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werKbund werKstatt nbg: bauhaus 2.0

seit 35 jahren hält die werkbund werkstatt nürnberg die ideen der gestaltungsschule am brennen. ein besuch. TExT/INTERVIEW: MARIAN WILD

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tradition ist nicht die anbetung der asche, sondern die weitergabe des feuers. – Jean Jaurés

Dieser Satz muss eigentlich dröhnen in den Köpfen der heutigen Bauhaus-Verwalter, besonders jener Verantwortlichen für das 2019 gefeierte, 100. Gründungsjubiläum der Gestaltungsschule. Ein Jubiläum, das unselig damit begann, dass die Dessauer Stiftung eine linke Band von der berühmten Bühne verbannte, weil rechtsextreme Protestierende mit Krawall drohten. Sicher kein guter Start, um eine Schule zu ehren, die dreimal durch politische Initiativen von den erstarkenden Nationalsozialist*innen vertrieben wurde. Zwei neue Museen wurden im Jubiläumsjahr eröffnet, je eines in Weimar und Dessau, und beide Bauprojekte zogen, vorsichtig formuliert, nicht nur Lob auf sich: Zu dunkel, zu grabartig, zu ambitionslos, riefen die Kritikerinnen und Kritiker. Was war da passiert, wie konnte dieser große Festakt, der ja ein staatspolitisches Ereignis war und ein Signal des Aufbruchs hätte sein können, derart kulturell an sich selbst scheitern? Weil man darauf verzichtete, dem Bauhaus inhaltlich viel mehr zuzugestehen als Produktionsstätte für teure Möbelprototypen zu sein. Zweifellos sind diese Objekte, die Wagenfeldlampe, der Breuer-Freischwinger, heute Visitenkarten und beachtlicher Teil des Bauhausmythos. Wie eine Schule aber überhaupt an den Punkt kommen konnte, sie zu erfinden, diese Erzählung wird gerne kurzgefasst oder ausgeblendet. Das ist der Moment, in dem die Nürnberger Werkbund Werkstatt ins Spiel kommt, die seit 35 Jahren Jaurés „Feuer“ weiterreicht und genau diese Frage nach den geistigen Grundlagen von Kreativität stellt. Das Zitat ist hochspannend, nicht nur, weil sein Urheber, der französische Historiker und Sozialist der vorletzten Jahrhundertwende Jean Jaurés, in seinen Texten die Gedanken von Persönlichkeiten wie Immanuel Kant mit denen von Literaten wie Tolstoi vermengte. Weitergeben des Feuers also, wie tut die Werkbund Werkstatt Nürnberg das? Zuvorderst durch eine große Portion Freiheit: Die Türen stehen weit offen für Jugendliche, die zum Beispiel nach ihrem Schulabschluss ihren künftigen Weg suchen. Ein Jahr lang tingeln sie hier durch verschiedenen Materialwerkstätten und Klassenräume, arbeiten mit Metall, Glas, Textil und Holz, zeichnen und malen, betreten die Theaterbühne, hören Unterrichtseinheiten über Kunstgeschichte, ästhetik und Designtheorie. Die Anleitung erfolgt in kleinen Gruppen durch Dozentinnen und Dozenten, die selbst aus der gestalterischen Praxis und Theorie kommen. Der Weg ist das Ziel, aber die regelmäßig präsentierten Ergebnisse sind trotzdem spannend: Textile Objekte, Gebilde aus Farbglas, Holzskulpturen und Metallkompositionen bilden den Lernprozess ab. Mittelfristig passiert aber etwas viel Wichtigeres: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bekommen die Gelegenheit, in einem sicheren Experimentierraum herauszufinden, wer und was sie werden und irgendwann vielleicht sein wollen, ohne Druck und Vorgaben von außen. Sie merken im besten Fall,

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NEUES MUSEUM Staatliches Museum für Kunst und Design Nürnberg Klarissenplatz 90402 Nürnberg

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dass das Leben nicht nur aus dem Funktionieren für Andere besteht, sondern dass sie selbst ihre Entscheidungen in der Hand haben. En passant entsteht dabei Gestaltung, die alle Teilnehmenden im Wechselspiel aus eigenem Antrieb und Anregungen von außen entwickeln: Experimentieren, Scheitern, Weitermachen. So entsteht Neues. Und das erinnert eben stark an die Bauhauspädagogik der Weimarer Phase: Durch Atemtraining, Bühnenexperimente, Vortragsreihen und handwerkliche Ausbildung brachen die damaligen Bauhauslehrerinnen und -lehrer die alten Konventionen auf und schafften Platz für neue Ideen. Dabei starteten sie freilich von einem anderen Punkt als wir heute, vieles war darum nicht optimal, wie die fehlende Gleichberechtigung von Frauen; gestalterisches Neuland betraten aber erstaunlich viele der damaligen Schülerinnen und Schüler, und trugen diese Gedanken in die ganze Welt. Weniger stand dabei in den ersten Bauhausjahren das fertige Produkt im Vordergrund, sondern vielmehr der grundlegende Prozess; heute besitzen wir dadurch überhaupt erst eine Vorstellung von „Design“, und das ist relevant für alle modernen Stühle, nicht nur für den Breuer-Freischwinger. Solche Orte, solche Labore wie das Bauhaus und die Werkbund Werkstatt Nürnberg sind immer besonders in Umbruchzeiten entscheidend, wenn althergebrachtes Wissen nicht mehr funktioniert, wenn eingeübte Vorgänge nicht mehr greifen. Wir erleben aktuell so eine Zeit und brauchen jetzt neue Ansätze für Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur, konzipiert von mündigen Entscheiderinnen und Entscheidern. Die Werkbund Werkstatt Nürnberg trägt ihren Teil dazu bei, sie zu formen. Es liegt im Interesse von uns allen, dass er das auch die nächsten 35 Jahre tut. Der curt hat mit dem Leiter der Werkbund Werkstatt, Norbert Zlöbl, über die Herausforderungen der kommenden Zeit gesprochen:

marian wild: lieber norbert, bei all den organisatorischen herausforderungen, die corona so mit sich bringt: wie geht ihr damit aktuell um und wie haltet ihr den betrieb am laufen? NORBERT ZLöBL: Im Grunde genommen wenden wir das an, was wir auch in der Gestaltungsarbeit machen: Die Situation betrachten und machbare Lösungen finden, die für alle funktionieren. Das setzt eine gewisse Offenheit, Flexibilität und großes Engagement aller Beteilig-

textilwerkstatt. fotos: designarchitektur

ten voraus. Auch wenn die Lösungen, wie zum Beispiel der zeitweilige Distanzunterricht via Internet, nicht das Optimale sind, wurden die Inhalte darauf abgestimmt. Seit April haben wir von der Stadt Nürnberg die Bescheinigung erhalten, dass die Teilnehmer*innen des Werkstattjahres als Abschlussklasse zu betrachten sind und wieder in Klein- und Wechselgruppen in den Werkstätten arbeiten können – was alle sehr glücklich macht. jedes jahr melden sich mehrere dutzend neue schülerinnen und schüler bei euch an, viele durch mund-zu-mund-propaganda. was ist, in einem satz, euer erfolgsrezept, das so viel gutes feedback produziert? Für viele ist es, das weiß ich aus den vielen Rückmeldungen Ehemaliger, das schönste und wichtigste Jahr gewesen, in welchem sie vieles über sich selbst erfahren und Mut für eigenständige Entscheidungen gefasst haben. eure herangehensweise im unterricht sieht oft einfach aus, ist bei genauerer betrachtung aber hochkomplex und darum auch schwer von außen zu erklären. vieles muss man selber im prozess erleben. wie bereitet ihr die neuen schülerinnen und schüler auf das jahr vor, das vor ihnen liegt? Durch unsere Informationsveranstaltungen und die Informationsbroschüre sind viele Schülerinnen und Schüler schon recht gut auf das Werkstattjahr vorbereitet. Aber am Allerwichtigsten ist die Bereitschaft, sich auf einen Prozess einzulassen, aus dem sie nach einem Jahr anders herausgehen als sie hineingegangen sind. Was wir unter Gestaltung verstehen ist Folgendes: Durch die reflektierte Auseinandersetzung mit den Materialien, den Techniken und den Gestaltungsmöglichkeiten und dem daraus entstehenden Werk ändern sich auch in den Individuen Einstellungen, Haltungen und Gewohnheiten, die zu einer Erfahrung von Freiheit und Autonomie führen können.

werkbund werkstatt nürnberg Anmeldung für das Werkstattjahr 2021/2022 bis 29. August. Online-Infotage: 15. Juni, 15. Juli. Ausstellung / Werkschau: 9. bis 26. Juli www.werkbund-werkstatt.de

139 – von maRian wild

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