wie geht man mit diesem Ansturm um?
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Ladstätter: Wir haben für Journalistinnen und
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Die Einsatzmannschaften wurden vom Tiroler Landesrat Anton Steixner für ihren Einsatz geehrt (Bild: Bergrettung Kals)
Journalisten ein eigenes Pressezentrum eingerichtet. Dort haben sie Platz für ihre Ausrüstung und Schreibarbeiten bekommen. Sie wurden auch mit Getränken usw. versorgt. Die Information der Presse hat nur durch den Bezirkspolizeikommandanten und mich stattgefunden. Nur so kann man den Informationsfluss bündeln und ordnen. Ein Beispiel: Wir haben am vierten Tag den Leichnam des toten Vaters von der Adlersruhe ins Tal geflogen. Wir wünschten uns von den Pressevertretern, dass sie kein Foto und keine Filmaufnahmen von dem Hubschrauber mit dem Leichensack machen. Sie konnten jedoch den Abtransport mit dem Leichenwagen filmen. Das haben alle Journalisten akzeptiert. Einerseits wurden sie von uns stets gut betreut und informiert, andererseits konnten wir auf diese Weise das eine oder andere einfordern, was aus unserer Sicht wichtig für eine seriöse Medienarbeit ist. Bilek: Warum ist das für die Bergrettung wichtig? Ladstätter: Wir können dadurch ein professionelles Bild der Hilfeleistung in der Öffentlichkeit vermitteln, das ja auch der Realität entspricht. Es werden keine Vermutungen und Gerüchte in Umlauf gebracht. Wer zu wenig seriöse Informationen liefert, kommt schnell in Gefahr, dass sich Berichterstatter etwas zusammenreimen müssen. Und bei guter Medienarbeit haben Journalisten den Vorteil, dass sie Fakten für spannende und korrekte Berichte erhalten. Zusätzlich bekommen sie von den Einsatzkräften pressetaugliche Fotos auch aus höheren Regionen des Berges, die sie selbst niemals machen könnten.
Bilek: In Medien wird oft das Bild transportiert, Bergretter riskieren bewusst ihr Leben, um anderen zu helfen. Ihr habt in Osttirol häufig schwierige Einsätze. Wie denkst du darüber? Ladstätter: Wir müssen zwischen Berge- und Rettungsphase unterscheiden. Nachdem wir den Vater tot gefunden hatten, war es viel zu gefährlich, den Leichnam gleich abzutransportieren. Für Bergretter gilt es in der Bergephase, einen günstigen Zeitpunkt mit besseren Verhältnissen abzuwarten und einen Toten erst dann vom Berg zu bringen. Die beiden anderen Vermissten ordneten wir zum Zeitpunkt des traurigen Fundes auf dem Kleinglockner noch der Rettungsphase zu. Wir hofften, dass sie noch leben. Die Suche nach den zwei Jüngeren hatte ab diesem Zeitpunkt oberste Priorität, und natürlich nicht der Abtransport des Toten. Bei Lebenden geht man auch ein gewisses Risiko ein. Ein Rückzug der Retter muss aber immer möglich sein. Wir sprechen von kalkuliertem Risiko. Man nimmt dann auch in Kauf, sich zu verletzen – in der Hoffnung, einem anderen Menschen das Leben zu retten. Aber man nimmt nicht in Kauf, sein eigenes Leben bewusst zu riskieren. Dann wären wir hilflose Helfer. Bilek: Zum Abschluss: Was empfindet man nach einem so schweren Einsatz, der noch dazu so traurig ausgeht? Ladstätter: Das Helfen steht bei uns im Mittelpunkt. Dafür sind wir Bergrettungsleute. Die Ursachen- und Motivforschung kommt erst viel später.
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impressum analyse:berg. 1. Ausgabe, Sommer 2011 Auflage: 6.000 Stück Herausgeber und Medieninhaber: Österreichisches Kuratorium für Alpine Sicherheit, ZVR 589452440, Olympiastraße 10, 6020 Innsbruck, Austria, analyseberg@alpinesicherheit.at In Partnerschaft mit: Alpinpolizei, Österreichischer Bergrettungsdienst, bergundsteigen – Zeitschrift für Risikomanagement Mit freundlicher Unterstützung von: Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend; Bundesministerium für Inneres; Land Tirol; Verband Alpiner Vereine Österreichs Redaktion: Hanno Bilek (Österreichisches Kuratorium für Alpine Sicherheit), Hans Ebner (Alpinpolizei), Gerald Lehner (Österreichischer Bergrettungsdienst) Redaktionsbeirat: Peter Plattner, Walter Würtl (bergundsteigen – Zeitschrift für Risikomanagement) Anzeigen: Hanno Bilek (hanno.bilek@alpinesicherheit.at), David Kupsa (david.kupsa@alpinesicherheit.at) Aboverwaltung: Hanno Bilek (hanno.bilek@alpinesicherheit.at)
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Grafik: Barbara Hofler (www.bissig.co.at) Lektorat: Mag. Christiane Schneider Druck: SternDruck, Fügen Kartengrundlage Reliefkarten: www.tirolatlas.uibk.ac.at (S. 20, 46, 54, 64, 76) Bildnachweis: Titelbild: Großglockner, Hans Ebner, Alpinpolizei; Peter Veider, Bergrettung Tirol (S. 4); Peter Plattner (S. 10, 12, 13, 14, 15, 16, 18, 19, 31, 42, 74); Karl Gabl (S. 20); Gerhard Lieb (S. 34); Andreas Würtele (S. 40); Martin Hautz, Alpinpolizei Tirol (S. 46); Anna Fuchs (S. 54); Hans Ebner, Alpinpolizei (S. 62); Klaus Hanser, Alpinpolizei Tirol (S. 64); Bergrettung Tirol, Ortsstelle Kals, (S. 72, 76).